Eine gefährliche Situation
«Christoph Blocher glaubt, dass der jetzige Bundesrat besser entscheidet als der vorherige. Der Justizminister über Freundschaft in der Regierung, praxisferne Konzernchefs, Fehler der Linken und den Fluch, wieder Unternehmer sein zu müssen.»
12.01.2006, Facts, Othmar von Matt
Herr Blocher … nein. Entschuldigung. Herr Bundesrat…
(Lacht) Danke vielmals, ich hatte es ganz vergessen.
Hört sich für Sie «Bundesrat Blocher» noch aussergewöhnlich an?
Nein. Ich bin Bundesrat, und in diesem Amt fest zuhause. Ein wenig aussergewöhnlich war es die ersten Tage.
Mussten Sie auch selbst einmal über den «Bundesrat Blocher» lachen?
Nein, ich hatte nie eine andere Vorstellung von einem Bundesrat. Ich wusste: Ich habe ein neues Amt. Jetzt heisst es halt «Herr Bundesrat», zuvor hiess es «Herr Nationalrat».
Welche Phasen haben Sie erlebt in Ihren zwei Jahren als Bundesrat?
In der ersten Phase schloss ich mich für drei Monate ein. Die Leute fanden es komisch, dass ich nicht kommunizierte, aber ich musste sehen, was mich erwartet. Ich arbeitete zwanzig Stunden pro Tag, vertiefte mich in alle Probleme. Dann wusste ich, was ich mache. Ich musste viele Vorlagen ändern.
Welche Phasen kamen dann?
Ich musste den Weg suchen, mich durchsetzen. Das war nicht einfach. Vorallem auch gegen die Verwaltung. Jetzt kenne ich die Leute, die Mitarbeiter. Seit einem Jahr bin ich gut installiert. Dann wurde die Arbeit auch im Bundesrat intensiver. Zu Beginn hatte ich dafür nicht so viel Zeit und Kraft.
Sie mischen sich stark ein.
Ich rede nicht in andere Departemente hinein. Aber ich sehe mir alles sehr genau an, was wir im Bundesrat beschliessen. Und ich beurteile es. Das betrachte ich als meine Aufgabe. Ich trage Mitverantwortung.
Wie charakterisieren Sie Ihre Stellung im Bundesrat heute?
Ich bin einer von sieben. Es ist nicht so, dass ich eine dominante Stellung einnehme. Aber ich trage, wie jeder, ein besonderes Spektrum in diesen Rat – vielleicht das Unternehmerische, Wirtschaftliche, Finanzielle. Und man merkt, dass heute zwei SVP-Leute im Bundesrat sitzen. Die SVP-Politik wird stärker vertreten als früher.
Mit Ihnen in der Leaderrolle?
Nein. Ich muss alles über die Überzeugung schaffen, nicht, weil ich ein Leader bin. Nach aussen hin rumpelt das ein bisschen, das spürt man. Es gibt natürlich Erschütterungen, wenn jemand, der zuvor in der Opposition war, seine Ideen stark in der Regierung einbringt. Aber wir haben eine gute, sehr zielgerichtete Diskussion im Bundesrat.
Sie loben die SVP-Vertretung. Das heisst: Samuel Schmid ist für Sie inzwischen kein «halber Bundesrat» mehr?
In der Grundausrichtung decken wir uns. Obwohl natürlich nicht jeder in jedem Geschäft dieselbe Auffassung hat.
Wie hat sich der Bundesrat verändert, seit Sie dabei sind?
Bundesräte, die schon vor 2003 dabei waren, sagen mir, man diskutiere viel intensiver. Zudem haben wir keine schwerwiegenden Fehlentscheide getroffen. Wir gründeten keine Swiss, schafften keinen Solidaritätsfonds und keine Expo mit Milliardenverlusten. Das ist schon viel.
Prästieren das die Bundesräte gut?
Ich habe das Gefühl, ja.
Auch Moritz Leuenberger?
Das müssen Sie ihn fragen. Wir haben verschiedene Auffassungen, er ist ein Sozialdemokrat, ich bin ein Bürgerlicher. Ich entscheide nicht im Bundesrat. Es wird abgestimmt.
Zwischen Ihnen und Leuenberger herrscht auch persönlich nicht gerade tiefe Freundschaft.
Freunde waren wir nie. Das müssen wir aber auch nicht, um im Bundesrat zu sitzen. Auch mit den anderen war ich nie befreundet. Es wäre auch nicht gut, wenn dies sieben Freunde wären. Ich halte nichts von Kameraderie. Hass und Verachtung ist aber nicht vorhanden.
Was hat Sie in diesen zwei Jahren im Bundesrat am meisten überrascht?
Dass ich Anträge einbringen konnte – und mit vielen durchdrang.
Das hätten Sie nicht erwartet?
Ich kam von aussen, hatte den Bundesrat oft kritisiert. Es hätte sein können, dass sich die Bundesräte sagen: Jetzt zeigen wir es ihm, hören ihn nicht an, diskutieren nicht mit ihm, lehnen jeden Antrag von ihm ab, jede Vorlage.
Phasenweise geschah das.
Es gab einzelne Entscheide, bei denen ich das spürte. Gesamthaft gesehen war das aber nicht der Fall. Einzelne Bundesräte machten das vielleicht, die Mehrheit aber nicht. Ich kann keinen wesentlichen Antrag aus dem eigenen Departement nennen, mit dem ich deswegen gescheitert wäre. Dieser Bundesrat entscheidet besser als der vorangegangene.
Warum?
Geheimes, Hinterrückiges, Hinterhältiges ist viel grausamer als es offene Diskussionen sind. Ich habe mit früheren Bundesräten über Interna gesprochen. Wer sagt, damals sei alles wunderbar gewesen, täuscht sich. Es gab Zeiten, in denen es im Bundesrat Tränen absetzte. Das gab es in den letzten zwei Jahren nie.
Hier ist etwas geschehen. Oft erfährt man heute das Abstimmungsresultat im Bundesrat.
Das ist unkorrekt, aber mehr Transparenz könnte nützen. Natürlich muss man aufpassen, dass das System nicht zu sehr belastet wird. Hat der Bundesrat entschieden, darf man nicht mehr gegen diesen Beschluss antreten. Daran halte ich mich. Ganz am Anfang war es ein wenig schwierig, weil ich Vorlagen meiner Vorgängerin vertreten musste. Das waren Übergangsschwierigkeiten, die es bei einem Politiker mit einer starken Meinung geben darf.
Sie sind mit dem Bundesrat zufrieden – und sogar SVP-Präsident Ueli Maurer ist es. Das heisst: Die Politik läuft nach Ihrem Gusto.
Wenn man so tut, als ob dieser Bundesrat nicht funktionsfähig sei, dann kennt man die Fakten nicht.
FDP-Präsident Fulvio Pelli sagt aber, der Zufall regiere die Schweiz.
Das ist halt in der direkten Demokratie so. Das ist das Resultat eines Kräfteverhältnisses. Und das ist gar nicht so schlecht – und ist nicht neu, war immer so. Viele ausländische Politiker können es fast nicht verstehen, dass die Schweiz so funktioniert. Der Beweis ist, dass es funktioniert. Sie steht sogar besser da als die meisten Länder mit sauber strukturierter Regierung und Opposition und einem starken Präsidentensystem. Die Bürger haben zudem mehr Freiheiten als in anderen Staaten.
Ist das jetzt ein klares Bekenntnis zur Konkordanz?
Wir haben sie. Sie hat Vor- und Nachteile. Hätten wir die direkte Demokratie nicht, wäre ich aber nie für die Konkordanz. Dann fehlte uns die Opposition. Unsere Opposition ist eigentlich das Volk, es ist der Richter. Deshalb funktioniert die Konkordanz. Und dafür bin ich.
Ein Plädoyer für zwei Sozialdemokraten in der Regierung?
Solange es die Konkordanz gibt, zählt die Grösse der Partei. Die SP-Bundesräte bleiben in der Regierung. Dagegen habe ich nie etwas eingewendet.
Die «SonntagsZeitung» schrieb aber, Sie arbeiteten an einem Hinauswurf der SP-Bundesräte.
Warum sie dies schreiben, ist mir schleierhaft. Ich wüsste nicht, wo ich das gesagt haben sollte. Ich arbeite nicht darauf hin. Komischerweise sagt niemand, dass die Sozialdemokraten dies tun. Sie wollen Blocher und die SVP aus der Regierung haben, und erklären dies.
Suchen Sie die bürgerliche Vorherrschaft?
Nein. Aber jeder, der eine Meinung und eine Überzeugung hat, will diese durchsetzen. Natürlich will ich etwas durchsetzen, wenn ich überzeugt bin davon.
Welche längerfristigen Ziele haben Sie mit der Schweiz?
Es ist nicht so, dass wir schon sehr viel erreicht haben. Wir haben zwar Projekte, die das Aufgabenwachstum bremsen sollen. Aber im Moment stecken wir in einer gefährlichen Situation. Der Wirtschaft geht es viel besser. Dies gibt höhere Einnahmen. Trotzdem haben wir eine grosse Überschuldung. Und sehen wir uns die finanzielle Situation ausserhalb des Bundeshaushaltes mit den grossen Pensionskassen an, wird klar: Wir haben noch vieles vor uns. Damit die Schweizer Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt, wir Vollbeschäftigung und Arbeitsplätze halten können, müssen wir sehen, dass der Staat weniger reguliert. Da stehen wir noch am Anfang.
Was muss geschehen und wie lange dauert es?
Das kann ich nicht sagen. Ich spüre, dass die Einsicht wächst. Immer mehr Leute sind von der Selbstverantwortung überzeugt. Ein Wandel hat vor allem bei den Jungen eingesetzt. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass wir Boden fassen. Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel Deutschland: Man kann ein Schiff kaum mehr wenden, ist es zu lange in die falsche Richtung gefahren.
Früher haben Sie selbst einen deutschen Kanzler als Vorbild erwähnt: Konrad Adenauer, der 14 Jahre im Amt blieb. Ihnen verbleiben also noch zwölf Jahre – bis 2017. Was liegt da noch drin?
Ich sagte, mein Rücktritt sei aufs Jahr 2026 vorgesehen. (Lacht) So alt war Adenauer, als er zurücktrat.
Damit hätten Sie eine deutlich längere Regierungszeit als Adenauer.
Ja, aber Adenauer war Kanzler. Das zählt doppelt.
Sie benötigen länger?
Ja, weil ich nur Bundesrat bin. Wichtig ist, dass man sein Gedankengut einbringt. Man muss gar nicht immer ein klares Projekt haben. Gedanken sorgen für ein Umdenken, hin zu den Eigenschaften, die die Schweiz stark gemacht haben. Sie war ein ökonomisch armes Land, das reich wurde. Die Schweiz hat mit ihrer direkten Demokratie einen hohen Freiheitsgrad. Und es gibt Kreise, die die direkte Demokratie zerstören wollen. Sie finden, Demokratie sei nicht zeitgemäss. Diese Ideen kommen nicht nur von den Linken, die in die EU und damit alles aufgeben wollen.
Diese Ideen kommen vor allem aus der Wirtschaft und von Avenir Suisse.
Ja. Die Kreise, die das denken, sind weit weg von der Praxis.
Dahinter stecken auch Topmanager von globalen Konzernen.
Ja, das stimmt. Ich sage nicht, dass wir auf die Knie sinken sollen, sobald Manager aus globalen Konzernen einen Gedanken äussern. Natürlich höre ich in wirtschaftlichen Dingen stark auf sie, doch in Sachen direkter Demokratie liegen sie falsch. Sie glauben, ohne direkte Demokratie werde ein Staat liberal, habe eine kleinere Ausdehnung. Direkte Demokratie aber bremst den Staat tendenziell.
Wie soll die Schweiz aussehen, wenn Sie zurücktreten – 2017 oder 2026?
Das weiss ich nicht. (Lacht). Soweit muss ich jetzt nicht denken.
Das ist Ihnen egal?
Nein, egal ist es mir nicht. Aber ich kann nicht sagen, wie sie zu jenem Zeitpunkt genau aussieht.
Was soll denn einst im Geschichtsbuch über Sie stehen?
Das kann man sowieso erst in 150 Jahren beurteilen. Ich arbeite nicht an meiner Geschichtsschreibung. Eine Schweiz als unabhängiges, freiheitliches Land, das nicht jeden Trend im Ausland mitmacht, hat grosse Chancen. Diese Chancen nehmen zu, das spürt man. Die Vereinheitlichung, die die EU als Ziel hat, ist nicht die Lösung. Auch das spürt man immer mehr. Es ist enorm wichtig, dass alle Bürger an der Staatsgestaltung mitwirken. Ich bin davon überzeugt, dass man dem Staat wenig Macht geben soll, damit sich der Bürger entfalten kann. Ich hoffe, die Situation ist bei meinem Rücktritt besser, als sie es 2003 war, als ich Bundesrat wurde.
Hat sie sich seither gebessert?
Sie ist schon besser. Wenig nur. Aber sie ist besser.
Lässt sich das jetzt mit fünf multiplizieren in der Ära Blocher?
Das hängt nicht von einer Person ab, sondern von der Zeitströmung, der geistigen Verfassung, der Diskussionskultur. Deshalb lege ich solchen Wert auf Auseinandersetzungen, Transparenz und Wettbewerb der Ideen und Grundauffassungen.
Kommen Ihnen die Zeiterscheinungen entgegen?
Sie ändern sich in meine Richtung. Man ist skeptisch gegenüber dem Anspruch, der Staat solle alles regeln. Die Leute realisieren, dass das auf die Dauer nicht geht. Deshalb die unglaubliche Nervosität der Sozialdemokraten und der Grünen. Sie realisieren, dass ihnen die Felle davonschwimmen. Nur machen Sie einen Fehler: Sie fokussieren auf mich. Sie geben mir viel zu viel Macht und Bedeutung.
Sie stellen Ihr Licht jetzt unter den Scheffel.
Man kann mir den Vorwurf machen, dass ich meine Ideen konsequent vertrete. Aber eine Person alleine kehrt ein Land nicht. Schon gar nicht in der Schweiz.
In Ihrem Büro soll eine Karikatur von Raymond Burki hängen. Sie zeigt Sie auf einem Wagen, mit der Peitsche in der Hand, wie Sie den Bundesrat dirigieren. Sie ist zwar jetzt nicht zu sehen…
(zeigt nach rechts, wo die Karikatur hängt) Doch, diese da. Er hat sie gezeichnet, als ich Bundesrat wurde. Und sie wurde mir geschenkt. (Ein schelmisches Lachen überzieht sein ganzes Gesicht).
Diese Karikatur gefällt Ihnen offensichtlich sehr gut.
Ja. Es gibt ein Anker-Bild, auf dem sieben Kinder mit diesem Wagen zu sehen sind. Burki hat die Kinder durch Bundesräte ersetzt und sagte, ich soll den Fuhrmann spielen. Aber ich hätte sie auch aufgehängt, wenn er mich anders dargestellt hätte.
Er hat Sie nun einmal in einer sehr dominanten Rolle gezeichnet.
Ja, ja. Ich komme sogar zweimal vor. Als Blocher, der auf dem Bild ist und als Blocher, der das Bild zeigt. Sehen Sie, am unteren Rand: Da zeige ich die Karikatur.
Das beweist: Diese Rolle gefällt Ihnen sehr.
Nein. (Überlegt) Nein. Nein. Da haben Sie nicht recht. Ich wäre zufrieden, müsste ich im Bundesrat nichts sagen.
Wie bitte?
Liefe es, wie ich es für richtig halte, würde ich lieber nichts sagen. Reagieren andere, mache ich nichts. Machen andere nichts, reagiere ich. Aber ich muss mich zwingen. Jedesmal. Schon wieder muss ich etwas machen. Gopfnomal. Ich spiele keine Rolle. Ich muss mich wehren gegen diese Rolle. Und der Fluch lastet auf mir, hier wieder Unternehmer sein zu müssen. Ich wäre froh, es nicht mehr sein zu müssen.
Immerhin schreiben Sie zu allem und jedem Mitberichte.
Ja. Aber nicht aus Lust. Sondern aus Pflicht. Aber ich bin froh, wenn ich etwas nicht entscheiden muss.
In der Schweiz sind grosse Ängste vorhanden vor dem Kurs der Regierung mit Ihnen. Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss sagte in FACTS: «Blocher macht mir Angst. Ich fürchte, dass er unsere Institutionen gefährdet.»
Vor einem Gegner hat man halt Angst. Ich hatte auch Angst vor Frau Dreifuss, gottvergessene Angst davor, was sie alles kaputt machte mit ihrer Politik.
Selbst der frühere Präsident der Freisinnigen Franz Steinegger sagt inzwischen, die Rechtsbürgerlichen
suchten nicht mehr den Konsens. «Sie wollen die neoliberale Revolution.»
Steinegger machte mir auch Angst, wie er die Dinge schleifen liess. Er scheiterte ja als Präsident der FDP. Dabei hätten wir diese Partei benötigt.
Haben Sie selber auch Ängste?
Natürlich. Ich habe immer Ängste, schon immer gehabt. Das ist in der Verantwortung so. Ich habe aber nicht mehr schlaflose Nächte, als ich sie als Unternehmer hatte. Da stand ich alleine, war verantwortlich für 3000 Familien. Dies ist im Bundesrat anders. Hier trage ich nur einen siebtel der Verantwortung. Angst darf man haben. Es gibt keinen angstlosen Zustand, wenn man in der Führung steht.
Macht Angst Sinn?
Angst bewahrt vor Fehlentscheiden und vor leichtfertigem Handeln. Angst ist ein gutes Hindernis dafür, sich zu stark nach aussen zu wenden. Aber Angst ist nichts Angenehmes. Finanzielle Ängste habe ich heute nicht mehr, ich bin als ehemaliger Unternehmer ja vermögend. Aber ich habe Angst, dass im Land etwas schief geht. Dass die Konkurrenz für dieses Land zu gross wird. Dass wir Fehlentscheide treffen. Das ist der normale Zustand.