«Ich bin überzeugt, dass dieses Paket vom Volk abgelehnt würde»
Christoph Blocher zum Verzicht auf ein Referendum gegen die Bilateralen und zum Vorwurf, er sei ein „Hosenscheisser“
Ungekürzte Fassung meines Interviews mit der Sonntagszeitung vom 10. Oktober 1999
Autor: Othmar von Matt
Christoph Blocher, das Parlament hat Sie am Freitag bei Ihrer Erklärung ausgebuht.
Christoph Blocher: Ja. Das ist eigenartig. Eigentlich hätten all diese vehementen Befürworter der bilateralen Verträge und der flankierenden Massnahmen doch klatschen müssen, wäre es ihnen ernst mit den Anliegen. Ihr Vertragswerk wird mit grosser Wahrscheinlichkeit Realität werden. Warum also diese orkanartig ausgebrochenen Buhrufe? Offensichtlich haben die Parlamentarier nach meiner Stellungnahme plötzlich begriffen, dass sie es nun sind, welche die Verantwortung für diese schlechten Verträge tragen müssen. Dem Volk kann man keine Schuld geben – und dem Blocher auch nicht.
Sie sagen zwar Nein zu den bilateralen Verträgen, aber gleichzeitig Nein zu einem Referendum. Weshalb?
Blocher: Die bilateralen Verträge zusammen mit den flankierenden Massnahmen bringen für die Schweiz neben unbedeutenden Vorteilen schwerwiegende Nachteile: Arbeitslosigkeit, Lohn-, Leistungs- und Qualitätsnivellierungen nach unten sind die Nachteile (des freien Personenverkehrs). Verhängnisvoll ist, dass der Staat neu Löhne und Normalarbeitsverträge in der Privatwirtschaft festlegen kann. Die Kollektivierung der Arbeitsverträge hat in der Vergangenheit ganze Vokswirtschaften ruiniert. Die Zahlungen von Sozialleistungen auch an Ausländer, die im Ausland wohnen, werden unsere Sozialwerke in die roten Zahlen bringen. All dies schwächt unsere Konkurrenzfähigkeit. Schlimm sind die Folgen auch im Strassenverkehr: Die 28-Tonnen-Limite fällt. Der schwere Transitverkehr fliesst ab 2005 durch unsere Strassen. Daneben bauen wir zwei Eisenbahntransversalen, die niemand benützen wird. Eine ungeheure finanzielle Last für die Schweiz. Sie sehen, diese bilateralen Verträge sind schlecht.
Und weshalb unterstützen Sie dann nicht das Referendum?
Blocher: Ich ergreife das Referendum nicht, weil selbst die Ablehnung durch das Volk nutzlos wäre. Neue Verhandlungen durch unseren Bundesrat würden keine besseren Ergebnisse bringen. Er ist dazu nicht fähig.
Eine scheinheilige Haltung, wie Kritiker rundherum sagen. Parlamentarier bezeichneten Sie gar als „Hosenscheisser“ und „Machiavellist“, der besser Ski-Slalom-Trainer werden sollte.
Blocher: Diese primitiven Äusserungen sprechen für die Hilflosigkeit dieser Parlamentarier. Nochmals: Wäre es ihnen ernst, müssten sie sich freuen.
Mit Ihrem „Nein, aber“ verraten Sie allerdings das Volk, auf das Sie sich immer berufen. Ehrlicher wäre es gewesen, das Referendum zu unterstützen.
Blocher: Wichtige Vorlagen gehören vors Volk. Darum hat die SVP gleich zu Beginn der Debatte im Parlament den Antrag gestellt, das Paket obligatorisch dem Volk zu unterbreiten. Leider wurde dies abgelehnt.
Dennoch: Mit Ihrer Einerseits-andererseits-Haltung sind Sie nun definitiv zum Mitglied der von Ihnen so verhassten „classe politique“ geworden.
Blocher: Ich gehöre weder vor noch nach dieser Abstimmung zu einer „classe politique“. Ich lehne das Klassendenken ab. Auch die Politiker dürfen nicht eine „classe politique“ bilden.
Als kluger Stratege haben Sie natürlich berücksichtigt, dass Sie mit dem Referendum nur verlieren können.
Blocher: Ich bin überzeugt, dass dieses Paket in einer ernsthaften Auseinandersetzung vom Volk abgelehnt würde. Aber entscheidend ist, dass damit die Verträge nicht besser würden. Der Bundesrat ist unfähig zu erfolgreichen Verhandlungen.
Den Bundesrat als Schuldigen hinzustellen, ist einfach. Als Unternehmer wissen Sie, dass für erfolgreiche Abschlüsse Kompromisse nötig sind.
Blocher: Die ganze Verhandlungsstrategie des Bundesrates war falsch. Obwohl er mit der EU Verträge aushandelte, damit die Schweiz nicht der EU beitreten muss, sagte er gleichzeitig: Wir wollen in die EU. Zweitens gab der Bundesrat seiner Verhandlungsdelegation keine klaren Zielsetzungen. Drittens setzte sich der Bundesrat unter Zeitdruck. Und der vierte Fehler: Die oberste Behörde hat plötzlich selbst verhandelt. Was zum Misserfolg geführt hat.
Mit Ihrem „Nein, aber“ erweisen Sie vor allem der Wirtschaft die Referenz. Sie will diese Verträge, weil sie nicht mehr in die EU will.
Blocher: Es ist erfreulich, dass die Wirtschaft immer mehr von einem EU-Beitritt abrückt. Die Wirtschaftsverbände wollen hingegen die bilateralen Verträge. Nicht so sicher bin ich mir allerdings bei der Wirtschaft generell.
Auch wenn Sie und die Auns auf das Referendum verzichten, bieten sich Ihnen noch andere Möglichkeiten, es hinter den Kulissen zu unterstützen: über die „Schweizerzeit“ zum Beispiel.
Blocher: Die Auns ergreift das Referendum nicht, weil mit diesen Verträgen die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz nicht beseitigt werden, im Gegensatz zum EWR und zu einem EU-Beitritt. Ob Ulrich Schlüer mit der „Schweizerzeit“ das Referendum unterstützt, weiss ich nicht. Ich stehe aber nicht zur Verfügung.
Auch nicht verdeckt?
Blocher: Nein. Es gibt kein Wenn und Aber. Ich beteilige mich weder indirekt noch hinter den Kulissen.
Sie geben auch kein Geld?
Blocher: Nein. Ich stehe weder mit Geld noch mit meinem Namen zur Verfügung.
Und wie verhalten Sie sich in einem allfälligen Abstimmungskampf?
Blocher: Auch hier stehe ich nicht zur Verfügung. Es ist durchaus möglich, dass das Referendum gar nicht zustande kommt. Ich habe immer damit gerechnet, dass es wahrscheinlich gar kein Referendum geben wird, sofern die Auns und auch die wichtigen Wirtschaftsverbände darauf verzichten.
Mit den bilateralen Verträgen scheint ein EU-Beitritt mittelfristig vom Tisch. Verlieren Sie damit Ihr grosses Thema?
Blocher: (lacht) Das wäre ja wunderbar. Doch Bundesrat und Parlament wollen trotzdem in die EU. Der Kampf geht weiter. In den letzten zehn Jahren musste ich die Hälfte meiner politischen Arbeitskraft dafür einsetzen, dass die Schweiz nicht an die EU verkauft wird. Heute bin ich der Meinung, dass in der Schweiz mindestens innerhalb der nächsten zehn Jahre ein EU-Beitritt vor Volk und Ständen keine Chancen haben wird. Weder Bundesrat noch Parlament werden sich getrauen, hier vorzuprellen. Und die Wirtschaft will keinen Beitritt.
Wo werden Sie in Zukunft Ihre Akzente setzen?
Blocher: Entscheidend ist für mich, die Unabhängigkeit, Freiheit und Neutralität des Landes zu verteidigen. Denn diese Unabhängigkeit gibt den Schweizerinnen und Schweizern Handlungsfreiheit, um die Weichen innenpolitisch richtig zu stellen. Innenpolitisch steht für mich im Vordergrund, dass die exzessive Ausdehnung des Staates zurückgebunden werden muss. Das ist die zweite Stossrichtung. Ein kurzfristiges Thema, das jetzt endlich gelöst werden muss, ist die konsequente Unterbindung des Asylmissbrauchs. Sonst entsteht in unserem Land ein vergiftetes Klima.
Wo wird man nochmals einen Blocher im heiligen Kampf erleben?
Blocher: Ich weiss nicht, wo mir der Kampf aufgezwungen wird. Heute habe ich allerdings bedeutend mehr Einfluss als 1992 – im Jahr der EWR-Abstimmung. Sehr viel Unsinn wird inzwischen im Bundesrat und im Parlament nicht verfolgt, weil man den Kampf nicht aufnehmen will. Die SVP sagte in den letzten zwei Jahren, dass die Schweiz ihre Steuern senken müsse. Plötzlich haben das auch andere Parteien und sogar Herr Villiger realisiert. Fünfzig Prozent des Anliegens haben wir ohne Kampf erreicht (Die Sensibilisierung ist inzwischen vorhanden).
Die SVP hat sich stark entwickelt. Welche Perspektiven sehen Sie für die Partei in den kommenden Jahren?
Blocher: Sie muss dafür sorgen, dass sie in jenen Kantonen, in denen sie noch nicht vertreten ist, die Partei mit guten Leuten aufbaut. Das betrifft vor, allem die Westschweiz. Wir sind gebietsmässig noch schwach, und daran muss intern gearbeitet werden. Gleichzeitig müssen wir unser Parteiprogramm konsequent verwirklichen, weil die Schweiz in den letzten sieben Jahre die Staatsquote deutlicher als alle anderen europäischen Staaten erhöht hat. Hier müssen wir Gegensteuer geben. Das meiste tue ich ohnehin intuitiv.
Und was sagt Ihnen Ihre Intuition?
Blocher: (lacht lange) Die Intuition sagt nie etwas. Sie ist immer ruhig. Man entscheidet etwas, weiss nicht so recht weshalb, ist aber ganz sicher, dies tun zu müssen – und hat hinterher grosse Zweifel, weil man nachdenken, hinterherdenken muss. Intuitive Leute haben es nicht einfach.
Was hat Ihnen Ihre Intuition zu den bilateralen Verträgen gesagt?
Blocher: Ich habe intuitiv gespürt, dass ich diesen Verträgen nicht zustimmen darf, dass ein Referendum nichts bringt. Ich habe nachts stundenlang hin- und herüberlegt: Ist das ein Widerspruch? Ist dies Bequemlichkeit? Wo liegt es? Im Gespräch mit Freunden realisierte ich intellektuell den intuitiven Entscheid. Wo der springende Punkt liegt: Eine unfähige Regierung kann schlechte Verträge, die sie selbst gemacht hat, nicht korrigieren. Das müsste sie aber. Ich selbst bin machtlos, die Verträge liegen ausserhalb meines Einflussbereiches. Die Folgen muss leider die Schweiz tragen. Das ist schmerzhaft.
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