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Persönlich

01.10.1998

Leistung und Erfolg als Lebenswirklichkeit

Eine Begegnung mit Nationalrat und Wirtschaftsführer Christoph Blocher Interview mit der Zeitschrift "Für uns", Oktober 1998 Wie kaum ein anderer Politiker und Wirtschaftsführer steht er immer wieder im Rampenlicht, SVP-Nationalrat und Präsident der Ems-Chemie Holding, Christoph Blocher. Er ist für die einen ein Hoffnungsträger, für die anderen ein Feindbild, und wenn er sich für ein Thema ins Zeug legt, dann führt kein Weg an ihm vorbei. Was treibt ihn an, sich immer wieder zu exportieren, was bewegt ihn und wie stellt er sich zu wichtigen Problemen unserer Zeit? Interview: Hans-Peter Studer Herr Blocher, Sie gehören zu den wohl bekanntesten Persönlichkeiten der Schweiz. Welche Ideale sind Ihnen wichtig? Christoph Blocher: Dass ich der Lebenswirklichkeit gemäss lebe und diese berücksichtige. Wenn man die Lebenswirklichkeit missachtet, kommt es schief heraus. Ich stelle in meiner beruflichen und politischen Tätigkeit fest, dass in der Führung sehr vieles falsch gemacht wird, weil man die Lebenswirklichkeit nicht beachtet oder nicht beachten will. Das kann im Banalen anfangen, indem jemand sagt: "Es ist eigentlich nicht nötig, dass ich arbeite; ich bin ein ganz origineller Mensch und habe das nicht nötig." Diese Person weiss schlicht nicht, was die Bedeutung der Arbeit, was die Bedeutung des Erfolgs ist und dass Erfolg ohne Arbeit nicht möglich ist. Der wirtschaftliche Erfolg und ihm gemäss zu leben stellt also für Sie eine bedeutende Lebenswirklichkeit dar? Blocher: Ich würde zwar nicht sagen, der wirtschaftliche Erfolg sei ein Teil der Lebenswirklichkeit. Aber er ist eine Notwendigkeit für unser Leben. Am Erfolg meines Unternehmens hängen 2700 Familien. Den wirtschaftlichen Erfolg bringen wir aber nur, wenn wir - um beim Beispiel zu bleiben - anerkennen, dass wir nur durch mühsame Arbeit das Ziel erreichen können. Mit Nichtstun werden wir keinen Erfolg haben können. Sonst geht es dem Unternehmen schlecht, und wenn es dem Unternehmen schlecht geht, geht es vielen auch sozial schlecht. Das ist heute wichtig zu betonen, weil die Versuchung gross ist zu meinen, man könne auf neuen Werten ein neues Lebenszeitalter schaffen. Ich habe viele Unternehmen gesehen, die an diesem Problem gescheitert sind. Das gleiche sehe ich in der Politik. Man will immer wieder etwas Neues, etwas Verrücktes, etwas besonders Originelles machen, ohne zu merken: "Aber so läuft das Leben doch nicht ab! Die Leute reagieren nicht so, wie ihr das meint." Trotzdem wird es immer wieder probiert. Man übertüncht die Wirklichkeit und handelt falsch. Aber wenn jedes Unternehmen in erster Linie für seine eigene Lebenswirklichkeit besorgt ist und einen möglichst hohen wirtschaftlichen Erfolg anstrebt, wird das nicht immer mehr zum Problem für die Lebenswirklichkeit der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt? Das geht doch in aller Regel auf Kosten der Konkurrenz, die genauso handelt, und im globalen Wettbewerb wird folglich der Konkurrenzkampf immer härter und unerbittlicher? Blocher: Der Konkurrenzkampf gehört eben auch zur Lebenswirklichkeit. Leben bedeutet, dass anderes Leben eingeschränkt wird. Wenn ich Salat esse, töte ich einen Salat, wenn ich Fleisch esse, stammt es von einem Tier. Das Unkraut nimmt überhand, wenn es stärker ist als der Weizen. Das ist in der Natur so und auch in der Wirtschaft nicht anders: Wer hier die beste Leistung im Interesse des Konsumenten erbringt, kann bestehen, und der andere, der weniger Gutes leistet, wird untergehen - nicht sterben, aber auf etwas anderes verwiesen. Damit das Ganze nicht brutal wird, muss es Regeln geben. Es ist zum Beispiel nicht erlaubt, mit unbilligen Mitteln gegen den Konkurrenten vorzugehen. Wir haben die Armutsbedingungen ohne Bodenschätze überwunden, indem wir uns bewusst wurden, dass für uns nur Leistung zählt. Nur Spitzenleistungen sind gefragt. Die Marktwirtschaft hat gezeigt, dass es am besten ist, wenn der Tüchtige letztlich obsiegt. Will man dies ausschalten, verarmt der Staat. Der Kommunismus hat es mit grossem Idealismus versucht. Die Menschen sollten für alle sorgen, aber am Ende hat niemand mehr für etwas gesorgt, auch für sich selber nicht mehr. Der Mensch hat die Kraft, um zu bestehen. Diese Kraft ist viel grösser, als man ahnt. Auch die Eigeninitiative wird durch die Lebenskraft gefördert. Es ist klar, dass die Eigeninitiative ein wichtiges Element des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist. Aber haben wir heute nicht das Problem, dass sie zum blossen Eigennutz geworden ist und dass die Freiheit des einzelnen an der Freiheit des anderen keine Grenze mehr findet? Blocher: Ja und nein. Sie befürchten, dass jeder nur für sich schaut. Man könnte es aber auch umdrehen: Wir haben heute das Problem, dass keiner mehr für sich und seine Familie sorgt, sondern denkt, ein anderer solle für ihn sorgen. Das ist auch ein Problem. jeder ruft immer nach der Hilfe des anderen, vor allem des Staates - so erlebe ich es wenigstens. Auch in der Wirtschaft rennen immer viele zum Staat, um Geld zu holen. Es schleichen nicht nur Clochards ums Bundeshaus mit der hohlen Hand, sondern auch Grossunternehmen. Die haben auch grössere Hände, bei denen es viel mehr einschenkt. Was die Internationalisierung der Wirtschaft anbelangt, so habe ich persönlich keine grosse Angst, auch nicht vor den riesigen Multis. Natürlich ist es theoretisch möglich, dass sie die ganze Gesellschaft aus den Angeln heben, aber nur theoretisch, praktisch nicht. In meiner Konkurrenten-Landschaft beispielsweise, wo ich zu den Kleinen gehöre, setze ich mich gegen die Grosschemie gut durch. Denn die Grossen haben auch grosse Schwächen, und die Kleinen können diese nutzen. Trotzdem prägen Fusionen und Elefantenhochzeiten das heutige Wirtschaftsgeschehen Blocher: Wenn es einmal dazu kommen sollte, dass alle sich so zusammenballen, dass keine Konkurrenz mehr möglich ist, dann müsste man gegensteuern. Dafür haben wir ja auch die Kartellgesetze, um zu grosse Einheiten wieder aufzusplitten. Doch in der Regel fallen sie von selbst auseinander, oder sie kommen selber zur Einsicht, dass sie sich wieder in einzelne Unternehmen aufspalten sollten. Welche Rolle spielt die Schweiz bei diesen Entwicklungen? Blocher: Die Schweiz ist, wirtschaftlich gesehen, von Natur aus ein sehr armes Land, aber trotzdem eines der reichsten der Welt. Wir haben die Armutsbedingungen ohne Bodenschätze überwunden, indem wir uns bewusst wurden, dass für uns nur Leistung zählt. Nur Spitzenleistungen sind gefragt. Wir können uns nicht mit Durchschnitt begnügen, da sind andere besser, weil sie bessere Voraussetzungen haben. Damit sind wir auf einen freien Handel angewiesen. Die Schweiz hat damit bewiesen, dass sie sehr gut bestehen kann und dass es den Leuten wesentlich besser geht als in anderen Ländern. Natürlich wird die Situation heute deshalb schwieriger, weil sehr viele Länder ähnliche Bedingungen bieten können. Also müssen wir uns wieder mehr anstrengen. Aber ich bin sehr zuversichtlich für die Schweiz, vor allem weil sie beweglicher, unbürokratischer sein kann als grosse Länder. Deshalb müssen wir auch klein bleiben. Gross tun zu wollen, bekäme uns nicht gut. Macht denn nur das Wirtschaftliche die besondere Qualität der Schweiz aus? Blocher: Nein, eine weitere grosse Stärke ist die politische, freiheitliche und liberale Grundhaltung, die wir haben. Die Freiheit, selber entscheiden zu können. Wenn ich in den Fernen Osten schaue, dann haben die dort viele sehr arbeitsame Leute. Aber es sind völlig unselbständig denkende Menschen, weil sie in einer anderen Staatsform leben. Die Japaner beispielsweise gehen prima in Reih und Glied, aber eben nur in Reih und Glied, sonst sind sie verloren. Ich glaube, die Erziehung, welche die direkte Demokratie mit sich bringt, ist eine Stärke. Die Bürger sind immer wieder gezwungen zu überlegen, wie sie am nächsten Sonntag abstimmen wollen, nachzudenken, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Schweiz ist noch stets eines der freiheitlichsten Länder, und das hängt mit der direkten Demokratie zusammen. Ich will das nicht glorifizieren, aber es macht den Wert unseres Landes aus. Vor 150 Jahren, bei der Gründung des Bundesstaates, hatte die Schweiz den Mut, sich eine demokratische, liberale Verfassung zu geben - und zwar allein in Europa, im Alleingang, als Sonderfall und verspottet von den europäischen Grossmächten. Stehen wir jetzt nicht wieder in einer ähnlichen Situation wie damals? Könnte nicht die Totalrevision der Bundesverfassung zur Chance werden, erneut kreative und ungewohnte neue Akzente zu setzen? Blocher: Meines Erachtens wird aus der Totalrevision nichts werden. Das Problem der Schweiz im Moment ist, dass die Schweizer verschiedene Vorstellungen von der Zukunft haben. Die einen wollen eine interventionistischere Verfassung mit mehr Macht und Einfluss des Staates bis ins einzelne Leben hinein, und andere wollen das Gegenteil. Ich bin der Meinung, man sollte die Schweiz wieder einmal "entrümpeln" und vom heutigen Wust von Gesetzen und Paragraphen befreien. Ich bin für eine liberalere, eine freiheitliche Verfassung mit mehr Entscheidungsspielraum für den einzelnen. Nach dem Grundsatz: innenpolitisch liberal, aussenpolitisch freundschaftlich mit allen Staaten der Welt, also weltoffen, ohne sich einbinden zu lassen. Die anderen wollen das Gegenteil. Solange wir derart entgegengesetzte Auffassungen haben, können wir an diesem Verfassungsentwurf "herumdoktern", solange wir wollen, wir werden uns nie einig werden. Das war 1848 anders. Nach dem Sonderbundskrieg hatten die Konservativen verloren, die Liberalen obsiegt. Da war ganz klar: jetzt wird eine liberale Verfassung gemacht. Das ging ganz schnell, weil alle, die daran beteiligt waren, die gleichen Grundsätze hatten. Heute jedoch muss die Schweiz zuerst finden, was eigentlich für sie wichtig ist. In solchen Zeiten können keine grossen Würfe gemacht werden. Das Entrümpeln von Paragraphen und Gesetzen ist allerdings unter dem Stichwort "Deregulierung" längst zu einer Modeströmung geworden. In allen Ländern, die das an die Hand genommen haben, ist aber der Stärkere stärker und der Schwächere schwächer geworden. Entrümpeln allein scheint mir folglich ein gefährlicher Schlachtruf zu sein, wenn es nämlich bloss zu einem besseren wirtschaftlichen "Ellbögeln" auf Kosten des Schwächeren führt. Blocher: Nein, die Folgen der Rückbesinnung auf den Bürger, auf die Eigenverantwortung sind anders: Schauen wir doch die amerikanische Reform, welche Reagan eingeleitet hat, an. Amerika hatte damals kein Selbstvertrauen mehr, Elend, Arbeitslosigkeit und riesige Defizite. Wenn Sie am Morgen durch die amerikanischen Städte gingen, lagen die Betrunkenen und Drogensüchtigen auf der Strasse, die Menschen konnten nicht mehr auf die Untergrundbahn in New York: zu gefährlich, schmutzig, verwahrlost. Reagan entschloss sich: "Wir müssen einen neuen Weg finden. Wir müssen dafür sorgen, dass der Mensch seine Selbstverantwortung wieder übernimmt. Er muss für sich selber schauen, und wir belohnen ihn dafür. Wir sorgen nur noch für jene, welche die Kraft dazu wirklich nicht mehr haben. Aber die anderen zwingen wir, für sich selber zu schauen." Wenn man die Erfolgsbilanz anschaut, dann hat Amerika heute kein Defizit mehr. Das hätte man damals nie für möglich gehalten. jetzt sind die amerikanischen Städte sauber; in New York sind die Elendsgestalten in der Untergrundbahn verschwunden. Die Arbeitslosigkeit ist rapid gesunken. Den Leuten - nicht nur den Reichen - geht es besser. Allerdings hat auch die Brutalität zugenommen, und es gibt gerade in Amerika das Phänomen der "working poor", derjenigen, die zwar Arbeit haben, sich damit aber kaum über Wasser halten können. Rund zehn Prozent der amerikanischen Bevölkerung hungern heute. Blocher: Ich glaube nicht, dass dies stimmt. Natürlich muss man schauen, dass die Brutalität nicht um sich greift. Es war ja das primäre Ziel des Staates schon bei der Gründung, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen nicht gegenseitig zerstören. Aber wenn Sie die Armut anschauen, dann war die zuvor wesentlich grösser. Sie müssen allerdings keine Bedenken haben, ich bete das amerikanische System nicht an, ich sehe auch die Schwächen. Nur waren sie vordem grösser. Ich stelle eine wesentliche Verbesserung fest. In der Schweiz könnten wir diesbezüglich noch viel mehr machen. Ich sehe dies auch bei meinen Arbeitern. Sie pflegen zu sagen-. "Wir haben in den letzten fünf Jahren nicht weniger Lohn gehabt. Uns ging es gut, wir sind gut bezahlt und hatten keine Lohnkürzungen. Aber uns bleibt dennoch immer weniger zum Leben, weil uns immer mehr abgezwackt wird." Das ist nicht gut. Die Krankenkassen-prämien steigen trotz gegenteiliger Versprechen, die Mehrwertsteuer wird heraufgesetzt, die Benzinpreise und die Transportkosten werden erhöht, die Kehrichtabfuhr kostet mehr. All das merkt der einzelne, ohne Einfluss darauf zu haben. Der heutige Zustand ist unsozial geworden. Jeder hat das Gefühl, wenn er etwas leistet, dann werde ihm zuviel genommen und somit lohne es sich gar nicht. Das ist ein falscher Ansatzpunkt. Entstehen nicht viele dieser Kosten genau deshalb, weil der Wirtschaft sehr viel Freiheit gelassen wird und das dann auf Kosten der Allgemeinheit geht? Die Unternehmen produzieren "schlank" mit immer weniger Leuten, um ihre Gewinne zu steigem. Und sie produzieren in immer grösseren Einheiten, was zu immer mehr Transporten und Pendlerströmen führt. Daraus wiederum resultieren einerseits Arbeitslosigkeit, andererseits Stress, Luftverschmutzung, Umwelt- und Gesundheitsschäden. Die damit verbundenen Kosten bleiben weitgehend beim Staat und beim kleinen Mann hängen, zum Beispiel in Form steigender Lohnabzüge und Krankenkassenprämien. Blocher: Ich glaube nicht, dass es so läuft. Warum hat die Wirtschaft so viele Leute auf die Strasse gesetzt? Weil sie zu lange mit zu wenig Rendite gearbeitet hat. Der Fehler war im Grunde genommen nicht das Freisetzen, sondern das Einstellen. Ich habe in meinem Unternehmen immer auf hohe Renditen, auf den shareholder value geachtet und ich musste in der Rezession keine Leute entlassen, weil ich nicht zu viele eingestellt hatte. Auch sind die Kosten in vielen Branchen genau deshalb so hoch, weil die Konkurrenz fehlt, etwa im Elektrizitätsbereich. Fortschrittlich investieren zum Beispiel in Umweltschutz - können wir nur, wenn wir Erträge haben. Wir haben doch die freie Marktwirtschaft, weil es sich herausgestellt hat, dass es damit allen am besten geht. So erzeugt jeder einzelne Wirkungen für die Allgemeinheit, weil er nicht unterstützt wird. Dass die Wirtschaft dabei so grosse Lasten erzeugt, dass sie der Staat abdecken müsste, glaube ich nicht. Im Gesundheitsbereich zum Beispiel wird ein erheblicher Teil der Kosten durch die Arbeitswelt verursacht, welche heute sehr viel härter geworden ist. Die einen haben keine Arbeit mehr, die anderen stehen unter grossem Druck und Stress. Beides wirkt sich negativ auf die Gesundheit und die Gesundheitskosten aus. Blocher: Ich glaube nicht, dass die Aussage stimmt, dass die Arbeitswelt heute viel härter sei als früher. Wenn ich die rund 60jährige Geschichte unseres Unternehmens anschaue, dann waren die Arbeitsbedingungen früher viel schwieriger als heute. Bei uns passieren die meisten Unfälle - und ich habe einen "gefährlichen" Betrieb - nicht bei der Arbeit, sondern in der Freizeit. Krankheiten wegen Stress, Überforderungen, das gibt es auch. Dann ist der Mitarbeiter am falschen Arbeitsplatz. Viele muten sich zuviel zu, weil sie Karriere machen wollen. Wir entlasten solche Leute von ihrer Position, weil sie auch die Leistung nicht mehr erbringen können, weil sie überfordert sind. Zudem habe ich erfahren, dass es den Leuten unter einem gewissen Druck zur Leistung besser geht als in einem Schlendrianbetrieb. Die Kunst ist es, Freude an der Leistung zu erzeugen. Derjenige, der viel leistet, ist nicht weniger gesund als der andere. Aber es beinhaltet eine andere Ausrichtung, es gibt eine andere Lebensfreude. Man hat Freude an der Arbeit, wenn man am Abend sagen kann: "ja, das haben wir gut gemacht, da haben wir ein gutes Produkt herausgebracht, das gut läuft auf dem Markt." Aber es gibt andere, die den ganzen Tag nur schauen, wie alles möglichst bequem geht und am Abend sagen: "Heute habe ich es gut gehabt, ich musste wenig arbeiten und habe eine ruhige Kugel geschoben." Das sind zwei ganz verschiedene Wertungen. ...die wir wohl beide ab und zu brauchen. An einem Sonntag entspannen können gehört wohl auch zur Lebensqualität? Blocher: Ja. Während meinem ganzen Leben habe ich sonntags niemals gearbeitet, denn ich brauche den Sonntag, sonst habe ich die Kraft für den Werktag nicht. Ich kann nur so viel leisten, weil ich am Sonntag nichts tue. Da nehme ich auch keine Vorträge an und gehe an keine Veranstaltungen. Aber dies schliesst die Leistung am Werktag nicht aus - im Gegenteil: Es ist die Voraussetzung. Liegt das Geheimnis für das grosse Pensum, das Sie in Politik und Wirtschaft bewältigen, also in den Sonntagen oder auch noch anderswo? Blocher: Selber weiss man das nicht so genau. Ich möchte dies nicht als vorbildlich ansehen. Vor allem im zunehmenden Alter merke ich natürlich oft, dass ich auch an meine Grenzen gehe. Aber sicher hat es auch mit meinem sehr disziplinierten Lebensablauf zu tun. Ich verzichte bewusst auf manches, was für andere zum Alltag gehört. Zum Beispiel habe ich kein Fernsehgerät. Das ergibt eine riesige Zeitersparnis, wenn ich denke, wie schnell man am Fernseher viel Zeit verbraucht und nachher eigentlich nichts davon hat. Oder ich verzichte als Politiker bewusst darauf, an irgendwelche gesellschaftlichen Anlässe zu gehen. Ich könnte jeden Abend irgendwo eingeladen sein: an einem Nachtessen, einem Treffen, einem Seminar, an einem Vortrag mit anschliessendem Nachtessen, an Geburtstagsfeiern und Jubiläen usw. Alles, was nicht unbedingt notwendig ist, lasse ich auf der Seite. Und wie gehen Sie mit dem Druck um, wenn Sie in der Öffentlichkeit aufgrund Ihrer exponierten Positionen angeschossen werden? Prallt das einfach an Ihnen ab, oder ist es manchmal auch schwierig, damit umzugehen? Blocher: Es ist jetzt einfacher als früher. Erstens gewöhnt man sich daran, und zweitens kann man es auch besser einordnen. Am Anfang hat mich dies natürlich unglaublich beschäftigt. Wenn Ihnen jemand sagt, was für ein "Sauhund" Sie sind, dann denken Sie natürlich sogleich: "Was habe ich falsch gemacht?" Heute weiss ich, dass der andere das sagt, weil er keine anderen Argumente zur Entgegnung hat. Also muss er mit Verunglimpfungen arbeiten. Aber man überlegt sich natürlich, ob nicht an der Kritik manchmal auch ein Körnchen Wahrheit ist. Man wird ja auch stark, wenn man selber immer wieder die eigene Position überprüfen muss. Eigentlich habe ich viel mehr Angst vor der Glorifizierung als vor der Kritik, denn Kritik bringt einen immer weiter, selbst wenn sie unangenehm ist und einem vielleicht sogar schlaflose Nächte bereitet. Bezüglich Glorifizierung, gibt es da nicht einen Widerspruch? Eigentlich sind Sie ein Vertreter des Grosskapitals, werden jedoch vom "kleinen Mann" verehrt und glorifiziert? Blocher: Warum hängen so viele Leute an mir? Das ist auch eine Belastung, denn diese Leute haben ja auch eine Erwartung. Sie merken, dass ich ihre Anliegen ernst nehme und sie vertrete. Ich bin nicht immer vermögend gewesen. Ich war seinerzeit Werkstudent, habe ganz unten angefangen, hatte gar nichts, ausser Schulden. jetzt habe ich ein Unternehmen, das sehr viel wert ist. Damit bin ich ein vermögender Mann. Deswegen habe ich aber meine Einstellung nicht geändert. Ich kann mich doch für die Anliegen dieser Leute einsetzen, ob ich jetzt reich oder arm bin. Mich interessieren die Anliegen dieser Leute, denn die anderen brauchen ja keinen Vertreter. Die sind stark genug. Ich muss nicht das Hochkapital vertreten, es kann sich selber wehren. Aber die "gewöhnlichen" Leute brauchen einen Fürsprecher, und ich muss diese Menschen auch nicht fragen, ob ich ihr Fürsprecher sein soll. Allerdings bin ich kein Politiker, der sozial "daherschwätzt", denn ich habe genug von diesem heuchlerischen Getue. Wenn jemand sagt, er sei für die Armen, dann frage ich ihn: "Was machst Du für sie?" Dann folgt meistens irgendein politisches, soziologisches, theoretisches Programm. Das aber bringt gar nichts. Mein Beitrag ist, dass ich zum Beispiel mein Unternehmen gut führe. Ich glaube daran, dass es sichere Arbeitsplätze nur dann gibt, wenn es tüchtige Unternehmer gibt. Wenn ich mein Unternehmen vernachlässige, auch unter noch so schönen Tönen, dann geht es meinen Leuten schlecht, und das sen sie. Ich merke das bei meinen Arbeitern. Sie hängen nicht an mir, weil ich ihr Boss bin, sondern sie sagen: "Der schaut für unser Unternehmen, das hat er bewiesen. Solange er an der Spitze steht, geht es uns gut. Das reicht uns." Die fragen auch nicht immer: "Ist der reich oder arm?" Sie interessiert, ob ich meinen Auftrag erfülle. Was erachten Sie als wichtig für die Welt unserer Kinder und Kindeskinder? Was können und sollten wir ihnen mit auf den Weg geben? Blocher: Als Vater von vier Kindern war mir folgendes stets ein Anliegen: Wir müssen nicht schauen, dass es unsere Kinder möglichst schön haben, sondern wir müssen sie lehren, Schwierigkeiten, die sich ihnen in den Weg stellen, zu überwinden. Das ist das Allerwichtigste. Viele jedoch glauben, man bereite die Kinder am besten auf die Zukunft vor, indem man ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt. Das ist verhängnisvoll. Es ist zwar im Moment für das Kind angenehm, es liebt momentan auch das Bequeme, aber auf die Länge gesehen bringt es das Gegenteil: Verzweiflung am Leben. Viel wichtiger ist, dem Kind die Freude und Gewissheit zu ermöglichen: "Ich habe eine Schwierigkeit überwunden." Dazu müssen wir sie - ohne viel Hilfestellung zu geben - eigene Erfahrungen machen lassen und ihnen die Lebenswirklichkeit vermitteln: "Du wirst zwar Schwierigkeiten haben und Widerwärtigkeiten antreffen, aber du gehst nicht unter!" Einer meiner Lieblingsmaler, Albert Anker, sagte als letzten Satz vor dem Tod: "Es war mein Hauptanliegen, in der Kunst darzustellen: Siehe, die Welt ist nicht verdammt." Mit dieser Gewissheit werden unsere Kinder auch Schwierigkeiten durchstehen und eine Last tragen können und sie nicht einfach von sich schieben. Dazu gehört, verzichten zu lernen. Noch eine sehr persönliche Frage zum Schluss. Wo sehen Sie den Sinn in Ihrem Leben, wo sind die tieferen Dinge, von denen Sie persönlich das Gefühl haben, deswegen lohne es sich zu leben? Blocher: Sie müssen entschuldigen, wenn ich diese Frage etwas von mir weise, denn ich frage eigentlich nie, was der Sinn meines Lebens ist. Ich bin geboren und darum lebe ich. Mir - wie allen Menschen - ist das Leben geschenkt. Für die wesentlichen Dinge meines Lebens, angefangen bei der Geburt, kann ich nichts dafür. Ob das einen Sinn hat oder nicht, das ist mir gleichgültig. Ich freue mich jeden Tag über das Aufstehen und über die Begegnungen mit anderen Menschen. Ich konnte diese Frage nach dem Sinn des Lebens nie beantworten, glaube aber, dass ich auch nicht dazu verpflichtet bin. Ich hatte auch nie ein Ziel im Leben. Wenn man mich vor dreissig Jahren gefragt hätte, ob ich das sein wolle, was ich jetzt bin, hätte ich gesagt: "Todsicher nicht." jetzt aber bin ich es. Ich muss deshalb nicht immer fragen, ob das sinnvoll ist oder nicht, oder ob es schöner gewesen wäre, etwas anderes zu machen. Eigentlich wollte ich einmal Bauer werden, hatte aber keinen Bauernhof. Jetzt bin ich Unternehmer, und das ist auch recht. Auch Politiker zu werden hatte ich nie als Ziel. jetzt aber will ich in der Politik etwas bewirken, mich für das einsetzen und dem zum Durchbruch verhelfen, was mir wichtig erscheint. Herzlichen Dank für dieses facettenreiche Gespräch und die vielen Einblicke in Ihre Lebensphilosophie!

30.09.1998

Der Euro ist nur eine Währung

Interview mit der Südostschweiz vom 30. September 1998 Ems-Mehrheitsaktionär Christoph Blocher zu Asienkrise, Euro und Konjunktur Auch die Ems-Gruppe spürt die Asienkrise. Trotzdem rechnet Ems-Chef Christoph Blocher damit, den Betriebsgewinn auf dem Stande von 1997 halten zu können. Die "Südostschweiz" unterhielt sich mit Blocher über Asien, Euro und Konjunktur. Mit Christoph Blocher sprachen Hansruedi Berger und Sandro Compagno Herr Blocher, haben Sie letzte Nacht gut geschlafen? Blocher: Ja, vom Sonntag auf den Montag schlafe ich immer gut, denn da habe ich einen Ruhetag hinter mir. Kann man denn bei diesem Auf und Ab an den Börsen, bei der Krise in Asien ruhig bleiben? Blocher: Das Normale in der Wirtschaft ist das Anormale! Diese Ereignisse sind nicht unerwartet eingetroffen. Trotzdem gibt es viele Nächte, in denen ich nicht gut schlafen kann, weil ich Probleme wälze, deren Lösung ich im Moment nicht sehe. Die Ems-Gruppe - im speziellen die Ems-Inventa - exportiert aber doch einige Produkte in den asiatischen Raum. Werden Sie Ende Jahr die Asienkrise unter dem Strich spüren? Blocher: Eindeutig. Wir werden weniger Gewinn erzielen, als wir Anfang Jahr erwartet haben. Statt einer Gewinnsteigerung werden wir beim Betriebsgewinn wohl lediglich etwa auf Vorjahreshöhe abschliessen. Und auch dies ist nur möglich, weil unser Absatz in die USA und Europa zugenommen hat. Die Ems-Inventa - im Anlagebau fast nur in Asien tätig - ist besonders betroffen. Da sind die meisten Projekte sistiert worden. Zum Glück haben wir vor zwei Jahren die Ems-Inventa stark verkleinert und aus den freigestellten Arbeitnehmern die Ems-Syntech aufgebaut, die auf einem ganz anderen Gebiet tätig ist. Dann wird die Ems-Inventa früher oder später liquidiert und in die Ems-Syntech eingebracht? Blocher: Nein, das sind zwei verschiedene Firmen. Wir wollen mit der Ems-Inventa auf dem Markt bleiben. Das ist nicht das erste Mal, dass sie eine Durststrecke durchmachen muss. Sie warten also mit der Ems-Inventa auf den Aufschwung in Asien? Blocher: Ich rechne damit, dass Asien in eineinhalb Jahren wieder Fuss fasst. In Japan laufen jetzt sinnvolle wirtschaftspolitische Massnahmen an. Wenn die Konjunktur in Japan wieder anzieht, wird die ganze Region Südostasien davon profitieren. Auch China mit seiner tüchtigen und fleissigen Bevölkerung wird sich auffangen. Sie haben letztes Jahr ein Betriebsergebnis von 188 Millionen Franken erzielt, dieses Jahr soll es mindestens ebensogut werden. Wie viel werden die Ems-Angestellten nächstes Jahr mehr verdienen? Blocher: Das weiss ich noch nicht, wir legen das erst Ende Jahr fest. Wir arbeiten immer mehr nach dem Bonussystem und haben den Mitarbeitern Anfang Jahr gesagt, dass bei der Erreichung der Unternehmensziele ein bis eineinhalb Prozent Jahresbonus drin liegen. Die Ziele werden nicht in allen Bereichen erreicht. Die Teuerung ist zum Glück praktisch bei Null. Aufgrund des massiven Kostendruckes kann nicht mit allgemeinen Lohnerhöhungen gerechnet werden. Die Gewerkschaften verlangen, dass die Arbeitnehmer an den Produktivitäts-Steigerungen beteiligt werden. Sie fordern daher zwei bis drei Prozent Lohnerhöhung. Blocher: Die Gewerkschaften verlangen mehr, wenn sich der Gewinn in den Unternehmungen verbessert. Dann müsste aber auch das Gegenteil gelten, nämlich Lohnsenkungen bei schlechtem Geschäftsgang. Ich möchte betonen, dass wir die Löhne während der ganzen Rezessionszeit nicht gesenkt haben. Es ist nicht möglich, Löhne in schlechten Zeiten zu belassen und in guten Zeiten trotzdem zu erhöhen. Das wissen unsere Mitarbeiter. Sie laufen nicht einem theoretischen Modell hinterher. 80 Prozent aller Güter produziert die Ems-Gruppe in der Schweiz, und Sie geben sich für die Zukunft optimistisch. So schlecht kann also der Standort Schweiz nicht sein. Trotzdem überlegen Sie sich seit mehreren Wochen, eine Investition von 60 Millionen Franken in den USA statt in der Schweiz zu tätigen. Ist der Entscheid mittlerweile gefallen? Blocher: Nein, es läuft erst der Antrag meiner Mitarbeiter in diese Richtung. Die Schweiz ist eigentlich kein schlechter Standort. Wir produzieren 80 Prozent in der Schweiz, obwohl wir 90 Prozent unserer Güter in alle Erdteile exportieren. Wir können mit unserer Konkurrenz mithalten, haben jedoch jetzt ein grosses Problem: Die Politik wird die Transport- und Energiekosten in den nächsten Jahren dermassen verteuern, dass der Produktionsstandort Domat/Ems für ein bestimmtes Produkt international nicht mehr konkurrenzfähig sein wird. Aus Kostengründen müssten wir also die Produkte für den amerikanischen Markt auch dort produzieren. Dies tut mir leid, es müsste nicht sein. Einer der wichtigsten Standortfaktoren sind die Arbeitskräfte. Sie haben vor einiger Zeit an einem Referat vor dem Bündner Gewerbeverband in Lenzerheide gesagt, dass auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt nur Handlanger oder Professoren zu finden seien, nicht aber ausgebildete Berufsleute. Blocher: Das kann man noch pointierter ausdrücken: Entweder ist einer Nobelpreisträger oder Hilfsarbeiter, dazwischen gibt es nichts. Und das ist in der Schweiz anders und bis jetzt ein grosser Vorteil. Überwiegt dies nicht zugunsten des Standortes Schweiz? Blocher: Beim obengenannten Produkt leider nicht. Es geht hier um eine automatisierte Produktionsanlage, die wir auch in den Vereinigten Staaten erstellen können. In der Rechnung sind die zwei Faktoren Transport- und Energiekosten in der Schweiz derart überwiegend, dass es wahrscheinlich nicht anders geht. Sie haben vorher gesagt, Ems exportiere 90 Prozent seiner Produktion. 60 Prozent davon gehen nach Europa. Am 1. Januar 1999 kommt der Euro. Welche Auswirkungen wird die europäische Einheitswährung auf Ems haben? Blocher: Für uns ist der Euro einfach eine zusätzliche Währung. Soviel ich weiss, haben wir etwa zwölf Währungen in unseren Computerprogrammen. Wenn einer in Gulden kauft, zahlt er mit Gulden. Wenn einer in Dollar kauft, zahlt er mit Dollar. Wir haben gelernt, damit zu arbeiten. Jetzt haben wir halt noch eine Währung mehr. Professor Walter Wittmann sagt, dass der Euro eine weiche Währung werde. Das hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Exportwirtschaft. Blocher: Ich glaube nicht, dass der Euro anfänglich eine schwache Währung wird. Aber er wird längerfristig eher eine schwache Währung. Denn die Haushaltdisziplin in den beteiligten Ländern wird abnehmen, wenn der Euro einmal fest eingeführt ist und sie keine Angst haben müssen, dass man sie wieder aus dem System hinauskippt. Dann wird der Euro verwässern, und ich rechne auch damit, dass er keine sehr starke Währung wird. Aber das ist ja nichts Neues. Denken Sie an den Dollar! Als die Wechselkurse für den Dollar freigegeben wurden, ist er über Nacht von 4.30 Franken auf 3.80 Franken gefallen. Heute steht er bei ungefähr 1.40 Franken. Natürlich habe ich als Exporteur recht gelitten unter dem starken Franken in den letzten Jahren. Aber wenn ich heute sehe, was wir alles gemacht haben dank eines starken Frankens - die Vollbeschäftigung in der Schweiz, der wir uns heute wieder nähern, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen. Die Schweizer Wirtschaft ist sehr konkurrenzfähig. Der Euro ist keine Katastrophe - auch für den Export nicht. Also für die Zukunft sieht es rosig aus. Man hat sieben magere Jahre gehabt. Kommen jetzt die sieben fetten - oder noch sechs fette Jahre? Blocher: Ein Unternehmer hat mir einmal gesagt, der biblische Zyklus gelte noch immer: Es gebe die sieben mageren Jahre und die sieben fetten Monate (lacht). Im Ernst: Im Grunde genommen glaube ich, dass wir vor einer guten Situation stehen. Konjunkturzyklen dauern nie nur ein paar Monate. Und wenn Sie zurückblicken, ist es tatsächlich so, dass sich die Konjunktur immer in etwa denselben Zyklen bewegt hat. Wir hatten sehr gute Jahre ungefähr von 1968 bis 1974. Dann erfolgte ein Konjunktureinbruch. Dieser zog sich bis 1982 hin. Dann hatten wir von ungefähr 1983 bis 1990 Hochkonjunktur - und danach wieder sieben Jahre Baisse. Es ist wirklich interessant, es sind immer ein paar Jahre. Darauf muss man sich einstellen. Ich denke, dass wir keine schlechte Situation haben. Man muss aufpassen, dass man innerhalb der Zyklen nicht überreagiert. Man sollte in schlechten Zeiten investieren und in den guten Zeiten zurückhaltend sein - dann wird es immer gut. Richtet man den Blick nach Europa, so fällt auf, dass die Wachstumsraten in der Schweiz vergleichsweise gering sind. Andere Volkswirtschaften, die sich in etwa auf dem gleichen Level wie die Schweiz bewegen, wachsen stärker. Hat das mit dem Abseitsstehen der Schweiz von Europa zu tun? Blocher: Also zuerst muss man klarstellen: Wachstum ist etwas, das man anstrebt, aber Wachstum um jeden Preis ist ganz verwerflich. Es gibt nichts Einfacheres, als in einer Volkswirtschaft Wachstum zu erzeugen. Das wurde zum Teil gemacht Ende der achtziger Jahre mit faulen Krediten. Sie können einfach Kredite geben, dann wächst die Wirtschaft. Das sieht man auch im Fernen Osten. Die haben das auch gemacht, enorme Kredite gegeben und nachher ist alles zusammengebrochen. Das ist künstliches Wachstum. Ein Teil des hohen Wachstums in der Schweiz bis Ende der achtziger Jahre ist darauf zurückzuführen. Darum mussten die Banken 50 Milliarden Franken an faulen Krediten abschreiben. Wenn dieses Geld nicht in die Wirtschaft geflossen wäre, hätte viel Blödsinn und falsches Wachstum verhindert werden können. Und dann darf eines nicht vergessen werden: Der Export wuchs in der Schweiz auch in den letzten Jahren stark. Das fehlende Wachstum kann also nichts mit dem Abseitsstehen von Europa zu tun haben. Schlecht lief es dafür im Bau-, im Immobiliensektor; wir haben in der Schweiz eine Immobilienkrise. Die hängt zum Teil mit der Aufblähung in den achtziger Jahren zusammen. Die meisten faulen Kredite sind ja auf Investitionen in Immobilien zurückzuführen. Und auf der anderen Seite müssen Sie sehen: Das riesige Bauvolumen, das die Schweiz bewältigte, das ist vorbei. * * * Blocher zu sieben Zeitgenossen Die «Südostschweiz» bat Christoph Blocher zu kurzen Statements über sieben Zeitgenossen, welche in den letzten Wochen und Monaten in den Schlagzeilen waren. Bill Gates: Cleverer Unternehmer. Ist heute fast alleine auf seinem Gebiet. Andrea Hämmerle: Ich halte nicht viel von seiner Politik. Diese ist vor allem von Neid geprägt - das ist keine gute Grundlage. DJ Bobo: Der habe mit mir zusammen die beste Internet-Seite, habe ich in einer Illustrierten gelesen. Monica Lewinsky: Ein gutes Beispiel dafür, wie schnell man heute berühmt werden kann und wie wenig es dafür braucht. Moritz Leuenberger: Mit ihm habe ich studiert. Er war damals während der Studentenzeit ein ganz scharfer Sozialist. Heute hat er seine Gesinnung der eigenen Karriere angepasst und ist deshalb nicht mehr gefährlich. Anita Weyermann: Gute Sportlerin. Hatte im Frühjahr viel Pech, hat sich aber zurückgekämpft, das verdient Respekt. Serge Gaillard: Er ist Ökonom bei den Gewerkschaften und kann darum nicht mehr rein ökonomisch argumentieren. Er muss Gewerkschaftsinteressen wahren und sie ökonomisch untermauern. Das ist schade, er wäre sonst kein Dummer.

27.09.1998

«Meine Lieblingslektüre»

Artikel in der SonntagsZeitung vom 27. September 1998 Die SonntagsZeitung fragte mich nach meiner Lieblingslektüre. Ich gab folgende Titel an und kommentierte diese wie folgt: Gerhard Blocher: "Gottes Lachen im Leichenzug der ‹Kirche›", 1998 Mein Bruder Gerhard hat ein Buch geschrieben mit dem Untertitel "Die Bekehrung Gottes und die Heitere Wendung der Kirche", ein überaus tröstliches Buch, das mich tief bewegt: Tröstlich zu sehen, wie wir sündigen Menschen uns ganz auf die Gnade Gottes verlassen dürfen und getrost den Mahnfinger einer Propagandakirche und vieler Moralisten mit ihren dauernden "Du sollst"-Sätzen vergessen dürfen. Ulrich Bräker: "Lebensgeschichte und natürliche Abentheuer des Armen Mannes im Tockenburg", 1789 Auf literarisch eindrucksvolle Weise schildert sich Ulrich Bräker. Er lässt uns teilnehmen an der Widersprüchlichkeit des Menschen. Seine Geldnöte, seine kleinlichen Streitereien mit der Ehefrau, seine missgünstigen Nachbarn, seine Reiselust, seine zeitweilige Neigung zum Alkohol, seine frömmlerischen Phasen, das ganze Leben tritt uns in seiner ganzen Fülle aus diesem Buch entgegen - und es ist hochaktuell. Emil Zopfi: "Die Fabrikglocke", 1991 Emil Zopfi führt in die Geschichte der Glarner Textilindustrie: Fabrikarbeiter, Bauern, Stoffdrucker, Fabrikanten, Handelsreisende, Zeitungsredaktoren, Frauen, Männer, Kinder leben und arbeiten. Was bedeutet Zeit im Menschenleben, was Weitsichtigkeit der Unternehmer im engen Tal, was sind die Auswirkungen der Politik, was die Einflüsse des weltweiten Handels, was die sozialen Veränderungen? Die Fragen bleiben; es gibt nichts Neues unter der Sonne.

24.09.1998

«Ich leide unter der offiziellen Schweiz»

Über politisches Selbstwertgefühl und Minderwertigkeitskomplex Interview mit der Aargauer Zeitung vom 24. September 1998 Unter der offiziellen Politik leidet er; den Minderwertigkeitskomplex der Classe politique beklagt er, und die Grosszügigkeit einer souveränen Regierung vermisst er. Christoph Blocher, Unternehmer, Zürcher SVP-Nationalrat und Präsident der kantonalen Partei, bezeichnet die flexible Neutralität als "unehrliche Politik" und sagt "nein zu Unsinn". Interview: Peter Frey Schriftsteller Peter Bichsel definiert Leute, denen alte Ideen heilig und neue verdächtig sind, als Totaldemokraten. Sind Sie ein Totaldemokrat? Christoph Blocher: Ich habe keine Probleme mit neuen Ideen. Aber: Nicht alles, was neu ist, ist gut! Es ist auch kein Beweis dafür, dass Altes, nur weil es bis heute Bestand hatte, gut ist. Aber es ist immerhin ein Indiz dafür, sonst hätte man es tatsächlich über Bord geworfen. Ich habe in der Wirtschaft schon viele Unternehmen beobachtet, die nur deshalb untergegangen sind, weil sie einfach alles Neue mitgemacht haben. So wie es auch solche gibt, die zugrunde gehen, weil sie nie etwas geändert haben. Bundesrat Moritz Leuenberger warf Ihnen in der Arena-Sendung zur LSVA vor, Sie würden zu allem nein sagen. Ist Neinsagen Ihr politisches Programm? Blocher: Dieser Vorwurf ist nicht sehr originell. Nein zu Unsinn sagen und damit Fehlentwicklungen verhindern ist eine der wichtigsten politischen Aufgaben. Insofern ist es mein Programm. Aber ich sage immer ja zu etwas Gutem. Bei der LSVA sage ich nein, weil ich gegen höhere finanzielle Belastungen der Bürger bin. Die Leute haben immer weniger Geld zum Leben, weil der Staat immer mehr Steuern, Abgaben und Gebühren erhebt. Ich setze mich dafür ein, dass der einzelne Bürger möglichst viel seines sauer verdienten Geldes zur Verfügung hat. Ich sage ja zu Freiheiten der Bürger. Ist die Ablehnung das Aufputschmittel des politisch Erfolgreichen? Blocher: Wenn dem so wäre, würden alle Parlamentarier in diesem Haus nur nein sagen. Als Politiker weiss ich selber, dass Nicken am einfachsten ist; immer bejahend nicken zu dem, was die Verwaltung vorbetet. Dazu gehöre ich nicht; wenn etwas gut ist, ziehe ich mit, wenn etwas schlecht ist, kämpfe ich dagegen an. Sie haben erfolgreich den EWR-Vertrag bekämpft, Sie lehnen einen Uno-Beitritt ab, Sie waren gegen Schweizer Blauhelme angetreten, und das Engagement an der Partnerschaft für den Frieden kritisieren Sie auch. Ist es Ihnen in der Schweiz und in der schweizerischen Politik überhaupt noch wohl? Blocher: In der offiziellen Politik nicht. Ich vermisse die Grosszügigkeit einer souveränen Regierung. Heute ist alles von Kleinmut geprägt. Man hat immer Angst davor, selbständig etwas zu tun. Der Bundesrat entschuldigt sich dafür, dass die Schweiz vom Krieg verschont wurde, dass es uns besser geht, und will allen internationalen Vereinigungen beitreten. Insofern leide ich unter der offiziellen Schweiz. Es tut mir leid, wenn ich zu vielen Vorschlägen dieser Regierung nein sagen muss, nur weil ich für die Unabhängigkeit, die Selbständigkeit, das Selbstbestimmungsrecht oder die Wohlfahrt der Bevölkerung eintrete. Sind Sie ein politischer Masochist? Blocher: Warum? Ich habe Freude an unserem Land, ich liebe die Menschen und freue mich, dass die Befindlichkeit in der Bevölkerung noch stimmt. Eine der Auswirkungen der Nein-Parole zum EWR-Vertrag ist die derzeitige asylpolitische Situation, in der die Schweiz im Europa des Dubliner Abkommens eine Insel darstellt. Müsste die Schweiz nicht den Anschluss an Europa suchen, um solche Situationen zu vermeiden? Blocher: Mit dieser Argumentation versucht "Bern", die eigene Unfähigkeit zu kaschieren. Erstens spielt das Dubliner Abkommen noch nicht. Zweitens könnte der Bundesrat den derzeit ablaufenden asylpolitischen Unsinn so verhindern wie Italien oder die USA. Dort werden Fürsorgeleistungen nur anerkannten Flüchtlingen ausbezahlt. Viele Asylsuchende kommen deshalb in die Schweiz, weil unser Land zur illegalen Einwanderung direkt einlädt. Wenn das Dubliner Abkommen bewirkt, dass Leute, die in einem anderen europäischen Land abgewiesen wurden, sich auch bei uns als abgewiesen betrachten, habe ich nichts gegen eine Unterzeichnung. Statt den europäischen Bilateralismus zu suchen, empfahlen Sie auch schon eine eidgenössische Anlehnung an den amerikanischen Wirtschaftsraum. Würden Sie dies heute, nach den Sammelklagen gegen Banken und den präventiv angedrohten Klagen gegen die Swissair, auch noch empfehlen? Blocher: Nie an Stelle von bilateralen Verhandlungen. Solche gibt es immer, und sie wurden auch schon erfolgreich geführt. Zusätzlich zu dem damals mit dem Freihandelsabkommen eingeschlagenen guten Weg in Europa sollten wir auch etwas Ähnliches mit Amerika suchen. Davon würden beide Seiten profitieren. Bezieht die Schweiz in den USA nicht allein deshalb Prügel, ausgeteilt von gewissen Politikern, jüdischen Organisationen und vom offiziellen Staat, wie der Eizenstat-Bericht bewies, stillschweigend geduldet oder sogar geschürt, weil sie - im Gegensatz zu Frankreich oder Schweden - allein ist? Blocher: Das ist ebenfalls eine Ausrede des Bundesrates, weil er miserabel reagiert hat. Jene Kreise, welche die Schweiz erpresst haben, erkannten dies sofort und erhöhten Forderungen und Druck. Die Schweiz wurde ins Visier genommen, weil sie Geld hat, weil sie - das muss ich eingestehen - klein ist und weil der Bundesrat schlecht reagiert hat. Dabei hätte die Regierung nur eine klar ablehnende Haltung gegenüber solchen Forderungen einnehmen und alle Versuche von sich weisen sollen, der Schweiz irgendwelche Fehler vorzuhalten. Die Folgen dieser teilweise unhaltbaren Vorwürfe, sind Abschottung gewisser Kreise und in der Bevölkerung vermehrt kursierende widerliche Witze über Juden. Ist das nicht ein ungemütliches Klima? Blocher: Sicher, aber das hat sich der Jüdische Weltkongress selber eingebrockt. Ich selber habe bis dahin eigentlich keinen Antisemitismus in der Schweiz festgestellt. Sicher gab es einzelne Spinner, die dank dem Antirassismus-Gesetz jetzt sogar ein Gesicht und einen Namen erhalten. Eine Abneigung ist aber auch gegenüber den USA feststellbar: Zwar hat die Regierung diese Erpressung nicht direkt begünstigt, sie hat aber auch wenig dagegen unternommen. Wie empfinden Sie selber solche Entwicklungen, ist Ihnen nicht auch "gschmuech"? Blocher: Natürlich. Ich selber rede nie von den Juden als Rasse, sondern nenne diese erpresserischen Kreise immer direkt beim Namen. Es sind nicht die Juden schlechthin, es ist der Jüdische Weltkongress und es sind gewisse jüdische Kreise an der amerikanischen Ostküste. Anderseits betreiben diese Organisationen ein gefährliches Spiel, wenn sie uns erpressen und uns dann antisemitisches Verhalten vorwerfen, wenn wir uns wehren. Sie selber müssen auch dafür besorgt sein, dass sie mit ihren Handlungen keinen Antisemitismus schüren. Hinzu kommt, dass der israelische Botschafter in einem Interview in der "Neuen Zürcher Zeitung" bei seinem Amtswechsel in Bern erklärt hat, dass der Jüdische Weltkongress den Staat Israel in dieser Frage vertritt. Der Brief von Israels Premierminister Nethanyahu an WJC-Chef Bronfman, der jetzt für Aufregung sorgt, ist nichts Besonderes. Die Schweiz steht heute bildhaft zwischen einem Stuhl (Europa), auf den wir uns nicht setzen können, und einem Tisch (USA), von dem wir mit Schimpf und Schande gejagt werden. Ist es unser Schicksal, zähneknirschend und mit gebeugtem Haupt in der Ecke zu überleben? Blocher: Das mag man intellektuell so sehen, hängt aber mit einem Minderwertigkeits-Komplex zusammen. Wirtschaftlich steht die Schweiz hervorragend da und wird von den Ausländern dank der hohen Beschäftigung, dem hohen Pro-Kopf-Einkommen, dem Wohlstand und den demokratischen Freiheiten weltweit immer noch als Wunder bezeichnet. Tatsache ist aber, dass wir weder auf dem Stuhl der EU noch auf jenem der USA sitzen und selbständig sind. Dieses Rezept wurde schon bei der Gründung der Eidgenossenschaft vor 150 Jahren angewandt. Auch damals spottete die europäische Staatengemeinschaft über die Schweiz. Allein und aus eigener Kraft haben die Schweizer etwas gemacht, und es wurde gut. Heute feiern die Behörden 150 Jahre Bundesstaat und realisieren dies nicht. Nur die offizielle Schweiz lebt diesen Minderwertigkeitskomplex aus. Den Schweizern wird von oben eingetrichtert, sie seien alles "Tubel", und jeder Festredner singt an den Jubiläumsfeiern vor hinter Gittern abgeschirmtem Publikum das Lied vom EU-Beitritt. Das ist bedenklich. Das Volk hat genügend Selbstwertgefühl, die Classe politique allerdings nicht, deshalb will sie überall mitmachen. Nur wer kein Selbstvertrauen hat, scheut sich vor eigenen Wegen.

27.08.1998

Die SVP wird nie einen zweiten Bundesrat haben

Interview mit CASH vom 27. August 1998 SVP-Nationalrat, Auns-Präsident und Unternehmer Christoph Blocher über sein politisches Selbstverständnis und die Stossrichtung seiner Partei Mit der Abstimmung über die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) Ende September wird der Abstimmungsherbst eingeläutet: Europa - und damit auch Christoph Blocher - werden wieder zum Thema. Im CASH-Interview äussert sich der Zürcher SVP-Nationalrat und Auns-Präsident zum Umgang mit politischen Gegnern und zum Programm seiner Partei. Interview: Markus Gisler, Reto Knobel Sind Sie zufrieden mit sich und der Schweiz, Herr Blocher? Christoph Blocher: Ich bin nie zufrieden mit mir. Und mit der Schweiz im Moment auch nicht. Was macht Sie denn unzufrieden? Blocher: Mit dem Land bin ich zufrieden, nicht aber mit der Politik. Wir haben zu viel Interventionismus, der Bürger muss zu viel zahlen, und es bleibt ihm darum immer weniger zum Leben. Die Haltung gegenüber den USA und Europa ist zu unbestimmt und unstet. Eine Wahlanalyse hat ergeben, dass Sie keineswegs eine Partei der Unzufriedenen anführen: Ihre Wähler sind sehr optimistisch, was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Überrascht? Blocher: Nein, der Optimismus ist gerechtfertigt. Ich bin überzeugt, wenn die Politik der Wirtschaft keine Knebel zwischen die Beine wirft, geht es der Schweiz wirtschaftlich sehr gut - und damit auch den Bürgern. Aber im Allgemeinen meint man doch, die SVP sei die Partei der Unzufriedenen. Sie selber haben dies immer wieder bekräftigt. Blocher: Wir politisieren nicht mit den Unzufriedenen, sondern für den Mittelstand. Sind das etwa die Unzufriedenen? Das sind Leute, die auf sich gestellt sind und Eigenverantwortung tragen. Sie verdienen zu viel, als dass sie der Staat dauernd unterstützen müsste, und sie verdienen zu wenig, als dass sie morgen nach Monaco zügeln könnten. Wie schätzen Sie denn im Hinblick auf die Wahlen in einem Jahr die Stärke der anderen Parteien ein? Beginnen wir mit der FDP. Blocher: Die FDP weiss nicht mehr genau, wo sie hingehört, weil sie ihre Positionen verlassen hat. Vor allem in der Steuer- und in der Europa-Frage. Der Stimmbürger will aber eindeutige Stellungnahmen. Sie wird ihren Verlust der letzten Wahlen nicht aufholen. Und die CVP? Blocher: Sie steht vor einem ähnlichen Problem, ist aber stark in den Kantonen. Ich glaube nicht, dass sie vor einer derart starken Erosion steht, wie viele das meinen. Wird die SVP die CVP dennoch überholen? Blocher: Ich glaube es nicht. So entscheidend ist die Frage nicht. Massgebend ist das Gewicht. Parteien dürfen Wähleranteile nicht dermassen in den Vordergrund rücken, dass Positionen aufgegeben werden. Dass Sie nicht mehr Wähler wollen, nehmen wir Ihnen nicht ab. Blocher: Mehr Wähler schon, aber nur, um den Auftrag besser auszuführen. Wer unter allen Umständen Wähler will, verliert an Profil. Dies droht der SP, die sich heute als Grossfamilie präsentiert: Auf der linken Seite wurde vom Landesring bis zu den Kommunisten alles integriert. Das führt natürlich zur Verwässerung und schwächt ihr Profil. Wenn die CVP weiter absackt, ist ihr zweiter Bundesratssitz in Frage gestellt. Blocher: Selbstverständlich müssen wir einen zweiten Bundesratssitz anstreben, aber wir werden ihn nie kriegen. SP, FDP und CVP werden dies verhindern. Dies wird allerdings unsere Position massiv stärken: Obwohl wir die Verantwortung übernehmen mussten und wollten, durften wir nicht. Das macht stark. Würden Sie die Verantwortung als Bundesrat überhaupt übernehmen? Blocher: Ich bin Anhänger des Amtszwangs, deshalb würde ich das Amt annehmen, wenn ich zum Bundesrat gewählt würde. Obwohl Verwaltung nicht meine Lieblingstätigkeit ist. Die Analyse der letzten eidgenössischen Wahlen 1995 zeigt auch, dass der SVP-Erfolg - fast 15 Prozent Wähleranteil - vor allem durch den klaren Anti-EU-Kurs zustande gekommen ist. Das lässt uns vermuten, dass Sie weiter auf dem Thema Europa herumreiten. Blocher: Die Grundfrage ist, wie viel Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und direkte Demokratie die Schweiz abgeben will. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz Erfolg hat, wenn sie hier standhaft bleibt. Aber leider weichen bei der Frage des Uno-, EU- und Nato-Beitritts unsere Politiker immer mehr von diesen Maximen ab. Sie reden viel von der Unabhängigkeit. Die SVP wird zunehmend zur Einthemen-Partei. Blocher: Da hab ich keine Angst. Sehen Sie sich an, wo wir in den letzten Jahren politisiert haben. Die innere Sicherheit, die Asylantenfrage sowie die Reduktion von Steuern, Abgaben und Gebühren. Das werden wir auch nächstes Jahr stark in den Vordergrund stellen. Haben Sie schon ein Konzept für die Wahlen in einem Jahr? Blocher: Ja, wir werden es in etwa einem Monat vorstellen. Ich kann aber jetzt schon sagen, dass wir nichts Neues erfinden müssen. Was wir festgestellt haben: Der Druck für neue Steuern, Abgaben und Gebühren seitens der Politiker ist unglaublich - Stichwort Erhöhung der Mehrwertsteuer, LSVA, Kapitalabgabe etc. Wir sind dagegen der Meinung, Wirtschaft und Staatshaushalt würden von Steuererleichterungen profitieren. Sie argumentieren mit dem "Reaganomics"-Effekt Blocher: Daran glaube ich in der Tat. Wo treten Sie denn konkret für Steuererleichterungen ein? Blocher: Auf allen Ebenen - in Bund, Kantonen und Gemeinden. In den Kantonen zum Beispiel fordern wir die Abschaffung der Erbschaftssteuer. Im Kanton Zürich haben wir die letzte Steuerfusserhöhung erfolgreich verhindert; auch begrenzen wir hier nicht mehr das Defizit, sondern die Ausgaben. Auch die Einkommens- und Vermögenssteuern, die Mehrwertsteuer, die Abgaben und Gebühren - die Krankenkassenprämien beispielsweise - müssen sinken. Das betrifft alles die Bürger. Wie sieht es mit der Besteuerung der Unternehmen aus? Blocher: Wenn wir die Steuerfüsse senken in Gemeinden und Kantonen, trifft dies die Unternehmen natürlich auch. Zudem haben wir das Unternehmenssteuerrecht revidiert. Obwohl wir von der SVP grössere Entlastungen für die Unternehmen wollten, lassen wir den Kompromiss jetzt einmal sein. Aber im Grunde müssten wir für die Unternehmen grössere Steuererleichterungen erreichen. Steuersenkungen vergrössern primär das Defizit. Blocher: Steuersenkungen führen nur im ersten Moment zu weniger Einnahmen für den Staat. Wenn den Privaten mehr bleibt, wird mehr investiert, gekauft, produziert. Es entstehen Arbeitsplätze. Tiefere Steuersätze führen zu höheren Einnahmen, längerfristig verschwindet das Defizit. Parallel dazu muss der Staat natürlich die Ausgaben senken - zum Beispiel beim Asylwesen, das uns 1,3 Milliarden Franken kostet. Oder bei der Krankenkasse. Das Prinzip der Eigenverantwortung gehört zu unseren Schwerpunkten für die nächsten Wahlen - neben der Unabhängigkeit des Landes und der Sicherheit des Bürgers. Müssen wir wieder mit Stiefel-, Ungeziefer- und Messerstecherinseraten rechnen? Nächstes Jahr sind ja auch Wahlen in Zürich. Blocher: Ich weiss noch nicht, womit wir Sie überraschen können. Sie kritisieren die Revolvermethoden der USA, selber schrecken Sie vor Messerstecherinseraten nicht zurück. Blocher: Halt. Wir erpressen niemanden. Wir haben damals gezeigt, dass in der Stadt Zürich Leute niedergestochen und ausgeraubt werden. Leider Realität - und wir sprachen es aus: Das haben wir den Linken und Netten zu verdanken. Sie gehen mit Ihren Gegnern nicht gerade schonungsvoll um. Was meint denn Ihr Bruder, Pfarrer Gerhard Blocher, zu Ihrem Stil? Blocher: Vielleicht bin ich manchmal tatsächlich unzimperlich. Aber mein Bruder Gerhard findet, ich sei eher zu anständig. So ist er zum Beispiel der Meinung, wenn man merkt, dass ein Bundesrat lügt, müsse man ihm das ins Gesicht sagen. Aber ich habe immer Angst vor Revolutionen. Die sind noch immer schief gegangen. Wenn ich mit einem Bundesrat diskutiere, dann rede ich nicht mit Moritz Leuenberger, Flavio Cotti oder Kaspar Villiger - sondern mit einer Institution. Und ich habe Hemmungen, eine Institution brutal vom Sockel zu reissen, selbst dann, wenn sie es vielleicht verdient hätte. Wenn Sie über Kriminalität und Asylbewerber politisieren, bringt sich die SVP Zürich und Sie im Speziellen immer wieder in die Nähe der Fremdenfeindlichkeit. Blocher: Ja, das ist eine Gefahr. Darum spricht niemand diese Themen gern an. Wir auch nicht. Wie bitte? Die SVP bekämpfte das Kontaktnetz für Kosovo-Albaner in Zürich mit fragwürdigen Plakaten: Wer daran vorbeifährt, liest nur "Kosovo-Albaner Nein". Das ist fremdenfeindlich. Blocher: Nein, das glaube ich nicht. Das Kontaktnetz für Kosovo-Albaner ist fragwürdig - die Stadt Zürich geht das Problem falsch an, indem sie auch für Leute, die nicht bleiben können, Integration postuliert. Wer an Leib und Leben bedroht ist, soll bleiben. Aber die illegal Eingewanderten können nicht bleiben. Das gilt auch für den Bosnien-Konflikt. Wie bitte? Blocher: Bosnier sind heute in ihrem Heimatland nicht mehr bedroht, also müssen sie heimkehren. Das Schweizer Volk hat dies im Asylgesetz so entschieden. Sie nehmen immer wieder Bezug auf "das Schweizer Volk". Als ob Sie den Willen der Bevölkerung immer ernst nehmen würden: 1994 zum Beispiel haben die Stimmbürger Ja gesagt zur Einführung der LSVA, die Sie jetzt mit allen Mitteln bekämpfen. Blocher: Ich bekämpfe nicht die LSVA, sondern diese Steuer in dieser Höhe. Der Verfassungsartikel will die bestehende Abgabe durch eine leistungsabhängige Abgabe ersetzen - aber nur so weit sie dazu dient, die Strassenkosten zu decken. Das ist eindeutig. Was geschieht jetzt? Jetzt geht man weit darüber hinaus. Das entspricht nicht dem Verfassungsartikel. Bei der Ablehnung der LSVA kann auch der Alpenschutzartikel nicht umgesetzt werden, obwohl das Volk ihm zugestimmt hat. Da wettern Sie gegen das Volk, das Sie sonst so hoch loben. Blocher: Die Alpenschutzinitiative will den Transitverkehr von Grenze zu Grenze auf die Bahn verlagern. Das ist sinnvoll. Aber was tun wir? Jetzt will der Bundesrat die 40-Tönner ganz Europas zulassen - auf der Strasse! Und wir Schweizer, die den Inlandverkehr gar nicht auf die Schiene bringen können, zahlen diese horrende Steuer! Die LSVA ist keine Steuer. Der Ertrag wird vor allem für die Neat und die Bahn 2000 gebraucht. Blocher: Die LSVA ist eine Steuer, mit der eine überrissene Neat finanziert werden soll: eine Neat mit zwei Röhren, die wir nicht brauchen können, weil sie nicht benutzt werden und neue Defizite verursachen. Am 27. September steht die LSVA-Abstimmung an, dann folgt die Abstimmung über Bau und Finanzierung der Neat am 29. November. Lehnt das Stimmvolk nur eine der beiden Vorlagen ab, gibt es kein Landverkehrsabkommen mit der EU, und die bilateralen Verhandlungen wären auf Jahre hinausgezögert. Freuen Sie sich schon auf den Abstimmungsherbst? Blocher: Ich bin nur dagegen, dass wir die Verhandlungen mit der EU zu jedem Preis abschliessen. Wie wir Sie kennen, werden Sie auf jeden Fall das Referendum gegen die bilateralen Verhandlungen ergreifen. Blocher: Nicht in jedem Fall. Sehen Sie, wir haben beim Verkehr zwei verschiedene Konzepte. Die Schweiz will die Lastwagen auf die Schiene, die EU auf die Strasse bringen. Da können wir tausend Jahre verhandeln, diese Konzepte lassen sich nicht vereinbaren. Am Schluss wird einer über den Tisch gezogen - mit der LSVA ist es die Schweiz. Und schliesslich haben wir noch ein zweites Dossier, den freien Personenverkehr. Hier sind die Details noch offen. So wie es aussieht, kommen Kosten von über eine Milliarde Franken an Sozialleistungen auf uns zu. Wenn das Gesamtpaket wirklich so schlecht rauskommt, muss ich das Referendum ergreifen. Sie argumentieren immer in der Ich-Form. Hand aufs Herz: Eigentlich betrachten Sie sich schon als Kopf der SVP. Blocher: Nein, hier rede ich nicht im Namen der SVP. Wir haben in der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) beschlossen, im Falle eines unbefriedigenden Abschlusses das Referendum zu ergreifen. Sagen wir es so: Sie sind der Meinungsführer der Partei. Blocher: Die SVP ist heute viel mehr auf meiner Linie, als dies früher der Fall war. In den ersten Jahren der SVP habe ich viele Niederlagen erlitten. Ich bekleide aber kein einflussreiches Amt. Es muss auch niemand Angst haben, dass ich ein solches anstrebe. Sie bringen Ihre Partei immer wieder in Verlegenheit. So hat SVP-Präsident Ueli Maurer Bundesrat Cotti für seine führungslose Aussenpolitik massiv attackiert. Sie hingegen haben den Bundesrat für seine Standhaftigkeit in der Holocaust-Debatte gelobt. Blocher: Nur dafür, dass er mit Zahlungen nicht nachgegeben hat. Herr Maurer als Präsident kann machen, was er will. Ob der Bundesrat früher oder später eine Pressekonferenz zum Bankenvergleich machen soll, ist für mich nur ein Detail. Vielleicht wollte sich Herr Maurer innerhalb der Partei lediglich ein bisschen mehr Gehör verschaffen. Blocher: Das glaub ich nicht. Es ist nicht so, dass ich keine andere Meinung vertrage in der Partei. Ist die Task-Force nach dem Bankenvergleich obsolet geworden? Blocher: Wo denken Sie hin? Das wäre, als ob man bei einem Waffenstillstand die Armee heimschicken würde. Die nächsten Erpressungen werden kommen. Was hat die Task-Force denn geleistet? Blocher: Botschafter Borer ist insgesamt entschieden und klar für die Sache der Schweiz aufgetreten. Wahrscheinlich noch viel klarer als der Bundesrat. Seit 1979 sind Sie Nationalrat. Sind Sie noch nicht amtsmüde? Blocher: Amtsmüde war ich schon immer, aber ich mache meine Arbeit trotzdem und darum kandidiere ich immer wieder. 1999 zum letzten Mal? Blocher: Wenn man jemanden bringt, der es besser macht als ich, dann schon.