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Geschichte

06.04.2011

Die Schweiz verdankt Basels Bürgermeister die Souveränität

Buchrezension für die Basler Zeitung Dass Basel seinen Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein in hohen Ehren hält, erkennt man leicht an der nach ihm benannten Strasse, der Brücke und dem Platz. Wettstein stammte zwar aus keinem Basler Geschlecht: Sein Vater war als Weinbauer aus der Zürcher Oberländer Gemeinde Russikon zugewandert, brachte es zum Basler Spitalmeister und ermöglichte dem Sohn eine glänzende Laufbahn im Staatsdienst. Als Basler Bürgermeister gilt er für mich als wohl grösste diplomatische und politische Begabung der Alten Eidgenossenschaft. Zwar blieb Wettstein innenpolitisch dem absolutistischen Gedankengut von schroffer Trennung zwischen Obrigkeit und Untertanen verhaftet; er befürwortete sogar die Hinrichtung der Anführer im Bauernkrieg. Doch sein grosser Erfolg ist ein aussenpolitischer: Ihm verdankt die Schweiz nämlich die staatsrechtliche Anerkennung der Neutralität und Unabhängigkeit vom deutschen Reich. Umso erfreulicher ist, dass der Römerhof Verlag in seine Reihe ungewöhnlicher Biografien neuerdings auch Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) aufgenommen hat. Es handelt sich dabei um eine Neuauflage der romanhaften Erzählung „Der Schweizerkönig“ von Mary Lavater-Sloman aus dem Jahr 1935. Diese aus Hamburg stammende, mit einem Stadtzürcher verheiratete Autorin schuf sich einen Namen mit zahlreichen Erzählungen über bedeutende Figuren der Schweizer Geschichte. Dabei machte Lavater-Slomann aus ihrer demokratischen Überzeugung und ihrer Ablehnung von Diktatur und Totalitarismus kein Geheimnis. So auch im Werk „Der Schweizerkönig“, wo Johann Rudolf Wettstein seinen Neffen Rudolf Burckhardt „in ärgerlicher Verblüffung“ fragt: „Einen Vogt wünschest Du uns, Ruedi, der das Volk mit der Peitsche der Gewalt zusammentreibt? ... Ehe ihr es euch verseht, würde die Peitschenschnur sich klatschend um euch schlingen und euch zusammenbündeln – zusammenbündeln zu einem wehrlosen, entmündigten Haufen!“ Im Mittelpunkt des Romans steht Wettsteins bedeutendste Leistung, nämlich die fast einjährige Mission an die Friedensgespräche von Münster und Osnabrück (1646-1648) nach den furchtbaren Schrecken des Dreissigjährigen Krieges. Aktenkundiges vermischt sich bei der Autorin geschickt mit Erfundenem; sie schiebt eine frei erdachte Liebesbeziehung dazwischen, auch wenn sie sich im Wesentlichen an Briefe, Tagebücher und offizielle Berichte hält. Die Basler Leserinnen und Leser dürfte speziell einiges an Lokalkolorit erfreuen. Beschrieben wird etwa die familiäre Atmosphäre im Wettsteinhaus in Riehen, aber auch Wettsteins frühes Entlaufen in Venezianische Dienste aus der Ehe mit der fünf Jahre älteren Anna Maria Falkner; sie wurde ihm später gleichwohl eine bedeutsame Stütze und war wie geschaffen für ihre Aufgaben als Gattin eines Bürgermeisters. Hübsch geraten ist auch die Szene der Ankunft im fernen Osnabrück, wo der begleitende Sohn Fritz „aus den Tiefen seines Proviantsackes das eifrig gehütete Päckchen heimatlicher Leckerli“ hervorzieht. So haben sich aus Wettsteins Zeit nicht nur die Souveränität, sondern auch die "Basler Leckerli" erhalten. Ich hoffe, dass man beidem weiterhin Sorge tragen wird ! Johann Rudolf Wettstein erhob geschickt die Vorladung eines Basler Bürgers vor das Reichskammergericht in Speyer zur Sache der eidgenössischen Tagsatzung. Gegen die zögerliche Vorsicht der heimischen Handelsherren packte er mit grösserer Weitsicht und erstaunlicher Tatkraft die einmalige Gelegenheit beim Schopf. Ihm ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die seit dem Schwabenkrieg (1499) faktisch bestehende, nunmehr auch formell zu bestätigende Loslösung vom römischen Reich deutscher Nationen. Wettstein reiste 1646 ohne Einladung und vorerst ohne Legitimierung der katholischen Orte an die Westfälischen Friedensverhandlungen. Nach langwierigem, zähem Ringen mit den Abordnungen von Kaiserreich, Frankreich und Schweden erreichte er schliesslich die Bestätigung der vollen Souveränität und bewaffneten Neutralität der Schweiz. Der Roman von Mary Lavater-Sloman schildert packend das Wechselbad der Gefühle des Basler Bürgermeisters angesichts der Winkelzüge, Geheimdiplomatie und Intrigen der fremden Gesandten. Dennoch sicherte er sich bei ihnen durch taktsicheres, selbstbewusstes, aber jederzeit ehrliches Auftreten grössten Respekt, der ihm sogar den Ehrentitel „Schweizerkönig“ eintrug. Dabei musste Johann Rudolf Wettstein mit seinem kleinen Gefolge in bescheidensten Verhältnissen hausen. Die Basler hielten ihn so knapp wie nur möglich und warfen ihm in ihren Schreiben obendrein noch eine verschwenderische Hofhaltung vor. Dabei residierte der Basler Bürgermeister geradezu "ärmlich". So konnte er dem schwedischen Bevollmächtigten anlässlich eines Besuches lediglich einen Stuhl anbieten, an dem die eine Lehne fehlte. Nach Hause schrieb er darüber: "Ich bin übereilt worden, hätte sonst die andere zur Erhaltung der schweizerischen Reputation auch noch abgebrochen." Immer den Auftrag und das Ziel vor Augen, steckte Wettstein solch unerfreuliche Ereignisse ebenso weg wie seinen angeschlagenen Gesundheitszustand. Die Vorteile einer klugen Neutralitätspolitik waren ihm wohlbewusst, hatte sich doch Basel seit seinem Eintritt in den eidgenössischen Bund verpflichtet, bei Streitigkeiten stille zu sitzen und sich um Vermittlung zu bemühen. Durch ganz persönliches Bemühen errang Johann Rudolf Wettstein dank Augenmass, Hartnäckigkeit und diplomatischer Gewandtheit für die gesamte Schweiz Bedeutendes – trotz beschränkten Instruktionen und bloss halbeidgenössischer Vollmacht: nämlich die endgültige Loslösung vom Reich. Dies entsprach genau jenen Vorstellungen, wie sie Basels grosser Bürgermeister gleich zu Beginn des Westfälischen Kongresses formuliert hatte: „Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.“ Man wünschte sich dies als ewiges Verhandlungsmandat unseres Bundesrates! Mary Lavater-Sloman: Der Schweizerkönig Johann Rudolf Wettstein. Römerhof, Zürich 2011, 239 S., Fr. 36.-.

02.01.2011

Würdigung grosser Berner im Emmental

Neujahrsanlass vom 2. Januar 2011 in Wynigen im Emmental Würdigung grosser Berner im Emmental und ihre Bedeutung für die heutige Schweiz: Jeremias Gotthelf, 1797 - 1854; FriedrichTraugott Wahlen, 1899 - 1985; Albert Anker, 1831 - 1910.

11.12.2010

Blocher plant Berner Geschichtsstunde

Interview in der «Berner Zeitung» vom 11. Dezember 2010 mit Bernhard Kislig Hier geht es um Kultur, um grössere Zusammenhänge, und nicht etwa ums schnelllebige politische Tagesgeschäft, wie SVP-Vordenker Christoph Blocher während eines Gesprächs im Berner „Bellevue“ betont. Wie schon Anfang 2010 wird er auch am 2. Januar 2011 im Kanton Bern wieder über herausragende Berner Persönlichkeiten referieren. Anfang dieses Jahres kamen 1000 Besucher. Nun führt Blocher die Erfolgsstory fort. Für die kommenden Jahre liegen bereits weitere Anfragen aus dem Berner Oberland, den Kantonen Schaffhausen, Aargau und Zürich vor. „Es scheint, als würde die Rede am Bärchtelistag zur Tradition“, meint Blocher. Anfang 2011 würdigt er in der Turnhalle Wynigen den Dichter Jeremias Gotthelf, den früheren Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen und wie schon 2010 den Maler Albert Anker (siehe Kasten). Wer Blocher kennt, weiss, dass der Bezug zur aktuellen Politik nicht fehlen wird. Doch mehr dazu später. Anker-Kenner Blocher wird Gegensätze und Gemeinsamkeiten zwischen dem für Bauern-Porträts bekannten Maler und Gotthelf beschreiben. Dazu eignen sich die Illustrationen vorzüglich, die Anker für eine Prachtsausgabe Gotthelfs lieferte. Der aus Ins stammende Maler tat sich äusserst schwer damit. Anfänglich lehnte er den Auftrag mehrmals ab. Schliesslich liess er sich aber vom damaligen Bundesrat Carl Schenk dazu überreden, den Band mit Zeichnungen zu illustrieren. Das ausschlaggebende Argument von Bundesrat Schenk: „Der berühmteste Berner Maler kann doch nicht verweigern, einen Erzählband des berühmtesten Berner Dichters mitzugestalten“, sagt Blocher. Doch Anker war es nie wohl dabei. Er bezeichnete Gotthelf „als den Goliath von Lützelflüh“. Eine erste Anzahlung vom damals hohen Betrag von 3000 Franken soll er mit folgender Bemerkung postwendend retourniert haben: „Man soll die Haut nicht verkaufen, bevor der Bär erlegt ist.“ Und nachdem der Bär erlegt, respektive das Buch fertig war, habe Anker nie wieder etwas von Gotthelf gelesen, erzählt Blocher. Den Grund für die innere Abneigung sieht Blocher im unterschiedlichen Temperament und Stilmittel. Bei Gotthelf seien die Protagonisten etwas "überhöht und zugespitzt" dargestellt. Die Zeitumstände werden polemisch geschildert. Auch wenn Gotthelf "über dem Ganzen ebenfalls die Gnade Gottes walten lässt" - sagt Blocher. Der ausserordentlich korrekte Albert Anker dagegen, der seinem Vater hoch und heilig versprochen hatte, stets ein rechtschaffener Mensch zu bleiben, konnte sich mit solchen "barocken Darstellungen" nicht anfreunden. Gotthelf und Anker waren verschieden im Ausdruck. Deshalb auch das harte Verdikt des Anker-Kenners Blocher: „Die Illustrationen im Gotthelfband sind nicht vom Besten. Man merkt: Anker hat sich duchgequält". Trotz all dem sieht Blocher Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Berner Künstlern. Und zwar z.Bsp. in der Darstellung der biblischen Verheissung: „Im Schweisse deines Angesichts wirst du dein Brot essen.“ Mit anderen Worten: Niemand verhungert, auch wenn er für's Wohlergehen arbeiten muss. Bei Anker widerspiegelt sich das gemäss Blocher zum Beispiel im Gemälde, das ein Mädchen zeigt, welches in der Kälte einen grossen Brotlaib nach Hause trägt (siehe Bild). In Ankers Leitsatz „Siehe, die Erde ist nicht verdammt“, findet Blocher eine weitere Bestätigung. Die „moderne Trostlosigkeit“ und die „Verlorenheit, welche die Lebensfreude lähmt“ sind fehl am Platz. „Denn irgendwo geht immer wieder ein Türchen auf.“ Die Welt ist eben nicht verloren. Blocher räumt zwar ein, dass seine Abwahl als Bundesrat vor drei Jahren schmerzhaft gewesen sei. Doch rückblickend sei das eine Episode im politischen Schaffen Blochers und habe der SVP bei den kantonalen Wahlen sogar geholfen, sagt Blocher, während er seine Hand ballt. Erst recht bestätigt – hier kommt der Parteistratege in Fahrt – findet er diesen Leitsatz bei der Abspaltung der BDP: Nun könne die SVP geschlossener auftreten. „Das hat für Wahlen wie auch Abstimmungen Vorteile – mit einer lavierenden Berner SVP hätten wir zum Beispiel die Ausschaffungsinitiative nicht gewinnen können.“ Der Übergang von Kultur zur Politik ist bei Blocher fliessend. Als dritten „grossen Berner im Emmental“ würdigt er den früheren Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen. Bei dieser Figur geht es Blocher um die Idee, dass auch ein kleiner Staat wie die Schweiz einen eigenen Weg geht und internationalem Druck widersteht. Wahlen habe dies während des zweiten Weltkriegs getan, indem er den Selbstversorgungsgrad der Schweiz erhöhte. „Der Widerstandswille ist ein schöner Gedanke“, fügt Blocher an. Dieser Wille fehle im heutigen Bundesrat. Aktuelles Beispiel: Die Landesregierung wolle in vorauseilendem Gehorsam eine milliardenschwere Aufstockung des Kredits für den Internationalen Währungsfonds zur Finanzierung bankrotter EU-Staaten durchpauken. Weitere aktuelle Bezüge zur aktuellen Politik wird Blocher am 2. Januar 2011 nachreichen. Dass Blocher zum Jahresauftakt einen ehemaligen Berner Bundesrat würdigt, ist nur eine von mehreren Parallelen zwischen der Rede von 2010 und jener von 2011. So fiel die Rede vor elf Monaten zwischen den SVP-Sieg bei der Antiminarett-Abstimmung und die Berner Wahlen, bei denen die SVP ihre Sitzverluste nach der BDP-Abspaltung wieder wettmachen musste. Anfang 2011 hält Blocher seine Rede zwischen dem Abstimmungssieg bei der Ausschaffungsinitiative und der Nationalratswahl 2011, bei der die SVP im Kanton Bern erneut um Sitze kämpfen muss, welche an die BDP verloren gegangen sind. 2010 ist die Rechnung für die SVP bestens aufgegangen: Trotz Abspaltung konnte sie ihren Wähleranteil im Kanton Bern nahezu halten. Im Seeland schnitt sie stark ab. Also ausgerechnet in der Hochburg des abtrünnigen alt-BDP-Bundesrats Samuel Schmid. Das ist die gleiche Region, in der Blocher Anfang Jahr über Seeländer Grössen wie den früheren Bundesrat Rudolf Minger referierte, der die SVP-Vorläuferpartei BGB mitgegründet hatte. Blochers Auftritt dürfte der SVP wahltaktisch nicht geschadet haben. „Einzelne Leute meinen gar, dieser Wahlerfolg sei zu einem grossen Teil auf die Neujahrsveranstaltung 2010 zurückzuführen“, sagt Blocher und lacht schelmisch.

25.11.2010

«Ich renoviere seit 30 Jahren»

Christoph Blocher im Schloss Rhäzüns Beitrag im «Haus Club Magazin» vom 25. November 2010 mit Filippo Leutenegger Der Alt-Bundesrat öffnet exklusiv für Haus Club Magazin-Leser die Tore zur mittelalterlichen Burg in Rhätien. Es sei ein Bild des Jammers gewesen, meint Christoph Blocher: «Als die Ems-Chemie  das Schloss übernahm, war alles in einem ziemlich schlechten Zustand». Diverse Umnutzungen waren schuld: Vor dem 2. Weltkrieg wurde das Schloss, damals in Privatbesitz, jungen Auslandschweizern als Ferienlager zur Verfügung gestellt – und die respräsentativen Räume im Laufe der Geschichte ohne Rücksicht auf antike Kassettendecken und Wandmalereien unterteilt und zerstückelt. «Vor der Kosmetik waren aber zunächst handfestere Arbeiten nötig. Das Dach musste als Erstes gemacht werden.» Jetzt sind neu ungefähr hundertjährige Ziegel drauf, «weil das Schloss ja nicht geschleckt wirken darf. Wenn das so neu renoviert aussieht, gefällts mir nicht.» Christoph Blocher weiss genau, was er will und was es am Schloss Rhäzüns zu bewahren gilt. Das Fassadenfresko «Die Bärenhatz» aus dem 14. Jahrhundert an der Wehrturmaussenwand beispielsweise: «mühsam und risikoreich war das!» Erst musste natürlich ein Gerüst her – keine einfache Sache an solch einem stotzigen Hügel. Aufgrund eines alten Drucks war die Originalmalerei der «Bärenhatz» bekannt. «Drei bis vier Restauratoren sassen dann monatelang bei Wind und Wetter auf dem Gerüst und applizierten mit Tupfpinseln das neue Fresko.» Christoph Blocher lässt gleich noch eine Anekdote folgen: «Die Farbe hatten sie in winzigen Kaffeerahmbehälterli, stellen Sie sich das einmal vor! Um die Farbe möglichst originalgetreu aufzutragen!» Ob das nicht ein Vermögen gekostet habe? «Ach wissen Sie, die Einzelheiten darf man bei einem solchen Gebäude nicht zählen.» Trotzdem lässt sich Christoph Blocher dazu bewegen, eine ungefähre Zahl zu den bisherigen Investitionen zu nennen: «Wenn man alles zusammenrechnet, komme ich Handgelenk mal Pi auf ungefähr eine halbe Million im Jahr für Renovationen und Unterhalt.» Es sei ein Fass ohne Boden, man müsse Kompromisse machen: «Sehen Sie, das Bärenhatz-Fresko, das haben wir vor dreissig Jahren machen lassen. Jetzt ist es schon wieder verblasst, eigentlich steht jetzt schon die Restauration von der Restauration an – eine endlose Geschichte.» Die Christoph Blocher aber nach wie vor Freude macht. «Wissen Sie, die Aufgabe, wenn man die Mittel hat, ist es doch, solche Räumlichkeiten für die Nachwelt zu bewahren.» Weshalb das Schloss dann nicht öffentlich zugänglich sei? Der Alt-Bundesrat reagiert zum einzigen Mal an diesem Nachmittag ungehalten: «Sie würden auch nicht Krethi und Plethi durch Ihre Stube trampen lassen! Ausserdem wäre dann die Exklusivität des "Emser Gästehauses" weg, so bleibt das Schloss geheimnisvoll und speziell.» Ganz verschliesst Christoph Blocher die Räumlichkeiten aber nicht. Jedes Jahr dürfen die Rhäzünser Viertklässler einmal durch die Repräsentationsräume trapsen. Anstrengende Denkmalpflege Für die jährliche halbe Million für Renovationen und Unterhalt werden keine Subventionen bezogen. Auf Beiträge von der Denkmalpflege oder vom Kanton verzichten er und die Ems-Chemie lieber – und findet markige Worte: «Die reden sonst nur drein!» Am schlimmsten sei das im Raum mit dem Tristan-und-Isolde-Fresko gewesen: «Da meinten sie doch tatsächlich, die Mitte des Freskos sei weiss zu lassen!» Grund für das Loch im Fresko wäre gewesen, dass einst ein Durchgang durch die Wand gebrochen worden war und die Malerei deshalb nicht mehr originalgetreu restauriert werden könne. «Dabei hatten wir Referenzmaterial! Und auch sonst hätten sie mir diesen schönen Raum zerstört!» Ein Stützbalken an der Decke sei nämlich morsch gewesen und habe ersetzt werden müssen. «Jetzt stellen Sie sich vor: Da meinten die doch wirklich, statt einen neuen, ähnlichen Holzbalken einzusetzen, müsse man zeigen, dass das nicht mehr der Originalzustand sei – und stattdessen einen rot gestrichenen Metallträger einbauen! Da sträuben sich einem doch alle Haare!» Christoph Blocher hat noch weitere Ankedoten zum kantonalen Amtsstellen parat – und zeigt dabei auch gleich Selbstironie: Das Eingangsfresko über dem Tor zeigt sämtliche Wappen der vergangenen Schlossherren. Mitten drin ist der Habsburger-Adler abgebildet – «die waren ja auch am längsten Schlossbesitzer. Als es um die Restauration ging, meinte eine Amtsstelle doch tatsächlich, da dürfe der Habsburger-Adler nicht mehr drauf! Da müsse stattdessen der Bündner Steinbock hin! Aber solche Geschichtsklitterung, da weigere ich mich! Da mache ich nicht mit! Am Schluss hat das Amt – nach Ordner füllender Korrespondez – gemeint: ‹Herr Blocher, machen Sie was Sie wollen, wenn Sie nur das Blocher-Wappen nicht draufmalen!› Jetzt ist der Adler wieder drauf!» In den Sessel im grossen Napoleon-Zimmer setzt er sich aber doch gern – auch wenn es historisch nicht erwiesen ist, ob der französische Kaiser jemals hier war. «Aber für die chinesischen Kunden der Ems, für die ist das Napoleon-Zimmer das Grösste, auch wegen der Aussicht, sehen Sie: Da fliesst der Rhein direkt auf uns zu!» Und da in der chinesischen Tradition die Häuser als die glücklichsten gälten, auf welche Wasser zufliesst, geraten die Chinesen regelmässig komplett aus dem Häuschen: «Die staunen dann immer ganz begeistert, ich müsse der glücklichste Mann auf der Welt sein!» Den ganzen Hügel gesichert Die Restaurierung von Fresken ist aber eher das Dessert. Als die Ems-Chemie die Burg übernahm, galt es zunächst, die Räumlichkeiten sicher und überhaupt wieder bewohnbar zu machen. Neben einem neuen Dach war deshalb zunächst auch ein noch grundlegenderer Eingriff vonnöten: «Das Schloss steht auf dem Fels eines Bergsturzes», erklärt Blocher. Das ganze war nicht mehr stabil: «Man erzählt, ein Teil des Schlosses sei im Mittelalter einmal mitsamt dem Hang abgerutscht.» Um die Liegenschaft zu sichern, musste deshalb zunächst der ganze Hügel mit Ankern «geklammert» werden, was Querbohrungen durch den ganzen Hügel erforderte. Erst dann, sowie nach der Restaurierung des Dachs, ging es daran, die Räumlichkeiten wieder wohnbar zu machen. Diverse Böden mussten ausgetauscht, sanitäre Anlagen – «da hielten wirs einfach und simpel, es ging vorallem darum, die Raumstrukturen nicht zu zerstören» – und ein Heizsystem installiert werden. «Erdwärme kam nicht in Frage, wir stehen ja auf einem Geröllfels.» Das Schloss wird deshalb mit einigen antiken Kachelöfen, die noch in Betrieb sind, sowie, wo nötig, mit Elektroöfen geheizt. «Im Winter ist es trotzdem kalt», meint Silvia Blocher. Sie sitzt deshalb am liebsten im gemütlichen grünen Salon, den sich die Blochers in einer bequem ausgebauten Dreizimmerwohnung im Schloss eingerichtet haben. Christoph Blocher hält sich derweilen gern im Saal mit dem blauen Kachelofen auf. «Dieser Raum hat schon hitzige politische Diskussionen gehört», meint Blocher: «Unter anderem haben der damalige Präsident der Nationalbank Paul Stopper und der Ems-Chemie-Gründer Werner Oswald in den siebziger Jahren auf dem Ofenbänkli über die Währungspolitik verhandelt.» Blocher schreibt hier auch seit Jahren seine Albisgüetli-Rede. «Die 700 Jahre, die der Raum schon erlebt hat, die übertragen sich beim Schreiben!»

01.08.2010

Alles im Griff?

Gedanken zum 1. August 2010 von Dr. Christoph Blocher a. Bundesrat (Es gilt das gesprochene und das geschriebene Wort – www.blocher.ch) Liebe Miteidgenossinnen, liebe Miteidgenossen Liebe Schweizerinnen und Schweizer Sehr geehrte Damen und Herren Wir dürfen heute den 719. Geburtstag unseres Landes, unserer Schweiz, unseres Vaterlandes, feiern. Wir haben dabei Grund zu grosser Dankbarkeit: Seit 719 Jahren hat unser Land Bestand. Vor 719 Jahren hat man den Grundstein zur Unabhängigkeit gelegt. Das Recht zur Selbstbestimmung. Heute sehr aktuell! Wir wollen auch heute selber bestimmen und auch heute keine fremden Richter haben. Die Ziele von damals sind heute noch gültig. Sehen Sie in die Welt hinaus. – In den vergangenen 20 Jahren wurde viel Freiheit und Unabhängigkeit aufgegeben, weil man glaubte, die Gebilde könnten nicht gross genug sein. Die Wirtschaft ging die ersten Schritte in diese Richtung. Unternehmen wurden zusammengelegt, Konzerne konnten nicht gross genug sein. Denken Sie an die globalen Finanzsysteme. Es wurde getan, als habe man unter dem Aspekt der Globalisierung alles im Griff. Bis der Grössenwahn und die Unübersichtlichkeit eine Dimension erreichten, dass alles zusammenkrachte. Mit furchtbaren Folgen, deren Ausmass heute noch niemand kennt. Dasselbe geschieht nun in der Politik. Auch hier lehrt die Geschichte, dass konstruierte grosse Gebilde zusammenkrachen. Denken Sie an die Grossmacht Sowjetunion, denken Sie an das Reich Karls des Grossen, denken Sie an Napoleon. Es hat nie geklappt. Und was passiert mit den neuesten Bestrebungen? Was passiert mit der EU? Es ist unübersehbar: Mit der Europäischen Union ist erneut ein solches Gebilde geschaffen worden. Eine Konstruktion, möglichst gross. Alle Länder sind zusammengebunden, verlieren an Eigenständigkeit. Die Landeswährungen wurden aus politischen Gründen aufgehoben. Alles wurde in einen Topf geworfen. Man erschuf eine einzige Währung und tat auch hier so, als habe man alles im Griff. Es wurde nicht nach ökonomischen Grundsätzen gehandelt, als man den Mitgliedstaaten die Nationalbanken wegnahm, sondern aus politischem Kalkül. Nun haben die einzelnen Länder keine Möglichkeit mehr, ihre Zins- und Geldpolitik nach ihren eigenen Bedürfnissen zu regulieren. Dabei sind die Verhältnisse der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich. Jetzt ist geschehen, was voraussehbar war: Staatsverschuldungen und Zusammenbrüche sind die Folgen. Der Grössenwahn des Menschen ist, dass er glaubt, je grösser man sei, umso erfolgreicher werde das Ganze. Doch die Realität beweist das Gegenteil. Weshalb hat unser Land, die Schweiz, da nicht mitgemacht? Weil unsere Bevölkerung zu Beginn der 90er Jahre über diese Frage abstimmen konnte und weil sie dabei die Kraft hatte, Nein zu sagen. Auch die Mehrheit - zwei Drittel aller Kantone - sagten: "Nein, das kommt nicht in Frage". Mit diesem Nein sagten die Bürgerinnen und Bürger Ja zur Freiheit und Unabhängigkeit unseres Landes. Mit diesem Entscheid wehrten sie sich gegen alles, was Rang und Namen hat in unserem Land. - Die gesamte Classe politique, die Regierung, selbst die Wirtschaft fuhr damals auf dem falschen Dampfer. Heute, fast 20 Jahre später, sehen die Wirtschaftsexponenten langsam ein, dass der damalige Entscheid doch der richtige war. Durch Schaden wird man klug - oft leider erst dann. Dass wir bis auf den heutigen Tag gegenüber der Europäischen Union unsere Unabhängigkeit bewahrt haben, verdanken wir unserer besonderen Staatsform. Allein deshalb ist es möglich, heute den Geburtstag unseres Landes in Freiheit und Unabhängigkeit feiern zu können. Darum ist es das Gebot der ersten und der heutigen Stunde: Die Schweiz darf diese Staatsform nicht ändern, auch nicht durch den Beitritt in multinationale Gebilde und auch nicht durch bilaterale Verträge, die dies tun. Und dennoch: Auch wenn die Politiker es nicht laut sagen wollen, tönt es wieder aus allen Ecken, dass sie als Ziel für die Schweiz den Beitritt in die EU haben. Sie wissen, dass die Volksmehrheit zwar dagegen ist und machen darum alle erdenklichen Winkelzüge, um allmählich in die Arme der EU zu gelangen. Und meine Damen und Herren, es ist erste  Bürgerpflicht, auch in den kommenden Jahren mit Entschiedenheit zu Gunsten unserer Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen. Ein Beitritt zur EU reisst die Schweizerischen Staatssäulen nieder. Das darf nicht sein. Weil es mir so wichtig ist, überlege ich mir derzeit sehr ernsthaft, im Wahljahr 2011 nochmals als Nationalrat zu kandidieren. Dies, obschon ich dieses Jahr meinen 70. Geburtstag feiern darf. Diese Überlegung mache ich deshalb, um das riesige Anliegen - nämlich den Beitritt der Schweiz zur EU - verhindern zu helfen. Es lohnt sich, - liebe Schweizerinnen und Schweizer - diesen Kampf zu führen. Es ist ein Kampf der betroffenen Bevölkerung gegen die Obrigkeit. Denn die Obrigkeit hat andere Interessen: Sie will den Beitritt zu grossen Gebilden. Sie will dorthin, wo alle für alles aber niemand für etwas Konkretes verantwortlich ist. Es bringt auch pekuniär den führenden Leuten viel, weil die Leute in diesen schlecht kontrollierten Gebilden hoch bezahlt sind. Gleichgültig wie das Resultat aussieht. Die lästige Kontrolle der Bevölkerung ist bei einem EU-Beitritt weg. Es gibt keine Aussenstehende, die die Arbeit begutachten und die darüber abstimmen. Die Kontrolle des Bürgers geht verloren und seine Meinung spielt keine Rolle mehr. Diese Aufsicht und diese Kontrolle sind aber entscheidend. Gerade diese machen die Stärke unseres Landes aus. Es ist das Wesen der Schweiz, dass die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den wesentlichen Fragen die Weichen stellen. Würde diese Möglichkeit bei uns fehlen, so wären wir längst Mitglied der EU. Stellen Sie sich das mal vor: Wir als EU Mitglied mitten in diesem Salat! Die bessere Situation unserer Schweiz wäre dadurch zunichte gemacht. Die Neutralität unseres Landes wäre längst begraben, wenn die Politiker alleine bestimmen könnten. Denn die Politiker möchten lieber in der Grossmachtpolitik mitmachen. Man kann zum Beispiel Truppen ins Ausland schicken und dabei so tun als sei man auch jemand. Dabei wissen wir, man holt dadurch den Krieg - den Terror - ins Land! All dies ist nicht möglich mit der heutigen Staatsform. Und deshalb dürfen wir dankbar sein. Dankbar dafür, dass wir unsere Freiheit bis jetzt erhalten konnten. Und wir werden sie auch künftig erhalten können. Diese, unsere Freiheit. Sie ist hochmodern. Ich erhalte täglich Briefe aus aller Welt. Die Absender beglückwünschen uns Schweizerinnen und Schweizer, dass wir noch frei sind. Wo ich in Europa hinkomme, lautet der Grundtenor, „Sie haben es gut. Sie sind nicht dabei!“ Vor allem Deutsche reden und denken so. Und sie haben Recht. Nicht, weil wir die besseren Menschen wären. Wir sind auch nicht besser als die andern. Aber wir haben eine bessere Staatsform gewählt. Eine Staatsform, die die Freiheit und Wohlfahrt der Bürger in den Mittelpunkt stellt. Wir achten unsere Nachbarn. Wir achten andere Staaten. Wir verkehren mit ihnen. Aber wir bleiben neutral. Das heisst, wir mischen uns nicht in die politischen Verhältnisse anderer ein. Wir schützen unser Land, damit wir auch weiterhin auf unserem kleinen Flecken Erde selber bestimmen können. Wir wollen unsere Zukunft selber in die Hände nehmen. Auf Abenteuer ist weiterhin zu verzichten, indem wir uns nicht in die Angelegenheit anderer mischen. Es ist an der Zeit, diese Werte wieder zu erkennen, wieder zu schätzen. Eigentlich fällt es uns leicht, diese Einsicht zu haben, wenn wir sehen, was in diesen anderen grossen Gebilden angerichtet wird. Niemand weiss heute, wie es mit den hohen Staatsverschuldungen weiter geht. Niemand weiss heute, wie die EU zusammengehalten werden kann. Wenn EU-Befürworter ehrlich sind, geben sie das zu. Doch heute wird viel versprochen. Wichtiger wäre, Bescheidenheit an den Tag zu legen und zu sagen, es ist eine grosse Leistung, wenn man in einem kleinen Land wie der Schweiz die Freiheit und Unabhängigkeit bewahren und das Recht der Bevölkerung hochhalten kann. Wenn man in Sachfragen selber entscheiden und darüber abstimmen kann. Wenn man dieses Recht in unserer Demokratie weiter hochhält, werden wir auch künftig in Frieden und Wohlfahrt leben können. Es wird möglich sein, dass es allen Leuten gut geht. So lautet die Botschaft zum Geburtstag unseres Landes! Wir wollen in dieser Richtung weitergehen, und hoffen auf die Kraft, durchzuhalten. Dann werden wir auch im nächsten Jahr den 720. Geburtstag und noch viele weitere Geburtstage feiern können, voller Dankbarkeit. Ich wünsche Ihnen einen schönen Nationalfeiertag, Ihnen und unserem Land ein gutes Lebensjahr. Ich wünsche Ihnen alles Gute.