Blocher: Landwirtschaft umbauen
Interview mit dem „Tages-Anzeiger“ vom 14. März 2003
Die heutige Agrarpolitik sei total verknorzt, sagt SVP-Nationalrat Christoph Blocher. Er fordert einen Systemwechsel und will eine Milliarde jährlich sparen.
Mit Christoph Blocher sprachen Beat Bühlmann und Gaby Szöllösy
Die SVP hat Bundesrat Villiger beauftragt, fünf Milliarden zu sparen. Die Landwirtschaft soll davon ausgenommen werden?
Blocher: Mit einem neuen System könnte man auch bei der Landwirtschaft weniger Geld ausgeben, und die Bauern würden mehr verdienen, ohne ihre Bauernhöfe verlottern lassen zu müssen.
Wie soll das gehen?
Blocher: Indem wir die Bürokratie in der Landwirtschaft beseitigen! Das sieht man doch bei der Agrarpolitik 2007: Die Landwirtschaft geht wohl letztlich wieder leer aus. Das ist eine Sozialgesetzgebung mit Umweltschutz, Naturerhaltung, bürokratischen Kontrollen und unnötigem Zeug.
Vor einem halben Jahr hat ausgerechnet die SVP nochmals 60 Millionen Franken gefordert, um die tiefen Milchpreise zu kompensieren.
Blocher: Mit dem heutigen System muss sie das tun. Die Landwirtschaftpolitik ist dermassen staatlich verknorzt, dass sie niemanden befriedigt. Sie wird zu teuer, und trotzdem verarmen die Bauern.
Werden Sie der AP 2007, wie sie nächste Woche in den Nationalrat kommt, trotzdem zustimmen?
Blocher: Ja. Obschon ich der Auffassung bin, dass dieses System in die Sackgasse führt. Die Landwirtschaft ist heute überfordert: Sie muss die Vergandung verhindern, die Entvölkerung der abgelegenen Gebiete stoppen, die Nahrungsmittelversorgung gewährleisten und zahlreiche Auflagen erfüllen.
Sie wollen die Vefassung korrigieren?
Blocher: Nein, dieser Auftrag ist für mich unbestritten. Ich will nicht, dass das Land vergandet. Also muss der Bauer, der es bewirtschaftet, pro Fläche dafür bezahlt werden.
So wie heute? Dann sparen Sie ja nichts.
Blocher: Die minimale Bewirtschaftung muss man abgelten, die heutigen Direktzahlungen vielleicht sogar erhöhen. Hingegen will ich bei meinem Modell die Nahrungsmittelproduktion ganz dem Bauern überlassen, ohne Lenkung, staatliche Unterstützung und Bevormundung. Bei den Produkten soll der Markt möglichst frei spielen. So können wir den bürokratischen Ballast kurzerhand streichen. Es ist ja verrückt, wie viele Formulare der Bauer jeden Tag auszufüllen hat. Das verteuert die Produktion.
Welche Vorschriften sind denn überflüssig?
Blocher: Zum Beispiel, dass man dem Bauer vorschreibt, wie viele Kühe er pro hundert Quadratmeter Land halten darf. Oder ab welchem Tag er mähen darf. Das ist doch absurd. Es braucht Vorschriften, damit der Boden nicht vergiftet wird, aber die gelten ja für alle, auch für Industrielle. Der Bauer soll wieder Unternehmer sein dürfen.
Wer kontrolliert, ob die Bauern diese Minimalvorschriften einhalten, wenn Sie die ganze Bürokratie aufheben?
Blocher: Es braucht keine speziellen Kontrollapparate für die Landwirtschaft. Die Produkte werden ohnehin schon heute von den Grossverteilern und der Lebensmittelkontrolle überprüft.
Also keine Vorschriften für die Tierhaltung?
Blocher: Nur generelle Vorschriften, wie sie im Tierschutzgesetz festgeschrieben sind.
Keine Beiträge für regelmässigen Auslauf der Tiere?
Blocher: Das ist unnötig. Wenn der Konsument beispielsweise Eier von glücklichen Hühnern will, so werden die Grossverteiler das von den Bauern verlangen. Der Staat muss hier nicht eingreifen.
Also auch keine Ökobeiträge mehr. Ohne diese hat jedoch die naturnahe Landwirtschaft keine Chance.
Blocher: Jene, die nur das Minimum machen wollen, also beispielsweise ihre Wiese nur ein- bis zweimal im Jahr mähen, betreiben zwangsläufig extensive Landwirtschaft. Das ist ökologischer.
Jene hingegen, die sich entscheiden, Nahrungsmittel herzustellen, müssen im freien Markt mit Weltmarktpreisen auskommen.
Blocher: Das kommt auch auf die Zollgesetzgebung an, und die können wir ja nicht alleine bestimmen. Sicher würde die Konkurrenz grösser, der Preisdruck nähme zu. Weil die Bauern aber nicht mehr so viele Auflagen zu erfüllen hätten, sänken ihre Produktionskosten, und die Kreativität stiege.
Sie sind auch für die Aufhebung von Fleischkontingenten? Jede Metzgerei darf so viel importieren wie sie will?
Blocher: Im heutigen System nicht. Im neuen wäre das der Idealfall.
An wen verkaufen dann die Schweizer Bauern ihr teures Fleisch?
Blocher: Ich habe deutsche Geschäftskunden, die immer, wenn sie in der Schweiz sind, Fleisch einkaufen. Obwohl es bei uns teurer ist. Aber die sagen, die Qualität sei besser und insofern das Fleisch den höheren Preis wert.
Das werden wohl eher Ausnahmefälle sein.
Blocher: Warum denn? Und wenn schon: Die Schweizer Bauern müssen ja auch nicht die ganze Welt versorgen.
Vor allem die Bergbauern kämen bei Ihrem Modell stark unter Druck. Der Strukturwandel würde rasant beschleunigt.
Blocher: Wahrscheinlich gäbe es mehr Bauern, die nur den Boden bewirtschaften, aber keine Nahrungsmittel produzieren. Und nebenbei einen anderen Job ausüben. Doch die Abgeltung müsste wie bis anhin im Berggebiet höher sein als im Mittelland. Im Übrigen ist es schon heute so, dass im Berggebiet nur noch wenige Vollerwerbsbetriebe existieren können.
Sie machen die Bergbauern faktisch zu Staatsangestellten.
Blocher: Es ist nicht mehr als recht, dass sie für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen entlöhnt werden. Zudem ist es ihnen unbenommen, sich zusätzlich mit innovativen Leistungen auf dem Markt zu behaupten und zum Beispiel neue Käsesorten zu kreieren. Der Staat muss sich da nicht einmischen. Der Bauer wäre für diesen Bereich Unternehmer und könnte sich von allen Vorschriften lösen.
Keine Qualitätsvorschriften? Nach etlichen Skandalen sind die Konsumenten sensibilisiert. Sie wollen Qualitätsprodukte.
Blocher: Wenn der Markt das verlangt, so werden die Bauern ökologisch produzieren. Qualitätskriterien müssen die Bauern und Grossverteiler untereinander abmachen.
Wie viel wollen Sie denn mit diesen Ideen sparen? Heute gibt der Bund 4
Milliarden jährlich für die Landwirtschaft aus.
Blocher: Die Direktzahlungen würden etwas steigen. Im Idealfall würden alle Auflagen und Produktesubventionen gestrichen. Und viel sparen könnte man im Bereich Bürokratie.
Selbst wenn Sie das ganze Bundesamt für Landwirtschaft und alle Forschungs- und Beratungsinstitute streichen, sparen Sie nur rund 220 Millionen.
Blocher: Ich bin überzeugt, dass man insgesamt in der Landwirtschaft eine Milliarde sparen kann, und trotzdem kriegen die Bauern mehr.
Davon müssen Sie die Bauern erst überzeugen. Sie werden nicht einverstanden sein mit Ihren Ideen.
Blocher: Die tüchtigen durchaus. Die untüchtigen vielleicht weniger. Aber auch die Bauern erkennen die Lage: Sie müssen aufpassen, dass man ihnen nicht überall immer mehr abzwackt, sodass am Schluss gar nichts mehr bleibt. Diese Gefahr besteht.
Der Bauernverbandspräsident Hansjörg Walter hat offenbar in der Fraktion bereits Protest angemeldet.
Blocher: Wir haben darüber nur am Rande gesprochen. Er sagt, grundsätzlich sei dies richtig, aber die Zeit sei noch nicht reif. Es ist klar, der Bauernverband wird jetzt nicht sofort auf diese Linie einschwenken.
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