Das Beitrittsgesuch war folgerichtig
Artikel NZZ Online vom 27. November 2012 zum Thema 20 Jahre EWR/EU-Nein
Interview mit Simon Gemperli
Herr Blocher, wo stünde die Schweiz heute, wenn Volk und Stände am 6. Dezember 1992 für den EWR gestimmt hätten?
Wir wären in der Europäischen Union. Die Schweizer hätten bemerkt, dass der EWR-Vertrag ein Kolonialvertrag ist, und darum hätte man sich wohl für die Integration entschieden.
Was macht Sie so sicher? Es gibt Länder, die im EWR sind, aber nach zwei Jahrzehnten immer noch nicht in der EU.
Neben dem Sonderfall Liechtenstein, mit dem wir uns nicht vergleichen können, ist es nur noch Norwegen, nachdem Island beschlossen hat, der EU beizutreten. Die Norweger sitzen in der Tinte. Ohne Referendum beschloss Norwegen den EWR, weil die Regierung dann in die EU wollte. Das kam dann vors Volk und wurde abgelehnt. Weil das Land vor allem von den Erdöleinnahmen lebt, ist dies nicht so tragisch, aber sehr unbefriedigend. All die anderen früheren Efta-Staaten sind unterdessen der EU beigetreten. Auch der Bundesrat wollte dies von Anfang an, weil er das Problem erkannte.
Inwiefern?
Der EWR ist ein Kolonialvertrag. Die EU bestimmt über ein fremdes Land, ohne dass dieses selbst bestimmen kann. Deshalb hat der Bundesrat in der Botschaft zum EWR auch geschrieben, der EWR sei nur die erste Etappe in Richtung EU. Bundesrat Delamuraz sagte, der EWR sei „le premier étage pour la maison de l’Europe“. Bundesrat Ogi sprach, der EWR sei das Trainingslager für die EU. Ständerätin Spoerry erklärte, der EWR sei nur die Verlobung, aber nicht die Heirat. Wer verlobt sich, wenn er nicht heiraten will?
Ursprünglich stellte Kommissionspräsident Jacques Delors einen EWR in Aussicht, in dem die Efta ein Vetorecht erhalten hätte. Hat die Schweiz schlecht verhandelt?
Ich mache niemandem Vorwürfe. Die EU wollte nie wirklich eine Mitbestimmung für Drittstaaten. Die Schweiz hatte am Schluss die Wahl, den ausgehandelten Vertrag als einziges Land abzulehnen. Kommissionspräsident Delors sagte: Wenn eine der Regierungen nein stimmt, erhalten alle nichts. Wahrscheinlich konnte damals Bundesrat Delamuraz nicht anders an der entscheidenden Schlussverhandlung, als Ja zu sagen.
Zu welchem Zeitpunkt ahnten Sie, dass Sie den Abstimmungskampf gewinnen würden?
Ich habe bis zum Schluss gezweifelt. Wir haben einen sehr handgestrickten Abstimmungskampf gemacht. Am Anfang waren FDP-Nationalrat Otto Fischer, der Geschäftsführer der Auns, und ich praktisch allein. Die Inserate machten wir selber, ohne Werbebüro.
Wie viel Geld haben Sie persönlich investiert?
Ich habe eine Defizitgarantie von drei Millionen Franken eingebracht. Das war für mich viel Geld, aber die Schweiz war mir so viel wert. Den Betrag haben wir schliesslich nicht aufgebraucht, weil die Leute zu spenden begannen. Die Gegenseite gab schätzungsweise etwa dreimal mehr aus als wir.
Was war denn matchentscheidend, wenn nicht das Geld?
Unsere Stärke war, dass wir voll überzeugt waren, dass die Schweiz unabhängig bleiben muss. Otto Fischer und ich beschlossen, jeden Tag mindestens einen Vortrag zum EWR zu halten. Am Schluss waren das riesige Veranstaltungen. Die Gegner hatten das Herzblut nicht. In der Endphase gingen Manager von Grosskonzernen mit Spruchbändern auf den Bundesplatz. Das Bild war herrlich. Sie verneigten sich vor dem Volk. Aber es war nicht glaubwürdig.
In der Westschweiz haben Sie verloren. Was lief dort schief?
Die Westschweiz war unsere Schwäche. Wir hatten keinen welschen Vertreter mit Gewicht. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung in der Universität Freiburg. Es gab Plakate mit der Aufschrift “ C’est le diable qui vient“. Sie waren von Studenten und von Professoren unterschrieben.
Wäre die Westschweiz zu gewinnen gewesen mit einer breiteren Abstützung der SVP?
Meine Partei hat am Anfang keine Rolle gespielt, auch in der Deutschschweiz nicht. Ich war anfänglich allein. Adolf Ogi war unendlich traurig, dass ich auf der gegnerischen Seite stand. In der welschen Schweiz war es noch schwieriger. Wir konnten den Leuten nicht erklären, dass der EWR ein Kolonialvertrag ist. Dieser Ausdruck stammt übrigens nicht von mir, sondern vom Staatsrechtler Daniel Thürer. Später nannte Thürer den EWR noch eine „legalisierte Hegemonie“. Die Romands sprachen immer von der „Ouverture“. Ich habe nichts gegen eine „Ouverture“. Aber ich bin gegen die Integration.
Was haben die EWR-Befürworter falsch gemacht?
Eigentlich wenig. Sie konnten froh sein, dass noch so viele für den EWR gestimmt haben. Wären wir von Anfang an besser organisiert gewesen, hätten wir ein noch besseres Ergebnis erreicht.
Welche Rolle hat das Beitrittsgesuch gespielt?
Das Beitrittsgesuch des Bundesrats war folgerichtig. Ein Skandal hingegen ist, dass das Gesuch trotz negativer Volksabstimmung nie zurückgezogen wurde. Der Bundesrat schrieb ja schon in der EWR-Botschaft 1992, der EWR sei nur eine Etappe auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Das Parlament wusste das und stimmte zu, weil alle in die EU wollten. Mit dem Gesuch stellte der Bundesrat Transparenz her. Jetzt sagen die Schlaumeier, der Bundesrat hätte warten sollen mit dem Gesuch bis nach der EWR-Abstimmung. Franz Steinegger beispielsweise wollte das so. Darum öffneten Otto Fischer und ich eine gute Flasche Wein – französischen übrigens – am 18. Mai.
Wie feierten Sie den Abstimmungssieg? Es heisst, Sie hätten danach ein Burn-out gehabt.
Dem sagt man heute vielleicht so. Ich war jedenfalls völlig erschöpft. An jenem Sonntagabend schleppte ich mich in ein Hotel in Oerlikon zu einer kleinen Pressekonferenz. Um 20 Uhr ging ich ins Bett, während meine Kollegen die Raketen steigen liessen. Bis im Frühjahr hielt ich durch. Dann zog ich mich für drei Wochen in ein einsames Jagdhaus in Österreich zurück, wo ich den ganzen Tag wanderte und selbst kochte. Als ich zurückfuhr – völlig gesund und bei Kräften – zeigte mir der Zöllner den Aushang des „Sonntags-Blick“: „Blocher mit Herzinfarkt in der Klinik.“ Ich lachte Tränen auf der Rückfahrt, denn das Plakat hing in jedem Dorf.
Der Bundesrat hat der EU institutionelle Mechanismen für neue bilaterale Abkommen vorgeschlagen, bei denen die Schweizer Behörden immer eigenständig entscheiden und urteilen würden. Weshalb bekämpfen Sie dieses Verhandlungsangebot?
Lesen Sie den Brief der Bundespräsidentin an EU-Kommissionpräsident Barroso. Auch die NZZ hat ihn ja veröffentlicht. Frau Widmer-Schlumpf braucht den Ausdruck „eine Art EWR“. In diesen Fragen muss man unerbittlich sein. Wir können keine institutionellen Bindungen eingehen und eine EU-Gerichtsbarkeit akzeptieren.
Sie formulieren das sehr absolut. Adolf Ogi sagt im Zusammenhang mit dem Beitrittsgesuch, in der Aussenpolitik müsse man stets flexibel sein und brauche immer einen Plan B. Vielleicht gibt es Umstände, wo man eine institutionelle Bindung eingehen muss.
Wenn man bereits bei den Grundsätzen nachgibt, kann man keine Ausnahmen mehr machen. Wer den Rückzug plant, tritt ihn auch an, hat Clausewitz einmal gesagt. Der Bundesrat wird nachgeben. Und Economiesuisse macht wohl mit. Das wird gleich wie 1992.
Pirmin Schwander hat nach der Abstimmungsniederlage über die Staatsvertrags-Initiative sein Amt als Auns-Präsident zur Verfügung gestellt. Wie geht es weiter mit dieser Organisation?
Ich weiss es nicht. Von Beginn zu meiner Wahl in den Bundesrat war ich Auns-Präsident. Aber wenn ich einmal ein Amt abgegeben habe, mische ich mich nicht mehr ein. Die Auns ist aber eine wichtige Organisation.
Würden Sie das Präsidentenamt wieder übernehmen?
Nein. Das müssen jetzt die Jungen machen. Die Auns hat den Fehler gemacht, dass sie zu viel wollte und in die Breite ging. Wenn man eine Volksinitiative lanciert, muss man sie auch durchziehen können. Das ist leicht zu korrigieren.
Wie steht es mit dem geplanten Komitee „gegen den schleichenden EU-Beitritt“? Haben Sie Mitglieder aus anderen Parteien gefunden.
Ich bin bei diesem Komitee nicht federführend, ich hatte nur die Idee dazu lanciert. Es ist jetzt in Gründung begriffen und konzentriert sich auf die Zielsetzung, den direkten wie auch den indirekten EU-Beitritt zu verhindern. Der EU-Beitritt ist zurzeit kein Thema, aber ein Motiv ist er bestimmt. Wir wollen auch keinen EU-Beitritt auf Samtpfoten.
Es scheint ein Problem zu geben, Mitglieder zu finden, die nicht der SVP angehören.
Ich weiss nicht. Aber das würde ja heissen, dass alle FDP- und CVP-Mitglieder in die EU wollen – zumindest heimlich. Die SVP steht in diesem Komitee am Rand. Wenn es halt keine anderen gibt, sagt ja dies auch etwas.
Ist das Komitee am EWR-Gedenkanlass vom 2. Dezember in Biel beteiligt, wo Sie als Redner auftreten?
Nein, nein. Meines Wissens ist es gar noch nicht gegründet. Übrigens wollten mehrere Jungfreisinnige als Redner an dieser Gedenkfeier auftreten. Ich bedaure, dass sie alle von der Partei zurückgebunden wurden. Jetzt erhalten die Redner aus allen Landesteilen das Wort. Neben mir ein parteiloser Welscher Professor und eine junge Tessiner SVP-Grossrätin.
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