Auch Moratorium wäre Dummheit
Interview im „St. Galler Tagblatt“ vom 30. April 2003
Neue Atomkraftwerke werde es mit der heutigen Technologie nicht mehr geben, sagt Christoph Blocher. Aber er hält es für wirtschaftlich unverantwortbar, aus der Kernenergie auszusteigen, «solange die AKW funktionieren».
Von René Lenzin und Hanspeter Guggenbühl
Herr Blocher, als der Nationalrat die beiden Atom-Initiativen behandelte, haben Sie geschwiegen. Weshalb wollen Sie jetzt plötzlich über dieses Thema reden?
Christoph Blocher: Ich will nicht, ich muss.
Sie müssen?
Blocher: Ich sehe eine Notwendigkeit. Ich habe im Rat gegen die Initiativen gestimmt. Denn es sind zwei schlimme Initiativen. Es geht um 40 Prozent unserer Energie, auf welche die Schweiz verzichten sollte. Das zerstört Arbeitsplätze, gibt höhere Strompreise, alle Leute müssen mehr bezahlen, die Energieversorgung wird unsicher.
Engagieren Sie sich finanziell?
Blocher: Jawohl, weil ich es wichtig finde, ohne zu sagen, mit wie viel Geld.
Wie lange wollen Sie die Atomkraftwerke denn laufen lassen?
Blocher: Das muss ich nicht entscheiden. Wir können sie so lange produzieren lassen, bis sie nicht mehr funktionieren oder wir sie nicht mehr brauchen.
Ist es nicht besser, sie nach einem vorhersehbaren Fahrplan abzustellen, als plötzlich, wenn sie nicht mehr funktionieren?
Blocher: Das kommt nicht plötzlich. Wenn ein Kraftwerk nicht mehr in Ordnung ist, wird man es zuerst reparieren oder erneuern. Erst wenn es veraltet ist, stellt man es still. Dazu aber braucht es kein Gesetz, das macht der Betreiber selber.
Irgendwann werden Sie die Atomkraftwerke ersetzen müssen. Wie wollen Sie das tun?
Blocher: Das sehen wir dann, das muss ich nicht jetzt entscheiden. Das wird sich ergeben, und daran arbeitet man heute schon intensiv.
Ist der Bau von neuen Atomkraftwerken für Sie ein Thema?
Blocher: Ich glaube zurzeit nicht, dass wir neue Atomkraftwerke bauen können. Die Verfahren und Sicherheitsvorkehrungen sind zu kompliziert.
Wird es also keine neuen AKW mehr geben?
Blocher: Ich bin kein Prophet. Vielleicht gibt es auch bei der Kernenergie neue Verfahren. Aber mit der bestehenden Technologie werden wir keine neuen Kernkraftwerke mehr bauen. Das wäre auch viel zu teuer. Billiger wären vielleicht Gaskraftwerke, die allerdings ökologisch noch ein Problem sind.
Wollen Sie die Atomkraftwerke also mit Gaskraftwerken ersetzen?
Blocher: Sicher nicht heute. Gas ist eine künftige Möglichkeit. Es gibt auch die Windenergie, die allerdings viel zu teuer ist. Wasserstoff ist auch eine Möglichkeit. Aber darauf lasse ich mich jetzt nicht ein. In der Abstimmung geht es darum, ob wir gut funktionierende günstige Elektrizität abwürgen sollen.
Haben Sie noch nie daran gedacht, den Atomstrom einfach einzusparen?
Blocher: Meine Firma ist Grossenergieverbraucherin, für die Energie lebensnotwendig ist. Wir nutzen den Strom rational, um weniger zu brauchen. Aber man kann nicht 40 Prozent der Energie einsparen, ohne die Arbeitsplätze zu gefährden.
Die Industrie braucht nur einen Drittel des Stroms, Haushalte und Gewerbe hingegen zwei Drittel …
Blocher: Dann fragen Sie doch die Leute, ob sie 40 Prozent des Stroms einsparen können. Ich sehe nicht ein, weshalb wir 40 Prozent einsparen sollten. Die Kraftwerke funktionieren gut, und wenn es sie nicht mehr braucht oder sie veraltet sind, werden sie sowieso abgestellt. Den Strom per Zwang um 40 Prozent zu reduzieren, ist volkswirtschaftlich unverantwortlich.
Wie viel Strom verbrauchen denn Sie in Ihrem Haushalt?
Blocher: Das weiss ich nicht, weil ich mich vor allem mit der Stromrechnung unseres Unternehmens befasse.
Wenn Sie Ihren Stromverbrauch nicht kennen: Wieso wissen Sie, dass Sie nicht 40 Prozent einsparen können?
Blocher: Weil ich weiss, wo wir Energie brauchen, und weiss, was es heissen würde, nur 60 Prozent des Bedürfnisses abzudecken. Können Sie mit Kerzen statt elektrischem Licht leben? Wenn Sie Nein sagen, lügen Sie. Denn Sie könnten, aber Sie tun es nicht.
Man muss nicht auf Kerzen setzen, sondern auf effiziente Technologie.
Blocher: Bisher hatten wir mit alternativen Energien relativ wenig Erfolg, vor allem im grossen Massstab nicht. Doch an neuen Technologien wird gearbeitet.
Sie sind ein Gegner von Subventionen. Weshalb haben Sie sich nie gegen die Subventionierung der Atomenergie gewehrt?
Blocher: In der Finanzkommission habe ich gegen die Kredite für das Paul-Scherrer-Institut gestimmt. Und auch gegen die Förderung von andern Energien.
Der Staat soll also keine Atomforschung finanzieren?
Blocher: Nein. Nicht, weil ich gegen die Kernenergie bin, sondern weil es nicht Sache des Staates ist.
1988 haben Sie dafür gesorgt, dass die Aktionäre des KKW Kaiseraugst mit 350 Millionen aus Steuergeldern entschädigt wurden.
Blocher: Die Stilllegung war für den Staat die billigste Lösung. Er hat nämlich alle Bewilligungen erteilt und wäre daher schadenersatzpflichtig geworden, und zwar um über eine Milliarde. Ich musste dafür sorgen, dass der Staat Kaiseraugst verbietet, damit die Unterlieferanten keine Forderungen mehr stellen konnten.
Finden Sie es marktkonform, wenn die Allgemeinheit die Risiken trägt, welche die Versicherungssumme von einer Milliarde übersteigen?
Blocher: Es ist allgemeine Rechtsprechung, dass der Staat die Haftung für Projekte übernimmt, die für die Versorgung notwendig sind und die nicht höher versichert werden können. Ich erachte diese Regelung als zweckmässig.
Aber Atomstrom wäre vielleicht nicht mehr wirtschaftlich, wenn er alle Risiken tragen müsste.
Blocher: Das gilt für alle Energien. Die Initiativen wollen die Kernenergie erledigen.
Nein, sie schlagen das vor, was Sie sonst predigen: den Markt.
Blocher: Nein, sie wollen die Energie verteuern, indem sie gut gehende Kraftwerke verbieten.
Wäre ein Ja zum Moratorium allein für Sie schon verheerend?
Blocher: Ein Ja zum Moratorium hat die gleichen Folgen: einen vorgezogenen Ausstieg nämlich. «Moratorium Plus» heisst: man entscheidet jetzt nicht und lässt die Sache in der Schwebe. Und damit können die KKW-Betreiber keine Erneuerungen mehr vornehmen.
Trotzdem unterscheiden sich die Initiativen: «Strom ohne Atom» erlaubt maximal 30 Jahre, «Moratorium Plus» mindestens 40 Jahre Betriebszeit.
Blocher: Ja, «Moratorium Plus» hat etwas längere Fristen. Aber eine Dummheit wird nicht besser, wenn die Frist dazu etwas verlängert wird.