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Bundesratszeit

29.04.2014

Es gibt Leute, die Ihren Auftrag nicht kennen

Bundesrat Christoph Blocher hält es für möglich, dass das Bankgeheimnis bei den Verhandlungen mit der EU geritzt werden könnte, stellt Schengen erneut in Frage und will den Namen jener Person öffentlich machen, die für eine Indiskretion in der Bundesverwaltung verantwortlich ist. 29.04.2004, Schaffhauser Nachrichten/Thurgauer Zeitung (Beni Gafner) Herr Blocher, gehen Sie immer noch - wie zu Beginn Ihrer Amtszeit - im Departement herum und fragen Ihre Mitarbeiter nach deren Auftrag? Ich gehe diesbezüglich nicht gezielt im Departement herum. Aber immer, wenn jemand etwas will und deswegen einen Antrag stellt, will ich den Auftrag erfahren. Für die Führung ist es zentral zu wissen: Was ist mein Auftrag? Das ist für mich etwas Selbstverständliches und ich war schon erstaunt, dass man dies in der Verwaltung zuerst sagen musste. Es gibt auch Leute, die ihren Auftrag nicht kennen. Das gibt es immer wieder, auch in der Industrie. Kennt jemand seinen Auftrag nicht oder hat er ihn falsch verstanden, ist die Gefahr gross, dass er in die falsche Richtung läuft. Um dies zu verhindern, kontrolliere ich die Aufträge meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmässig. Daran halte ich fest. Fragen Sie auch Ihre Bundesratskollegen nach ihrem Auftrag? Wenn wir im Plenum ein Problem diskutieren, stelle ich oft die Frage: Was ist hier eigentlich unser Auftrag? Im Staat ist dies dann meist die Frage nach den gesetzlichen Grundlagen, denn der Staat darf ja nur dort etwas machen, wo dies das Gesetz vorsieht. Ist dies nicht gegeben und sagt jemand einfach, es wäre aber trotzdem gut, wenn wir dies oder jenes machen würden, so geht das nicht. Übrigens stelle ich auch mir selbst dauernd die Frage nach meinem Auftrag. Wie lautet dieser? Die Frage stelle ich mir jeweils bei spezifischen Problemen. Im Grundsatz ist er aber klar: Mein Auftrag lautet, mein politisches Gedankengut im Bundesrat zu vertreten und mich dafür einzusetzen, dass Lösungen resultieren, die diesem Gedankengut entsprechen - ausser, ich komme zur Überzeugung eine solche Lösung wäre falsch. Und zweitens habe ich mein Departement zu führen und dort die Hauptprobleme wahr zu nehmen und zu lösen. Welches sind diese Hauptprobleme? Es sind drei: Erstens eine völlig unbewältigte Asylpolitik. Das muss korrigiert werden. Im Detail präsentiert sich mir hier das Problem vertiefter und schwieriger als ich es vorher als Parlamentarier wahrgenommen habe. Das zweite Problem ist der grosse Misstand bei der illegalen Einwanderung und der Kriminalität. Und drittens: Die neuen Herausforderungen bei der Bekämpfung des Terrorismus. Mein Auftrag ist es, hier Lösungen aufzuzeigen und - nachdem sie von Bundesrat und Parlament beschlossen wurden - umzusetzen. Anlässlich Ihrer 100-Tage-Medienkonferenz bemängelten Sie, die Verantwortlichkeiten seien bis in den Bundesrat hinein nicht klar geregelt. Was löste diese Aussage in Verwaltung und Regierung aus? Für diese war meine Aussage nicht neu, weil ich dies intern immer wieder thematisiere. Es gibt Bereiche, wo zwei oder drei Bundesräte zuständig sind. Dies ist kein Problem, so lange es gut läuft. Sobald es jedoch schlecht läuft, funktioniert es nicht mehr. Das sind die tieferen Ursachen, weshalb auch schon gravierende Fehler passierten, etwa als die Schweiz wegen den Zahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg von den USA unter Druck gesetzt wurde oder bei der Swissair. Gerade bei plötzlich auftretenden Problemen muss ein einziger Bundesrat gegenüber dem Gremium verantwortlich sein und nicht zwei oder drei. Ist letzteres der Fall, ist bei Fehlern schliesslich niemand verantwortlich und wenns gut geht, sind es alle gewesen. Beides ist schlecht. Wir sind hier noch weit weg von diesem Gedankengut, weil man es gut findet, wenn mehrere verantwortlich sind. Es handelt sich hier um idealistische Vorstellungen, die bis weit in die Bundesverwaltung hineinreichen. Weshalb tragen Sie diesen Umstand in die Öffentlichkeit? Es handelt sich hier um ein Hauptprinzip erfolgreicher Führungstätigkeit. Ich sage dies öffentlich, weil wir es hier auch mit einer Zeiterscheinung zu tun haben, an der die Gesellschaft krankt. Dieses Problem muss bewusst gemacht werden. Aus der Bundesverwaltung werden ja viele Dinge bekannt. Das war auch hier der Fall. Werden aber die dahinterliegenden Motive nicht dargelegt, resultiert daraus ein verzerrtes Bild: Zum Beispiel ein Bundesrat Blocher, der planlos durch seine Verwaltung geht und die Leute nach ihrem Auftrag befragt - wie eine Nähschullehrerin, die fragt, hast Du die Maschen richtig gemacht. Wenn man den Hintergrund erklärt, begreifen es die Leute auch. Klare Verantwortlichkeiten nützen wenig, wenn es bei Versagen keine Konsequenzen gibt. Gibt es hier Mängel? Ja. Es zeigt sich hier die Fragwürdigkeit des Personalrechts in der Bundesverwaltung. Es ist äusserst schwierig, dass jemand Konsequenzen tragen muss, wenn etwas schief gelaufen ist. Im Staat gibt es ein relativ grosses Begründungspotenzial, weshalb man nichts dafür kann - eben weil die Verantwortlichkeiten nicht klar geregelt sind. Was machen Sie dagegen? Ich bin der Meinung, dass das Bundespersonalgesetz geändert werden muss. Mit dem bestehenden Gesetz kommen wir auf die Länge gesehen nicht durch. Ich bin noch nicht so weit, arbeite aber immerfort an notwendigen Änderungen. Arbeiten Sie immer noch 20 Stunden am Tag? Nein, das war die ersten drei Monate so. Auf Dauer kann das niemand. Sie müssen sehen, wenn Sie ein Departement neu übernehmen, kennen Sie niemanden und Sie wissen nicht, welches die Stärken und Schwächen Ihrer Mitarbeiter sind. Sie müssen alles erfragen und viel zuhören, auch um Abläufe kennen zu lernen. Um sich ein taugliches Bild machen zu können, müssen Sie dafür tief in die Verwaltung hinein gehen. Jetzt im vierten Monat sehe ich vieles wesentlich klarer als noch zu Beginn. Wie viele Stunden sind es heute? Ich zähle sie nicht. Aber ich habe ab und zu freie Abende. Ich bin ja jetzt hin und wieder unterwegs, halte auch Vorträge oder mache Besuche. Das sind dann freie Abende? Frei nicht gerade, aber mindestens bin ich in dieser Zeit nicht eingebunden im engeren Departementsbereich. Es tut mir gut, wenn ich zur Abwechslung raus kann ins Leben, raus aus den Amtsstuben. Ich habe mich die ersten drei Monate ja praktisch eingeschlossen wie ein Mönch. Ich musste den Betrieb und die Verfahren kennen lernen und Dossiers studieren, musste mit Direktoren und Mitarbeitern ein neues Bundesgerichtsgesetz erarbeiten, was ja nicht gerade in meinem beruflichen Erfahrungsbereich lag. Die bilateralen Verträge II stehen kurz vor Abschluss. Werden Sie am angekündigten hohen Ministertreffen neben Frau Calmy-Rey und Herrn Deiss teilnehmen? Ich weiss noch nicht, ob meine Anwesenheit notwendig und erwünscht ist. Ich muss das noch prüfen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man keine Ministerrunde machen soll, ohne dass zuvor auf Diplomatenebene alle strittigen Details bereinigt wurden. Es ist ausserordentlich gefährlich, wenn die höchste politische Stufe noch verhandeln muss. Das geht nie gut, wie wir schon zwei, drei Mal erlebt haben. Der Ausgang dieser aktuellen Frage ist noch offen. Im Bundesrat besteht jedoch der Wunsch, dass sie an der Abschlussrunde teilnehmen? Das wurde geltend gemacht, aber nicht entschieden. Der Bundesrat handelt hier aber doch wohl als Gesamtbehörde und nicht mit sieben unabhängigen Ministern. Ja, natürlich. Wir haben an der Bundesratssitzung die Meinung geteilt, dass auf der unteren Verhandlungsebene Einigkeit herrschen müsse. Der Bundesrat will deshalb das Verhandlungsergebnis nochmals prüfen, bevor die Minister zusammentreten. Sie waren vor Ihrer Wahl in den Bundesrat ein Kritiker des Schengenabkommens. Dies hat sich wohl seit dem 1. Januar nicht geändert. Welche Kritikpunkte stehen für Sie im Vordergrund? Wenn der Bundesrat eine Position beschlossen hat, ist klar, dass ich mich nicht für eine andere einsetze. Der Bundesrat hat die Vor- und Nachteile abgewogen. Der Vorteil dieses Abkommens im Sicherheitsbereich ist das Schengener Informationssystem. Das könnte Verbesserungen bringen, die allerdings nicht überbewertet werden sollten. Der Nachteil ist, dass wir nicht wissen, welche Folgen die Abschaffung der Personenkontrollen an der Grenze hat. Wir wissen nicht, ob die Einbindung der Schweiz in das Sicherheitssystem Europas eine Verbesserung oder eine Verschlechterung bedeutet. Schengen wurde ja nicht aus Sicherheitsgründen geschaffen. Die Schengenländer mussten die Polizeikorps beachtlich aufstocken, um die Sicherheit trotz freiem Grenzverkehr noch gewährleisten zu können. Dieses Problem würde sich uns auch stellen. Zudem müssten wir das künftige EU-Recht in diesem Bereich übernehmen, ohne dass wir mitentscheiden können. Und das Bankgeheimnis? Das Bankgeheimnis muss bestehen bleiben. Ob dies gelingt, muss die Schlussfassung zeigen. Vermutlich geht es nicht ganz ohne Konzessionen. Aber genau das will der Bundesrat nach eigenem Bekunden nicht. Der Bundesrat hat gesagt, dass es keinen Schengenvertrag gibt, ohne dass das Bankgeheimnis gesichert ist. Man wird nach den Verhandlungen beurteilen müssen, ob dies tatsächlich so ist. Die Krux - auch in der Volksabstimmung - wird die Unterscheidung zwischen direkten und Indirekten Steuern sein, die Europa verlangt. Insgesamt ist der Bundesrat jedoch bis heute der Meinung, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Ist denkbar, dass der Bundesrat nach abgeschlossener Verhandlung sagt, das Bankgeheimnis sei gerettet, in Tat und Wahrheit ist es aber geritzt? Die Gefahr besteht bei solchen Verträgen immer. Aber das Volk und die Wirtschaft werden dies überprüfen können. Es ist ja nicht so, dass alles, was der Bundesrat sagt, sakrosankt ist. Für Wirbel sorgte ein geheimer Mitbericht, den jemand in der Verwaltung veröffentlichte. Sie verlangten darin die Reduktion der Bundesförderung für Schweiz Tourismus auf einen symbolischen Franken. Hat Sie diese Veröffentlichung überrascht? Ich habe nichts geschrieben, von dem ich erwartete, dass es eine Katastrophe gibt, wenn es bekannt wird. Es war aber eine ganz neue Erfahrung für mich. Vieles im Bundesrat, vor allem die Bundesratssitzungen, ist vertraulich und geheim. Auch vom Bundesrat darf niemand wissen, wie er verhandelt. Und trotzdem wird immer wieder vieles publik, vielfach versehen mit Halbwahrheiten. Es gibt da zweifellos etwas Intrigenhaftes. Deshalb habe ich vorgeschlagen,- wenn man die Geheimhaltung schon nicht garantieren kann - dass der Bundesrat öffentlich verhandelt. Dann kennt man wenigstens die Realität. Die Bevölkerung ist meiner Meinung nach schlecht informiert, weil - gerade auf diese Weise - nur selektiv informiert wird. Das ist unbefriedigend. In dieser Sache hat die Bundesanwaltschaft den Beamten ermittelt, der Ihren Mitbericht herausgegeben hat. Was passiert nun? Die Bundesanwaltschaft hat dem Bundesrat ihren Bericht abgeliefert und benötigt jetzt eine Ermächtigungsverfügung, damit der Fall an den Untersuchungsrichter weitergeleitet werden kann. Nach Meinung des Bundesrats muss ich nun diese Ermächtigung erteilen, ausser der Betreffende wird durch seinen Departementschef genügend disziplinarisch gemassregelt. Was erwarten Sie? Ein Verweis würde wahrscheinlich nicht genügen. Es müsste ein deutliches Zeichen gesetzt werden, damit die Indiskretionen aufhören. Im Falle meiner Ermächtigung an die Bundesanwaltschaft müsste in jedem Fall bekannt gegeben werden, um welche Person es sich handelt und welche Massnahmen getroffen wurden. Sonst wirkt das nicht vertrauensbildend. Sie haben sich von allen Ämtern Ihrer früheren Firma EMS Chemie getrennt. Hat sich dies bewährt? Ja, es geht erstaunlich gut. Wir haben letztes Jahr die Kosten im Rahmen einer grossen Übung gesenkt. Dies muss sich dieses Jahr auswirken. Ich habe bisher - von aussen - einen guten Eindruck. Fragen ehemalige Mitarbeiter noch hin und wieder um Rat? Nein. Am Anfang kam das vor, was nach der langen Zusammenarbeit auch verständlich ist. Ich habe sie aber jeweils an meine Tochter verwiesen, die das Unternehmen jetzt führt. Ich habe mich vollständig vom Unternehmen getrennt. So habe ich das Geschäftsergebnis der ersten drei Monate erstmals der Zeitung entnommen. (lacht) Haben Sie diese Trennung auch emotional vollzogen? Das dauert wohl noch eine Weile. Ich fuhr diese Woche auf einer Reise ins Bündnerland an meinem ehemaligen Werk vorbei. Das hat mich berührt, ich verspürte etwas Heimweh. Wissen Sie, wenn man ein Unternehmen in der Krise übernommen hat und dieses zum Erfolg geführt hat, ist das, wie wenn man ein schwieriges Kind pflegt, betreut und dieses auf einen guten Weg gebracht hat. Das wächst einem ans Herzen, da kann man nicht einfach am 31. Dezember "adios" sagen und es am 1. Januar nicht mehr kennen. Das ist nicht möglich. Aber jetzt gibt es für mich nichts anderes. Mit jedem Arbeitstag in Bern binde ich mich zudem emotional stärker an meine neue Aufgabe und ich löse mich somit immer mehr von der früheren.

20.12.2007

Das wäre feige

Christoph Blocher über die Gründe seiner grössten Niederlage und die Fehler der SVP. 20.12.2007, Weltwoche, Roger Köppel und Markus Somm Herr Bundesrat, wie ist die emotionale Lage nach der Abwahl? Die Abwahl kam nicht völlig überraschend. Wenn Bürgerliche mit der linken Seite zusammengehen, und sich jemand von der SVP als Sprengkandidat zur Verfügung stellt, wenn man also den Anschein einer Konkordanz wahren will, dann passiert es eben. Meine Befindlichkeit? Am Anfang war klar Verbitterung. Zorn war auch da. Ich hatte aber nie die Illusion, dass einer, der wirklich etwas leistet, mit Lob überschüttet wird. Gemäss Blocher-Prinzip: Wie muss sich eine Führungskraft verhalten, die eine derartige Niederlage hinnehmen musste? Das Ziel in einer andern Situation weiter verfolgen. Übrigens: ist es eine Niederlage? Ist es keine? Wenn ich nach dem Eintritt in den Bundesrat mich sofort angepasst hätte, ohne eine eigene Meinung zu vertreten und ohne Dinge in Frage zu stellen, wäre es anders gelaufen. Das machen Bundesräte relativ oft, und nennen es Kollegialität. Ich hätte das Asylrecht nicht verschärfen dürfen, dann wäre ich wiedergewählt. Ich hätte das Bundesgerichtsgesetz, das ein Scherbenhaufen war, einfach laufen lassen können. Ich hätte keine Kosten in meinem Departement senken dürfen, um wiedergewählt zu werden. Aber wenn ich sehe, was alles zum Nutzen unseres Landes und unserer Bürger erreicht wurde, dann wäre die Anpassung falsch gewesen. Das Buch „Blocher-Prinzip“ legt diese Situation dar: Unter allen Umständen im Amt bleiben wollen, darf nicht Ziel sein. Sondern der Auftrag! Exponenten Ihrer Partei sprechen von Missachtung des Volkswillens, das ist doch massiv übertrieben. Wenn man Konkordanz ernst nimmt, und das sagen ja alle Parteien, dann war diese Bundesratswahl ein Verstoss gegen den Volkswillen. Die SVP ist die grösste Partei mit 29 Prozent aus den Wahlen hervorgegangen. Sie bekommt zwei Bundesräte. Aber ist das noch Konkordanz, wenn man einen, der für die grösste Partei steht, aus dem Bundesrat entfernt? Um den Sitz mit einer Person zu besetzen, die die Partei nicht als Bundesrätin wollte, nur um zu behaupten, dass man Konkordanz ernst nehme! Das sind Politikspiele. Das Parlament ist frei, Kandidaten zu wählen. Das ist richtig. Genauso ist eine Partei aber auch frei, einen gewählten Bundesrat als ihren Vertreter zu betrachten oder nicht. Wie hätte wohl die CVP reagiert, wenn man einen starken Bundesrat - z.B. Bundesrat Furgler abgewählt und durch irgendeinen Regierungsrat ersetzt hätte. Scheinkonkordanz ist das richtige Wort. Tatsache bleibt: Ihre Partei mit Ihnen an der Spitze hat einer der grössten Wahlerfolge in der Schweizer Geschichte in den Sand gesetzt. Warum? Wenn sie ihn denn in den Sand gesetzt hat! Gerade der Erfolg der SVP war natürlich ein Motiv um diese Partei abzustrafen. Die SVP kämpft für das Volkswohl. Entweder hat sie ihr Gedankengut im Bundesrat durchzusetzen oder sie muss es von aussen tun. Natürlich hätte sich die SVP anpassen und den Blocher auswechseln können, um einen zu nehmen, der den anderen passt. Das hat die SVP aber richtigerweise nicht getan. Denn sie hat den Wählerwillen durchzusetzen - auch nach den Wahlen! Aber die SVP hat doch schwerwiegende Fehler gemacht. Man trumpfte übermütig auf. Kurz vor der Bundesratswahl wurden die Bündner SVPler gemassregelt, dann der Film mit Ihrem Bruder. Sind Sie im Erfolg dem Hochmut verfallen? Hochmut trifft nicht zu. Aber sicher hat man auch Fehler gemacht. Aber der Grund der Abwahl waren diese nicht. Die SVP hat sich vergrössert, andere mussten Federn lassen. Das ruft nach Rache. Die Linke hat mit der CVP zusammen 128 Sitze, die Bürgerlichen 118. Wenn im Parlament die CVP ins rot-grüne Lager schwenkt, dann haben die vereinigten Linken im Parlament eine eindeutige Mehrheit. Die CVP schwankte. Warum? Sie will einen Sitz. Wenn irgendwann ein Freisinniger zurücktritt, will die CVP mit Hilfe der Linken einen zusätzlichen Bundesratssitz. Den wird sie so bekommen. Das sind die Verhältnisse. Obwohl die SP verloren hat, hat sie durch den Zulauf der CVP eine starke Hilfe erhalten. Aber sehr wenig gewonnen. Die SVP-Spitze war noch am Mittwoch der Meinung, nichts könne passieren. Da waren offenbar alle Frühwarnsysteme ausgefallen. Es stand immer 50 zu 50. Die SVP hätte doch vorher nicht schon an Opposition gedacht, wenn wir nicht gewusst hätten, eine grosse Gefahr sei vorhanden. Noch am Dienstagabend hat Ueli Maurer mit Frau Widmer-Schlumpf telefoniert, er orientierte die Fraktionskollegen, Frau Widmer-Schlumpf habe klar erklärt, sie würde absagen. Die Partei wirkt aber nicht so, als sei sie wahnsinnig gut vorbereitet für die Opposition. Natürlich hat man es nicht bis ins Detail ausgearbeitet. Das ist auch nicht nötig. Das macht man nur, wenn man es wirklich muss. Was haben Sie persönlich falsch gemacht? Ich habe in raschem Tempo viel verändert. Ich mache seit dreissig Jahren Politik und habe entscheidend mitgewirkt, dass die SVP von 9,9 Prozent auf 29 Prozent steigt. Andere Parteien haben verloren. Vor allem die Bürgerlichen, und jetzt auch die SP. So jemanden hasst man; man wählt so einen doch nicht gern. Andererseits: Nicht nach möglichen Fehlern Ausschau halten. Weitergehen. Nach vorne schauen. Sie haben einmal gesagt, Ihre Wirkung in der Regierung sei grösser als in der Opposition. Eine Margaret Thatcher war auch verhasst, aber sie wurde wiedergewählt. Im Volk. In einer Volkswahl hätten Sie gewonnen? Jedenfalls ist die SVP mit mir bei den Wahlen im Volk die stärkste Partei geworden. Ich habe vor 4 Jahren meine Schwerpunkte klar dargelegt und diese dann konsequent durchgezogen. Die Vorwürfe sind: zu dominant in der Regierung gewesen. Zuviel SVP-Gedankengut auch. Was soll ich mir vorwerfen? Ich habe nicht mit Brachialgewalt regiert, sondern mit Argumenten. Die SVP und Sie haben gar nichts falsch gemacht? Wer macht nicht auch falsches? Vor allem hat sie sich nicht angepasst. Die Abwahl erfolgte nicht wegen Kleinigkeiten. Sie sehen sich als Opfer der Schweizer Demokratie, die alles Überdurchschnittliche gnadenlos wegfräst? Das ist nicht an mir, solches zu beurteilen. Aber das System der direkten Demokratie als Staatsform pulverisiert natürlich die Macht. Das ist sehr gut, auch wenn es mich selbst trifft. Demokratie neigt zum Durchschnitt. Das ganz Gute ist nicht möglich, das ganz Schlechte auch nicht. Wichtig ist jetzt, wie es weiter geht. Was genau machen Sie? Das gleiche wie bisher, aber mit andern Mitteln. Ich setze mich weiterhin für das Land ein. Als ernsthafter Politiker hat man in der Opposition und in der Regierung dasselbe Ziel: Das Wohl des Volkes und des Landes. Ich verfolge draussen das Gleiche wie drinnen. Von aussen etwas zu bekämpfen oder Impulse zu geben, braucht aber viel mehr Kraft als von innen. Innen hat man den ganzen Verwaltungsapparat, die Steuergelder, Beamte. Draussen ist man allein, einsam. Das muss man ertragen. Dafür hat man mehr Freiheit. Jetzt werden Sie wieder rausgeworfen. Das ist hart. Stimmt. Nur aus dem Bundesrat, nicht aus der Politik. Das wäre feige. In welcher Funktion ich antrete, weiss ich noch nicht. Von meinen 30 Jahren in der Politik war ich 26 ausserhalb der Regierung. Nicht ganz erfolglos. Wir haben heute ein anderes, besseres, offeneres Klima. Ich bin noch nicht sicher, ob es wirklich zu einem Rückfall kommen wird. Werden Sie die beiden SVP-Bundesräte bekämpfen? Auf jeden Fall nicht aus Prinzip. Aber - wenn es nötig ist - eine verfehlte Politik derselben. Die neuen Bundesräte sind Mitglied der SVP, aber nicht die Bundesräte der SVP-Schweiz und nicht der SVP-Fraktion. Mit ihnen lässt sich der Wählerwillen in der Regierung nicht verwirklichen! Was heisst Opposition? Opposition heisst op-ponere, d.h. entgegenlegen. Unsere Anliegen denen der Regierung und den Regierungsparteien entgegensetzen. Man macht das gleiche wie bisher, mit einer Ausnahme: Sie müssen konsequenter sein und auf keinen Kompromiss der Regierungsparteien eingehen. Opposition ist konstruktiv. Sie sagt ja zu guten Vorlagen, oder Nein, selbst wenn die Regierungsparteien anderer Meinung sind. Zu jeder Steuererhöhung sagen wir in der Opposition Nein. Die SVP kämpft für die Unabhängigkeit des Landes. Notfalls durch Referenden. Droht der SVP jetzt das grosse Durcheinander? Nein. Sie wird schnell wieder Fuss fassen. Wendet man sich vom Wahlverlierer Blocher ab innerhalb der SVP? Vielleicht gibt es einzelne. Der linke Flügel macht 10 -15 Prozent der SVP aus. Früher war er viel stärker. Die haben das Gefühl, Blocher habe jetzt verloren und es müssten auch andere nach vorne. Gehört habe ich zwar nichts solches. Ich habe einen Vorteil:In der Politik habe ich nie jemandem ein Amt weggenommen.... Ausser bei der Bundesratswahl 2003. Sie verletzten engste Kollegen. Vielleicht gab es andere, die auch gern wollten. Aber wir haben gewusst: Wenn die SVP nicht Blocher geschickt hätte, hätte es geheissen, man wolle nicht die Nummer eins als Bundesrat, um hintenherum Oppositionspolitik zu machen. Man wollte, dass wir uns zur Regierungsverantwortung bekennen. Deshalb habe ich angenommen. Stehen wir an einer Zeitenwende? Die grösste vom Volk gewählte Partei geht auf Opposition zur Regierung. Das hat es noch nie gegeben. Ein guter Gedanke, aber so konsequent wird nicht gedacht bei den Politikern. Natürlich ist es etwas besonderes, wenn die grösste Partei in die Opposition geht. Immerhin hat sie zwei Bundesräte die sie beide nie vorschlug und nicht will. Ob das eine Zeitenwende ist oder eine kleine Episode, das wird sich weisen. Sind Sie zum Klumpenrisiko Ihrer eigenen Partei geworden. Es gibt keine Blocher-Nachfolger. Andere Parteien haben keinen Blocher, also braucht es auch keinen Nachfolger! Aber die SVP hat gute Leute. Meine Person wird mit den Inhalten und Werten gleichgesetzt. Diese Inhalte und Werte sind heute tief verankert. Keine andere Partei ist so abhängig von einer Einzelperson wie die SVP. In den anderen Parteien gibt es auch niemanden, der seine Partei so geprägt hat. Um eine Partei auf Kurs zu bringen, braucht es wenige, aber starke Leute. Ich habe die Partei auf neuen Kurs gebracht. In den 80er Jahren wurde die Partei neu ausgerichtet. Heute mit der SVP als mächtige Partei verändert sich auch die Schweiz positiv. Dazu braucht es einzelne Führungsfiguren, die vorangehen. Doch beschlossen haben wir demokratisch. Es schadet der Sache, wenn Blocher immer im Vordergrund steht. Ich freue mich, wenn ich wieder etwas in den Hintergrund treten kann. Im Wahlkampf 07 haben mich meine Gegner in den Mittelpunkt geschoben. Als Bundesrat hielt ich mich in den ersten Jahren eher zurück. Aber die Gegener hatten nur ein Wahlziel: Anti-Blocher. Markante Figuren stehen natürlich unter einem Dauerbeschuss. Doch meine Partei ist nicht abhängig, aber sie respektiert mich. Es ist in dieser Partei ein gutes Fundament vorhanden. Die SVP hat gute Leute. Die möchte ich voll unterstützen. Warum machen Sie Ihren Gegnern nicht den Vorschlag: "Kopiert mich, dann kann ich mich aus der Politik verabschieden." Diesen Rat habe ich schon lange gegeben. Sie hätten mein Programm nicht einmal kopieren müssen, sie hätten es einfach in die Hand nehmen, lesen und dann durchsetzen können. In der Wirtschaft wird jedes erfolgreiche Produkt sofort kopiert. Warum passiert das in der Politik nicht? Die Kräfte sind anders. In der Wirtschaft wollen sie Erfolg und nicht Selbstbeweihräucherung. Oft stehen sich die Politiker selbst im Wege. Soll das Volk oder das Politikerinteresse obsiegen? Es geht darum, wer in Zukunft unser Land bestimmt. Der Bürger oder die Politiker unter sich. Man nimmt den Bürgern immer mehr Geld weg, um immer mehr Geld zu verteilen. Das ist Politiker- nicht Volksinteresse. Also muss man dies bekämpfen. Es gibt immer mehr völkerrechtliche Bestimmungen, bei denen niemand mehr weiss, wer eigentlich Recht setzt. Das ist gegen Volksinterresse! Das muss verhindert werden. Aber wer tritt schon gegen die eigenen Politinterressen an? Schon das benennen der Probleme ist verboten! Wird das Volk zusehends entmachtet? Die Gefahr ist da. Wenn alle miteinander regieren und keine Gegenkraft besteht, wird alles Unangenehme zudeckt. Volkswohl und Volkswille missachtet! Was sind Ihre wesentlichen Eindrücke nach vier Jahren Bundesrat? Die Regierung funktioniert nicht schlecht. Aber das Parlament hat sich verschlimmert. Es besteht aus vielen Berufsparlamentariern und produziert eine riesige Gesetzesmaschinerie. Hat Sie das Leben im Bundesrat verändert? Ich weiss es nicht. Zeitweise musste ich mich selber fast vergewaltigen. Ich musste gegen meine Natur handeln und reden. Ich war gewöhnt, alles transparent und offen auszusprechen. Die Bundesräte müssen immer Angst haben, sie würden etwas sagen, was sie nicht sagen dürften. Wie weit ich das verinnerlicht habe, ist schwierig einzuschätzen. Sind Sie froh, dass es fertig ist? Einerseits kann ich jetzt endlich wesentliche Dinge tun. Andererseits ist es schade, dass ich das, was ich aufgegleist habe, nicht zu Ende führen kann. Es müsste weitergehen. Für mich sind Bundesratswahlen, auch wenn sie so abgelaufen sind wie letzte Woche, nicht einfach ein besseres Fussballspiel. Was werden die nächsten grossen politischen Konflikte sein? Die IV-Vorlage. Man strebt einen untragbaren Kompromiss an. Zweitens stehen uns im Sozialbereich Konflikte bevor: Sanierung der Sozialwerke ohne höhere Abgaben. Da wird die Partei unerbittlich sein müssen. Dann kommt die Personenfreizügigkeit. Da ist unsere Partei gespalten. In diesen Fragen sind Kompromisse schwierig. Es braucht Standvermögen. Haben sich vorderhand die Etatisten durchgesetzt? Eindeutig, die jubeln jetzt. Was ist Ihre Bilanz als Bundesrat? Wichtig waren mir Kostenbewusstsein und Kostenreduktion. Im eigenen Bereich natürlich, aber auch darüber hinaus. Der ganze Bereich Justizreform ist positiv, ein grosses Paket. Dann gelang der Durchbruch im Asyl- und Ausländerbereich. Wirtschaftspolitische Vorlagen. Das neue Aktienrecht ist zu nennen. Das alles ist nicht nichts. Hat sich die Zeit gelohnt? Ich glaube, ich habe im Bundesrat mehr erreicht, als ich anfänglich glaubte. Bei den ganz grossen Fragen habe ich aber keine Mehrheit gefunden. Man hat beschlossen, die Ausgaben im Bundeshaushalt um 20 Prozent zu senken, aber es ist vier Jahre nichts gelaufen. Ich weiss nicht, ob dieser Beschluss unter der neuen Zusammensetzung noch realisiert wird. Zum Schluss: Haben Sie den Rausschmiss nicht doch irgendwie gesucht? Haben Sie es nicht zu sehr ausgereizt, auf den Crash angelegt? In einigen Momenten habe ich mir gesagt, da gehe ich vielleicht etwas weit, zum Beispiel in der Warnung vor dem Völkerrecht. Aber ich musste es tun. Ich konnte die Missstände nicht totschweigen und musste diese Erstaugust-Rede halten. Es war mir klar, dass es Kritik hagelt. Das muss man dann ertragen können. In anderen Fällen habe ich geschwiegen. Zu den Entschädigungen der Parlamentarier und der Bundesräte beispielsweise sagte ich nichts. Vielleicht ausserhalb dann. Verdienen die Bundesräte zu viel? Die verdienen mehr als der amerikanische Präsident. Ob es zuviel ist, ist Ermessenssache. Auf jeden Fall sind wir sehr gut bezahlt. Welchen Vorwurf kann man Ihnen machen? Die Imagepflege vernachlässigt. Das kann man mir zu Recht vorwerfen. Wie erklären Sie sich, wenn Sie trotzt Ihrer weit anerkannten Qualitäten und Leistungen offensichtlich emotionale Abwehrreflexe auslösen? Das müssen Sie bei den Gegnern hinterfragen!

16.12.2007

Obstruktionspolitik mach ich nicht. Blockaden führen zum Scherbenhaufen

Oppositions-Leader CHRISTOPH BLOCHER über die zukünftige Politik der SVP, nicht ausgeteilte Ohrfeigen im Bundesrat, Abweichler und die Erleichterung seiner Frau Silvia 16.12.2007, SonntagsZeitung, Denis von Burg und Oliver Zihlmann Herr Bundesrat Blocher, Ihre Gegnerwerfen Ihnen undemokratische Machtansprüche vor. Deshalb habe man Sie aus der Regierung gewählt. Ich war ein ausgesprochen integrierter Bundesrat. Ich habe mich eingebracht in diesen Bundesrat wie wahrscheinlich kaum je ein Bundesrat. Aber ich habe mich nicht integriert, in dem ich allen anderen am Tisch immer Recht gegeben habe. Ich habe nie jemanden persönlich angegriffen. Auch wenn mich andere in der Öffentlichkeit verletzt haben. Ich habe im Bundesrat nicht durch einen Kraftakt dominiert, sondern durch meine Überzeugung, durch meine Arbeitskraft und durch gut durchdachte Vorlagen. Bundesrätin Calmy-Rey hat nach Ihrer Abwahl gesagt, die Schweiz erträgt keinen Bundesrat, in dem einer dominiert. Ich wurde abgewählt, weil die SVP die Wahlen gewonnen hat, Die Wahlen haben wir unter anderem gewonnen, weil die Gegner mich ständig diffamierten, und die SVP dann mit „Blocher stärken - SVP wählen“ für sich warb. Jetzt widersprechen Sie sich. Sind Sie jetzt wegen Ihrer unternehmerischen Art zu regieren abgewählt worden? Oder wegen Ihrer Linie? Können Sie das trennen? Die Übereinstimmung meines Gedankengutes mit dem der SVP ist gross, weil ich seit 30 Jahren diese Partei wesentlich mitgeprägt habe. Die Partei hat dank dieser erfolgreichen Politik und dieser Linie bei den Wahlen 07 nochmals zugelegt. Am letzten Mittwoch ist dieser vom Volk honorierte Kurs vom Parlament missachtet worden. Das hätte die Partei verhindern können, wenn sie einen Linientreuen SVPLer wie Caspar Baader oder Adrian Amstutz an Ihrer Stelle zur Wahl vorgeschlagen hätte. Solche Optionen haben wir besprochen und verworfen. Die anderen Parteien wollten eine Seitenlinie der SVP - die SVP ist ihnen zu volksnah und zu erfolgreich. Wenn es nur um die Linie geht, warum nicht den provokativen Stil ändern? Ist es beispielsweise für den Erfolg der SVP nötig, den Sinn der Antirassismus-Strafnorm ausgerechnet in der Türkei zu hinterfragen? Provokation ist hie und da ein wichtiges Führungsmittel. In diesem Fall war es nötig und nützlich. Dass ich die Antirassismus-Strafnorm anschauen wolle, habe ich in der Schweiz zuvor bereits mehrmals gesagt. Es wurde aber nicht zur Kenntnis genommen. Provokationen sind manchmal notwendig, damit Probleme auf den Tisch kommen. Aber Ihr provokativer Stil war Letztlich ein Grund für Ihre Abwahl. Und er verhindert Ihren Vertretern bei Majorzwahlen oft den Einzug in den Ständerat oder in Regierungen. Man hat sich zu entscheiden: Wir mussten auf Proporzwahlen setzen. Sieben zusätzliche Nationalräte waren diesmal wichtiger als ein zusätzlicher Ständeratssitz. Bundesrätin Widmer-Schlumpf sagt, man könne hart in der Sache politisieren und gleichzeitig die andere Meinung gelten Lassen. So erreiche man letztlich sein Ziel als Bundesrat besser als mit einem Konfrontationskurs. Das ist eine Binsenwahrheit. Sie glauben ja wohl nicht, dass ich mich im Bundesrat durchgesetzt habe, weil ich die anderen geohrfeigt habe. Wie sonst hätte ich - anfänglich gegen den Willen der Verwaltung - das Asylgesetz so grundlegend ändern können? Ich freue mich, wenn sich Frau Widmer-Schlumpf in der Sache wirklich konsequent geben wird. Wichtig ist, dass auch Konfrontationen in Kauf genommen werden. Aber stets nur der Sache zuliebe. Selbstverständlich sind andere Meinungen zu respektieren. Das heisst aber nicht, alles nur um der Harmonie willen zu akzeptieren. Sie machen aber einen anderen Eindruck. Ich bin ein Fan von Brainstormings. Da höre ich mir dann jeweils alle Meinungen an. Und erst danach bilde ich mir eine eigene Meinung. Einer, der immer nur Recht haben will, der kommt nicht an, auch beim Volk nicht. Letzten Donnerstag sagten Sie: „Ich schaue, dass die Partei mein Gedankengut übernimmt.“ Wenn ich von etwas überzeugt bin, ist das doch meine Aufgabe. Sollte es nicht umgekehrt sein. Man ist bei einer Partei, weil einem deren Gedankengut passt. Der Mensch ist ohnehin nur Mittel zum Zweck, wie Sie selber oft sagen. Natürlich. Ich bin nicht da, um zu machen, was ich will, sondern um meinen Auftrag zu erfüllen. Ich stelle den Gremien stets einen Antrag: Entscheiden müssen sie selbst. Am Freitag war Ihre zweitletzte Bundesratssitzung. Werden Sie das vermissen? Im Moment überwiegt die Erleichterung massiv. Was haben die Kollegen gesagt? Ich habe bereits gemerkt, wie die Opposition wirkt. Ich brachte überraschend ein heikles Geschäft durch - ich darf nicht sagen, welches -,von dem ich überzeugt war, dass es nie akzeptiert würde. Das Motiv für die unerwartete Zustimmung war: Wenn Blocher in der Opposition dieses Anliegen vertritt, wird es für uns unangenehm. Also haben sie zugestimmt. Sie meinen also, alleine die Drohung wirkt. Nicht die Drohung, aber die Bereitschaft entgegenzutreten. Schauen Sie, was Tony Blair in Grossbritannien gemacht hat: Als er Regierungschef wurde, hat er den Tories - der Opposition - keine Chance gegeben, weil er einfach die Politik von Frau Thatcher fortgesetzt hat, obwohl er selbst Labour war. Die Tories hatten zwar keinen Stich, aber weil sie als Opposition dastanden, hatten sie mehr Einfluss, als wenn sie selber in der Regierung gesessen wären. Nach zehn Jahren kamen für Blair natürlich dann Schwierigkeiten mit der eigenen Partei. Das wird auch in der SP so sein, wenn sie künftig enger mit den Bürgerlichen zusammen gegen uns arbeiten muss. 2009 muss sich die Schweiz endgültig zur Personenfreizügigkeit mit der EU bekennen. Soll die SVP das Referendum ergreifen? Wäre ich wiedergewählt worden, wäre es meine Aufgabe gewesen, einen Weg mit der EU zu finden. Jetzt bin ich draussen und werde mir die Sache einseitig anschauen. Vorher hätte ich auf einen Kompromiss hingearbeitet, aber jetzt ist die Entscheidung offen. Ihre persönliche Meinung? Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Personenfreizügigkeit. Es kommt darauf an, wie stark die Regierung auf unsere Wünsche eingehen wird. Im Falle der Freizügigkeit für Rumänien und Bulgarien wird es vor allem um die Frage gehen, welche Zusicherungen die Regierungsparteien abgeben, dass wir nicht einen ungewollten Zustrom zum Beispiel von Roma in unser Land haben. Einzelheiten will ich jetzt noch keine nennen. Beisshemmungen gehören nicht zur Opposition. Werden Sie Hand bieten für einen Kompromiss bei der Zusatzfinanzierung der IV? Zu Mehrwertsteuererhöhungen und anderen Steuererhöhungen wird die SVP niemals Hand bieten. Sie wird hier auch keine Kompromisse eingehen. Gehen Sie auch bewusst „unheilige Allianzen“ mit den Grünen und der SP ein, um selbst bürgerliche Vorlagen zu bekämpfen? Es gibt Säulen des Staates, von denen wir nicht abweichen. Dazu gehören die Unabhängigkeit des Landes und der schlanke Staat. Gerade die Selbstbestimmung des Volkes wird von den Politikern und von den Verwaltungen in allen Ländern unterlaufen. In der Schweiz mit der direkten Demokratie ist diese Gefahr noch grösser. Deshalb ist es gut, eine bürgerliche Opposition zu haben, die die Macht des Staates eingrenzen will. Wir stellen die Anliegen der Volkswohlfahrt in den Vordergrund, wenn nötig mit „unheiligen Allianzen“. Das führt doch zu einer reinen Blockadepolitik, bei der man aus Prinzip alles ablehnt. Eine solche Obstruktionspolitik wäre eine mögliche Form der Opposition und im schweizerischen System relativ einfach. Ich werde bei einer Obstruktionspolitik aber nicht mitmachen. Richtige Opposition stellt Volk und Land als einziges Ziel in den Vordergrund. Die Regierungstätigkeit und die Opposition können entfremdet werden! Blockaden führen zu einem Scherbenhaufen. Wo werden Sie also Hand bieten? Wir werden zum Beispiel die Vorlage zur Unternehmensbesteuerung unterstützen. Werden Sie eine Initiative zur Volkswahl des Bundesrates lancieren? Das ist eines unserer Anliegen. Aber wir müssen zunächst Prioritäten setzen, bevor wir Initiativen lancieren. Wir müssen vor allem den ganzen Parlamentsbetrieb kritisch begleiten. In jeder Kommission, bei jeder Vorlage müssen wir sofort Widerstand leisten, wenn man nach links abdriftet. So erzwingen wir bessere Beschlüsse. Eines der ersten Themen wird die Bildungspolitik sein. Das ist dringender als die Volkswahl der Bundesräte. Weshalb? Wir brauchen ein neues Schulsystem mit einem grundsätzlich anderen Ansatz: Leistung, Disziplin, Zuverlässigkeit, Sorgfalt und Lernen. Das ist eine Abwendung von der 68er-Philosophie. Die hat Schiffbruch erlitten, das erkennen viele Lehrer und Eltern! Wir können nicht einfach ein paar Gesetze ändern, wir müssen die geistigen Grundlagen des Systems ändern. Über die Bildungspolitik entscheiden weit gehend die Kantone. In vielen sind Sie nicht in der Opposition. Entscheidend ist, das Problem auf die politische Tagesordnung zu bringen. Das Aussprechen ist das Wichtigste. Die IV-Revision hat angefangen, weil wir im Jahr 2003 den enormen Missbrauch angeprangert haben, der hier stattfindet. Durchbruch war das Wort „Scheininvalide“. Mit dieser Provokation kam der Stein ins Rollen. Das brachte eine grosse Empörung, aber auch eine grosse Zustimmung. Auch hier war die Debatte wichtiger als die späteren Einzelheiten der IV-Revision. Kommt jetzt wie erwartet ein neuer Angriffsstil der SVP? Das kann sein. Sie haben gesehen, wie der Stil der SVP in den letzten vier Jahren viel milder war als noch vor zwölf Jahren. Schlagworte wie „die Linken und die Netten“ oder „die Weichsinnigen“ hörten sie nicht mehr. Die Opposition hat eine andere Sprache. Aber dies wird sich ergeben. Soll die SVP die „Arena“ boykottieren? Es geht nicht um Boykott. Aber als Opposition muss die SVP angemessen vertreten sein. Sie sehen, die Opposition der SVP wird täglich bei verschiedenen Gelegenheiten aufscheinen. Aber die Leute haben gesehen, so wird es in der Regierung sein: Wenn die SVP fehlt, fehlt eine andere Meinung. Diese braucht es, aber das Parlament hat sie jetzt ausgeschlossen! Gibt es eigentlich irgendwo auf der Welt eine Opposition, die zwei Parteimitglieder in der Regierung hat? Herr Schmid und Frau Widmer-Schlumpf sind zwar Mitglieder der SVP, aber nicht die Vertreter der Schweizerischen SVP und nicht Mitglieder der SVP-Bundeshausfraktion. Wir haben als Oppositionspartei keine Vertreter im Bundesrat. Damit man Ihnen das auch glaubt, müssen Sie sich nun ständig von ihnen abgrenzen. Das wirkt absurd. Das glaube ich nicht. Die beiden sind für uns einfach gleichgestellt wie die anderen Bundesräte, die auch nicht zu uns gehören. Ihre Politik geniesst keinen besonderen Schutz: Beide Mitglieder wussten dies vor der Wahl. Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Was machen Sie, wenn sich um diese Bundesräte Parteimitglieder zu einer neuen Fraktion abspalten? Das muss die Partei in Kauf nehmen. Neu ist das nicht. Schon in den Achtzigerjahren haben wir Mitglieder verloren, well wir die Kursfrage klärten. Darauf beruht die heutige Stärke der SVP. Die Bündner und die Berner möchten in einer Art Unterfraktion regelmässig und institutionalisiert mit ihren Bundesräten Kontakt haben, ihre Anliegen aufnehmen und ihnen Rückhalt geben. Darin sehe ich kein Problem. Wenn die Berner sich alle 14 Tage mit Herrn Schmid und die Bündner mit Frau Widmer-Schlumpf treffen wollen, ist dies ihre Sache. Problematisch würde es erst, wenn diese Gruppen mit ihren Bundesräten gegen die Parteilinie arbeiten. Wenn diese Mitglieder glauben, aus Freundschaft mit den Bundesräten einen anderen Kurs fahren zu müssen als den, den sie vor den Wahlen versprochen haben. Solche Schwerpunkte müssen natürlich bei den Kommissionsbesetzungen beachtet werden. Die SVP-Fraktion will begreiflicherweise wissen, wer wen vertritt. Die Parlamentarier, die sich mit den SVP-Bundesräten treffen, gehören also auch noch zur Opposition. Die Frage ist doch, ob die Partei die Kraft hat, auch eine Vorlage von diesen Bundesräten zu bekämpfen, wenn es nötig ist. Die Bundesräte werden natürlich versuchen, Mitglieder zu beeinflussen. Aber Gespräche finden doch immer auch mit anderen Bundesräten statt. Toni Brunner überlegt sich in St. Gallen, in die Opposition zu gehen. Womöglich kommt jetzt ein Antiregierungskurs in allen Kantonen. Das wäre falsch. Wir gehen nirgendwo freiwillig in die Opposition. Wir opponieren nur da, wo man uns nicht in die Regierung lässt. Werden Sie Parteipräsident? Zuerst muss man festlegen, wen man wo und warum braucht. Das werden wir im Januar sehen. Wird die Partei von Ihnen nun massiv zusätzlich finanziert, damit sie noch schlagfertiger wird? Es ist natürlich ein Vorteil, dass ich wieder frei bin. Als Bundesrat konnte ich keine Kampagnen finanzieren. Ich habe als Gedankenspiel erwogen, ein schlechtes Unternehmen zu kaufen und es aufzubauen. Ich kann ja führen. Mit dem Gewinn könnte ich die politische Arbeit der SVP fördern. Was ist das Ziel der Oppositionsarbeit? Natürlich muss eine Opposition das Ziel haben, in die Regierung zu kommen. Aber nicht durch Missachtung der Anhänger. Und nur mit Personen, die das SVP-Gedankengut vertreten. Schon Samuel Schmid ist damals gegen den Willen der Fraktion gewählt worden, weil er in aussenpolitischen Fragen nicht die SVP-Meinung vertrat. Sollte sich aber zeigen, dass wir in der Opposition unsere politischen Ziele besser erreichen können, als wenn wir in der Regierung sind, dann müssen wir draussen bleiben. Sie würden also nur in eine rein bürgerliche Regierung unter SVP-Führung zurückkehren. Nein. Das sagte ich nie. Ich bin für die Einbindung aller starken Kräfte in der Schweiz. Aber nicht für eine Seheinkonkordanz, wie sie jetzt herrscht. Ich bilde mir ein, die Kraft zu haben, in der Regierung gegen die Linke zu regieren und Beschlüsse so zu fassen, dass ihre Referenden ins Leere laufen. Ich weiss aber nicht, ob ich den anderen Bürgerlichen diese Kraft zubilligen kann. Das braucht starke Widerstandskraft. Ob sie als Partei und als Politiker so viel Prügel aushalten würden wie die SVP in den letzten Jahren? Was wird die SVP machen, wenn Herr Schmid zurücktritt? Das wird eine schwierige Entscheidung. Meiner Meinung nach dürfen wir nicht vorzeitig in die Regierung zurückkehren. Wenn einer der SVP-Bundesräte zurücktritt, sagen wir vielleicht: Wir bleiben in der Opposition, vielleicht auch das Gegenteil. Extrem wäre natürlich, wenn Schmid in einem Jahr zurücktritt und die Partei sagt, wir treten mit Blocher wieder an. Wären Sie bereit? Grundsätzlich ausschliessen will ich nichts. Wer weiss, was bis dann alles geschieht? Für viele Politiker ist der Einzug in den Bundesrat der Karrierehöhepunkt. Was ist denn Ihr Lebensziel? Ich habe nie ein Lebensziel gehabt. Auch Bundesrat zu sein, war kein Lebensziel. Was ich verspüre, ist ein innerer Drang, diesem Land zu dienen und Missstände zu bekämpfen, weil ich Land und Leute liebe. Diesen inneren Drang habe ich immer noch. Im Bundesrat war ich vier Jahre erfolgreich. Jetzt hat man mir diesen Weg verbaut. Und ich gehe einen anderen Weg. Und wie Lange wollen Sie diesen noch gehen? Solange mir die Kraft gegeben ist. An Kraft und Temperament fehlt es mir jedenfalls nicht. Aber Sie halten sich schon für ersetzbar? Grundsätzlich? Natürlich. Das habe ich ja auch bei meinen Unternehmen so gemacht. Da bin ich innerhalb von 14 Tagen ausgeschieden. Und meine Nachfolger machen ihre Arbeit gut, besser gar noch als ich. Nein, unersetzbar bin ich nicht. Aber das darf auch nicht eine billige Ausrede sein, um den Bettel hinzuwerfen! Und wie halten Sie es jetzt mit Ihrem Kleidungsstil? Uns ist aufgefallen, dass Sie als Bundesrat auf dunklere Anzüge gesetzt haben. Kommt jetzt wieder etwas anderes? Sie haben Recht. Ich musste fast jeden Tag an Anlässe. Und da waren dunkle Anzüge gefragt. Statt mich ständig umzuziehen, habe ich dann einfach ganztags Dunkel getragen. Aber das hat Ihnen schon gefallen? Gefallen? Also ich weiss nicht. Ich muss mich ja nicht selber anschauen. Aber meine Frau Silvia fand, wir seien jetzt ja auch Vertreter des Landes. Da müssten wir schon ordentlich daherkommen. Man hatte den Eindruck, dass der repräsentative Teil der Bundesratsarbeit insbesondere Ihrer Frau sehr gut gefallen hat. Nein, das war eine Täuschung. Wir haben auch an besonders wenigen Anlässen teilgenommen. Meine Frau tanzt sehr gerne, deshalb nahmen wir schon immer - auch vor Eintritt in den Bundesrat - meistens zweimal pro Jahr an Bällen teil. Anscheinend ist ein tanzender Bundesrat eine Attraktion. Für meine Frau Silvia ist die Abwahl eine grosse Erleichterung.

10.12.2007

Lob dem Schöpfer des ZGB

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Feier "100 Jahre ZGB", 10. Dezember 2007, im Nationalratssaal, Bern 10.12.2007, Bern Bern. Bundesrat Christoph Blocher ging in seinem Referat anlässlich der Feier "100 Jahre ZGB" auf die Entstehung des Zivilgesetzbuches ein. Er würdigte die von Weitsicht, Respekt und Offenheit geprägte Arbeit von Eugen Huber, dem Verfasser des Entwurfs des heutigen ZGB. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr verehrter Herr Nationalratspräsident, Sehr verehrter Herr Ständeratspräsident, Sehr verehrte Damen und Herren National- und Ständeräte Sehr verehrte Damen und Herren 1. Der Schöpfer "Je pense être votre interprète à tous en exprimant ici notre vive reconnaissance à M. le professeur Huber, le savant auteur du projet du code civil, à M. Huber notre infatigable rapporteur. Cette œuvre à juste titre portera son nom." So sprach im Jahre 1907 der Nationalratspräsident nach Verabschiedung des ZGB in den eidgenössischen Räten. Diese Worte sind mehr als eine der üblichen Pflichtübungen eines Ratspräsidenten. Es war in die Augen springend und gilt heute 100 Jahre später ebenso, dass das Schweizerische Zivilgesetzbuch einen Namen trug, nämlich denjenigen von Eugen Huber. 2. Zuerst das historisch Gewachsene Es war eine grosse "historische" Aufgabe aus all den bestehenden Zivilgesetzbüchern ein Schweizerisches Zivilgesetzbuch zu schaffen, das der Vielfalt einerseits und der Gesamtheit andererseits gerecht werden sollte. Doch das Ganze gelang unter anderem auch deshalb, weil man nicht hochtrabend mit einer gross tönenden Vision begann, sondern sich zuerst mit dem Bestehenden, dem historisch Gewachsenen beschäftigte. So war es Eugen Huber, der 1884 vom Schweizerischen Juristenverein den Auftrag erhielt, das schweizerische Privatrecht auf seiner geschichtlichen Grundlage darzustellen. Davon, dass er diesen Auftrag mit Bravour erledigte, zeugt sein Standardwerk "System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts", das in vier Bänden zwischen 1886 und 1893 erschien. Es war ein weiser Entscheid, dass der Bundesrat im Jahre 1892 den grossen Kenner des schweizerischen Privatrechts, Eugen Huber, mit dem Auftrag betraute, den Entwurf für ein schweizerisches Zivilgesetzbuch auszuarbeiten. Dieser lag - nach verschiedenen Teilentwürfen - 1900 vor, zusammen mit Erläuterungen, die heute noch eine wichtige Grundlage für das Verständnis des Zivilgesetzbuchs sind. 3. Zukunftsgestaltung auf solider Grundlage Diese eindrückliche Präsenz Eugen Hubers im Gesetzgebungsprozess ist aber kein Produkt des Zufalls. Huber ging mit grossem Respekt an das in den Kantonen gewachsene Recht, berücksichtigte aber sehr wohl die Bedürfnisse der Zeit und der Zukunft. Eugen Huber wollte der Schweiz zu einem einheitlichen Privatrecht verhelfen, aber er begnügte sich nicht damit. Er ahnte die Veränderungen, die das angebrochene 20. Jahrhundert mit sich bringen würde. Gleichzeitig war sich Eugen Huber im Klaren darüber, dass dieser Aufbruch nur gelingen konnte, wenn man am Bewährten festhielt. Gegenüber dem Bundesrat äusserte Huber sich dazu 1893 wie folgt: "Der Entwurf eines einheitlichen Civilgesetzbuches wird notwendig zwei Tendenzen aufweisen müssen: eine fortschrittliche, womit er den Bedürfnissen der Gegenwart und Zukunft entgegen zu kommen sucht, und eine konservative, womit er die guten einheimischen Überlieferungen sowohl vor unbegründeter Neuerung als auch vor Nachahmung fremder Erscheinungen zu bewahren bestrebt ist." – So weit Eugen Huber. 4. 100 Jahre als Ziel für die Gesetze Die Tatsache, dass das ZGB schon 100 Jahre alt ist, ist Zeichen und Indiz für die Qualität. Hätte es nichts getaugt, wäre es schnell wieder total revidiert oder ganz abgeschafft worden. Was ist denn daran so hervorragend? Es war mitunter der Wille Unterschiedliches, ja sogar auch Gegensätzliches, zusammenzubringen. Das hat zu einem Zivilgesetzbuch geführt, dessen wesentlichstes Merkmal seine Offenheit ist. So verpflichtet beispielsweise Artikel 2 Absatz 1 jedermann dazu, in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Ein Satz, der weit über das Gesetz hinaus Bedeutung erlangte. Er wurde zu einem Erziehungsgrundsatz rechtschaffener Schweizer Familien. Und noch einen Schritt weiter ist der Gesetzgeber im nicht minder berühmten Artikel 1 gegangen. Dieser Artikel verpflichtet das Gericht darauf, das Zivilgesetzbuch anzuwenden. Gleichzeitig aber bekennt sich das Gesetz offen zu seiner Lückenhaftigkeit, Lücken, die dann das Gericht zu schliessen hat. 5. Bewährt Hat sich diese Offenheit bewährt? Das kann man wohl sagen. Nämlich: Auch das beste Gesetz lässt sich in einem Land wie der Schweiz nicht von oben herab diktieren. Eugen Huber hat dies früh erkannt und immer respektiert. Eugen Huber ist Vorbild für gute gesetzgeberische Tätigkeit. Auf dass die Gesinnung des Schöpfers unseres ZGB bleibe, möchte ich ihm hier und heute unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen.

02.12.2007

Wir müssen Majorzfiguren aufbauen

SVP-Bundesrat Christoph Blocher über den Wahlsieg seiner Partei, Samuel Schmid und seine Zukunft als Justizminister 02.12.2007, Sonntag, Othmar von Matt Die SVP müsse sich nun als bürgerliche Leaderpartei Gedanken über die Zusammenarbeit mit den anderen Parteien machen, sagt Bundesrat Christoph Blocher zum Wahisieg seiner Partei. Und die Partei müsse mehrheitsfähiger werden. Herr Bundesrat, ein Rekrut erschoss mit dem Sturmgewehr eine 16jährige Frau. Sollen Schweizer ihre Armeewaffen nun im Zeughaus lassen? Auch nach einer so schrecklichen Tat gilt es den Sachverhalt abzuklären, bevor man voreilig Schlüsse zieht. Das Ziel muss sein, keine solchen Taten und keine Schiessunfälle zuzulassen. Da dies in den Zuständigkeitsbereich von Bundesrat Schmid gehört, möchte ich mich dazu nicht weiter äussern. Sie fordern aber strengere Massnahmen im Umgang mit Munition in der Armee? Eindeutig. Es braucht unter Umständen strengere Massnahmen, damit solches nicht vorkommt. Doch bevor man entscheidet, muss man allfällige Schwachstellen abklären und diese eliminieren. Mehr kann man heute nicht sagen! Die Wahlen vom 21. Oktober haben grössere Verschiebungen gebracht als man bisher realisiert hat. Das zeigt sich immer deutlicher. Die SVP ist unerwartet die grosse Gewinnerin. Mit 29 Prozent erzielte sie ein Resultat, das seit Einführung der Proporzwahlen 1919 keine Partei je erreichte. Die Hauptverluste liegen bei der SP – und die Grünen legten weniger stark zu als angenommen. Vor den Wahlen gab es zwei in etwa gleich starke Parteien: SP und SVP. Heute ist die SVP so stark wie SP und Grüne zusammen. Damit erhält ein dritter Block Bedeutung: die Mitteparteien. Und die SVP muss sich überlegen: Wie verhält sie sich in dieser Situation? Die SVP muss sich überlegen, wie sie mit ihrer Leaderrolle umgeht. Eine Partei, die so schnell gewachsen ist, muss sich erstens strukturell organisieren, vor allem in den "neuen" Kantonen. Zweitens muss sie sich darüber klar werden, wie sie mit den anderen Parteien zusammenarbeitet. Trotz ihrer 29 Prozent könnte die SVP in den nächsten vier Jahren isolierter sein. Die FDP will sich stärker von der SVP abgrenzen, ihr Profil stärken. Ich begrüsse es sehr, wenn die FDP ihre Klarheit im Profil schärft. Wenn sie sich allerdings nach links bewegt, bedeutet das eine erneute Stärkung der SVP. Die Freisinnigen wollen sich als eigenständige Kraft profilieren. Die Frage ist: Wo? Mit welchen politischen Standpunkt? Die konservativen Flügel von FDP und CVP stehen der SVP politisch nahe. Verschieben sich diese Parteien nach links, stärken sie damit die SVP. Es benötigt für diese Parteien viel wirklichkeitsbezogene Analyse und harte Gedankenarbeit, um abzuklären: Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Was raten Sie der FDP? Ich bin nicht berufen, die FDP zu beraten. Aber allgemein: Führungsarbeit ist gefragt. Eine klare, unverkrampfte und tiefe Ist-Analyse. Die FDP hat heute ein schwerwiegendes programmatisches Problem und ein Basis-Problem. Sie kann tun was sie will: Es ist nie richtig. Das ist ein Zeichen für eine zu grosse Breite. Die Partei sollte ein klares Programm festlegen und damit in Kauf nehmen, dass ein Teil eines Flügels abwandert. Auch die SVP war in den 80er Jahren gezwungen, diese Arbeit durchzustehen. Eine Partei ist immer "parteiisch"! Diskussionen stehen auch in der SVP an, die klarer als je zuvor in der Regierungsverantwortung steht. Diese Diskussionen laufen an. Die SVP wollte nie Oppositionspartei sein. Sie geriet in die Opposition. Sofern sie Regierungspartei bleibt, ist die Kunst, das Gedankengut zu halten – im Wissen darum, dass die SVP Kompromisse wird machen müssen. Grundsätzlich gilt: Wenn die anderen Parteien die Stärke der SVP stärker akzeptieren, muss diese auch bereit sein, eine stärkere Rolle zu übernehmen. Das bedeutet aber, dass die anderen Parteien die SVP bei Kompromissen ernsthaft miteinbeziehen. Die Gegner sollten eines gelernt haben: Je stärker sie die SVP bekämpfen, desto mehr legt sie zu. Nach diesen Wahlen müssen sich alle Parteien neu orientieren, auch die SVP. Ab Januar wird sich die Partei an die Arbeit machen. Sehen Sie Toni Brunner als Parteipräsidenten? Ja. Und Adrian Amstutz? Ja, auch das wäre eine guet Kanditatur. Es gibt aber auch andere. Die SVP hat gute Leute, nur müssen sie das Amt auch wollen. Bei der SVP ist das Knochenarbeit, um die sich gute Leute nicht reissen. Sie selbst haben im EJPD die wichtigsten Dinge abgeschlossen, könnten das Departement wechseln. Werden alle sieben Bundesräte wieder gewählt, werden die Departemente kaum neu verteilt. Wenn ich im EJPD bleibe, steht im EJPD, steht die Gesetzgebung nicht mehr so sehr im Vordergrund. Die Durchsetzung des Rechts wird mein neues Schwergewicht sein. Wir haben einerseits viele Gesetze, die nicht angewendet werden. Andererseits reagiert der politische Betrieb auf jede Unvollkommenheit mit einem neuen Gesetz und hat damit ein Alibi. Rechtstaatlich bedenklich ist, dass man das Gesetz gegen Einzelne – vor allem gegen jene, die man nicht mag – anwendet. Sie wollen bestehendes Recht konsequenter durchsetzen? Wir müssen die Regulierungsdichte auf die wesentlichen Dinge konzentrieren und diese dann konsequent durchsetzen. Dieses Problem möchte ich anpacken. Sie sehen: Die Arbeit geht mir nicht aus. Christoph Mörgeli sagte, die SVP müsse nun ihr Gedankengut besser einbringen – in der Verwaltung, in den Schulen. Was denken Sie? Die SVP muss sich einbringen. Sie wird sich auch bei den Majorzwahlen einbringen müssen. Wer im Proporz so schnell wächst, wie die SVP, ist schwächer im Majorz. Im Majorz muss man von allen gewählt werden. Die SVP soll mehrheitsfähig werden? In vielen Positionen sicher. Das heisst nicht, dass die gesamte Partei ihre Linie ändert. Aber wir müssen Majorzfiguren aufbauen. Das wissen wir schon lange. Aber man muss sich entscheiden. Für die SVP war 2007 wesentlich, dass sie sich in den Nationalratswahlen gegenüber dem einmaligen Spitzenresultat von 2003 halten konnte. Dass sie erneut so stark zulegen konnte, kam unerwartet. Die Ständeratswahlen selbst standen nicht im Vordergrund. Die SVP griff Ihren Bundesratskollegen Samuel Schmid massiv an. Und Schmid musste annehmen, dass Sie diese Angriffe stützen. Einzelne Parlamentarier übten Kritik. Von massiven Angriffen der SVP habe ich nichts gehört oder gesehen! Man muss die Sache vor den Wahlen nüchtern betrachten: Samuel Schmid wurde ursprünglich gegen den Willen der SVP gewählt, wegen seines aussenpolitischen Kurses. Aber das ist bereinigt. Die SVP hat ihn 2003 unterstützt und wird ihn wieder unterstützen. Differenzen darf und muss es geben. Werden sie nicht ausgesprochen, wird die eine Partei unglaubwürdig. Wie kommen denn die Bundesräte Blocher und Schmid miteinander in der Regierung zurecht? Da gibt es keinerlei Probleme. Natürlich haben wir manchmal sachliche Differenzen. Aber das haben andere auch. Nur: Samuel Schmid muss annehmen, die SVP-Angriffe kämen indirekt von Ihnen selbst – oder zumindest mit Ihrer Billigung. Das nimmt er nicht an, weil es nicht so ist. Sind Sie nach der Stellungnahme des Bundesrates zum GPK-Bericht reingewaschen? Nein, weil ich gar nie schmutzig war! Es geht um eine schwerwiegende institutionelle Angelegenheit: Wie beaufsichtigt man die Bundesanwaltschaft, ohne deren notwendige Unabhängigkeit zu tangieren. Eine Bundesanwaltschaft, die völlig unabhängig ist und machen kann, was sie will, ist rechtstaatlich bedenklich und sehr gefährlich. Denn sie hat grosse Mittel, um in die Freiheit der Bürger einzugreifen. Wenn die Aufsicht nicht funktioniert, ist die Gefahr gross, dass Unschuldige verfolgt und Schuldige nicht verfolgt werden. Andererseits darf die Strafverfolgungsbehörde durch die Aufsicht nicht zum Spielball politischer Interessen verkommen. Eine kaum zu meisternde Gratwanderung. Trotz verschiedenen Auffassungen setzte sich im Bundesrat und bei Fachleuten die Ansicht durch, dass die Aufsicht ungeteilt bei der Exekutive sein sollte. Das ist das positive Resultat der Auseinandersetzung mit der GPK. Nach "Geheimplänen" und "Komplotten" folgt also wieder der Alltag? Es ist auch an der Zeit.