«Ich sass hin, eine Nacht lang»
Interview in der «Weltwoche» vom 19. November 2009 mit Urs Gehriger
VBS-Chef Ueli Maurer fordert 700 Millionen Franken mehr für die Armee. Sie erteilen dem Verlangen eine brüske Absage. Kein Rappen über Budget dürfe gesprochen werden. Trauen Sie Ihrem Bundesrat nicht?
Ein Problem zu lösen mit mehr Geld, ist immer am einfachsten. Gibt man in der Bundesverwaltung einen Auftrag, kommt die Antwort wie von einem Roboter: Ich brauche mehr Geld und mehr Leute. Für mich als Industrieller heisst es stets: Auftrag ausführen mit mehr Erfolg bei niedrigeren Kosten.
Die SVP-Parteileitung will also den eigenen Bundesrat disziplinieren?
Das Parlament muss den Bundesrat endlich zwingen, Konzeptionen vorzulegen und mit den budgetierten Mitteln zu haushalten. Es sind immerhin 4 Milliarden Franken pro Jahr.
Bundesrat Maurer bezeichnet ihre Vorgabe als „realitätsfremd“.
Vor seiner Wahl hatte BR Maurer das VBS als „Sauladen“ bezeichnet. Heute konstatiert er, der Zustand sei schlimmer, als er früher geglaubt habe. Viele Fehlinvestitionen und zu vieles funktioniert nicht. Wo man soviel falsch machen konnte, ist zuviel Geld vorhanden. Zuviel für das Falsche – zuwenig für das Richtige. Was gibt es für Varianten um mit einem Kostendach von 4 Milliarden das Land zu verteidigen? Welche dieser Varianten ist die beste? Wenn dies – immer in bezug auf künftige Bedrohungen – gemacht wird, dann kann entschieden werden.
Auch die Militärexperten ihrer Partei wehren sich. Nationalrat Roland Borer zum Beispiel bezeichnet ihr Armee-Papier als „Luftheuler“.
Mir hat er das nicht gesagt. Die Kritiker Borer und Thomas Hurter wollen jetzt sofort ein neues Kampfflugzeug. Diesen Entscheid jetzt zu fällen, ist verfrüht. Eine weitere, kleinere Minderheit in unserer Partei will der Armee soviel Geld geben, wie das VBS fordert! Das ist fahrlässig. Wer ein Unternehmen so führt, macht Konkurs.
Sie orten im VBS einen „Speckgürtel“ von 20 Prozent. Wie kommen Sie auf die Zahl?
Zu meiner Zeit als Bundesrat verordnete ich meinem Departement eine Kostensenkung von mindestens 20 Prozent. Schlussendlich reduzierten wir um 22 Prozent, ohne eine Leistung abzubauen. Das ist auch im VBS mit gezieltem Vorgehen möglich.
Einige Sparideen haben sie bereits in die Runde geworfen: Die „Abschaffung des VBS“ zum Beispiel, oder der „Verkauf aller Armee-Liegenschaften“. Ist das Ihr Ernst?
Zuerst muss man mit extremen Vorgaben arbeiten. Mehr Armee – weniger VBS mit dezentralen Strukturen ist ernsthaft zu prüfen. Es sind Impulse. Viel anderes ist auch zu prüfen: Immer mit dem Ziel: mehr Wirkung und weniger Kosten. Das müssen heute Tausende von Betrieben tun. Warum nicht die Bundesverwaltung?
Bevor man solche Varianten ausarbeiten kann, muss man sich über die Bedrohungen im Klaren sein. Wo orten Sie die Feinde der Schweiz?
Richtig. Was sind die künftigen Bedrohungen? Wie der künftige Krieg aussieht, weiss man immer erst im Nachhinein. Er wird jedenfalls anders sein als früher. Es geht aber auch in Zukunft um Macht, Geld, Kommerz, Terrorismus, Öl, Wasser, Geschichte, Freiheits- und Selbstbestimmungsdrang von Minderheiten mit religiösen, politischen und ethnischem Hintergrund. Dabei liegen die internationale Kriminalität, mafiaähnliche Strukturen, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen, terroristische Überraschungen als mögliche Gefahren auf der Hand.
Wie wappnet man sich gegen solche Gefahren?
Indem man viel Erdenkliches übt, um dann die Überraschung besser bestehen zu können. Zuerst ist die Polizei am Zug. Wenn sie an ihr Limit gelangt, braucht man Soldaten. Gut ausgerüstete Soldaten zur Beobachtung, Überwachung, Bewachung. Leute, die im bekannten Raum, die Menschen vor heute Unbekanntem schützen können. Das heisst, üben von Ortskampf, Abschreckung, Abwehr, Verteidigung. Eine Art moderne territoriale Infanterie. Dafür eignet sich am besten die Milizarmee: Wenn man sie nicht braucht, ist sie zu hause. Wenn man sich braucht, kann sie innert Kürze in grosser Zahl aufgeboten werden. Sie ist: Integriert in die Wirtschaft und Gesellschaft. Ortskundig. Die Bilanz der hochtechnischen Armeen der Nachkriegszeit ist für Angriffsarmeen bescheiden. Ganz zu schweigen für eine Verteidigungsarmee.
Ein Abbau drängt sich auf, bedingt durch die demographische Entwicklung.
Wir haben doch heute nicht weniger Leute als im Zweiten Weltkrieg. Aber wenn man Wehrpflichtige so grosszügig ausmustert wie in den letzten Jahren und Dienstunwillige in den Zivildienst entlässt, dann fehlt es natürlich an Soldaten.
Die Geburtenrate ist rückläufig. Entsprechend muss die Armee personell und finanziell reduziert werden. Das ist ein Beschluss des Bundesrates vom November 2008.
Diesen Entscheid hat ex-VBS-Chef Samuel Schmid vor seinem Rücktritt noch durchgedrückt, ohne jede gründliche Grundlage. Natürlich hat man nicht nur von den möglichen realistischen Bedrohungen, sondern auch von den möglichen personellen und finanziellen Mitteln auszugehen.
Und wie wehrt sich die Armee gegen Terroristen?
Indem wir unsere Stärke ausspielen. Wir kennen unser Land. Die Entwicklung gilt es dauernd zu beobachten. Nachrichten zu sammeln. Hören, sehen, vorbeugen. Das Gelände ist unser bester Verbündeter. Wenn wir die modernen Kriege ansehen, stellt man fest, dass der Heimvorteil kriegsentscheidend sein kann. Darum müssen wir an Ort das mögliche Geschehen im eigenen Land üben, und nicht in Sizilien und Amerika. Ganz wichtig ist die bewaffnete Neutralität. Durch die Neutralität werden wir weniger zum Angriffsziel. Gerade auch gegenüber Terroristen. Es gibt Kräfte in unserer politischen und militärischen Elite, die die Neutralität beseitigen wollen. Sie halten nur noch verbal daran fest.
Wie Bundesrat Maurer fordern Sie für die Schweiz die beste Armee der Welt. Ist das nicht etwas hoch gegriffen?
Nein, aber sie ist im Positionspapier präzisiert. Sie muss nicht in Amerika oder in Afghanistan die beste sein, sondern „die beste Armee der Welt zur Verteidigung des unabhängigen und neutralen Kleinstaates Schweiz.“ Nur dann schreckt sie einen Gegner ab.
Gibt es ein historisches Vorbild für diese „beste Armee“?
Alle kleinen Armeen, die in der Geschichte im Land gewonnen haben. Die spektakulärste ist wohl der Vietkong. Der Vietkong operierte mit simplen, aber effektiven Mitteln. Ich war in diesen unterirdischen Gängen und dem KP von Ho Chi Minh. Gänge, die sich trichterförmig verengen, so dass die korpulenteren Amerikaner, aber nicht die Vietnamesen, darin stecken blieben. Der Kampf mit einfachsten Mitteln unter Ausnützung der lokalen Verhältnisse und der Schwäche des Gegners. Aber auch die Schweizer Armee im Zweiten Weltkrieg: Die Armee im Gebirge, das den Gegner abschreckte. Die Dissuasion hat gespielt.
Wie viele Soldaten braucht die Armee, die Ihnen vorschwebt?
Diese Frage muss ich jetzt nicht beantworten. Im Friedensfall hat man immer zuviel und im Ernstfall immer zu wenig. Was wieder für die Milizarmee spricht. Wir erwarten Antworten mit unserem Vorstoss. Es gibt Varianten.
Eine Armee die quer über die Schweiz an allen Ecken und Enden platziert ist?
Sie muss im Stande sein, Gefährdungen, die an mehreren Orten gleichzeitig erfolgen, abzuwehren. Eine Armee die so mobil ist, die man von Zürich nach Genf verschieben kann, funktioniert, wenn es nicht in Genf und Zürich gleichzeitig losgeht. Ein asymmetrischer Gegner schlägt jedoch häufig an verschiedenen Orten zu. Aber ich will nichts vorwegnehmen. Die Konzeptionsvarianten zur künftigen Verteidigung soll nun der Bundesrat vorlegen.
Mit dem Papier haben Sie sich sozusagen als Schatten-Militärminister positioniert und die Armee-Debatte in eine neue Richtung gelenkt. Was ist ihr Motiv?
Es geht mir um eine Belebung der Debatte. Als ich nach 14 Tagen – abgeschnitten von der Welt – aus Nordkorea heimkam, traf ich ein riesiges Durcheinander an, auch in der eigenen Partei. Die einen riefen: „Kampfflugzeuge sofort!“ Andere meinten: „Kosten senken, keine Flieger!“ Dann las ich in der Zeitung, Bundesrat Maurer habe beantragt, keine Kampfflieger zu beschaffen. Der Bundesrat habe ihn im Stich gelassen und auf der Flugzeugbeschaffung beharrt, ohne jedoch dafür die nötigen Finanzmittel zu sprechen. Schliesslich habe die Sicherheitspolitische Kommission (SIK) neue Kampflugzeuge und mehr Geld verlangt. Da sagte ich mir: Jetzt ist ein geordnetes Vorgehen am Platz.
Dann sind Sie hingesessen und haben das Armee-Papier verfasst?
Ich sass hin, eine Nacht lang, und habe einen ersten Entwurf eines Positionspapieres geschrieben. Dieses sendete ich den Verantwortlichen in der Partei. An einem Sonntag, Anfang November, morgens um 8 Uhr, trafen wir uns. Mit dabei: der Partei- und Fraktionspräsident, der Parteisekretär, ein Mitglied der SIK und selbstverständlich auch unser Bundesrat. Das Papier wurde bereinigt. Ein zweiter Entwurf wurde der Parteileitung zur Stellungnahme unterbreitet. Ein 3. Entwurf entstand. Dann beschloss die Parteileitung. Es folgte die Orientierung der SIK- und der Finanzkommissionsmitglieder. Das Papier wurde verdeutlicht. Dann der Presse vorgestellt, damit es in der Öffentlichkeit frei diskutiert werden konnte. Schliesslich wurde es von der Fraktion mit vier Gegenstimmen verabschiedet. Was ist hier auszusetzen?
Bundesrat Maurer war von Beginn weg eingeweiht?
Selbstverständlich. Wir arbeiten mit offenem Visier. Das gilt vor allem auch, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Niemand verlangte von Ueli Maurer, dass er dem Papier zustimme. Das ist seine Sache. Aber wir wollten seine Meinung hören. Natürlich will er mehr Geld. Aber er erklärte in der Fraktion, er könne mit diesem Positionspapier leben, und er habe die Untersuchungen über Varianten bereits in Auftrag gegeben.
Die ganze Aktion ist also kein Rückenschuss auf Maurer, sondern ein taktischer Schachzug: Indem Sie das VBS in ein Budgetkorsett zwingen, bringen Sie die Mitteparteien in Zugzwang.
Wir können niemanden von der Entscheidung dispensieren. Die Sozialdemokraten und Grünen klammere ich aus. Sie sind ja nicht für die Armee. Aber FDP und CVP, aber auch die SVP selbst, müssen sich dann entscheiden: Wenn sie tatsächlich der Meinung sind, 4 Milliarden seien zuwenig, müssen sie mehr Geld sprechen. Aber auch sagen, wo sie es auftreiben wollen. Ich bin der Meinung, bei guter Führungsarbeit kommt man mit 4 Milliarden durch.
In Ihrer Partei scheint die Stossrichtung der Sparübung bereits vorgezeichnet: Fraktionschef Baader zum Beispiel hat gesagt, durch die Streichung der Auslandeinsätze könnten 300 Millionen gespart werden. Gibt es überhaupt Auslandeinsätze, die Sie befürworten?
Das alles sind Impulse und Varianten. Sie müssen sicher geprüft werden. Ich war immer der Meinung, dass Schweizer Armeeeinsätze im Ausland nichts bringen. Sie sind ein Leerlauf. Die Interventionseinsätze aller Länder sind weltweit gescheitert.
Sie sehen keinen Sinn in friedenserhaltenden Einsätzen?
Ausser dem schönen Namen machen sie keinen Sinn.