«Ich wurde nicht gewählt, um zu rühmen»
03.04.2004, Blick (Christian Dorer)
Herr Bundesrat, haben Sie in Ihren ersten 100 Tagen gar nichts Gutes festgestellt?
Ich wurde nicht gewählt, um zu rühmen. Ich muss herausfinden, wo die Probleme liegen. Wenn Sie unbedingt was Positives hören wollen: Die Schweiz ist immer noch sicherer als andere Länder. Und es geht uns wirtschaflicht besser als etwa Kambodscha.
Ihre Rede war reine Schwarzmalerei.
Wir haben 130 Milliarden Franken Schulden, die Wirtschaft wächst nicht mehr, die Leute haben – zu Recht – Angst um ihre Stelle, man nimmt den Leuten immer mehr weg.
Man vermisst den konstruktiven Ansatz.
Ist es denn nicht konstruktiv, wenn man die Probleme benennt? Wenn man sie nicht zuerst anerkennt, kann man sie nicht lösen.
Die SP kritisiert Sie als Ablehnungs-Bundesrat.
Danke für das Kompliment! Die SP will eine schlechte Politik, dies gilt es zu verhindern. Wenn wir weitermachen wie bisher, geht’s den Schweizerinnen und Schweizern schlechter.
Im Bundesrat werden Sie oft überstimmt. Ein Frust?
Es gibt solche Dinge, wo ich unterlag, und es gibt andere.
Zum Beispiel?
Darüber darf ich nicht sprechen. Das ist vertraulich und geheim.
In der «Schengen»-Frage jedenfalls war der Bundesrat gegen Sie.
Auch das muss offen bleiben. Aber jedermann wusste, dass der Bundesrat «Schengen» will.
Warum Sind Sie dann dagegen angetreten? Damit Ihre Anhänger befriedigt sind?
Ich darf Ihnen nicht sagen, was ich im Bundesrat warum gemacht habe, tut mir Leid.
Wie ernst nehmen Sie die Kollegialität? In Ihrer Rede haben Sie ausführlich auf die Nachteile hingewiesen.
Nur ein Propagandist verschweigt die Nachteile. Ich habe immer Vor- und Nachteile von Vorlagen aufgezeigt. Das ist eine Frage von Glaubwürdigkeit.
«Schengen» ist in Ihrem Departement. Werden Sie es vertreten?
Es ist wie immer im Bundesrat: Gleich drei Bundesräte sind zuständig. Wenn ich die Meinung des Gesamtbundesrates vertreten muss, dann tue ich das.
Sie ziehen also auch in den Abstimmungskampf für «Schengen» und gegen die SVP?
Ich werde auf jeden Fall nicht gegen den bundesrätlichen Beschluss antreten.