Auf zum letzten Gefecht

Artikel aus dem „Magazin“ vom 5. April 2003

Dieses Wochenende sind im Kanton Zürich Wahlen. Die SVP dürfte als Siegerinhervorgehen. Wird es ihr auch gelingen, zur führenden Stimme des Bürgertumszu werden?

Text Miklós Gimes

«Wir hatten noch nie so ruhige Wahlen», sagt Christoph Blocher eine Woche
vor dem kantonalen Urnengang, mit einem Gesichtsausdruck, als sei ihm nicht
ganz wohl dabei. Als verberge die Ruhe etwas Unheimliches. «Die Leute haben andere Sorgen», sage ich, «Arbeitslosigkeit, Krankenkassen, den Krieg. Die Stimmbürger können sich nicht vorstellen, wie ihnen die Politik helfen soll.»
«Trotzdem bezahlen sie ihre Steuern, die dann die Politiker ausgeben»,
antwortet Christoph Blocher lachend.

Wir sind am Ende des Gesprächs und schauen über den Zürichsee. An schönen
Tagen kann man von hier aus die Berner Alpen sehen. Eine Privatseilbahn
führt zum Parkplatz von Blochers Anwesen, der unterhalb des Gartens in den
Hang gehauen wurde. «Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen», sage ich.
«Die SVP wird bei den Wahlen zulegen.» «Ich bin nicht so sicher», sagt Blocher.
Die jüngste nationale Umfrage rechnet für seine Partei mit einem weniger
stürmischen Wachstum als noch im Januar. Ungeachtet dieses Trends hat die
SVP letzten Sonntag in Basel Land und Genf starke Gewinne gemacht, und auch
für die Zürcher Kantonalwahlen von diesem Wochenende wird ein
Stimmenzuwachs prognostiziert. Dieser Triumph wird die Partei noch stärker mit
der Frage konfrontieren, wohin ihr Alleingang führen soll. Bleibt sie eine
Kampfpartei, oder stellt sie sich der Regierungsverantwortung? Und welche bürgerliche Partei ist bereit, in Grundsatzfragen mit der SVP Kompromisse einzugehen? Hinter Christoph Blochers unheimlicher Vorahnung könnte die
Erkenntnis stehen, dass die Stunde der letzten Schlacht gekommen ist.
Von den 180 Sitzen des Zürcher Kantonsrats hält die Schweizerische
Volkspartei 61, sie ist mit Abstand die grösste Fraktion vor den
Sozialdemokraten mit 44 und den Freisinnigen mit 36 Sitzen. Holt die SVP am
Sonntag die erwarteten 70 Sitze, rückt sie in die Nähe einer regierungsfähigen Mehrheit. Will sie ihr Profil nicht verlieren, läuft sie Gefahr, ausgegrenzt zu werden, falls es ihr nicht gelingt, eine konservative Mehrheit zu zimmern. Entscheidend ist das Verhalten der FDP. Deshalb ist nicht erstaunlich, dass Christoph Blocher sein Verhältnis zum Freisinn in ganzseitigen Zeitungsinseraten oder mit Angriffen gegen den angeblichen Filz thematisiert. Diese Strategie, sagt Blocher, diene im Grunde genommen der
Schadensbegrenzung, denn die FDP könne somit nicht zur Angriffsfläche der
Linken werden. Was Blocher vorschwebt – und das ist das Entscheidende -, ist
nichts anderes als eine Neuformierung der bürgerlichen Reihen. Und seit
Wirtschaftsverbände und führende Bankiers den EU-Beitritt ablehnen, fühlt er
sich in seinem Vorhaben erst recht bestärkt.

Bruderkampf

Der Aufstieg der SVP ist keine zehn Jahre alt. In der Stadt Zürich war es
eine Hand voll junger Patrioten, die nach dem EWR-Nein von 1992 mit einem
Aktivismus und einer Medienpräsenz, die sie der Jugendbewegung der
Achtzigerjahre abgeschaut hatte, das rechte Feld beackerte und die
Stadtzürcher SVP aus einer marginalen Partei, die eher durch den
Alkoholkonsum ihrer Stadträte als durch politisches Profil Aufsehen erregt
hatte, zu einer dynamischen Kraft machte. Seither hat sich die Zahl ihrer
Gemeinderäte fast verfünffacht. Gleichzeitig hielt ein aggressiver Stil in
der Politik Einzug, der Stil des permanenten Protestes und der Obstruktion.
Zürich wurde zum Modell einer gesamtschweizerischen Entwicklung. In Sankt
Gallen machte Toni Brunner die vorher inexistente SVP zur dritten Kraft im
Kanton. Das Durchschnittsalter der Parteiaktivisten liege bei 28 Jahren,
erzählt Blocher stolz.

Obwohl 1994 die rotgrüne Ära im Zürcher Gemeinderat vorbei war, liess sich
die SVP nicht in eine bürgerliche Politik einbinden. Im Gegenteil: Je
stärker die SVP wurde, desto näher rückten Freisinn und Sozialdemokraten.
Ergebnis dieser Entwicklung ist eine SVP, die sich vom Freisinn abgrenzt.
«Die Jungen wollten immer gegen die FDP los, «das sind doppelzüngige
Cheibe», haben sie gesagt», erzählt Blocher. «Ihr müsst nicht die FDP
angreifen wegen ein paar Leuten, ihr müsst den Sozialismus bekämpfen», hat
er ihnen entgegnet. Doch als die Delegierten der SVP gegen Blochers Einwände
für die kantonalen Wahlen drei Regierungsratskandidaten aufstellten, mochte
der Parteipräsident nicht streiten, obwohl ihm klar ist, dass der dritte
Mann vermutlich keine Chance hat.

Die FDP, inzwischen von der SVP als stärkste bürgerliche Partei überholt,
konnte in der Stadt einen Teil der an die SVP verlorenen Wähler durch
liberale Stimmen ersetzen. Einer der Architekten dieser Strategie der
Öffnung ist Urs Lauffer, Fraktionschef der Freisinnigen im Gemeinderat, der
in der Zwischenzeit in den Kantonsrat gewechselt hat. Anfänglich habe er
gestaunt, wie kollegial und zugänglich die Kantonsräte der SVP gewesen
seien, erzählt Lauffer. In 90 Prozent der Abstimmungen im Rat habe der
Bürgerblock auch funktioniert. Umso mehr habe ihn befremdet, dass in den
wirklichen Fragen die SVP auf Fundamentalopposition gemacht habe. «Die SVP
hat jedes Budget zurückgewiesen und ihren eigenen Regierungsrat im Regen
stehen lassen.» Die SVP habe sich vier Jahre lang um die Verantwortung
gedrückt, dem Volk zu sagen, wo und wie viel man sparen müsse. Deshalb machtUrs Lauffer ein Wahlsieg der SVP keine Angst, obwohl er auf Kosten der FDP gehen kann. «Die SVP wird in die Verantwortung gedrängt werden. Niemand wird mehr bereit sein, ihr die Kohlen aus dem Feuer zu holen.» «Und was bedeutet das  für die FDP?» «Dass sie unbeirrt ihren Weg geht und sich für ihre Politik dort Partner sucht, wo sie sich ergeben.»

Christoph Blochers politische Karriere begann vor rund dreissig Jahren, als
der frisch promovierte Jurist vor der Gemeindeversammlung in Meilen gegen
die Zonenplanung wetterte. «Die Jungen haben Heuchelei nicht gern» sagt er,
«das war immer schon so. Ich war in den Sechzigerjahren nicht auf der linken
Seite, aber auch wir haben uns gegen die Doppelzüngigkeit in der Politik
aufgelehnt. Das ist wahrscheinlich der hinterste Grund, warum ich bei der SVP bin und nicht bei der FDP.» Blocher ist der letzte wahre 68er der Schweizer Politik. Mit derselben Radikalität, die ihn bei linken Studenten, «die mit dem roten Büchlein hinter Mao hergerannt sind», herausforderte, hat er seine Ziele verfolgt. Anfänglich habe er mehr Freunde in der FDP gehabt, sagt er. FDP-Nationalrat Otto Fischer, mit dem er die Auns gegründet und den Kampf gegen den EWR durchgezogen hat, sei sein engster Kampfgefährte gewesen. «Doch die FDP hat am Internationalismus festgehalten, und es ist zum Bruch gekommen. Dann kam die Ära Steinegger mit all den Mehrausgaben. Das konnten wir nicht mehr mitmachen. Aber wenn wir zulegen und die Freisinnigen verlieren, wird sich das ändern. Dann wird die freisinnige Basis sagen, wir wollen eine andere Politik. Dann werden die Leute abtreten müssen, die den Freisinn mit ihrer Linkspolitik in den Keller geführt haben.»

Und mit der Radikalität des alten 68ers wird Blocher dem Freisinn die Europafrage stellen. «Da müssen sich die Freisinnigen entscheiden. Sie haben
immer noch einen Parteitagsbeschluss, dass sie in die EU wollen. Jetzt wollen sie vor den Wahlen das Thema ausklammern. Das geht nicht.» Christoph Blocher nimmt einen Schluck Wasser und schaut aus dem Fenster über den Zürichsee. «Sie müssen sich entscheiden», sagt er. «Sonst werden sie zerrieben.»

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