Die Wirtschaft im Banne der Politik
Rede von Bundesrat Christoph Blocher zur Eröffnung des Swiss Economic Forum vom 11. Mai 2006 im Schadausaal, Thun
11.05.2006, Thun
Thun, 11.05.2006. Am Swiss Economic Forum in Thun referierte Bundesrat Christoph Blocher über verschiedene Aspekte der Wirtschaft. Er ging auf die Ängste der Unternehmer ein und zeigte Alternativen auf. Schliesslich forderte er die Anwesenden auf, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren und von besseren Konkurrenten zu lernen, um von der Schweiz aus im Weltmarkt zu bestehen.
Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.
1. Die Schweiz im Weltmarkt
Wo heute von der Wirtschaft die Rede ist, hören Sie immer wieder Schlagworte, die beunruhigen.
Globalisierung, chinesischer Drache, Lohndruck, Auslagerung, Massenarbeitslosigkeit…Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass er bei all diesen Wörtern zunächst Angst bekommt. Angst, nicht bestehen zu können. Angst, nicht überleben zu können.
Tatsächlich: Ganze Nationen mit niedrigen Löhnen, grossem Leistungswillen, gut ausgebildetem Personal, weniger Regulierung, mit sehr tiefen Steuern drängen auf die Weltmärkte. Es gilt einem ungeheurem Konkurrenzdruck zu begegnen. Die Wirtschaft blickt deshalb wie gebannt auf die Politik und die Politik wiederum blickt mindestens so gebannt auf die Wirtschaft.
Doch für einen Unternehmer ist die bange Frage: Kann ich mit meinem Unternehmen, mit meinen Produkten, mit meinen Kosten, mit meinem Marketing vor der Konkurrenz bestehen? Das ist zwar eine alltägliche Frage. Und nur schlechte Unternehmer stellen sich solche existenziellen Fragen nicht andauernd. Meine persönliche Erfahrung zeigt: Der Unternehmer steht mit den Fragen, die sein Unternehmen in seiner Existenz betreffen, stets allein.
Die grosse Gefahr ist, dass man die besseren Bedingungen der Konkurrenz (seien es tiefere Lohnkosten, weniger Regulierung, niedrigere Steuern etc.) überschätzt und damit auch deren Einfluss auf den Erfolg. Die erste Reaktion lautet deshalb häufig: Ich will die gleichen Bedingungen, ich verlege meine Produktion in jene Länder, wo so gute Bedingungen vorherrschen. Oft sieht man in der Auslagerung sogar die einzige Überlebenschance für einen Betrieb. Vielfach blendet man jedoch andere, schlechte Bedingungen, gerade von Billiglohnländern, aus. Es mag schon Situationen geben, wo man nur noch ein billiges Massenprodukt im eigenen Betrieb hat und darum die Auslagerung die einzige Möglichkeit ist. Aber ist dies die Regel?
2. Alternativen
Was kann man in der Schweiz denn noch herstellen? Oder besser: Was nicht?
Billige Massenwaren herzustellen in unserem hochqualitativen und teuren Land – das heisst, Produkte, die jeder beherrscht und wo es nur noch auf den Preis ankommt – dafür ist die Schweiz tatsächlich kein Standort. Die Schweiz ist ein teures Produktionsland. Das ist an sich keine negative Eigenschaft. Länder mit hohem Lebensstandart sind teure Länder. Bei der Massenproduktion sind uns die Billiglohnländer haushoch überlegen. Aber Massenprodukte sind nicht die einzige Möglichkeit. Länder mit hoher Qualität können andere Produkte herstellen.
Zunächst gilt es: Einen klaren Kopf zu behalten. Man hat das zu tun, was man als Unternehmer in schwieriger Situation eben oft nicht tut: Man hat seine eigenen Stärken zu suchen. Nicht nach den eigenen Schwächen zu fragen. Diese werden in schlechten Zeiten ohnehin und ohne Zutun sichtbar. Was – in schwierigen Zeiten – weit schwieriger zu erkennen ist, sind die eigenen Stärken. Viele Unternehmen beschäftigen sich in panischem Aufruhr stets mit den eigenen Schwächen und fragen, was andere besser machen. Nein: Fragen Sie, was Sie besser können!
Jedes Unternehmen hat eine Stärke. In guten Zeiten überschätzt man die eigene Stärke, in schlechteren unterschätzt man sie. Das gilt auch für die Standortqualität eines Landes.
3. Globalisierungsängste von gestern
Ich habe gleich zu Beginn meiner Ausführungen von den Globalisierungsängsten gesprochen. Diese Ängste sind nicht neu. Die Vergangenheit anzuschauen kann diese Ängste in einem grösseren Zusammenhang erscheinen lassen.
1985 wurde in der Schweiz eine – auch aus heutiger Sicht – aufschlussreiche Umfrage erhoben. Gegenstand der Untersuchung: Wie schätzen die Schweizerinnen und Schweizer die Wirtschaftsnation Japan ein und wie erklären sie sich deren Erfolg (Japan wurde damals als die grosse Gefahr der Industrieländer bezeichnet – ähnlich wie heute China). Unser Land befand sich noch in den Ausläufern einer Rezession und man schaute gebannt nach Japan, dessen hochtechnologische Produkte sowohl in Preis und Qualität die europäischen Anbieter ausstachen.
Fazit der Umfrage:
1985: „Zwei von drei Schweizer haben Angst vor Japans Wirtschaft.“ Nur ein Fünftel der Befragten stufte die Zukunftschance der Schweizer Wirtschaft höher ein als jene Japans.
Schauen wir nun aber, wie sich Japan in der Folge weiterentwickelte. Ich lese Ihnen dazu ein paar Zeitungsmeldungen aus den letzten zwanzig Jahren vor. Zunächst ging der japanische Aufschwung scheinbar unaufhaltsam weiter.
1993 zeichnet sich eine Wende ab. Eine Zeitung titelt mit leicht schadenfroher Poesie: „Das Schwert des Samurais rostet.“
1994: „Japans Sonne sinkt.“
1995: „Japans Wirtschaftsmassnahmen am Ziel vorbei.“
1998 werden die Prognosen noch düsterer: „Die grosse japanische Krise steht noch aus.“ Ein Schweizer Nachrichtenmagazin reimt: „Der Riese in der Krise.“ (Facts).
1999. Die ehemalige Bewunderung kippt endgültig ins Höhnische: „Das Land der untergehenden Börse.“
2001. „Japan kommt nicht aus der Krise heraus.“ Ein diesmal deutsches Nachrichtenmagazin weiss auch warum: „Japan fühlt seine wirtschaftliche Vormachtstellung durch China bedroht.“
Das war 2002. Schon ein Jahr darauf heisst es: „Japans Wirtschaft zieht wieder an.“
2004. „Die Angst in Japan ist verflogen.“ – „Wer in Asien investiert, kommt an Japan nicht vorbei.“
2006. „Japans Wirtschaft gewinnt an Fahrt.“
Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ fasst zusammen: „Nach Jahren der Dauerkrise häufen sich die guten Nachrichten aus Japan: Die Wirtschaft wächst, die Börse boomt. Asiens Industrienation Nummer eins verdankt sein Comeback ausgerechnet seinem neuesten und härtesten Konkurrenten — China.“
Was können wir diesem Wechselbad der Nachrichtenmeldungen entnehmen? Die Bedrohungen erweisen sich als Chancen. Japan musste sich regenerieren, indem es sich wieder auf seine Stärken besann und auf die Prinzipien der Marktwirtschaft. Die staatlichen Interventionen verzögerten diesen Prozess nur.
Auf unsere Verhältnisse übertragen: Die Bedrohung in der Marktwirtschaft heisst nicht Japan oder China oder Indien. Die Bedrohung ist immer der bessere Mitbewerber. Die Reaktion auf einen besseren Konkurrenten kann deshalb nicht darin bestehen, den Konkurrenten schlechter zu machen, ihn mit Schutzzöllen zu bestrafen, ihn politisch auszuhebeln. Die Reaktion kann auch nicht darin bestehen, den Schwächeren künstlich zu stärken mit staatlichen Mitteln. Der einzige Weg führt über das bessere Produkt, den besseren Preis, die bessere Entwicklung. Wir müssen anders sein, besser sein als unsere Konkurrenten. Für den Staat heisst dies nicht, serbelnde Wirtschaftszweige unterstützen, sondern dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigen vorankommen!
An dieser Tagung treffen sich ja Geschäftsführer oder Angestellte von Firmen, die in der Schweiz arbeiten, produzieren, investieren und hoffentlich auch Geld verdienen. Sie beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, von der Schweiz aus im Weltmarkt zu bestehen.
Ich möchte deshalb noch einmal auf die Umfrage von 1985 zurückkommen. Wie gesagt, äusserten damals zwei Drittel ihre Besorgnis über die aufsteigende Wirtschaftsnation Japan. Allerdings sagte auch die Hälfte der Befragten, Japans Qualitäten (namentlich der Arbeitseifer) könnten Vorbild und Ansporn für uns sein. Auf diese Hälfte müssen wir setzen. Und ich gehe davon aus, dass Sie sich auch zu dieser Hälfte zählen. Ich wünsche Ihnen hierbei viel Erfolg.
Als Bundesrat sage ich Ihnen: Wir – der Staat – haben dafür zu sorgen, dass Sie ein Umfeld bekommen, in dem Sie produzieren können. Das heisst: weniger Vorschriften, gute Schulen, weniger Steuern, Abgaben und Gebühren, gute Verkehrsbedingungen und vor allem: möglichst viel unternehmerische und persönliche Freiheit!
Ich wünsche Ihnen und mir viel Erfolg, dass dies alles gelingt!