Ein EU-Beitritt wäre heute sogar noch schlimmer als vor fünf Jahren
Interview mit Teletext Fernsehen SF DRS vom 14. Februar 1998
Sie erachten den Kompromiss zwischen der EU und der Schweiz bezüglich des Transitverkehrs durch die Schweiz (320 Fr. pro Fahrt) als ungenügend. Wie würde ein Verhandlungsergebnis aussehen, das Sie akzeptieren könnten?
Blocher: Es ist nicht möglich, sich auf einen Preis mit der EU zu einigen, da die Schweiz und die EU vollkommen unterschiedliche Ziele verfolgen. Der Bundesrat strebt einen Preis an, der die Lastwagen auf die Schiene bringt. Das Konzept der EU sieht anders aus: Die Güter auf die Strasse. Die Schweiz hat nachgegeben. Das Verhandlungsergebnis ist im Sinne der EU.
Kann sich die Schweiz ein Scheitern der bilateralen Verhandlungen überhaupt leisten?
Blocher: Wieso nicht? Internationale Verträge können immer scheitern, diese Möglichkeit besteht immer. In den meisten Fällen wird man sich allerdings einig. Wir haben Zeit, denn die bilateralen Verhandlungen berühren keine vitalen Interessen der Schweiz. Lediglich einzelnen Branchen würde ein Abkommen gewisse Vorteile bringen. Es ist tragisch, dass sich der Bundesrat selbst unter Druck setzt und immer wieder verkündet, wir brauchen dringend einen Abschluss. So wird das Verhandlungsergebnis zum Nachteil der Schweiz ausfallen.
Wäre es dann für die Schweiz nicht besser, wenn sie EU-Mitglied wäre? So könnte sie Entscheidungen, die sie betreffen, in ihrem Sinne beeinflussen.
Blocher: Wären wir in der EU, gäbe es zum Beispiel bezüglich Verkehr und freiem Personenverkehr keine Verhandlungen. Wir müssten die Vorgaben der EU einfach übernehmen. Oder denken Sie an die Mehrwertsteuer. Wenn die Schweiz der EU beiträte, würde die MwSt auf mindestens 15 Prozent erhöht. Das sind Vorgaben, zu denen wir nichts zu sagen hätten. Noch ein Beispiel: Wir müssen den Euro einführen, ob wir wollen oder nicht. Dadurch stiegen die Hypo-Zinsen in der Schweiz – und damit die Mietzinsen – um 30 Prozent!
Ist die Teilnahme am europäischen Binnenmarkt für die Schweizer Wirtschaft langfristig nicht überlebenswichtig?
Blocher: Die Schweiz nimmt heute vollumfänglich am Binnenmarkt teil. Wir verkaufen der EU nicht nur sehr viel, sondern sind auch deren Grosskunden, stehen wirtschaftlich aber besser da. Die Rahmenbedingungen sind in der Schweiz besser: Wir haben billiges Kapital. Das ist sehr wichtig, da uns punkto Automatisierung noch grosse Investitionen bevorstehen. Zudem ist bei uns die Ausbildung hervorragend. Bei einem EU-Beitritt würden wir diese Vorteile verlieren. Wir würden uns nach unten hin anpassen.
Eine Umfrage hat jüngst gezeigt, dass sich die Einstellung der Bevölkerung der EU gegenüber gewandelt hat.
Blocher: Ich vertraue nicht Umfragen, sondern dem Ergebnis an der Urne. Die Bürger lehnten einen UNO-Beitritt und den EWR ab, obwohl die Umfragen damals das Gegenteil voraussagten. Die Ergebnisse von Umfragen können durch entsprechende Fragestellungen beeinflusst werden. Ich bin überzeugt, dass ein EU-Beitritt an der Urne chancenlos wäre. Heutzutage braucht es Mut, öffentlich gegen den EU-Beitritt Stellung zu nehmen, weil dieser jetzt in Mode ist. Der Druck der Medien ist enorm, also antworten die Leute entsprechend. An der Urne müssen sie keine Rücksicht nehmen.
Spüren Sie einen solchen Wandel in der Einstellung der Bevölkerung nicht?
Blocher: Nein, im Gegenteil: Von vielen Leuten weiss ich, dass sie vor fünf Jahren für den EWR waren, heute aber dagegen stimmen würden. Vermutlich gibt es aber auch das Gegenteil.
Hat sich denn die EU seit 1992, seit der EWR-Abstimmung gewandelt?
Blocher: Ein EU-Beitritt wäre heute sogar noch schlimmer als vor fünf Jahren. In der Zwischenzeit wurde die Währungsunion beschlossen. Bei einem Beitritt würden wir heute noch mehr Vorteile, nämlich unsere Währung, verlieren.
Die Diskussionen um das Nazi-Gold und die Holocaust-Gelder haben das Bild der Schweiz beschädigt. Es ist heute jedermann klar, dass die Schweiz im Zweiten Weltkrieg auch Fehler gemacht hat. Ist das Bild des „Sonderfalles“ noch länger aufrechtzuerhalten?
Blocher: Wenn man in der Verantwortung steht, kann man keine reine Weste haben. Beim Arbeiten wird man auch schmutzig. Man macht Fehler. So war es auch im Zweiten Weltkrieg: Regierung und Armee ist es damals trotz grosser Schwierigkeiten und vieler Fehler gelungen, die Schweiz aus dem Konflikt herauszuhalten. Damit wurde – und das zählt! – eine grosse Aufgabe erfüllt. Der Rest ist nebensächlich.
Die Schweiz hat also im Zweiten Weltkrieg auch Fehler gemacht?
Blocher: Ja, aber darum geht es nicht. Niemand hat deswegen das Recht, die Schweiz wegen dieser Fehler zu erpressen und zu sagen, ihr müsst bezahlen! Heuchler und Moralisten sind Leute, die nie Verantwortung hatten. Es geht ihnen um die eigene reine Weste. Die Diskussion um den Zweiten Weltkrieg wird vor allem von solchen Leuten geführt. Wer gibt wem das Recht, uns wegen Fehler zu belangen, die eine andere Generation gegangen hat? Dies ist keine moralische, sondern eine juristische Frage. Wenn die Banken unrecht begangen haben, dann sollen sie auch bezahlen. Aber nicht der Rest der Bevölkerung.
Sie haben eine Initiative zur Volkswahl des Bundesrates angekündigt. Ein vom Volk gewählter Bundesrat hätte eine stärkere Stellung gegenüber dem Parlament. Wünschen Sie einen starken Bundesrat?
Blocher: Ja, das ist der Hauptgrund für meine Initiative. Die Grundlage der Republik eine funktionierende Gewaltentrennung, das ist schon seit Montesquieu so. Heute ist die Vermischung zwischen Parlament, Bundesrat und Verwaltung so widerlich, dass keiner seine eigene Verantwortung wahrnimmt. In den Kantonen funktioniert dies ja hervorragend. Und dort ist die Trennung besser oder zumindest weniger schlecht.
Aber der Bundesrat hätte ja nach wie vor keinen grösseren Einfluss im Parlament, da in der Schweiz kein Fraktionszwang herrscht. Wir hätten einen starken Bundesrat ohne Macht.
Blocher: Das ist nicht das Problem. In Regierungsbelangen wäre der Bundesrat dem Volk gegenüber verantwortlich. In der Gesetzgebung stellt er den Antrag ans Parlament. Klar verantwortlich für die Gesetze wäre dann das Parlament – auch dem Volk gegenüber. Heute nimmt der Bundesrat nicht auf das Volk, sondern auf sein Wahlgremium, das Parlament, Rücksicht. Er will ja wieder gewählt werden. Das ist fast unerträglich. Die Regierten sollen die Regierung wählen können.
Wie sollen Ihrer Meinung nach die Bundesfinanzen wieder ins Lot gebracht werden?
Blocher: Wir müssen die Steuern massiv senken. Kurzfristig würden die Einnahmen sinken. Aber der Antrieb für die Wirtschaft wäre immens, die Steuereinnahmen würden schnell wieder steigen, die Wirtschaft käme in Schwung. Ausserdem sind vor allem die Ausgaben zu drosseln. Diese Strategie wurde von Grossbritannien und den USA erfolgreich angewandt. Der wirtschaftliche Erfolg und die ausgeglichene Rechnung in den USA sind Resultate dieser Politik.
Zum Schluss noch zwei kurze Fragen: Wenn die Schweiz EU-Mitglied wäre, würden Sie für das EU-Parlament kandidieren?
Blocher: Nein, nicht für das Parlament in der heutigen Form. Wenn es mehr Kompetenzen hätte und ich dort die Interessen meines Landes verteidigen könnte, wäre es zu überlegen.
Wer wäre der ideale Bundesratskandidat für Sie?
Blocher: Die Köpfe ändern, die Politik bleibt die gleiche. Pascal Couchepin wird sowieso gewählt. Was soll ich mir da den Kopf zerbrechen? Er wollte ja schon immer Bundesrat werden. Deshalb hat er immer versucht, sich im Parlament beliebt zu machen. Also wird er – leider – gewählt werden.
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