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Bundesratszeit

02.09.2007

90 Jahre SVP Zürich

Zürich. Anlässlich der Feier zum 90. Geburtstag der SVP Zürich ging Bundesrat Christoph Blocher auf die schwierigen Zeiten, in welchen die Zürcher Bauernpartei gegründet wurde, und deren Erfolge und Rückschläge ein. Die Partei habe frühzeitig im Sozialismus die wichtigste Bedrohung für die Grundfesten der Schweiz entdeckt. Das Jubiläum solle Anlass sein, sich der Bedeutung der Säulen der Schweiz bewusst zu werden. 02.09.2007, Zürich Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Meine Damen und Herren 90 Jahre ist es her, dass an einem Sonntag, mitten im 1. Weltkrieg (1914 – 1918), in der Zürcher Tonhalle die Zürcher Bauernpartei gegründet wurde. 1. Gründung in schwerer Zeit Die Zürcher SVP ist also – wie die Schweiz auch – in einer „arglistigen Zeit“, in einer Situation grosser Not, entstanden. Besonders für die ländliche Bevölkerung war die Zeit schwer: Seit dem Ausbau der Eisenbahnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steckte der Bauernstand in der Krise. Billiges ausländisches Getreide überschwemmte den einheimischen Markt. Missernten und die Einschleppung verheerender Rebschädlinge verschärften die Lage zusätzlich. Auf der einen Seite gehörten mächtige Industrie-, Finanz- und Eisenbahnbarone zu den Hauptgewinnern jener Zeit. Auf der anderen Seite organisierten sich sozialistische Gewerkschaften und die sozialdemokratische Partei. Der Zürcher Bauer schrieb 1919: „Die Sozialisten wollen billige Lebensmittel, und zwar um jeden Preis, also auch dann, wenn die bäuerliche Bevölkerung dabei zugrunde geht.“1 In den Vertretern des Kapitals und der Grossindustrie sah die Bauernpartei eine ebenso grosse Gefahr für den Weiterbestand der Bauernschaft. „Auch jene wollen billige Lebensmittel, denn ’billige Lebensmittel – billige Arbeitskräfte – hoher Kapitalgewinn’ sagen sich die Herren.“2 Trotz der drückenden Lage war die Landbevölkerung in sich nicht geeint. Politisch bekämpfte sich der bäuerlich-ländliche Mittelstand oft in unterschiedlichen Parteilagern: Die einen stimmten mit den Freisinnigen, die andern für die Demokraten. Doch konnten und wollten diese beiden Parteien die Sorgen der Landbevölkerung je länger je weniger aufnehmen und vertreten: Nach Meinung unserer Parteigründer vertraten die Demokraten vorwiegend die Interessen von „fest besoldeten Theoretikern“, und die Freisinnigen waren „zu träge, um sich gegen den freiheitsfeindlichen Sozialismus entschieden zu wehren“. 2. Die Anfänge Von Anfang an musste sich die Bauernpartei gegen den Vorwurf der Medien und anderer Parteien wehren, bloss als Vertretung einer Berufsgruppe egoistische Interessenpolitik zu betreiben. Doch die Bauernpartei galt von Anfang an auch als glühendste Verfechterin der Landesverteidigung und entschiedene Verteidigerin der Demokratie, in der sie einen „festen Eckpfeiler des Staates zum Nutz und Frommen aller“3 sahen. Als die Bauernpartei schon bei ihrem ersten Wahlgang 1917 auf Anhieb 47 Kantonsrats-mandate gewann, war das Medienecho um so giftiger und der Neid der anderen Parteien umso grösser. Sie sehen: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Der Neid ist auch heute nicht geringer geworden. 1917 entstand also die heutige SVP des Kantons Zürich. Sie belebte die damalige Parteienlandschaft im Kanton Zürich, die aus den Freisinnigen, den Demokraten (die sich später zur Freisinnig-demokratischen Partei, FDP, zusammen schlossen, den Sozialisten (heute Sozialdemokratische Partei, SP) und dann den kleineren, konfessionell geprägten Parteien EVP und CSP. Warum brauchte es also noch eine weitere politische Kraft? Weil sich die Menschen nicht vertreten fühlten. Die SVP ist von unten entstanden, aus einem breiten Bedürfnis heraus. Die geistigen Grundhaltungen bei der Geburtsstunde der SVP und unseres Landes Schweiz ähneln sich: Es ist eine Mischung aus Trotz und Rebellentum. Die Gründer der Zürcher SVP sahen, wie die Bürgerlichen (damals die Freisinnigen und die Demokraten) nach links schielten. So beklagte der „Zürcher Bauer“ drei Jahre vor der Parteigründung – bei den Nationalratswahlen 1914: „In Winterthur zeigten die Bürgerlichen klar und deutlich, dass sie lieber mit der sozialistischen Partei zusammenspannen als mit den Bauern. Bei gleichem Anlass in Zürich haben wir erfahren, dass die Bürgerlichen überhaupt dem Land keine Vertretung gönnen, wo sie in städtischer Mehrheit sind.“4 3. Eine Partei findet sich Drei Hauptbeweggründe sind bei der Geburtsstunde der Schweizerischen Volkspartei klar auszumachen. Es sind: * Klassische standespolitische Interessen * Die Sammlung der bodenständigen, heimatverbundenen, freiheitsliebenden Kräfte in der bewegten Zeit des 1. Weltkrieges und am Vorabend der sozialistischen Revolution in Russland * Es ging um den Wert der Schweiz, um die Werte Heimat, Familie, Arbeit Die Gründerväter sahen sich – wie sie erklärten - als Partei des „vaterlandstreuen und bodenständigen Zürchervolkes“. Unter all den markanten Erscheinungen, die samt und sonders zur seit 1848 erfolgreichen, freisinnigen Grossfamilie gehört hatten, aber sich nach der Jahrhundertwende abwandten, ragt wohl der Bauernknecht Fritz Bopp aus Bülach hervor. Schon 1907 gründete er im Bezirk Bülach eine Bauernpartei und führte diese dort zur absoluten Mehrheit. In seiner armseligen Knechte-Kammer hatte er sich durch Selbststudium vom Bauernknecht zum Zeitungsredaktor, Gerichtspräsidenten und Nationalrat hochgearbeitet. Er rief in Bern gegen die Verschleuderung der Steuergelder auf, liess es aber nicht beim Schwatzen bewenden, sondern schickte aus Protest und Vorbild seine Taggelder als Parlamentarier an den Bund zurück. Bopp verschmähte jedes fotographische Porträt von sich mit der Begründung: „Jede Tore-bueb laat sich hüt efäng fotografiere!.“ Sein Urteil über eine grosse Zahl von Nationalrats-kollegen war schonungslos, aber ehrlich, wenn er ausrief: „Ich sehe manche gespreizte Null in ihrer ganzen durchsichtigen Hohlheit schimmern.“ 4. Erfolge und Rückschläge Schon Mitte der 20er Jahre ereilte auch die Bauernpartei das, was alle Parteien immer wieder durchzustehen haben: Rückschläge, Querelen, Auseinandersetzungen und Spaltungen. In diesen Turbulenzen übernahm dann 1925 ein Mann das Präsidium, der die Partei in ein ruhigeres Gewässer führte und der SVP ein eigentliches Programm verpasste: Der Stäfener Rudolf Reichling. Er übernahm die Anliegen seiner Vorgänger und verstärkte die patriotische Ausrichtung. Der politische Gegenentwurf war der Sozialismus. Hauptgegner war die Linke, heute wären dies Sozialdemokraten und Grüne. Das hiess in einem Satz: "Alle Bauern, Handwerker, Gewerbetreibende, sowie die auf vaterländischem Boden stehendem und dem Grundsatz des Privateigentums huldigenden Intellektuellen, Angestellten und Arbeiter wollen von ihr gesammelt werden zu vereinter Arbeit für das Gesamtwohl."5 5. Gegen Sozialisten jeglicher Couleur 6Die Partei entdeckte frühzeitig im Sozialismus die wichtigste Bedrohung für die Grundfesten der Schweiz: Selbstbestimmung, Freiheit, Föderalismus, Eigenverantwortung, die liberale Wirtschaftsordnung. So viel hat sich auch bis heute nicht geändert. Es ist so: Die ewige politische Grundfrage bleibt: Wie viel Staat braucht der Mensch? Wie viel Staat – wie viel Freiheit wollen wir? Schon die jugendliche Bauernpartei ruhte in ihren Grundsätzen und konnte so auch später allen totalitären Versuchungen widerstehen. Besonders aktuell war dies dann in den 30er-Jahren, als die Partei festlegte: "Nicht Sichel und Hammer und nicht das Hakenkreuz, nicht das Dogma einer Partei und nicht die staatliche Diktatur können unsere Losung sein". Scharen wir uns entschlossen unter dem weissen Kreuz im roten Feld, dem Symbol der Demokratie, dem Zeichen der inneren Verbundenheit und der gegenseitigen Verantwortung. In diesem Zeichen werden wir den politischen Gegner überwinden und siegen!"7 – so das Bekenntnis im Jahr 1933 – im Jahre der Machtübernahme durch Hitler. 6. An die Bürger denken Nur weil wir hier heute ein Jubiläum feiern, sollten Schwächen und Versagen in der Parteigeschichte nicht verschwiegen werden. Auch die Zürcher SVP hatte immer wieder Krisen. Vor allem dann, wenn sie aus Opportunismus, aus wahltaktischen oder Bequemlichkeitsgründen ihre Grundsätze vernachlässigte. Nicht der politische Gegner schwächte die SVP, sondern in der Krise war sie es stets selber. Das ist die dauernde Gefahr der Politiker und Parteien: Kaum kehrt etwas Erfolg ein, denken sie an sich selbst, ihre Karriere und den eigenen Vorteil, vergessen ihren Auftrag, wollen beliebt und in der Presse gelobt sein und vergessen die Sorgen der Menschen. Sie sehen: Es gibt nichts Neues unter der Sonne! Schauen Sie heute in die Parteienlandschaft: Wer Ohren hat, der höre, wer Augen hat, der sehe. Besonders gross müssen Aug und Ohr nicht sein, um die Missstände im Land oder in den Parteien zu sehen und zu finden. 7. Die 70er Jahre: Krise und Wiederauferstehung Ein Jahr nach den Zürchern – im Jahre 1918 – würde die Berner Bauern-Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) gegründet. Im grossen Agrarkanton wurde sie rasch zur vorherrschenden Partei und überragte in der SVP-Fraktion die Zürcher bis in die 90er Jahre an Bedeutung und Zahl der Vertreter. Bis in die 90er Jahre war die SVP politisch nur in der Hälfte der schweizerischen Kantone vertreten. Erst die Auseinandersetzung um die Europäische Union und namentlich der erfolgreiche Kampf gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum brachte die breite Präsenz in allen Kantonen. 1971 integrierte die Schweizer BGB die Bündner und Glarner Demokraten und wurde so zur Schweizerischen Volkspartei (SVP). Bei den Nationalratswahlen 1975 brach die SVP jedoch dramatisch ein. Gesamtschweizerisch erreichte sie lediglich noch 9,9 %. Damit war sogar ihr einziger Bundesratssitz stark gefährdet. Von Angst und Weh begleitet, setzte eine heftige innerparteiliche Diskussion ein: Wie üblich, glaubten viele in der Partei, man müsse das konservative Gedankengut aufgeben und mit mehr modernistischem, progressiv–liberalem Gedankengut neue – vor allem eher linke – Wähler ansprechen. Die Diskussion wandte sich immer mehr ab von den Sorgen der Bürger. Im Mittelpunkt standen nur noch Polit- und Marketingüberlegungen. Auch die Zürcher SVP, die mit nur gerade vier Mandaten aus den Nationalratswahlen 1975 hervorgegangen war, machte sich ernste Gedanken über die Zukunft der Partei und deren Ausrichtung, aber hielt das Parteimarketing als die falsche Orientierung. Nach heftigen Auseinandersetzungen in der SVP, nach Austritten und Turbulenzen, nach Versöhnungen, Beschwörungen, Kompromissen und nach zahlreichen Grundsatzdiskussionen mit verunsicherten Parteiexponenten, die zur Anpassung nach links neigten, setzte sich schliesslich der liberal-konservative Kurs der Zürcher SVP in der Partei durch, auch wenn die Diskussion – namentlich mit Berner und Zürcher Parteiexponenten – bis Mitte der 90er Jahre immer wieder aufflammte. Die Zürcher legten überzeugend dar: Man braucht keine weltanschauliche Öffnung, keine Anbiederung an die diffuse, unzuverlässige Mitte, wo sich genügend Parteien tummeln und die Zürcher machten ein für allemal klar, ein Weg nach links ist für das Land verhängnisvoll. Das liberal-konservative bürgerliche Gedankengut, die Idee der Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger sei keineswegs veraltet, sondern zukunftsweisend Zürich wehrte sich gegen eine ideologische Öffnung, aber verfolgte eine thematische Öffnung auf vorhandenem solidem Gedankengut. Das Menschenbild galt es nicht zu ändern. Die SVP sollte sich nicht nur mit den Themen Landwirtschaft und Landesverteidigung und Finanzen befassen, sondern auch mit allen anderen Gebieten: Staats- und Bildungspolitik, Sicherheits- und Sozialpolitik, der breiten Wirtschaftpolitik usw. Auch in der Zürcher Partei selbst war das Vorgehen nicht unumstritten. Zahlreiche Arbeits-tagungen, Diskussionen, interne Debatten sowie heftige Attacken von aussen schweissten die Basis aber immer mehr zusammen. Mitten in diese Zeit – Anfang 1977 – fiel der überraschende Tod des damaligen zürcherischen Parteipräsidenten, Nationalrat Werner Leutenegger, Geschäftsführer des kantonalen Gewerbeverbandes. Die anschliessende Präsidentenwahl wurde zur Abstimmung über die ideologische Ausrichtung der Partei. In einer heftigen Kampfwahl wurde schliesslich im Februar 1977 Christoph Blocher zum Parteipräsidenten gewählt und blieb dies bis zur Wahl in den Bundesrat im Jahr 2004. Anfänglich wurde die Parteiorganisation gestrafft, die Ortssektionen und Bezirks-parteien wurden gestärkt und grosser Wert auf die politische Knochenarbeit gelegt. Oberster Führungsgrundsatz war: Je weniger die Partei an sich denkt, desto eher denken die Wähler an die Partei. Im Detail hiess das: Entschädigungen, Sitzungsgelder, Spesen wurden abgeschafft und das Parteisekretariat professionalisiert. Die Zürcher Kantonalpartei begann in nationalen Fragen der Partei voranzugehen. Sie nahm gesamtschweizerischen Einfluss. Die jährlichen Albisgüetli-Tagungen entwickelten sich zu national bedeutungsvollen Anlässen. Erinnert sei auch an die denkwürdige Delegiertenversammlung im Jahre 1992 mit über 500 Delegierten, wo die Zürcher Kantonalpartei als erste schweizerische Partei zur Überraschung aller Politbeobachter den Mut aufbrachte, den EWR-Vertrag abzulehnen. Da in den Zeitungsspalten der zunehmend erfolgreichen Zürcher SVP (sie steigerte ihre Sitzzahl im Nationalrat von den vier Sitzen 1975 auf 13 Mandate im Jahre 1999) immer weniger Platz eingeräumt wurde, musste die Partei den Kampf mit Veranstaltungen und auf dem Inserateweg führen. Die Wählerinnen und Wähler belohnten die SVP – trotz aller Gegenattacken – mit ständig steigenden Stimmenzahlen. Die Zürcher SVP wurde so immer mehr zur Partei all jener Leute, die mit beiden Beinen im Leben stehen und ihren Alltag stets aufs Neue erfolgreich bewältigen. Die Zürcher Schweizerische Volkspartei wurde immer mehr zur Partei des Mittelstandes und der arbeitenden Bevölkerung. Gezielt wurde – namentlich unter der Führung von Nationalrat Walter Frey – die Stadtpartei ausgebaut, so dass die SVP sowohl auf der Landschaft als auch in den Agglomerationsgemeinden und der Stadt Zürich zur grossen Partei wurde. Aus den Nationalratswahlen 2003 ging sie mit dem fast unglaublichen Stimmenanteil von 33,6% aus den Wahlen hervor! 8. Konsequent auf Kurs Der konsequente Weg für Selbstbestimmung, direkte Demokratie, Neutralität, Föderalismus wurde vor allem in den 90er Jahren für den Erfolg der Partei entscheidend. Als alle anderen Parteien und die gesamte politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Prominenz die Schweiz in die EU, die UNO, ja sogar in die NATO führen wollten, ging die Zürcher SVP einen anderen Weg. Sie konnte davon zuerst die Schweizerische Partei und dann schliesslich an der Urne die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger überzeugen: Das Schweizervolk lehnte am 6. Dezember 1992 bei einer Stimmbeteiligung von 78,7% den EWR ab und schloss damit das Tor für den Beitritt der Schweiz in die Europäische Union. Dieser heftigen Auseinandersetzung, die den Höhepunkt der Verunglimpfungen brachte, war die Geburtsstunde zahlreicher neuer SVP-Parteien in der Zentralschweiz, der Ostschweiz und der Romandie. Die Zürcher SVP unterstützte anfänglich diese neuen Parteien mit Rat, Tat und oft auch finanziell. Der politische Boden dieser Parteien war solid. Einstehen für die Schweiz war damals in der veröffentlichten Meinung nicht modern. Die SVP aber hielt Stand. An der 1. Augustfeier 1991 – im 700sten Jahr der Eidgenossenschaft – wurde auf dem Rütli durch die Classe politique der Sonderfall Schweiz rhetorisch zu Graben getragen. Einstehen für den Sonderfall Schweiz war zum Spiessrutenlaufen geworden. Die Zürcher SVP gab massiv Gegensteuer. Die Albisgüetli-Rede von 1992 trug den programmatischen Titel: „Anpassung oder Widerstand“? In der Innenpolitik wurde die Zürcher SVP zum Bollwerk gegen den Sozialismus und gegen die innere Zersetzung. Die Bürger – nicht der Staat – sollen im Mittelpunkt stehen. Eigenverantwortung, Unternehmertum, Kreativität, Erfolg wurde propagiert. Diese Ausrichtung hat die Schweiz geformt und bildet das Fundament, das unserem Land (arm, praktisch ohne natürliche Bodenschätze, ohne Meeranstoss, kleinräumig) einen solchen Wohlstand schaffen konnte. Und „schaffen“ ist durchaus wörtlich gemeint. In diesem Sinne hielt die Partei an dem fest, was die politischen Vorfahren schon 1919 proklamierten: „Und nichts als harte Arbeit ist es, die ein Volk nährt und sittlich stark macht.“8 Mit Sorge erfüllt die SVP, wenn in einem Staat das Gefühl aufkommt, man sei der Betrogene, wenn man arbeitet gegenüber anderen, die mit allen Tricks versuchen, sich von der Allgemeinheit aushalten zu lassen. Dann haben wir ein Sozialsystem, das diesen Namen nicht mehr verdient. Missbräuche zu stoppen trat in der politischen Arbeit immer mehr in den Vordergrund, sei es im Sozialwesen, im Asylwesen, bei der Invalidenversicherung, in der Entwicklungshilfe oder anderswo. Für die SVP gilt aber auch, dass für diejenigen, die nicht für sich selber sorgen können und durch alle Maschen fallen, gesorgt wird. Sie weiss aber auch, dass man die Schwachen nicht stärkt, indem man die Starken schwächt. Jeder Franken Fürsorge muss irgendwo erwirtschaftet werden und einem anderen gewissermassen abgenommen werden. Daraus leitet sich die soziale Überzeugung der SVP ab. * Sozial ist zuerst einmal derjenige, der für sich und seine Nächsten schaut. * Sozial ist, wer arbeitet. * Sozial ist, wer Arbeit schafft. * Sozial ist, wer in Eigenverantwortung lebt. * Sozial ist, wer selber wohltätig ist und nicht derjenige, der sich für staatliche Sozialleistungen brüstet, für die andere aufkommen müssen. 9. Für Grundsätze einstehen Grundsätze bleiben bestehen – sonst wären sie keine Grundsätze. Die SVP ist die Partei der Grundsätze. Darin liegt ihre Glaubwürdigkeit und Kraft. 1922 trat die Bauernpartei mit folgenden Schlagwörtern in den Nationalratswahlkampf: „Bauernpolitik ist eine Politik der Arbeit“9 , „Kampf gegen Rot“10 und „Verteidigung unserer Volksrechte“11. Müssten wir 2007 ein Komma daran ändern? Nein. Grundsätze bleiben bestehen und für Grundsätze steht man ein. Zu den Kantonsratswahlen von 1932 trat die Bauernpartei mit der Parole an: "Für Sicherheit, Ruhe und Ordnung, für einen einfachen, gesunden Finanzhaushalt, für eine entschiedene vaterländisch-bürgerliche Politik"12. Müssten wir an dieser Parole einen Buchstaben ändern? Nein. Die SVP ist die Partei, die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger fordert. Für unsere Zeit hat die SVP die Richtung vorgegeben: Wir haben ein Problem mit importierter Gewalt – also muss sie reexportiert werden. 10. Besinnung auf unser Fundament Gerade an einem Anlass wie heute, an dem wir ein Jubiläum feiern, dürfen wir uns wieder bewusst werden, was uns die Säulen der Schweiz zu bedeuten haben. * Wir wollen eine Demokratie, eine Volksherrschaft – und zwar ohne Abstriche. * Wir wollen Freiheit und Selbstbestimmung – wir brauchen kein fremdes Recht und wollen unsere Handlungsfreiheit bewahren. * Wir pflegen aussenpolitisch die dauernde Neutralität – und zwar ohne modische Zusätze („aktive“ Neutralität). * Wir halten an unseren Grundsätzen und Werten fest und halten durch – auch gegen alle modischen Strömungen und moralischen Erpressungsversuche. Ich zitiere zum Abschluss noch ein Werbeflugblatt der Bauernpartei aus dem Jahr 1919:13 Ihr wollt arbeiten und leben; Ihr hasst das Saugen an der Staatskrippe. Ihr wollt ein einfaches, sittlich kräftiges Schweizervolk: Menschen mit eigener Arbeits- und Verantwortungsfreude! Ihr bekämpft die Auswüchse des Kapitalismus und verdammt die zertrümmernden Wahnideen der Sozialisten. Ihr verlangt einen festen Kurs in der Politik und duldet kein Wanken zwischen der vaterländisch-bürgerlichen und der sozialistischen Politik. Ihr duldet das Verschleudern der Staatsgelder durch eine leichtsinnige Geldverteilerei und eine ruinierende Lohnpolitik nicht. Ihr fordert einen sparsamen Haushalt des Staates und des Bundes. Ihr verwerft das staatliche Eingreifen in Eure Betriebe, weil es den Bureaukratismus gross züchtet und die eigene Verantwortung lähmt. Die SVP muss auf Kurs bleiben. Für eine sichere, unabhängige, erfolgreiche Schweiz. Für einen prosperierenden Kanton Zürich. Für die Volksrechte. Für unsere einzigartige Demokratie. Für unser Land. Für die Bürgerinnen und Bürger. Der heutige Tag ist nicht das Ende der bisherigen Aufgabe, sondern der Anfang für neue! Der Kanton Zürich, die Schweiz, die Bürgerinnen, die Bürger brauchen die SVP! ______________________________________________________________ 1 Der Zürcher Bauer, Der Bauer und die Nationalratswahlen, Nr. 73, 24. September 1919. 2 Der Zürcher Bauer, Der Bauer und die Nationalratswahlen, Nr. 73, 24. September 1919. 3 Der Zürcher Bauer, Zum 8. Juli, Nr. 27A, 5. Juli 1917, S. 314. 4 Der Zürcher Bauer, Zu den eidgenössischen Wahlen, Nr. 42, 16. Oktober 1914, S. 505f. 5 Der Zürcher Bauer, Kantonal zürcherische Bauernpartei, Parteiprogramm, Nr. 95, 20. Oktober 1931. 6 Der Zürcher Bauer, Die Zürcherische Bauernpartei an ihre Mitglieder und Gesinnungsgenossen, Nr. 25, 22. Juni.1917, S. 290. 7 "Demokratie oder Diktatur", "Der Zürcher Bauer" Nr. 40 vom 7. April 1933. 8 Der Zürcher Bauer, Bauernpolitik, Nr. 81, 22. Oktober 1919. 9 Der Zürcher Bauer, Kämpft für Liste 6, Nr. 86, 28. Oktober 1922. 10 Der Zürcher Bauer, Der 29. Oktober, Nr. 83, 18. Oktober 1922. 11 Der Zürcher Bauer, Der 29. Oktober, Nr. 83, 18. Oktober 1922. 12 "Regierungsratwahl 1932", "Der Zürcher Bauer" Nr. 41 vom 12. April 1932. 13 Der Zürcher Bauer, Werbeflugblatt der Bauernpartei 1919, Nr. 82, 25. Oktober 1919

01.09.2007

Die Gratwanderung des Polizisten

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Eröffnung der Interkantonalen Polizeischule Hitzkirch IPH, 1. September 2007, in Hitzkirch/LU 01.09.2007, Hitzkirch Hitzkirch. Anlässlich der Eröffnung der Interkantonalen Polizeischule in Hitzkirch IPH referierte Bundesrat Christoph Blocher über die Schwierigkeit des Polizistenberufs. Es werde erwartet, dass die Polizei die Nähe zum Bürger pflege, Menschlichkeit und Verständnis für den Betroffenen aufbringe, vielleicht auch einmal ein Auge zudrücke und trotzdem die notwendige Distanz bewahre. Dafür sei eine gute Ausbildung erforderlich, und genau diesem Zweck diene die Interkantonale Polizeischule Hitzkirch. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen und Herren 1. Gewaltmonopol des Staates Privatisieren liesse sich Vieles, was heute der Staat tut. Eines steht fest: Die Sicherheit – der Schutz von «Leib und Gut» und die damit verbundene Gewaltausübung ist Sache des Staates. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat! Das Machtmittel dazu ist die Polizei. Die Polizei hat dafür zu sorgen, dass sich alle Leute, die sich in der Schweiz aufhalten, an die von den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern erlassenen Regeln halten. Die Polizeihoheit liegt bei den Kantonen und meines Erachtens sollte dies auch so bleiben. Für „Ruhe und Ordnung sorgen“ ist schnell gesagt. Aber wie soll dies geschehen? Im freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat Schweiz ist der richtige Weg nicht einfach: Es ist eine Gratwanderung. 2. Gratwanderung Im äussersten Fall hat die Polizei die Pflicht und Recht die Freiheit des einzelnen einzuschränken und sogar Gewalt anzuwenden. Doch dies ist nur die ultima ratio – das letzte Mittel. Die Polizei ist auch Vermittlerin, d.h. Streithähne zur Raison bringen sowie Randalierer und andere Störer auf ihr Fehlverhalten hinweisen. Oft muss sie auch als Helferin der Schwachen, Unerfahrenen und Unbeholfenen auftreten und damit eine einende und integrierende Aufgabe wahrnehmen. Hier tritt die Polizei als dein Freund und Helfer auf. Sie spüren die anspruchsvolle Gratwanderung. In all diesen Rollen muss die Polizei einen Spagat bewältigen. 3. Vertrauen Nur wenn der Polizei das gelingt, kann sie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen und immer wieder bestätigen. Wenn man den Publikumsumfragen Glauben schenken will, scheint ihr dies gut zu gelingen. In der Statistik erhält sie immer wieder Vertauens-Höchstwerte – weit bessere als zum Beispiel Politiker oder die Medien. Basis für dieses Vertrauen ist einerseits hohe charakterliche Integrität der Polizisten und andererseits eine professionelle, disziplinierte unvoreingenommene und unbestechliche Arbeit, die im Einzelfall auch Menschlichkeit und Verständnis für den Betroffenen aufbringt und auch einmal ein Auge zudrücken kann. Entscheidend für den Polizisten ist das Motiv: Schutz der Bürger und Gewährleistung der Sicherheit. Nur mit diesem Motiv ist gewährleistet, dass die Polizei zuweilen hart auftreten und durchgreifen muss. Weil dieses Durchgreifen notfalls gerade zum Schutz der Menschen notwendig ist, wird es auch respektiert. Auch wenn Amnesty International zuweilen anderes behauptet, zeigt die Überprüfung, dass dies in der Schweiz der Fall ist. 4. Nähe und Distanz zum Bürger Es wird also erwartet, dass die Polizei die Nähe zum Bürger pflegt und trotzdem die notwendige Distanz wahrt. Die Gratwanderung des Polizisten erfordert eine gute Ausbildung! Hier setzt auch die Weitergabe der Erfahrung an. Das Ziel der praktischen Ausbildung und Weiterbildung ist: Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch unter Kolleginnen und Kollegen. Genau diesem Zweck dient die interkantonale Polizeischule Hitzkirch (IPH), die wir heute hier eröffnen dürfen. 5. Polizeiausbildung in der föderalen Schweiz Die je nach Kanton unterschiedlichen Kenntnisse und Arbeitsweisen der verschiedenen Polizeiorgane wirken sich aber zusehends nachteilig aus, da die Kriminalität immer mehr die Kantonsgrenzen überschreiten und zudem Grossanlässe wie das WEF, Rockkonzerte, Sportveranstaltungen und nächstes Jahr die Fussball-Europameisterschaft, ja sogar die 1. August-Feier auf dem Rütli, zunehmend den koordinierten Einsatz interkantonaler Polizeikräfte verlangen. Dies macht eine breit abgestützte, gemeinsame Ausbildung nötig! Den entscheidenden Grundstein dazu legte die Berufsanerkennung der Polizisten, welche am 7. Mai 2003 verwirklicht wurde. Ebenso das Bildungspolitische Gesamtkonzept für die Polizei und die Strafjustiz (BGK), das die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und –direktoren (KKJPD) anfangs 2002 in Auftrag gab. 6. Dank und Anerkennung Nachdem als erstes Zentrum - nämlich jenes des Polizeikonkordats der Ostschweiz - vor 11 Monaten in Amriswil den Betrieb aufgenommen hatte, können wir heute hier in Hitzkirch nun die Eröffnung des grössten regionalen Ausbildungszentrums feiern. Damit ist gewährleistet, dass von nun an jährlich rund 300 Aspirantinnen und Aspiranten aus 11 Kantonen das notwendige Rüstzeug mitbekommen werden. Der Bundesrat übersieht nicht, dass die Realisierung dieses Projekts eine grosse Aufgabe war, zumal sich die Schulleitung zum Ziel gesetzt hat, ein modernes, informatikgestütztes Lernen zu verwirklichen. Mein heutiger Besuch ist Anerkennung und Zeichen der Dankbarkeit der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegenüber allen, die an diesem Projekt mitgewirkt haben. Möge Ihr Enthusiasmus und Ihr Engagement auch in Zukunft andauern. Ich wünsche der Schulleitung und den Aspiranten für diesen wichtigen Schritt in die Zukunft viel Erfolg!

31.08.2007

Die Last ist Teil des Lebensinhaltes

Wie kaum ein Zweiter vertritt Christoph Blocher die traditionellen konservativen Werte der Schweiz - seit Anfang 2004 auch in der Regierung. Der Justizminister über Salärexzesse, seine Bilanz als Bundesrat und nächtliches Problemwälzen im Garten. 31.08.2007, Bilanz, Stefan Barmettler und Erik Nolmans Vergleicht man den Aktienkurs der Ems Chemie unter Ihrer Führung und unter jener Ihrer Tochter, drängt sich der Schluss auf: Tochter Magdalena ist die bessere Unternehmerin als Sie. Sogar viel besser (lacht). Wie das? Ernsthaft: Sie übernahm den Konzern 2004, am Ende einer Rezession, seither stehen die Zeichen auf Hochkonjunktur. Spasseshalber sagte ich den Kindern stets: „Leider beginnt Ihr nicht in einer schweren Rezession. Dann würdet Ihr man am meisten lernen.“ Ich freue mich: EMS treibt hochtemperaturbeständige Kunststoffe - Resultate aus 15jähriger Forschungstätigkeit - in den Märkten voran. Aber kein Zweifel: Meine Tochter Magdalena macht es sehr gut. Sie ist auch besser ausgebildet als ich. Ihre Tochter verdient als Ems-Chefin 1,2 Millionen Franken, Sie bezogen als Chef bloss 370 000 Franken. Weshalb dieser Lohnunterschied? Für jemanden, der faktisch Eigentümer ist, spielt das Salär eine untergeordnete Rolle. Man ist ja Eigentümer des Firmengewinns – und des -verlustes! Es gab übrigens damals Ems-Kadermitglieder, die ein höheres Jahressalär hatten als ich. Das Salär meiner Tochter ist wohl auch eine Folge der Transparenz, sind doch die Bezüge der leitenden Mitarbeiter und das höchste Salär auszuweisen. Niemand würde verstehen, wenn der CEO ein kleineres Salär bezöge als die Mitarbeiter. Sie greifen jetzt als Justizminister mit der Revision des Obligationenrechts in die Lohndiskussion ein und verlangen Offenlegung der VR-Honorare. Ich habe den Auftrag, ein neues Aktienrecht aufzulegen. Die Mängel des heutigen Rechts sind offensichtlich: Es ist nicht mehr zeitgemäss, zu wenig flexibel, zudem fehlen wichtige Aspekte der Corporate Governance. Zur Offenlegung der VR-Löhne braucht es keine staatlichen Vorschriften, die Entlöhnung der Topleute können Firmen und Aktionäre selber regeln. Darum wehre ich mich dagegen, dass der Staat die Entlöhnung festlegt. Aber der Staat hat zum Schutz des Privateigentums die Aufgabe, die Prozesse zu garantieren. Eine der höchsten Staatsaufgaben ist, die Grundrechte zu wahren. Dazu gehört die Eigentumsgarantie. Namentlich in grossen Firmen, wo die Eigentümer pulverisiert, nicht fassbar sind und die Transparenz fehlt, legen die Verwaltungsräte ihr Honorar selber fest - ohne Kontrolle der Eigentümer. Bei breit gestreutem Kapital ist es ähnlich wie im Kommunismus: das Eigentum gehört allen, aber niemandem wirklich. Daraus bildete sich die Nomenklatura heraus, die sich auf Kosten der anderen bediente. Das gilt es zu verhindern. Geschützt werden müssen auch Minderheitsaktionäre in nicht kotierten Unternehmen. Diese können häufig ihre Beteiligungen nicht veräussern, weil es keinen Markt für sie gibt. Dennoch bescheren Sie uns neue Vorschriften. Wir zitieren Bundesrat Blocher: "Wir müssen endlich aufhören mit dieser Flut von neuen Gesetzen." Wir schaffen kein neues Gesetz, sondern revidieren das bisherige Aktienrecht. Der jetzige Entwurf stellt sicher, dass die Rechte der Eigentümer angemessen geschützt werden. Dieser Aktivismus ist doch reiner Populismus. Bereits heute wird die Gesamtentschädigungssumme der VRs in börsenkotierten Firmen ausgewiesen. Und damit nur bei einem kleinen Teil der Schweizer Firmen. Sie verschweigen die Missstände. Ich erinnere an ABB: Barneviks Millionenentschädigungen wurden nie öffentlich ausgewiesen. Was sind Entschädigungen? Seit diesem Jahr sind kotierte Gesellschaften gesetzlich verpflichtet, sämtliche Entschädigungen, auch Gewinnbeteiligungen, Sonderboni oder Leistungen an Pensionskassen transparent zu machen. Die Veröffentlichung der Saläre wird tendenziell zwar eher zu steigenden Salären führen, aber die grossen Fälle von Selbstbedienung und Missbrauch – vor allem bei Versagen des Managements – werden unmöglich. Haben Sie etwas gegen hohe Managersaläre? Nein. Bei entsprechend guter Leistung ist dagegen nichts einzuwenden. Weil ich weiss: Es gibt keine schlechten Untergebenen, nur schlechte Chefs. Nehmen Sie denn Fall der Credit Suisse: Als man nicht mehr weiter wusste, holte man Oswald Grübel, der sich schon verabschiedet hatte. Ob er, wenn er die Firma nach einer so misslichen Situation wieder in Schwung bringt, 20, 30 oder mehr Millionen erhält, ist nebensächlich. Aber dass einer im grossen Stil kassiert, wenn die Firma schlecht geführt wird oder gar am Abgrund steht, das versteht niemand. Sie wollen auch, dass sich der VR jedes Jahr der Wiederwahl durch die Aktionäre stellt - auch das eine unnötige Regelung. Das ist die vorgeschlagene Lösung im Hinblick auf die Stärkung der Generalversammlung, namentlich im Hinblick auf die Salärierung. VR-Mitglieder oder Topmanager sind Angestellte einer Firma, Leute mit einem Mandat. Und bei einem Mandat und einer Anstellung zählen Leistung und Salär. Sie stehen in einem Zusammenhang. Warum soll dies bei Top-Managern nicht gelten? Ein Aktionär kann seine Aktien verkaufen, wenn er der Firmenleitung misstraut. Ein schrecklicher Einwand. Was würden Sie sagen, wenn man morgen in Ihrem Garten eine Trafostation bauen würde - notabene ohne Entschädigung? Und wenn Sie dann wegen Missachtung Ihres Eigentums reklamierten, hiesse es: Dann verkauf doch einfach das Grundstück! Nein, so kann man mit Privateigentum nicht umspringen. Ausserdem stimmt dies nicht im Hinblick auf nichtkotierte Unternehmen. Die Aktionäre können hier in der Regel ihre Beteiligungen nicht einfach verkaufen, weil es keinen Markt dafür gibt. Früher waren Sie mit Financier Martin Ebner ein innovatives Gespann. Sie lancierten Finanzprodukte, forderten kleine Verwaltungsräte, pochten auf Leistungslöhne. Bei der Pharma Vision bezogen Sie als VR ein Honorar von zwei Millionen Franken - damit haben Sie die Riesensaläre hierzulande erst salonfähig gemacht. Die VR-Entschädigungen wurden in diesem Fall an die Performance, also an die Leistung, gekoppelt. Das System wurde von der Generalversammlung einstimmig genehmigt. Jeder Investor, der das Geld bei der Pharma Vision anlegte, kannte dieses Entschädigungssystem. Am Anfang bei der guten Performance waren die Bezüge des VR tatsächlich sehr hoch, später gab es wegen fehlender Performance jahrelang kein Honorar mehr. Das ist richtig so. Ihre hoch bezahlte VR-Leistung war bescheiden, im Portfolio der Pharma Vision lagen fast nur Roche-Papiere. Wenn das so einfach war, weshalb haben Sie dann nicht in Roche-Aktien investiert? Unsere Leistung bestand darin, damals den Mut zu haben, uns auf Roche zu konzentrieren und nicht auf 100 verschiedene Titel. Unser Erfolgsrezept lautete: Eine Auswahl treffen, Konzentration auf das Beste. Es kommt auf die Leistung an, nicht auf den damit verbundenen Aufwand. Ihr Verhältnis zur grössten Schweizer Bank UBS war Zyklen unterworfen: Bei der Übernahme der Ems griff Ihnen die SBG mit einem Millionenkredit unter die Arme, später wurden Sie aus dem VR geworfen. Wo stehen wir heute? Die Bankgesellschaft hat mich einst in den VR geholt, weil man einen Unternehmer suchte. Ich hielt damals in einem Brief zwei Punkte fest: Erstens ist die Ems frei im Gestalten ihrer Geschäftsbeziehungen, zweitens lasse ich mir keine politische Instruktionen geben. Der damalige VR-Präsident Robert Holzach antwortete mir, dass diese zwei Bedinungen selbstverständlich gälten. Vor der EWR-Abstimmung gab es Widerstand im VR. Man verlangte von mir ein Bekenntnis zum EU-Beitritt, was ich ablehnte. Darum wurde ich rausgeworfen. Im Übrigen war ein EWR-Nein im ureigenen Interesse der Bank, was die Banker leider erst heute einsehen. Und wie ist das Verhältnis heute? Ach, ich habe diese doch eher humorvolle Episode längst abgebucht. Auch mit der späteren UBS hatte ich nie ein schlechtes Verhältnis. Unterdessen wissen alle: Ein unabhängiger Finanzplatz verdient mehr Vertrauen als einer in der EU. Unterdessen bitten mich Bank- und Wirtschaftsvertreter, doch ja dafür zu sorgen, dass die Schweiz nicht der EU beitritt. Könnten Sie einem Unternehmer raten, in den Bundesrat einzutreten? Wenn er auf Prestige oder hohen Verdienst aus ist, rate ich dringend ab. Wenn er bereit ist, in der Regierung unternehmerische Grundsätze einzubringen, sich für die Schweiz einzusetzen und all die Anfeindungen in Kauf zu nehmen, dann rate ich ihm dies sehr. 1989 sagten Sie zur BILANZ: "Ich bin lieber in Ems der erste als in Bern einer von sieben." Das gilt heute nicht mehr? Doch. Ich ging nicht in den Bundesrat, um mich zu amüsieren, sondern um etwas zu bewegen. Das ging im Unternehmen EMS einfacher als im Bundesrat. Ist alles nur Last? Nein! Nehmen wir ein extremes Beispiel: In den Krieg zu ziehen, ist eine schwere Last. Bei mir würde es eine Riesenangst auslösen, aber wenn die Pflicht ruft, gibt man dem Ross die Sporen und zieht freudig los. So ist es auch im Bundesrat. Tönt nicht sehr begeistert. Als Unternehmer kann man leichter führen, hat mehr Handlungsfreiheit, kürzere Entscheidungswege. Im Bundesrat bestimmen Sieben, mit ganz verschiedenen Auffassungen. Oft ist man allein gegen Sechs, dann aber auch wieder erfolgreich. Wir haben nach Ihrer Bundesrats-Wahl die bürgerliche Revolution erwartet. Eine Revolution in der Schweiz - das ist zum Glück Unsinn. Was ist Anfang 2004 passiert? Von sieben Bundesräten blieben fünf im Amt, zwei neue kamen hinzu - Hans-Rudolf Merz und ich. Insgesamt also nur eine kleine Verschiebung. Immerhin nehme ich in Anspruch, dass der Bundesrat in den letzten vier Jahren weniger Dummheiten begangen als früher. Es gab keinen Fall Swissair, keine Geldverschleuderung namens Expo, auch der Eircom-Kauf durch die Swisscom wurde im letzten Moment gestoppt. Damit verhinderte der Bundesrat einen zweiten Fall Swissair! Wenn man Sie an Ihren eigenen Zielen misst - Senkung der Staatsquote, Senkung der Steuerbelastung, Abbau der Bürokratie -, muss man konstatieren: Aufgabe nicht erfüllt. Ich kann mich nur an Zielen messen, die ich allein erreichen kann. Tatsächlich nahm sich der Bundesrat vor, die Ausgaben um 20 Prozent zu senken, daraus ist nichts geworden. Weil der politische Wille fehlt. 2006 kamen 5596 neue Gesetzesseiten dazu. Wer stoppt diesen Wahnsinn? Ich gebe Ihnen Recht, nach wie vor wird reguliert statt dereguliert. Der Drang zur Regulierung ist enorm, von allen Seiten, vor allem vom Parlament. Immerhin sitzen im Bundesrat vier Bürgerliche: zwei von der FDP, der Wirtschaftspartei, zwei von der SVP, die stets von Steuersenkungen redet. Haben Sie zuwenig Durchsetzungsvermögen? Ich kann wegen dem Kollegialitätsprinzip nicht aus der Schule plaudern, aber die Parteifarben werden überschätzt. Im Bundesrat liegen die Mehrheiten oft ganz anders. Abstrakt wird jeder sagen: Klar bin ich für einen Bürokratie-Abbau. Aber im Einzelfall wird es unangenehm. Die Reduktion der Kosten von 20 Prozent ist möglich, aber wo kein Wille, da kein Weg. In meinem Departement haben wir die Kosten um 22 Prozent gesenkt, ohne soziale Härte, ohne Leistungsabbau. Müssen Sie sich bei diesem mageren Gesamtergebnis nicht fragen, ob Sie in der Opposition nicht effizienter wären? Ich ziehe jedes Jahr Bilanz. Heute glaube ich im Bundesrat mehr zu erreichen als in der Opposition. Und ich habe bislang mehr erreicht, als ich anfänglich dachte. So gelang es, bei gesellschaftlichen Problemen mehr Transparenz herzustellen. Heute redet man offen über Sozial- oder über Asylmissbrauch. Das Aufdecken von Problemen ist der schwierige Anfang. Ich denke auch an die Ausländer- und Jugendkriminalität. Und wenn sogar die Sozialdemokraten aufs Rütli wollen, zeigt das doch, dass sich etwas in diesem Land bewegt. Die Steuerbelastung steigt weiter. Immerhin hat dieser Bundesrat in dieser Legislatur keine Steuererhöhungen beschlossen. Zudem konstatiere ich einen leisen Mentalitätswandel. Haben Sie Beispiele? Etwa im Verhältnis zur EU. Der Bundesrat hat das Ziel eines Beitritts aufgegeben, das ist auch ein Signal an die Verwaltung. Dann haben wir beschlossen, keine Verträge mehr abzuschliessen, die unseren Handlungsspielraum einengen. Das ist eine Abkehr von der EU-Euphorie der Neunziger Jahre. Entscheidend für die Wirtschaft. Wie viele der 36 000 Bundesbeamten haben das neue Denken internalisiert? Noch nicht viele, das dauert ziemlich lange. Für gewisse Chefbeamte und Politiker ist der EU-Beitritt immer noch verlockend. Um wie viel kann man den Staatshaushalt ohne Leistungseinbusse straffen? Als ich noch in der Opposition war, schätzte ich den Anteil auf 30 Prozent. Das kann ich als Bundesrat bekräftigen. Wenn wir zusätzlich Aufgaben streichen oder auslagern, sind es noch mehr - gegen 50 Prozent. Das System in Bern funktioniert so: Neue Aufgaben = mehr Leute + mehr Geld. Wenn Sie das Geld entziehen, gehen die Ausgaben zurück. Wenn Sie mehr Geld geben, gilt das Gegenteil. Wann schafft dieser Bundesrat die Trendwende? Am Anfang gab es Ansätze, jetzt unterliegen wir dem Fluch der grossen Steuereinnahmen, womit jeder Reformansatz erlahmt. Nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe guter Tage... Welche Aktivitäten sind überflüssig? Das ist die falsche Frage. Man muss zuerst die Steuereinnahmen reduzieren, dann muss man sich fragen: Was machen wir mit dieser Summe? Dann werden die Aufgaben - wie in der Wirtschaft - priorisiert. Aber eben, wenn die Steuern sprudeln, gibt es keinen Sparwillen. Das gilt auch für die Landwirtschaft, wo jeder Bauernhof mit 60 000 Franken subventioniert wird. Wie gross ist hier das Sparpotential? Wieviele Bauernbetriebe braucht es? 20 000? Wieder eine falsche Fragestellung. Wer Land besitzt, dem müssen wir die minimale Bewirtschaftung ermöglichen, sonst wird er das Land nicht bestellen. Den Rest soll der Markt entscheiden. Aber das ist eben nicht politischer Konsens. Und weshalb passiert hier nichts? Wir leben zum Glück in einer Demokratie, da gibt es keine Diktatoren, da hat jeder seine Vorstellungen und Wünsche. Dass die Landwirtschaft nicht der Marktwirtschaft unterstellt wird, widerspricht übrigens nicht meinen Grundsätzen. Es gibt in einem Staat gewisse Aufgaben, die man nicht der freien Marktwirtschaft aussetzen kann. Dazu gehört die Bewirtschaftung des Landes. Wer darauf verzichten will, kann die Landwirtschaft sterben lassen! Täuscht der Eindruck, dass Christoph Blocher dann am stärksten, wenn von links auf ihn eingeprügelt wird? Ich bin kein Masochist, wenn Sie das meinen. Aber die Auseinandersetzung bietet die Möglichkeit, Leute mit einer Frage zu konfrontieren. Und wo ich Mängel oder Handlungsbedarf sehe, trete ich an. Führen heisst nicht nur nett sein, sondern Vorbild sein, nach Lösungen suchen. Und ich gebe gerne zu: Manchmal muss ich mich aufraffen, manchmal tut es mir sogar leid, wenn ich die Arbeit der vereinigten Verwaltungsräte und Topmanager, die eigentlich auf meiner Seite stehen, regeln muss. Aber ich mache diese Gesetzesrevision nicht, weil ich diese Leute hasse. Es ist doch nur menschlich: Wenn eine Kasse offen herumliegt, nimmt einer erfahrungsgemäss relativ viel raus - mir ginge es doch nicht anders (lacht). Sie sind seit vier Jahren im Justizdepartement, das als eher unbedeutend gilt. Das haben alle gesagt, ja. Mir wirft man jetzt aber plötzlich vor, ich würde das Schlüsseldepartement leiten. Wohin treiben Sie Ihre Ambitionen noch? Ins Reich von Infrastrukturminister Leuenberger? Ich kann mir alles vorstellen: das Finanzministerium oder auch das schwierigste Departement, das Sozialdepartement von Pascal Couchepin. Man könnte sich verbeissen und bei AHV und IV nach Lösungen suchen. Von meinem Alter her wäre das perfekt, denn nach dieser Herkules-Aufgabe wäre man ja wohl ausgebrannt! Keine dritte Karriere in der Privatwirtschaft, zum Beispiel als Chef einer Private-Equity-Gesellschaft? Davon verstünde ich zuwenig. Hätte ich die Wahl, würde ich einen Industriebetrieb kaufen. Im Herzen bin ich ein Industrieller, kein Financier. Im Buch "Das Blocher-Prinzip" lesen wir: "Die Last ertragen ist ein Lebensprinzip". Oder: "Ich bin nie zufrieden mit meiner Leistung". Das tönt nicht grad nach einem Bundesrat, der eine Unternehmerkarriere hinter sich hat, sondern nach dem Leiden des Moritz Leuenberger. Ich glaube nicht, dass Moritz Leuenberger mit seiner Leistung unzufrieden ist. Vielleicht ist es eine Déformation professionnelle, dass man immer – auch im Erfolg – sieht, was man hätte besser machen können. Ich kenne keinen tüchtigen Unternehmer, der nicht diese Haltung hat. Wer diesen Drang nicht spürt, wird als Unternehmer scheitern. Als Unternehmer litten Sie an Schlafstörungen, nachts standen Sie im Garten und wälzten Probleme. Und heute? Tue ich das immer noch, allerdings geniesse ich dabei auch die Ruhe. Die Last ist auch Teil des Lebensinhaltes. Wie hält sich ein 67jähriger fit? Seit 40 Jahren täglich mit Sport. Ich laufe frühmorgens entweder 6,5 Kilometer, oder ich schwimme. Was war heute das Programm? Ab 5 Uhr 30 schwamm ich 500 Meter. Man hört, Sie hätten sich in jüngster Zeit mit Ihrem Handy angefreundet und würden sogar SMS verschicken. Stimmt. Das Senden von SMS ist mein grosser Technologieschritt. Heute sind es pro Tag vier bis fünf Stück. Meine Sekretärin sendet mir jeweils ein SMS, wenn ich zurückrufen soll. Oder wenn sie mir einen Fax zuschickt. Mit E-Mails will ich mich nicht mehr anfreunden. Wenn ich sehe, welcher Wortschwall sich in diesen Mails aufbaut, ist für mich klar: viel Zeitverschwendung.

27.08.2007

Hat der Wirtschaftsstandort Schweiz eine Chance?

Reconvilier. An der SVP-Informationsveranstaltung in Reconvilier sprach Bundesrat Christoph Blocher über wirtschaftliche „Randregionen“ in der Schweiz und deren Überlebenschancen. Gift seien die neusten Forderungen der Linken wie zum Beispiel die 35-Stunden-Woche, Ausbau des Kündigungsschutzes, Vaterschaftsurlaub sowie Frühpensionierungen auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Es sei die bürgerliche Mentalität, die unser Land nach vorne bringe. 27.08.2007, Reconvilier Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Meine Damen und Herren I. Reconvilier als Ausgangspunkt Sie haben mich eingeladen, hier in Reconvilier zum Wirtschaftsstandort Schweiz zu sprechen. Diese Frage ist wichtig. Und da wir uns in Reconvilier befinden, auch ein besonders bedeutungsvolles Thema, denn der Arbeitskampf um die Swissmetal rückte Ihre Gegend ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Reconvilier ist darum aus verschiedener Sicht für unser Thema interessant: 1. Reconvilier ist in einer Region etwas abseits der eigentlichen Wirtschaftsregionen beheimatet. Man sagt dem „Randregionen“. Hier stellt sich die Frage: Haben Randregionen überhaupt eine wirtschaftliche Überlebenschance? 2. Swissmetal ist ein produzierender Betrieb. Hat der Produktionsstandort Schweiz noch eine Zukunft? II. Chancen von „Randregionen“ Kommen wir zur ersten Frage: Haben Randregionen überhaupt eine wirtschaftliche Überlebenschance. Ich weiss nicht, wer das Wort „Randregion“ erfunden hat. Es ist doch eine Frage der Warte: Für die Menschen in Reconvilier ist ihr Dorf, ihre Region das Zentrum und Zürich beispielsweise ein Randgebiet. Von Zürich aus gesehen ist Reconvilier und der Jura ein Randgebiet. Und für nicht wenige Länder ist die Schweiz als ganzes eine Randzone. Als früherer Unternehmer habe ich selber in einer so genannten „Randregion“ produziert. In Domat/Ems im Kanton Graubünden. Als ich Anfang der 80er Jahre die EMS Chemie in einer äusserst schwierigen Situation übernommen habe, hielten mich viele für einen bedauernswerten Phantasten. Unter anderem auch deswegen, weil die Skeptiker den Standort meines Unternehmens, das zu über 90 Prozent für den Weltmarkt arbeitet, für im wahrsten Sinne des Wortes „abwegig“ hielten. Doch die EMS Chemie ist die grösste Arbeitgeberin im Kanton Graubünden, steigert jährlich ihren Umsatz und erwirtschaftet gute Gewinne. So schlecht kann dieser Standort „Randregion“ also nicht sein! Ich habe übrigens die Lage nie als Nachteil empfunden. Denn wer nur die Nachteile sieht, erntet auch nur Nachteile. In den ländlichen Gebieten schätzt man vor allem die Fähigkeiten der Arbeitnehmer: Ihren Fleiss, ihr Qualitätsbewusstsein, ihre handwerkliche Begabung. Das war für uns in Domat/Ems genauso. Wir wissen auch um das Selbstbewusstsein der Arbeiter in Reconvilier. In der Regel sind kleinere und mittlere Unternehmen in den ländlicheren Gebieten beheimatet. Aber genau diese erweisen sich als äusserst innovativ durch ihre Flexibilität. Wenn also das Umfeld stimmt, dann können sich die Unternehmen auf das konzentrieren, was sie sollen: arbeiten, innovativ sein, Erfolg haben. Das bedingt, dass sie Produkte erzeugen, wo hohe Qualität, Spezialität bei angemessenen Preisen produziert wirf. III. Hat der Produktionsstandort Schweiz eine Zukunft? Das, was ich für Reconvilier gesagt habe gilt auch für die Schweiz. Die Schweiz als Produktionsstandort hat eine Zukunft. Das sehen Sie doch täglich: Es wird produziert. Gerade der Jura ist bekannt für seine hochpräzise Verarbeitung in der Uhrenindustrie. Die schweizerischen Pharmaunternehmen sind weltweit führend. Medizinalbranche, Biotechnologie, und Maschinenbau – es gibt eine Reihe von Gebieten, wo die Schweiz erfolgreich produziert. Alles, was wir in der Schweiz anders und besser machen als das Ausland, hat eine Chance. Das kann bessere Qualität, eine Besonderheit, ein billigeres Produkt sein. Keine Chance hat die Schweiz mit Produkten, die jeder herstellen kann, die zum Beispiel andernorts billiger hergestellt werden können. Aber Sie werden fragen, wie sieht es aus mit der Metallindustrie? Es ist klar, dass die Schweiz in arbeitsintensiven, einfachen, sich wiederholenden Fertigungsprozessen nicht mit einem Land wie China konkurrenzieren kann. Wenn jemand das Gleiche viel schneller und viel billiger produzieren kann, dann müssen Sie entweder schneller und billiger werden als der Konkurrent oder Sie machen etwas, was der Konkurrent nicht kann. Und wie steht es nun mit der Metallindustrie in der Schweiz? Ich weiss, dass es erfolgreiche Firmen in diesem Bereich gibt. Es gibt aber auch erfolglose. Nur gibt es die Erfolglosen nicht mehr lange, denn sie werden Bankrott gehen, sie werden aufhören müssen, sie werden untergehen. Die Metallindustrie hat Chancen, wenn sie mit ihrer Stärke im Betrieb ein Produkt machen kann, das der Konkurrent nicht besser und nicht billiger machen kann. Dazu muss ein Unternehmen seine Stärken erkennen und dann alle Mittel und Kräfte in diese Stärken legen. Das schliesst auch die Möglichkeit ein, radikale Änderungen durchzuführen. Sehen Sie sich die Entwicklung der Schweiz an. Vor zweihundert Jahren war unser Land noch ein Entwicklungsland: Ein Niedriglohnland, Textilproduzent, ein armes Land. Heute ist die Schweiz eines der reichsten Länder mit modernen Produkten und Dienstleistungen für die ganze Welt. Der Produktionsstandort Schweiz lebt. Was kann die Politik tun, dass er weiter lebt? Für möglichst ideale Rahmenbedingungen sorgen. Konkret heisst das: möglichst viel Freiraum. Es mag paradox klingen, aber die beste Förderung der Wirtschaft ist, sie nicht zu behindern. Man muss die Unternehmen schützen vor einem nimmersatten Fiskus. Man muss die Unternehmen schützen vor den Anmassungen der Bürokratie. Man muss die Unternehmen aber auch schützen, indem man die Gewerkschaften nicht unnötig politisch stärkt. Ich habe den Arbeitskampf in Reconvilier eingangs angesprochen. Eine unserer Stärken ist ein flexibler Arbeitsmarkt und die Bereitschaft mehr zu arbeiten als die anderen. Mit allen Überstunden gerechnet arbeiten die Schweizer am längsten in Europa. Das ist eine Auszeichnung und zeigt die Leistungsbereitschaft der Schweizer Bevölkerung. Diese überdurchschnittliche Arbeitsleistung rechtfertigt auch die überdurchschnittlichen Löhne. Die Qualität der Arbeit gilt im internationalen Vergleich als hoch. Gift sind die neuesten Forderungen von links, wie * Ausbau des Kündigungsschutzes * Mindestlohn * 35-Stunden-Woche * Frühpensionierungen auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung * gewerkschaftliche Mitbestimmung bei den Unternehmen * „kostenlose“ Kinderbetreuung * Vaterschaftsurlaub * 13. AHV-Rente * usw. Sie wissen ja im Jura, wie sehr Ihr Nachbar Frankreich unter solchen Errungenschaften leidet und wie schwierig es ist, einmal installierte Ansprüche (auch wenn sie nicht finanzierbar sind) wieder abzubauen. IV. Wie sieht eine erfolgreiche Schweiz aus? Es ist die bürgerliche Schweiz, die unser Land erfolgreich werden liess. Es ist die bürgerliche Mentalität, die unser Land nach vorne brachte. Es ist die bürgerliche Substanz, von der unser Land noch heute zehrt. Was meine ich mit „bürgerlicher Mentalität“? * Tüchtigkeit, * der Wille zu Qualität, Präzision und Wettbewerbsfähigkeit, * Fleiss, * Unternehmertum und Eigenverantwortung, immer wieder Eigenverantwortung. V. Was ist zu tun? Wir haben eine Politik zu machen, die massgeschneidert ist für einen neutralen, föderalistischen Kleinstaat mit einer stark exportorientierten Wirtschaft. Vor allem aber müssen wir wieder jene bürgerlichen Tugenden in den Vordergrund rücken, die uns Wohlstand und Erfolg brachten: Fleiss, Tüchtigkeit, Leistung und Eigenverantwortung, immer wieder Eigenverantwortung. Das ist ein mühsamer, aber letztlich lohnender Weg. Es ist der Weg der SVP!

27.08.2007

Der Schweizer Föderalismus unter Effizienzdruck: was sind die Perspektiven?

Bern. An der Pressekonferenz zur 2. Nationalen Föderalismuskonferenz sprach Bundesrat Christoph Blocher über die Globalisierung und deren Folgen. Die Erfahrung zeige, dass gerade in einer unübersichtlich gewordenen Welt übersichtliche Organisationen mit klar zugewiesenen Verantwortungsbereichen effizienter seien. Dies gelte sowohl für die Wirtschaft, als auch für die Politik. 27.08.2007, Bern Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Meine Damen und Herren Ich freue mich, Ihnen zusammen mit Herrn Ständerat Christoffel Brändli, Herrn Regierungsrat Kurt Wernli und Herrn Staatsschreiber Peter Grünenfelder die 2. Nationale Föderalismuskonferenz vorzustellen. Sie findet vom 27. – 28. März 2008 in Baden statt. Föderalismus und Globalisierung? Je stärker die Globalisierung voran schreitet, je mobiler Menschen und Unternehmen sind und je komplexer die Probleme werden, desto mehr glaubt man die Lösung auf hoher Ebene in zentralistischen und fusionierten Strukturen lösen zu müssen. Dieser Trend ist unverkennbar. Ist dies aber auch richtig? Wer Anhänger der Devise ist, "je grösser, desto effizienter", wird in der schweizerischen Kleinräumigkeit – 26 Kantone, 2721 Gemeinden – nur noch Nachteile sehen. Er wird die Gemeinde- und Kantonsgrenzen als Hindernisse in einer zunehmend globaleren Wirtschaft und Gesellschaft betrachten. Damit ist das Thema der Föderalismuskonferenz gegeben: Ist unser kleinräumiger Föderalismus dem Effizienzdruck gewachsen? Hat er, so wie er ist, noch Zukunftschancen? Liegt die Zukunft nur noch in Zentralisierungen und in grossräumigen Fusionen? Ich verheimliche Ihnen nicht, dass ich den Weg „je grösser desto effizienter“ nicht teile. Die Zentralisierungstendenzen betrachte ich eher als Ausdruck klein karierten Denkens und als allzu technokratisch. In der Wirtschaft sind die Fusionen und Zusammenlegungen oft Bilanzkosmetik und Grössendenken. Sie haben nicht einmal die buchhalterischen Kostenvorteile gebracht, nicht zuletzt, weil man dadurch gewachsene und effiziente Strukturen zerstörte. Das gilt noch mehr für die Politik. Die Erfahrung zeigt, dass gerade weil die Welt unübersichtlicher geworden ist, in der Wirtschaft und in der Politik autonome, übersichtliche Organisationen mit klar zugewiesenen Verantwortungsbereichen effizienter sind. Föderalismus erzeugt Wettbewerb Und ich bin überzeugt, dass der Föderalismus, der um die beste Lösung wetteifern muss, effizient ist. Aber der Wettbewerb unter den Kantonen wird allzu häufig nur in Bezug auf die Steuern wahrgenommen und von den Steuerzahlern auch geschätzt. Der Steuerwettbewerb ist indessen nur ein Aspekt. Letztlich geht es um einen umfassenden Ideen-Wettbewerb, um einen Wettbewerb der Systeme! Ein solcher Wettbewerb ist neben dem Steuerwettbewerb zum Beispiel auch für politische Rechte, Schulsysteme, Polizeisysteme, , Infrastruktur, Ausbildungsmöglichkeiten, Behördenorganisationen, Familienpolitik, Wirtschaftsbedingungen zu begrüssen. Das vielfältige Suchen nach dem für die Bürger „Beste Lösung“ erscheint vielen als unnötiger Verschleiss. Es ist jedoch ein äusserst wertvoller Mechanismus, um die Spreu vom Weizen zu trennen und stets das Bessere anzustreben. Föderalismuskonferenz 2008 Darum stellen sich folgende Fragen: * Ist es zweckmässig, wenn die Kantone harmonisieren und alle das gleiche tun? Ist dies nicht das Ende des Föderalismus? * Ist es nicht ein Widerspruch, wenn Bund oder Kantone in einzelnen Fragen den Wettbewerb ausschalten – wie etwa bei der materiellen Steuerharmonisierung? * Wie ist sicherzustellen, dass Wettbewerb, Effizienz und Grössendenken in Einklang gebracht werden können? In verschiedenen Einzelbeiträgen und in 8 Ateliers diskutieren Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diese Fragen und debattieren darüber, was der Föderalismus zu einer effizienten Schweiz beiträgt – oder eben nicht. Die Nationale Föderalismuskonferenz 2008 in Baden findet zweieinhalb Jahre nach der Nationalen Föderalismuskonferenz 2005 in Freiburg statt. Letztere hatte den "kooperativen Föderalismus" und die institutionelle Zusammenarbeit zum Thema. Weil die Veranstaltung auf grosses Interesse stiess und der Föderalismus ein – auch international sehr beachteter – Grundpfeiler unseres Staates ist, haben der Bund und die Kantone beschlossen, eine zweite Konferenz durchzuführen. Der Kanton Aargau hat sich in verdankenswerter Weise bereit erklärt, die Organisation zu übernehmen; er wird dabei unterstützt durch ein Leitorgan.