Der Zoo feiert seinen 75. Geburtstag!

Rede von Bundesrat Christoph Blocher zum Jubiläumsanlass des Zoo Zürich

05.06.2004, Zürich

Es gilt das gesprochene Wort

Von Königen und Untertan

Der Zürcher Zoo feiert dieses Jahr seinen 75jährigen Geburtstag. Ich darf Ihnen im Namen des Bundesrates die besten Glückwünsche überbringen. Zum Jubiläum schenken Sie uns allen und nicht zuletzt den Löwen selbst ein neues Gehege.

Neu kann jeder die Tiere beobachten – bei der Futtersuche, beim Fressen, beim Ruhen, Spielen und im Kreise der Familie. Dabei hält der Besucher – wie es sich bei einem König der Tiere gebührt – würdigen Abstand, um den Löwen in seinen Geschäften nicht zu stören.

Der Schweizer hat ja ein seltsames Verhältnis zu Königen. Er respektiert eigentlich bloss einen und den nur auf Zeit – nämlich den Schwingerkönig. Aber auch als gute Demokraten wollen wir den Löwen allein dank seiner majestätischen, kraftvollen Gestalt anerkennen.

Der Löwe als Faszination in Literatur und Politik

Der Löwe, der „König der Tiere“, dient seit dem Altertum als Sinnbild herrschaftlicher oder göttlicher Macht. Darum ziert der Löwe zahlreiche Wappen des Ostens, wie auch des Abendlandes, obschon es hier keine frei lebenden Löwen gibt. Dass das indische Staatswappen gleich vier Löwen trägt, ist verständlich. Aber auch der Kanton Thurgau schmückt sein Wappen mit zwei Löwen, worin wohl der Grund liegt, warum der Thurgau im Volksmund Indien genannt wird, nämlich Mostindien. Und das Zürcherwappen, in dessen Kanton ja das neue Gehege entsteht, hält sich den Löwen immerhin als Schildträger – den „Zürileu“. Selbst Bundesräte tragen seinen Namen, um ihren politischen Löwenmut zu unterstreichen. Denken Sie an Leon Schlumpf oder meinen lieben Zürcher Kollegen Moritz Leuenberger und seine ihm angetraute Gret Löwensberg.

Die Faszination für den Löwen reicht weit zurück bis in die mythologischen Ursprünge Europas. Herakles hat Löwenmut bewiesen, indem er den Nemäischen Löwen bezwang. Nach vollbrachter Tat zog er das Fell an und verlieh sich so die Kräfte des überwundenen Gegners.

Schon früh hat der griechische Dichter Äsop mit Fabeln dem Löwen ein durchaus zwiespältiges Denkmal gesetzt. In einer dieser Geschichten gingen ein Löwe, ein Fuchs und ein Esel miteinander auf die Jagd, nachdem sie vorher einig geworden waren, den Raub ganz gleich unter sich zu verteilen. Ihre Beute war gross. Der Esel erhielt vom Löwen den Befehl zur Teilung, die er auch so gewissenhaft als möglich veranstaltete, und bat dann den Löwen, zu wählen. Allein, der ergrimmte Löwe zerriss den Esel und übertrug dem Fuchs eine neue Teilung. Dieser häufte alles zusammen, legte den Esel obenauf, gab praktisch alles dem Löwen und erbat sich ein kleines bisschen davon.
„Schön, mein Freund“, sagte der Löwe, „sage mir doch, wer hat dich so schön teilen gelehrt?“
„Das Schicksal des Esels“, war seine Antwort.

Die Macht neigt zur Willkür. Der Löwe hält sich nicht an die Gesetze, weil ihn niemand in die Schranken weisen könnte. Da nützen alle guten Absichten und schönen Vereinbarungen nichts. Wenn der Löwe will, dann schlägt er seiner Natur gemäss zu.

Macht geht vor Recht. Das zeigt uns auch die Weltpolitik immer wieder. Und die Gutgläubigkeit – davon ist man geneigt beim Esel zu sprechen – kann verhängnisvoll sein. Bleibt der Fuchs. Er überlebt. Weil er schlau genug ist, sich anzupassen und unauffällig für sich zu schauen. Damit holt er beim Publikum keine Sympathien. Aber: Er überlebt.

Ich muss Ihnen auch sagen: ich habe in der Politik weit weniger mit kraftvollen Löwen als mit Füchsen zu tun. Der Löwe ist vom Aussterben bedroht, doch die Füchse übervölkern bereits unsere Städte. Hoffentlich gilt dies nicht auch für die Politik.

Löwenanteil

Äsops Fabel „Der Löwe, der Esel und der Fuchs“ mit dem sprichwörtlichen „Löwenanteil“, das heisst dem unverschämt grossen Anteil, den sich der Stärkere Kraft seiner Macht zuteilt, findet auch in der Jurisprudenz seinen Niederschlag. Aufgrund dieser Fabel nannte der römische Rechtsgelehrte Cassius Longinus (1. Jh. v. Chr.) in seinen „libri juris civilis“ einen Vertrag, wonach der eine Teilnehmer allen Nutzen zieht, der andere aber alle Nachteile, eine „societas leonina“.

Eine Vereinbarung nach dem Muster des Löwen könnte man sagen. Wäre ich jetzt nicht als Bundesrat hier, sondern als gewöhnlicher Politiker, so würde ich etwa aus Sicht der Zürcher das Deutsche Luftabkommen mit seinen Südanflügen als einen solchen „contractus leonina“ bezeichnen.

Der Löwe im Christentum

Das Christentum kennt andere Geschichten. Der heilige Hieronymus gewann sich einen Freund, indem er einem Löwen einen Dorn aus der Pranke zog. Das Alte Testament erzählt die Geschichte von „Daniel in der Löwengrube“. Darin kommt auch die gerechte Seite des Löwen zum Ausdruck: Aufgrund einer Verleumdung wurde Daniel in die Löwengrube geworfen, aber er überstand die Nacht unversehrt, weil er unschuldig war. Am nächsten Morgen, als der König den Irrtum bemerkte, holte er sich jene Potentaten, die Daniel verleugnet hatten und warf sie selbst in die Löwengrube. Das ist natürlich auch heute noch keine brauchbare Alternative, die Schuldigen den Löwen zum Frass vorzusetzen.

Nur zeigt diese Geschichte in alttestamentarischen Bildern, dass der Übeltäter bestraft werden soll und nicht der Unschuldige. Ein Grundsatz, der nicht nur den Justizminister eines Landes überzeugen sollte.

An anderer Stelle in der Bibel spricht Jesaja prophetisch vom dereinst erlösten Jerusalem, in dem Wolf und Lamm einträchtig Gras fressen und der Löwe Stroh wie ein Rind. Doch diese Zeit scheint noch nicht angebrochen zu sein. Mindestens rate ich davon ab, in Ihrem Gehege dem Löwen bereits heute nur noch Stroh vorzuwerfen.

Meine Damen und Herren

Sie sehen: Der Bundesrat ist dankbar, dass der Zürcher Zoo dem Löwen ein neues naturnahes Gehege widmet und vor allem vielen Menschen Freude und Beziehung zur Natur bietet. Gerne hätte ich Ihnen einen Obolus der Eidgenossenschaft an Ihr neues Löwengehege überreicht. Verdient hätten Sie es beileibe. Doch leider sind die Kassen der Eidgenossenschaft leer und sie werden immer leerer. Zudem investiert der Bund eben nicht in den Löwen, sondern in den Luchs.

So bleibt mir also nichts anderes übrig, als Ihnen hier einen Obolus in meinem eigenen Namen zu entrichten. Dieses Couvert soll ein kleiner persönlicher Beitrag an Ihr Löwengehege sein. Als Zürcher darf ich das ja wohl tun. Dass ich diesen Betrag aus meiner Kasse bezahlen kann, liegt daran, dass ich als Unternehmer mit dem Geld sorgsamer umgegangen bin als es die Eidgenössische Politik gegenwärtig tut. Ich freue mich, dass das jetzt auch den Löwen zugute kommt.

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