Positive Kraft der Sturheit
Wahlsieger Christoph Blocher über Churchill, die Todesstrafe, Stilfragen und die Tragik der Erfolgreichen.
Interview in der „Weltwoche“ vom 23. Oktober 2003
von Roger Köppel und Markus Somm
Weltwoche: In Spanien ist ein mehrfach vorbestrafter 35-jähriger Engländer verhaftet worden. Er hat gestanden, mehrere Frauen bei Vergewaltigungen zum Teil lebensgefährlich verletzt zu haben. Hat der Mann die Todesstrafe verdient?
Blocher: Nein. Man müsste ihn lebenslang verwahren. Aber wirklich lebenslang. Heute heisst lebenslang ja oftmals nur ein paar Jahre. Natürlich wäre gemäss dem Prinzip Aug um Aug, Zahn um Zahn die Todesstrafe denkbar. Aber hinter jedem Urteil lauert eben ein Fehlurteil, daher bin ich gegen die Todesstrafe.
Grundsätzlich?
Blocher: Ja, grundsätzlich. Eine Ausnahme mache ich beim Kriegsrecht. Dort geht es in der Abwägung um derart bedeutsame Güter, dass die Todesstrafe im militärischen Sinne als berechtigt anzusehen ist. Für Triebtäter unterstüzte ich die Volksinitiative „Lebenslange Verwahrung für nicht therpierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“..
Haben Sie eine Leidenschaft für Politik?
Blocher: Nein. Ich habe keine echte Leidenschaft für Politik. Aber ich habe eine Leidenschaft für Lebenszusammenhänge und Ordnungen, die Menschen vorwärts- und weiterbringen. Der Zentralbegriff ist Selbstverantwortung. Der Grundsatz der Selbstverantwortung darf in einem politischen System nicht zuschanden gehen. Der Staat muss gewährleisten, dass die Selbst-verantwortung der gewahrt bleibt. Aus diesem Grund bin ich prinzipiell dagegen, dass der Staat zu viel Macht erhält, dass man ihn mit Aufgaben und Zuständigheiten überfrachtet. Man hat mich entrüstet gefragt, warum ich die Politiker verspotte. Erstens steckt darin etwas Selbstironisches. Schliesslich bin ich ja selber Politiker. Zweitens verspotte ich die Politiker, wenn sie stets alles an sich reissen und dem Staat laufend neue Kompetenzen geben, dauernd dem Bürger helfen und in bevormunden wollen. Das zu verhindern, ist meine Leidenschaft. Hier muss ich mich einsetzen.
Wie sind Sie Politiker geworden?
Blocher: Ich bin reingeschlittert. Eigentlich war mir die Politik eher suspekt. Ich plante nie, Nationalrat zu werden. Es begann bei mir mit den Sachfragen. Daraus ergab sich alles andere pragmatisch. Ich wollte gewisse Dinge ändern, also musste ich in den Kantonsrat, nachher nach Bern. Ich musste mir eine Partei suchen. Es kam der Wunsch auf: Wir brauchen doch eine richtige Mittelstandspartei, die die entsprechenden Werte hochhält.
Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass Sie die Leidenschaft für Mitmenschen antreibt.
Blocher: Ja, ja, aber mit „Liebe zu Mitmenschen“ muss man aufpassen. Man kommt in die Nähe der Evangelikalen, der Heuchler und Moralisten. Gegen alles, was auch nur im Entferntesten nach Heuchlerei riecht, bin ich allergisch. Es gibt viele Heuchler in der Politik. Mehr hat es wohl nur noch in der Kirche.
Woher haben Sie Ihre politische Orientierung?
Blocher: Keine Ahnung. Ist das wichtig? Gewiss hat mich mein Elternhaus geprägt. Beeinflusst haben mich meine Familie, meine Lehrer, Bücher, das Leben. Ich bin aber kein Mensch, der sich solche Fragen bewusst macht. Vor dreissig Jahren wäre ich noch gar nicht in der Lage gewesen, über diese Themen zu sprechen. Ich handle und entscheide intuitiv. Mit der Reife beginnt man nachzudenken. Hinterherdenken: Man macht, man unternimmt etwas. Dann erst setzt der Denkprozess ein. Man überlegt sich, war es richtig? Zweifel kommen auf, Ängste.
Jetzt stehen Sie vor dem Schritt in den Bundesrat. Ihre Gegner sprechen von einer unschweizerischen Zwängerei, von einem Diktat.
Blocher: Die entscheidende Frage ist, ob das, was man macht und entscheidet, richtig oder falsch ist. Weiss man das, dann spielen Angriffe keine Rolle mehr. Wenn wir alles nur so momentan anschauen, kommen wir nirgendwohin. Die Lage ist zu ernst: Die Schweiz ist in einer schwierigen Situation – auch wenn vielen das nicht bewusst ist. Sie können das mit einem Unternehmen vergleichen, das nach wie vor Löhne auszahlt, aber Richtung Bankrott steuert. Die Leute unten merken noch gar nicht, wie schlimm es um die Firma steht, aber in der Führung ist die Krise ausgebrochen.
Wenn es doch so ernst ist, warum geht die SVP so forsch vor? Sie machen es den anderen Parteien schwer nachzugeben.
Blocher: Wir haben keine Zeit mehr für Nebensächlichkeiten; ausserordentliche Methoden für ausserordentliche Zeiten. Die SVP-Verantwortlichen haben sich ihre Position lange überlegt . 27 Prozent der Bürger teilen unser Gedankengut, aber im Bundesrat ist niemand, der es glasklar vertritt. Das muss sich ändern. Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass alle wichtigen Kräfte dieses Landes mit ihren besten Köpfen in die Regierung müssen. Das bedeutet: Die SP kann benennen, wen sie will, wir werden ihre zwei offiziellen Kandidaten wählen, das Gleiche gilt für die FDP. Soll dies nicht etwa auch für die SVP gelten? Das ist echte Konkordanz.
Manche sagen, Sie dramatisieren – im eigenen Interesse. Die SVP ist eine Art Schlangenölverkäufer, der uns Rezepte für Krankheiten andreht, die er uns einredet.
Blocher: Wenn einer behauptet, alles sei in Ordnung bei den Bundesfinanzen, in der Asylpolitik oder in der Kriminalität, dann lebt er auf dem Mond – oder im Bundeshaus. Wer nach diesen Wahlen immer noch sagt, das sei unnötiger Alarmismus, dem kann ich nicht helfen. Nehmen Sie die Invalidenversicherung: Weil dort ein solcher Missbrauch herrscht, mussten wir in unserer Firma ab diesem Jahr die Lohnabzüge um drei Prozent erhöhen. Wäre das nicht nötig, hätten meine Leute drei Prozent mehr Lohn. Noch ist die Lage nicht katastrophal, aber ich will verhindern, dass wir so weit kommen wie in Deutschland oder früher in England. Um das zu sehen, muss man übrigens kein Extremist sein.
Wie sehr muss sich der Politiker Blocher verbiegen, wenn er von der Rolle des Oppositionspolitikers in die des Staatsmanns schlüpft?
Blocher: Ich habe noch nie eine Rolle gespielt, sondern es geht um meinen Auftrag. Nach dem EWR war mir klar, dass ich jetzt das harte Brot der Opposition essen muss. Nun, glaube ich, ist es erforderlich, dass ich in der Regierung weiterkämpfe, sofern die andern Parteien dies einsehen.
Was hat die Schweiz von einem Bundesrat Blocher zu erwarten, der sagt, das Land müsse gekehrt werden?
Blocher: Die Schweiz muss man nicht kehren, auf keinen Fall, aber die Politik, denn da liegt vieles im Argen. Wir können doch nicht dauernd Schulden machen und den Menschen immer mehr Geld aus der Tasche ziehen, bis das Land zusammenbricht.
Gesetzt, man würde Sie im VBS kaltstellen.
Blocher: Immerhin gäbe es im VBS viel zu tun: Zuerst müsste ich aufräumen, was meine Vorgänger angerichtet haben. Und ich müsste es so einrichten, dass ich mich nur halbtags damit beschäftige. So bleibt mir Zeit, mich um die Gesamtverantwortung zu kümmern. Gut, möglich, dass man mich abschieben will, um mich auszutrocknen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die andern Bundesräte das wirklich wollen. Wir haben 27 Prozent Stimmen gewonnen, mich zu beteiligen, kann ihnen auch etwas bringen.
Können Sie mit dem Kollegialitätsprinzip überhaupt leben?
Blocher: Natürlich kann ich das. Kompromisse sind mir nicht fremd – solange sie zwischen klaren Meinungen zustande kommen. Heute haben wir in Bern viele Kompromisse ohne Meinungen. Ich habe die Parteipräsidenten bei der Elefantenrunde im Fernsehen beobachtet, und ich muss schon sagen, ich war überrascht, dass die sich so überraschen liessen. Mit Ausnahme von Ueli Maurer hatte niemand eine Strategie. Das gehört doch zum Führungseinmaleins: Das lernt man schon in der Unteroffiziersschule. Dass man sich auf alle Szenarien einstellt, hat nichts mit rechts oder links zu tun, sondern zeigt, wie ernst man seine Arbeit und Führungsverantwortung nimmt.
Was bedeutet für Sie die Möglichkeit, Bundesrat zu werden. Stille Freude, heimliche Genugtuung? Jetzt zeige ich es denen?
Blocher: Oh nein. Das waren schwere Stunden. Ich bin ein Mensch, der versucht, Probleme zu lösen, sobald er sie sieht. Um dann das Richtige zu tun. Ich frage mich nicht: Ist das jetzt gut und schön für mich? Ich sage mir eher: Das sind die Probleme, das ist zu tun. Und angesichts der Grösse unserer Probleme müssen wir sie innerhalb der Regierung voll und ganz anpacken.
Was sind Ihre grössten Ängste mit Blick aufs angestrebte Amt?
Blocher: Zunächst: Kann ich der Aufgabe gerecht werden? Haben wir den richtige Plan zur Lösung der Probleme? Die SVP hat eine Grobstrategie, eine Oppositionsstrategie, erarbeitet ohne vollständige Kenntnis der Details. Zweitens: Gelingt es mir, die andern zu überzeugen. Wie immer: Gibt es nicht noch bessere Lösungen? Bin ich der Typ dafür? Wie kann ich Vertrauen gewinnen? Aber all dies sind Fragen und Zweifel des Alltags. Am Anfang werden sie nur den Oppositionspolitiker sehen.
Wie können Sie mit Bundesräten zusammenarbeiten, die Sie als unfähig bezeichnet haben?
Blocher: Ich habe in meinem Leben immer wieder mit Leuten zusammengearbeitet, die ich für unfähig halte. Daran habe ich mich gewöhnt. Vielleicht ändere ich auch mein Urteil. Doch wenn ich etwas dumm oder schlecht finde, dann werde ich das in einer Sitzung auch sagen.
Welche Musik hören Sie, wenn Sie niedergeschlagen sind?
Blocher: Mozart. Er ist der Grösste. Er verkörpert den Inbegriff der Freiheit. Auch Haydn gefällt mir. Mozart stufe ich aber höher ein.
Haben Sie ein Lieblingsbuch?
Blocher: Nein, aber ich habe Bücher gern. Enorm fasziniert hat mich zuletzt „Small World“ von Martin Suter- ich sage das im Wissen darum, dass der Autor in seinen Kolumnen die SVP auch schon kräftig angeprangert hat. Das ist ein derart hervorragendes Buch, dass ich es mindestens dreissig Mal verschenkt habe. Mich hat beeindruckt, wie hier jemand so detailliert und einfühlsam die Alzheimerkrankheit beschreibt, dass man am Schluss gar nicht weiss, wer eigentlich krank ist und wer gesund. Ich lese aber auch anderes, sofern die Zeit reicht. Vor allem Biografien. Ich lese in den Ferien und auf Geschäftsreisen. Ins Ausland nehme ich gegen Heimweh immer Schweizer Literatur mit.
Wo stehen Sie im Glaubenskrieg Dürrenmatt versus Frisch?
Blocher: Eindeutig auf der Seite von Dürrenmatt. Dürrenmatt wird überleben, Frisch nicht. Frisch hat zu wenig Bedeutung, zu wenig Tiefgang. Er war zu stark von sich selber eingenommen. Ist Ihnen aufgefallen, dass das meiste bei Frisch aus tagebuchartigen Selbstbespiegelungen besteht? Bei Adolf Muschg hat diese Masche entsetzliche Ausmasse angenommen. Alles Nabelschau und Psychohygiene. Aber Dürrenmatt ist gewaltig, ein Monument.
Sie bewundern den britischen Weltkriegspremier Winston Churchill. Warum?
Blocher: Eine gewaltige Figur. Ich habe die gesamten Memoiren gelesen, die ganzen Folianten und mehrere Biografien.
Was zeichnete ihn aus?
Blocher: Von ihm habe ich einiges mitgenommen. Vor allem die Einsicht, auch in schwierigen Situationen unbedingt durchzuhalten.
Churchill war auch ein Mann der überraschenden Rochaden. Er hat die Partei mehrmals gewechselt. Er machte den Weg vom sozialistischen Heisssporn zum Konservativen.
Blocher: Wenn die Partei seinen Auffassungen nicht mehr entsprach, dann wechselte er sie halt. Wichtig war bei ihm die positive Kraft seiner Sturheit. Durchhalten. Die Treue zur Sache, nicht aus wohlmeinenden Gründen, sondern weil es einfach sein musste. Das war Churchill. Er wusste instinktiv, worauf es ankommt. Interessant war der Unterschied zwischen dem US-General Eisenhower und Churchill in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs. Eisenhower befolgte seinen Auftrag. Als die Russen Richtung Berlin marschierten, folgte der General strikt seinen Anweisungen, liess seine Panzer bis zu den abgemachten Sektoren vorstossen. Churchill hingegen wollte Berlin vor den Russen besetzen, um Stalin zurückzudrängen. Er erfasste früh die Problematik des Kalten Krieges, den Vormarsch des Kommunismus. Nachdem die Deutschen besiegt waren, wollte Churchill dieses Problem lösen, aber Eisenhower winkte ab. Es sei nicht sein Auftrag. Beide hatten Recht, aber Churchills Instinkt war überlegen.
Churchills politische Laufbahn schien vor Beginn des Zweiten Weltkriegs beendet.
Blocher: Er hatte eben auch die Kraft zur Niederlage, die Fähigkeit, sich von Misserfolgen zu erholen, zurückzukommen. Das beeindruckt mich. Solche Leute habe ich gern, auch wenn ich Churchill natürlich nur historisch beurteilen kann. Er hatte im persönlichen Umgang sicher eine Menge schlechter Eigenschaften.
Gleich nach Kriegsende wurde Churchill abgewählt. Am Schluss seiner Karriere war er ein bemitleidenswertes Wrack. Sind Politiker am Ende tragische Figuren?
Blocher: Ja, aber nur gute Politiker. Ich gehe noch weiter: Alle Menschen, die wirklich etwas geleistet haben, sind tragische Figuren. Die Glorifizierten können Sie vergessen. Die Glorifizierten haben es so arrangiert, dass sie am Ende glorifiziert werden. Mir fallen die hymnischen Nachrufe in der NZZ auf, wenn mir bekannte Unternehmer mit Lobhudeleien besungen werden, auch wenn ich sie aus eigener Erfahrung als Flaschen kennen lernte. Ganz anders ist es mit den wirklich Fähigen: Sie werden stillschweigend ausrangiert, vergessen.
Warum? Verträgt die Gesellschaft Grösse nicht?
Blocher: Das ist es nicht. Zum Leben gehört der Tod. Elend und Pracht gehören zusammen. Leute, die nur die Pracht suchen, weichen einem wesentlichen Bestandteil des Lebens aus. Sie suchen immer nur die Sonne. Es gibt aber eben nicht nur Sonne. Harmonie, Konsens, das sind sehr trügerische, oft zutiefst verlogene Zustände. Nehmen Sie die Politik in der Schweiz. Hier heisst Konsens oft nichts anderes als ein Ausweichen vor den Problemen. Man meidet das Unangenehme, die Auseinandersetzungen mit anders Denkenden, was übrigens immer zum Misserfolg – vor allem für die anderen – führt. Das wird übrigens auf einer anderen Ebene sehr eindrücklich dargestellt in Fritz Zorns „Mars“. Grosse Figuren, die wirklich etwas leisten wollen, akzeptieren diesen Zustand nicht, sie suchen den Konflikt. Und enden oft tragisch. Nehmen Sie Mozart. Ein grosser, genialer Künstler. Man weiss bis heute nicht, wo sein Grab liegt.
Was lernen Sie daraus?
Blocher: Ich ziehe daraus einen gewissen Trost in Momenten der Verzweiflung. Ich sage mir: Wenn du etwas recht machst, musst du auch untendurch. Eine Last muss man tragen, ein Problem lösen. Die Menschen neigen zum Gegenteil: Sie wollen sich von den Lasten lösen, dafür schleppen sie Probleme mit sich herum. Die Last zu (er)tragen, ist ein Lebensprinzip.
Der Schriftsteller Vladimir Nabokov schrieb sinngemäss, das Leben sei im Grunde nur ein kurzer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dunkels. Beelendet oder erleichtert Sie diese Vorstellung?
Blocher: Weder noch. So ist es nun mal, man lebt, man stirbt. Dann muss man mit der Ewigkeit fertig werden.
Sie haben Erfolg als Unternehmer und Politiker. Denken Sie manchmal: Mir gelingt alles?
Blocher: Nein. Ich sehe den Erfolg gar nicht. Ich sehe nur, was man mit dieser Partei noch alles machen, was man mit meiner Firma noch alles unternehmen muss. Ich sehe Chancen, Möglichkeiten, Gefahren. Ich bin nie zufrieden mit meiner Arbeit, ich bin aber auch nicht verzweifelt. Am letzten Sonntag gab es kurze Momente der Freude. Ich realisierte: Jetzt wird wohl endlich etwas passieren. Aber ich war mir sicher: Es kommt gut, unsere Forderungen haben Substanz. Ein wenig Euphorie, aber dann schon bald kam der Gedanke, dass wir es gegen Widerstand durchziehen müssen. Dann die Zweifel: Liegen wir richtig? Haben wir den richtigen Stil?
Wie wichtig ist Ihnen, ob man Sie lobt?
Blocher: Ich richte höchste Massstäbe an die Anerkennung. Man kann das natürlich als Hochnäsigkeit, als Überheblichkeit auslegen. Mich freut die Anerkennung einfacher Leute, die auf mich zukommen, um sich ehrlich für mein Engagement zu bedanken. Das ist viel mehr wert als das Lob eines Politikers, der mir für eine Rede gratuliert und selber keine Ahnung von der Sache hat. Ich erhalte Zuschriften von Pensionären aus meiner Firma, von Rentnern, die sich bedanken für meine Tätigkeit, die ihnen einen konkreten Nutzen bringt. Wir haben diese Mitarbeiter gebraucht, aber die unaufgeforderten Anerkennungsschreiben freuen mich. Handkehrum ist Anerkennung gefährlich. Für ein Schulterklopfen verkaufen manche Politiker ihre Seele. Vor allem in der Aussenpolitik. Man richtet sich nach dem Urteil des Auslands und vernachlässigt dabei den Auftrag.
Nach welchen Kriterien beurteilen Sie Menschen?
Blocher: Ich habe Hochachtung vor Leuten, die ihre Aufträge erfüllen. Ein Beamter, der seine Arbeit recht macht, davor habe ich Respekt.
Reden wir über die 68er Bewegung. Mal ganz global: War das Ganze ein gewaltiger Irrtum?
Blocher: Ich bin ja auch ein 68er, aber ich fand schon damals, es sei eine pubertäre Bewegung. Am frappierendsten war für mich die Tatsache, dass diese Bewegung so lange überleben konnte, bis man den Irrtum erkannt hat. Das ging nur, weil wir so verdammt viel Geld haben. Die 68er sind ein Ausdruck grosser Kraftlosigkeit. Man hatte die Lebenskraft nicht mehr. Man faselte von antiautoritärer Erziehung, ohne einen realen geistigen Hintergrund.
Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Blocher: Zwei Faktoren. Erstens: Es war die Sehnsucht nach einem lasten- und verantwortungsfreien Leben. Zweitens: Es war eine Reaktion auf die hohlen Fassaden bürgerlicher Lebensweisen, wie ich sie damals übrigens auch abgelehnt habe. Mich hat die Hochnäsigkeit der Freisinnigen von damals auch genervt. Diese Skepsis war das Gesunde an der 68er Zeit. Deshalb hatten wir auch viel heimliche Bewunderung übrig für die Unerschrockenheit, mit der die Linken gegen die Fassaden stürmten. Tragischerweise zogen die linken 68er nachher selber ihre Fassaden hoch. In Moritz Leuenbergers Gerede, der Bundesrat sei eine moralische Instanz, klingt der gleiche Dünkel an. Da wird mir fast schlecht. Immerhin: Die Zeit der 68er läuft ab. Ihr Gebäude kracht zusammen.
Wird die Linke dereinst als eine zeitbedingte Verirrung interpretiert werden?
Blocher: Ja, denn die Linke „verhebt“ nicht. Ihre Politik ist nicht nachhaltig, sie kann nicht aus sich selber heraus bestehen. Leider ist es so, dass linke Politik immer bis zum nächsten Zusammenbruch praktiziert wird. Es hat ja auch etwas Verführerisches: immer geben, immer verteilen, den Leuten alle Lebenslasten abnehmen, niemand muss mehr für sich selber schauen. Auch der Neid soll befriedigt werden, indem alle gleich viel erhalten. Das funktioniert nicht und hat noch nie funktioniert auf die Dauer. Die sozialistischen Staaten sind untergegangen. Das war kein Zufall.
Geht die Linke von einem falschen Menschenbild aus?
Blocher: Ja. Die Linken überschätzen und überfordern die menschliche Natur. Sie gehen davon aus, dass der Mensch so irrsinnig gut und lieb ist, dass er am liebsten für andere arbeitet statt für sich selbst. Dass er lieber gibt statt nimmt. Und jeder, der arm und krank ist, kann selber nichts dafür und ist in jedem Fall ein guter Mensch. Das ist unrealistisch.
Wie sehen Sie es?
Blocher: Ich habe den Menschen gern, in seinen Stärken und Schwächen. Deshalb misstraue ich allen, auch mir selber.
Worüber regen Sie sich wirklich auf?
Blocher: Aufregen heisst für mich: explodieren. Was regt mich auf? Unrecht. Die Sauerei, wenn Unrecht passiert, erzeugt die grösste Aufregung. Und die Heuchler.
Was war Ihr ursprünglicher Berufswunsch?
Blocher: Bauer. Das ist mein einziger praktischer Berufsabschluss. Nachher wollte ich Richter werden. Dann wurde ich Unternehmer, aber nicht, weil ich es so geplant hätte. Ich wollte einfach mal schauen, wie es in der Wirtschaft aussieht. Bundesrat wollte ich nie werden.
Wie stark traf Sie die harte, unablässige Kritik an Ihrer Person?
Blocher: Es hat ja abgenommen. Am Anfang machte es mir wahnsinnig viel aus.
Wann ging es los? Beim EWR?
Blocher: Nein, früher, beim Eherecht. „Blocher in die Besenkammer“, zum Teil ganz gemeine Anwürfe. Es gab da eine Fotomontage. Die zeigte, wie ich meine Pfeife ausklopfte im dritten Stock, während meine Frau mit unseren Kindern vor einem leeren Teller unten in einer Ecke hockte. Der Slogan lautete: „frisch geschieden“. Die Leute haben gedacht, das sei ein reales Bild.
Nachher galten Sie als rechtsextrem.
Blocher: Natürlich störte mich das. Ich bekämpfe ja den Rechtsextremismus. Irgendwann beruhigte mich die Einsicht, dass man mir solche Dinge vorwarf, um mich gezielt zu verletzen. Anfänglich war das anders. Ich regte mich auf, war getroffen. Ich fragte mich: Stimmen die Vorwürfe am Ende noch? Mache ich etwas falsch? Deshalb irritieren mich die Stereotype heute nicht mehr. Man durchschaut die Methode, das Motiv.
Bringen Sie einen Hauch Verständnis auf für Leute, die Mühe mit dem Stil der SVP bekunden?
Blocher: Die Stildiskussion halte ich für müssig. Man bringt sie dann, wenn es an besseren Argumenten fehlt. Natürlich gibt es Grenzen des Stils, aber die sind von uns nicht überschritten worden. Was richtig ist: Die Opposition hat einen anderen Stil als die Regierung. Sie hat eine andere Sprache, eine andere Aufmerksamkeit, sie greift auch zum Mittel der Provokation. Na und?
Ihre familienpolitischen Programme lösen weithin Allergien aus. Gehören Frauen an den Herd?
Blocher: Nein, das sicher nicht. Zur Selbstverantwortung gehört aber aus meiner Sicht, dass die Eltern für die Erziehung ihrer Kinder zuständig sind. Sicher nicht der Staat. Das ist eine konservative Einstellung, gewiss. Kinderhaben ist Privatsache.
Und wenn Frauen arbeiten wollen?
Blocher: Dann soll der Mann zu Hause bleiben. Wenn beide arbeiten und nicht zu den Kindern schauen wollen, dann müssen sie selber dafür aufkommen. Wer sagt: „Ich habe Kinder, der Staat soll zahlen“, trägt die Verantwortung für seine Familie nicht mehr. Das ist das Ende der Selbstverantwortung.
In der Ausländerpolitik hört man von Ihnen ausschliesslich Schrilles, Alarmistisches. Aus liberaler Perspektive gilt: Weltweit freier Personenverkehr ist ein Segen.
Blocher: Davon bin ich gar nicht überzeugt. Es kann nicht einfach jeder kommen und das So-zialsystem eines Landes in Anspruch nehmen. Ich bin für eine Ausländerpolitik, die in vielen Bereichen grosszügiger ist als unsere: Wir brauchen die besten Kräfte, die holen wir. Ähnliche Prinzipien gelten in den Vereinigten Staaten. Ich bin der Meinung, wir sollten ausgezeichnete Hochschulen aufbauen, die Studenten aus ganz Europa anziehen.
Um die Ivy-League-Universitäten in den USA zu übertreffen?
Blocher: Ja, zum Beispiel. Die Hochschule St. Gallen war und ist ein Anziehungspunkt für deutsche Studenten. Die kommen, weil die Anforderungen stimmen, weil die Prüfungsstandards hoch sind. Ich bin einfach gegen eine Ausländerpolitik, die sagt: Lasset alle zu uns kommen, auch den, der nichts hat und nichts ist und nicht arbeiten, sondern profitieren will. Ich habe nichts gegen Ausländer, die hier arbeiten. Die Ausländerpolitik, die wir nach der Schwarzenbach-Initiative gemacht haben, war keine schlechte Lösung. Wir liessen nur Leute rein, die wir brauchen konnten. Für diese Leute hatten wir auch Arbeit. Wären mehr gekommen: Die Folge wäre Arbeitslosigkeit gewesen.
Sie wollen das Asylrecht verschärfen, um missliebige Ausländer loszuwerden. Jeder Experte sagt Ihnen: Die Leute kommen sowieso.
Blocher: Verhindern können Sie es nicht. Aber Sie können das Asylland Schweiz unattraktiver machen. Die Scheinasylanten werden dann mittelfristig nicht mehr kommen. Mit den echten Flüchtlingen haben wir kein Problem, das sind fünf Prozent. Bei den Abgewiesenen und Nichtakzeptierten müssen Sie die staatliche Unterstützung entziehen.
Wo sehen Sie das Motiv Ihrer Gegner?
Blocher: Einmal: Sie versauen den politischen Gegner mit Dreck, bis er kein Vertrauen mehr erwecken kann. Man will, dass ihm die Leute davonlaufen. Zweitens: Man möchte mich zum Schweigen bringen. Ich fühlte mich durch die Härte des Widerstands allerdings immer eher bestätigt. Da kam mir eine meiner wichtigsten Eigenschaften zugute. Für meine Kritiker, Gegner und Feinde habe ich eine geradezu besorgniserregende Unabhängigkeit. Meine Gegner sind zum Teil arme Kerle. Sie stecken in so vielen Abhängigkeiten. Nicht nur beruflich, auch politisch, gesellschaftlich und intellektuell. Das macht es schwierig für sie.
Wie gehen Sie damit um, notfalls Gegenspieler aus dem Weg räumen zu müssen?
Blocher: Wer ein Ziel erreichen will, und eine Person ist dabei im Weg, muss handeln. Das ist unangenehm, aber notwendig. Natürlich kommt es darauf an, wie hoch der Stellenwert des Ziels ist. Es gilt eben doch der Satz: Der Zweck heiligt die Mittel. Nicht jeder Zweck heiligt alle Mittel. Aber wenn ich ein Ziel habe, von dem ich überzeugt bin, muss ich alles Erdenkliche dafür tun. Das gilt insbesondere bei der Besetzung von Führungspositionen.
Glauben Sie an den amerikanischen Mythos, jeder Mensch könne alles erreichen?
Blocher: Nein. Nicht alles ist ein Willensakt. Das meiste am Menschen ist gegeben. Zunächst kann ich einmal gar nichts dafür, dass ich überhaupt auf der Welt bin. Sicher kann man an sich arbeiten, seine Leistungen verbessern, aber man kann nicht aus jedem Menschen einen hervorragenden Chef machen. Man kann aus durchschnittlichen Menschen durchaus fähige Führungskräfte formen. Aber nicht jeder Dorftrottel ist ein verkapptes Genie.
Ist Amerika ein Vorbild für Europa?
Blocher: In vielen Belangen vielleicht. Was die freie Gestaltung des Lebens angeht, ist Amerika ein Vorbild. Ebenso punkto Selbstverantwortung und des gesellschaftlich akzeptierten Zwangs, sich durchsetzen und sich zuerst einmal selber helfen zu müssen. Privatinitiative statt Staat, Freude am Erfolg. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Amerikaner zur wirtschaftlichen Weltführungsmacht aufgestiegen sind. Wenn ich allerdings das Schulsystem anschaue, sollte man das sicher in der Schweiz nicht einführen. Gesetzt den Fall natürlich, dass es bei uns nicht weiter bachab geht. Das Qualitätsbewusstsein ist höher in der Schweiz. Daran müssen wir uns orientieren.
Waren Sie gegen den Irak-Krieg?
Blocher: Ja, und zwar aus militärischen Gründen. Zusammenschlagen können die Amerikaner, aber wenn sie nachher auf dem Boden kämpfen, haben sie schon mehrfach demonstriert, dass es nicht geht. Im Vietnam-Krieg hat es nicht funktioniert, im Kosovo gingen sie raus, bevor es brenzlig wurde. Jetzt stecken sie im Irak fest. Die Amerikaner haben eine idealistische Auffassung. Sie glauben, man könne einfach überall mit Truppen und Bomben die Demokratie einführen, und alle klatschen dann. Dieser naive Idealismus ist wirklichkeitsfremd. Die Uno ist auch so ein idealistisches Gebilde, gegründet von den Amerikanern. Mittlerweile haben sie selber gemerkt, dass die Weltorganisation keine Macht hat und mehr Probleme bereitet. Die kritische Beurteilung von Amerika finde ich nicht so schlecht, aber die himmeltraurige Polemik, es seien in Washington alles Gauner am Werk, ist absurd. Auch das „Pace“- und Regenbogenzeugs entbehrte jeder Substanz. Wenn einer eine Fahne raushängte, war er sofort ein guter Mensch.
Wie wichtig ist für Ihr Auftreten, für Ihre Politik die Tatsache, dass Sie wissen: Im Hintergrund steht ein Milliardenkonzern?
Blocher: Ich realisiere das gar nicht. Unterbewusst muss es mich wohl beeinflussen, klar. Aber wenn ich in den Ring steige, habe ich nicht das Gefühl, hier kommt jetzt der Multimilliardär. Meine Unbefangenheit ist vielleicht eine Folge davon, dass mir gar nicht bewusst ist, woran mich meine Kritiker dauernd erinnern: dass ich diese immense Macht hätte. Hätte ich dieses Gefühl, wäre ich vielleicht zurückhaltender. Selber messe ich dem nicht eine so grosse Bedeutung bei.
Was wird in den Schweizer Geschichtsbüchern des 24. Jahrhunderts über Christoph Blocher zu lesen sein?
Blocher: Wahrscheinlich nichts.
Was ist das Wichtigste im Leben?
Blocher: Ich habe keine so klare Wertordnung. Ich lebe, also bin ich. Ich wache am Morgen auf und mache meine Sache. Ich habe Freude am Leben, finde vieles unendlich interessant. Die Leute haben manchmal das Gefühl, die Mühsal, die Politik, die Winkelzüge seien so anstrengend. Wie könne einer nur 16 Stunden am Tag von einem Termin zum nächsten gehen. Ganz einfach: Weil ich Freude daran habe. Selbst wenn ich einer Horde von giftigen Journalisten gegenübertrete: Ich finde es interessant. Das Leben ist reich, auch in allen Unvollkommenheiten. Aber das Wichtigste? Keine Ahnung. Ich denke nicht über den Sinn des Lebens nach. Das ist eine uferlose Geschichte. Wie kann ich den Sinn des Lebens erfassen, wenn ich nicht weiss, warum ich überhaupt auf der Welt bin? Wo ich nichts dafür kann, muss ich auch nicht nach dem Sinn fragen.
Wie erklären Sie sich den Anti-Blocher-Reflex, das Ausmass der Emotionen, die Sie entfesseln?
Blocher: Manchmal denke ich, ich hätte es etwas anders machen sollen. Oft ist es verständlich: Wo es die Sache erfordert, muss ich die Leute vom Gleis werfen. Das gibt Verletzungen, erzeugt Schmerz. Ich kann nicht anders.
Wer ist der grösste Verbrecher des 20. Jahrhunderts: Hitler, Stalin oder Mao?
Blocher: Ich würde alle drei im gleichen Atemzug nennen.
Wieso müssen sich die Linken bis heute nicht rechtfertigen für die gewaltigen Verbrechen, die im Namen des Sozialismus verübt worden sind? Wer einmal Mussolini lobte, ist gezeichnet. Wer für Mao auf die Barrikaden stieg oder ein Che-Guevara-Poster hängen hatte, galt als cool.
Blocher: Die 68er waren damals alle geistig dabei. Heute wird das fleissig verdrängt. Schriftsteller hatten grosse Sympathien für Mao, für Stalin, für den Kommunismus. Die Anhänger der Nazis sind ja weitgehend ausgestorben. Heute geht man immer noch auf sie los, zu Recht, aber es nützt nichts, weil es fast keine mehr gibt. Die Verbrechen Stalins sind noch nicht wirklich in einer breiten Öffentlichkeit aufgearbeitet worden. Ebenso wenig beschäftigt man sich mit den intellektuellen Wasserträgern des Kommunismus im Westen. Das wird noch kommen. Die Abrechnungen werden folgen. Aber es ist nicht einfach, solange die 68er in Medien und Politik Führungspositionen haben.
Wie erklären Sie sich rückblickend den Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa, Haider, Le Pen etc.?
Blocher: Das waren Reaktionen auf Missstände, auf Verdrängungsprozesse. Le Pen ist ein einseitiger Ausländerpolitiker. Aber er traf die Befindlichkeit der Leute, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlten. Haiders Verdienst war der Angriff gegen den ÖVP/ SPÖ-Filz in Österreich, was allerdings nicht heisst, dass ich seine Politik insgesamt billige. Das Problem am Populismus besteht darin, dass es an Konstanz fehlt. Diese Leute behaupten heute dies, morgen das, oder haben nur ein Thema, das sich irgendwann erschöpft. Ich habe durchgehalten, ich habe meine Linie durchgezogen.
Gibt es einen Schweizer Volkscharakter?
Blocher: Ja, es gibt typische Eigenschaften. Es gab mal ein Büchlein mit der Frage „Erkennt man einen Schweizer im Ausland?“ Ich würde es bejahen. Selbstverantwortung ist wichtig in der Schweiz, das fällt auch Ausländern sofort auf. Man hält seine Häuser, seine Gärten, die Strassen in Ordnung. Zuverlässigkeit, Fleiss, Bescheidenheit gehören ebenfalls dazu.
Was werden Sie Ihren Enkeln als grossväterliche Lebensweisheit auf den Weg geben?
Blocher: Siehe, die Welt ist nicht verdammt.
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