Die Schweiz verdankt Basels Bürgermeister die Souveränität
Buchrezension für die Basler Zeitung
Dass Basel seinen Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein in hohen Ehren hält, erkennt man leicht an der nach ihm benannten Strasse, der Brücke und dem Platz. Wettstein stammte zwar aus keinem Basler Geschlecht: Sein Vater war als Weinbauer aus der Zürcher Oberländer Gemeinde Russikon zugewandert, brachte es zum Basler Spitalmeister und ermöglichte dem Sohn eine glänzende Laufbahn im Staatsdienst. Als Basler Bürgermeister gilt er für mich als wohl grösste diplomatische und politische Begabung der Alten Eidgenossenschaft.
Zwar blieb Wettstein innenpolitisch dem absolutistischen Gedankengut von schroffer Trennung zwischen Obrigkeit und Untertanen verhaftet; er befürwortete sogar die Hinrichtung der Anführer im Bauernkrieg.
Doch sein grosser Erfolg ist ein aussenpolitischer: Ihm verdankt die Schweiz nämlich die staatsrechtliche Anerkennung der Neutralität und Unabhängigkeit vom deutschen Reich. Umso erfreulicher ist, dass der Römerhof Verlag in seine Reihe ungewöhnlicher Biografien neuerdings auch Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) aufgenommen hat.
Es handelt sich dabei um eine Neuauflage der romanhaften Erzählung „Der Schweizerkönig“ von Mary Lavater-Sloman aus dem Jahr 1935. Diese aus Hamburg stammende, mit einem Stadtzürcher verheiratete Autorin schuf sich einen Namen mit zahlreichen Erzählungen über bedeutende Figuren der Schweizer Geschichte. Dabei machte Lavater-Slomann aus ihrer demokratischen Überzeugung und ihrer Ablehnung von Diktatur und Totalitarismus kein Geheimnis. So auch im Werk „Der Schweizerkönig“, wo Johann Rudolf Wettstein seinen Neffen Rudolf Burckhardt „in ärgerlicher Verblüffung“ fragt: „Einen Vogt wünschest Du uns, Ruedi, der das Volk mit der Peitsche der Gewalt zusammentreibt? … Ehe ihr es euch verseht, würde die Peitschenschnur sich klatschend um euch schlingen und euch zusammenbündeln – zusammenbündeln zu einem wehrlosen, entmündigten Haufen!“
Im Mittelpunkt des Romans steht Wettsteins bedeutendste Leistung, nämlich die fast einjährige Mission an die Friedensgespräche von Münster und Osnabrück (1646-1648) nach den furchtbaren Schrecken des Dreissigjährigen Krieges.
Aktenkundiges vermischt sich bei der Autorin geschickt mit Erfundenem; sie schiebt eine frei erdachte Liebesbeziehung dazwischen, auch wenn sie sich im Wesentlichen an Briefe, Tagebücher und offizielle Berichte hält. Die Basler Leserinnen und Leser dürfte speziell einiges an Lokalkolorit erfreuen. Beschrieben wird etwa die familiäre Atmosphäre im Wettsteinhaus in Riehen, aber auch Wettsteins frühes Entlaufen in Venezianische Dienste aus der Ehe mit der fünf Jahre älteren Anna Maria Falkner; sie wurde ihm später gleichwohl eine bedeutsame Stütze und war wie geschaffen für ihre Aufgaben als Gattin eines Bürgermeisters. Hübsch geraten ist auch die Szene der Ankunft im fernen Osnabrück, wo der begleitende Sohn Fritz „aus den Tiefen seines Proviantsackes das eifrig gehütete Päckchen heimatlicher Leckerli“ hervorzieht. So haben sich aus Wettsteins Zeit nicht nur die Souveränität, sondern auch die „Basler Leckerli“ erhalten. Ich hoffe, dass man beidem weiterhin Sorge tragen wird !
Johann Rudolf Wettstein erhob geschickt die Vorladung eines Basler Bürgers vor das Reichskammergericht in Speyer zur Sache der eidgenössischen Tagsatzung. Gegen die zögerliche Vorsicht der heimischen Handelsherren packte er mit grösserer Weitsicht und erstaunlicher Tatkraft die einmalige Gelegenheit beim Schopf. Ihm ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die seit dem Schwabenkrieg (1499) faktisch bestehende, nunmehr auch formell zu bestätigende Loslösung vom römischen Reich deutscher Nationen. Wettstein reiste 1646 ohne Einladung und vorerst ohne Legitimierung der katholischen Orte an die Westfälischen Friedensverhandlungen. Nach langwierigem, zähem Ringen mit den Abordnungen von Kaiserreich, Frankreich und Schweden erreichte er schliesslich die Bestätigung der vollen Souveränität und bewaffneten Neutralität der Schweiz.
Der Roman von Mary Lavater-Sloman schildert packend das Wechselbad der Gefühle des Basler Bürgermeisters angesichts der Winkelzüge, Geheimdiplomatie und Intrigen der fremden Gesandten. Dennoch sicherte er sich bei ihnen durch taktsicheres, selbstbewusstes, aber jederzeit ehrliches Auftreten grössten Respekt, der ihm sogar den Ehrentitel „Schweizerkönig“ eintrug. Dabei musste Johann Rudolf Wettstein mit seinem kleinen Gefolge in bescheidensten Verhältnissen hausen. Die Basler hielten ihn so knapp wie nur möglich und warfen ihm in ihren Schreiben obendrein noch eine verschwenderische Hofhaltung vor. Dabei residierte der Basler Bürgermeister geradezu „ärmlich“.
So konnte er dem schwedischen Bevollmächtigten anlässlich eines Besuches lediglich einen Stuhl anbieten, an dem die eine Lehne fehlte. Nach Hause schrieb er darüber: „Ich bin übereilt worden, hätte sonst die andere zur Erhaltung der schweizerischen Reputation auch noch abgebrochen.“
Immer den Auftrag und das Ziel vor Augen, steckte Wettstein solch unerfreuliche Ereignisse ebenso weg wie seinen angeschlagenen Gesundheitszustand. Die Vorteile einer klugen Neutralitätspolitik waren ihm wohlbewusst, hatte sich doch Basel seit seinem Eintritt in den eidgenössischen Bund verpflichtet, bei Streitigkeiten stille zu sitzen und sich um Vermittlung zu bemühen.
Durch ganz persönliches Bemühen errang Johann Rudolf Wettstein dank Augenmass, Hartnäckigkeit und diplomatischer Gewandtheit für die gesamte Schweiz Bedeutendes – trotz beschränkten Instruktionen und bloss halbeidgenössischer Vollmacht: nämlich die endgültige Loslösung vom Reich. Dies entsprach genau jenen Vorstellungen, wie sie Basels grosser Bürgermeister gleich zu Beginn des Westfälischen Kongresses formuliert hatte: „Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.“ Man wünschte sich dies als ewiges Verhandlungsmandat unseres Bundesrates!
Mary Lavater-Sloman: Der Schweizerkönig Johann Rudolf Wettstein. Römerhof, Zürich 2011, 239 S., Fr. 36.-.
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