Schmid sollte Verantwortung tragen – und somit zurücktreten
Interview mit den „Schaffhauser Nachrichten“ vom 6. August 2008
Mit Doris Kleck
Alt Bundesrat Christoph Blocher äussert sich im SN-Interview zum Fall Nef und dazu, wie er das VBS führen würde.
Schaffhauser Nachrichten: In der Schweiz können Bundesräte den Zeitpunkt ihres Rücktritts selbst bestimmen, ausgenommen sie werden nicht wiedergewählt wie in ihrem Fall, ist das gut so?
Christoph Blocher: Die Abberufung von Bundesräten ist eine alte Frage. Es wird argumentiert, dass die Abberufung in allen anderen Demokratien möglich sei. Dabei vergisst man, dass dort überall eine regierende Mehrheit einer klaren Opposition gegenübersteht. Nur die Schweiz hat eine Konkordanzregierung – zumindest bis zum 12. Dezember 2007 hatte sie dies. Die vier grössten Parteien haben zusammen regiert. In einer Konkordanzregierung sind Regierungsmitglieder auf 4 Jahre gewählt – wie bei der Volkswahl – und sie müssen ihren Rücktritt in dieser Zeit selbst bestimmen können. Ansonsten wird der Bundesrat noch mehr ein Spielball von parteipolitischen Intrigen und des Taktierens des Parlaments. Statt solcher Abberufungsspiele ist dagegen die Volkswahl des Bundesrates neu zu prüfen.
SP-Präsident Christian Levrat fordert ein Absetzungsverfahren für Bundesräte, die ihr Amt in grober Art und Weise missachten. Das ist doch ein berechtigtes Anliegen.
Wann missachten Bundesräte „ihr Amt in grober Art und Weise“? Das bestimmt dann das Parlament in politischer Weise – mit parteipolitischem Kalkül. Ist zum Beispiel die Führungsverantwortung von Bundesrat Schmid in „grober Art und Weise“ missachtet? Weil die SP, FDP und CVP ihn aus wahltaktischen Gründen halten wollen, natürlich nicht. Wäre aber ein Bundesrat in diesen Kreisen nicht erwünscht, dann wäre schon eine Kleinigkeit ein Absetzungsgrund! Das Parlament ist keine richterliche Behörde, die nach Recht und Gerechtigkeit entscheidet. Das Parlament ist eine politische Behörde. Und die Politiker werden dann immer einen Grund finden, einen Bundesrat den man mag, im Amt zu halten und einen guten Bundesrat aus parteitaktischen Gründen abzusetzen.
Samuel Schmid kann nun die Krise aber einfach aussitzen. Ist das in Ordnung?
In Ordnung ist es nicht. Aber er kann nur aussitzen, weil ihn die Regierungsparteien stützen. Sie halten Schmid, weil sie verhindern wollen, dass die SVP in die Regierung zurückkehrt. Sie verlangen nicht, dass Bundesrat Schmid die Konsequenzen zieht.
Aber Sie finden, der Fall Nef ist ein Rücktrittsgrund?
Das muss Herr Schmid selbst entscheiden. An seiner Stelle sollten er und die drei Parteien, die ihn stützen, die Verantwortung tragen.
Das heisst Rücktritt?
Was denn sonst?
Sie haben Roland Nef ebenfalls gewählt. Wie hätten Sie reagiert, wenn Schmid die Strafuntersuchung, die gegen Nef lief, publik gemacht hätte?
Mit Sicherheit verlangt, dass die Wahl des Chefs Armee erst dann erfolgt, wenn das Strafverfahren abgeschlossen ist und danach, dass der Gegenstand dieses Strafverfahrens dem Bundesrat als Wahlbehörde vorgelegt wird. Für die Besetzung solcher Ämter muss auch die Persönlichkeit betrachtet werden und wenn aus diesen Unterlagen hervorgeht, das etwas nicht stimmt, dann muss man das berücksichtigen. Ob der Bundesrat dem zugestimmt hätte, weiss ich nicht.
Fühlen Sie sich hintergangen, schliesslich trägt der Gesamtbundesrat die Verantwortung für die Wahl von Roland Nef?
Eindeutig. Das Vorgehen war nicht korrekt. Die Wahl ist unter falschen Annahmen zustande gekommen. Herr Schmid hat das Vertrauen des Bundesrates missbraucht. Bei der Besetzung von solchen Positionen muss die Persönlichkeit der Bewerber von A bis Z betrachtet werden. Ich komme ja aus der Industrie: Wenn wir nur schon einen neuen Direktor bestimmten, schauten wir die Persönlichkeitsstruktur genau an. Und dabei spielt in solchen Positionen das Privatleben auch eine Rolle. Es ist nichts Besonderes, dass man die familiären Verhältnisse eines Bewerbers betrachtet. Auch wenn ich alles andere als ein Moralist bin, kann das private Umfeld die Amtsführung beeinflussen. Das ist der Preis, den man in hoher Position bezahlt.
Können Sie nachvollziehen, dass sich Samuel Schmid überhaupt nicht für die Details der Strafuntersuchung gegen Roland Nef interessiert hat?
Herr Schmid sagt es, also nehme ich an, dem sei so. Doch in der Führung kommt es nicht nur auf das Vertrauen an. Herr Nef soll Herr BR Schmid auf die Schwachstellen ausdrücklich aufmerksam gemacht haben und aus irgendwelchen Gründen wollte Herr Schmid keinen Einblick in das Verfahren nehmen. Man kann nicht einfach grenzenloses Vertrauen schenken. Ohne die Kontrolle kommt man in der Führung nicht aus.
Herr Schmid sagt, das Zitat «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser», stamme von Lenin.
Lenin hat hier einen allgemein gültigen Führungsgrundsatz ausgesprochen. Gegenüber Untergebenen untergräbt die Kontrolle nicht das Vertrauen. Man kontrolliert, weil man ganz sicher sein will, ob die Sache richtig läuft. Vertrauen statt Kontrolle ist bequem und oft leichtsinnig. Der Fall Nef hätte sich mit Kontrolle vermeiden lassen!
Sie monieren, die anderen Parteien halten zu Schmid, weil sie die SVP nicht im Bundesrat wollen. CVP-Präsident Christoph Darbellay hat sich aber für eine Rückkehr der SVP in die Regierung offen gezeigt.
Ja, so la la. Aber er hat nicht erklärt, die Vakanz müsse jetzt durch einen Rücktritt Schmid entstehen. Die CVP will früher oder später einen zweiten Sitz. Deshalb muss die CVP Koalitionen suchen. Zudem hat die CVP für ihr Verhalten am 12. Dezember 2007 geblutet – denken Sie nur an die kantonalen Wahlen in diesem Jahr in St. Gallen, Thurgau, Uri, Schwyz und Nidwalden! Die CVP hat bemerkt, dass sie für ihr Verhalten vom 12. Dezember bezahlen muss. Will die CVP nicht weiter einbrechen und glaubwürdig sein – die CVP spricht ja immer von der Konkordanz – kann die CVP nicht zwei Vertreter einer Minipartei in der Regierung dulden. Das weiss sie.
Aber Darbellay hat auch gesagt, die CVP sei nicht der Schutzengel von Herrn Schmid.
Richtig: Wie jedermann weiss, besteht auch die CVP nicht aus Engeln. Aber die CVP hätte es in der Hand, die richtigen Entscheide zu fällen.
Sie wollen, dass Samuel Schmid zurücktritt. Wären Sie bereit, um ihn im Bundesrat zu ersetzen?
Oh, Herr Schmid wird nicht zurücktreten, da die SP, FDP und CVP ihn auf alle Fälle stützen wollen. Das macht zwar die Politik nicht glaubwürdig! Und weil Samuel Schmid nicht zurücktritt, stellt sich diese Frage nicht. Und ich beantworte keine Fragen, die sich nicht stellen.
Ihr Parteipräsident Toni Brunner sagt, sie wären der beste Mann dazu.
Zahlreiche in der SVP vertreten diese Meinung. Aber – wie gesagt – die Frage muss offen bleiben.
Aber als Bundesrat könnten Sie mehr bewirken wie als Strategiechef einer Oppositionspartei.
Das werden wir zu gegebener Zeit analysieren. Man muss sich fragen, was die Aufgabe des Bundesrates sein wird, wer sie am besten lösen kann und wie man vorgehen soll. Kommt Zeit – kommt Rat!
Hat die SVP andere valable Bundesratskandidaten?
Ja, natürlich. Aber Namensnennungen kämen zur Unzeit. Wenn es eine Mehrfachvakanz gibt, dann ist auch die Departementsverteilung wieder offen und dann wird man die Situation neu beurteilen. Die Frage wird nicht sein, wer ist der valable Kandidat – sondern der Beste.
Also rein hypothetisch, wo würden Sie als VBS-Chef den Hebel ansetzen?
Man sollte nicht von draussen sagen, was man machen würde. Die genaue Analyse ist wichtig. Aber auf alle Fälle ist die Armee heute bei einem Ernstfall nicht einsatzbereit, das muss schnell behoben werden. Es fehlt an vielen – auch kleinen – Sachen: Wenn in einer Armee Kaderangehörige einer wasserfremden Truppe auf der Kander Motivationsübungen machen, dann stimmt etwas in der Führung nicht. Nur in schlecht geführten Organisationen kommt solcher Unsinn vor. Wenn die Truppe keine Möglichkeiten mehr hat, ernsthafte Übungen zur Verteidigung unseres Landes durchzuführen, dann kommt sie auf solche Ideen.
Dann müsste im weiteren selbstverständlich die Auslandeinsätze und andere Streueinsätze auf ein gesetzliches Minimum beschränkt werden. Und weiter muss die heutige Armeestruktur, die mit dem Armeechef auch in Friedenszeiten quasi einen General kennt, rückgängig gemacht werden. Dies fordert die SVP. Die frühere Landesverteidigungskommission mit den Korpskommandanten und dem Chef des VBS war für Friedenszeiten besser geeignet. Die Schweiz braucht einen General nur in Kriegszeiten. Die künftige Bedrohungslage und das Armeeleitbild mit den Vorstellungen aus den 90iger Jahren sind dringend zu überprüfen.