Verträgt sich der UNO-Beitritt mit der Neutralität?
Streitgespräch in der Aargauer Zeitung / Mittelland Zeitung vom 19. Februar 2002
Das grosse UNO-Duell: Ständerat Thomas Pfisterer (FDP/AG) und Nationalrat Christoph Blocher (SVP/ZH)
Mathias Küng, Jürgen Sahli
Wie stehen Sie zur UNO? Erachten Sie sie als etwas Überflüssiges, fürchten Sie sie gar als eine Art „Weltregierung“ oder ist sie eine Hoffnung für die Welt?
Blocher: Wir stimmen am 3. März nicht darüber ab, ob es die UNO braucht oder nicht. Auch nicht darüber, ob sie gut oder schlecht ist. Seit Jahren sind wir bei praktisch allen Unterorganisationen dabei. Überall dort, wo es nicht um Krieg oder Frieden, das heisst um die internationale Sicherheit geht, sind wir dabei, also bei Flüchtlingsfragen, Entwicklungshilfe, Wirtschaftsfragen wie Weltbank oder Währungsfonds, Kulturellem usw. Diese Organisationen sind unbedenklich.
Warum?
Blocher: Diese UNO-Unterorganisationen sind zwar ineffizient und verschlingen viel Geld, aber sie können ja auch nur Empfehlungen beschliessen. Die Schweiz zahlt an diese Organisationen heute über 500 Millionen Franken pro Jahr. Doch Mitglied der politischen UNO sind wir nicht, weil sich die Schweiz nicht dem mächtigsten Organ der UNO – dem Sicherheitsrat – unterwerfen will. Dieser kann für die Mitgliedländer nämlich verbindliche Beschlüsse fassen. Dort geht es um Krieg und Frieden! Der Bundesrat hat schon nach der Gründung der UNO klar erklärt, dass sich ein Beitritt nicht mit der schweizerischen Neutralität vertrage. Auch hätte die Schweiz keinerlei Nutzen von einem Beitritt. Oder kann mir jemand sagen, welche Nachteile wir wegen der Nichtmitgliedschaft bisher hatten? Durch einen UNO-Beitritt der Schweiz wird die Welt nicht besser. Manche Politiker reden aber natürlich gern im UNO-Glaspalast über die ganze Welt. Das ist interessanter, als in der Schweiz selbst zum Rechten zu schauen.
Pfisterer: Ich möchte voraus klarstellen: Wir zahlen nicht über 500, sondern 470 Millionen Franken jährlich. Auch das ist viel Geld, aber bleiben wir doch präzise, Herr Blocher.
Blocher: Heute sind es über 500 Millionen, 470 Millionen zahlten wir 1999.
Pfisterer: Ja, das ist die Zahl aus der bundesrätlichen Botschaft. Doch jetzt zur Grundidee der UNO: Die ist gut. Es ist genau dieselbe Idee, welche der Eidgenossenschaft zugrunde liegt. Es soll nicht mehr geschehen, dass das Opfer einem Angreifer allein ausgesetzt ist. Alle zusammen sollen sich gemeinsam für das Opfer und das Recht wehren. Diese Idee lag schon 1291 unserem Bundesbrief zugrunde. Doch jetzt entscheiden wir nicht über die UNO an sich…
Sondern?
Pfisterer: Sondern über die Frage, ob es für die Schweiz vernünftig ist, dort mitzumachen, wo sie ihre Interessen möglichst gut wahrnehmen kann. Das ist das entscheidende Kriterium. Wir diskutieren darüber, ob wir nur bezahlen oder auch mitbestimmen wollen. Derzeit sitzen wir nicht einmal auf der Reservebank. Von dort aus könnte man wenigstens manchmal ins Spiel eingreifen. Aber auf dem Zuschauerbänklein, wo wir jetzt sind, kann man nicht einmal das. Wir entscheiden am 3. März auch über die Frage, ob wir in Genf bloss den Hotelier spielen oder ob wir selbst auch an den Konferenzen teilnehmen und Respekt für unser Land gewinnen wollen. Wir sind schliesslich jemand in der Welt! Wir dürfen uns auch zeigen.
Und jetzt tun wir dies nicht?
Pfisterer: Es ist wichtig, dass man dorthin geht, wo man seine eigenen Interessen wahrnehmen kann. Ich habe dies in meiner Zeit als Mitglied der Aargauer Regierung immer wieder erlebt. Nehmen wir das Beispiel des Baregg-Tunnels. Da musste nicht nur im Aargau eine Mehrheit gefunden werden. Auch die Zürcher und „Bern“ wollten überzeugt werden, der Bundesrat, diverse Ämter. Dasselbe gilt in der Aussenpolitik, zu einem guten Teil für New York. Man muss dorthin gehen, wo man die Interessen am besten wahrnehmen kann. Wer etwas verkaufen will, muss auf den Markt, nicht sich hinter dem Ofen verkriechen.
Herr Blocher, wenn Sie die UNO als Ganzes ansehen, ist doch mehr gut als schlecht?
Blocher: Ich streite nicht darüber. Ich könnte Ihnen Beispiele geben, wo auf der Welt aus Verschulden der UNO Millionen von Menschen verhungert sind. Sie werden umgekehrt gute Beispiele finden. Wir stimmen nicht darüber ab. Herr Pfisterer, überall dort, wo wir zahlen, reden und bestimmen wir voll mit, das heisst bei allen Spezial-Organisationen. Sie wollen doch nicht etwa behaupten, das Budget von Weltbank oder FAO werde in der UNO-Generalversammlung entschieden? Diese Entscheide fallen in den betreffenden Gremien selbst, wo wir dabei sind. Auch die Generalversammlung – wo jedes Land eine Stimme hat – kann nur Empfehlungen erlassen. Verbindliche Entscheide erlässt der 15-köpfige mächtige Sicherheitsrat.
Ist dies Ihr wichtigstes Argument?
Blocher: Das ist entscheidend. Es geht um Krieg und Frieden. Darüber entscheidet der Sicherheitsrat allein. Die Generalversammlung entscheidet in der Regel per Akklamation. Wenn Sie die Charta anschauen, die wir unterschreiben müssen, sehen Sie, dass der Grossteil davon vom Sicherheitsrat handelt. Dieser ist für die internationale Sicherheit zuständig. Darin sitzen die Grossmächte USA, Russland, China, England und Frankreich. Sie sichern sich ihre Souveränität mit ihrem Vetorecht. Die zehn wechselnden zusätzlichen Mitglieder des Sicherheitsrates sind weniger wichtig. Doch was der Sicherheitsrat entscheidet, müssen die UNO-Mitglieder umsetzen. Das gilt genauso für die Generalversammlung. Wenn der Sicherheitsrat ein sicherheitspolitisches Thema behandelt, darf die Vollversammlung nicht einmal darüber diskutieren. Darum ist die Schweiz nicht beigetreten. Darum hat der Bundesrat – bis er in die UNO und EU wollte – stets erklärt, die Schweiz könne der politischen UNO nicht beitreten.
Herr Pfisterer, teilen Sie diese Bedenken?
Pfisterer: Es stimmt nicht, dass die Generalversammlung eine Durchführungsbehörde gegenüber dem Sicherheitsrat ist. Die Generalversammlung fälllt Entscheide, zum Beispiel über die Finanzen. Sie hat sich schon mehrfach gegenüber dem Sicherheitsrat klar durchgesetzt. Sie hat in der Koreakrise einen wichtigen Beschluss gefasst, mit dem sie dem Sicherheitsrat für den Fall, dass er sich nicht einigen könnte, Beine gemacht hat. Dasselbe geschah in der Suezkrise 1956. Damals hat die Generalversammlung sogar eine Truppe auf die Beine gestellt, weil der Sicherheitsrat nicht aktionsfähig war. Es stimmt auch nicht, Herr Blocher, dass die Generalversammlung weniger Beschlüsse fasse. In den letzten zehn Jahren hat sie etwas über 3000 Beschlüsse gefasst, der Sicherheitsrat etwa 700. Das ist der Unterschied. Der Sicherheitsrat ist bewusst klein. Er muss rasch handeln können.
Inwiefern nützt dies der Welt?
Pfisterer: Nehmen wir die Bosnienkrise. Da war es auch für die Schweiz wichtig, dass rasch gehandelt wurde. Man konnte nicht auf die jährliche UNO-Generalversammlung im Herbst warten, etwa wenn Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien Richtung Schweiz aufbrechen; sonst stehen sie schon an der Schweizer Grenze. Zudem wird heute sowohl in der Generalversammlung wie auch im Sicherheitsrat im Konsensverfahren entschieden. Das läuft ähnlich wie in der Schweiz mit ihrem Referendumsrecht. Konkret sieht es so aus, dass so lange verhandelt wird, bis man zu einer Lösung kommt. Das ist die gutschweizerische Methode! Der Sicherheitsrat von heute bringt das zustande, also können auch die Kleinen mitreden. Er ist nämlich ein ganz anderer als derjenige von 1945.
Blocher: Wenn Sie die UNO so idealisieren, bekomme ich geradezu Angst. Da erhält man den Eindruck eines friedlichen, feinen Klubs. Und wie ist die Realität? Auf der Welt herrschen 40 Kriege. Alle unter UNO-Mitgliedern. Es ist noch kein halbes Jahr her, dass die UNO selbst festgestellt hat, der Friede sei noch nie so gefährdet gewesen wie jetzt. Sehen Sie nicht, Herr Pfisterer, dass die Grossmächte mehr oder weniger machen, was sie wollen? Sie führen Krieg mithilfe der UNO – wenn sie mitmacht – oder allein, wenn die UNO nicht mitmacht. Die fünf Grossmächte beraten untereinander. Wenn einer bei einem Thema Opposition macht, tragen sie es schon gar nicht mehr in den Sicherheitsrat hinein. Die Bombardierungen im Kosovo waren keine UNO-Aktion. Das war die Nato unter Führung der Amerikaner. Den Krieg in Afghanistan haben die Amerikaner selbst unternommen. Die Russen waren sogar froh darüber, weil sie die Tschetschenen jetzt auch als Terroristen behandeln und machen können, was sie wollen.
Pfisterer: Was bringt es der Schweiz, über den Sicherheitsrat zu jammern? Was ändert es, wenn wir draussen bleiben? Wir hätten weiterhin nichts zu sagen, welche Unvernunft! Herr Blocher, Sie sprechen von den vielen Kriegen, die es leider auf der Welt gibt. Die meisten bewaffneten Auseinandersetzungen finden innerhalb eines Landes statt. Das ist eine völlig andere Situation als im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie haben die Rolle von Amerika angesprochen. Selbstverständlich bereitet uns dessen Rolle Sorgen. Es ist als einzige ganz grosse Macht geblieben. Wer klopft ihr auf die Finger? Höchstens noch die UNO.
Blocher: Glauben Sie das wirklich?
Pfisterer: Ja, natürlich. Letztes Jahr sind die Amerikaner, weil sie immer noch Todesurteile fällen und vollstrecken, aus der Menschenrechtskommission rausgeflogen.
Blocher: Wie wenn das den USA geschadet hätte…
Pfisterer: Ja natürlich. Für die USA, die sich selbst als Hüterin der Menschenrechte verstehen, ist das eine äusserst peinliche Angelegenheit. Gegen den Willen der Amerikaner haben die Völker auch den Internationalen Strafgerichtshof durchgesetzt. Zu Afghanistan: Ja, die Amerikaner sind dort allein reingegangen. Man kann darüber diskutieren, ob das vernünftig war. Doch inzwischen setzt sich die UNO mit Afghanistan auseinander. Sie schickt Friedenstruppen und hat eine Friedenskonferenz auf die Beine gestellt. Herr Bundesrat Schmid (SVP) befürwortet den UNO-Beitritt. Er hat kürzlich in Lenzburg bestätigt, dass sich die Schweiz in Übereinstimmung mit unserer traditionellen Politik der Guten Dienste sehr für deren Durchführung in der Schweiz eingesetzt hat. Wir bekamen sie nicht, obwohl hier alles vorbereitet war.
Herr Pfisterer spricht von Veränderungen. Was hat sich seit 1986 geändert?
Blocher: Wir müssten den genau gleichen Vertrag unterzeichnen wie 1986. Schon damals argumentierte der Bundesrat, wir seien praktisch als einziges Land nicht dabei, und behauptete, ein Beitritt sei mit der Neutralität vereinbar. Doch das Volk lehnte ab. Mitte der 80er-Jahre begannen der Bundesrat und das Parlament die Neutralität und die Souveränität zu missachten. Sie wollten in die UNO (1986), in den EWR (1992) und reichten das EU-Beitrittsgesuch ein (1992). Man kann aber nicht neutral und UNO-Mitglied sein, nicht zu reden von der EU-Mitgliedschaft. Denn wenn wir diesen UNO-Vertrag unterschreiben, kann uns der Sicherheitsrat befehlen, Massnahmen gegen andere Länder durchzuführen.
Sie sprechen jetzt von wirtschaftlichen Sanktionen?
Blocher: Ich rede von allen Sanktionen, zum Beispiel, diplomatische Beziehungen abzubrechen. Man kann uns dann befehlen, mit anderen Ländern nicht mehr zu reden. Das ist ein kriegerischer Akt! Dasselbe gilt für die wirtschaftlichen Sanktionen. Da kann man befehlen, ganze Völker auszuhungern bis hin zum Bereitstellen von Truppen, wenn es der Sicherheitsrat wünscht.
Kennen Sie ein Land, das ein solches Sonderabkommen unterschrieben hat?
Blocher: Alle Länder, die Truppen sandten, haben ein solches Abkommen gemacht. Auch wenn „Bern“ sagt, keines habe dies getan. Dies kann ja auch mündlich oder telefonisch sein. 110 Länder haben bereits Truppen zur Verfügung gestellt. Als UNO-Mitglied wäre die Schweiz verpflichtet, auf Ersuchen des Sicherheitsrates Streitkräfte zu stellen (Art. 43, Abs. 1) und über ein Sonderabkommen für die technischen Details zu verhandeln (Art. 43, Abs. 2). Der Bundesrat sagt, er werde dann einfach kein solches Abkommen abschliessen. Doch welchem politischen und moralischen Druck wären wir als UNO-Mitglied ausgesetzt! Das wäre ein Verstoss gegen die Neutralität und gegen die Souveränität. Wir würden uns zum ersten Mal einem ausländischen Staatenorgan unterstellen. Dieses würde für die Schweiz entscheiden. Doch die Neutralität wird auch in Zukunft für uns sehr wichtig sein. Wir wollen nicht in Kriege hineingezogen werden und Terrorismus zu uns holen. Die Neutralität schützt uns davor.
Auch Sie wollen die Neutralität beibehalten, Herr Pfisterer. Teilen Sie Christoph Blochers Befürchtungen nicht?
Pfisterer: Eine Vorbemerkung: Wir unterschreiben keinen Vertrag, sondern treten gleichsam einem „Verein“ bei. Wirtschaftliche Sanktionen sind kein Krieg. Wir befolgen sie ohnehin. Der Sicherheitsrat darf nicht befehlen, dass ein Land Truppen bereitstellen muss. Wir stimmen am 3. März nicht über die EU ab, Herr Blocher. Ich bin letztes Jahr nicht vergebens etwa zwanzigmal angetreten, um die Initiative für die EU-Beitrittsverhandlungen zu bekämpfen. Uns stellt sich allein die Frage, wie wir unsere Interessen am besten wahrnehmen können. Zu diesem Zweck sagen wir Ja zum UNO-Beitritt, lassen uns aber gleichzeitig eine klare Versicherungspolice ausstellen.
Womit?
Pfisterer: Wir sichern unsere Neutralitätspolitik vierfach ab. Erstens geben wir gegenüber der UNO eine Neutralitätserklärung ab, wie das 1967 die Österreicher getan haben. Wenn wir diese vorbringen, wird niemand widersprechen, dann ist sie verbindlich. Aber sie bleibt in der Hand der Schweiz. Die Schweiz kann, wenn wieder ein Neutralitätsfall eintreten sollte, ganz allein entscheiden. Wenn wir eine „aktive“ Garantie der UNO verlangen, liefern wir die Neutralität an die UNO aus. Zweitens ist die Neutralität durch Artikel 43 der UNO-Charta abgesichert. Ich komme darauf zurück. Drittens durch das Militärgesetz, welchem das Schweizervolk letzten Sommer zugestimmt hat. Das ist die Abstimmung, die Sie verloren haben, Herr Blocher. Dieses Gesetz macht klar, dass wir keine Truppen in bewaffnete Konflikte schicken dürfen. Viertens ist die Neutralitätspolitik in unserer Bundesverfassung als Aufgabe des Bundesrates und des Parlaments festgeschrieben. Er und das Parlament haben über die Einhaltung dieser Vorgaben zu wachen. Das werden wir auch tun. Wir behalten die Neutralitätspolitik als Notbremse in der Hand. Wenn dereinst alle Stricke reissen sollten, können wir aus der UNO austreten. So steht es geschrieben im Zusatzvertrag von San Francisco.
Und wie steht es mit dem Artikel 43?
Pfisterer: Kein UNO-Mitgliedsland ist verpflichtet, Truppen zu stellen. Sonst könnten ja über 60 Länder gar nicht Mitglied sein, weil sie kaum Truppen oder höchstens Polizei haben. Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Land mit der UNO im voraus ein generelles Sonderabkommen geschlossen hat. Das wäre in der Schweiz auch gar nicht möglich, ohne Parlament und ohne dass dagegen das Referendum ergriffen würde.
Blocher: Im Voraus und generell nicht, aber von Fall zu Fall …
Pfisterer: Das war die Frage, die Herr Küng gestellt hat. Die Antwort lautet: Das ist noch nie vorgekommen. Wenn in einem Einzelfall so ein Vertrag abgeschlossen wird, besagt die UNO-Charta klipp und klar, dass es für dessen Gültigkeit die Zustimmung des betreffenden Landes braucht, nach seinem eigenen Verfassungsrecht. Für uns heisst dies für ein einzelnes Abkommen minimal die Zustimmung des Schweizer Parlaments. Wir gehen kein Risiko ein. Die UNO ist keine Weltregierung. Sie darf es auch nicht werden.
Herr Blocher, eine vierfache Absicherung müsste doch reichen?
Blocher: Das ist „l´art pour l´art“. Bundesrat und Parlament haben einen Neutralitätsvorbehalt abgelehnt. Wir haben verlangt, die UNO müsse bestätigen, wonach die Schweiz die Charta nur soweit zu erfüllen hat, als sie mit unserer freigewählten, dauernden, bewaffneten, integralen, bündnisfreien Neutralität nicht im Widerspruch steht. Bundesrat und Parlament haben dies abgelehnt, denn der entscheidende Satz im Brief des Bundesrates kommt am Schluss, wonach die Eidgenossenschaft die UNO-Charta anerkennt und willens ist, diese zu erfüllen – vorbehaltlos. Damit hat der Sicherheitsrat das Sagen. Die Grossmächte, welche darin sitzen, teilen die Welt untereinander auf. Deshalb geht in ihren Interessenzonen auch nichts. Die UNO ist keine Rechtsgemeinschaft, sie ist eine Machtgemeinschaft. Sie hat auch keine Möglichkeit, das Recht durchzusetzen.
Zum Beispiel?
Blocher: Die UNO hat schon mehrfach verlangt, Israel müsse seine Siedlungspolitik einstellen. Doch es passiert nichts, weil Israel in den Einflussbereich von Amerika gehört. Dasselbe geschieht mit Tibet im Einflussbereich Chinas. Und für Tschetschenien, weil es zum Einflussbereich Russlands zählt. Also kann die Charta nur für andere gelten. Folglich kann es für Bündnisfreie Länder gefährlich sein, einen solchen Vertrag zu unterschreiben. Deshalb hat der Bundesrat, als er noch zu unseren Werten stand, immer gesagt, das unterschreiben wir nicht. Nochmals zu Artikel 43: Wir unterschreiben eine grundsätzliche Verpflichtung. Und wir unterschreiben, dass wir auf Wunsch des Sicherheitsrates Verhandlungen führen. Herr Pfisterer, die 60 Staaten, die keine Armee haben, müssen keine Truppen stellen. Aber all diejenigen, die eine Armee haben, unterschreiben mit dem Beitritt, bereit zu sein, wenn der Sicherheitsrat will.
Pfisterer: Das ist eine Halbwahrheit. Der Sicherheitsrat kann kein Truppenaufgebot befehlen und die Grossmächte schon gar nicht. Das Veto kann nur etwas verhindern, nicht anordnen.
Blocher: Lassen Sie mich ausreden. Mit dem Vertrag geben wir unser grundsätzliches Ja für Sonderabkommen. Wir wären als Mitglied verpflichtet, solche auszuhandeln, sobald der Sicherheitsrat dies wünscht. Es kann sein, dass wir streng juristisch gesehen nicht unterschreiben müssten. Aber der Druck wird gewaltig sein. Und zahlen müssen wir für diese Kriege sowieso. Das ist nochmals ein Widerspruch zur Neutralität.
Hat die UNO je ein Land gezwungen, Truppen zu stellen?
Blocher: Vielleicht hat sie dies nicht tun müssen, weil bisher alle freiwillig Truppen gestellt haben.
Wo ist das Problem, wenn andere Länder streiten, Truppen stellen zu dürfen?
Blocher: Weil Sie eine Verpflichtung unterschreiben. Jetzt wird immer gesagt, die Welt ändere sich, sie sei ganz anders als vor 16 Jahren. Was glauben Sie denn, wie sie in weiteren 16 Jahren aussieht? Wir unterschreiben eine Verpflichtung, die wir als Kleinstaat ernst nehmen. Ist einmal unterschrieben, hätte das Volk in diesen Dingen nichts mehr zu sagen.
Herr Pfisterer, haben Sie keine Angst, dass die Schweiz Scherereien bekommt, wenn sie als gewissermassen letztes Land der Welt der UNO beiträte?
Pfisterer: Nein. Unsere Neutralitätserklärung enthält zwei Teile. Am Schluss steht die Verpflichtungsformel, die von der Charta vorgesehen ist. Im von Christoph Blocher zitierten Brief steht klar: „Die Schweiz bleibt auch als Mitglied der Vereinten Nationen neutral.“ Die einseitige Erklärung reicht. Das Parlament hat darüber diskutiert, ob wir mit der UNO einen Neutralitätsvertrag schliessen sollen? Nein! Die Schweiz soll selbst entscheiden können, wann die Neutralität anrufen will. Ich will nicht, dass jetzt die UNO über unsere Neutralität diskutiert und bestimmt, wie sie sie versteht und dereinst ein Bundesrat nach New York pilgern und fragen müsste, ob die UNO bereit wäre, die Neutralität anzuerkennen. Wir wollen es halten wie die Österreicher, die als UNO-Mitglied allein Herr und Meister über ihre Neutralität geblieben sind. Ein letztes. Die UNO ist auf dem Weg zu einer Rechtsgemeinschaft. Sie hat wesentlich mehr zustande gebracht als der Völkerbund. Denken wir ans Völkerrecht, das heute weitgehend durch die UNO initiiert worden ist. Wir als kleines Land, das für seinen Wohlstand auf das Wirtschaften in der ganzen Welt angewiesen ist, haben nur dann eine Chance, wenn Verträge eingehalten werden. Am ehesten Garant dafür ist die UNO. Darum wollen wir dazu beitragen, dass es in diese Richtung weiter geht.
Blocher: Jetzt wird es aber ganz problematisch, Herr Pfisterer. Wenn Sie vom Völkerrecht reden, das gemäss neuer Bundesverfassung über unserem nationalen Recht steht, wird der Volkswille in einem unglaublichen Mass ausgeschaltet. Letzte Woche hat Schweden den Abschied von der Neutralität bekannt gegeben, weil sie mit dem UNO- und EU-Beitritt unvereinbar sei, und der österreichische Bundeskanzler will dasselbe tun. Es ist eben so: Man kann nicht neutral und gleichzeitig in der UNO und der EU sein. Sie sagen, es ändere sich nichts, wenn wir der UNO nicht beitreten. Doch, etwas ändert sich: Wir unterschreiben dann keinen Vertrag mit seinen vielen Risiken. Nur mit einem von der UNO akzeptierten Neutralitätsvorbehalt hätten wir diese Risiken ausschalten können. Jetzt aber müssten wir bei der UNO „Bittibätti“ machen, wenn wir die Charta einmal aus neutralitätspolitischen Gründen nicht erfüllen wollen.
Pfisterer: Durch den UNO-Beitritt wird kein einziges Volksrecht beeinträchtigt. Im Gegenteil. Unser Parlament hat in der Aussenpolitik sogar mehr Kompetenzen als andere nationale Parlamente. Es kann mehr als andere auf die Politik der UNO Einfluss nehmen. Wenn Sie, Herr Blocher, unsere Unabhängigkeit wahren wollen und gleichzeitig verlangen, dass die Schweiz die Neutralität einem Vertrag mit der UNO unterwirft, widersprechen Sie sich selbst. Dann fangen UNO-Generalversammlung und Sicherheitsrat an, über den Inhalt unserer Neutralitätspolitik zu diskutieren! Das wollen wir doch beide nicht! Ich will, dass die Schweiz jederzeit auf die Neutralität pochen und sie auch durchsetzen kann, wenn es der UNO nicht passt. Das ist unser Konzept, darüber stimmen wir ab.
Eine weitere Frage ist die der Kosten für den UNO-Beitritt. Der Bundesrat veranschlagt 75 Millionen Franken jährlich.
Blocher: Die UNO wird ein Fass ohne Boden. Sie hat zwar auf Druck der Amerikaner die Administrationskosten eingefroren. Doch seit 1998 sind die Gesamtkosten – ohne Unterorganisationen wohlverstanden – mit den so genannten friedenserzwingenden und – erhaltenden Massnahmen sowie den Sondergerichten von 2,1 auf 3,4 Milliarden Dollar geklettert. Die steigen weiter.
Ein Fass ohne Boden, Herr Pfisterer?
Pfisterer: Wir müssen die Dimensionen sehen. Die Generalversammlung legt die Kosten entsprechend der Wirtschaftskraft eines Landes fest. Die Schweiz hätte demzufolge 1,274 Prozent des Haushalts zu zahlen. Das ist pro Kopf der Bevölkerung etwas weniger als Holland, Luxemburg, Liechtenstein oder Deutschland zahlen. Wir sollten aber auch an den wirtschaftlichen Gewinn denken, der sich aus einem Beitritt ergäbe. Der UNO-Standort Genf bringt der Schweiz pro Jahr einen Umsatz von drei Milliarden Franken und ca. 240 Millionen Franken für Güter, die in der Schweiz jährlich gekauft werden. Im Raum Genf stellt die UNO zehn Prozent der Arbeitsplätze.
Blocher: Ende März wird in Mexiko darüber beraten, ob eine UNO-Steuer eingeführt werden soll. Vielleicht kommt sie nicht. Aber wenn sie kommt, will ich sehen, wie der Bundesrat aussenpolitischem Druck standhält! Das ist ja nicht gerade seine Stärke. Dann gibt es den so genannten Brahimi-Bericht mit Empfehlungen für militärische Massnahmen. Der ist vernichtend. Er schlägt sogar eine UNO-Weltarmee vor, die man gleichzeitig in fünf Erdteilen einsetzen könnte. Ob sie kommt, weiss ich nicht. Aber es gibt in der Generalversammlung eine entsprechen-de Tendenz.
Pfisterer: Die Mexiko-Konferenz ist ein reines Informationsaustausch-Gremium. Die UNO hat keine Kompetenz zum Erlass von Fiskalabgaben. Wenn sie es trotzdem täte, würde dies von einer der viel gescholtenen Grossmächte im Sicherheitsrat sicher blockiert. Der Brahimi-Bericht ist ein Stück Papier, genauso wie der Brunner-Bericht, an dem Sie, Herr Blocher, seinerzeit mitgearbeitet haben.
Blocher: Halt, halt, der Brahimi-Bericht ist ein Bericht im Auftrage der UNO…
Pfisterer: Es ist Papier auf der gleichen Ebene. Ihm wird es so gehen wie dem Brunner-Bericht. Das haben Sie vorausgesagt und haben damit Recht bekommen.
Blocher: Es kommen noch mehr Kosten dazu: Der UNO-Generalversammlung liegt seit 1972 ein Vorschlag vor, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts aufzustocken. Das würde für die Schweiz 1,6 Milliarden Franken ausmachen. Als erste Stufe sagt der Bundesrat, von derzeit 0,32 auf 0,4 Prozent hinaufzugehen. Da steigen die Kosten natürlich weiter. Wir haben bereits 110 Milliarden Franken Schulden. Jedes Mal vor der Abstimmung kostet es fast nichts und nachher kostet es immer viel mehr wie bei der Expo, der Swissair und so weiter…
Pfisterer: Die Schweiz hat die 0,7 Prozent nie akzeptiert. Der Bundesrat spricht von einer Erhöhung auf maximal 0,4 Prozent bis ins Jahr 2010. Das muss durchs Parlament. Wenn wir nicht Ja und Amen sagen, kommt es nicht.
Blocher: Ja, das kennen wir. Das Parlament wird leider nachgeben.
Pfisterer: Wir können den Fünfer und das Weggli haben. Die Interessen besser wahrnehmen und die Neutralität als Versicherungspolice behalten.
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