«Jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten»
Christoph Blocher über den Axantis-Deal, seine Nachfolge und die von ihm befürchtete Rezession.
Interview mit CASH vom 8. Dezember 2000
Chefstratege Christoph Blocher schwimmt wieder obenauf – als Unternehmer, nicht aber als Politiker. Relaxed geht er auf den Axantis-Deal ein und schildert, wie seine Nachfolge geregelt werden könnte. Er befürchtet, dass eine Rezession vor der Tür steht. Vom neuen SVP-Bundesrat Samuel Schmid distanziert er sich.
Autor: Victor Weber, Marcel Odermatt
Ist das nun ein verspätetes Geschenk zu Ihrem Geburtstag oder ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, das Sie sich da gemacht haben?
Christoph Blocher: Nun, wenn Sie damit die Chance meinen, Axantis zu übernehmen, so wäre dies ein teures Geschenk.
Zum 60. Geburtstag darfs ja wohl ein grosszügiges Geschenk sein.
Blocher: Sagen wir es so: Gelingt der Plan, die ehemalige Attisholz zu übernehmen, geht ein alter Wunsch in Erfüllung. Schon zu Beginn der Neunzigerjahre versuchten wir, der damaligen Führung eine neue Strategie schmackhaft zu machen. Vergebens. Erst Jahre später ist eine neue Strategie verwirklicht worden. Jetzt könnten wir mit unserem Knowhow und mit unseren Managementkapazitäten helfen, den eingeleiteten Wandel zu vollenden, nämlich vom traditionellen Hersteller von Zellulose für die Papierindustrie hin zum spezialisierten Produzenten polymerer Werkstoffe auf der Basis von Zellulose.
Wie kommen Sie darauf, von einem teuren Geschenk zu reden? Bei Ihrer Offerte gehen Sie von einem Firmenwert von 570 Millionen Franken aus. Da Axantis 400 Millionen an liquiden Mitteln besitzt, kommen Sie zum Schnäppchenpreis von netto 170 Millionen zu den modernsten Anlagen dieser Art in der Schweiz.
Blocher: 170 Millionen Franken sind viel. Man muss bedenken, dass Axantis eben erst mit der Herstellung der neuen Produkte angefangen hat und dass in den nächsten drei Jahren noch Investitionen von insgesamt 50 Millionen nötig sind, um die Umstellungen auf Zellulosespezialitäten abzuschliessen. Zudem ist das Risiko des Scheiterns gross.
So gross kann das Risiko nicht sein, sonst würden Sie als gewiefter Unternehmer keine Offerte unterbreiten.
Blocher: Wenn es um neue Produkte geht, stehen die Chancen immer 50 zu 50. Kommt hinzu, dass es in der Regel doch immer länger geht und teurer wird, als ursprünglich angenommen.
Der Substanzwert wird gross sein.
Blocher: Was heisst da Substanzwert? Da sind die alten Anlagen …
… und daneben die nagelneuen …
Blocher: Die sind aber erst angefahren worden und nur um die 100 Millionen Franken wert – vorausgesetzt, sie bringen das, was man von ihnen erwartet.
Ein hoher Preis, ein hohes Risiko – warum sind Sie denn heute Morgen so gut gelaunt?
Blocher: Wir Industrielle sind uns das Risiko gewohnt. Ohne Risiko keine Chance. Ich freue mich auf die schwierige Aufgabe.
Sie müssten Daniel Model eigentlich dankbar sein. Erst sein feindlicher Versuch, Axantis einzusacken, hat für Sie eine günstige Konstellation geschaffen.
Blocher: Vielleicht. Ich bin aber gezwungen, sein Angebot von 310 Franken pro Aktie auf 330 zu erhöhen. Ich bin ihm aber darob nicht bös. Das Gespräch zwischen uns verlief denn auch ruhig.
War das ein abgekartetes Spiel zwischen Ihnen und Daniel Model, wie manche argwöhnen?
Blocher: Nein. Ich habe ihn zu seiner Überraschung angerufen und unsere Strategie dargelegt. Wir sind dann schnell einig geworden.
Ende September verpassten Sie der Ems-Gruppe eine neue Führungsstruktur und gliederten den Bereich Ems-Chemie in verschiedene Profitcenters auf. Das liess sich als Indiz für eine bevorstehende Weichenstellung deuten.
Blocher: Damals war Attisholz noch kein Thema. Heute ist aber klar, dass alles etwas einfacher ist: Axantis kommt als zusätzlicher selbständiger Unternehmensbereich zur Ems-Gruppe hinzu – sofern wir die Mehrheit bekommen.
Der Deal muss demnach sehr schnell abgewickelt worden sein.
Blocher: Am Mittwoch vorletzter Woche trat Axantis-Präsident Guido Patroncini an mich heran und sagte, dass ein 10-Prozent-Paket zu haben sei.
Wer wollte verkaufen?
Blocher: Das weiss ich nicht. Auf jeden Fall bin ich so auf die Gelegenheit erst richtig aufmerksam geworden. Ich sagte ihm, dass ich nicht ein Paket, sondern die Mehrheit des Unternehmens übernehmen möchte. Ich würde aber erst handeln, wenn die Aussicht bestünde, eine Zweidrittelmehrheit zu erwerben – zumal ich überzeugt bin, dass wir für Axantis das bessere Konzept haben als Daniel Model, der zur ehemaligen Zwei-Pfeiler-Strategie zurückkehren wollte, also zu etwas, das Attisholz mit dem Verkauf des Hygienepapiergeschäftes – Hakle und Tela – abgestreift hatte. Am Freitag letzter Woche konnte ich dann von der Bank Julius Bär ein 10-Prozent-Paket kaufen.
Könnte es sich dabei um das gleiche Paket gehandelt haben, das Sie zuerst ausgeschlagen haben?
Blocher: Das kann ich nicht ausschliessen.
Ihre Übernahmeofferte ist in den Medien sehr gut aufgenommen worden. Jetzt sind Sie geadelt worden, indem die Kommentatoren Sie zum weissen Ritter geschlagen haben, welcher der bedrängten Axantis zur Hilfe eilt.
Blocher: Mal ist man weisser Ritter, dann plötzlich wieder schwarzer Ritter. Ich kann darum solche Etiketten nicht ernst nehmen. Anderseits macht die breite Zustimmung die Sache einfacher.
Lonza hat in aller Stille eine ähnliche Reorganisation durchgeführt wie Ems. Sie sagen zwar, dass ein Zusammengehen von Lonza und Ems keinen Sinn ergeben würde. Doch sind Sie allenfalls an einzelnen Sparten von Lonza interessiert, etwa an den polymeren Zwischenprodukten und Additiven?
Blocher: Nein, die kommen für uns nicht in Frage, da wir uns mit unseren polymeren Stoffen auf einer höheren Spezialisierungsstufe bewegen.
Und die biochemischen Wirkstoffe?
Blocher: Auch nicht. Axantis ist für uns auch darum interessant, weil sie in den Bereich der biochemischen Werkstoffe vordringen will, doch das ist etwas ganz anderes als biochemische Wirkstoffe für die Pharma.
Haben Sie Ihre Nachfolge geregelt?
Blocher: Meine älteste Tochter, Ökonomin und bei Rivella zur Marktingexpertin gereift, nimmt im Januar ihre Arbeit in der Ems-Gruppe auf. Mein Sohn hat Chemie studiert und sammelt nun nach seinem Doktorat bei McKinsey Erfahrungen. Eine Tochter ist als Lebensmittelingenieurin bereits in der Industrie tätig. Und die Jüngste studiert Ökonomie in St. Gallen. Doch Privilegien gibt es auch für meine älteste Tochter nicht. Sie wird sich wie alle anderen Mitarbeiter bewähren müssen.
Bereits im letzten Sommer kündigten Sie an, dass Sie die Ems-Gruppe mit einem Kostentrimmprogramm und einem antizyklischen Investitionsverhalten auf die nächste Rezession vorbereiten wollen. Wie beurteilen Sie die Konjunkturlage heute?
Blocher: Die Situation sieht nun noch schlechter aus, als ich sie damals einschätzte. Damals sagte ich, die nächste Krise komme nicht vor 2002/2003. Jetzt beurteile ich dies pessimistischer.
Warum?
Blocher: Die unerwartet hohen Ölpreise wirken sich negativ aus. Da sind Konjunktur-Frühwarnindikatoren wie die rückläufigen Autoverkäufe in den USA und das lahmende Textilgeschäft, die auf eine baldige Rezession hinweisen.
Ihr Unternehmen ist also bereits für den kommenden Wirtschaftsrückgang vorbereitet?
Blocher: Wir haben den Personalausbau weniger stark forciert, als nötig gewesen wäre. Ausserdem lancierten wir ein Kostensenkungsprogramm. Sehen Sie: Rechnen wir bei einer schweren Rezession mit einem Umsatzrückgang von 20 Prozent, müssen wir die Kosten ebenfalls um 15 bis 20 Prozent runterfahren können. Und Kostensenkungsprogramme müssen sinnvollerweise noch in der Hochkonjunktur-Phasen eingeleitet werden. Die können nicht auf einen Schlag realisiert werden.
Wir befinden uns erst seit vier Jahren in einer Aufschwungphase. Und jetzt droht bereits wieder eine Rezession. Die USA dagegen erleben das zwölfte Jahr einer Hochkonjunktur. Was machen die Schweizer falsch?
Blocher: Wir haben in den letzten Jahren die Staatsquote wie kein anderes Land erhöht. Und der Grossteil der neuen Steuern wie der CO2-Abgabe oder der LSVA kommen erst noch auf uns zu. Das lähmt unsere Wirtschaft.
Und wie sieht das blochersche Wirtschaftsprogramm aus, um uns die nächste Rezession zu ersparen?
Blocher: Die Staatsquote und die Steuern müssen gesenkt werden. Zudem sollten wir den ganzen Staatsinterventionismus minimieren. Und der Bund sollte alle seine Beteiligungen, wie die an der der Swisscom, sofort verkaufen.
Was hat die Mehrheitsbeteiligung des Bundes mit einer sich anbahnenden Rezession zu tun?
Blocher: In allen liberalisierten Märkten muss der Staat seine Betriebe in die Freiheit entlassen. Der Bund schränkt die unternehmerische Freiheit der Swisscom ein. Ausserdem wissen die Manager, dass bei einem Versagen ihrerseits der Bund helfen würde.
Sie predigen wirtschaftlichen Liberalismus. Ihnen wäre es wohl auch egal, wenn die Swissair von einer ausländischen Gesellschaft übernommen würde.
Blocher: Was die Schweiz braucht, sind gute Verkehrsverbindungen und gute Gesellschaften, die die Schweiz anfliegen. Ob das mit oder ohne Swissair passiert, ist eigentlich egal. Der Flughafen Zürich ist auch für ausländische Fluggesellschaften eine attraktive Destination.
Doch gerade die Swissair wird als nationales Symbol empfunden. Kommt da der bekennende Patriot Blocher nicht in den Clinch mit seinen Wählern?
Blocher: Seit zwanzig Jahren heisst es immer wieder, ich hätte Probleme mit meinen Wählern. Trotzdem erzielte ich im letzten Jahr das beste Resulat aller Nationalräte.
Trotzdem: Unternehmen wie die SBB, die Swissair und die Post wirken auch identitätsstiftend.
Blocher: Das stimmt. Obwohl die Swissair nicht mehr in Staatsbesitz ist, haben immer noch viele Schweizer das Gefühl, das sei „ihre“ Fluggesellschaft.
Eine privatisierte Post würde kaum Briefe in die entlegenen Regionen des Landes senden, oder doch nur zu massiv höheren Preisen.
Blocher: Diesen Service public können wir uns leisten. Das ist kein Problem. Da sehe ich keinen Widerspruch zu meiner Haltung.
Viele Schweizer Traditionsunternehmen wurden in den letzten Jahren ins Ausland verkauft, wie kürzlich Feldschlösschen an den dänischen Bierbrauer Carlsberg. Was machen Schweizer Manager falsch?
Blocher: Feldschlösschen wurde ein Opfer des Bierkartells. Diese Firma war es sich nicht gewohnt, sich in einem hart umkämpften Markt durchzusetzen. Fliegt ein Kartell auf, kommt es zu Zusammenbrüchen. Das erlebten wir früher in der Uhrenindustrie und heute in der Strombranche. Ganz klar, dass aus kartellisierten Bereichen keine starken Managerpersönlichkeiten kommen können. Ich glaube aber nicht, dass Schweizer Manager schlechter sind als andere. Die Schweiz ist hoch industrialisiert, hat viele potente Firmen und braucht entsprechend viele Führungskräfte.
Erleben wir im Moment in wirtschaftlicher Hinsicht den Ausverkauf der Heimat?
Blocher: Nein. Alle ins Ausland verkauften Firmen haben weiterhin die Schweiz als Basis. Kein Manager gibt es zwar zu, aber jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten.
Als Unternehmer argumentieren Sie in neoliberaler Art rein rational und gefühlskalt, als Politiker appellieren Sie ans Heimatgefühl und damit an die Solidarität. Zwei Seelen wohnen in Ihrer Brust.
Blocher: Ich bin liberal. Im Beruf, der Wirtschaft und der Politik haben Gefühl und Emotionen viel Platz. Auch Nationalgefühl hat bei einer weltweit tätigen Firma Platz