Von EU und Schweiz, Hitler und Demokratie
Zum Gespräch zwischen Peter Haffner und Saul Friedländer – meine Entgegnung im Magazin Nr. 6 des Tages Anzeigers vom 26. Februar 2011
Für gewisse Journalisten ist die Masche beliebt: Der Interviewer verpackt in seiner Frage irgendeine Dumm- oder Bosheit über eine bestimmte Person, um vom unwissenden Gesprächspartner die gewünschte Distanzierung zu erhalten.
>So verfährt der Journalist Peter Haffner in seinem Gespräch mit dem Historiker Saul Friedländer („Magazin“ Nr. 6.) indem er als Interviewer gleich in der ersten Frage behauptet, die Europäische Union werde „von Schweizer Nationalkonservativen“ (so wird die SVP von ihren Gegnern verunglimpft) «als Projekt beschimpft, das seine Wurzeln in der Nazi-Ideologie hat». Und EU-Befürworter würden «in die Nähe der ‚Nazis’ gerückt».
Es handelt sich um bösartige Anschuldigungen an die Adresse der SVP. Dergleichen Unsinn wäre eine völlig verfehlte Verharmlosung der Nazis und eine ebenso verfehlte Verteufelung der EU.
EU als intellektuelle Fehlkonstruktion
Tatsächlich setzt sich die SVP seit Beginn der 1990er Jahre kritisch mit der Europäischen Union – damals noch EG – auseinander. Die SVP war und ist entschieden gegen einen Beitritt der Schweiz zur EU oder zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).
Die EU ist eine intellektuelle Fehlkonstruktion, denn sie missachtet die europäische Wirklichkeit: Europa zeichnet sich aus durch seine Vielfalt. Und diese fruchtbare, sinnvolle Vielfalt, die sich im Bestehen zahlreicher sich konkurrierender Staaten und auch im wirtschaftlichen Wettbewerb bewährt, wird von der Brüsseler Bürokratie missachtet.
Selbstverständlich strebten die Gründerväter der EU nach der Katastrophe zweier Weltkriege nur nach dem Besten. Sie nannten ihr Konstrukt ein „Friedensprojekt“, welches verhindern solle, dass auf dem europäischen Kontinent jemals wieder Krieg ausbrechen könne. Mag dies damals das Motiv gewesen sein, so ist der Zweck der EU heute ein ganz anderer. Ich selber bin immer etwas skeptisch, wenn Politiker von Friedensprojekten sprechen. Denn allzu oft wollen sie damit Kritik an ihren Vorhaben verhindern – nach dem Motto: „Wer mich kritisiert, ist gegen den Frieden.“ Ich glaube nicht, dass gemeinsame Wirtschafts- und Währungsräume entscheidend sind für die Friedenssicherung. Sondern möglichst weitgehende demokratische Volksrechte und möglichst gut organisierte, überblickbare, weltoffene Marktwirtschaften. Ich weiss von keinem Beispiel in der Geschichte, dass zwei Demokratien gegeneinander Krieg geführt hätten.
Es wäre nun freilich etwas zu billig, diese Kritik erst heute anzubringen, wo die Folgen der Fehlkonstruktion zutage treten. Doch in der Schweiz wurde diese Auseinandersetzung schon vor zwanzig Jahren intensiv geführt. Und die Mehrheit des Schweizer Volkes hat schon damals die Weichen für ein selbständiges Land gestellt. Die heute bessere Situation der Schweiz ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass sie weder Mitglied der EU noch des EWR ist und sich ihre Staatssäulen „Souveränität“, „Selbstbestimmung“, „Direkte Demokratie“, „Freiheitsrechte der Bürger“, „Sicherheit“ und „Neutralität“ weitgehend bewahren konnte. Im Gegensatz dazu werden die Klagen über Bürgerferne und Demokratiedefizite innerhalb der EU immer lauter. Die dramatischen Folgen der gewaltigen Umverteilung werden sichtbar. Zur Rettung des Euros muss notgedrungen die Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der einzelnen Länder noch mehr zentralisiert und harmonisiert werden.
Das Ding vom „geostrategischen Unding“
Mit der Unterstellung des Interviewers, die EU-Befürworter würden „in die Nähe der ‚Nazis’ gerückt“, spielt er wohl auf meine Auseinandersetzung mit dem Chef der Eurozone, Claude Juncker, an. Dieser hat im Dezember 2010 über die Schweiz gesagt: „Es bleibt nämlich ein geostrategisches Unding, dass wir diesen weissen Fleck auf der europäischen Landkarte haben.“ Ich empfinde diesen Satz als ausgesprochen feindselig und gefährlich. Unser Land sei ein weisser Fleck, also etwas gar nicht Vorhandenes. Und es werde von der EU als „geostrategisches Unding“ wahrgenommen. Also nicht einmal als Ding, sondern sogar als Unding – laut Duden etwas „Unmögliches“, „Unsinniges“. Ganz sicher etwas, das man entfernen und ausmerzen muss. Ich habe Herrn Juncker nie in die Nähe der Nazis gerückt, wohl aber daran erinnert, dass seine Aussagen über die Schweiz jenen ähneln, die einst die Nazis über die Schweiz von sich gaben.
Die Schweiz als direktdemokratischer Sonderfall
Wenn die Schweiz heute nicht Mitglied der EU ist und einen „weissen Fleck“ auf der europäischen Landkarte darstellt, verdanken wir dies nicht den Politikern und den so genannten Eliten. Sondern einzig dem Sonderfall unserer direktdemokratischen Volksrechte. Das ist und bleibt ein Ärgernis für jene Schweizer Politiker, die in die EU drängen, und für die EU-Staaten. Darum versuchen manche Vertreter der so genannten Elite im In- und Ausland, Volksentscheide zu relativieren, anzuzweifeln und schlecht zu machen. Sie warnen vor Volksentscheiden, mit dem Hinweis, Hitler sei schliesslich durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen.
Schlussendlich hat die damalige politische Elite – und nicht das Volk – Hitler an die Macht gebracht. Das sei historisch falsch, belehrt Historiker Friedländer. Um dann genau meine Aussage zu bestätigen: Im Juli 1932 erreichte Hitlers Partei 37,4 Prozent der Stimmen, im November nur noch 33,1 Prozent. „Im Januar 1933“ – sagt Friedländer – „riet Franz von Papen Hindenburg, Hitler zum Kanzler zu machen.“ Von Papen war ein einflussreicher katholischer Politiker, Ex-Feldmarschall von Hindenburg war damals Reichspräsident.
Hitler ist zwar als Reichtagsabgeordneter gewählt worden. Er hat aber nie die Mehrheit des deutschen Volks in einer demokratisch durchgeführten Wahl hinter sich gebracht Und er ist nie demokratisch zum Reichskanzler gewählt worden. Es waren die Eliten, die ihm den Weg ebneten, was Saul Friedländer – allerdings mehr zwischen den Zeilen – bestätigt.
Friedländer erwähnt, dass Hitler im März 1933 44 Prozent der Stimmen erhielt. Aber er verschweigt, dass Hitler damals mit lediglich 33,1 Prozent im Rücken bereits Reichskanzler war. Und Friedländer übergeht auch, dass die Wahlen vom März 1933 bereits durch Terror, Parteienverbote, KZ-Inhaftierung von Oppositionellen und Repressalien gegen politische Gegner manipuliert waren. So erreichte Hitler 43,9 Prozent. Es waren die letzten – bereits nicht mehr freien – Wahlen in seinem Reich. Und der Diktator hätte kaum raschmöglichst alle andern Parteien verboten, das Parlament entmachtet und die Demokratie abgeschafft, wenn er sich der Zustimmung des Volkes so sicher gewesen wäre.
Volksentscheide müssen gelten
Auch wenn man es immer aufs Neue versucht: Die Machtübergabe an Hitler eignet sich nicht, um die demokratischen Volksrechte in der Schweiz schlecht zu reden und dem Volk Abstimmungen, die der Classe politique widerstreben, vorzuenthalten, wie dies zur Zeit unter Berufung auf angebliche Völker- und Menschenrechte versucht wird. Ich bin zwar weit davon entfernt, Volksentscheide für Gottes Stimme zu halten und als unfehlbar zu idealisieren. Die Mehrheit kann auch Unrecht haben. Das gilt allerdings auch für Mehrheiten von Parlament und Regierung. Für die Schweiz, wo gemäss Verfassung das Volk der Souverän ist, muss gelten: Was das Volk entscheidet, das gilt.
Natürlich sind in einem Staat Entscheide durch Volk oder Behörden denkbar, die für unser Gewissen und Rechtsempfinden so schwerwiegend ungerecht sind, dass man sie missachten muss. Es gilt dann das persönliche Widerstandsrecht. Wer sich darauf beruft, wird die harten Konsequenzen – Busse, Gefängnis, im Extremfall sogar den Tod – ertragen müssen. Aber Hand aufs Herz: Hat das Schweizer Volk seit Bestehen der Demokratie je einmal solche Entscheide getroffen? Wie aber sah und sieht es bei jenen Staaten aus, welche die direkte oder gar indirekte Demokratie nicht kannten oder noch immer nicht kennen?
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