Die Gegenseite macht auf fragwürdige Weise mobil
Christoph Blocher sieht im Bericht der Kommission Brunner ein Dokument der „Kollaborationselite“
Interview mit der „Weltwoche“ vom 23. April 1998
Interview: Urs Paul Engeler
Was würde die Schweiz nur ohne Ihre Gegendarstellungen machen, Herr Blocher? Vier Monate nach dem Grossversand der Broschüre über den Nutzen des EWR-Neins verbreiten Sie den Gegenrapport zum Bericht der Kommission Brunner.
Christoph Blocher: Ich fühle mich verpflichtet, immer dann einzugreifen, wenn in der Politik Orientierungs- und Konzeptlosigkeit überhand nehmen.
Was kostet Sie Ihr Leitfaden?
Blocher: Diesmal geht es nicht um eine Schrift an alle Haushaltungen, sondern lediglich um 50 000. Kosten und Vertrieb laufen über die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns).
Wer hat Ihr Papier tatsächlich verfasst?
Blocher: Ich bin der Verfasser und trage die Verantwortung dafür. Zunächst hatte ich eineinhalb Jahre in dieser Kommission Brunner aktiv mitgearbeitet. Dann habe ich ein Team von acht Personen – Offiziere, Historiker, Soziologen, Ökonomen – gefunden, die Zeit und Kraft hatten, die Fragen der künftigen Strategie zu vertiefen und mit mir intensiv zu diskutieren.
Wer steht hinter Ihnen?
Blocher: Ich brauche keine Hintermänner.
Was hat Ihre Privatgruppe den einundvierzig Mitgliedern der Kommission Brunner voraus, die den Bericht mittragen?
Blocher: Das Brunner-Papier liegt auf der heute modischen Linie, die von den Worthülsen „Öffnung, Internationalisierung, Globalisierung“ geprägt ist. Das war die gar nicht hinterfragte Ausgangslage der Debatten der Kommission, nicht ihr Ergebnis. Ebenso dient es natürlich den in Bern gepflegten politischen (nicht sicherheitspolitischen) Zielen wie EU- oder Uno-Beitritt, was dem Gros der Kommission ebenfalls sehr behagte. Mit künftiger Verteidigung des Landes jedoch hat der Bericht wenig zu tun.
Sie sprechen nun von einer „Kollaborationselite“. Das geht weiter als Ihre bisherige Verhöhnung der „classe politique“.
Blocher: Es geht beide Male ums gleiche: „Classe“, wo keine sein dürfte. Es gibt eine führende Schicht, die eine ganz andere Interessenlage hat als das breite Volk: Sie orientiert sich am Grossräumigen, am Unbegrenzten, an Macht, vielen Kulissen und wenig Verantwortung. Diejenigen aber, die von diesen führenden Leuten abhängen, zielen im Gegenteil auf Begrenzung der Macht.
Die Platte „Das Volk ist gut, die Politiker sind eigensüchtig“ ist etwas gar alt.
Blocher: Die Gefahr des Machtmissbrauchs liegt bei den Politikern. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel mit Symbolcharakter: Wer hat die Agenten des israelischen Geheimdienstes ertappt? Eine wachsame Hausfrau. Wer hat uns über den Fall informiert? Israelische Quellen. Unsere Behörden, die bis auf einen alle Täter haben laufen lassen, wollten den Fall vertuschen.
Vor Jahren propagierten Sie den Beitritt der Schweiz zur amerikanischen Freihandelszone. Nun warnen Sie vor einer „pax americana“. Warum diese Wende?
Blocher: Das ist keine Wende. Ich schätze die USA weiterhin und trete auch für ein Freihandelsabkommen ein. Doch ich will mich – bei aller Sympathie für das liberale Land, das uns politisch nahesteht – unter keinen Umständen in die Eigeninteressen dieser Weltmacht einbinden lassen.
Glauben Sie wirklich, was Sie schreiben? Zum Beispiel: „Es gibt einen einzigen Sonderfall gelungenen Friedens: den Sonderfall Schweiz“?
Blocher: Ich kenne kein anderes Land, das 150 Jahre lang keinen Krieg führen musste – und das mitten in den blutigsten Auseinandersetzungen mit zwei Weltkriegen!
Das ist Ihr Denkfehler: Kriege betreffen alle – auch die, die selbst nicht mit den Waffen fuchteln.
Blocher: Die Neutralität wird derzeit nicht von aussen angegriffen, sondern von innen her in Frage gestellt. Sie hat sich als Mittel bewährt, einen Kleinstaat aus Auseinandersetzungen herauszuhalten.
Nur auf Zeit. Jetzt läuft als späte Quittung für die Neutralität im Zweiten Weltkrieg der kleine Handelskrieg mit verschiedenen amerikanischen Organisationen.
Blocher: Das ist ein Nebenschauplatz: Es geht nicht um Krieg zwischen Nationen, sondern es gibt ein Gezerre um Geld. Schuld an dieser Entwicklung sind ohnehin die Kreise im Innern, die mit Selbstbezichtigungen den Geldforderungen und Erpressungen den Weg geebnet haben. Man kann ja nur eine schwache Regierung erpressen.
Und mit diesem schwach geführten Land wollen Sie den Alleingang wagen?
Blocher: Noch gefährlicher wäre es, mit Regierungsschwäche an einem militärischen Pakt teilzunehmen! Von Zerfallserscheinungen geprägt ist allein die Führung des Landes, etwa wenn Bundesrat Flavio Cotti sogar Edgar Bronfman, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, privat seine Aufwartung macht. Die Basis hingegen ist im Ganzen solide; und die Wirtschaft läuft gut.
Nicht einmal mit den teuren F/A-18 ist der Luftraum der Schweiz vollständig zu schützen. Wieviel soll Ihre autonome Sicherheit kosten? Welches Konzept von Armee folgt daraus?
Blocher: Noch nie konnte sich ein Land allein oder in einem Militärbündnis gegen alles, was nur erdenklich ist, verteidigen. Das wird auch in Zukunft so sein. Es reicht, wenn wir gegen die wahrscheinlichsten Gefahren geschützt sind. Das kann man in Eigenregie effektiver und billiger tun als in internationalen Verbänden. Neue Bedrohungen werden der Informationskrieg sein, der mit einer kleinen Gruppe von Spezialisten geführt werden muss, oder importierte Bürgerkriege – zum Beispiel zwischen rivalisierenden Ausländergruppen -, für die ortskundige und ausgebildete Milizsoldaten eingesetzt werden sollen.
Im Ernst: Bürgersoldaten gegen Kurden und Türken, die sich in Schweizer Städten bekämpfen?
Blocher: Ja, sie müssen nur geschult werden, auch im Gebrauch von nichttödlichen Waffen.
Wie wollen Sie Ihre Sicherheitskonzeption umsetzen? Im Fall der Partnerschaft für den Frieden haben Sie nach anfänglicher Generalopposition klein beigegeben.
Blocher: Ich bin unterlegen: Der Bundesrat hat in eigener Kompetenz entschieden. Für bewaffnete Interventionstruppen im Ausland oder einen Nato-Beitritt müssen die Behörden durch das Nadelöhr von Volksabstimmungen. Da werden sie mit Sicherheit scheitern wie schon mit der Blauhelm-Vorlage. Auch die Frage eines Uno-Beitrittes wurde ja bereits durchgespielt.
Sie haben eine Volksinitiative zur konkreten Fixierung und Umschreibung der Neutralität in der Verfassung angekündigt. Ist das Projekt still gestorben?
Blocher: Nicht angekündigt, aber genau geprüft. Das Problem ist die Handhabung eines solchen Artikels, solange wir keine Verfassungs-Gerichtsbarkeit kennen und solange der Bundesrat alles Mögliche als mit der Neutralität vereinbar erklären kann. Kommt dazu, dass eine solche Bestimmung im Kriegsfall die Handlungsfähigkeit einschränkt.
Es ist doch so, dass Sie grosse Schwierigkeiten haben, die Neutralität positiv und konkret zu umschreiben. Es ist einfacher, sie taktisch von Fall zu Fall als defensives Instrument politisch-ökonomischer Schlaumeierei einzusetzen.
Blocher: Neutralität ist Stillesitzen, konsequente Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten. Das braucht Kraft und Klugheit.
Wenn der Ausgang der Debatte so klar ist wie die Abstimmungen über Uno-Beitritt oder Blauhelme, so erstaunt Ihre Hektik.
Blocher: Die Gegenseite macht auf fragwürdige Weise mobil. Bundesrat Adolf Ogi behauptet, der Bericht befinde sich in der Vernehmlassung, bevor er konkretisiert und umgesetzt werde. In Tat und Wahrheit wird er auf militärischen Kursen bereits als neue Doktrin doziert: Brigadier Peter Arbenz und ausländische Offiziere treten referierenderweise auf und werben für Nato-Annäherung, für EU-Beitritt und Interventionstruppen. Das ist eine unzulässige Verpolitisierung von Armeekursen. Es tritt deutlich zutage, dass in Tat und Wahrheit nicht die Kommission den Bericht verfasst hat, sondern das VBS selber. Indoktrinierung in Truppendiensten ist ein klarer Missbrauch der Kommandogewalt und wäre eigentlich strafrechtlich zu ahnden. Ich selber habe mich als Truppenkommandant seinerzeit geweigert, in Truppenkursen und vor Soldaten gegen die Initiative zur Abschaffung der Armee zu werben. Politik gehört nicht in die Armee!
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