Die Partei braucht mehr Mitsprache
Interview in der „Thurgauer Zeitung“ vom 15. November 2003
von Marc Haltiner
Die meistdiskutierte politische Frage lautet derzeit, ob SVP-Nationalrat Christoph Blocher am 10. Dezember in den Bundesrat gewählt wird oder nicht. Passt der bekannteste Schweizer Politiker von seinem Naturell her überhaupt in den Bundesrat? Und wie wird er dort wirken?
Thurgauer Zeitung: Christoph Blocher, Sie haben die Schweizer Regierung in der Vergangenheit oft und hart kritisiert und wollen nun plötzlich selber Mitglied dieser Landesregierung sein. Was ist da mit Ihnen passiert?
Christoph Blocher: Ich habe schon immer gesagt, dass man alles unternehmen muss, um in die Regierung zu kommen. Man darf nicht immer in Opposition zur Regierung politisieren, selbst wenn das für unsere Partei interessanter wäre. Wenn man dann allerdings in der Regierung ist, dann macht man dort an sich nichts anderes als in der Opposition. Man setzt sich auch in der Regierung für die gleichen Dinge ein, wie in der Opposition. Der Unterschied ist nur der, dass man in der Regierung die Kritik direkt anbringen und dass man konstruktiver tätig sein kann als in der Opposition. Denn letztlich geht es darum, für unser Land positive Entschlüsse zu erwirken. Dafür wollen wir uns als Partei zur Verfügung stellen. Wenn die anderen Parteien dies hingegen nicht wollen, dann gehen wir halt wieder in die Opposition.
Von Ihrem Naturell her gewinnt man aber den Eindruck, dass Ihnen die Rolle des Oppositionsführers eher behagt, als die des Landesvaters.
Blocher: Jede Aufgabe, die man übernimmt, hat ihren eigenen Auftrag. In meinem Unternehmen war ich natürlich nie ein Oppositioneller. Ich habe aber die Oppositionellen in meiner Firma gefördert. Immer. Ich habe immer dafür gesorgt, dass es Leute gibt, die der vorherrschenden Meinung widersprechen und andere Lösungen bringen. Leute also, die reklamieren und die man nicht so gern hat. Das gibt für die Firma letztlich bessere Entscheide, wenn man solche Menschen miteinbezieht. Aber es ist ganz klar, dass dies für mich eine Veränderung bedeuten würde, wenn ich in die Regierung gewählt würde. Meine Arbeitsweise wäre ganz anders. Ich weiss deshalb nicht, ob es mir gelingt, in Bern wirklich etwas zu ändern: Es ist ein Risiko.
Wie schwer ist es Ihnen gefallen, sich als Bundesratskandidat zur Verfügung
zu stellen.
Blocher: Es ist mir schwer gefallen. Dafür brauchte es ein grosse Überwindung. Denn ich muss mein Unternehmen abgeben. Ein Unternehmen, das mir ans Herz gewachsen ist. Andererseits komme ich im Bundeshaus in eine Verwaltung, die mir eher fremd ist. Aber wenn der Bundesrat es inskünftig versteht zu führen, dann bin ich überzeugt, dass wir die Schweiz wieder auf einen guten Kurs bringen. Wenn wir allerdings mit den Reformen weiterhin zuwarten, dann wird es uns bald einmal so ergehen, wie in Deutschland.
Was glauben Sie in diesem Siebnergremium, in dem der Kompromiss einen hohen Stellenwert hat, konkret bewirken zu können?
Blocher: Den Kompromiss sehe ich als etwas, was zwischen verschiedenen Polen liegt. Die Polarisierung an sich ist deshalb gar nicht so schlimm – vorausgesetzt man ist bereit Kompromisse einzugehen. Wenn die Meinung der grössten Partei der Schweiz in der Regierung vertreten ist, dann werden meiner Ansicht nach, die künftigen Lösungen und Kompromisse besser sein. Es ist nicht immer alles eine Frage von links oder rechts, sondern oft auch eine Frage der Machbarkeit.
Wie kann man zum Beispiel das Pensionskassenproblem lösen?
Blocher: In meinem Unternehmen brüte ich über dieser Frage seit eineinhalb Jahren. Aber auch Fragen zur vorzeitigen Pensionierung, zur Arbeitslosigkeit und zum Bundeshaushalt lassen sich nicht einfach nach einem bestimmten Schema lösen. Ich glaube deshalb, dass ich auch gerade in diesen Fragen meine langjährige Erfahrung aus der Unternehmenspraxis einbringen kann.
Wer soll Ihrer Ansicht nach im Bundesrat vertreten sein?
Blocher: Wir sind für die echte Konkordanz. Massgebend ist für uns die Wählerstärke. Zudem sind wir der Meinung, dass man die jenigen Leute in den Bundesrat wählen sollte, welche die Parteien vorschlagen. Ungeachtet dessen, ob die Vorgeschlagenen uns nun passen oder nicht. Denn wir wählen sie ja nicht, weil sie ein Gedankengut vertreten, das uns gefällt. Wir wählen sie, gerade weil sie eine andere Auffassung vertreten und weil wir die Konkordanz respektieren. Dies ist ein Versprechen, das wir auch inskünftig halten werden. Ich werde deshalb Frau Calmy-Rey wählen, nicht weil ich sie gern wähle, sondern weil ich der Überzeugung bin, dass jene Kraft im Bundesrat vertreten sein muss, welche die SP vorschlägt. Wenn nun aber das Parlament dies nicht will, so müssen wir in die Opposition.
Und dann wäre Bundesrat Samuel Schmid nicht mehr der Bundesrat der SVP.
Blocher: Das ist richtig. Wenn Herr Schmid gewählt werden sollte und er im Bundesrat verbleiben will, obschon wir in die Opposition gehen, dann ist er nicht mehr unser Bundesrat. Denn wir müssen mit diesem unwürdigen Spiel aufhören, welches die echte Konkordanz untergräbt. Denn so lösen wir die grossen Probleme unseres Landes nicht.
Ist die SVP darauf vorbereitet plötzlich regierungstreuer zu politisieren?
Blocher: Das ergibt sich von selbst. Aber die Partei braucht inskünftig mehr Mitsprache bei der Entscheidungsfindung. Es darf nicht sein, dass der Bundesrat in wichtigen Fragen allein entscheidet – ohne dass die Partei vorher mitreden konnte. Als man beispielsweise das EU-Beitrittsgesuch eingereicht hatte, da hatte ich dies aus dem Radio vernommen. Anschliessend wurde unsere Partei um eine Stellungnahme gebeten. Herr Ogi machte uns damals den Vorwurf, dass wir als Regierungspartei nicht dagegen sein dürften. Darauf hin haben wir ihm gesagt, dass wir keine Gelegenheit bekommen hätten mit ihm darüber vorgängig zu diskutieren. Ich bin deshalb der Meinung, dass wir als Partei bei wichtigen Fragen rechtzeitig in den Meinungsbildungsprozess einbezogen werden sollten. Im Ausland ist ja so etwas selbstverständlich. Alt Bundeskanzler Helmut Kohl hatte mir einmal gesagt, dass er bei grossen Fragen nie etwas entscheiden könne, ohne dass er dies vorher mit der Partei besprochen habe. Denn ansonsten stehe die Partei in Gefahr auseinanderzubrechen.
Niemand will bei den Bundesratswahlen vom 10. Dezember ein Chaos. Trotzdem bleibt die Ausgangslage nach wie vor verworren. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Blocher: Derzeit ist es so, dass alle vier Bundesratsparteien erklären, dass die SVP Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat hat. Da die CVP einen Sitz zu viel hat, weil sie die kleinste Bundesratspartei ist, liegt es auf der Hand, dass sie jetzt natürlich versucht ihren Besitzstand zu wahren. Und dass sie ihrerseits einen Anspruch auf den Sitz von Kaspar Villiger anmeldet. Doch es gibt auch noch andere Szenarien. Auf jeden Fall zeigt es, dass im Moment noch alles offen ist. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die CVP sich derart an ihre beiden Sitze festklammert, dass sie der SP in allen sachpolitischen Fragen Zugeständnisse macht. Wenn SP und CVP inskünftig zusammenspannen und damit eine Links-Regierung bilden, dann ist es für uns völlig klar, dass wir in die Opposition gehen werden. Das wäre für uns als Partei kein
Nachteil, weil wir so weiter zulegen könnten. Doch für die politische Schweiz wäre dies nicht gut.
Nehmen wir einmal an, dass die Bundesversammlung Sie am 10. Dezember in den Bundesrat wählt. Was wird sich dann konkret ändern?
Blocher: Natürlich hoffe ich persönlich, dass sich viel ändern wird. Aber wie gesagt, das ist nur eine Hoffnung. Ich glaube aber schon, dass es eine homogenere Regierungsarbeit geben wird, wenn die wichtigsten Parteien mit ihren wichtigsten Exponenten im Bundesrat vertreten sind. Zweitens glaube ich, dass wir bei der Europafrage endlich einen klaren Kurs aufzeigen müssen. Heute fahren wir zweigleisig. Ein Kurs geht in Richtung EU, der andere nicht – und dies parallel. In Europa wird das Signal ausgesendet, dass wir kommen und zu Hause sagen wir, dass wir nicht in die EU gehen werden. So geht das nicht. Durch dieses Doppelspiel wird man handlungsunfähig. Es gilt deshalb klar zu sagen, dass wir diese Frage auf
Eis legen. Denn das Volk will diesen Beitritt momentan nicht und auch eine Mehrheit des Parlamentes.