Integration – eine Worthülse wird mit Inhalt gefüllt
Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der 3. Tagung der Verantwortlichen der Jugenddienste bei den Kantonspolizeien, 26. Juni 2007, Freiburg
26.06.2007, Freiburg
Freiburg. An der 3. Tagung der Verantwortlichen der Jugenddienste bei den Kantonspolizeien informierte Bundesrat Christoph Blocher über die Voraussetzungen für eine gelungene Integration, die Erkenntnisse aus dem Bericht des Bundesamtes für Migration über die Integration sowie die erste Analyse zur Frage der Jugendgewalt, die in Kürze vorgelegt werden solle.
Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.
Meine Damen und Herren
1. Alle reden von der Integration
Es gibt keine Debatte im Bereich der Ausländerpolitik, ohne dass nicht zwangsläufig der Begriff „Integration“ auftaucht.
Integration ist heute ein Modewort. Modewörter sind stets in aller Munde. Aber das Modewort ist beliebt, weil eben jeder etwas anderes darunter verstehen kann und etwas anderes hineinpackt.
Doch machen wir es etwas grundsätzlicher: Das neue Ausländergesetz, welches im letzten Herbst mit grossem Mehr vom Stimmvolk angenommen worden ist, legt nun erstmals die Grundsätze der Integration wie folgt fest (Art. 4 AuG):
Ziel der Integration ist das Zusammenleben der einheimischen und ausländischen Wohnbevölkerung auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung und gegenseitiger Achtung und Toleranz.
Die Integration soll die Teilhabe am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben ermöglichen.
Die Integration setzt vor allem und zuerst den entsprechenden Willen der Ausländerinnen und Ausländer voraus, aber auch die Offenheit der schweizerischen Bevölkerung.
Wichtigste Voraussetzung um dies alles zu erreichen ist: Ausländerinnen und Ausländer müssen sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Schweiz auseinandersetzen und insbesondere eine Landessprache erlernen.
Hier handelt es sich um allgemeine Grundsätze.
2. Migrationsbericht
Nun, fragen wir, haben wir ein Migrationsproblem? Fehlt es an der Teilhabe am schweizerischen Leben durch die Ausländer? Ich habe deshalb vor anderthalb Jahren dem Bundesamt für Migration den Auftrag gegeben, genau diese Fragen zu prüfen und in einem Bericht zu beantworten.
Diesen Bericht mit dem Titel „Probleme der Integration der Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz“ hat der Bundesrat letzten Sommer zur Kenntnis genommen.
Erste Feststellung: Die Integration in der Schweiz funktioniert im Grossen und Ganzen und gemessen am hohen Anteil der Ausländer an der Bevölkerung gut.
Zweite Feststellung: Es gibt Probleme und Defizite.
Dritte Feststellung: Solche Integrationsprobleme liegen dann vor, wenn Ausländerinnen und Ausländer in der Arbeit, in der Bildung, in der Sprache – hier ganz besonders – ein Defizit haben und damit keine gleiche gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausgangslage haben.
Vierte Feststellung: Integriert sind sie dann nicht, wenn sie signifikant von der vergleichbaren Schweizer Bevölkerung abweichen.
3. Gegenmassnahmen
Hauptmassnahmen für die Integration sind prioritär, Bildung und Sprache bzw. Arbeit und Sprache zu verstärken.
Bildung und Arbeit hängen eng mit dem Zusammenleben in der Gesellschaft und mit der Anwendung der Sprache zusammen. Hier ist anzusetzen.
Als weiterer wichtiger Problembereich, der mit damit zusammenhängt, ist auch die öffentliche Sicherheit. Da erzähle ich Ihnen nichts Neues. Sie haben hautnah, sozusagen an der Front, mit Ausländern zu tun, die unsere alltäglichen Regeln und Gesetze nicht beachten, keine Landessprache sprechen und nicht für sich selbst sorgen. Und dies zum Teil auch, obwohl sie es könnten.
Im Extremfall zeigt sich dies in der Jugendkriminalität. Vergewaltigungen junger Mädchen, massive Bedrohungen und Einschüchterungsversuche, chaotische Zustände in den Schulen – das sind alles keine Einzelerscheinungen.
4. Eine deutliche Sprache
Um Probleme zu lösen, müssen sie offen ausgesprochen werden: „Sagen, wie es ist“ lautet die Voraussetzung. Alles andere führt in eine Schein-Situation, die die Problemerkennung verunmöglicht und folglich auch keine Problemlösung erlaubt. Auf der Basis des Verschweigens, Vertuschens, Verdrängens und Verleugnens lässt sich kein Problem lösen.
Aber: Wir neigen gerade in den Bereichen Ausländer, Erziehung, Gewaltanwendung, Mentalitätsunterschiede, Kriminalität usw. dazu, eine schwammige, politisch korrekte Sprache zu gebrauchen.
Oft werden Sprechhülsen gebraucht, um die Sache nicht beim Namen zu nennen: Ein Beispiel: Wissen Sie, was eine „mobile ethnische Minderheit“ (MEM) ist? Nun, es handelt sich hier um eine verklausulierte Formulierung, die in Polizeirapporten auftauchte, um das Wort Zigeuner zu vermeiden.
Hier stehen wir unter der Fuchtel der politischen Korrektheit.
Seit einiger Zeit gibt es auch eine ganz neue Bevölkerungsgruppe: Die „Menschen mit Migrationshintergrund“ sind jetzt da. Dafür gibt es – wenn ich die Zeitungsberichte lese – fast keine Ausländer mehr. Ein deutscher Journalist hat den Begriff „Migrationshintergrund“ kürzlich so definiert: „Korrektes Hilfswort zur Vermeidung der Angabe von Nationalität oder Herkunft einer Person oder einer Gruppe.“ Auch dieser Begriff dient der Verschleierung. Er meint Ausländer oder eingebürgerte Schweizer, die in der Mentalität Ausländer geblieben sind.
5. Was ist konkret zu tun?
Wenn Integration auf den 3 Säulen ruht
* Sprache
* Schule und Arbeit
* Regeln und Gesetze,
dann ist hier anzusetzen. Das heisst:
1. Wer in die Schweiz kommt und hier leben will, muss die Sprache lernen. Das hat erste Priorität.
2. Die Erwachsenen sind zur Arbeit zu verpflichten. Das heisst sie haben ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. So lernen sie aus eigenem Antrieb die Sprache und werden über die Arbeit in die Gemeinschaft integriert.
3. Die Grundwerte, wie sie in unserer Rechtsordnung festgelegt sind, müssen von allen respektiert werden. Das ist ja wohl der Bereich, der Sie am meisten interessiert.
4. All dies muss verlangt und durchgesetzt werden. Andererseits müssen Sanktionen ergriffen werden!
Zu den Bereichen Sprache, Bildung und Arbeit liegt der Entwurf eines umfassenden Massnahmenpaketes vor. Dieses wird im Sommer dem Bundesrat zugeleitet.
Zu Regeln und Gesetzen: Warum gelingt es uns oft nicht, unseren Grundwerten Nachachtung zu verschaffen?
Auch hier werden wir am 29.6.07 eine erste Analyse zur Frage der Jugendgewalt vorlegen.
Vorerst nur so viel: Es scheint nicht in erster Linie ein Problem der Gesetze zu sein, sondern des Vollzugs. Die Verfahren dauern zu lange, die angeordneten Sanktionen greifen oft zu kurz und verfehlen deshalb ihre Wirkung.
Die Koordination staatlicher Tätigkeiten ist mangelhaft. Die Folgen sind gravierend: Polizisten und andere Vollzugsleute sind frustriert, weil sie sehen, dass nichts passiert. Das lähmt die Arbeit. Resignation ist weit verbreitet.
Tatsache ist auch, dass die Behörden zu wenig gut vernetzt sind; oft weiss die eine Behörde nicht, was die andere tut. Migrations-, Einbürgerungs-, Polizei-, Zivilstands- und Schulämter müssen besser zusammenarbeiten und gemeinsame Ziele verfolgen.
Das sind punktuelle Bemerkungen. Nehmen Sie dann den „Bericht der Praktiker“ zur Hand.
6. Jugendstrafgesetz
Das neue Jugendstrafgesetz ist jetzt seit dem 1.1.2007 in Kraft. Es sieht eine breite Palette von Sanktionsmöglichkeiten vor, es können nun auch härtere Strafen verhängt werden (Freiheitsentzug bis zu vier Jahren: Art. 25 JStG; statt wie bisher Einschliessung bis zu einem Jahr: Art. 95 StGB alte Fassung). Dabei geht es nicht darum, um jeden Preis eine hohe Strafe zu fordern. Es müssen „massgeschneiderte“, dem Täter angepasste Sanktionen verhängt werden. Die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich sind genau zu beobachten. Sollte sich das neue Gesetz als unzureichend erweisen, sind möglichst rasch entsprechende Anpassungen vorzunehmen.
7. Bemerkungen zur Polizeiarbeit
Sie brauchen einen klaren Auftrag. Sie sind nicht zu beneiden in Ihrer Arbeit. Ein Hauptproblem sehe ich darin, dass Sie keinen klaren politischen Auftrag erhalten. Je nach politischer Ausrichtung der Führung werden Sie in der Ausübung Ihrer Arbeit eher behindert als unterstützt.
Was mir weiter auffällt, wenn wir die jüngsten Gewaltdelikte anschauen, ist ein immer ähnlich ablaufender Vorgang. Es stellt sich heraus, dass überdurchschnittlich viele Täter Ausländer bzw. frisch eingebürgert sind. Zweitens, zahlreiche Delinquenten stammen aus dem Balkan. Wenn die anfänglichen Vertuschungsversuche nicht funktionieren, setzt sich das übliche Heer von Sozialarbeitern, Pädagogen und Psychologen in Bewegung, das uns einredet, die wahren Opfer seien diese jungen Burschen, weil ihnen die Perspektive fehle, weil sie sich von der Schweizer Gesellschaft zurückgestossen fühlen.
Wo Gewaltakte verübt werden und furchtbare Übergriffe geschehen, müssen wir nicht die Täter verständnisvoll zu entschuldigen versuchen.
Wo Gesetze gebrochen werden, soll die Polizei und die Justiz eingreifen. Dazu braucht es aber eine Justiz, die in diesem Sinn arbeitet und die Kantonspolizeien in ihrer Arbeit unterstützt und am gleichen Strick zieht.
Das sind wir nämlich den wirklichen Opfern und der Bevölkerung schuldig, die ein Recht auf ein sicheres Leben in der Schweiz haben.
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