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Persönlich

01.12.1998

So erhalten wir unsere Arbeitsplätze

Mit Selbstvertrauen an die Arbeit - wir haben keinen Grund zur Panik! Veranstaltungsbericht eines Besuchers (Auftritt im Zentrum Oberwis, Seuzach) Wenn es gelingt, die potentiellen Kräfte von UnternehmerInnen, ArbeitnehmerInnen, PolitikerInnen und unseres Staates zugunsten eines attraktiven Wirtschafts-Standortes Schweiz zu bündeln, bleibt auch der Werk- und Arbeitsplatz Schweiz attraktiv: Vor rund 800 ZuhörerInnen machte der Zürcher Nationalrat und Unternehmer Christoph Blocher in einer auf Firmenschliessungen und Arbeitsplatz-Verluste sensibilisierten Region deutlich, unter welchen mentalen, wirtschaftlichen, bildungs- und steuerpolitischen Bedingungen er sich die Erhaltung der Arbeitsplätze vorstellt. Blocher ging sehr differenziert auf die beiden Problemfelder Arbeitslosigkeit und Rezession ein. Die Rezession befindet sich in der Endphase, sodass in ein bis zwei Jahren ein Aufschwung - und damit auch eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt - einsetzt, tat er einleitend seine persönliche Meinung kund. Blocher zeigte an einem Beispiel auf, wie sich der Wirtschaftsauschwung im Kleinen vollzieht: "Der Unternehmer entwickelt eine Idee, setzt sie um und will damit Geld verdienen. Das ist sein einziges Ziel. Wenn er ein erfolgreiches Produkt herstellt, forciert er die Produktion, braucht Produktionsräume und Personal. Er sorgt in der Baubranche, in verschiedenen Dienstleistungssektoren, bei Zulieferfirmen und im eigenen Betrieb für zusätzliche Aufträge und Arbeitsplätze. Das heisst, der Unternehmer sorgt für einen Aufschwung, weil er mit seinen Produkten Geld verdienen kann - mit Idealismus hat das wenig zu tun." Das sei auch nicht verwerflich, weil Unternehmer und Manager höchsten Anforderungen und marktwirtschaftlichen Gesetzmässigkeiten ausgesetzt seien. Blocher zeigte aus eigener Erfahrung, nämlich in der Eigenschaft als Politiker und erfolgreicher Unternehmer, Einflussmöglichkeiten auf, wie der Arbeitsplatz und Wirtschaftsstandort Schweiz - nach der Verlegung von Billigarbeitsplätzen - attraktiv bleiben kann: "Um den Werkplatz zu fördern, muss sich der Schweizer Unternehmer auf Produkte und Dienstleistungen mit hoher Qualität und hohen Leistungsanforderungen ausrichten. Er soll sich auf Güter beschränken, die kapitalintensiv sind, um die freien Kapitalkosten gut ausnützen zu können. So lässt sich der Lohnkosten-Nachteil umgehen. Das heisse gleichzeitig: Alle Massenprodukte, die Billiglohnländer produzieren können, seien zu meiden. Anders und besser sein als die anderen, laute die Devise, rief Blocher ins Plenum. Deshalb seien Produkte und Dienstleistungen rasch zu erneuern. In diesem Zusammenhang seien aber auch die potentiellen Arbeitskräfte gefordert, machte Blocher deutlich und kam anhand eines Beispiels aus der eigenen Firma auf einen wesentlichen Punkt auf dem weiten Problemfeld Arbeitslosigkeit zu sprechen: Er habe im aargauischen Dottikon mit der Herstellung neuer Produkte begonnen. Diese Produkt hätten sich auf dem Markt als äusserst erfolgreich erwiesen, so dass die Erhöhung der Mitarbeiterzahl in der Produktion nötig gewesen sei. Man habe die Fachkräfte sofort gesucht und sei - obschon Leute aus der chemischen Industrie ohne Arbeit seien - nicht fündig geworden. Es habe sich herausgestellt, dass die Arbeitslosen nicht bereit gewesen seien, einen längeren Arbeitsweg in Kauf zu nehmen. Heute sei es so, dass nach Dottikon Mitarbeiter aus dem grenznahen Ausland anfahren würden. "Wenn es Arbeitslosen wohler ist, Arbeitslosengeld zu beziehen, statt zur Arbeit zu fahren, dann stimmt etwas nicht, meine Damen und Herren", rief Blocher und erntete grossen Applaus. "Was können und dürfen wir einem Arbeitslosen aber heute an Arbeitsweg und Tätigkeitsfeldern zumuten?" Die Antworten auf diese Fragen gelte es grundsätzlich zu prüfen. Damit kam der begnadete Rhetoriker auf die Staatsausgaben zu sprechen: "In den goldenen Jahren als die öffentlichen Kassen überquollen, glaubte man, der Staat könne alles und es sei alles möglich: Geldverteilen, Geldverschleudern, grosse Ausgaben, neue Steuern, höhere Lohnabzüge, Krankenkassenprämienerhöhungen: Das war Trumpf! Und die Folge ist der heutige schlechte Zustand!" Auch für Blocher steht nicht in Frage, ob man sozial Schwachen helfen soll oder nicht: "Aber wir alle wissen, wir müssen die soziale Marktwirtschaft und den Sozailstaat auf die Dauer sichern, indem wir die zur Verfügung stehenden Mittel auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren." Er sei aber gegen das Weiterführen der Tradition, dass verschiedenste Interessengruppierungen "um das Bundeshaus herumschleichen und die hole Hand für sich machen!" Drinnen, im Parlament, hätten diese Gruppierungen, ihre VertreterInnen, die hier einen 10- dort einen 20- manchmal auch locker einen 40- oder 50-Millionen-Kredit verlangten. Weil sich immer weniger Politiker finden liessen, die den Mut aufbräch-ten, nein zu sagen, wachse der Schuldenberg kontinuierlich weiter an. Auf der anderen Seite hätten BürgerInnen und Unternehmen immer mehr an Steuerabzügen zu gewähren, während sich an der gegenwärtigen misslichen Wirtschaftssituation überhaupt nichts ändere. "So geht das nicht mehr weiter", donnerte Blocher hinter dem Rednerpult. Er kam im Verlauf seiner Rede auf weitere offene Wunden zu sprechen, die für Angst und Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft sorgen. Eine zusätzliche öffnet sich aus der Sicht des Politikers innerhalb unseres Bildungssystems: "In Volksschule, Berufsbildung, Hochschule und Weiterbildung ist Nivellierung und Anpassung nach unten nicht zu dulden. Der Neigung, die Leistung in den Schulen zu verringern, ist im Interesse der Besetzung qualifizierter Arbeitsplätze entgegenzutreten." Blocher nahm auch kein Blatt vor den Mund, als er auf die Einflussmöglichkeiten breitester Bevölkerungsteile zu sprechen kam: "Die Dauer der rezessiven Phase wird aber zu einem nicht unbeträchtlichem Teil auch vom Verhalten der breiten Bevölkerung mitbestimmt. Das Sparvolumen ist in unserem Land gegenwärtig sehr hoch. Es wären im privaten Bereich genügend Konsum-Gelder vorhanden, um den Wirtschaftsaufschwung anzukurbeln. Blocher wies dabei auf die Einstellung in unserer Gesellschaft hin und machte zwischen den Zeilen deutlich, dass es gelingen muss, mit einer positiven Gesinnung im Leben zu stehen: "Erst wenn wir die Notwendigkeit erkannt haben, den Sinnverlust, die Orientierungslosigkeit Bindungsangst und Egoismus - auch im Hinblick auf die laufende Diskussiom um nachrichtenlose Vermögen und die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg - in unseren eigenen Köpfen zu überwinden, kann es gelingen, mit neuem Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zukunftsgerichtet an die Arbeit zu gehen", schloss Blocher.

01.12.1998

Mit Selbstvertrauen an die Arbeit – wir haben keinen Grund zur Panik!

Veranstaltungsbericht eines Besuchers (Auftritt im Zentrum Oberwis, Seuzach) Wenn es gelingt, die potentiellen Kräfte von UnternehmerInnen, ArbeitnehmerInnen, PolitikerInnen und unseres Staates zugunsten eines attraktiven Wirtschafts-Standortes Schweiz zu bündeln, bleibt auch der Werk- und Arbeitsplatz Schweiz attraktiv: Vor rund 800 ZuhörerInnen machte der Zürcher Nationalrat und Unternehmer Christoph Blocher in einer auf Firmenschliessungen und Arbeitsplatz-Verluste sensibilisierten Region deutlich, unter welchen mentalen, wirtschaftlichen, bildungs- und steuerpolitischen Bedingungen er sich die Erhaltung der Arbeitsplätze vorstellt. Blocher ging sehr differenziert auf die beiden Problemfelder Arbeitslosigkeit und Rezession ein. Die Rezession befindet sich in der Endphase, sodass in ein bis zwei Jahren ein Aufschwung - und damit auch eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt - einsetzt, tat er einleitend seine persönliche Meinung kund. Blocher zeigte an einem Beispiel auf, wie sich der Wirtschaftsauschwung im Kleinen vollzieht: "Der Unternehmer entwickelt eine Idee, setzt sie um und will damit Geld verdienen. Das ist sein einziges Ziel. Wenn er ein erfolgreiches Produkt herstellt, forciert er die Produktion, braucht Produktionsräume und Personal. Er sorgt in der Baubranche, in verschiedenen Dienstleistungssektoren, bei Zulieferfirmen und im eigenen Betrieb für zusätzliche Aufträge und Arbeitsplätze. Das heisst, der Unternehmer sorgt für einen Aufschwung, weil er mit seinen Produkten Geld verdienen kann - mit Idealismus hat das wenig zu tun." Das sei auch nicht verwerflich, weil Unternehmer und Manager höchsten Anforderungen und marktwirtschaftlichen Gesetzmässigkeiten ausgesetzt seien. Blocher zeigte aus eigener Erfahrung, nämlich in der Eigenschaft als Politiker und erfolgreicher Unternehmer, Einflussmöglichkeiten auf, wie der Arbeitsplatz und Wirtschaftsstandort Schweiz - nach der Verlegung von Billigarbeitsplätzen - attraktiv bleiben kann: "Um den Werkplatz zu fördern, muss sich der Schweizer Unternehmer auf Produkte und Dienstleistungen mit hoher Qualität und hohen Leistungsanforderungen ausrichten. Er soll sich auf Güter beschränken, die kapitalintensiv sind, um die freien Kapitalkosten gut ausnützen zu können. So lässt sich der Lohnkosten-Nachteil umgehen. Das heisse gleichzeitig: Alle Massenprodukte, die Billiglohnländer produzieren können, seien zu meiden. Anders und besser sein als die anderen, laute die Devise, rief Blocher ins Plenum. Deshalb seien Produkte und Dienstleistungen rasch zu erneuern. In diesem Zusammenhang seien aber auch die potentiellen Arbeitskräfte gefordert, machte Blocher deutlich und kam anhand eines Beispiels aus der eigenen Firma auf einen wesentlichen Punkt auf dem weiten Problemfeld Arbeitslosigkeit zu sprechen: Er habe im aargauischen Dottikon mit der Herstellung neuer Produkte begonnen. Diese Produkt hätten sich auf dem Markt als äusserst erfolgreich erwiesen, so dass die Erhöhung der Mitarbeiterzahl in der Produktion nötig gewesen sei. Man habe die Fachkräfte sofort gesucht und sei - obschon Leute aus der chemischen Industrie ohne Arbeit seien - nicht fündig geworden. Es habe sich herausgestellt, dass die Arbeitslosen nicht bereit gewesen seien, einen längeren Arbeitsweg in Kauf zu nehmen. Heute sei es so, dass nach Dottikon Mitarbeiter aus dem grenznahen Ausland anfahren würden. "Wenn es Arbeitslosen wohler ist, Arbeitslosengeld zu beziehen, statt zur Arbeit zu fahren, dann stimmt etwas nicht, meine Damen und Herren", rief Blocher und erntete grossen Applaus. "Was können und dürfen wir einem Arbeitslosen aber heute an Arbeitsweg und Tätigkeitsfeldern zumuten?" Die Antworten auf diese Fragen gelte es grundsätzlich zu prüfen. Damit kam der begnadete Rhetoriker auf die Staatsausgaben zu sprechen: "In den goldenen Jahren als die öffentlichen Kassen überquollen, glaubte man, der Staat könne alles und es sei alles möglich: Geldverteilen, Geldverschleudern, grosse Ausgaben, neue Steuern, höhere Lohnabzüge, Krankenkassenprämienerhöhungen: Das war Trumpf! Und die Folge ist der heutige schlechte Zustand!" Auch für Blocher steht nicht in Frage, ob man sozial Schwachen helfen soll oder nicht: "Aber wir alle wissen, wir müssen die soziale Marktwirtschaft und den Sozailstaat auf die Dauer sichern, indem wir die zur Verfügung stehenden Mittel auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren." Er sei aber gegen das Weiterführen der Tradition, dass verschiedenste Interessengruppierungen "um das Bundeshaus herumschleichen und die hole Hand für sich machen!" Drinnen, im Parlament, hätten diese Gruppierungen, ihre VertreterInnen, die hier einen 10- dort einen 20- manchmal auch locker einen 40- oder 50-Millionen-Kredit verlangten. Weil sich immer weniger Politiker finden liessen, die den Mut aufbräch-ten, nein zu sagen, wachse der Schuldenberg kontinuierlich weiter an. Auf der anderen Seite hätten BürgerInnen und Unternehmen immer mehr an Steuerabzügen zu gewähren, während sich an der gegenwärtigen misslichen Wirtschaftssituation überhaupt nichts ändere. "So geht das nicht mehr weiter", donnerte Blocher hinter dem Rednerpult. Er kam im Verlauf seiner Rede auf weitere offene Wunden zu sprechen, die für Angst und Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft sorgen. Eine zusätzliche öffnet sich aus der Sicht des Politikers innerhalb unseres Bildungssystems: "In Volksschule, Berufsbildung, Hochschule und Weiterbildung ist Nivellierung und Anpassung nach unten nicht zu dulden. Der Neigung, die Leistung in den Schulen zu verringern, ist im Interesse der Besetzung qualifizierter Arbeitsplätze entgegenzutreten." Blocher nahm auch kein Blatt vor den Mund, als er auf die Einflussmöglichkeiten breitester Bevölkerungsteile zu sprechen kam: "Die Dauer der rezessiven Phase wird aber zu einem nicht unbeträchtlichem Teil auch vom Verhalten der breiten Bevölkerung mitbestimmt. Das Sparvolumen ist in unserem Land gegenwärtig sehr hoch. Es wären im privaten Bereich genügend Konsum-Gelder vorhanden, um den Wirtschaftsaufschwung anzukurbeln. Blocher wies dabei auf die Einstellung in unserer Gesellschaft hin und machte zwischen den Zeilen deutlich, dass es gelingen muss, mit einer positiven Gesinnung im Leben zu stehen: "Erst wenn wir die Notwendigkeit erkannt haben, den Sinnverlust, die Orientierungslosigkeit Bindungsangst und Egoismus - auch im Hinblick auf die laufende Diskussiom um nachrichtenlose Vermögen und die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg - in unseren eigenen Köpfen zu überwinden, kann es gelingen, mit neuem Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen zukunftsgerichtet an die Arbeit zu gehen", schloss Blocher.

28.11.1998

Entscheidend ist, was daraus gemacht wird

Interview mit der "Finanz und Wirtschaft" vom 28. November 1998 Interview: Peter Schuppli Herr Blocher, Sie stellen sich als Aufsichtsrat der Viag / Algroup zur Verfügung. Sie waren also im Bild, was zwischen diesen beiden Unternehmen "läuft"? Blocher: Ich hatte nur Kenntnis vom Wesentlichen. Über Details war ich nicht im Bild. Aber ich durfte gegenüber Dritten doch nicht darüber sprechen. Ich empfinde es als schlimm, wie die Informationen rundum durchsickerten. Aber das war nicht mein Problem. ...aber der Glaubwürdigkeit der involvierten Kreise waren diese Informationslecks nicht förderlich... Blocher: ...diese Lecks, waren nicht gut. In München waren so viele Leute, auch vom Staat, involviert, dass solche Inforrnationslecks fast nicht zu verhindern waren. Sie respektive Ems-Chemie zählen zu den grössten Alusuisse-Aktionären. Was ändert sich an Ihrer Position? Blocher: Meine Zusage, dem Aufsichtsrat beizutreten, bedeutet auch, dass EmsChemie das finanzielle Engagement beibehält. Es handelt sich nun aber neu um eine Beteiligung und nicht mehr bloss um eine Position im Wertschriftenportefeuille. Was ist der Unterschied? Blocher: Im Rahmen eines Portfolio-Managements werden Wertschriften wieder veräussert, wenn eine bestimmte Wertsteigerung erreicht ist - ich kann mich also jederzeit von einem solchen Engagement wieder trennen. In einer Beteiligung will ich auch industriell mitmachen. Für Ems-Chemie ist es nicht unbedeutend, dass der Chemieteil der Algroup, durch den Zusammenschluss noch wichtiger wird. Sehen Sie eine Interessenkollision zwischen der zur Ems-Gruppe gehörenden Ems-Dottikon und der Viag / Algroup-Tochter Lonza? Blocher: Dottikon und Lonza sind praktisch nirgends Konkurrenten. Wir sind Lieferanten und Kunden von Lonza, arbeiten in bestimmten Bereichen sogar zusammen. Weshalb gehen Sie zusammen mit Martin Ebner in den Viag / Algroup-Aufsichtsrat? Blocher: Wir tun das unabhängig voneinander. Ich vertrete mein Engagement, er seines. Bevor Sie Ihr den Aufsichtsrat zusagten, mussten Sie sich ein Bild machen. Wann wurden Sie über die Absichten von Algroup und Viag informiert? Blocher: Da musste man nicht speziell ins Bild gesetzt werden. Die Informationen sickerten ja durch alle Löcher. Selbstverständlich hat man als bedeutender Aktionär auch Ideen. Zudem werden mit der Gesellschaft Diskussionen geführt. Diskussionen welcher Art? Blocher: Sie mögen sich erinnern, dass Herr Marchionne schon 1997 gesagt hat, Algroup sei zu klein. Der Konzernumsatz müsse eine Grössenordnung von 15 Mrd. Fr. erreichen. Ein solches Wachstum kann man in vemünftiger Zeit allein nicht realisieren. Es stimmt, dass die Bereiche Aluminium und Verpackung zu klein waren. Viele Möglichkeiten zur Expansion gibt es nicht. Akquisitionen sind zu teuer, und aus eigener Kraft zu wachsen dauert zu lange - somit bleibt nur die Variante Merger. Die Initiative ging von Algroup aus, namentlich von Herrn Marchionne. Aus Sicht des Algroup-Aktionärs wäre ein Übernahmeangebot doch vorzuziehen gewesen. Der Zusammenschluss mit der ertragsschwächeren Viag bringt für ihn doch eine Gewinnverwässerung und eine noch breitere Diversifikation. Die Algroup-Führung aber beteuerte stets, die Ertragskraft zu stärken und den drei Konzernbereichen keinen vierten hinzuzufügen... Blocher: ...in einem Merger ist nicht immer alles lupenrein. Aber man muss das Wesentliche sehen: Die Zielsetzung von Herrn Marchionne ist, überall Klassenbester zu sein. Bereiche, die dieses Ziel nicht erreichen, werden einen anderen Eigentümer suchen müssen. Der von Ihnen praktizierten Fokussierungsstrategie bleiben Sie somit treu... Blocher: ...selbstverständlich. Aluminium, Verpackung und Chemie werden auf jeden Fall bleiben. Ist Ihnen wohl dabei, in einem Aufsichtsrat eines Unternehmens zu sitzen, das die schwächere Ertragskraft hat als Algroup allein? Blocher: Mich interessiert nicht, was die Vorgänger in der Viag taten oder unterliessen. Mich interessiert, was das neue Gebilde erreichen kann. Das sieht gut aus. Sonst würde ich nicht mitwirken. Handelt es sich nicht um eine unternehmerische Bankrotterklärung, wenn ein Konzernchef das Heil in der Fusion sucht, wenn er mit dem eigenen Unternehmen nicht mehr vorankommt? Blocher: Nein, nein. Herr Marchionne ist einer der gestaltenden Köpfe in dieser Sache. Und in der Algroup hat er gezeigt, was er kann. Aber ich gebe Ihnen recht: Das ist nicht das Ende, sondern der Anfang. Entscheidend ist, was daraus gemacht wird. Sie sind für schlanke Führungsstrukturen und kurze Entscheidungswege. Der Aufsichtsrat wird zwanzig Mitglieder, davon zehn Gewerkschaftsvertreter umfassen. Wie können Sie sich in einem solchen Gremium wohl fühlen? Blocher: Das wird sich weisen. Natürlich habe ich gewisse Hemmungen, in einem derart grossen Aufsichtsrat mitzuwirken. Aber alle sind sich im Klaren, dass mit der hinzugewonnenen Marktstärke etwas erzielt werden kann. Da ist noch viel Potential drin. Auch die Alusuisse-Betriebe werden dank des Zusammenschlusses aufblähen. Lässt sich aus Ihrer Präsenz im Aufsichtsrat der Viag / Algroup ableiten, dass Sie ausloten wollen, ob die Ems-Chemie-Gruppe auch hineinpassen würde? Blocher: Nein. Aber die Beteiligung wird zu einem wichtigen Teil der Ems-Chemie, deshalb engagiere ich mich auch im Aufsichtsrat. Im Moment ist Ihre Frage kein Thema für uns. Es besteht diesbezüglich auch keinerlei Absicht. Die Grossaktionäre der Viag wie der Algroup waren von den Unternehmen kontaktiert worden. Sie wussten also mehr als alle anderen Aktionäre. Wie steht es mit der Gleichbehandlung der Aktionäre? Blocher: Selbstverständlich durften wir, nachdem wir ins Bild gesetzt waren, mit dem Insider-Wissen keine Börsentransaktionen mehr vornehmen. Und wenn Sie verfolgt haben, was in den letzten zwei, drei Wochen alles in der Presse stand, kann man nicht sagen, die Aktionäre hätten nichts gewusst. Warum machten Sie sich nichtstark für ein Übernahmeangebot der Viag an die Alusuisse-Aktionäre? Blocher: Ich glaube nicht, dass Viag finanziell imstande gewesen wäre, die Algroup zu übernehmen. Der jetzt gewählte Weg ist doch viel besser, weil ein Zusammengehen zwischen "equals" die viel grösseren Gestaltungsmöglichkeiten offen lässt. …was erst noch zu beweisen ist... Blocher: ...aber das ist immer so. Ich bin ja weit davon entfernt zu sagen, die Sache ist gelaufen. Die Voraussetzungen jedoch sind hervorragend, Ich sehe nur, was man aus Viag / Algroup machen könnte. Ob das dann auch geschieht, werden wir sehen. Bemerkenswert finde ich auch, dass der Sinn dieser Fusion nicht im Bereich der Kosteneinsparungen liegt, sondern in der Marktstärke. Sie werden inskünftig im Aufsichtsrat eines Konzerns mit Sitz in einem EU-Land sitzen, Nähert sich Christoph Blocher ideologisch der EU... Blocher: ...hei, hei, auf keinen Fall. Ich verstehe die Frage nicht: Wir müssen doch nicht der EU beitreten, nur weil wir wirtschaftlich international zusammenarbeiten. Die nationalistischen Töne in einer sonntags erscheinenden Zeitung habe ich als ganz komisch empfunden.

01.11.1998

Christsein im Alltag

Ansprache anlässlich des Reformationssonntages in der reformierten Kirchgemeinde Wasen im Emmental am 1. November 1998 Ihr Pfarrer hat mich noch im letzten Jahr gebeten, heute - am Reformations-sonntag 1998 - eine sogenannte Laienpredigt zu halten. Ich habe ihm damals einschränkend zugesagt, dass ich keine Predigt halte, sondern ihm höchstens für einen Vortrag zusagen könne. Ich lehne es nämlich aus theologischen Gründen ausdrücklich ab, eine Predigt zu halten. Dies, weil ich die Kirche und damit den Gottesdienst ernst nehme. Predigen sollen die Pfarrer, aber die Pfarrer sollen dann im Gottesdienst auch predigen und nicht Vorträge halten. Predigen heisst: Das Evangelium verkünden in Auslegung der Heiligen Schrift. Die Pfarrer - nicht ich - sind ausgebildet und eingesetzt zu diesem Amt der Predigt. Vom Risiko der Laienpredigt Erst einige Monate später hat mir ihr Gemeindepfarrer geschrieben: ""Wir" - ich nehme an, dass damit die Mitglieder des Kirchgemeinderates gemeint sind - "teilen mit Ihnen die Auffassung, dass die Kirche den Auftrag zu predigen hat und nicht zu politisieren. So ist es dem Kirchgemeinderat ein Anliegen, dass auch am Reformationssonntag keine Ausnahme gemacht wird". Was steckt wohl hinter solchen Zeilen? Ich nehme an, dass im Kirchgemeinderat plötzlich einzelne Mitglieder die Angst gepackt hat, der Politiker Christoph Blocher sage ungeschminkt, was er denkt. Das könnte dem Kirchgemeinderat oder vielleicht sogar der Kirche zur Kritik gereichen. Vielleicht haben Sie auch gedacht, ein solcher Redner könnte dem eigenen "Christsein" schaden! Und das passt eigentlich ganz gut zum Thema, welches Sie mir gegeben haben, nämlich zum "Christsein im Alltag". Verdächtiger Vortragstitel Ehrlich gesagt, dieses Thema bereitet mir Mühe. Die beiden Hauptwörter "Christsein" und "Alltag" scheinen nicht recht zusammen zu passen, sonst müsste man nicht darüber reden. An Sonn- und allgemeinen Feiertagen - an den Ruhetagen - ist "Christsein" anscheinend gut möglich, während im Alltag - am Tag der Arbeit, am Tag des Geldverdienens, am Tag des Geschäftemachens, am Tage, wo die Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit des Menschen anscheinend offensichtlich ist, "Christsein" offenbar schwierig wird. Zum "Alltag" Lassen Sie mich beim sogenannten Alltag beginnen. Als Unternehmer und Politiker bin ich ein Schwerarbeiter, für den vor allem die Werktage zählen. Darum habe ich eigentlich nur für Dinge Verständnis, die für den Alltag brauchbar und praktisch sind. Irgendwelche "Sonntagsseiten" von Dingen und von Menschen sind mir darum unheimlich. Ich habe das ungute Gefühl von "Vortäuschung falscher Tatsachen", von "Scheinexistenz" - ja gar von Verlogenheit. Zwar freue ich mich über den Sonntag - über den Tag des Herrn - über den Ruhetag. Aber Sinn macht er für mich natürlich nur im Hinblick auf den Alltag, den Werktag. Wenn nun von "Christsein im Alltag" gesprochen wird, dann möchte ich gleich unwillig herausfragen: Was soll den das? Gibt es vielleicht auch ein "Christsein" ausserhalb des Alltages? Alles aber, was ausserhalb des "Alltages" liegt, also nicht mit dem alltäglichen Leben zu tun hat, findet weder mein Interesse noch meine Sympathie. Denn alles, was wirklich lebt, ist alltäglich - und was nicht alltäglich ist, ist nicht wirklich lebendig. Wie sollte ich denn da "Christsein" auch nur interessant, geschweige denn sympathisch finden? Christsein Damit bin ich beim "Christsein": Ich denke an die Bezeichnungen "christlich", "Christsein", "wir Christen", etc. Innerlich stosse ich stets an, wenn ich höre "wir Christen". Ich habe mich in der Bibel - die mich immer wieder ausserordentlich stark beschäftigt - schon mehrmals umgesehen und das Wort "Christ" gesucht. Ich habe es für den heutigen Vortrag erneut getan, und um ganz sicher zu sein, habe ich noch einen Theologen beigezogen, der sich mit der Auslegung der Bibel beschäftigt. - Und es hat sich bestätigt, das Wort "Christ" kommt im Neuen Testament nur dreimal vor. - In Apostel-Geschichte 11,26; 26,28 und 1. Petrus 4,16. In allen drei Stellen wird "Christen" eher wie eine Art Volksgruppenbezeichnung gebraucht. Als "Christ" bezeichnet sich selber niemand im Neuen Testament. "Wir Christen" oder "Ich der Christ" kommt nie vor! Die Menschen, welche im Neuen Testament zu Worte kommen, halten sich offenbar in keiner Weise für "besonders gute Leute" - und diejenigen, welche ihre Worte hören und lesen, anscheinend auch nicht. Man hat offenbar erst später eine Besonderheit der "Christen" behauptet: Nämlich, dass sie sich für Gott, für Christus oder gar für den Heiligen Geist entschieden hätten und darum der Heiligen Dreieinigkeit, dem Seelenheil und überhaupt einem "rechten Leben" näher stünden als andere Leute. Diese Meinung scheint sich heute wieder zu verstärken. Ich kann allerdings im Neuen Testament nichts davon finden. Wenn dort von "Entscheidung" die Rede ist, dann ist immer eine grundlegende Entscheidung Gottes gemeint - und zwar eine, welche völlig unabhängig von jedem menschlichen Tun geschehen ist. Nicht wir haben Ihn anzunehmen, sondern Er hat uns angenommen. Er hat sich für uns Menschen - für alle Menschen - entschieden. Und damit auch für unser Land, für unser Volk, für die ganze Welt. Für alle ist Er gestorben und auferstanden. Und weil ich ja nun doch auf einer Kanzel stehe, darf ich auch ein Bibelwort zitieren, das in diesem Zusammenhang zu bedenken wäre. (Text lesen Epheser 1,3-5) Der Apostel Paulus spricht hier in Epheser 1 - von der "Erwählung vor Grundlegung der Welt" - von der "Vorherbestimmung nach freiem Entschluss seines Willens" und - von der "Begnadigung". (Epheser 1,3-5) Während das Wort "Christsein" meines Wissens in der Bibel überhaupt nie vorkommt, wird hingegen vielfach der Begriff "in Christus sein" gebraucht. Und ich meine, dies bedeute etwas ganz anderes als eine ethische Höherstellung des Menschen. "Christsein" ist etwas diametral anderes als "In Christus sein". Oder können Sie sich als Vortragsthema vorstellen: "In Christus sein im Alltag?". Unmöglich. "In Christus sein" ist so absolut, dass es keine Einschränkungen mehr erträgt. "In Christus sein" anerkennt die Wirklichkeit des Menschen ohne jede moralische Wertung. Diese Wirklichkeit soll Martin Luther - am Reformationssonntag sei es auch für mich Politiker erlaubt, ihn zu zitieren - mit der lateinischen Bezeichnung "simul iustus - simul peccator" (d.h. zugleich gerecht gesprochen - zugleich ein Sünder) beschrieben haben. Oder wie es unser Vater zu Hause seinen vier kleinen Söhnen liebevoll aber auch etwas derber zugerufen hat: "Ihr Prachtskerle und zugleich Lumpengesellen". Damit ist die Mitte des Evangeliums ausgeleuchtet: Die Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden allein, die allen Menschen, unabhängig von ihren Werken, längst zuteil geworden ist, zuteil wird und in alle Ewigkeit zuteil werden wird: "Somit kommt es nun nicht auf den an, der will, noch auf den, der läuft, sondern auf Gott, der sich erbarmt". (Römer 9,16) Konsequenzen Liebe Gemeinde, diese Wirklichkeit, diese Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen: Sehen Sie: In dem Text aus Epheser 1, den ich erwähnt habe, tauchen drei Wörter auf, die mir sehr wichtig scheinen: die Wörter - erwählt vor Grundlegung der Welt - vorherbestimmt nach dem freien Entschluss seines Willens - die Herrlichkeit seiner Gnade. Ich bin der Meinung, dass unser privates Leben und gleicherweise auch das Leben eines ganzen Volkes grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt dieser Erwählung zu sehen ist. In der Bibel ist die ganze Menschengeschichte von der Erwählung Gottes bestimmt - dass aber zu dieser Erwählung sofort auch immer das Gegenteil, die Verwerfung, gehört. Besonders beeindrucken mich - vielleicht, weil ich Politiker bin - die beiden politischen Gestalten Saul und David, der erste und der zweite König des Volkes Israel. Beide, Saul wie David, sind von Gott erwählt und von seinem Propheten gesalbt. Der eine - Saul - wird aber auch wieder von Gott verworfen. Weshalb er verworfen wird, ist für uns völlig unverständlich und ohne jeglichen ersichtlichen Grund. Verworfen wurde er, weil er - nachdem Samuel, der Prophet, sieben Tage lang nicht erschienen war - vom Feinde bedrängt das Opfer selbst darbrachte. Er wird willkürlich verworfen, durch Gottes Willkür. Beide, Saul und David, waren ohne Zweifel das, was wir alle - ohne Ausnahme! - sind: fehlbare, sündige Menschen, voller Schwächen und Mängel. Bei David, dem Auserwählten, sind diese Schwächen und diese Fehler besonders gut ersichtlich. Saul und David hatten beide ihre Zeiten des Glanzes und ihre Zeiten des Elends, Zeiten der Bewährung und Zeiten des Versagens. Wenn man ihre Geschichte genau liest, merkt man; in all den verschiedenen Zeiten hatten sie je eine besondere Sache darzustellen: einmal das eine, dass wir Menschen Sünder sind, Menschen, die mit Martin Luther sagen müssen: "Es ist doch unser Tun umsonst, auch in dem besten Leben" (Kirchengesangbuch, Lied No. 37,2) - aber auch das andere, das dem eben genannten Lied-Vers vorausgeht: "Bei Dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben". Ich meine, dass die Bibel und damit die von ihr verkündigte Frohe Botschaft keinen Zweifel offen lässt, was schlussendlich das ewig Gültige bleibt. Das Heil eines Menschen und das Heil eines Volkes besteht immer nur darin, dass Gott uns seine Gnade als das Letzte und Entscheidende zukommen lässt. So ist sein eigener Sohn, Christus, selber zum Verworfenen geworden und hat alle Schuld der ganzen Welt auf sich genommen. Durch seine Auferstehung von den Toten ist er dann zum Erwählten geworden, und hat so alle Verworfenen in die Gnade Gottes eingehüllt - und zwar alle Menschen, alle Völker, alle Welt. Gleichgültig, welche Weltanschauung und Glaubenshaltung dahinter steht. Wir leben alle von der gnädigen Haltung, die Gott uns allen gegenüber einnimmt. Und da hätten wir eigentlich alle dasselbe zu tun - und die weitaus überwiegende Mehrheit der Menschen tut es auch -: Mit grosser Dankbarkeit und gesundem Stolz auf das zu blicken, wozu wir an dem für uns vorherbestimmten Platz erwählt sind - und uns mit ebenso grosser Demut und Aufrichtigkeit darunter zu beugen, dass uns an diesem Platz auch unsere Verwerfung zugemutet wird. Da haben Pharisäertum, Heuchelei und Moralismus nichts zu suchen. Und doch, wie oft treffen wir gerade in Wirtschaft und Politik - aber auch in der Kirche - auf Heuchler und Moralisten. Sie erkennen diese daran, dass es ihnen letztlich nie um Verantwortung, nie um das Einstehen für andere geht. Nie geht es ihnen darum, für andere ein gutes, tragbares oder bestmögliches Ergebnis zu erzielen und durchzusetzen, sondern es geht ihnen lediglich um sich selbst: Um die eigene unbefleckte Weste, um das eigene Ansehen. Sobald ihr Ansehen befleckt zu werden droht, sobald sie den Kopf hinhalten müssen, schleichen sie sich aus der Verantwortung und sind nicht mehr da. Wer Verantwortung trägt, hat aber einen Auftrag Den Auftrag nämlich, in einer ganz bestimmten Sache, an einem ganz bestimmten Ort, zu einer ganz bestimmten Zeit etwas ganz Bestimmtes zu tun. Trotz oder mit der eigenen Unvollkommenheit muss es getan werden. Es ist bekannt, dass die Verantwortung am besten wahrgenommen und dass ein schwieriger Auftrag für die Gemeinschaft nur dann erfüllt werden kann, wenn man das eigene Ansehen und die eigene Person hintanstellt. Der wirklich Verantwortungsbewusste weiss, wie anspruchsvoll dies ist, und es ist ihm deshalb bewusst, dass er nicht überall, nicht in der ganzen Welt zum Rechten sehen kann. Aber er kann und muss es dort tun, wo er steht, wo er den Überblick hat und wo seine Kräfte ausreichen. Ganz anders der Moralist: Er erklärt sich selbst überall und allezeit für alles und jedes zuständig. Er masst sich das Recht und sogar die Pflicht an, überall zum Rechten zu schauen. Das Ziel des Moralisten ist es ja nicht, dass zum Rechten geschaut wird - und also das Rechte auch geschieht -, sondern dass er selbst zeigen kann, dass er zum Rechten sehen will und makellos dasteht. Die Moralisten handeln nicht aus Liebe zu den Menschen und zur Sache, sondern nur im Bestreben, selbst "gut herauszukommen". Schluss Meine Damen und Herren, "Christsein im Alltag?" - Nein, nein! Aber "in Christus sein alle Tage bis an das Ende der Welt!" - Ja. Ohne träumerische Absetzung in eine "bessere Welt" - ohne die Moralisiererei - stattdessen in tapferer Erkenntnis der eigenen Beschränkung, der eigenen Fehlerhaftigkeit und Schuld - aber erst Recht in fröhlicher Anerkennung: "Dir sind Deine Sünden vergeben!" Daraus bricht dann eine ungeheure Lebens- und Tatkraft aus der "Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden.

26.10.1998

«Machen Sie den Leuten Angst, Herr Blocher?»

Interview mit der Schülerzeitung der Kantonsschule Romanshorn vom 5. Oktober 1998 Wohl kaum ein anderer Politiker ist so kontrovers wie er. Die einen klatschen ihm zu und die anderen würden ihn am liebsten auf den Mond schiessen: Christoph Blocher. Ob er sich selber als extrem ansieht oder was er einem abgewiesenen Asylbewerber sagen würde, fragte ihn Lukas Butscher. Wie sehen Sie lhre Rolle in der Schweizer Politik? Christoph Blocher: Eine Aufgabe habe ich, keine Rolle. Schauspieler haben Rollen, d.h. sie spielen etwas. Ich habe die Aufgabe, mit meiner Erfahrung dafür zu sorgen, dass es der Schweiz freiheitlich und wirtschaftlich gut geht. Sie sind sehr kontrovers. Wie leben Sie damit, dass Sie die eine Seite bejubelt und die andere Sie am liebsten auf den Mond schiessen würde? Blocher: Das ist das Schicksal aller Persönlichkeiten, die sich in der Öffentlichkeit exponieren. Nur Fade und Nette haben keine echten Freunde und Gegner. Wer etwas bewegen will, sich klar und deutlich ausdrückt, hat immer beides.Schauen Sie sich mal die Geschichte an, es ging allen so. Churchill wurde von den einen gehasst, sie hätten ihn am liebsten zerschnetzelt. Andere aber merkten, was in diesem Mann steckte. Betrachten Sie sich als extrem? Blocher: Extremismus ist relativ. Was für den einen extrem ist, heisst für den anderen, klar Richtung zu geben. Wenn ich etwas bewegen will, muss ich mich klar, manchmal auch überspitzt ausdrücken, damit das Wesentliche hervorkommt. Die Politik muss holzschnittartig sein. Wer einen Holzschnitt anfertigt, muss eine klare Vorstellung des Gegenstandes haben. Den muss er dann überspitzt darstellen, damit das Wesentliche hervorkommt. Man muss nicht differenziert argumentieren, aber man muss sehr differenziert denken und einfach und klar darstellen. Das Wichtige vom Unwichtigen trennen. Die meisten Politiker sehen sich eher als Vielfarbenmaler. Etwas rot, ein wenig grün, vielleicht noch blau. Und am Schluss weiss man gar nicht, was sie wollen. Viele werfen Ihnen vor, Sie seien ein Bremser. Blocher: Das behaupten die, die in die falsche Richtung gehen wollen und gebremst werden. Wer uns in die EU bringen will, damit wir am Schluss nichts mehr zu sagen haben, schimpft mich natürlich einen Bremser. Doch ist es sehr progressiv, den Irrweg zu verhindern. Sind Sie je von einem politischen Standpunkt abgerückt? Blocher: Früher war ich ein grosser Kämpfer für die Europäische Gemeinschaft. Bei den Freihandelsverträgen in den 70ern, bei der EFTA war ich an vorderster Front dabei. Als ich sah, dass daraus ein so zentralistisches, undemokratisches Regime werden würde, musste ich meine Meinung ändern. Als ich kürzlich mit dem Zug fuhr, hörte ich mit, wie ein älterer Mann sich über Sie aufregte: "... ein Mann mit so menschenverachtenden Einstellungen, dabei sind Vater und Bruder Pfarrer. Blocher ist mit mehr als zwei Milliarden Vermögen einer der reichsten Schweizer und gönnt einem Ausländer nicht einmal ein sicheres Obdach oder eine gute Ausbildung...". Was sagen Sie dazu? Stimmt das? Blocher: An einer solchen Aussage merken Sie: Dieser Mann kennt mich sicher nicht. Die zwei Milliarden sind zwar richtig, wobei das aber nicht Geld, sondern der Wert meines Unternehmens ist. Dass Vater und Bruder Pfarrer sind, ist auch richtig. Hingegen ist es eine Dummheit zu behaupten, ich gönne jemandem kein sicheres Obdach. Vielleicht meinte er die Kosovo-Albaner? Dort gibt es ja wieder Konflikte. Was sagen Sie denn einem abgewiesenen Asylbewerber? Blocher: Ich würde ihm sagen: "Unser Land bietet Flüchtlingen, die an Leib und Leben bedroht sind, Aufenthalt, also jetzt zum Beispiel Kosovo-Albanern. Nicht aufnehmen können wir die, die nicht bedroht sind. Es ist unmöglich, jedem Ausländer, der in die Schweiz will, Aufenthalt zuzusichern." Weshalb sollte man dies einem abgewiesenen Asylbewerber nicht sagen können? Wie finden Sie denn das politische Klima in Zürich? Stichwort Messerstecher-Plakate? Blocher: Auf dem Messerstecher-Plakat war zu sehen, wie Leute auf offener Strasse bedroht, beraubt oder sogar niedergestochen wurden. Wir bildeten einen Messerstecher ab, der auf eine Frau losgeht, um aufzuzeigen, welche Zustände bei uns herrschen. Darüber schrieben wir: "Das haben wir den Linken und Netten zu verdanken." Was ist denn daran so schlimm? Die Kampagne war erfolgreich, weil sie in der Politik und an den Gerichten zu einem Umdenken führte. Niemand wollte mehr ein Linker oder Netter und damit schuld an den Zuständen sein. Ist denn das Klima in Zürich nicht polemisch und unsachlich? Findet man einen guten Konsens? Blocher: Politik ist immer auch polemisch. Ein fauler Konsens hat anscheinend bewirkt, dass zu viele Gewaltverbrecher die Leute niederstechen. Mit diesem Konsens waren wir nicht einverstanden. Das muss und darf gesagt werden. Ein richtiger Konsens kommt erst zustande, wenn man die verschiedenen Meinungen hat aufeinanderprallen lassen. Was meinen Sie, wo wäre die Schweiz, wenn die Linke ans Ruder käme? Zum Beispiel die SP? Blocher: Zunächst ginge es den Leuten wirtschaftlich schlechter: Der Sozialismus behindert die wirtschaftliche Entwicklung, alles wird teurer. Es gibt mehr Intervention, mehr Bürokratie, weniger Entfaltungsmöglichkeiten. Der Staat braucht immer mehr Geld, nimmt den Bürgern immer mehr weg, d.h., es gibt mehr Arbeitslosigkeit und Armut. Das haben die Entwicklungen in allen sozialistischen Staaten gezeigt. Zweitens würde uns die Linke ziemlich schnell in die internationalen Vereinigungen hineintreiben, wodurch die Schweizerinnen und Schweizer immer weniger zu sagen hätten. Die Folge davon wären weniger Freiheit, weniger Selbstbestimmung, weniger Demokratie. Wo wäre die Schweiz, wenn die Bürgerlich-Rechte an die Macht käme? Blocher: Der Schweiz ginge es besser. Durch die Politik, die ich vertrete, würden die Arbeitsplätze sicher, das Land für Investitionen interessant, ich würde keinerlei Konzessionen an die direkte Demokratie machen, die Leute hätten nach wie vor etwas zu sagen, und es bliebe ihnen mehr zum Leben. Ich würde eine wirksame Opposition zulassen, sie sogar fördern, denn sie hilft einem, richtig zu führen, weil man auch die andere Seite sieht. Da nicht von aussen über uns bestimmt werden soll, käme ein EU-Beitritt nicht in Frage. Dann ist also Ihre Meinung die einzig Richtige? Blocher: Ich persönlich bin davon überzeugt, sonst würde ich sie nicht vertreten. Und die anderen sind falsch? Blocher: Mir ist klar, dass meine Meinung - wie jede andere - auch Nachteile mit sich bringt. Aber ich vertrete eine Überzeugung dann, wenn ich sehe, dass die Vorteile so massiv überwiegen, dass die Nachteile nicht mehr relevant sind. Konkret? Blocher: Auch ein EU-Beitritt hat Vorteile, das ist klar. Die Wirtschaft beispielsweise müsste sich mit geringeren Grenzformalitäten herumschlagen. Als Unternehmer könnte ich billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland anstellen - so viele ich wollte. Es gäbe nur noch eine Währung. All das anerkenne ich, aber wenn ich die Nachteile sehe, ist der Fall für mich klar. Um diese Vor- und Nachteile musste ich natürlich auch ringen, sie immer wieder neu in Frage stellen. Als Unternehmer habe ich jeden Tag Entscheide zu treffen, beispielsweise 20 Millionen in ein Projekt zu investieren, weil ich glaube, dass es richtig ist. Ich weiss aber auch, dass ich mich irren kann. In Ihrer 1. August-Rede sagten Sie, letztendlich sei wesentlich, ob das Möglichste getan wurde. Wurde von der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges das Möglichste getan? Blocher: Ja, sie hat das Möglichste getan. Doch die Geschichte ist nicht da, um darüber zu richten. Churchill sagte einmal: "Wer über die Geschichte zu Gericht sitzt, wird die Zukunft verlieren." Wir können gar nicht ermessen, wie wir im Krieg gehandelt hätten. Die Menschen müssen damit umgehen können, dass Fehler gemacht werden. Nur Moralisten und Heuchler sagen: "Ah, die haben einen Fehler gemacht!" Damit wollen sie ja wohl zum Ausdruck bringen, sie hätten ihn nicht gemacht. Wie lautete denn der Auftrag? Er lautete, dafür zu sorgen, dass die Schweiz nicht in den Krieg verwickelt wurde. Dieser Auftrag wurde erfüllt. Wäre nämlich die Schweiz besetzt worden, hätte man beispielsweise die aufgenommen Flüchtlinge - auch die Juden - sofort deportiert. Das hat die Schweiz verhindern können. Natürlich machte man in der Flüchtlingspolitik einzelne Fehler, auch schliesse ich nicht aus, dass sich gewisse Leute im Handelsverkehr bereichert haben. Es wäre unrealistisch, etwas anderes zu behaupten. Doch massgebend ist etwas anderes. Ausschlaggebend ist, dass der Auftrag erfüllt wurde. Im Moment wird die Schweiz - wie Sie sagen - vom Ausland her angegriffen. Zu Recht? Warum? Blocher: Es steht niemandem von aussen zu, über uns zu Gericht zu sitzen. Die Fehler machten wir nicht gegenüber denen, die unverschämt Geld erpressen. Vielleicht wurden Fehler uns gegenüber gemacht. Da gilt es Rechenschaft abzulegen. Aber das berechtigt niemanden in Amerika, von uns Geld zu erpressen. Dann geht es also um Geld? Blocher: Nur um Geld. Das haben inzwischen wohl alle gemerkt. Um Geld, das mancher Ostjude gut gebrauchen könnte. Blocher: Es gibt noch viele Leute auf der Welt, die Geld gebrauchen könnten. Man kann ja darüber reden, ob man jemandem ein Geschenk machen soll. Geschenke aber mache ich aus freiem Willen und nicht, weil ich erpresst werde. Jetzt sind ja die Banken umgekippt... Blocher: Ja, leider. Sie zahlen bereits zum zweiten Mal. Bereits der Holocaust-Fonds kam nur durch massiven Druck zustande. Die dritte Erpressung wird folgen. Haben wir jetzt Ruhe? Blocher: Wenn wir uns entschieden und selbstbewusst zur Wehr setzen ja, andernfalls nicht. Sie sind ein internationaler Unternehmer. Sie tragen Verantwortung. Sie arbeiten und investieren auch im Ausland. Sie sind innovativ und gehen neue Wege. Mit ihrem Heimatland, für das Sie ja auch Verantwortung tragen, verfahren Sie nicht so. Die Schweiz soll möglichst nichts mit dem Ausland zu tun haben, sich beinahe abschotten. Sie soll sich auf das Altbewährte besinnen. Blocher: Ich bin für eine weltoffene Schweiz, die mit allen Ländern Beziehungen und Freundschaften pflegt, sich aber nicht von ihnen bestimmen lässt. Dies gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für die Politik. Innovativ sein heisst für ein Land, eigenständige Wege zu gehen. Heute will man in die EU. Was soll denn daran so innovativ sein? Eigene, selbständige Wege zu beschreiten ist doch viel innovativer. Ich gehe in unternehmerischen Belangen gleich vor wie in der Politik. 2'700 Leute arbeiten in unseren Unternehmen, meine Konkurrenz ist zehn- oder sogar hundertmal grösser. Ich glaube an das Übersichtliche. In der Politik bedeutet innovativ sein heute weniger Bürokratie, mehr Selbstverantwortung des Bürgers, dem Einzelnen mehr zum Leben lassen. Sie zitieren gerne Niklaus von der Flüe: "Machet den Zuhn nit zu wyt!" Nun hat die alte Eidgenossenschaft bei der Aufnahme weiterer Orte den Zuhn wohl nicht weniger wyt gemacht als die moderne Schweiz dies bei einem eventuellen Beitritt in die EU tun müsste. Blocher: Nur mit dem Unterschied, dass die anderen bestimmen würden. Die Eidgenossenschaft hingegen hatte nach wie vor das Sagen, als sie neue Stände aufnahm. Das sieht man am Beispiel des Kantons Thurgau: Die alte Eidgenossenschaft behielt nicht nur das Sagen, sie unterjochten ihn sogar. Heute ist der Thurgau vollwertig anerkannt. Wie weit spielen existentielle Ängste und Gefühle bei solchen Entscheiden eine Rolle? Blocher: Sie spielen eine grosse Rolle, das dürfen sie auch. Machen Sie den Leuten auch Angst? Blocher: Wenn ich vor etwas Angst habe, sage ich es. Ich habe beispielsweise Angst davor, die Entscheidung über unser Land der EU zu überlassen. Wie sieht lhre Wunschschweiz aus? Blocher: Die Schweiz sollte nicht gestaltet werden - das wäre ja eine Monarchie -, sie sollte sich selber bestimmen. Ich wünsche mir offene Auseinandersetzung, jeder soll seine Meinung frei äussern können. Meine Schweiz wäre freiheitlich, würde dem Staat weniger Macht einräumen, dem Einzelnen viel Verantwortung überlassen, der schlanke Staat würde wenig kosten, dem Bürger nicht so viel vorschreiben und wegnehmen. Es wäre ein Staat, der an der Selbständigkeit und an der bewaffneten Neutralität festhält, weil das für die Schweiz am besten ist. Ein demokratischer Staat. Wie wird die Schweiz in 25 Jahren aussehen? Blocher: Ziemlich ähnlich wie heute. Sie wird der EU in der bestehenden Form nicht beitreten.