Die Stimmungsmacher: Blocher gegen Deiss

Streitgespräch im FACTS vom 14. Februar 2002

FACTS lud die beiden wichtigsten Meinungsführer zur Uno-Debatte nach St. Gallen

Gesprächsleitung: Hannes Britschgi

Herr Bundesrat Deiss, warum soll die Schweiz in die Uno?

Joseph Deiss: Soll die Schweiz zuschauen, oder soll sie wirklich mitmachen? Darum geht es. Unsere Schweiz ist stark. Sie wird international geschätzt und geachtet. Sie ist in vielem vorbildlich. Ich will als Bundesrat alles tun, dass diese Stärken international voll zum Tragen kommen. Da bietet uns die Uno die geeignete Plattform. Und denken Sie an die guten Dienste. Kofi Annan, Uno-Generalsekretär, hat etwa 60 Sonderbeauftragte für Konfliktbearbeitung. Von diesen 60 ist heute kein einziger ein Schweizer! Wir gehören in die Uno.

Herr Nationalrat Blocher, warum sind Sie gegen einen Uno-Beitritt?

Christoph Blocher: Sie haben von den Stärken der Schweiz gehört. Eine unserer Staatssäulen heisst: weltoffen sein, aber sich nicht von ausländischen Kräften einbinden lassen. Darum sind wir in allen Uno-Unterorganisationen dabei. Es geht jetzt aber um die politische Uno: konkret um die Unterstellung unter den Uno-Sicherheitsrat. Das ist das mächtigste Organ, dominiert durch Grossmächte, und das einzige Organ, das die Länder zu etwas verpflichten kann. Alle anderen können nur Empfehlungen abgeben. Durch den Beitritt müssten wir feindliche Massnahmen gegen andere Staaten durchführen, wenn es der Sicherheitsrat so beschliesst: Völker aushungern, Brotsperren und Boykotte verhängen, Kommunikationswege unterbrechen und so weiter. Das alles steht im Vertrag, den wir unterzeichnen müssten. Soll mir einer sagen, wir seien noch neutral, wenn wir das mitmachen.

Deiss: Herr Blocher stellt die Uno als Monstrum dar. Mit Vereinfachungen, mit Übertreibungen. Es stimmt nicht, dass man sich diesem Sicherheitsrat unterwerfen muss. Der Sicherheitsrat hat als Ausschuss der Generalversammlung den Auftrag, die Sicherheitspolitik zu betreiben. Dort, wo es nötig ist, rasch handeln zu können, Lösungen vorzuschlagen. Und es ist nicht so, dass der Sicherheitsrat Mitglieder irgendwie unter die Knute nehmen würde, wie es Herr Blocher darzustellen versucht.

Sondern?

Deiss: Der Sicherheitsrat versucht, Lösungen aufzubauen. Das Vetorecht, das immer wieder genannt wird, wird selten gebraucht: elfmal bei 746 Entscheiden in den letzten zwölf Jahren. müssen einzig Sanktionen übernehmen. Mehr nicht. Nehmen Sie Afghanistan, Osttimor, Sierra Leone, Kosovo – alles Erfolgsgeschichten der Uno, wo der Sicherheitsrat Lösungen schuf.

Herr Blocher, der Sicherheitsrat, dargestellt als eine Friedensorganisation, die Grossmächte in eine friedliche Welt einbindet. Ist das bedeutungslos?

Blocher: Grossmächte einbinden – durch uns? Der Sicherheitsrat ist kein Organ der Generalversammlung. Der Sicherheitsrat ist gemäss Charta allein zuständig für die internationale Sicherheit. Er besteht gemäss Charta aus fünf dauernden Mitgliedern – den fünf Siegermächten nach dem Weltkrieg und zehn, die dann alle zwei Jahre wechseln. Die fünf dauernden haben das Sagen und ein Vetorecht. Der Sicherheitsrat ist von den fünf Grossmächten dominiert und kann Massnahmen gegen andere Länder beschliessen, die wir durchzuführen hätten – bis hin zur Bereitstellung von Truppen und Durchmarschrechten. Ein reiches Land wie die Schweiz, mit einer guten Armee, käme hier unter ausserordentlichen Druck. Wir sind ja gut gefahren bis jetzt. Wir haben 200 Jahre Frieden gehabt.

Deiss: Herr Blocher, darf ich Ihnen vorlesen, was die SVP-Fraktion und ihr Sprecher, Herr Albrecht Rychen, anno 1990…

Blocher: …ja, ja… (lacht)

Deiss: Es geht um die Sanktionen im Fall Irak – da war die Haltung der SVP-Fraktion 1990 eindeutig. Ich zitiere: „Es ist keine Wende in der Neutralitätspolitik. In diesem Sinne stehen wir für die Politik des Ja zur Neutralität, des Ja zu diesen Sanktionen.“ Das, Herr Blocher, war die Position der SVP.

Blocher: Es stimmt, dass der später abgewählte Albrecht Rychen 1990 so geredet hat. Leider. Wir hatten dann eine schwere Auseinandersetzung in der Fraktion – dazumal war Rychen Sprecher, nicht Fraktionspräsident. Leider hat damals eine Mehrheit noch diese Meinung vertreten. Ich nicht. Ich war damals schon gegen einen Uno-Beitritt und gegen Irak-Sanktionen. Herr Deiss hat Recht, es tut mir Leid, dass ich damals nicht durchgekommen bin. Jetzt aber käme ich durch in dieser Fraktion.

Deiss: (lacht)

Herr Blocher – mitreden, mitentscheiden oder Spielball der Grossmächte sein?

Blocher: Ich betone noch einmal, es geht nicht um die Generalversammlung und das Mitreden dort, sondern um das Diktat des Sicherheitsrats. Darum sind wir bislang der politischen Uno nie beigetreten.

Deiss: Ach!

Bundesrat Deiss, die Aussage von Christoph Blocher ist: Sicherheitsratsbeschlüsse sind undemokratisch und passen nicht zu unserem System.

Deiss: Es ist nicht so, dass die fünf Grossmächte uns irgendetwas aufzwingen könnten. Es braucht neun Stimmen. Was die Grossmächte können, ist höchstens: etwas verhindern. Und das ist unangenehm. Dass da Reformbedarf besteht, ist unbestritten.

Blocher: Doch. Israel ist mehrmals aufgefordert worden, seine Siedlungspolitik aufzugeben. Dieses Recht kann nicht durchgesetzt werden, weil die Amerikaner das mit ihrem Veto verhindern. Darum dieser unsägliche ewige Krieg. Er demütigt die Araber, die islamischen Völker. Daraus entsteht Terrorismus.

Herr Blocher, werden Terroristen sich fragen, ob die Schweiz in der Uno ist, wenn sie ihre Aktionen durchführen?

Blocher: Nein. Schauen Sie, wie schützt man sich gegen den Terrorismus? Ein Kleinstaat muss doch schauen, dass er nicht in internationale Händel hineingezogen wird. Das ist ja der Sinn der Neutralität. Wir wollen nicht, dass die Politiker in Bern die Schweiz in solche Auseinandersetzungen hineinziehen, indem wir gegen andere Länder Partei nehmen. Diese Parteinahme zieht den Krieg ins Land, den Terrorismus.

Deiss: Ja, Herr Blocher, Sie sprechen von Terrorismus wie ein Schulbube…

Blocher: Also Herr Bundesrat! Ich würde Sie nie als Schulbuben betiteln, nur weil Sie eine andere Meinung vertreten als ich.

Deiss: Sie haben ja allen Schweizern etwas zugeschickt: „Chumm Bueb und lueg dis Ländli a …“ Auf Französisch heisst Bub „gamin“.

Blocher: Ich danke Ihnen, dass Sie auf meine Albisgüetlirede hinweisen, das ist wahrscheinlich etwas vom Besten, das der Bundesrat jetzt lesen kann.

Deiss: Ja, es ist wahrscheinlich das literarische Ereignis der letzten Woche.

Zur Neutralität, Herr Blocher. Macht uns der Bundesrat da etwas vor, oder haben Sie ein Neutralitätsverständnis, das noch auf den Kalten Krieg zurückgeht?

Blocher: Nein. Neutralität heisst: Wir lassen uns nicht in fremde Händel hineinziehen, wir werden nicht Konfliktpartei, das ist bewährte Neutralitätspolitik.

Deiss: Es ist schlicht und einfach nicht möglich, aus einem Uno-Beitritt abzuleiten, dass er irgendwie unsere Neutralität in Frage stellen könnte. Und fragen Sie die Uno selber: Kofi Annan sagte es ganz deutlich: „Kein Problem für die Neutralität.“

Bei den friedenserhaltenden Uno-Operationen kann man nicht gezwungen werden mitzumachen. Aber finanzieren muss man sie. Ist das Neutralität?

Deiss: Die Uno ist die Völkergemeinschaft, die im Namen des Rechts Massnahmen ergreift. Und so kann sich eine Neutralitätsproblematik gar nicht ergeben. Aber es stimmt, dort zahlen alle mit.

Wir haben im Juni Ja gesagt zu bewaffneten Auslandeinsätzen. So einfach dürfte es nun nicht sein, Nein zu sagen?

Deiss: Doch! Auch als Mitglied wird die Schweiz ihr Gesetz vom 10. Juni 2001 so anwenden, wie es vorgesehen ist. Seit Bestehen der Uno ist nie jemand, kein Land gezwungen worden, Truppen zu stellen.

Bundesrat Deiss, die Uno wird ein Fass ohne Boden sein. Alles kostet wenig, heisst es heute, aber später gibt es 1000 Gründe, dass es ein wenig mehr sein darf.

Deiss: Das Uno-Budget der zentralen Uno ist die Hälfte des Budgets der Stadt Zürich. Man ist von 12’000 auf 9’000 Beamte runtergegangen. Es wurde Ordnung gemacht. Und über die letzten zehn Jahre war das Budget der Uno stabil. Zweitens behauptet der Bundesrat gar nicht, dass es nicht etwas mehr kostet. Wir haben die Zahlen auf den Tisch gelegt. Es sind 43 Millionen Dollar oder rund 70 Millionen Franken. Durch diesen Mehrpreis, den wir zahlen, bekommen wir alle Rechte.

Blocher: Vor einigen Jahren erklärten die Amerikaner: „Wir zahlen keinen Rappen mehr, wenn die Uno-Sekretariatskosten weiter steigen.“ Jetzt werden diese Kosten eingefroren und auf andere Konten verbucht. Dazu kommen die friedenserhaltenden Massnahmen: Deren Kosten sind von 1998 – da waren es etwa 850 Millionen – auf 2,2 Milliarden gestiegen. Zudem lautet die Empfehlung der Uno-Generalversammlung, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts festzulegen. Das sind 1,6 Milliarden. Wir können es nicht machen wie die Amerikaner, die einfach drei Jahre die Rechnungen nicht bezahlen!

Deiss: Das Parlament hat beschlossen, bis ins Jahr 2010 bei der Entwicklungszusammenarbeit auf 0,4 Prozent des Bruttosozialprodukts zu kommen. Mit Milliarden zu drohen, das hat weder Hand noch Fuss.

Herr Blocher, wieso sagen Sie, es gehe auch um den EU-Beitritt?

Blocher: Bundesrat Deiss erklärte am 29. Mai 2000 nach der Annahme der bilateralen Verträge: „Das Ziel ist jetzt“ – er sagte es wörtlich – „in den nächsten zwei Jahren der Uno beizutreten“, danach müssen wir die Beitrittshürden zum EU-Beitritt abschaffen. Und zum Beispiel die Mehrwertsteuer auf 15 Prozent erhöhen. Der Uno-Beitritt sei die erste Etappe, der EU-Beitritt die zweite. Es geht eben immer um dasselbe: Es geht um die Unabhängigkeit, es geht darum, ob wir uns von ausländischen Organen bestimmen lassen sollen, es geht um die Volksrechte, und es geht um die Neutralität.

Deiss: Objektiv muss man sagen, dass zwischen Uno-Beitritt und EU-Dossier inhaltlich kein Zusammenhang besteht. Das sind zwei vollständig unabhängige Dossiers, nur zeitlich laufen die nebeneinander.

Herr Deiss, wenn es ein Uno-Nein gibt, treten Sie zurück?

Deiss: Das gehört nicht zu unserem System. Es ist mein politischer Kurs – sicher -, aber es ist nicht nur meiner, sondern auch der des Bundesrats, von 190 Parlamentariern, von allen Kantonen.

Ihr Schlussvotum?

Deiss: Wollen wir nur zuschauen, oder wollen wir mitmachen? Der Stolz auf unsere Schweiz, aber auch die Interessen unseres Landes gebieten uns, dass wir voll dabei sind. So werden wir die Zukunft unseres Landes am besten sichern können. Darum hoffe ich, dass wir am 3. März eine mutige Schweiz zeigen werden, für die Uno.

Herr Blocher, treten Sie von der Politbühne ab, wenn es ein Ja gibt?

Blocher: Höchstens bei einem Nein und der Zusage des Bundesrats, dass er das Nein akzeptiert, könnte ich abtreten. Aber wenn wir beitreten, muss ich noch bleiben. Ja, liebe Sankt-Gallerinnen und Sankt-Galler, liebe Frauen und Männer, es geht darum, ob wir einen Vertrag unterschreiben wollen, der die Schweiz zwingt, die Entscheidungsgewalt aus den Händen zu geben. Es geht um Eigenständigkeit, Demokratie und Freiheit – und um unsere Neutralität. Stimmen Sie am 3. März, was Sie wollen, aber auf jeden Fall Nein!

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