Der Bundesbrief ist aktueller denn je

Interview in den „Obersee Nachrichten“ vom 31. Juli 2003

Wenn Christoph Blocher seine Rede zum 1. August in Vorderthal hält, wird nicht nur das Wägital Kopf stehen. Eine ganze Region – zumindest die rechts-bürgerliche Fraktion – wird ins Tal hinauf fahren, um sich die „Standpauke“ anzuhören. Warum diese nötiger denn je ist, erklärt der 63-jährige Nationalrat und prominenteste Kopf der SVP im Interview.

Von Andreas Knobel

Herr Blocher, am 1. August sprechen Sie im Wägital. Gibt es keine grösseren Orte mehr, die einen Christoph Blocher wollen?

Christoph Blocher: Momoll, das ist nicht das Problem. Ich habe auch schon in der Stadt Zürich und an anderen grossen Orten Reden gehalten. Aber der 1. August ist nicht nur für die grossen Städte, sondern auch für unsere Landgebiete wichtig. Und nachdem das Wägital 35 Jahre keine 1.-August-Feier mehr gehabt hat, sagte ich: Gut ich komme zu euch!

Kennen Sie denn das Wägital?

Blocher: Ja ja, das Wägital kenne ich schon. Ich bin sicher jedes Jahr einmal auf dem Kleinen Aubrig, wo man wunderbar hinunterschauen kann. Die meisten Schweizer kennen das Wägital übrigens vom Militärdienst her. Viele erzählen mir vom „Sternen Vorderthal“, dabei kenne ich den gar nicht.

Der „Sternen Vorderthal“? Vorderthal hat doch keinen „Sternen“!

Blocher: (lacht). Eben. Ist er vielleicht umgetauft worden?

Da muss ich mal nachfragen. Zur Politik: Die SVP Wägital ist vor allem mit dem blutjungen Bernhard Diethelm in den Medien präsent. Kennen Sie ihn und was halten Sie von seiner Art?

Christoph Blocher: Der gefällt mir sehr gut! Ich habe es gern, wenn junge Leute so engagiert sind und sich so einsetzen. Und der macht etwas. Er hat ein politisches Anliegen und er schreibt sehr gut verständliche Leserbriefe. Und auch bei der 1.-August-Feier ist er meines Wissens der Initiant.

Für Bernhard Diethelm ist Ihr Auftritt der Höhepunkt seiner jungen Politlaufbahn. Seine Art des „Polterns“ erinnert auch an Sie. Er könnte Ihr politischer Ziehsohn sein.

Blocher: Er hat eine klare Meinung wie ich auch. In der Schweiz wird schnell als „Polteri“ betrachtet, wer klar und deutlich redet. Mein „Ziehsohn“ ist er aber nicht, wir haben das erste Mal persönlichen Kontakt. Aber aus diesem „Holz“ gibt es jedenfalls etwas Rechtes.

SVP-Sympathisanten sind doch entweder gesetztere Herren oder blutjunge Burschen?

Blocher: Seit ich in der Politik bin heisst es, wir hätten nur alte Leute. Aber wir haben auch blutjunge Leute und viele Leute mittleren Alters. Früher hiess es, SVP-ler seien Manne mit Hosenträgern. Das sind Bilder, mit denen uns die Gegner lächerlich machen wollen. Wir sind eben eine Volkspartei, dort sind alle Alters- und auch Berufsschichten vertreten.

Vorderthal ist eine SVP-Hochburg und ist in die Schlagzeilen geraten, weil sie die SVP-Asylinitiativen sehr hoch angenommen hat. Ist am 1. August eine Manifestation der wehrhaften, rechts-bürgerlichen Schweiz zu erwarten?

Blocher: Ich werde einfach meine Ansprache halten. Die Linken werden dann sagen, das sei rechts-bürgerlich. Einer der zum Land steht, einer der gegen den Asylmissbrauch antritt, gilt sofort als rechts-bürgerlich und wird verschrien. Ich werde dieses Thema in meiner Rede – die ich frei halten werde – auch antönen.

Besteht die Gefahr, dass sich nicht nur rechts-bürgerliche, sondern „braune“ Sympathisanten angezogen fühlen?

Blocher:
Vielleicht kommt ein Brauner, vielleicht ein Schwarzer, meinetwegen auch ein Gelber oder ein Roter – ich spreche zu allen Leuten!

Und worüber werden Sie im Wägital sprechen? Rücktritt des Gesamt-Bundesrates? Asylrechtsmissbrauch? Sicherung der AHV? Scheininvalide und Sozialmissbrauch?

Blocher: Ja, ich werde die Probleme der heutigen Zeit anschneiden, aber ich gehe immer zurück auf den Bundesbrief. Dieser Geburtstag erinnert mich an die Geburtsstunde unseres Landes. Und der Bundesbrief, auf den geschworen wurde, dass wir unser Schicksal selber bestimmen wollen, ist ein zeitloses Thema. Das müssen wir immer wieder in Erinnerung rufen. Ich denke an den Flugvertrag, an den Asylmissbrauch. Dieser Bundesbrief richtet sich auch gegen fremde Richter. Und wenn man eigene Richter hat, müssen diese klare charakterliche Voraussetzungen haben und nicht politisieren – damit meine ich aktuell den Entscheid des Bundesgerichts, dass das Volk nicht mehr über Einbürgerungen bestimmen darf.

Die Verbindung vom Bundesbrief zu den aktuellen Problemen finden Sie demnach problemlos?

Blocher: Aber sicher, der Bundesbrief ist aktueller denn je!

Mit dem Thema Sozialabbau sind Sie aber ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Eine Kampagne gegen Sie?

Blocher: Nein nein, das haben wir erwartet. Wenn man gegen diese Missbräuche ankämpft – wie beim Asylmissbrauch – bekommt man vom Sozialfilz halt eins auf den Deckel. Aber wir wissen, dass es Missbräuche gibt. Leute, die man nicht mehr braucht, schreibt man einfach invalid. Das müssen alles wir bezahlen. Dem müssen wir Einhalt gebieten.

Aber es scheint billige Stimmungsmache zu sein, sonst würden Sie es nicht in diesen Sommerwochen pushen.

Christoph Blocher: Das ist keine Stimmungsmache, das ist eine Thematisierung. Diesen Missstand muss man einfach aussprechen. Die Scheininvalidität ist ein grosses Problem. Alle wissen es, nur die SVP hat den Mut, dies auch auszusprechen. Dieser Kampf muss geführt werden, sonst verarmt unser Land an diesen Missbräuchen.

Mit Ihren Thesen dürften Sie im Wägital viel Applaus einheimsen. Möchten Sie nicht lieber in „feindlichem Gebiet“ auftreten, als ein organisiertes Heimspiel zu absolvieren?

Blocher: Ich gehe an jeden Ort, wenn ich eingeladen werde. Jetzt ist es Vorderthal, irgendein roter Zürcher Stadtkreis hat mich eben nicht eingeladen. Ich würde auch an die Langstrasse gehen – ich sage auch überall das Gleiche. Und das stört nur die linken Ideologen. Man muss wissen, dass die Büezer nahe bei der Basis sind. Die wissen, dass es Sozialmissbrauch gibt und dass sie deswegen immer mehr Lohnabzüge und Mehrwertsteuerprozente in Kauf nehmen müssen.

Also ein Schulterschluss zwischen der SVP und der SP-Basis?

Blocher: Bestimmt mit der Arbeiterschaft in der Privatwirtschaft. Die SP vertritt ja längst nicht mehr die Arbeiterschaft, eher die leitenden Staatsangestellten, Leute mit gesicherten Stellen.

Freuten Sie sich über die Umarmung der SP und ihre Kampagne gegen die CVP?

Blocher: Nein, die nehme ich auch nicht ernst. Das ist lediglich eine Erpressung der CVP. Die CVP ist eine erpressbare Partei geworden, weil sie zwei Bundesratssitze hat, obwohl ihr zahlenmässig nur einer zustehen würde. Deshalb will die SVP nicht abhängig werden von einem zweiten Bundesratssitz. Wir müssen bereit sein, einen zweiten Bundesrat zu stellen, aber wir dürfen dafür keine politischen Kompromisse eingehen, sonst verraten wir am Schluss das Volk.

Die klaren Fronten scheinen sich zu verwischen: SP gegen CVP und mit SVP, SVP gegen alle und vor allem die FDP usw.?

Blocher: Wir haben ein klares Parteiprogramm, jene der anderen sind mehr oder weniger austauschbar. In den letzten Jahren haben SP, CVP und FDP in den wesentlichen Fragen gegen die SVP zusammengespannt – alles unter dem Stichwort „Koalition der Vernunft“. Die SP versucht nun auf die Wahlen hin so zu tun, als ob sie nicht zu dieser Koalition gehörte. Doch das wird ihr nicht gelingen!

Mir ist aufgefallen, dass auf der SVP-Homepage Fingerpuppen zum Basteln aller Bundesräte heruntergeladen werden können. Ist das nicht etwas despektierlich?

Blocher: Das ist Blödsinn. Ich bedaure das und werde mein Veto einlegen. Es ist heute bei den Parteien Mode, etwas „Lustiges“ zu machen. Aber Politik ist nicht lustig, wir haben eine grosse Aufgabe!

Aber hat nicht die SVP diese Tendenz mit dem „Messerstecher-Inserat“ und jetzt aktuell mit dem „Neger-Inserat“ vorgegeben?

Blocher:
Nein, diese Inserate sind sinnbildliche, hochpolitische, gute Inserate. Gerade wer die Zeitung der letzten Wochen liest, sieht doch, wie schlecht es um die Sicherheit der Bürger in unserem Land steht.

Zurück ins sichere Wägital: Wie wäre es, wenn Sie ferienhalber gleich im Wägital bleiben?

Blocher: So nahe wie es ist, gehe ich von zu Hause aus ins Wägital. Sonst gehe ich zum Wandern ins Engadin oder ins Berner Oberland, etwas höher hinaus als das Wägital.

Nicht ins Ausland?


Blocher:
Nein, ich muss beruflich so oft ins Ausland, dass ich die Ferien nicht auch noch dort verbringe.

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