«Machen Sie den Leuten Angst, Herr Blocher?»
Interview mit der Schülerzeitung der Kantonsschule Romanshorn vom 5. Oktober 1998
Wohl kaum ein anderer Politiker ist so kontrovers wie er. Die einen klatschen ihm zu und die anderen würden ihn am liebsten auf den Mond schiessen: Christoph Blocher. Ob er sich selber als extrem ansieht oder was er einem abgewiesenen Asylbewerber sagen würde, fragte ihn Lukas Butscher.
Wie sehen Sie lhre Rolle in der Schweizer Politik?
Christoph Blocher: Eine Aufgabe habe ich, keine Rolle. Schauspieler haben Rollen, d.h. sie spielen etwas. Ich habe die Aufgabe, mit meiner Erfahrung dafür zu sorgen, dass es der Schweiz freiheitlich und wirtschaftlich gut geht.
Sie sind sehr kontrovers. Wie leben Sie damit, dass Sie die eine Seite bejubelt und die andere Sie am liebsten auf den Mond schiessen würde?
Blocher: Das ist das Schicksal aller Persönlichkeiten, die sich in der Öffentlichkeit exponieren. Nur Fade und Nette haben keine echten Freunde und Gegner. Wer etwas bewegen will, sich klar und deutlich ausdrückt, hat immer beides.Schauen Sie sich mal die Geschichte an, es ging allen so. Churchill wurde von den einen gehasst, sie hätten ihn am liebsten zerschnetzelt. Andere aber merkten, was in diesem Mann steckte.
Betrachten Sie sich als extrem?
Blocher: Extremismus ist relativ. Was für den einen extrem ist, heisst für den anderen, klar Richtung zu geben. Wenn ich etwas bewegen will, muss ich mich klar, manchmal auch überspitzt ausdrücken, damit das Wesentliche hervorkommt. Die Politik muss holzschnittartig sein. Wer einen Holzschnitt anfertigt, muss eine klare Vorstellung des Gegenstandes haben. Den muss er dann überspitzt darstellen, damit das Wesentliche hervorkommt. Man muss nicht differenziert argumentieren, aber man muss sehr differenziert denken und einfach und klar darstellen. Das Wichtige vom Unwichtigen trennen. Die meisten Politiker sehen sich eher als Vielfarbenmaler. Etwas rot, ein wenig grün, vielleicht noch blau. Und am Schluss weiss man gar nicht, was sie wollen.
Viele werfen Ihnen vor, Sie seien ein Bremser.
Blocher: Das behaupten die, die in die falsche Richtung gehen wollen und gebremst werden. Wer uns in die EU bringen will, damit wir am Schluss nichts mehr zu sagen haben, schimpft mich natürlich einen Bremser. Doch ist es sehr progressiv, den Irrweg zu verhindern.
Sind Sie je von einem politischen Standpunkt abgerückt?
Blocher: Früher war ich ein grosser Kämpfer für die Europäische Gemeinschaft. Bei den Freihandelsverträgen in den 70ern, bei der EFTA war ich an vorderster Front dabei. Als ich sah, dass daraus ein so zentralistisches, undemokratisches Regime werden würde, musste ich meine Meinung ändern.
Als ich kürzlich mit dem Zug fuhr, hörte ich mit, wie ein älterer Mann sich über Sie aufregte: „… ein Mann mit so menschenverachtenden Einstellungen, dabei sind Vater und Bruder Pfarrer. Blocher ist mit mehr als zwei Milliarden Vermögen einer der reichsten Schweizer und gönnt einem Ausländer nicht einmal ein sicheres Obdach oder eine gute Ausbildung…“. Was sagen Sie dazu? Stimmt das?
Blocher: An einer solchen Aussage merken Sie: Dieser Mann kennt mich sicher nicht. Die zwei Milliarden sind zwar richtig, wobei das aber nicht Geld, sondern der Wert meines Unternehmens ist. Dass Vater und Bruder Pfarrer sind, ist auch richtig. Hingegen ist es eine Dummheit zu behaupten, ich gönne jemandem kein sicheres Obdach.
Vielleicht meinte er die Kosovo-Albaner? Dort gibt es ja wieder Konflikte. Was sagen Sie denn einem abgewiesenen Asylbewerber?
Blocher: Ich würde ihm sagen: „Unser Land bietet Flüchtlingen, die an Leib und Leben bedroht sind, Aufenthalt, also jetzt zum Beispiel Kosovo-Albanern. Nicht aufnehmen können wir die, die nicht bedroht sind. Es ist unmöglich, jedem Ausländer, der in die Schweiz will, Aufenthalt zuzusichern.“ Weshalb sollte man dies einem abgewiesenen Asylbewerber nicht sagen können?
Wie finden Sie denn das politische Klima in Zürich? Stichwort Messerstecher-Plakate?
Blocher: Auf dem Messerstecher-Plakat war zu sehen, wie Leute auf offener Strasse bedroht, beraubt oder sogar niedergestochen wurden. Wir bildeten einen Messerstecher ab, der auf eine Frau losgeht, um aufzuzeigen, welche Zustände bei uns herrschen. Darüber schrieben wir: „Das haben wir den Linken und Netten zu verdanken.“ Was ist denn daran so schlimm? Die Kampagne war erfolgreich, weil sie in der Politik und an den Gerichten zu einem Umdenken führte. Niemand wollte mehr ein Linker oder Netter und damit schuld an den Zuständen sein.
Ist denn das Klima in Zürich nicht polemisch und unsachlich? Findet man einen guten Konsens?
Blocher: Politik ist immer auch polemisch. Ein fauler Konsens hat anscheinend bewirkt, dass zu viele Gewaltverbrecher die Leute niederstechen. Mit diesem Konsens waren wir nicht einverstanden. Das muss und darf gesagt werden. Ein richtiger Konsens kommt erst zustande, wenn man die verschiedenen Meinungen hat aufeinanderprallen lassen.
Was meinen Sie, wo wäre die Schweiz, wenn die Linke ans Ruder käme? Zum Beispiel die SP?
Blocher: Zunächst ginge es den Leuten wirtschaftlich schlechter: Der Sozialismus behindert die wirtschaftliche Entwicklung, alles wird teurer. Es gibt mehr Intervention, mehr Bürokratie, weniger Entfaltungsmöglichkeiten. Der Staat braucht immer mehr Geld, nimmt den Bürgern immer mehr weg, d.h., es gibt mehr Arbeitslosigkeit und Armut. Das haben die Entwicklungen in allen sozialistischen Staaten gezeigt. Zweitens würde uns die Linke ziemlich schnell in die internationalen Vereinigungen hineintreiben, wodurch die Schweizerinnen und Schweizer immer weniger zu sagen hätten. Die Folge davon wären weniger Freiheit, weniger Selbstbestimmung, weniger Demokratie.
Wo wäre die Schweiz, wenn die Bürgerlich-Rechte an die Macht käme?
Blocher: Der Schweiz ginge es besser. Durch die Politik, die ich vertrete, würden die Arbeitsplätze sicher, das Land für Investitionen interessant, ich würde keinerlei Konzessionen an die direkte Demokratie machen, die Leute hätten nach wie vor etwas zu sagen, und es bliebe ihnen mehr zum Leben. Ich würde eine wirksame Opposition zulassen, sie sogar fördern, denn sie hilft einem, richtig zu führen, weil man auch die andere Seite sieht. Da nicht von aussen über uns bestimmt werden soll, käme ein EU-Beitritt nicht in Frage.
Dann ist also Ihre Meinung die einzig Richtige?
Blocher: Ich persönlich bin davon überzeugt, sonst würde ich sie nicht vertreten.
Und die anderen sind falsch?
Blocher: Mir ist klar, dass meine Meinung – wie jede andere – auch Nachteile mit sich bringt. Aber ich vertrete eine Überzeugung dann, wenn ich sehe, dass die Vorteile so massiv überwiegen, dass die Nachteile nicht mehr relevant sind.
Konkret?
Blocher: Auch ein EU-Beitritt hat Vorteile, das ist klar. Die Wirtschaft beispielsweise müsste sich mit geringeren Grenzformalitäten herumschlagen. Als Unternehmer könnte ich billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland anstellen – so viele ich wollte. Es gäbe nur noch eine Währung. All das anerkenne ich, aber wenn ich die Nachteile sehe, ist der Fall für mich klar. Um diese Vor- und Nachteile musste ich natürlich auch ringen, sie immer wieder neu in Frage stellen. Als Unternehmer habe ich jeden Tag Entscheide zu treffen, beispielsweise 20 Millionen in ein Projekt zu investieren, weil ich glaube, dass es richtig ist. Ich weiss aber auch, dass ich mich irren kann.
In Ihrer 1. August-Rede sagten Sie, letztendlich sei wesentlich, ob das Möglichste getan wurde. Wurde von der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges das Möglichste getan?
Blocher: Ja, sie hat das Möglichste getan. Doch die Geschichte ist nicht da, um darüber zu richten. Churchill sagte einmal: „Wer über die Geschichte zu Gericht sitzt, wird die Zukunft verlieren.“ Wir können gar nicht ermessen, wie wir im Krieg gehandelt hätten. Die Menschen müssen damit umgehen können, dass Fehler gemacht werden. Nur Moralisten und Heuchler sagen: „Ah, die haben einen Fehler gemacht!“ Damit wollen sie ja wohl zum Ausdruck bringen, sie hätten ihn nicht gemacht. Wie lautete denn der Auftrag? Er lautete, dafür zu sorgen, dass die Schweiz nicht in den Krieg verwickelt wurde. Dieser Auftrag wurde erfüllt. Wäre nämlich die Schweiz besetzt worden, hätte man beispielsweise die aufgenommen Flüchtlinge – auch die Juden – sofort deportiert. Das hat die Schweiz verhindern können. Natürlich machte man in der Flüchtlingspolitik einzelne Fehler, auch schliesse ich nicht aus, dass sich gewisse Leute im Handelsverkehr bereichert haben. Es wäre unrealistisch, etwas anderes zu behaupten. Doch massgebend ist etwas anderes. Ausschlaggebend ist, dass der Auftrag erfüllt wurde.
Im Moment wird die Schweiz – wie Sie sagen – vom Ausland her angegriffen. Zu Recht? Warum?
Blocher: Es steht niemandem von aussen zu, über uns zu Gericht zu sitzen. Die Fehler machten wir nicht gegenüber denen, die unverschämt Geld erpressen. Vielleicht wurden Fehler uns gegenüber gemacht. Da gilt es Rechenschaft abzulegen. Aber das berechtigt niemanden in Amerika, von uns Geld zu erpressen.
Dann geht es also um Geld?
Blocher: Nur um Geld. Das haben inzwischen wohl alle gemerkt.
Um Geld, das mancher Ostjude gut gebrauchen könnte.
Blocher: Es gibt noch viele Leute auf der Welt, die Geld gebrauchen könnten. Man kann ja darüber reden, ob man jemandem ein Geschenk machen soll. Geschenke aber mache ich aus freiem Willen und nicht, weil ich erpresst werde.
Jetzt sind ja die Banken umgekippt…
Blocher: Ja, leider. Sie zahlen bereits zum zweiten Mal. Bereits der Holocaust-Fonds kam nur durch massiven Druck zustande. Die dritte Erpressung wird folgen.
Haben wir jetzt Ruhe?
Blocher: Wenn wir uns entschieden und selbstbewusst zur Wehr setzen ja, andernfalls nicht.
Sie sind ein internationaler Unternehmer. Sie tragen Verantwortung. Sie arbeiten und investieren auch im Ausland. Sie sind innovativ und gehen neue Wege. Mit ihrem Heimatland, für das Sie ja auch Verantwortung tragen, verfahren Sie nicht so. Die Schweiz soll möglichst nichts mit dem Ausland zu tun haben, sich beinahe abschotten. Sie soll sich auf das Altbewährte besinnen.
Blocher: Ich bin für eine weltoffene Schweiz, die mit allen Ländern Beziehungen und Freundschaften pflegt, sich aber nicht von ihnen bestimmen lässt. Dies gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für die Politik. Innovativ sein heisst für ein Land, eigenständige Wege zu gehen. Heute will man in die EU. Was soll denn daran so innovativ sein? Eigene, selbständige Wege zu beschreiten ist doch viel innovativer. Ich gehe in unternehmerischen Belangen gleich vor wie in der Politik. 2’700 Leute arbeiten in unseren Unternehmen, meine Konkurrenz ist zehn- oder sogar hundertmal grösser. Ich glaube an das Übersichtliche. In der Politik bedeutet innovativ sein heute weniger Bürokratie, mehr Selbstverantwortung des Bürgers, dem Einzelnen mehr zum Leben lassen.
Sie zitieren gerne Niklaus von der Flüe: „Machet den Zuhn nit zu wyt!“ Nun hat die alte Eidgenossenschaft bei der Aufnahme weiterer Orte den Zuhn wohl nicht weniger wyt gemacht als die moderne Schweiz dies bei einem eventuellen Beitritt in die EU tun müsste.
Blocher: Nur mit dem Unterschied, dass die anderen bestimmen würden. Die Eidgenossenschaft hingegen hatte nach wie vor das Sagen, als sie neue Stände aufnahm. Das sieht man am Beispiel des Kantons Thurgau: Die alte Eidgenossenschaft behielt nicht nur das Sagen, sie unterjochten ihn sogar. Heute ist der Thurgau vollwertig anerkannt.
Wie weit spielen existentielle Ängste und Gefühle bei solchen Entscheiden eine Rolle?
Blocher: Sie spielen eine grosse Rolle, das dürfen sie auch.
Machen Sie den Leuten auch Angst?
Blocher: Wenn ich vor etwas Angst habe, sage ich es. Ich habe beispielsweise Angst davor, die Entscheidung über unser Land der EU zu überlassen.
Wie sieht lhre Wunschschweiz aus?
Blocher: Die Schweiz sollte nicht gestaltet werden – das wäre ja eine Monarchie -, sie sollte sich selber bestimmen. Ich wünsche mir offene Auseinandersetzung, jeder soll seine Meinung frei äussern können. Meine Schweiz wäre freiheitlich, würde dem Staat weniger Macht einräumen, dem Einzelnen viel Verantwortung überlassen, der schlanke Staat würde wenig kosten, dem Bürger nicht so viel vorschreiben und wegnehmen. Es wäre ein Staat, der an der Selbständigkeit und an der bewaffneten Neutralität festhält, weil das für die Schweiz am besten ist. Ein demokratischer Staat.
Wie wird die Schweiz in 25 Jahren aussehen?
Blocher: Ziemlich ähnlich wie heute. Sie wird der EU in der bestehenden Form nicht beitreten.