«Selbst wenn ich schweige, bin ich ein Thema»
Christoph Blocher über Macht, politische Gegner und seine Auseinandersetzung mit Bundesrat Couchepin
Interview mit der Sonntagszeitung vom 27. Juni 1999Von Othmar von Matt
Herr Blocher, fehlen Ihnen heute die politischen Gegenspieler?
Christoph Blocher: Meine Gegenspieler sind diejenigen, die eine falsche Politik betreiben. Und auch wenn sie ihre Politik nicht mehr begründen können, machen sie trotzdem eine falsche Politik.
Es fehlt doch jemand wie Peter Bodenmann, der Sie dezidiert herausfordert.
Blocher: So gesehen gebe ich Ihnen Recht. Ich habe bald keine namhaften politischen Gegner mehr. Früher tat dies Helmut Hubacher. Peter Bodenmann ist im Wallis verschwunden, Elmar Ledergerber im Zürcher Stadtrat. Und Franz Jaeger verkündet heute aus der Hochschule gute Wirtschaftspolitik.
Freut Sie das?
Blocher: Mehr würde mich eine gute Politik freuen. Aber auch ohne namhafte Gegenspieler kommen Steuererhöhungen, Asylmissbrauch und zu viele Regulierungen zu Stande. Ein gutes Zeichen ist allerdings, dass die Bevölkerung langsam genug hat von dieser Politik. Politik lebt allerdings von Gegensätzen. Und ich bin froh, wenn die Gegner antreten.
Wie Ursula Koch?
Blocher: Ich bin zweimal gegen Frau Koch angetreten. In der ersten „Arena“ beschränkte sie sich auf das Pöbeln. Pöbeln war ihr politisches Programm, bis ihr die Werbeleute davon abgeraten haben. In der zweiten Sendung bemerkte ich, dass Frau Koch überhaupt kein Konzept hat. Nicht einmal ein falsches.
Und wie steht es mit Franz Steinegger?
Blocher: Die Freisinnigen sind nicht unsere Gegner. Im Moment weiss ich allerdings nicht, ob Steinegger eine Partei vertreten muss, welche die Orientierung verloren hat. Oder ob ihm selber die Orientierung abhanden gekommen ist.
Dezidiert geäussert hat sich in den letzten Tagen Volkswirtschaftsminister Pascal Couchepin. Ist er Ihr neuer Gegenspieler?
Blocher: Bisher war Herr Couchepin nie mein Gegenspieler, er war politisch ein Mann ohne Meinung. Aber wenn er jetzt als Bundesrat den Gegenpart spielen will, soll er das tun. Ich bin gerne bereit, den Ball aufzunehmen. Seine Reaktionen verraten jedoch höchste Nervosität.
Couchepin äusserte sich über Ihre Rolle im Zusammenhang mit der Initiative, die fordert, dass Volksinitiativen in sechs Monaten vors Volk kommen müssten.
Blocher: Er hat auf ein harmloses Inserat zur Initiative, die ich gutheisse, reagiert. Wenn er nun davon spricht, Blocher sei mit seiner wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Tätigkeit ein ganz gefährlicher Mann, so zeigt dies seine bedenkliche demokratische Gesinnung. Er fühlt sich in seiner Macht bedroht.
Aufs Höchste besorgt ist allerdings auch der Gesamtbundesrat. „Die Initiative führt die direkte Demokratie ad absurdum und stellt die politische Kultur der Schweiz in Frage“, sagt er in einer Erklärung.
Blocher: Das ist lächerlich. Es ist Tatsache, dass Volksinitiativen relativ lange in Bern „herumgeteiggt“ werden. Ein Volksbegehren soll rasch zur Abstimmung gebracht werden. Es ist gar nicht nötig, dass Bundesrat und Parlament dazu Vorschlag und Gegenvorschlag machen müssen. Gemäss der Volksinitiative müssen Bundesrat und Parlament keine Stellung nehmen. Aber sie dürfen es selbstverständlich.
Überrascht Sie die heftige Reaktion?
Blocher: Ich hätte nie erwartet, dass sich der Gesamtbundesrat dazu hinreissen lässt. Damit schiesst er ein Eigentor, denn seine Reaktion gibt der Initiative riesigen Auftrieb.
Irgendwie ist es unheimlich: Wo immer in der politischen Schweiz von heute etwas geschieht, taucht Ihr Name auf.
Blocher: Das tut mir leid. Selbst wenn ich schweige, bin ich offenbar ein Thema?
Schritt für Schritt bauen Sie Ihre Macht aus. Wann haben Sie Ihr Ziel erreicht, die Macht in der Schweiz zu übernehmen?
Blocher: Ein solches Ziel verfolge ich nicht. Die Schweizer sind demokratisch, und darum wird in diesem Land nie jemand die Macht übernehmen. Ich muss wieder einmal darauf zurückkommen, was ich eigentlich tue: Erstens bin ich erfolgreicher Unternehmer. Mein Weg dazu ist transparent nachzuvollziehen, und das gibt Neider. Zweitens bin ich Politiker und vertrete seit Jahren konsequent meine Meinung. Was soll daran suspekt sein?
Die Ballung wirtschaftlicher, politischer und finanzieller Macht – verbunden mit der Tendenz zu einfachen Antworten, wie Bundesrat Couchepin sagt.
Blocher: Ich gebe mir grosse Mühe, einfach zu reden. Was soll daran gefährlich sein? Im Gegensatz zu Herrn Couchepin besitze ich keine Macht.
Keine institutionelle Macht.
Blocher: Ihm stehen Steuergelder und eine Verwaltung zur Verfügung. Seit dem Wahlerfolg der Zürcher SVP im April reagiert die Classe politique nervös und empfindlich. Sobald jemand ein bisschen aus dem Durchschnitt herausragt, versuchen ihn die Tonangebenden zu köpfen. Diese Tendenz lässt sich in der Schweizer Geschichte immer wieder beobachten.
Ihr Understatement ist bemerkenswert. Sie verfügen über beträchtliche Macht.
Blocher: Ich bin mir dieser Macht gar nicht bewusst. Was ist denn diese Macht?
Sie haben sich eine Holding aufgebaut: mit Auns, SVP, „Schweizerzeit“. Eine Holding, die Sie gezielt einsetzen und finanziell so massiv unterstützen, wie dies keiner anderen Partei möglich wäre.
Blocher: In die Auns stecke ich kein Geld, sondern einen Teil meiner Arbeitskraft. Auch in die „Schweizerzeit“ investiere ich kein Geld. Bei der Gründung habe ich zwei Aktien zu je tausend Franken gezeichnet. Auch an die Schweizer SVP zahle ich nur ordentliche Beiträge, genauso wie an die Zürcher SVP. Denn die Partei darf finanziell nicht von mir abhängig werden. Doch es gibt Abstimmungskampagnen und generelle Kampagnen, die ich gezielt unterstütze.
Wie viel investieren Sie in Kampagnen?
Blocher: Im Schnitt ein paar Hunderttausend Franken pro Jahr. In der EWR-Abstimmung waren es 1,5 Millionen.
Bei den Wirtschaftsverbänden befürchtet man, Sie übernähmen die Macht.
Blocher: Das höre ich aus den Verbänden ebenfalls. Ich will dort weder eine leitende Stellung einnehmen, noch habe ich die Zeit dazu. Hingegen fordere ich als Unternehmer seit langem, dass die Verbände eine konsequente Wirtschaftspolitik betreiben: eine gute Ordnungspolitik. Nur drang ich mit dieser Forderung bisher nicht durch. Neu ist, dass zahlreiche – auch grosse – Schweizer Unternehmen ebenfalls diese Meinung vertreten.
Dennoch kam der Verdacht auf, Sie steckten hinter der Fusionsforderung.
Blocher: Die Idee der Fusion stammt nicht von mir. Und ich bin nicht einmal sicher, ob sie eine wesentliche Verbesserung bringt. Die Bemühungen kommen aus der Maschinenindustrie und der Chemie, aber auch aus anderen Branchen.
Immerhin soll Ihnen das Vorort-Präsidium angeboten worden sein.
Blocher: Davon weiss ich nichts.
Präsident werden Sie also nie?
Blocher: Käme ein solches Angebot, müsste ich sagen: Es tut mir Leid. Das kann ich nicht auch noch machen. Denn ich müsste entweder die Politik oder das Unternehmen aufgeben. Beides kommt für mich im Moment nicht in Frage.
Wenn Sie die Schweiz nach Ihrem Gusto gestalten könnten: Wie sähe sie aus?
Blocher: Zunächst einmal: Ich möchte keine Schweiz, die ich gestalten könnte. Ich möchte eine sehr demokratische Schweiz, in der die wesentlichen Entscheide bei der Bevölkerung liegen.
Und inhaltlich?
Blocher: Was würde ich dem Volk zur Abstimmung unterbreiten? Vorlagen, welche die traditionellen Stärken der Schweiz betonen: jene der souveränen, der neutralen Schweiz. Einer Schweiz, welche die dauernde Neutralität nach aussen hin stärkt, die in freundschaftlicher Beziehung zu allen Ländern dieser Welt lebt – wirtschaftlich, kulturell, politisch. Es dürfte allerdings keinerlei Einbindungen in eine fremde Macht geben, damit die Schweiz ihr Schicksal als Kleinstaat eigenständig bestimmen kann.
Und innenpolitisch?
Blocher: Ich bin für eine liberale Politik. Die Menschen in diesem Land sollen – bei Vollbeschäftigung – ihren Verdienst nicht der Umverteilung preisgeben. Es ist ein Staat von eigenverantwortlichen Bürgern. Der Staat sorgt für jene, die nicht für sich selber sorgen können. Mit dieser Stossrichtung ginge es den Schweizerinnen und Schweizern auch in Zukunft gut. Je zahlreicher die Länder in der Globalisierung Massenkonstruktionen suchen, desto grösser sind unsere Chancen.
Sie wollten eine Thatcher-Schweiz, in welcher der Staat keine Rolle mehr spielt, die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, wirft Ihnen die SP vor.
Blocher: Es ist heute eine Tatsache, dass eine niedrige Staatsquote die entscheidende Grösse für Vollbeschäftigung und einen konkurrenzfähigen Standort ist. Und die Reformen von Frau Thatcher waren nötig, um England aus einer tiefen Krise zu holen. Sie musste dafür zuerst die allmächtigen Gewerkschaften brechen. Herr Blair tut doch jetzt nichts anderes, als ihre Politik fortzusetzen.
Verfolgen Sie in der Schweiz ein ähnliches Ziel? Die Gewerkschaften zu brechen?
Blocher: Nein. In England hatten die Gewerkschaften eine unglaubliche Macht. Das ist bei uns nicht so. Der Staat hat grundsätzlich nicht zu bestimmen, ob es Gewerkschaften gibt oder nicht.
Wie wichtig ist Ihnen der soziale Friede? Er droht zu zerbrechen.
Blocher: Das glaube ich nicht. Der soziale Friede ist das Ergebnis des Ausdiskutierens von Standpunkten. Heute weiss bei Kompromissen aber niemand mehr, zwischen welchen Positionen sie entstanden sind.
„Wir sind nicht mehr bereit, Kompromisse nach links zu machen – nur weil man gerne Kompromisse hat“, sagten Sie nach dem Wahlsieg in Zürich. Stehen Sie tatsächlich für Ausdiskutieren ein?
Blocher: Absolut. Ich habe noch nie eine Einladung zu einer Diskussion abgelehnt.
Wenn es letztlich nach Ihrem Willen geht?
Blocher: Dass sich ein Politiker für seine Ansichten einsetzt, ist seine Aufgabe. In zentralen Dingen kämpfe ich, bis der letzte Entscheid gefallen ist. Ist er aber gefallen, halte ich mich daran.
Christoph Blocher ganz ungefährlich?
Blocher: Gefährlich nur für jene, die nicht ertragen, dass es Menschen gibt, die ihre Meinung unerschrocken vertreten.
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