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Persönlich

20.08.1998

Es ist grundfalsch, Solidarität erzwingen zu wollen

Vortrag und Diskussion zum Thema: "Die Schweiz im 21. Jahrhundert" Interview mit den "Uster Nachrichten" vom 20. August 1998 "Die Schweiz im 21. Jahrhundert" heisst der Titel des Referates, das Nationalrat Christoph Blocher am 25. August in Greifensee halten wird. Der prominente Zürcher SVP-Politiker spricht im Rahmen einer von der evangelischen Kirchgemeinde Greifensee organisierten Vortragsreihe zum Thema "Jahrtausendwende". Im Hinblick auf diesen Anlass baten wir Christoph Blocher zum Interview. Interview: A. Streiff Herr Blocher, Sie wurden eingeladen, in diesem Rahmen über den "Weg der Schweiz" zu sprechen… Was sind Ihre Prognosen für unser Land nach der Jahrtausendwende? Christoph Blocher: Ich bin nicht der Meinung, dass die Schweiz jetzt für das ganze kommende Jahrhundert ihre Funktion und ihren Weg festlegen müsse. Man stelle sich das einmal vor: Wenn einer im Jahr 1898 eine Rede über das 20. Jahrhundert gehalten hätte - seine Vorhersagen zur technischen und gesellschaftlichen Entwicklung wären wohl ziemlich verkehrt herausgekommen! Was er aber mit Sicherheit hätte sagen können, ist das, worüber ich auch sprechen werde: über die starken tragenden Säulen unseres Landes, über das, was längerfristig gleich bleibt. Was wäre das? Blocher: Es ist unsere freiheitliche Rechts- und Wirtschaftsordnung. Unsere weltoffene Haltung: Eine Freundschaft mit allen Ländern; eine Partnerschaft, ohne uns in Bündnisse einzubinden; ohne unsere Entscheidungsfreiheit aus der Hand zu geben! Ein wichtiger Pfeiler ist also die Wahrung unserer Selbständigkeit und Unabhängigkeit; und damit die dauernde bewaffnete Neutralität, die immerhin bewirkt hat, dass die Schweiz seit 200 Jahren im eigenen Land, keinen Krieg mehr gehabt hat! Man kann fürs kommende Jahrhundert voraussagen, dass es der Schweiz am besten geht, wenn sie auf ihren starken traditionellen Staatssäulen aufbaut. In früheren Interviews haben Sie von den guten Beziehungen zu den USA gesprochen, als Hinweis darauf, es gebe ausser der EU noch andere Partner… Heute sind die "traditionell guten Beziehungen" zu den USA auf einem Tiefpunkt angelangt… Blocher: …man darf die jetzige Situation nicht überbewerten. Diese Spannungen sind eine kurzfristige Sache, die das nächste Jahrhundert nicht berühren. Von einer generellen Änderung in der Beziehung zwischen uns und der USA kann jedenfalls keine Rede sein. Im Moment macht es aber den Eindruck, als ob da doch etwas kaputt gegangen wäre in der Beziehung USA-CH! Blocher: Wir pflegen seit dem Bestehen der USA ein freundschaftliches Verhältnis zu unserer "Schwesterrepublik". Und die Vereinigten Staaten sind nach wie vor ein westliches, freiheitliches Land, das uns in der Denkweise relativ nahe steht; obwohl heute der Rechtsstaat in den USA in vielen Sachen in Frage gestellt ist; und obwohl die jetzige Regierung und einzelne Teilstaaten stark unter dem Einfluss jener Kreise stehen, die uns mit Geldforderungen erpressen… Diese "Kreise" haben soeben 1,25 Mia $ bekommen… Ist das nun das Ende des üblen Holocaust-Streites? Blocher: Ich fürchte Nein! Eher ist es der Anfang weiterer Forderungen. Die Welt sieht jetzt, dass wir erpressbar sind, also werden bald Andere kommen und es auch versuchen. Lesen Sie doch die ausländischen Kommentare, dort ist die Rede von "einer ersten Teilzahlung": Die grosse Rechnung werde die Schweiz erst noch präsentiert bekommen… und die Zahlung von 1,8 Mia Franken interpretiert man gerne als "Schuldeingeständnis". Aber das hätte es ja gerade nicht sein sollen! Blocher: Man muss sich einmal vor Augen halten, wie der Milliarden-Deal zwischen den Grossbanken und den Anwälten der Sammelkläger auf die Öffentlichkeit wirkt: Wenn jemand ohne faires Gerichtsverfahren, vor Abschluss der Untersuchungen bereit ist, ein so hohes "Bussgeld" zu zahlen, dann heisst es doch sofort: "Der muss wohl Dreck am Stecken haben, sonst würde er nicht freiwillig soviel herausrücken…" Und niemand kann uns davor schützen, dass später wieder welche kommen und sagen, die Summe von 1,8 Mia $ sei willkürlich festgesetzt gewesen, in Wirklichkeit sei die Schuld viel grösser… Mit dem Nachgeben hat man das falsche Signal gesetzt und keinen einzigen Freund kaufen können! Im Gegenteil: Damit ist ein Präzedenzfall geschaffen worden und all jene, die als nächste mit Sammelklagen bedroht werden, dürften kaum dankbar dafür sein, dass sich unsere Grossbanken auf diesen "Ablasshandel" eingelassen haben. Blocher: Die Banken standen unter starkem Druck! Wer in den USA Business machen will, ist eben erpressbar… Ob schuldig oder nicht, der angedrohte Prozess und die Folgen des Boykotts kommen ihn teurer zu stehen als eine Lösegeldzahlung. Welche andere Wahl hätten denn die Banken, als nachzugeben? Im Umgang mit Erpressern gibt es einen eisernen Grundsatz: Man muss konsequent "NEIN" sagen. Nur so kann man sich vor weiteren Forderungen schützen. Wenn man diesen Kampf durchstehen will, muss die Wirtschaft bereit sein, auch die Nachteile auf sich zu nehmen, die eine aufrechte Haltung mit sich bringt. Doch diese Haltung zahlt sich mittelfristig aus: man darf die ganze Rechnung nicht nur kurzfristig ansehen. Einfach nichts zahlen und hoffen, die Sache erledige sich von selbst… ist das nicht ein zu einfaches Rezept? Blocher: Das gilt nur im Umgang mit Erpressern. Aber dort wo es berechtigte Forderungen gibt, muss für die Betroffen eine gerechte Lösung gefunden werden… und für diese Arbeit ist es wirklich höchste Zeit! Hatten Sie damit gerechnet, dass unsere Grossbanken umkippen? Blocher: Eine Überraschung war es nicht. Schon bei den Zahlungen an den Holocaust-Spezialfonds haben die Banken gezeigt, wie erpressbar sie sind. Sie haben als Unternehmer schon damals sofort erklärt, dass Sie nichts bezahlen werden… Blocher: …nicht an den Holocaust-Fonds, denn das ist ein erpresster Fonds und wenn man bei der Erpressung einmal "Ja" sagt, dann wird es nie aufhören. Und was ist mit der Solidaritätsstiftung? Blocher: Die ist "gestorben". Bundesrat und Parlament wissen das. Die Stiftung hätten sie ja noch dieses Jahr schaffen müssen - sie wurde zum 150-Jahr-Jubiläum angekündigt. Dieses Projekt würde nie durch die Volksabstimmung kommen! Warum nicht? Blocher: Erstens ist es grundfalsch, Solidarität erzwingen zu wollen. Es ist nicht Sache der Regierung, die Bürger dazu zu verpflichten, ein Teil des Volksvermögens in eine Solidaritätsstiftung einzuzahlen. Das ist diese moderne Art von Solidarität unter den Politikern: "solidarisch sein - indem man Geld das andern gehört - verschenken tut…" Und zweitens würden wir bei Bestehen dieser Stiftung jedes Jahr um 300 Mio. Franken erpresst - jedes Jahr! Aber das Ausland erwartet von uns, dass wir diese Stiftung machen… Wie stünden wir da, wenn dieses Werk nicht zustande kommt! Blocher: Es war - gelinde gesagt - ziemlich ungeschickt, dass diese Stiftungsidee vom Bundespräsidenten als Höhepunkt seiner Rede "zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg" der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Damit hat er im Ausland entsprechende Erwartungen geweckt. Das Resultat ist, dass man die vom Bundesrat angekündigte Stiftung als "Sühneleistung" für angeblich begangene Schandtaten interpretiert, und dass man im Ausland kaum weiss, dass bei uns weder Bundesrat noch das Parlament sondern das Stimmvolk über eine solche Stiftung zu entscheiden hat. Aber ein "NEIN" des Stimmvolkes hätte eine grosse positive Wirkung für die ganze Welt! In der ganzen Holocaust-Auseinandersetzung hat der Bundesrat ziemlich kläglich versagt. Sie fordern die Volkswahl des Bundesrates - was soll damit besser werden? Blocher: Bundesrat u n d Parlament haben die Nerven verloren. Das Versagen der Regierung wird von ausländischen Beobachtern entsprechend interpretiert: Man nimmt an, dass die Schweizer Regierung Dreck am Stecken habe. Beim Bundespräsidenten, der zuständig wäre, unseren Standpunkt gegenüber der Welt zu vertreten, weiss man, dass er die Geschichte nicht gekannt hat. Das geht an die Adresse von Bundesrat Cotti... Blocher:…auch an andere Politiker! Man hat reagiert, als wenn etwas Neues aufgedeckt worden wäre und sich noch entschuldigt… Ich bin ja kein Historiker - kenne aber die Geschichte des zweiten Weltkrieges relativ gut, weil sie mich schon immer interessiert hat - und ich habe in all den sogenannten "Enthüllungen", bis jetzt noch nichts gelesen, was noch nicht bekannt gewesen wäre. Es gibt Details, die nun hervorgehoben werden, aber etwas von Belang ist nicht zum Vorschein gekommen. Neu ist eigentlich nur, dass man jetzt die Dinge die damals geschahen, aus der heutigen Sicht - aus dem gemütlichen Lehnstuhl heraus - beurteilt. Man kann das tun, um sich Gedanken darüber zu machen, wie man selber in einer solch kritischen Situation handeln würde, aber man kann aus dieser Art von "Geschichtsbetrachtung" ganz sicher keine Vorwürfe und Forderungen an die damals aktive Generation ableiten! Nochmals die Frage: Was soll ändern, wenn der Bundesrat nicht mehr vom Parlament sondern vom Volk gewählt wird? Blocher: Die Bundesratswahlen sind degeneriert. Das ganze Verfahren ist heute ein abgekartetes Spiel zwischen den Bundesräten, den Spitzen der Bundesratsparteien, den verschiedenen Lobbys im Parlament, den Chefbeamten und gewissen starken Personen aus der Medienlandschaft, die auch noch mitmischeln. Das zwingt die Bundesräte, sich in einer gewissen Klasse zu bewähren - ob sie sich auch in der anderen Klasse bewähren, ist ohne Konsequenzen. Auf die Bevölkerung brauchen sie keine Rücksicht zu nehmen… Und das würde mit einer Volkswahl geändert: Dann sind die Bundesräte daran interessiert, so zu regieren, dass sie das Volk nicht vor den Kopf stossen. A propos vor den Kopf stossen: Ist der EU-Beitritt respektive der EWR-Plus ein Thema für den nächsten Wahlkampf? Blocher: Da werden die meisten Politiker sich hüten, vor den Wahlen klar Stellung zu nehmen. Das war schon das letze Mal so: Vor den Wahlen sagt jeder, das sei in der nächsten Legislaturperiode kein Thema - so auch die CVP - aber wenn die Wahlen überstanden sind, dann kann man leicht eine Kursänderung um 180° vornehmen. Der SVP wird nachgesagt, sie sei eine NEIN-Sager-Partei. Gibt es irgendwo irgendetwas, wozu sie "JA" sagt? Blocher: Nein-Sagen ist nicht negativ: Wenn Sie eine Fehlentwicklung verhindern, öffnen sie den Weg zum Fortschritt. Das "NEIN" zur EU ist nichts anderes als das "JA" zur Selbständigkeit und zu einer prosperierenden Schweiz. Es ist ja immer eine relative Frage, ob die Antwort "JA" oder "NEIN" sein soll: Man könnte die Frage anders formulieren und dann sieht man, zu was unsere Partei "JA" sagt. Ich möchte ein Beispiel, wo ein konstruktiver Beitrag geleistet wird... Blocher: Nehmen Sie unsere Finanzpolitik. Man kann es negativ formulieren: Die SVP sagt "NEIN" zu mehr Steuern - oder positiv: Wir sind "FÜR" ein Land mit weniger Steuern, Abgaben und Gebühren, damit dem einzelnen mehr verbleibt! Das ist ausserordentlich positiv und konstruktiv und nicht rückwärtsgewandt - aber eben, im entscheidenden Moment müssen Sie "NEIN" sagen zur Steuererhöhung. Oder nehmen Sie die Asylinitiative: Da haben wir ein ganz klares Programm vorgeschlagen - da haben die anderen Parteien "NEIN" gesagt… Weil diese damals den beschwichtigenden Worten von Bundesrat Koller geglaubt hatten! Heute weiss man es besser. Dennoch: die SVP politisiert rechts aussen. Besteht nicht Gefahr, dass damit rechtsextreme Tendenzen gefördert werden? Blocher: Den Vorwurf kann man uns nicht machen. Schauen Sie das Asylproblem an: Die Taktik die Bern anwendet ist gefährlich: Wenn man dort meint, es sei besser, dem Volk nicht offen zu sagen, wieviele Asylsuchende hereinkommen, wieviele untergetaucht sind, wieviele das Asylrecht missbrauchen, weil auf diese Weise die Entstehung von Fremdenhass verhindert wird, dann ist das ein Irrtum. Man kann das Aufkommen extremer Tendenzen nicht verhindern, indem man immer wieder beruhigt und sagt, man habe das Problem im Griff. Die Leute sehen doch was läuft, man kann sie nicht mit dem Zurückhalten von Informationen täuschen. Und wenn die Bevölkerung merkt, dass sie von oben nicht die Wahrheit bekommt und wenn die Leute dazu noch das Gefühl haben, sie kämen dauernd zu kurz, weil die Behörden die anderen vehätscheln, und wir mit Steuergeldern diese Verhätschelung noch bezahlen, dann beginnen die Leute sich ein Ventil zu suchen. Das wird dann extremistisch. Das ist die Theorie - aber in der Praxis sind wir noch nicht soweit! Blocher: Nehmen Sie zum Beispiel die Polizeiberichterstattung: Wenn in Zürich ein Drogenhändler aus Albanien verhaftet wurde, und die Zeitungen schreiben, "ein Mann" sei verhaftet worden - vielleicht steht noch sein Alter, aber die Herkunft wird verschwiegen, weil man auf diese Weise Rassismus vermeiden möchte… das führt doch nur dazu, dass sich jeder seine eigenen Gedanken macht: Bei jeder Polizeimeldung, in der nicht ausdrücklich steht, der Täter sei "ein Schweizer", muss man dann ja annehmen, es handle sich um einen Ausländer - vermutlich einen aus Ex-Jugoslawien und womöglich gar einer, der unser Asyl missbraucht… Was wäre denn zu tun? Blocher: Dem Rassismus - eigentlich jedem Extremismus - kann man nur mit offener Information entgegenwirken. Man muss die Probleme beim Namen nennen. Ich bin der Meinung, nur Transparenz verhindert diese gefährlichen Entwicklungen. Aber die Transparenz muss dann auch dazu führen, dass etwas getan wird, um das Problem zu lösen. Den Kopf in den Sand stecken, das Problem herunterspielen und denjenigen der wagt, davon zu sprechen, als "Extremisten" abstempeln… das war bisher die Methode, mit der die linken Parteien in der Asylfrage Politik machten. Ich hoffe, das ändere jetzt!

25.06.1998

Umfragen sind oberflächlich – weder EU noch EWR hätten eine Chance

Interview mit den Obersee-Nachrichten (ON) vom 25. Juni 1998 Am 1. Juli spricht in Rüti jener Politiker, der, obwohl er nicht Bundesrat ist, in unserem Land die grösste Macht hat: SVP-Nationalrat Christoph Blocher: Die ON sprachen mit dem Volkstribun. Interview: Peter Müller Sie sprechen am 1. Juli in Rüti. Worüber? Christoph Blocher: "Kann sich die Schweiz behaupten?" Dieser Tage wurden die bilateralen Verhandlungen mit der EU auf Basis Chefunterhändler abgeschlossen. Was bedeutet das für Sie? Kennen Sie die Inhalte? Blocher: Bei solchen Verhandlungen muss man darauf achten, dass man nicht bei jedem Treffen von Delegationen glaubt, dass es sich um abgeschlossene Verhandlungen handelt. Die Schweiz hat seit ein paar Jahren den Fehler gemacht, dass sie alle paar Monate von neuen "Durchbrüchen" gesprochen hat. Die Unterhändler haben auch jetzt gewisse technische Details neu geregelt und in gewissen Fragen eine Einigung erzielt. Beim Transitverkehr und beim freien Personenverkehr ist alles offen, die Konsequenzen noch nicht absehbar. Bevor die Verhandlungen nicht auf politischer Ebene, d.h. auf Ministerebene klar sind, kann das Ergebnis nicht beurteilt werden. Wenn das Resultat für unser Land untragbar ist, müsste das Referendum ergriffen werden, denn wir haben keinen Grund, alles zu akzeptieren. Sie haben immer wieder von einem Referendum wegen der Freizügigkeit im Personenverkehr gesprochen. Kommt dieses wirklich? Blocher: Auch das muss heute offen gelassen werden. Tatsache ist, dass ein freier Personenverkehr, wie ihn die EU für ihre Mitglieder vorgesehen hat, nicht in Frage kommt. Die Kosten für unser Land wären immens, was soziale Probleme und eine hohe Arbeitslosigkeit mit sich bringen würde. Wir können diese Freizügigkeit weder heute noch in späteren Jahren akzeptieren, ohne uns grosse Nachteile einzuhandeln. Ich denke dabei vor allem an die enormen Kosten für die Arbeitslosenversicherung, die unsere Bevölkerung zu tragen hätte. Das hängt damit zusammen, dass in den verschiedenen Ländern die Arbeitslosenkassen andere Leistungen erbringen. In Österreich beispielsweise kann ein Arbeitsloser im Laufe von zwei Jahren während maximal 100 Tagen eine Arbeitslosenentschädigung beziehen. In der Schweiz dagegen 520 Tage. In einer Rezessionszeit würden die Leute aus dem Ausland in der Schweiz Arbeit suchen. Wenn sie diese nach ein paar Monaten verlieren, könnten sie mit einer längeren Bezugsdauer rechnen. Verschiedene Umfragen bringen immer wieder das Ergebnis, Herr und Frau Schweizer möchten in die EU. Wie sähe Ihrer Meinung nach heute ein allfälliges Abstimmungsresultat aus? Blocher: Ich bin überzeugt, dass die Schweizerinnen und Schweizer einen EU-Beitritt heute massiv ablehnen würden. Man muss berücksichtigen, dass solche Umfragen oberflächlich sind. Vor einer Volksabstimmung erfolgt zuerst einmal ein in die Tiefe greifender Abstimmungskampf. Dann werden den Leuten auch die negativen Seiten eines EU-Beitritts bewusst. Und wie, wenn es "nur" um den EWR ginge? Blocher: Auch der EWR hätte heute keine Chance. All die Schreckensszenarien, die von den EWR-Befürwortern noch 1992 vorgelegt wurden und der Schweiz praktisch den Untergang voraussagten, haben sich als völlig falsch erwiesen. Das weiss die Bevölkerung. Ich erhalte täglich zahlreiche Briefe von Leuten, die damals dem EWR zugestimmt haben und mir heute mitteilen, sie würden bei einem nächsten Mal ebenfalls dagegen stimmen. Dabei wäre bei einer EWR-Abstimmung mit den gleichen Problemen wie bei den bilateralen Verhandlungen beim Transitverkehr und beim Personenverkehr zu rechnen. Als Verwaltungsratspräsident bei Netstal haben Sie sich für die Minderheitsaktionäre eingesetzt. Jetzt treten Sie zurück. Was wird mit der Firma passieren? Blocher: Ich trete nicht freiwillig zurück. Der Hauptaktionär wird den Antrag stellen, mich abzuwählen. Dieses Vorhaben wird auch gelingen. Der Kampf hat sich insofern gelohnt, als der Hauptaktionär, welcher fast 90 % der Aktien besitzt, dem bisherigen Geschäftsleiter zugesichert hat, von der damals beabsichtigten massiven Einflussnahme abzusehen. Damit ist meines Erachtens eine gute Lösung für Netstal gefunden worden. Sie vertreten eine Direktwahl des Bundesrates durch das Volk. Wird eine Ini- tiative lanciert? Blocher: Diese Frage stellt sich heute noch nicht. Ich habe die Idee einmal in die leitenden Gremien der Schweizerischen Volkspartei hineingetragen und hoffe sehr, dass sie positiv aufgenommen wird. Wann und auf welchem Weg die Umsetzung erfolgt, ist noch offen. Die SVP sorgt immer wieder für Schlagzeilen wegen Differenzen ihres Zürcher Flügels und Bundesrat Adolf Ogi. Vertritt er noch einen SVP-Kurs? Blocher: Es ist die Aufgabe einer Partei, ihre Anliegen glaubwürdig, geradlinig und auch kompromisslos zu vertreten. Es ist unausweichlich, dass dies zu Differenzen mit Regierungsmitgliedern führt, namentlich mit solchen, welche in einer Mehrparteien-Regierung eingebunden sind, wie dies beim Bundesrat der Fall ist. Im Ganzen vertritt Bundesrat Adolf Ogi den SVP-Kurs, in aussenpolitischen Belangen allerdings ist er bedauerlicherweise davon abgewichen. Das Thema Ausländer ist allgegenwärtig - die SVP hat die "Kosovo-Abstimmung" in Zürich gewonnen. Wie viele und welche Ausländer verträgt die Schweiz? Blocher: Diese Frage ist falsch gestellt. Es ist eindeutig, dass unser Land zu viele illegale Einwanderer hat. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Schweiz viel zu attraktive Bedingungen bietet. Hier muss eingegriffen werden. Mark Kuster, Präsident der Jungen SVP, verkauft Hanfprodukte. Was halten Sie davon, haben Sie ihn deswegen schon gerügt? Blocher: Davon weiss ich nichts. Sofern dies nicht illegal ist, gibt es hier auch nichts zu rügen. Die SVP will sich noch weiter ausbreiten, so auch im Wallis, wo Sie sich selbst engagieren. Was ist für die SVP in der Schweiz möglich? Blocher: Ich freue mich natürlich, wenn an möglichst vielen Orten und in möglichst vielen Kantonen neue SVP-Ortssektionen gegründet werden, die einen klaren Kurs verfolgen, wie die SVP des Kantons Zürich dies schon seit Jahren tut. Das ist dringend notwendig, damit die anstehenden Probleme in unserem Lande gelöst werden können. Probleme, welche die übrigen Regierungsparteien leider zum Teil weder anpacken noch lösen. Und was erwarten Sie von den nächsten Nationalrats- und Ständeratswahlen? Blocher: Wir hoffen selbstverständlich bei den nächsten National- und Ständeratswahlen weitere Wähleranteile zu gewinnen, um unseren politischen Lösungen zum Durchbruch zu verhelfen.

29.05.1998

Den Bürger vor den Politikern schützen

Mein Beitrag für den Tages Anzeiger vom 29. Mai 1998 Meine ausgewählte Karikatur zum Thema: Ein Schweizer Parlamentarier: Vor der Wahl und nach der Wahl ("Nebenspalter" vom 28. Oktober 1899) Auch wenn sich die Geschichte nicht wiederholt, bietet sie uns zumindest Hinweise, welche Irrwege wir auf keinen Fall beschreiten dürfen. Das ist der Sinn des dreifachen Jubiläumsjahres 1998. Souveränität und Neutralität als Zukunftswerte Im Jahre 1648 erreichte die Schweiz in mühsamsten bilateralen Verhandlungen die Loslösung vom Deutschen Reich und damit die formelle schweizerische Souveränität und Unabhängigkeit. Vor 350 Jahren konnte alle Welt zur Kenntnis nehmen: "Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so neben Gott einzig von sich selbst abhängt." Dieser diplomatische Erfolg war nur möglich geworden, weil sich die Eidgenossenschaft im vorangegangenen Dreissigjährigen Krieg strikte Neutralität auferlegt hatte. Hätten sich damals nicht die Befürworter einer strikten Neutralität durchgesetzt, wäre die Schweiz zweifellos in die verheerende Kriegskatastrophe hineingezerrt worden und damit als selbständiger Staat untergegangen. Das offizielle Bern schweigt zu diesem Jubiläum. Schämt sich der Bundesrat etwa unserer Souveränität? Aber vielleicht können wir froh sein über das bundesrätliche Schweigen. Sonst müssten wir vielleicht noch erleben, dass sich unsere Regierung 350 Jahre nach Erringung der Unabhängigkeit gegenüber dem Ausland offiziell für die damalige Tat entschuldigen würde. Dabei steht fest: Wir brauchen in der Zukunft einen Staat, der seine Souveränität und Neutralität verteidigt, auch wenn beides bei den "besseren Kreisen" gerade einmal nicht hoch im Kurs steht. Eine Zukunft ohne "Gnädige Herren" Was gibt es denn 1798 zu feiern? Einen Einmarsch fremder Truppen? Den ruhmlosen Untergang der Alten Eidgenossenschaft von 1798? Ja. So kommt es heraus, wenn die notwendigen Reformen in Politik und Wirtschaft nicht aus eigener Kraft durchgesetzt werden, sondern von der Einmischung fremder Mächte erwartet werden. Die Ereignisse von 1798 waren die Quittung für die Herrschaft einer kleinen aristokratischen Oberschicht über die Masse der Untertanen; grosse Teile der Bevölkerung wurden von der Politik und von manchen Zweigen des Erwerbslebens ausgeschlossen. Die "Gnädigen Herren" vor 1798 waren dünkelhaft, borniert und selbstgefällig. Und heute? Die "Gnädigen Herren" sind im Anmarsch auf leisen Sohlen. Der Genfer Nationalrat Peter Tschopp beispielsweise - ein Freisinniger - will neuerdings das "Informationsmonopol" des Bundesrates durch ein Gesetz sicherstellen, um künftig zu verhindern, dass eine "einfache Privatperson" eine EU-kritische Broschüre in allen Haushaltungen senden darf. Nationalrat Franz Steinegger - der Präsident der Freisinnigen - findet es "unerträglich", wenn ich mir das Recht herausnehme, unsere Regierung und das Parlament zu kritisieren, weil sie sich immer öfters gegen den erklärten Volkswillen stellen. Figuren des Ancien Régime gibt es in der Schweizer Politik heute in zunehmendem Masse, auch wenn sie statt gepuderten Perücken nur Glatzen tragen. Die künftige Schweiz braucht keine "Gnädigen Herren". Gegen die Rückkehr zum Feudalismus Vor 200 Jahren wurde hierzulande das Prinzip der Gleichheit aller Staatsbürger und der persönlichen Freiheit verwirklicht. Die Herrschaft einiger weniger über viele wurde gebrochen. Der vor 200 Jahren überwundene Feudalismus - die Herrschaft weniger über viele - soll nun aber wieder auferstehen. "Auf in die EU, auf zur Rückkehr in feudalistische Zustände, Rückkehr zur Verminderung der Zahl der Entscheidungs-Träger und zur Einschränkung der Mitspracherechte des Volkes." - So die Devise der Regierung und des Parlamentes. Die Zukunft braucht aber das Gegenteil. Verrat an den Ideen von 1848 Vor 150 Jahren hatte die Schweiz den Mut, im Europa der Monarchen den Sonderfall einer demokratischen Republik zu schaffen. Dank eines freiheitlichen Wirtschaftssystems, dank eines schlanken Staates, der die Verantwortung des Einzelnen in den Mittelpunkt stellte, dank wagemutiger Unternehmer entwickelte sich die Schweiz zu einem der wohlhabendsten und gleichzeitig friedlichsten Länder der Welt. Ohne sich in fremde staatliche Interessen einbinden zu lassen, war sie stets weltoffen - globalisiert. Das globalisierte wirtschaftliche Denken prägte die Schweiz längst bevor es zum Schlagwort wurde. Handel mit aller Welt war die Devise der Glarner "Tüechler", der Aargauer Strohhütefabrikanten, der St. Galler Stickerei, der Winterthurer Maschinenbauer oder der Westschweizer Uhrenfabrikanten. Nicht die Einbindung in bürokratische Systeme, wo der Bürger machtlos wird, ist gefragt. Weltoffenheit ohne Einbindung, Kooperation statt Integration - das sei die Devise der Zukunft. Die Zukunft braucht den liberalen, auf Selbstverantwortung des Bürgers beruhenden, schlanken Staat. Volkssouveränität ausbauen Mit dem Jahr 1848 kam aber die Entwicklung der Eidgenossenschaft noch länst nicht zum Stillstand. In den folgenden Jahrzehnten erfolgte ein eindrücklicher Weiterausbau der Volksrechte und der direkten Demokratie. Bald schon musste das Schweizervolk nämlich merken, dass die von ihm gewählten Vertreter nur zu oft ganz andere Interessen vertreten, als es ihre Wähler erwarten. Locken die Kandidaten in Wahlzeiten mit unendlichen Versprechen, vergessen sie diese bereits am Abend der gesicherten Wahl. Also erkämpft sich das Volk seit den 1860er Jahren schrittweise wesentliche Mitbestimmungsrechte auch bei Sachvorlagen. Wie aber steht es um das Mitbestimmungsrecht des Schweizervolkes bei der Zusammensetzung seiner Regierung? Zu den vornehmsten Grundsätzen jeder echten Volkssouveränität gehört das Prinzip, dass sich das Volk seine Regierung wählt. Nur durch ein Zufallsmehr von 10 gegen 9 Stimmen ist 1848 die Revisionskommission der Bundesverfassung mit der Begründung, die Schulbildung des Volkes sei dafür noch zu gering, abgewichen. Seither hat sich aber in allen Kantonen zur allgemeinen Zufriedenheit die Volkswahl der Kantonsregierungen durchgesetzt. Verkommene, unglaubwürdige Ränkespiele wie sie heute bei jeder Bundesratswahl zur Tagesordnung gehören, würden bei einer Volkswahl der Regierung unmöglich. Und wie oft hat sich der Bundesrat in den vergangenen Jahren über demokratisch zustande gekommene Volksentscheide hinweggesetzt. Heute hat auch die Kumpanei zwischen Bundesräten und Medien geradezu unappetitliche Züge angenommen. Erst bei der Möglichkeit einer Wahl oder Abwahl durch den Souverän wüsste unsere Regierung wieder, wem sie in all ihrem Tun letztlich verantwortlich ist. Wir brauchen einen Staat, in dem die Volkssouveränität durch die Möglichkeit einer Regierungswahl durch das Volk konsequent verwirklicht ist. Eigentum stärkt den freiheitlichen Staat Oft genug werden bei den gegenwärtigen Jubiläumsfeiern unsere Freiheits- und Grundrechte bejubelt. Leider stellt sich kaum jemand ernsthaft die Frage, was seither mit ihnen geschehen ist, etwa mit dem Schutz des persönlichen Eigentums. Dabei ist die Möglichkeit des Erwerbs von Eigentum die Voraussetzung für eine freiheitliche Lebensweise. Doch was wir heute erleben, ist nichts anderes als einen staatlich inszenierten Raubzug auf das Eigentum. Vertreterinnen und Vertreter des arbeitenden Mittelstandes werden heute mit saftigen obligatorischen Lohnabzügen eingedeckt. Die Zahlenden erhalten diese entgegen den Versprechungen keineswegs im vollen Umfang als AHV, IV, Pensionskasse usw. zurück. Es wird umverteilt. Auf das Jahreseinkommen sind ständig steigende Steuern, auf das Ersparte Vermögens-Steuern, auf dem Lohn Einkommenssteuern zu bezahlen. Wer etwas kauft, hat Mehrwertsteuern abzuliefern. Der Hausbesitzer versteuert sein Haus nicht nur als Vermögen, sondern zusätzlich als sogenannter Eigenmietwert. Das Verschenken der Ersparnisse an Verwandte wird steuerlich bestraft; nicht besser soll es nach dem Willen vieler Politiker denen ergehen, die etwas anlegen und später einen Gewinn auf dem Ersparten erzielen. Neuerdings wird die Erkenntnis verkündet, die älteren Menschen, die durch Sparen vorgesorgt haben, hätten eigentlich die von ihnen mitgetragene AHV gar nicht nötig. Wer stirbt und etwas hinterlässt, zahlt Steuern. In nichts sind sich die Politiker so schnell einig, wie im Raubzug auf das Eigentum des Bürgers: Steuererhöhungen, Lohnabzüge, neue Mehrwertsteuerprozente etc. Das ist die weit verbreitete Konsenspolitik. Ähnlich verwahrlost präsentiert sich heute der Umgang mit dem Gesamteigentum des Volkes, mit dem Volksvermögen. Es herrscht eine geradezu liederliche Ausgabenmentalität, die einer Verschleuderung des Volksvermögens gleichkommt. Regierung und Politiker gründen unter dem grossmäuligen Wort "Solidarität" eine Stiftung und verkünden aller Welt eine grosszügige Geldverteilung - selbstverständlich aus Volksvermögen, das ihnen nicht gehört. Wir brauchen einen Staat, der das Eigentum der Bürgerinnen und Bürger nicht ausplündert, sondern schützt. Wir brauchen wieder einen Staat, der Tüchtigkeit, Eigeninitiative und Risikobereitschaft belohnt statt bestraft. Dies ist die grosse soziale Forderung der künftigen Schweiz. Für die moderne Schweiz gilt es, den Bürger vor der Raffgier der Politiker zu schützen.

23.04.1998

Die Gegenseite macht auf fragwürdige Weise mobil

Christoph Blocher sieht im Bericht der Kommission Brunner ein Dokument der "Kollaborationselite" Interview mit der "Weltwoche" vom 23. April 1998 Interview: Urs Paul Engeler Was würde die Schweiz nur ohne Ihre Gegendarstellungen machen, Herr Blocher? Vier Monate nach dem Grossversand der Broschüre über den Nutzen des EWR-Neins verbreiten Sie den Gegenrapport zum Bericht der Kommission Brunner. Christoph Blocher: Ich fühle mich verpflichtet, immer dann einzugreifen, wenn in der Politik Orientierungs- und Konzeptlosigkeit überhand nehmen. Was kostet Sie Ihr Leitfaden? Blocher: Diesmal geht es nicht um eine Schrift an alle Haushaltungen, sondern lediglich um 50 000. Kosten und Vertrieb laufen über die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Wer hat Ihr Papier tatsächlich verfasst? Blocher: Ich bin der Verfasser und trage die Verantwortung dafür. Zunächst hatte ich eineinhalb Jahre in dieser Kommission Brunner aktiv mitgearbeitet. Dann habe ich ein Team von acht Personen - Offiziere, Historiker, Soziologen, Ökonomen - gefunden, die Zeit und Kraft hatten, die Fragen der künftigen Strategie zu vertiefen und mit mir intensiv zu diskutieren. Wer steht hinter Ihnen? Blocher: Ich brauche keine Hintermänner. Was hat Ihre Privatgruppe den einundvierzig Mitgliedern der Kommission Brunner voraus, die den Bericht mittragen? Blocher: Das Brunner-Papier liegt auf der heute modischen Linie, die von den Worthülsen "Öffnung, Internationalisierung, Globalisierung" geprägt ist. Das war die gar nicht hinterfragte Ausgangslage der Debatten der Kommission, nicht ihr Ergebnis. Ebenso dient es natürlich den in Bern gepflegten politischen (nicht sicherheitspolitischen) Zielen wie EU- oder Uno-Beitritt, was dem Gros der Kommission ebenfalls sehr behagte. Mit künftiger Verteidigung des Landes jedoch hat der Bericht wenig zu tun. Sie sprechen nun von einer "Kollaborationselite". Das geht weiter als Ihre bisherige Verhöhnung der "classe politique". Blocher: Es geht beide Male ums gleiche: "Classe", wo keine sein dürfte. Es gibt eine führende Schicht, die eine ganz andere Interessenlage hat als das breite Volk: Sie orientiert sich am Grossräumigen, am Unbegrenzten, an Macht, vielen Kulissen und wenig Verantwortung. Diejenigen aber, die von diesen führenden Leuten abhängen, zielen im Gegenteil auf Begrenzung der Macht. Die Platte "Das Volk ist gut, die Politiker sind eigensüchtig" ist etwas gar alt. Blocher: Die Gefahr des Machtmissbrauchs liegt bei den Politikern. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel mit Symbolcharakter: Wer hat die Agenten des israelischen Geheimdienstes ertappt? Eine wachsame Hausfrau. Wer hat uns über den Fall informiert? Israelische Quellen. Unsere Behörden, die bis auf einen alle Täter haben laufen lassen, wollten den Fall vertuschen. Vor Jahren propagierten Sie den Beitritt der Schweiz zur amerikanischen Freihandelszone. Nun warnen Sie vor einer "pax americana". Warum diese Wende? Blocher: Das ist keine Wende. Ich schätze die USA weiterhin und trete auch für ein Freihandelsabkommen ein. Doch ich will mich - bei aller Sympathie für das liberale Land, das uns politisch nahesteht - unter keinen Umständen in die Eigeninteressen dieser Weltmacht einbinden lassen. Glauben Sie wirklich, was Sie schreiben? Zum Beispiel: "Es gibt einen einzigen Sonderfall gelungenen Friedens: den Sonderfall Schweiz"? Blocher: Ich kenne kein anderes Land, das 150 Jahre lang keinen Krieg führen musste - und das mitten in den blutigsten Auseinandersetzungen mit zwei Weltkriegen! Das ist Ihr Denkfehler: Kriege betreffen alle - auch die, die selbst nicht mit den Waffen fuchteln. Blocher: Die Neutralität wird derzeit nicht von aussen angegriffen, sondern von innen her in Frage gestellt. Sie hat sich als Mittel bewährt, einen Kleinstaat aus Auseinandersetzungen herauszuhalten. Nur auf Zeit. Jetzt läuft als späte Quittung für die Neutralität im Zweiten Weltkrieg der kleine Handelskrieg mit verschiedenen amerikanischen Organisationen. Blocher: Das ist ein Nebenschauplatz: Es geht nicht um Krieg zwischen Nationen, sondern es gibt ein Gezerre um Geld. Schuld an dieser Entwicklung sind ohnehin die Kreise im Innern, die mit Selbstbezichtigungen den Geldforderungen und Erpressungen den Weg geebnet haben. Man kann ja nur eine schwache Regierung erpressen. Und mit diesem schwach geführten Land wollen Sie den Alleingang wagen? Blocher: Noch gefährlicher wäre es, mit Regierungsschwäche an einem militärischen Pakt teilzunehmen! Von Zerfallserscheinungen geprägt ist allein die Führung des Landes, etwa wenn Bundesrat Flavio Cotti sogar Edgar Bronfman, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, privat seine Aufwartung macht. Die Basis hingegen ist im Ganzen solide; und die Wirtschaft läuft gut. Nicht einmal mit den teuren F/A-18 ist der Luftraum der Schweiz vollständig zu schützen. Wieviel soll Ihre autonome Sicherheit kosten? Welches Konzept von Armee folgt daraus? Blocher: Noch nie konnte sich ein Land allein oder in einem Militärbündnis gegen alles, was nur erdenklich ist, verteidigen. Das wird auch in Zukunft so sein. Es reicht, wenn wir gegen die wahrscheinlichsten Gefahren geschützt sind. Das kann man in Eigenregie effektiver und billiger tun als in internationalen Verbänden. Neue Bedrohungen werden der Informationskrieg sein, der mit einer kleinen Gruppe von Spezialisten geführt werden muss, oder importierte Bürgerkriege - zum Beispiel zwischen rivalisierenden Ausländergruppen -, für die ortskundige und ausgebildete Milizsoldaten eingesetzt werden sollen. Im Ernst: Bürgersoldaten gegen Kurden und Türken, die sich in Schweizer Städten bekämpfen? Blocher: Ja, sie müssen nur geschult werden, auch im Gebrauch von nichttödlichen Waffen. Wie wollen Sie Ihre Sicherheitskonzeption umsetzen? Im Fall der Partnerschaft für den Frieden haben Sie nach anfänglicher Generalopposition klein beigegeben. Blocher: Ich bin unterlegen: Der Bundesrat hat in eigener Kompetenz entschieden. Für bewaffnete Interventionstruppen im Ausland oder einen Nato-Beitritt müssen die Behörden durch das Nadelöhr von Volksabstimmungen. Da werden sie mit Sicherheit scheitern wie schon mit der Blauhelm-Vorlage. Auch die Frage eines Uno-Beitrittes wurde ja bereits durchgespielt. Sie haben eine Volksinitiative zur konkreten Fixierung und Umschreibung der Neutralität in der Verfassung angekündigt. Ist das Projekt still gestorben? Blocher: Nicht angekündigt, aber genau geprüft. Das Problem ist die Handhabung eines solchen Artikels, solange wir keine Verfassungs-Gerichtsbarkeit kennen und solange der Bundesrat alles Mögliche als mit der Neutralität vereinbar erklären kann. Kommt dazu, dass eine solche Bestimmung im Kriegsfall die Handlungsfähigkeit einschränkt. Es ist doch so, dass Sie grosse Schwierigkeiten haben, die Neutralität positiv und konkret zu umschreiben. Es ist einfacher, sie taktisch von Fall zu Fall als defensives Instrument politisch-ökonomischer Schlaumeierei einzusetzen. Blocher: Neutralität ist Stillesitzen, konsequente Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten. Das braucht Kraft und Klugheit. Wenn der Ausgang der Debatte so klar ist wie die Abstimmungen über Uno-Beitritt oder Blauhelme, so erstaunt Ihre Hektik. Blocher: Die Gegenseite macht auf fragwürdige Weise mobil. Bundesrat Adolf Ogi behauptet, der Bericht befinde sich in der Vernehmlassung, bevor er konkretisiert und umgesetzt werde. In Tat und Wahrheit wird er auf militärischen Kursen bereits als neue Doktrin doziert: Brigadier Peter Arbenz und ausländische Offiziere treten referierenderweise auf und werben für Nato-Annäherung, für EU-Beitritt und Interventionstruppen. Das ist eine unzulässige Verpolitisierung von Armeekursen. Es tritt deutlich zutage, dass in Tat und Wahrheit nicht die Kommission den Bericht verfasst hat, sondern das VBS selber. Indoktrinierung in Truppendiensten ist ein klarer Missbrauch der Kommandogewalt und wäre eigentlich strafrechtlich zu ahnden. Ich selber habe mich als Truppenkommandant seinerzeit geweigert, in Truppenkursen und vor Soldaten gegen die Initiative zur Abschaffung der Armee zu werben. Politik gehört nicht in die Armee!

16.04.1998

Die Oper gehört ins Volk

Kultur ist im Leben von Nationalrat Christoph Blocher kein Fremdwort Interview in der "Züri Woche" vom 16. April 1998 Er hat schon höchst eigenwillige Vorträge über "Mozart ein Industrieller" oder seinen Lieblingsmaler Albert Anker gehalten. Demnächst tritt der Bündner "Nabucco-Chor", den Blocher unterstützt, in Zürich auf. In einem Exklusiv-Interview mit der "Züri Woche" vertieft er seine persönlichen Ansichten. Sie besitzen rund 100 Bilder von Albert Anker und etwa 30 von Ferdinand Hodler. Sie lieben in der Musik Mozart und Verdi. Gibt es da Gemeinsamkeiten? Christoph Blocher: Ganz eindeutig. Besonders zwischen Anker und Mozart einerseits, Hodler und Verdi anderseits. Mozart und Anker scheinen vordergründig eine heile Welt darzustellen, doch wer genau hinhört oder hinschaut, merkt, dass es dahinter brodelt. Trotzdem: Bei beiden spüre ich die Botschaft von Gnade. Hodler und Verdi dagegen symbolisieren für mich Kraft und Energie. Ihre Kunst schöpft in der Natur sowie in der Seele der Menschen. Alle vier sind sehr volksnah - im besten Sinne des Wortes. Ihr Geschmack lässt sich mit Ihrer politischen Haltung vergleichen: traditionell, aufs Schöne ausgerichtet, fast klassisch. Blocher: Bin ich in einer Stadt und habe freie Zeit, so findet man mich oft in Museen. Ich liebe vor allem Malerei, auch den Ex- und Impressionismus. Mit moderner Kunst habe ich allerdings etwas Mühe. Ich sage nicht, sie sei schlecht. Aber mir gefällt sie ganz einfach nicht. Trotzdem haben Sie den "Denkpartner" des umstrittenen Zürcher Künstlers Hansjörg Limbach bei sich in Ems ausgestellt und dieses Sujet als Leitmotiv auf die Jahresberichte Ihres Unternehmens gesetzt. Eine Statue, die übrigens 1980 auf dem Paradeplatz stand. Hat Schang Hutters "Shoah" eventuell auch die Chance, in 10 bis 15 Jahren Ihr Werk zu zieren? Blocher: (lacht) Ich meine, Kunst sollte schön und nicht bewusst hässlich sein. Mit dem Würfel von Hutter kann ich nichts anfangen. Ich habe den Würfel zwar nicht direkt "wüescht gfunde", kann mir sogar vorstellen, dass die Dimension und die Figur oben drin ein Konzentrationslager darstellen. Generell finde ich Kunst auf öffentlichem Grund anregend und positiv. Ich habe mich nicht darüber aufgeregt, dass der Würfel aufgestellt wurde, ich habe mich aufgeregt, dass sich Hutter damit einfach über die gültige Rechtsordnung hinweggesetzt hat. Ihm persönlich habe ich gesagt, er sei ein intoleranter Mensch, der von uns verlange, dass wir alle seine Kunst schön fänden. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ein Schang Hutter wird wohl kaum in Ems stehen. Dafür kommt jetzt Ihr "Ernani" nach Zürich. Blocher: Ja. Und darauf freue ich mich sehr. Besonders wenn ich an die Erfolge von "Nabucco" denke. Ich bin überzeugt - und dafür engagiert sich auch unsere Firma -, dass Oper nicht eine Kunst für die "Oberen Zehntausend" sein darf. Oper gehört ins Volk. Mit dem rund 100köpfigen Bündner Chor - alle Sängerinnen und Sänger des Chores sind ausgebildete Laien aus dem Bündnerland - und Verdis Musik erreichen wir dieses Ziel. Dass Sie "Nabucco" aufgeführt haben, leuchtet mir ein: Da will Verdi die Botschaft von Freiheit verkünden, da kennen alle den Gefangenenchor. "Ernani" hingegen ist ein Banditenstück mit unzähligen Intrigen. Das passt doch nicht so ganz zu Christoph Blocher. Blocher: Es geht mir bei der Oper weniger um den Inhalt als um die Musik. Und die ist bei Verdi kraftvoll und volksnah. Kommt dazu, dass die Bündner Stimmen ideal sind fürs italienische Fach. Also hat der künstlerische Leiter, der Bass Armin Caduff, erneut eine diesmal etwas komplexere Oper Verdis speziell für seinen Chor und eine einfache, halbszenische Aufführung eingerichtet, die auch in Mehrzweck- und Turnhallen gespielt werden kann. Sie fördern also Oper. Stand Alexander Pereira noch nie bei Ihnen auf der Matte? Blocher: Doch. Aber ich habe meine eigenen Ideen. Ich will mit meinem Geld nicht das unterstützen, was bereits staatliche Mittel in grösserem Umfang verschlingt. Ich bin generell gegen Staatskultur. Denn hier bestimmt ein kleiner Kreis von sogenannten Experten, was unterstützungswürdig ist und was nicht. Ich vertrete das gute alte Prinzip des privaten Mäzenatentums. Als Firma oder als Privatmann Blocher? Blocher: Als Privatmann. Da unterstütze ich dieses Jahr den Produzenten Lukas Leuenberger mit seinem Projekt über Ulrich Bräker, den Toggenburger Dichter, dessen 200. Todestag wir 1998 feiern. Der Hirtenjunge Bräker zog als einfacher Mensch in die Welt, trat in die Dienste des Preussenkönigs Friedrich II., beschäftigte sich mit Shakespeare und zeichnete in seinen Texten - vor allem in "Der arme Mann im Toggenburg" - ein hervorragendes Bild seiner Zeit. Doch das Bundesamt für Kultur erachtet Bräker nicht als ehrenswürdig, also tue ich es. Ausgerechnet mit Lukas Leuenberger, der die Nationalräte mit seinem "Herkules und der Stall des Augias" verärgerte und dann mit "Jeanmaire" erneut für negative Schlagzeilen sorgte. Blocher: Den "Herkules" habe ich nicht gesehen. Dafür seine frühen Produktionen wie "Der Besuch der alten Dame" im Ankerdorf Ins - so bin ich überhaupt auf ihn gestossen, ganz per Zufall - und "Die schwarze Spinne" im Emmental. "Jeanmaire" habe ich auch gesehen. So schlimm war es doch gar nicht. Auf die Szene in den Unterhosen wurde viel zu viel Gewicht gelegt. Ich fühlte mich persönlich sehr angesprochen, da Jeanmaire im Militär mein Vorgesetzter war und ich ihn sehr gut kannte. Zurück zu "Ernani": Dass hier das Transsylvanische Symphonie-Orchester Budapest spielt und nicht ein Schweizer Ensemble passt nicht so ganz zu Christoph Blocher. Blocher: Wäre ein bündnerisches Orchester zur Verfügung gestanden, hätten wir bestimmt dieses ausgewählt. Doch als wir 1992 ein Orchester für "Nabucco" brauchten, kam uns eine ganz andere Idee: Osteuropa wurde frei. Der Ruf nach Unterstützung wurde laut. Diesem Ruf wollten wir folgen. Nicht, indem wir einfach Geld hinschickten, sondern besser, indem wir ihnen Arbeit verschafften. Sicher: Ein Orchester aus Osteuropa ist billiger als ein Schweizerisches. Umgekehrt muss man sehen, dass wir mit unserem Beitrag diesen Musikern ihre Existenz zu sichern helfen. So verstehe ich "Entwicklungshilfe". Und weil die Zusammenarbeit bei "Nabucco" hervorragend klappte, haben wir sie wieder für "Ernani" engagiert. Was bezwecken Sie genau mit Ihrem Engagement für den Bündner Nabucco-Chor? Blocher: Es gibt viele wunderbare Stimmen im Bündnerland. Dieser Chor vereinigt sie auf besonders beeindruckende Weise. Selten haben mich Opernaufführungen so berührt, wie mit diesem Chor. Die Surselva ist ein karges Gebiet. Es hat nur Wasser, Schnee, Steine… und wunderschöne Stimmen voller natürlicher Lebenskraft und Lebensfreude! Diese wollen wir in die Schweiz hinaustragen und damit die Kultur Bündens fördern und unterstützen.