Wir prüfen eine Initiative
Mit der Wirtschaftskrise wird die Politik der offenen Grenzen unter Druck kommen, glaubt Christoph Blocher (68). Eine Initiative soll eine neue Lösung bringen.
Herr Blocher, landauf, landab kämpfen Schweizer Unternehmer für ein Ja bei der Abstimmung am 8. Februar. Sie unterstellen diesen Unternehmern egoistische Motive. Weshalb?
Christoph Blocher: Nicht Egoismus, sondern Eigennutz. Die Unternehmer haben verständlicherweise ein Interesse, aus 470 Millionen statt 7,5 Millionen Einwohnern wie in der Schweiz auswählen zu können.
Das ist doch ein volkswirtschaftlicher Vorteil!
In der Hochkonjunktur ja, aber nicht in der Rezession. Was geschieht, wenn die gleichen Unternehmer die Leute wieder entlassen müssen? Ein verantwortungsvoller Unternehmer muss langfristig denken.
Grundsätzlich sind Sie aber doch für die Personenfreizügigkeit?
Ich bin dafür, dass wir die Arbeitskräfte kriegen, die wir brauchen. Aber ich bin nicht dafür, dass alle bleiben können, sobald sie arbeitslos sind. Aber jetzt haben wir die Verträge unterschrieben, und wir sollten dazu stehen, sie also nicht kündigen – aber nicht noch das Abenteuer auf Rumänien und Bulgarien ausweiten.
Was stört Sie denn an der erweiterten Freizügigkeit für Bulgarien und Rumänien?
Das sind zwei der ärmsten Länder Europas. Beide Staaten weisen eine hohe Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Korruptionsrate auf. Die werden importiert.
Das sind aber boomende Wirtschaften, die sich entwickeln.
Das war die Meinung in der Hochkonjunktur.
Sie scheinen sich speziell vor den Roma zu fürchten. Warum?
Das Problem sind die Fahrenden, nicht die Roma. Es gibt auch Roma mit festem Wohnsitz. Es ist sehr schwierig, die zurückzuschaffen.
Warum wäre es denn so schwierig, die Fahrenden wegzuschicken?
Wir haben schon grosse Mühe, einen Afrikaner per Flugzeug heimzuschaffen. Es ist praktisch unmöglich, eine ganze Gruppe von Fahrenden samt ihren Wohnwagen zwangsweise auszuschaffen! Daran arbeitet nun Italien verzweifelt.
Wo sind denn die Fahrenden der fraglichen EU-Länder, mit denen wir heute schon die Personenfreizügigkeit praktizieren, etwa aus der Slowakei?
Diese Volkswirtschaften sind viel weiter fortgeschritten. In Spanien, das seit dem 1. Januar 2007 die volle Freizügigkeit mit Rumänien und Bulgarien kennt, sind 730000 Rumänen und 150000 Bulgaren eingereist. Spanien versucht dies rückgängig zu machen, weil es ein Riesenproblem ist. Und die kleine Schweiz will hier öffnen!
Sie sind kurz vor den Schlussverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien als Bundesrat abgewählt worden. Was wäre Ihr Verhandlungsziel gewesen?
Eigentlich wollte ich überhaupt nicht verhandeln, aber der Bundesrat wollte es so. Also kämpfte ich für möglichst lange Übergangsfristen. Dann wollte ich Sonderregelungen für die 2,5 Millionen Fahrenden aus Rumänien und Bulgarien. Doch dann wurde der Vertrag ohne diese Klausel abgeschlossen! Im schlimmsten Fall hätten wir keine Freizügigkeit für Personen ohne festen Wohnsitz zulassen können.
Eine Sonderlösung für Fahrende, womöglich noch mit einem Stempel im Pass. Das erinnert sehr an ein dunkles Kapitel unserer Geschichte.
Nur keine falschen Parallelen! Es geht um objektive Voraussetzungen. Viele EU-Länder suchen jetzt eine Lösung. Sehen Sie: Es gibt kein einziges Land auf der Welt, das eine Personenfreizügigkeit hat. Die kleine Schweiz ist das einzige Land, das sich diese Verrücktheit erlaubt. Die typischen Einwanderungsländer USA, Kanada, Australien und Japan – kein Land kennt eine Personenfreizügigkeit. Das wäre für sie ein Abenteuer. Und für die Schweiz wird es eines!
Aber die EU-Staaten.
Die europäischen Staaten können dies nur innerhalb der EU. Diese Länder wollen keine Staaten mehr sein und haben deshalb ihre Souveränität an die EU abgetreten. Die Schweiz ist ein souveräner Staat!
So absolut stimmt das weder für die Schweiz noch für die Staaten der Europäischen Union.
Von Deutschland heisst es, es würde nur noch 17 Prozent aller Gesetze selber erlassen. Die Schweiz dagegen ist noch ein souveränes Land.
Was wäre dann für Sie die richtige Lösung?
Leute aus der ganzen Welt sollten in der Schweiz arbeiten können, wenn sie einen Arbeitsvertrag haben. Wenn der Arbeitsvertrag abläuft, müssen sie die Schweiz wieder verlassen. Nur wenn sie lange genug da sind, bekommen sie eine Niederlassungsbewilligung. Mit der vollen Personenfreizügigkeit ist es dagegen möglich, dass einer, der vorher in der EU gearbeitet hat und nach nur einem Arbeitstag in der Schweiz arbeitslos wird, Arbeitslosengelder und die schweizerischen Sozialleistungen während fünf Jahren bezieht.
Diese Woche sagte die CVP an einer Pressekonferenz, ein Nein am 8. Februar bedeute zwingend das Ende der bilateralen Verträge. Sie widersprechen.
Es gibt keinen Automatismus und keine Guillotine. Nur wenn der Bundesrat die Bilateralen kündigen würde, wäre dies das Ende. Doch der Bundesrat ist nicht so dumm, dass er das täte. Er hätte auch keinen Auftrag vom Volk dazu.
Der Bundesrat hat keinen Plan B. Was sollte er tun, wenn es wider Erwarten ein Nein gäbe?
Bei einem Nein muss der Bundesrat das Abstimmungspäckli wieder aufmachen und jede Vorlage separat vorlegen, wie er das ja ursprünglich machen wollte. Die Weiterführung könnte sofort beschlossen werden. Es dürfte nicht einmal ein Referendum geben. Also keine Probleme…
Auf jeden Fall dann nicht, wenn die Schweizer in drei Wochen mit Ja stimmen.
Aber mit dem Ja zur Personenfreizügigkeit am 8. Februar wird die Schweiz grosse Probleme und eine hohe Arbeitslosigkeit erhalten. Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung stellt sich die Frage: Unter welchen Bedingungen darf der Arbeitsmarkt geöffnet werden? Die SVP sollte prüfen, ob sie eine Initiative für eine eingeschränkte Personenfreizügigkeit lancieren soll. Wir wollen nichts zerstören. Aber man kann alles neu verhandeln.
Ist das schon von den Parteigremien abgesegnet worden?
Dieses Projekt werde ich nach der Abstimmung neu in die Partei tragen. Ich gehe davon aus, dass die Parteigremien mitziehen. Denn die SVP weiss: Die Personenfreizügigkeit in dieser Form können die Schweizer nicht verkraften.