Ohne SVP gibts ein böses Erwachen

Interview in der „Berner Zeitung“ vom 7. November 2003

von Bernhard Giger und Andreas Z’Graggen

SVP-Nationalrat Christoph Blocher fühlt sich verpflichtet, für seine Partei um einen zweiten Bundesratssitz zu kämpfen. Und das, obwohl seine Familie davon gar nicht begeistert ist, wie er einräumt.

Herr Blocher, es könnte ja auch jemand anders für die SVP den zweiten Bundesrats-sitz erhalten. Aber es muss Christoph Blocher sein. Sie sind 63 Jahre alt, bald im AHV-Alter, was bewegt Sie, das noch auf sich zu nehmen?


Christoph Blocher: Das müssen Sie nicht mich fragen, sondern meine Partei. Sie hat mich einstimmig vorgeschlagen.

Aber Sie könnten ja zum Beispiel aus Altersgründen ablehnen.

Blocher: Warum habe ich zugesagt? Dafür gibt es objektive Gründe. Die Schweiz ist in einer schwierigen Situation. Die Partei hat gesagt, wir müssen den besten Kopf nehmen. Derjenige, der die treibende Kraft der SVP ist, der unsere Ideen auch in den Bundesrat hineinbringt. Und es war auch eine Person mit Führungserfahrung gefragt. Ich habe industrielle Führungserfahrung und damit auch ökonomischen Sachverstand. Die Partei hat gesagt: «Du musst gehen.» Ich antwortete: «Ja, ich sehe es ein, ich tue es.»

Haben Sie das Gefühl, Sie könnten die Regierung umbauen und dynamisieren?
Im Bundesrat werden Sie ja nicht mehr wie in Ihrem Unternehmen entscheiden
können.

Blocher: Es wird schwieriger sein, das gebe ich zu. Wir fordern auch ein anderes Regierungsverständnis. Deshalb ist unsere Doppelkandidatur für viele so schwer verdaulich.

Wäre das Amt des Bundesrats für Sie die Krönung Ihres Lebenswerks? Oder folgen Sie einem inneren Auftrag?

Blocher: Ich mache immer dasselbe: Ich setze mich für eine lebenswerte, unabhängige Schweiz ein. Eine Schweiz, die Selbstverantwortung in den Mittelpunkt stellt, und die schaut, dass der Staat mit dem Geld sparsam umgeht. Jetzt haben wir die Wahlen ge-wonnen und müssen die Regierungsverantwortung ernst nehmen. Da können wir uns nicht mehr mit Fragen beschäftigen, ob das nun wohl gut oder schlecht sei. Ich muss mein Unternehmen preisgeben, weil ich sehe, dass es in der momentanen Situation der richtige Entscheid ist. Wenn die anderen Parteien meine Wahl verhindern, dann wird wieder vier Jahre weitergewurstelt. Dann müssen wir in die Opposition. In dem Fall können wir zwar vielleicht den grössten Unsinn verhindern, aber wir können nicht kreativ und aufbauend in der Regierung tätig sein.

Wir sind alle daran interessiert, dass es der Schweiz gut geht. Aber Sie kämpfen Ihr Leben lang dafür. Was ist Ihre Motivation?

Blocher: Ich kann nicht immer fragen, was meine Motivation ist. Ich habe die Schweiz gern und kenne sie sehr gut. Und als internationaler Unternehmer kenne ich auch das Ausland sehr gut. Ich weiss, was wir hier für Vorzüge haben könnten, wenn wir das Richtige tun würden. Ich glaube auch, dass wir mit dieser Bevölkerung viel erreichen könnten. Aber wir müssen Abschied nehmen vom Schlendrian nach dem Motto: Wenn ich etwas machen kann, dann tue ich es, und wenn ich genug habe, dann höre ich auf. Ich tue es, ob es mir nun passt oder nicht.

Und was meint Ihre Familie dazu?

Blocher: Meine Frau ist nicht glücklich mit dem Entscheid. Das erste SMS, das ich am Wahlabend erhalten hatte, war meine Tochter aus Übersee. Sie schrieb: «Ich gratuliere Dir herzlich zum Wahlerfolg. Ich hoffe aber trotzdem, dass Du nicht Bundesrat wirst.» Ich sage mir, jetzt muss es halt gemacht werden. Also tue ich es. Sofern die anderen Parteien es zulassen. Ich kann ja nicht entscheiden ob ich Bundesrat werde oder nicht.

Aber sind denn Bundesrat und Verwaltung nicht eine träge Masse, die auch ein Christoph Blocher alleine nicht bewegen kann?

Blocher: Auch in meinem Unternehmen sitze ich nicht einsam oben und entscheide alleine. In einem Unternehmen steht an der Spitze eine Gruppe von Leuten, die das gleiche Ziel haben. Auch in einem Unternehmen gibt es einen demokratischen Prozess. Was stimmt, die Verwaltung ist stark. Aber die Verwaltung ist nur dann stark, wenn der Bundesrat schwach ist. Wenn im Bundesrat die Weichen gestellt werden, um die Kosten zu reduzieren, dann muss auch der hartgesottenste und sturste Beamte spuren. Sonst gehts nicht. Und wenn er nicht spurt, muss er ersetzt werden. Das ist bei jedem Unternehmen so. Aber die Verwaltungsleute sind gar nicht so schlimm. Wenn sie nicht anders geführt werden, dann schlagen sie halt die Richtung ein, die ihnen
passt.

Ein Bundesrat sollte auch ein Landesvater sein. Sie aber polarisieren stark. Wie wollen Sie bei jenen Leuten Vertrauen schaffen, die Ihnen heute kritisch gegenüberstehen?

Blocher: Die Leute schenken denjenigen Vertrauen, die gut arbeiten. Vielleicht kann es ein Bundesrat nicht allen gegenüber zu 100 Prozent recht machen. Ich sehe das als Patron einer Firma, die ich umkrempeln musste. Auch dort zweifelten zuBeginn viele. Aber heute ist das Vertrauen da. Es reicht schon, wenn die Leute spüren: Dieser Mann macht, was er sagt, und sagt, was er denkt. Ich bin der Meinung: Polarisierung ist nichts Schlimmes. Man vertritt einen Pol. Eine andere Seite auch. Nun müssen beide gemeinsam einen Kompromiss finden. Schlimm ist es, einen Kompromiss mit Leuten zu finden, die keine Meinung haben.

Ist Christoph Blocher teamfähig? Der Bundesrat tritt gegen aussen stets mit einer Stimme auf. So wie man Sie kennt, ist es nicht vorstellbar, dass Sie da mitmachen.

Blocher: Das wird übertrieben. Ich war auch ausserhalb meiner eigenen Firma in vielen Verwaltungsräten, wo ich nicht befehlen konnte. Dort musste ich oft Entscheide mittragen, die ich als falsch empfunden hatte. Aber man wir natürlich nicht eine Sache, die man komplett abgelehnt hat, gegen aussen mit Riesenbegeisterung vertreten. Da müssen wir uns nichts vormachen: Das ist doch im Bundesrat heute schon so.

Auch Sie werden immer wieder verunglimpft. Berührt das Sie persönlich oder perlt das ab?

Blocher: Mit der Zeit kann das einem nicht mehr viel anhaben. Man spürt sogar, dass man Recht hat, wenn man stark verunglimpft wird. Als ich jung war, hat mich das verletzt. Und ich überlegte jeweils, ob ich etwas falsch gemacht hatte. Meine Frau hat es stets sehr verletzt. Es werden auch Gerüchte in Umlauf gesetzt. So wurde zum Biespiel eine ganzseitige Fotomontage veröffentlicht, wo ich im dritten Stock eines Gebäudes zu sehen war. Meine Frau mit den vier Kindern war als Bettlerin unten auf der Strasse mit einem grossen Transparent: „Frisch geschieden“. Es gab viele Leute, die das glaubten. Heute denke ich, dass solche Dinge einfach dazu gehören.

Sie waren auch nicht zimperlich mit Ihren Gegnern.

Blocher: Ich habe hart, aber sachlich ausgeteilt. Aber nie habe ich jemanden verleumdet.

Warum haben denn alle Leute Angst vor Ihnen?

Blocher: Es gibt verschiedene Gründe. Manche Leute haben Angst, weil sie etwas zu verlieren haben. In der Berner Zeitung habe ich ein interessantes Interview mit SP-Nationalrat Andreas Gross gelesen. Das ist ein Mensch, der von nichts anderem lebt als internationaler Betriebsamkeit. Er hat auf Kosten des Bundes etwa 300 000 Franken Reisespesen. Sie können doch nicht annehmen, dass dieser Mann Freude hätte, wenn Christoph Blocher in den Bundesrat käme und solch unnötiges Zeugs einstellen würde. Dann gibt es solche, die befürchten, dass Christoph Blocher mit seiner Überzeugungskraft auch noch die anderen Bundesräte für seine Sache ein-binden würde. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, eine Regierung mit schwachen Persönlichkeiten zu haben. Wir müssen davon wegkommen, Bundesräte nicht zu wählen, weil sie eine eigene Meinung haben.

Muss Bundesrat Samuel Schmid zurücktreten, wenn Sie nicht gewählt werden?

Blocher: Nein. Wenn die beiden SVP-Kandidaten nicht anstelle eines CVPlers gewählt werden, dann gehen wir in die Opposition. Und wenn Samuel Schmid in der Regierung bleibt, dann ist er nicht mehr unser Bundesrat. Er ist dann nicht mehr in der Fraktion und auch nicht mehr ein schweizerischer Vertreter der SVP.

Fehlen den anderen Parteien seit dem Wahlsonntag die Strategien und Konzepte?

Blocher: Bei den anderen Parteien sind tatsächlich kein Konzept und keine Strategie vorhanden. Das erstaund mich. Denn eigentlich ist es nicht so unerwartet gekommen, dass die SVP die Wahlen gewonnen hat. Wir sind heute die grösste Partei in der Schweiz. Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir zwei Sitze beanspruchen. Wir wollen auch nicht mehr, dass jemand aus unseren Reihen ausgewählt wird, der den anderen passt, aber uns nicht. Deshalb setzten wir auf ein Zweiergespann. Entweder wird das gewählt, oder wir gehen in die Opposition. Das ist ein einfaches und demokratisches Szenario.

Wie haben Sie die SVP-Strategie festgelegt? Sind Sie zuvor von verschiedenen Szenarien ausgegangen? Oder entschieden Sie spontan Anspruch auf den zweiten Bundesratssitz zu erheben?


Blocher:
Wir haben schon zwei Monate vorher im Strategieausschuss daran gearbeitet. Im leitenden Ausschuss wurde bestimmt, dass dort die führenden Köpfe mitmachen. Denn wenn die das festlegen, sollen danach nicht Fraktion und Parteibasis sagen, das komme nicht in Frage. Wir haben die Szenarien einer Wahlniederlage, einer gleichbleibenden Wählerstärke und eines Gewinns behandelt. Ich kann nicht verstehen, dass die anderen Parteien das nicht getan haben. In der Führung muss man doch immer für alle Fälle gewappnet sein. Das gilt auch wieder für die Bundesratswahl vom 10. Dezember.

Wie stehen Ihre Chancen gewählt zu werden?

Blocher: 50 Prozent.

Wirklich nicht mehr?

Blocher:
Wenn ich jetzt sehe, was da rund um die CVP so abläuft, könnte es sehr gut sein, dass weitere vier Jahre weitergewurstelt wird. Aber wenn CVP und FDP gemeinsam mit der SP regieren müssen, dann wird es bald ein böses Erwachen geben.

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