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13.05.2001
12.05.2001
«Ist unsere Armee nur für den Krieg da?»
Streitgespräch mit Nationalrat Gerold Bührer im "Landboten" vom 12. Mai 2001 Christoph Blocher wünscht sich beim Militärgesetz ein Stoppsignal des Volkes, damit unsere Armee nicht für Kriegseinsätze im Ausland eingesetzt werden kann. Für den neuen FDP-Chef Gerold Bührer ist neben der Verteidigung auch "Sicherheit durch Kooperation" ein Pfeiler unserer Sicherheitspolitik. Interview: Andreas Widmer (Redaktion) und Walter Bührer Was steht am 10. Juni auf dem Spiel? Christoph Blocher: Die beiden Vorlagen sollen die Rechtsgrundlage für die Armee XXI werden, damit man die Schweizer Armee für Kriegseinsätze in Europa vorbereiten kann. Unsere Armee ist aber da zum Schutz von Land, Volk und Freiheit. Unser Bundesrat und unsere Generäle müssen durch zwei-mal Nein gezwungen werden, sich streng an die Schweiz zu halten und keine Kriegsspiele im Ausland zu betreiben. Gerold Bührer: Es geht darum, dass wir bei Militäreinsätzen im Ausland, die jetzt schon zulässig sind, eine Bewaffnung zum Selbstschutz auf Verbandsebene einführen können - bei Einzelpersonen war das auch schon bisher gesetzlich möglich. Auch bei der Ausbildungszusammenarbeit steht nichts grundlegend Neues zur Debatte: Dort geht es um eine Vereinfachung der Verfahren. Ist es Schweizer Soldaten im Ausland nicht zuzubilligen, sich im Notfall wie alle andern mit der persönlichen Waffe zu wehren? Blocher: Diejenigen, die heute in Kosovo sind, haben schon einen Bestand an persönlichen Waffen. Die Frage ist, ob wir Kampfverbände in Gebiete schicken sollen, wo Krieg herrscht. Wir haben über-haupt keine Soldaten - ob bewaffnet oder unbewaffnet - in ausländische Konfliktgebiete zu schicken! Wer schiesst, wird immer Partei. Entweder führt man den Kampf oder man macht humanitäre Hilfe; es gibt keinen fliessenden Übergang "Selbstschutz". Soldaten im Ausland gefährden neutrale humanitäre Hilfe. Bührer: Mit Kampfverbänden hat das ganz und gar nichts zu tun - sonst wäre ich auf der Seite von Herrn Blocher. Es geht um Friedenserhaltung und Stabilität. Friedenserzwingende Einsätze sind aus-drücklich ausgeschlossen. Die Truppen, welche wir jetzt in Kosovo haben, sind im rückwärtigen Raum als Zubringer für Treibstoff, für den Brückenbau usw. eingesetzt, für Pionierarbeiten. Herr Bührer, könnte die Schweiz mit nicht militärischen Mitteln für das gleiche Geld nicht mehr ausrichten? Bührer: Das ist falsch gefragt - es braucht beides. Nehmen wir die Balkan-Krise. Dank dem Einsatz militärischer Kräfte konnte dort eine Stabilisierung erreicht werden. Erst sie erlaubte dann die Entfal-tung der zivilen Unterstützung. 19 Nato- und 20 Nicht-Natoländer (darunter alle Neutralen) sorgen dort für eine gewisse Ordnung. Damit haben sie auch bewirkt, dass wir keine Asylantenströme in die Schweiz mehr haben. Sollen die anderen die militärischen Kastanien für uns aus dem Feuer holen? Blocher: Alle Staaten setzen sich für ihre Interessen ein - für nichts anderes. Ich kritisiere das nicht, das ist auch ihre Aufgabe. Die Kriegsflüchtlinge in Kosovo, die in unser Land strömten, sind durch ein sinnloses Bombardement in unser Land getrieben worden. Man hat nicht einmal Flüchtlingslager an der Grenze in Mazedonien errichtet - das war damals mein Vorschlag für eine Aktion mit dem Katastrophenhilfe-Korps. Ein neutrales Land, wie wir es sind, kann humanitäre Hilfe leisten, die alle anderen nicht leisten können, weil sie Machtinteressen haben und immer Partei sind. Bührer: Herr Blocher hat ein kurzes Gedächtnis. Wir hatten den massiven Flüchtlingszustrom schon in der Bosnien-Krise, vor den Nato-Bombardements. Wenn die Staatengemeinschaft dort unten nicht für Ruhe gesorgt hätte, wäre unsere Belastung an der Asylfront noch viel grösser geworden. Im Absatz 1 des neuen Gesetzesartikels heisst es klipp und klar, dass nur Einsätze im Rahmen der geltenden Aussen- und Sicherheitspolitik zulässig sind. Auch die neue Bundesverfassung legt uns ausdrücklich auf die Neutralitätspolitik fest. Es ist falsch, immer wieder einen Gegensatz zur Neutralität herbeizure-den. Wir nehmen nur an Aktionen teil, die durch Uno- oder OSZE-Beschlüsse völkerrechtlich abgedeckt sind. Herr Blocher, sind für Sie junge Leute, welche sich zum Rest der Welt solidarisch verhalten und sich aktiv für den Frieden einsetzen möchten, idealistische Spinner? Was raten Sie ihnen? Blocher: Wie kommen Sie auf eine so blöde Frage? Wer sich für Frieden engagieren will, der kann vieles tun... Wir fragten Sie nach friedenserhaltenden Engagements. Was heisst das? Blocher: Überall redet man von Friedensarmeen, auch jetzt in der Abstimmungs-Propaganda. Es gibt aber keine einzige Friedensarmee auf der Welt - mit Ausnahme der Heilsarmee. Armeen werden für den Krieg ausgebildet! Wieso sollen wir als neutrales Land Soldaten in einen kriegerischen Einsatz schicken? Das gibt Probleme mit der Neutralität, ob freiwillig oder nicht. Auch freiwillige Söldner sind verboten. Das Motiv des Militärgeset-zes ist eine Öffnung der Armee, eine Internationalisierung unserer Armee; das führt zu Kriegsrisiken für unser Land und zur Abkehr von der Neutralität. Herr Bührer, geht es um Söldnerei auf einer neuen Basis? Bührer: Diese Unterstellung ist ungeheuerlich. Das hat mit Söldnertum hinten und vorne nichts zu tun! Wir haben zu Recht verboten, dass sich Schweizer Bürger in Konflikte zwischen Staaten einspannen lassen. Wir sollten aber vor unserer Haustür einen Beitrag mit völkerrechtlich abgedeckten Mandaten leisten, wie wir es schon bisher taten. Ist die Swisscoy in Kosovo Partei? Blocher: Sobald sie in eine bewaffnete Auseinandersetzung verwickelt wird, ja. Auch in Bürgerkriegen werden sie Partei. Auf dem Balkan sind wir heute für die Serben Partei, denn für sie ist Kosovo besetztes Gebiet. Wir müssten das Elend auf beiden Seiten bekämpfen können. Bührer: Herr Blocher kämpft beim Thema Kampf und bewaffnete Auseinandersetzungen gegen ein Phantom, das am 10. Juni nicht zur Diskussion steht. Dann geht es nur um den Selbstschutz. Wenn ein Schweizer Detachement ein Brennstofflager beschützt und irgendwelche Kriminelle den Most filzen wollen, soll es sich auch wehren können! Zur zweiten Vorlage: Herr Blocher, unsere Armee arbeitet bei der militärischen Ausbildung schon heu-te mit dem Ausland zusammen. Könnte ein Nein sie nicht hindern, weiter mitzuhalten? Blocher: Wir haben schon heute Rechtsgrundlagen, um auch im Ausland Soldaten ausbilden zu kön-nen - aber nur zu Gunsten unserer Armee, nicht um mit anderen Armeen kooperieren zu können! Das Militärgesetz soll nun so geändert werden, dass eine gemeinsame Ausbildung mit anderen Armeen möglich wird, um mit diesen gemeinsam Krieg zu führen, vor allem mit der Nato. Unsere Armee soll damit Nato-unterstellungsfähig gemacht werden. Beabsichtigt ist eine Annäherung, um letztlich den Krieg in Europa gemeinsam führen zu können. Bundesrat Schmid sagt: Im Verteidigungsfall müssten wir mit anderen Armeen kooperieren können. Schon zu Guisans Zeiten hätten wir nach einem Angriff auf die Schweiz, der die Neutralität hinfällig macht, mit anderen kooperieren dürfen. Blocher: Wer Aggressor sein wird, weiss man nicht im Voraus, darum hat man keine mit der Nato interoperable Armee zu schaffen! Das heisst die Schweiz aufgeben. Es geht um den Fall, dass die Schweiz angegriffen würde. Soll sie dann kooperieren dürfen und auch darauf vorbereitet sein? Blocher: Wir verteidigen die Schweiz glaubwürdig auf den Grundlage der Neutralität und haben nun 150 Jahre ohne Krieg hinter uns. Die Armee auf neutraler Grundlage, um sie im Ernstfall möglichst nie zu brauchen, ist die Devise und soll sie auch bleiben. Bedeutet die Ausbildungszusammenarbeit eine schleichende Annäherung an die Nato? Bührer: Es gibt im VBS Leute, welche entsprechende Visionen formuliert haben. Das ist aber unwe-sentlich: Massgebend ist, was wir als Gesetzgeber dem Volk vorlegen und nicht, was einzelne Gene-räle geschrieben haben! Was ist neu? Den Austausch in der militärischen Ausbildung haben wir seit Jahrzehnten. Unsere Luftwaffe hat schon gegen 50 Trainingseinsätze im Ausland hinter sich, dasselbe gilt für die Panzertruppen, weil unsere Waffenplätze für sie zu klein sind. Wir vereinfachen bloss das Verfahren. Bis jetzt waren die Ausbildungsvereinbarungen Bundesratsbeschlüsse; neu sollen sie in der Kompetenz des VBS liegen. Zweitens soll der Gesamtbundesrat Rahmenvereinbarungen ab-schliessen können, innerhalb deren das Departement Verträge mit anderen Ländern aushandeln kann. Alles andere ist freie Interpretation von Herrn Blocher! Blocher: Das Auslandengagement steht im Mittelpunkt für die neue Armee! Ohne den neuen Ausbildungsartikel könnten wir nicht mit anderen Armeen kooperieren. Darum müssen wir Nein sagen. Die-se Vereinbarungen müssen Sache des Gesamtbundesrates bleiben, damit unsere Generalität nicht anfängt, mit anderen Armeen etwas zu machen, was unserer Verteidigung schadet. In der Armee XXI soll von der Sprache bis zur letzten Anhängerkupplung alles auch in die Nato passen. Das macht man doch nicht, wenn man unser Territorium verteidigen will. Bührer: Unsere Waffensysteme sind schon heute weit gehend Nato-kompatibel - aus dem simplen Grund, weil wir die meisten in Nato-Ländern kaufen. Blocher: Unsere Armee muss unser Land und sein Gelände kennen. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben kleine Länder Kriege gewonnen, die sie auf ihrem eigenen Territorium geführt haben - denken Sie an Vietnam, Afghanistan oder Tschetschenien. Für gewisse Ausbildungen haben wir zu wenig Platz - Luftwaffe, Panzer. Blocher: Gegen Bezahlung wird uns das Ausland gerne weiterhin solche Ausbildungen ermöglichen. Ist eine Armee, die nicht von einer Zusammenarbeit profitieren kann, nicht auch teurer? Blocher: Es wird teurer, wenn wir mit den anderen zusammengehen. Führungsmässig, mit der ganzen elektronischen Vernetzung, und auch die Manöver sind dann unbezahlbar. Wenn wir die Armee auf die wahrscheinlichsten und möglichsten Bedrohungen ausrichten, braucht sie weniger Geld. Bührer: Rüstungsbeschaffungen für eine "selbstständige" Armee werden natürlich teurer - auch bezüglich Materialreserven. Autarkie bedeutet Mehrkosten! Herr Blocher, müsste man bei der militärischen Ausbildungszusammenarbeit hinter den bisherigen Zustand zurückgehen, wenn die zweite Vorlage abgelehnt wird? Blocher: Das nicht. Aber die Kooperation mit fremden Armeen ist zu stoppen. Ihr Schlusswort? Blocher: Hinter den Militärvorlagen steht eine fragwürdige internationalistische Betriebsamkeit, die meint, wir müssten unsere Verteidigungsaufgabe nicht mehr selber lösen. Die Neutralität darf nicht preisgegeben werden. Die Schweiz als kleines Land hat auf dem Boden der Neutralität ihre besonderen Dienste anzubieten. Es ist entscheidend, dass es noch ein Land gibt, das auf Parteinahme ver-zichtet und neutral bleibt. Es geht am 10. Juni um die Neutralität. Die Schweizer haben bei einem Ja viel zu verlieren: Verlust an Sicherheit und Aushöhlung der Neutralität. Bührer: Es geht am 10. Juni um ein Engagement unseres Landes für die Stabilität in unserem strategischen Umfeld und zu Gunsten von humanitären Aufgaben, die ohne ein sicheres Umfeld gar nicht möglich sind. Solche persönlichen Einsätze sind immer mit Risiken verbunden - das bestreite ich nicht. Ich verurteile aber, dass die Gegenseite mit Friedhof-Inseraten glauben macht, wenn man zu den Militärvorlagen Ja sage, müssten später viele Särge aus dem Ausland nach Hause geflogen werden. Das ist irreführend und geschmacklos! Ich stehe auf dem Boden unseres Milizsystems, unserer Neutralität und Bündnisfreiheit. Unser Friedensbeitrag im hinteren Glied (und nicht in einem friedens-erzwingenden Kampfgebiet) ist damit vereinbar. Er hilft, den Ruf unseres Landes hochzuhalten, und steht in unserem ureigensten Interesse.
11.05.2001
«Herr Blocher, was verstehen Sie unter Neutralität?»
Boris Banga (SP/ Solothurn), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission, befragt den Zürcher SVP-Nationalrat Streitgespräch mit Nationalrat Boris Banga im Blick vom 11. Mai 2001 Heisst Neutralität, dass die Schweiz Kriegsverbrecher wie Slobodan Milosevic gewähren lassen muss? Wie ernst ist es den Gegnern von Auslandeinsätzen der Armee mit ihrem verstärkten Engagement in der zivilen Hilfe? SP-Nationalrat Boris Banga (51), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission, fühlt für BLICK Christoph Blocher (60) auf den Zahn Heute geht es nur um die Bewaffnung. Warum haben Sie das Referendum nicht ergriffen, als Aus-landeinsätze 1995 mit einer Militärgesetzrevision ermöglicht wurden? Christoph Blocher: Unbewaffnete Soldaten, das ist ein Widerspruch. Doch der Bundesrat gab 1995 zur Antwort, es gehe nur um Einsätze, die keine Waffen brauchen. Zum Beispiel Hilfeleistung durch Genie- und Rettungstruppen in Erdbebengebieten. Was hat der Bundesrat getan? Einmal mehr wur-den wir über den Tisch gezogen, es wurden unbewaffnete Soldaten in Kriegsgebiete geschickt. Dort haben Schweizer Soldaten - weder bewaffnet noch unbewaffnet - nichts zu suchen. Sie behaupten, Auslandeinsätze würden die humane Solidarität verhindern. Verstehen Sie mehr da-von als IKRK-Präsident Jakob Kellenberger, der das Gegenteil sagt? Blocher: International anerkannte Experten halten die Idee der bewaffneten Einsätze heute für einen Fehler und verlangen die Trennung von militärischen Aktionen und ziviler Aufbauhilfe. Als EU-Turbo unterstützt Jakob Kellenberger die Internationalisierung der Verteidigungspolitik, um die es wirklich geht. Wir gefährden den seit 150 Jahren andauernden Frieden in unserem Land und werden unsere Soldaten für fremde Händel opfern. Sie haben die Liebe zur Entwicklungszusammenarbeit und ziviler humanitärer Hilfe entdeckt. Sind Sie auch bereit, mehr Geld dafür zur Verfügung zu stellen? Blocher: Die SVP ist schon lange für die Schaffung eines humanitären Korps für zivile Zwecke. Und das kostet wesentlich weniger als die Rüstungspläne der Generäle, die sich von der Widerstandsar-mee verabschieden wollen. Ich kann nicht begreifen, dass Sie als Sozialdemokrat die Ausrichtung auf die Nato mitmachen. Früher konnten wir uns wenigstens noch darauf einigen, dass der Anschluss an ein Militärbündnis nicht in Frage kommt. Der Nato-Beitritt steht nicht zur Diskussion. Ich stelle aber fest, Sie befürworten keine zusätzlichen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Blocher: Ich befürworte von Fall zu Fall den Einsatz eines humanitären Korps für die zivile Aufbauhil-fe. Ein Swisscoy-Soldat kostet monatlich 42000 Franken, ein Mann des Katastrophenhilfekorps nur 12000 Franken. Die Mittel für die zivile Aufbauhilfe könnten viel effizienter eingesetzt werden. Sie sehen die Neutralität in Gefahr. Was verstehen Sie überhaupt darunter? Blocher: Glaubwürdige Neutralität bedeutet, keine Partei zu ergreifen in internationalen Auseinandersetzungen. Neutralität ist ein Friedensgarant für den Kleinstaat Schweiz. Sie hat uns über 150 Jahre vor Kriegen bewahrt. Ein Soldat, der im Ausland eingesetzt wird und von seiner Waffe Gebrauch macht, ergreift Partei. Sie sehen die Schweiz also genau in der Mitte zwischen Saddam Hussein und der Uno oder Slobodan Milosevic und der Nato. Was soll es für die neutrale Schweiz zwischen Kriegsverbrechern und der Staatengemeinschaft zu vermitteln geben? Blocher: So einfach liegen die Dinge nie. Denken Sie an den Konflikt zwischen Israel und den Paläs-tinensern. Unrecht gibt es stets auf beiden Seiten, aber auch Elend. Zur Ausbildungszusammenarbeit schreiben Sie "Warum sollen wir fremden Truppen unseren starken Trumpf, unser Gelände preisgeben?" Und "fremde Truppen wird man so leicht nicht mehr los". Glauben Sie im Ernst, dass der nächste Krieg gegen Frankreich geführt wird oder ausländische Soldaten in Thun oder Payerne die Schweiz besetzen wollen? Blocher: Ich glaube nicht an einen Krieg. Ich weiss nur eines: Es gibt nichts Wechselhafteres als in-ternationale Lagen. Die Armee ist dazu da, unser Territorium, unser Land, unser Volk und unsere Freiheit zu verteidigen. Unsere Stärke dabei ist das Gelände. Wer behauptet, die autonome Verteidi-gung des eigenen Territoriums sei für ein kleines Land nicht möglich, leidet an Grössenwahn. Ich will keine fremden Truppen, die in unserem Land mit unserer Armee Übungen durchführen und keine Manöver unserer Armee im Ausland, weil das den Zweck der gemeinsamen Kriegsführung hat. Das läuft auf eine der Nato unterstellte Angriffsarmee statt einer Widerstands- und Verteidigungsarmee hinaus.
11.05.2001
Wir ziehen doch nicht in den Krieg
Streitgespräch mit Nationalrat Josef Leu in der Neuen Luzerner Zeitung vom 11. Mai 2001 Sie sind erbitterte Gegner und wollen doch das Gleiche: Der Luzerner CVP-Nationalrat Josef Leu und der Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher kämpfen beide für eine sichere Schweiz. Doch zur laufenden Militärgesetzrevision haben sie total gegensätzliche Meinungen. Von Gregor Poletti und Eva Novak Herr Blocher, haben Sie nicht genug Argumente, dass Sie eine Kampagne führen, die sich derart hart an der Anstandsgrenze bewegt? Christoph Blocher: Ich weiss nicht, wovon Sie reden. Wir thematisieren die Grundfrage dieses Urnengangs. Politisch geht es darum, ob unseren Generälen die Möglichkeit gegeben werden soll, mit anderen Armeen zusammenzuarbeiten, um im Ausland im Kriegsfall Krieg zu führen. Sollen in Zukunft unsere Söhne für fremde Händel sterben? Denn der Soldat muss kämpfen und sterben können. Darum spielt man nicht mit Soldaten. Die Armee ist nur dazu da, um im Notfall Volk, Land und Freiheit zu verteidigen. Die Befürworter wollen diesen Weg nun verlassen. Das ist der Sinn dieser tiefsinnigen Kampagne. Josef Leu: Ich bezweifle sehr, dass diese tiefsinnig ist. Eure Kampagne spricht vor allem Emotionen an, die nicht der Realität entsprechen. Und es ist geradezu zynisch angesichts der Angehörigen von Hilfsorganisationen, die ihr Leben tagtäglich in viel grösserem Ausmass aufs Spiel setzen. Da hätten wir Ihrer Logik folgend ja schon längst diese Einsätze verbieten müssen. Blocher: Sie reden von der Vergangenheit, wir von der Zukunft. Jetzt werden die militärischen Grundlagen geschaffen, damit unsere Armee in Ausbildung mit fremden Militärs geschult wird, um in den Krieg im Ausland zu ziehen. Damit werden Tür und Tor geöffnet für Verwicklungen in fremde Händel, und das bedeutet eine grosse Kriegsgefahr und die Abkehr von einer glaubwürdigen Neutralität. Leu: Das stimmt einfach nicht. Wir ziehen doch nicht in den Krieg, nur weil wir einen Teil unserer Ausbildung im Verbund mit anderen Armeen machen. Diese hat ja zwei Ziele: Einerseits eine effiziente und kostengünstige Ausbildung zu ermöglichen. Denn gewisse Übungen sind in der Schweiz aus geografischen Gründen nicht möglich. Blocher: Das können wir ohne Gesetzesänderung. Aber bisher waren wir allein auf diesen Übungsplätzen. Die Ausbildungsvorlage will jedoch, dass wir mit den anderen Armeen gemeinsam den Krieg üben, das ist der Unterschied. Leu: Aber es geht weiter darum, unsere Leistungen im Sicherheitsbereich in einer Art Wettbewerb mit den ausländischen Militärformationen zu messen. So haben wir die einmalige Gelegenheit, auszutesten, wo wir gut sind und wo wir noch Lücken aufweisen. Aber damit wird doch die Neutralität aufgeweicht, da gemeinsame Ausbildung auf gemeinsame Einsätze abzielt. Leu: Neutralität muss doch der jeweiligen Zeit entsprechen und immer wieder angepasst werden. Was vor 50 Jahren gut war, muss nicht zwingend heute ebenso gut sein. Neutralität ist nicht ein Ziel, sondern Mittel zum Zweck und soll mithelfen, unsere Sicherheit zu garantieren. Blocher: Es ist eine Frage der Sicherheitspolitik, ob wir neutral sind oder nicht. Die Generalität und viele Politiker wollen die Neutralität anpassen, um mit anderen Armeen kooperieren zu können. Leu: Das ist falsch. Ich bin seit Anfang der Neunzigerjahre Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates, und davon war nie die Rede, auch nicht bei der Ausarbeitung des Brunner-Berichts. Blocher: Die meisten Politiker und Generäle haben genau dort gesagt, sie seien nur noch für die Neutralität, weil das Volk das so wolle. Für sie ist Neutralität ein Hindernis. Die 150-jährige Tradition der bewaffneten Neutralität zeigt doch, dass diese Strategie für unser Land richtig war und ist. Jetzt will man unter dem Deckmantel von "Sicherheit durch Kooperation" still und leise alles auf die Nato-Struktur ausrichten. Es gibt also Pläne, Herr Leu, die Schweiz langsam in die Nato zu führen? Leu: Die beiden Vorlagen, insbesondere die verstärkte Ausbildung mit anderen Armeen, hat mit einer Unterstellung unter die Nato rein gar nichts zu tun. Aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die Nato im militärischen Bereich die Standards setzt und wir uns diesen bis zu einem gewissen Grad angleichen müssen, wollen wir als Verteidigungsarmee glaubwürdig bleiben. Zudem verbietet uns die in der Verfassung festgehaltene Neutralität einen Nato-Beitritt. Blocher: Und jetzt wird deshalb die ganze Armee in einer kostspieligen Übung umgemodelt, damit sie in die Nato Standards passt. Diesen internationalen Fimmel jetzt auch noch auf die Armee auszuweiten ist doch barer Unsinn. Es geht zwar heute nicht um den Nato-Beitritt, aber um die Unterstellungsfähigkeit der Schweizer Armee unter fremde Kommandos. Leu: Aber Sie gaukeln den Leuten vor, dass es am 10. Juni nebst dem Verlust der Neutralität genau um die Kernfrage eines Nato-Beitritts geht. Blocher: Unbestreitbar geht es um die Neutralität und den Nato-Anschluss. Schauen Sie sich doch das Budget an, welches Bundesrat Schmid für die nächsten Jahre vorgeschlagen hat. 4,3 Milliarden Franken pro Jahr sind nur deshalb notwendig, weil das VBS die Armee Nato-tauglich machen will. Und auf die Zusicherung des Bundesrates, damit werde kein Nato-Beitritt in die Wege geleitet, gebe ich nicht viel. Das ist doch immer so, wenn die Landesregierung eine neue Vorlage präsentiert: Sie verspricht dieses und jenes. Wie war das mit der Lastwagenlawine? Der Bundesrat hat bei der Beratung der bilateralen Verträge betont, eine solche werde es nicht geben. Und was haben wir heute? Leu: Der Bundesrat hat immer gesagt, dass es in der Übergangszeit mehr Schwerverkehr geben wird. Aber Sie weichen aus, Herr Blocher, bleiben wir bei der Armee. Wir können uns doch nicht nur für die unwahrscheinlichste Variante, nämlich die Verteidigung des Territoriums, wappnen. Damit negieren Sie, dass sich das sicherheitspolitische Umfeld komplett geändert hat. Sich nur auf die Landesverteidigung zu konzentrieren läuft darauf hinaus, die Armee abzuschaffen. Herr Blocher, wollen Sie insgeheim die Armee abschaffen? Blocher: Diesen Vorwurf glaubt niemand. Aber gerade weil wir in einem stabilen Umfeld leben, ist eine Kooperation zum Schutz der Schweiz weniger notwendig denn je. Leu: Gerade deshalb dürfen wir nicht nur passiv zuschauen. Wir müssen auch kompetent, und das heisst sich zum Selbstschutz mit einer Waffe verteidigen zu können, unseren Beitrag vor Ort leisten, dort, wo die Konflikte sind. Tragen wir zusammen mit anderen dazu bei, den Frieden vor Ort zu ermöglichen, kommt uns das letztlich zugute: Denn dann müssen wir die Auswirkungen von grossen Flüchtlingsströmen nicht ausbaden. Blocher: Die Flüchtlingsströme aus dem Balkan setzten ja ein, weil diese Region in sinnloser Art und Weise von der Nato verbombardiert wurde. Leu: Aber nur dank den Bemühungen der Friedenstruppen, bei denen die Schweiz auch mitgeholfen hat, konnten wir erreichen, dass viele Flüchtlinge schnell wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Blocher: Aber dafür brauchen wir doch keine Soldaten zu schicken, da braucht es den Einsatz von humanitärer Hilfe. Und diese leisten wir billiger, wirkungsvoller und glaubwürdiger im Rahmen unserer Neutralität, als wenn wir Soldaten in Kriegsgebiete schicken. Leu: Aber deren Arbeit ist nur möglich, wenn sie von Soldaten auch beschützt werden. Ich war mehrmals vor Ort und habe gesehen, dass dieser Schutz notwendig ist. Blocher: Schweizer Soldaten, ob bewaffnet oder nicht, gehören nicht in ausländische Konfliktgebiete. Das ist ein Missbrauch der Armee, und damit läuft man Gefahr, den Krieg ins eigene Land zu tragen. Denn wer bereit ist, von der Waffe Gebrauch zu machen, der wird Partei. Jetzt wird argumentiert, wir seien lediglich vor Ort, um den Frieden zu erhalten, und nicht, ihn zu erzwingen. Es kommt doch keiner daher, schwingt die weisse Fahne und sagt, die Friedenserhaltung ist vorbei, jetzt kommt die Friedenserzwingung, jetzt hören wir auf mit dem Kampf. Leu: Deshalb gehen unsere Soldaten nur in ein Krisengebiet unter dem Mandat der UNO oder der OSZE. Zudem haben es Bundesrat und Politiker in der Hand, je nach Fall zu entscheiden, ob wir gehen oder nicht. Es zwingt uns niemand. Blocher: Ich bin dezidiert dagegen, dass wir unseren Politikern, dem Bundesrat und den Generälen die Kompetenz erteilen, solche Einsätze zu bewilligen. Wir sollten solche Armeeabenteuer nicht eingehen. Ich kämpfe deshalb so leidenschaftlich gegen diese Vorlagen, weil es um den Frieden des Landes und unsere Sicherheit geht. Leu: Auch ich kämpfe mit Leidenschaft für die Revision, weil es um unsere ureigensten Interessen geht, nämlich gemeinsam Sicherheit zu produzieren und damit die Schweiz zu schützen.
11.05.2001