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23.08.1999
04.07.1999
Das Duell – Blocher gegen Couchepin
Mein Streitgespräch mit Bundesrat Pascal Couchepin in der SonntagsZeitung vom 4. Juli 1999 Interview: Andreas Durisch, Othmar von Matt Herr Bundesrat Couchepin, was ist Ihr Hauptvorwurf an Herrn Blocher? Pascal Couchepin: Zunächst möchte ich Sie im Bundeshaus herzlich willkommen heissen. Christoph Blocher: Vielen Dank. Es ist ja schliesslich Volksbesitz. Couchepin: Zu Ihrer Frage: Herr Blocher provoziert in seinen Reden fast immer negative Emotionen. Das ist mein Hauptvorwurf. Dadurch stellt man in der Schweiz Folgendes fest: eine sinkende Toleranzgrenze und gleichzeitig eine sinkende Qualität des politischen Dialogs und der politischen Kultur. Ein sehr deutliches Beispiel dafür ist die Absicht, mit einer Initiative Regierung und Parlament institutionell von der Debatte über Initiativen auszuschliessen. Blocher: Mit diesen Vorwürfen kann ich nichts anfangen. Diese Initiative ist nicht für die Politik, aber vielleicht für die Politik des Bundesrates negativ. Couchepin: Ich kann das erklären. Blocher: Ich auch. Wofür habe ich mich in den letzten Jahren eingesetzt? Für eine souveräne Schweiz, für ein Land, das die Zukunft selbst bestimmen kann. Deshalb bin ich gegen einen Beitritt der Schweiz zur EU. Für den Bundesrat ist dies natürlich eine negative Emotion, weil er der EU beitreten möchte. Er kann es nicht ertragen, dass in diesem Land jemand so entschieden eine andere Meinung vertritt. Weshalb meine Politik negativ sein soll, kann ich nicht sehen. Richtig ist allerdings, dass ich hin und wieder provoziere. Couchepin: Man kann Ihre Ziele teilen oder nicht. Das ist Teil der normalen politischen Debatte. Man kann für Europa sein oder gegen den EU-Beitritt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Gravierend ist allerdings Ihr Stil. Mit Ihrer konstanten Feindseligkeit provozieren Sie Emotionen. Gegen Brüssel etwa. Als ob Brüssel ein Feind der Schweiz wäre. Diese Provokationen dürften zwar Teil Ihres Erfolgsrezeptes sein - für die Schweiz allerdings stellen sie eine Gefahr dar. Sie sehen die Welt nur in Freunden und Feinden. Wer Ihre Meinung nicht teilt, ist praktisch ein Verräter. So schaffen Sie negative Emotionen. Über das Ziel kann man diskutieren. Aber die Mittel, die Sie benutzen, zerstören letztlich das eigentliche Ziel. Blocher: Jetzt sind wir wieder bei der berühmten Stildiskussion. Couchepin: Es geht um mehr. Der Stil zeigt den Menschen. Blocher: Diese Diskussion kenne ich. Auf Ihrer Seite reagiert man auf Widerspruch sehr empfindlich. Ich spreche dabei nicht von Feinden, sondern von Gegnern. Das ist nicht dasselbe. Politik lebt von dieser Auseinandersetzung. Ich kritisiere die Politik des Bundesrats, weil dies Teil meiner Aufgabe ist. Ich wurde gewählt, dass ich meine Politik vertrete. Damit muss sich der Bundesrat wenigstens argumentativ verteidigen, kann nicht lediglich entgegnen: «L'état c'est moi.» Blocher darf nichts sagen; Vive le roi! Immer stärker ist beim Bundesrat eine pseudomonarchische Stimmung festzustellen. Man darf zwar grundsätzlich gegen höhere Steuerabgaben und Gebühren sein - aber man darf diejenigen nicht nennen, die sie dauernd erhöhen. Couchepin: Nochmals, mein Vorwurf bezieht sich nicht auf Ihre Ziele. Mit Ihrer Sprachregelung, dem Freund-Feind-Konzept, richten Sie allerdings den Dialog und die Demokratie vollständig zu Grunde. Das ist eine Tatsache. Blocher: Also bin ich der Feind der Administration. Blocher ist gefährlich. Couchepin: Nein. Die Initiative ist sehr gefährlich. Persönlich glaube ich übrigens, dass Sie diese Initiative eher zufällig unterschrieben haben. Sie haben sich wohl gesagt: Die Initiative wäre noch etwas, rechneten allerdings nicht mit diesem Echo. Aber damit wurde eine Grenze überschritten, die weit über den bisherigen Stil hinausgeht. Man will demokratisch gewählten Institutionen - Bundesrat und Parlament - verbieten, sich zu einer Initiative zu äussern. Die Demokratie ist aber ein fragiles politisches Ökosystem, dessen Gleichgewicht man erhalten muss. Geht man mit Gewalt gegen ein solches System vor und nimmt ihm gewisse Elemente weg, dann ist das ganze Gefüge in Gefahr. Die Initiative ist deshalb extrem gefährlich, weil sie das Gleichgewicht der Demokratie bricht. Ist es der erste Schritt zu einem Staatsstreich? Couchepin: Diese Frage könnte man erst im Nachhinein beurteilen. Man hat die Initiative in den letzten Tagen mit verschiedenen Gesetzen aus dem Jahre 1933 verglichen. Ich finde Vergleiche mit einer so tragischen Zeit nicht gut. Die Geschichte lehrt uns allerdings: Leute wie Sie, Herr Blocher, haben immer gesagt, der erste Schritt sei völlig ungefährlich. Man verstehe sie miss. Sie wollten genau das Gegenteil dessen, was man nun behaupte. Diese Worte haben eine zersetzende Wirkung. Jemand sagte mir: Wenn ihr die Initiative bekämpft, dann bekommt sie erst recht Gewicht. Das ist mir egal. Ich will, dass die Leute von Beginn an wissen, was sie allenfalls unterschreiben. Ich sage ihnen lediglich: Die Behörden und der Bundesrat finden die Initiative schlecht. Wir eröffnen keine Hexenjagd. Nur müssen die Leute wissen, was ihre Unterschrift bedeutet. Blocher: Diese Initiative, die verlangt, dass künftig Volksinitiativen innert 6 Monaten zur Abstimmung gebracht werden müssen, verbietet es Bundesrat und Parlament nicht, Stellung zu beziehen. Offenbar hat der Bundesrat den Initiativtext nicht einmal gelesen, sondern nur das Inserat. Die Initiative sagt, es bedarf keiner Stellungnahme; selbstverständlich kann der Bundesrat Stellung nehmen. Es ist eine anerkannte Tatsache, dass Volksinitiativen in Bern lange «herumgeteiggt» werden, im Schnitt etwa vier Jahre. Man taktiert, um das Begehren vom Tisch zu bringen, oder wartet den günstigsten Zeitpunkt ab. Ein Beispiel: Warum konnte man die Initiative für den EU-Beitritt, die von meinen Gegnern stammt, nicht nach einem Jahr zur Abstimmung bringen? Weil man weiss, dass das Volk diese Initiative ablehnen würde. Also sucht man irgendeinen günstigen Zeitpunkt. Das aber ist ein Missbrauch. Erschreckend ist die Reaktion des Bundesrates. Vor allem der Vergleich mit dem deutschen Ermächtigungsgesetz von 1933. Dieses wollte genau das Gegenteil, nämlich die uneingeschränkte Macht der Regierung. Ob dieser Vergleich tatsächlich aus dem Bundesrat stammt, weiss ich nicht. Herr Couchepin, war dieser Vergleich im Gesamtbundesrat ein Thema? Couchepin: Die Initiative wurde kurz diskutiert. Wir waren alle der Meinung, dass es sich um eine gefährliche Initiative handelt. Blocher: Wenn man dieser Initiative einen Vorwurf machen kann, dann vielleicht den, dass sie der Verwaltung etwas weniger Macht gibt. Das mag für den Bundesrat gefährlich sein, nicht aber für das Land. Dass der Bundesrat glaubt, dem Volk sagen zu müssen, welche Volksinitiativen es unterschreiben soll und welche nicht, ist eine unglaubliche Verachtung der Mündigkeit des Bürgers. Und ich, der an diese Mündigkeit glaubt, werde als gefährlich bezeichnet. Ich habe jedenfalls noch nie gesagt, Herr Couchepin sei mein Feind, er sei gefährlich. Das wäre schlechter Stil. Couchepin: Ich sagte lediglich, die Initiative sei gefährlich. Die direkte Demokratie funktioniert auf der Basis eines Informations- und Argumentationsaustausches. Es ist eine Art politischer Marktplatz. Was bleibt, wenn Bundesrat und Parlament nicht mehr Stellung nehmen können? Es erhalten jene die Macht, welche die finanzielle Potenz haben, die Medien mit politischer Werbung vollzustopfen. Deshalb limitieren Sie mit dieser Initiative die Möglichkeit des Volkes, die Informationen zu erhalten, die es wünscht. Es ist eine antidemokratische Initiative. Sehen Sie hier totalitäre Tendenzen? Couchepin: Zumindest wird das demokratische Ökosystem in Frage gestellt. Blocher: Ich freue mich ausserordentlich, dass der Bundesrat plötzlich zum Verfechter der direkten Demokratie geworden ist. Dahinter verbirgt sich allerdings etwas anderes. Couchepin: (unterbricht energisch) Sie sprechen mitten in einem Gespräch davon, dass ich irgendetwas verberge. Das ist genau der Stil, gegen den ich protestiere! Nehmen Sie meine Worte einfach so, wie ich sie sage. Blocher: (unterbricht) Sie haben mir doch genau dasselbe vorgeworfen. Couchepin: Nein. Ich spreche nur von den objektiven Zielen der Initiative. Ich werfe Ihnen persönlich keine diktatorischen Ambitionen vor. Blocher: Ein Blick zurück zeigt, wie ernst der Bundesrat diese direkte Demokratie nimmt. Ein Beispiel: Am 5. März 1997 hat Arnold Koller verkündet, der Bundesrat wolle eine Solidaritätsstiftung schaffen. Koller hat ausdrücklich versichert, es brauche dafür einen eigenen Verfassungsartikel: Volk und Stände könnten darüber abstimmen. Inzwischen behauptet man im Bundesrat, man könne die Stiftung auch lediglich durch ein Gesetz einführen. Couchepin: Sie werfen uns vor, verfassungswidrig zu handeln? Blocher: Wenn Sie dies tun: Ja! Couchepin: Mit welchem Recht? Wer, wenn nicht der Bundesrat, respektiert die Verfassung? Wollen Sie etwa sagen: Ich, Christoph Blocher, bin die Verfassung, das Volk und noch dazu das Parlament? Blocher: Im Verfassungsartikel, den das Parlament mit dem Währungsartikel zu Fall brachte, stand rein formell, dass das Gesetz bestimmt, wie die Reserven der Nationalbank verteilt werden - damit Volk und Stände materiell wieder nichts zu sagen gehabt hätten. Couchepin: War dies etwa kein neuer Verfassungsartikel? Blocher: Aber nicht ein Verfassungsartikel, der gesagt hätte, wie die Goldreserven aufgeteilt werden müssen. Herr Blocher, 1995 haben Sie, Ueli Maurer und Toni Bortoluzzi im Parlament dafür gestimmt, dass die Armee-Halbierungs-Initiative dem Volk gar nicht erst vorgelegt wurde. Couchepin: Als Parlamentarier sind wir leider dazu verpflichtet, die Rechtsgültigkeit von Initiativen wie Richter zu entscheiden. 1995 lag dem Bundesrat ein Gutachten vor, das besagte, die Armee-Halbierungs-Initiative sei nicht rechtsgültig. Deshalb habe ich für die Rechtsungültigkeit gestimmt. Damit haben Sie sich für das Gegenteil dessen eingesetzt, was Sie heute fordern. Blocher: Nein. Wenn ich als Parlamentarier über die Rechtsgültigkeit entscheiden muss, dann muss ich entscheiden. Genau das will unsere Volksinitiative: dass wir Parlamentarier dies nicht entscheiden. Wir sind doch keine Richter. Couchepin: Sie wollen die Prüfung der Rechtmässigkeit abschaffen? Blocher: Ja. Couchepin: Dann entfernen wir uns definitiv vom Rechtsstaat. Das heisst: Sie wollen nicht nur den demokratischen Dialog aufheben, sondern auch noch verhindern, dass die Rechtsgültigkeit von Initiativen diskutiert wird. Sie versuchen, über diese Volksinitiative ganz einfach konzentrierte Macht zu erlangen, in der Dialog und Information keine Rolle mehr spielen. Blocher: Nein, Herr Couchepin, das Volk entscheidet darüber. Sie können mir zehnmal unterschieben, dies und jenes sei «exclu», verboten, ausgeschlossen. Der Initiativtext ist klar. Herr Couchepin, bietet diese Initiative der FDP vier Monate vor dem Wahlkampf eine gute Gelegenheit, sich von der immer mächtigeren SVP zu distanzieren? Couchepin: Ich gehöre jener Partei an, welche diesen Staat gegründet und sein demokratisches System aufgebaut hat… Blocher: (unterbricht) Wir waren auch dabei. Couchepin: Aber sicher. Wir waren die Architekten, und Sie haben mitgemacht. Vorausgesetzt, Ihre Vorfahren waren Freisinnige. Blocher: Natürlich. Die Freisinnigen sind unsere Grossväter (lacht). Couchepin: Meine Partei verteidigt das demokratische System aus Berufung. Was nun Christoph Blocher betrifft: Seine Absichten kann ich nicht einschätzen, da ich weder Psychoanalytiker noch Pfarrer bin. Ich stelle allerdings fest, dass er in eine für die Demokratie sehr gefährliche Richtung geht mit dieser Initiative. Deshalb bekämpfe ich sie. Nun möchte ich Ihnen aber noch eine Frage stellen, Herr Blocher. In einigen Monaten stimmen wir wahrscheinlich über die bilateralen Verträge ab. Sagen Sie Ja oder Nein zu diesen Verträgen? Warum erklären Sie sich nicht? Blocher: Ich entscheide mich dann, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Herr Blocher, die Bevölkerung würde aber von Ihnen auch gerne hören, ob Sie für oder gegen die bilateralen Verträge sind. Blocher: Warten Sie ab. Sie werden meine Haltung noch zu hören bekommen. Meine Antwort ist klar: Ich finde die Verträge schlecht. Ob man das Referendum ergreift, hängt von den Zusatzbedingungen ab, die das Parlament genehmigt oder ablehnt. Ich entscheide, wenn ich die Konsequenzen sehe - nach einer sorgfältigen Abwägung. Das dürfte zwischen August und Oktober sein, also vor den Wahlen. Die Meinungsverschiedenheiten, die sich in diesem Gespräch zeigen, sind beträchtlich. Herr Couchepin, muss die SVP in die Opposition? Couchepin: Dies ist das grosse Problem von Herrn Blocher. Er ist der eigentliche Chef einer Partei, die zwar eine Oppositionsrolle ausübt, gleichzeitig aber in der Regierung bleiben will. Dieses Doppelspiel, Herr Blocher, können Sie nicht permanent spielen. Blocher: Die Sache ist klar: Ich bin gewählter Parlamentarier und Mitglied einer Partei, die ein sehr konkretes Programm hat. Wir nehmen dieses Programm ernst und wollen es durchsetzen. Wir sind im Bundesrat vertreten. Doch das verpflichtet uns nicht, stets gleicher Meinung wie der Bundesrat zu sein. Wir leben in einem Land der direkten Demokratie, dessen Regierung aus vier Parteien gebildet ist. Alle Parteien haben schon gegen den Gesamtbundesrat gestimmt. Erst kürzlich bei der Mutterschafts-Versicherung zum Glück auch die FDP. In der direkten Demokratie ist jede Partei Oppositions- und Regierungspartei. Ich weiss allerdings, was hinter diesen Gedanken steckt. Couchepin: Sicher kennen Sie auch schon die Antwort. Blocher: Warten Sie ab. Ich sage immer: Jede Partei muss stets dazu bereit sein mitzuregieren. Man darf nicht freiwillig in die Opposition gehen. Werden wir allerdings von den Freisinnigen zusammen mit den Sozialisten aus der Regierung geworfen, müssen wir auch dazu bereit sein. Couchepin: Alle Ausführungen, die Sie in diesem Gespräch gemacht haben, waren oppositioneller Natur, Herr Blocher. Mit Aggressionen gegen den Bundesrat und mit der Anklage, er respektiere die Verfassung nicht. Sie sprechen die Sprache eines Oppositionsführers, die weit über die sektorielle Opposition hinausgeht, wie sie bei allen Parteien vorkommt. Übt eine Partei permanent Opposition aus und bekämpft - wie mit dieser Initiative - permanent den Bundesrat, muss sich diese Partei fragen: Wo haben wir unsere ehrliche Position? Können wir den Oppositionsdiskurs weiterführen, gleichzeitig aber von der Macht profitieren? Diese Doppelzüngigkeit wiegt schwer. Blocher: Herr Bundesrat, Sie sassen heute für eine Diskussion mit mir an denselben Tisch. Dass ich Sie dabei nicht loben würde, war ja klar. Sässe hier allerdings ein Sozialist… Couchepin: (unterbricht energisch) Ich würde gegen ihn antreten. Kein Zweifel. Blocher: Dann wären wir ja plötzlich auf der gleichen Seite. Allerdings nur, wenn Sie nicht sozialistisch sind. Couchepin: (lacht) Das können Sie selber beurteilen. Herr Blocher, können Sie mit Adolf Ogi als Ihrem Vertreter im Bundesrat überhaupt noch leben? Blocher: In der Wirtschafts- und Steuerpolitik ist Herr Ogi für uns ein sicherer Wert. In der zentralen Frage der Unabhängigkeit, der Neutralität und der Landesverteidigung haben wir tatsächlich grosse Differenzen. Entscheidende Differenzen? Blocher: Entscheidende Differenzen. Es sind dieselben Differenzen, welche die SP mit Bundesrat Otto Stich hatte. Herr Stich war gegen den EU-Beitritt und gegen den EWR, die SP flammend dafür. Couchepin: Nein, das stimmt nicht. Herr Stich hat sich nie gegen den EWR ausgedrückt. Er war immer loyal. Blocher: Auch Herr Ogi ist loyal. Der Bundesrat muss sich einfach über eines im Klaren sein: Die Regierung wird nicht aus vier Parteien gebildet, weil alle Parteien gleicher Meinung, sondern obwohl alle verschiedener Meinung sind. Couchepin: Es gibt zwei Dinge, die man von einer Regierungspartei erwarten darf. Erstens: dass sie nicht systematisch Oppositionspolitik betreibt. Das tun Sie aber … Blocher: …wir betreiben keine systematische Opposition… Couchepin: …Ihre Opposition ist systematisch. Zweitens darf man erwarten, dass ein Bundesrat von seiner Regierungspartei mit seinen Vorschlägen nicht konstant im Stich gelassen wird. Die SVP hat aber Herrn Ogi in letzter Zeit bei all seinen Vorstössen attackiert. Letztlich geht es also um eine Frage der doppelten Zweideutigkeit: Sie sind mit Ihrer SVP in der Opposition und wollen doch an der Macht teilhaben. Zudem widerspricht Ihre Meinung fundamental jener Ihres Bundesrates. Und dennoch sagen Sie: Ich will Adolf Ogi im Bundesrat behalten. Blocher: Dann müssen Sie uns aus dem Bundesrat werfen. Couchepin: Es geht um eine Frage der Redlichkeit auf Ihrer Seite. Blocher: Eine Partei in der Opposition könnte innerhalb von vier Jahren grosse Erfolge feiern. Das weiss ich. Trotzdem betone ich immer: Wir müssen in der Regierung mitwirken, aber in den zentralen Positionen fest bleiben. Denn in einer Konkordanz-Regierung fehlt die Opposition. Sie ist aber für eine Regierung wichtig. In den Siebziger- und Achtzigerjahren bildete die Presse die Opposition. Damals hatten wir eine Mitte-rechts-Regierung, und die Journalisten waren, wie übrigens heute noch, mehrheitlich Mitte-links. Heute ist das leider nicht mehr so. Presse, Parlament und Bundesrat bilden heute in den wichtigen Fragen eine Koalition. Deshalb sehe ich die Opposition in den wichtigen Fragen - Unabhängigkeit, Steuerklima, Asylpolitik - als meine Aufgabe. Couchepin: Noch einmal: Letztlich ist es eine Frage der Ehrlichkeit. In den letzten drei Jahren war die SVP siebenmal gegen wichtige Vorlagen der Regierung - und dabei habt ihr fünfmal verloren. Blocher: Ich habe die Niederlagen nicht gezählt. Couchepin: Manchmal deutet die Zahl auch auf die Qualität hin. Wer sich gegen alle grossen Projekte einer Regierung stellt, muss sich fragen, ob er noch - konstruktiv und lösungsorientiert - in dieser Regierung mitarbeiten kann. Oder ob er schlicht und einfach ein Profiteur von Opposition und Macht ist. Herr Blocher, im Herbst wird die SVP sehr wahrscheinlich Wahlsiegerin sein. Können Sie dann noch akzeptieren, in der Regierung mit nur einem Bundesrat vertreten zu sein, der nicht einmal Ihre Linie vertritt? Blocher: Darüber zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Würde die SVP im Herbst Bundesratsparteien mit zwei Bundesräten tatsächlich überholen, müssten wir bereit sein, mit zwei Bundesräten anzutreten. Das ist meine persönliche Meinung. Was wird dann geschehen? Der wahrscheinlichste Fall ist, dass kein zweiter SVP-Vertreter in den Bundesrat gewählt wird. Das Parlament wählt heute lieber einen Kommunisten als einen SVPler. Aber Herrn Ogi wird das Parlament wahrscheinlich wieder wählen. Couchepin: Wird die SVP ihn denn zur Wiederwahl empfehlen? Blocher: Davon bin ich überzeugt. Das heisst: Die SVP ist zufrieden mit Ogi? Blocher: Wir sind Realisten. Nicht zufrieden mit ihm sind wir in den zentralen Positionen Neutralität und Souveränität. Hier besteht ein offener Konflikt, den wir auch darlegen dürfen. Das Parlament würde heute aber keinen SVP-Vertreter wählen, der gegen den EU-Beitritt ist. Couchepin: Sie sind also bereit, alle Opfer zu bringen, nur um in der Regierung zu bleiben? Um Macht zu haben? Blocher: Es geht nicht um Macht. Couchepin: Um was sonst? Blocher: Um eine bessere Politik. Wären wir in der Opposition, müssten wir in allen Fragen systematisch Opposition betreiben. Das tun wir heute nicht. Couchepin: Sie wollen kein Oppositionssystem? Blocher: Es wäre wahrscheinlich besser, wenn jene Parteien eine Regierung bilden würden, welche die grössten Übereinstimmungen haben. Das ist meine persönliche Meinung. Heute ist die Konkordanz degeneriert. Man wählt Parteivertreter, die möglichst nicht die Parteimeinung vertreten, und klagt nachher darüber, dass Differenzen bestehen. Und wenn Sie, Herr Couchepin, glauben, mit der SP besser regieren zu können als mit der SVP - tun Sie das! Couchepin: Es liegt an Ihnen, das zu entscheiden. Sie betonen immer, Neutralität und der EU-Beitritt seien die Hauptfragen dieses Landes. Das denke ich auch. Blocher: Hier haben wir auch die Hauptdifferenzen. Couchepin: Sie haben hier allerdings auch die Hauptdifferenzen mit Ihrem eigenen Bundesrat - und sagen trotzdem: Das geht gut. Weshalb haben Sie ein so grosses Interesse daran, in der Regierung vertreten zu sein? Zu guter Letzt geht es doch um eine rein opportunistische Politik. Blocher: Schön, das ausgerechnet aus Ihrem Munde zu hören! Couchepin: Wer mit dem Anspruch antritt, sein Programm durchzusetzen, in den Hauptfragen mit seinem Bundesrat aber nicht einverstanden ist, kann nicht mehr im Ernst behaupten, er wolle sein Programm wirklich durchsetzen. Blocher: Natürlich. Die Frage ist: Setzen wir das Programm besser durch, wenn Herr Ogi in der Regierung sitzt - oder wenn kein SVP-Vertreter in der Regierung sitzt? Herr Couchepin, was sagen Sie nun Franz Steinegger, Ihrem Parteipräsidenten? Soll die FDP im Herbst noch Listenverbindungen mit der SVP eingehen? Couchepin: Die Diskussion von heute ist sehr wichtig. Sie erlaubt uns zu beurteilen, ob Herr Blocher und seine Vertreter bereit sind, eine problemlösungsorientierte Politik zu betreiben. Und ob sie einverstanden sind, ihre politischen Gegner zu respektieren - und wie ihre Haltungen gegenüber der Regierung aussehen. Zu welchem Schluss kommen Sie nach diesem Gespräch? Couchepin: Ich bin Bundesrat. Aber ich würde Herrn Steinegger raten, dass die FDP-Kantonalparteien in jedem Kanton beurteilen sollen, ob allfällige SVP-Verbündete eine positive Haltung haben oder nicht. Blocher: In Zürich dürfte die FDP also keine Listenverbindung mit der SVP eingehen? Couchepin: Es ist Sache der Kantonalparteien, dies zu entscheiden. Ich entscheide weder für Zürich noch für Herrn Steinegger. Die Differenzen, die sichtbar werden, stimmen aber insgesamt nachdenklich? Couchepin: Natürlich sind diese Differenzen bedenklich. Blocher: Ich finde sie nicht bedenklich. Aber es ist typisch, dass der Bundesrat sie als bedenklich beurteilt. Zu Ihren Bedingungen einer Regierungsbeteiligung, Herr Couchepin: Ich werde weiterhin Respekt vor den Aufgaben und dem Auftrag der Regierung, der Verwaltung, des Parlamentes und des Souveräns haben. Wie bisher. Couchepin: Wie bisher? Das sind zwei Worte zu viel. Blocher: Ich hatte bisher Respekt und werde ihn weiterhin haben. Couchepin: «Wie bisher», das ist zu viel. Blocher: Ich kenne meine eigene Meinung besser als Sie. Couchepin: Ich beobachte Sie von aussen. Blocher: Gewisse Bundesräte ertragen Kritik nicht, weil sie glauben, «L'état, c'est moi!». Damit sprechen Sie Herrn Couchepin an? Blocher: Das würde ich sagen. Die Töne, die ich dieser Tage von ihm gehört habe, sind für mich ein Zeichen dafür, dass ihm der Respekt vor der eigenen Aufgabe fehlt. Für uns gilt: In der Frage der Souveränität der Schweiz, der Steuersenkungen und im Kampf gegen den Asylmissbrauch werden wir, ob in der Regierung oder nicht, keine Konzessionen machen. Und ich werde, wie Sie das gefordert haben, Herr Couchepin, problemorientiert sein bis zum Letzten. Couchepin: Ich sprach von Lösungsorientierung. In all diesen von Ihnen angesprochenen Punkten sieht der Bundesrat Lösungen vor. Blocher: Zuerst muss man die Probleme erfassen, bevor man sie lösen kann. Couchepin: Aber Sie schaffen die Probleme und wecken negative Emotionen, bis keine Lösungen mehr möglich sind. Das ist die Schwäche Ihrer ganzen Argumentation. Blocher: Ich habe zu all diesen Fragen Lösungen. Oft allerdings andere als Sie. Couchepin: Sie bieten für diese pluralistische Gesellschaft keine realistischen politischen Lösungen an. Blocher: Das ist eine Behauptung. Couchepin: Natürlich, das ist eine politische Behauptung.
27.06.1999
«Selbst wenn ich schweige, bin ich ein Thema»
Christoph Blocher über Macht, politische Gegner und seine Auseinandersetzung mit Bundesrat Couchepin Interview mit der Sonntagszeitung vom 27. Juni 1999Von Othmar von Matt Herr Blocher, fehlen Ihnen heute die politischen Gegenspieler? Christoph Blocher: Meine Gegenspieler sind diejenigen, die eine falsche Politik betreiben. Und auch wenn sie ihre Politik nicht mehr begründen können, machen sie trotzdem eine falsche Politik. Es fehlt doch jemand wie Peter Bodenmann, der Sie dezidiert herausfordert. Blocher: So gesehen gebe ich Ihnen Recht. Ich habe bald keine namhaften politischen Gegner mehr. Früher tat dies Helmut Hubacher. Peter Bodenmann ist im Wallis verschwunden, Elmar Ledergerber im Zürcher Stadtrat. Und Franz Jaeger verkündet heute aus der Hochschule gute Wirtschaftspolitik. Freut Sie das? Blocher: Mehr würde mich eine gute Politik freuen. Aber auch ohne namhafte Gegenspieler kommen Steuererhöhungen, Asylmissbrauch und zu viele Regulierungen zu Stande. Ein gutes Zeichen ist allerdings, dass die Bevölkerung langsam genug hat von dieser Politik. Politik lebt allerdings von Gegensätzen. Und ich bin froh, wenn die Gegner antreten. Wie Ursula Koch? Blocher: Ich bin zweimal gegen Frau Koch angetreten. In der ersten "Arena" beschränkte sie sich auf das Pöbeln. Pöbeln war ihr politisches Programm, bis ihr die Werbeleute davon abgeraten haben. In der zweiten Sendung bemerkte ich, dass Frau Koch überhaupt kein Konzept hat. Nicht einmal ein falsches. Und wie steht es mit Franz Steinegger? Blocher: Die Freisinnigen sind nicht unsere Gegner. Im Moment weiss ich allerdings nicht, ob Steinegger eine Partei vertreten muss, welche die Orientierung verloren hat. Oder ob ihm selber die Orientierung abhanden gekommen ist. Dezidiert geäussert hat sich in den letzten Tagen Volkswirtschaftsminister Pascal Couchepin. Ist er Ihr neuer Gegenspieler? Blocher: Bisher war Herr Couchepin nie mein Gegenspieler, er war politisch ein Mann ohne Meinung. Aber wenn er jetzt als Bundesrat den Gegenpart spielen will, soll er das tun. Ich bin gerne bereit, den Ball aufzunehmen. Seine Reaktionen verraten jedoch höchste Nervosität. Couchepin äusserte sich über Ihre Rolle im Zusammenhang mit der Initiative, die fordert, dass Volksinitiativen in sechs Monaten vors Volk kommen müssten. Blocher: Er hat auf ein harmloses Inserat zur Initiative, die ich gutheisse, reagiert. Wenn er nun davon spricht, Blocher sei mit seiner wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Tätigkeit ein ganz gefährlicher Mann, so zeigt dies seine bedenkliche demokratische Gesinnung. Er fühlt sich in seiner Macht bedroht. Aufs Höchste besorgt ist allerdings auch der Gesamtbundesrat. "Die Initiative führt die direkte Demokratie ad absurdum und stellt die politische Kultur der Schweiz in Frage", sagt er in einer Erklärung. Blocher: Das ist lächerlich. Es ist Tatsache, dass Volksinitiativen relativ lange in Bern "herumgeteiggt" werden. Ein Volksbegehren soll rasch zur Abstimmung gebracht werden. Es ist gar nicht nötig, dass Bundesrat und Parlament dazu Vorschlag und Gegenvorschlag machen müssen. Gemäss der Volksinitiative müssen Bundesrat und Parlament keine Stellung nehmen. Aber sie dürfen es selbstverständlich. Überrascht Sie die heftige Reaktion? Blocher: Ich hätte nie erwartet, dass sich der Gesamtbundesrat dazu hinreissen lässt. Damit schiesst er ein Eigentor, denn seine Reaktion gibt der Initiative riesigen Auftrieb. Irgendwie ist es unheimlich: Wo immer in der politischen Schweiz von heute etwas geschieht, taucht Ihr Name auf. Blocher: Das tut mir leid. Selbst wenn ich schweige, bin ich offenbar ein Thema? Schritt für Schritt bauen Sie Ihre Macht aus. Wann haben Sie Ihr Ziel erreicht, die Macht in der Schweiz zu übernehmen? Blocher: Ein solches Ziel verfolge ich nicht. Die Schweizer sind demokratisch, und darum wird in diesem Land nie jemand die Macht übernehmen. Ich muss wieder einmal darauf zurückkommen, was ich eigentlich tue: Erstens bin ich erfolgreicher Unternehmer. Mein Weg dazu ist transparent nachzuvollziehen, und das gibt Neider. Zweitens bin ich Politiker und vertrete seit Jahren konsequent meine Meinung. Was soll daran suspekt sein? Die Ballung wirtschaftlicher, politischer und finanzieller Macht - verbunden mit der Tendenz zu einfachen Antworten, wie Bundesrat Couchepin sagt. Blocher: Ich gebe mir grosse Mühe, einfach zu reden. Was soll daran gefährlich sein? Im Gegensatz zu Herrn Couchepin besitze ich keine Macht. Keine institutionelle Macht. Blocher: Ihm stehen Steuergelder und eine Verwaltung zur Verfügung. Seit dem Wahlerfolg der Zürcher SVP im April reagiert die Classe politique nervös und empfindlich. Sobald jemand ein bisschen aus dem Durchschnitt herausragt, versuchen ihn die Tonangebenden zu köpfen. Diese Tendenz lässt sich in der Schweizer Geschichte immer wieder beobachten. Ihr Understatement ist bemerkenswert. Sie verfügen über beträchtliche Macht. Blocher: Ich bin mir dieser Macht gar nicht bewusst. Was ist denn diese Macht? Sie haben sich eine Holding aufgebaut: mit Auns, SVP, "Schweizerzeit". Eine Holding, die Sie gezielt einsetzen und finanziell so massiv unterstützen, wie dies keiner anderen Partei möglich wäre. Blocher: In die Auns stecke ich kein Geld, sondern einen Teil meiner Arbeitskraft. Auch in die "Schweizerzeit" investiere ich kein Geld. Bei der Gründung habe ich zwei Aktien zu je tausend Franken gezeichnet. Auch an die Schweizer SVP zahle ich nur ordentliche Beiträge, genauso wie an die Zürcher SVP. Denn die Partei darf finanziell nicht von mir abhängig werden. Doch es gibt Abstimmungskampagnen und generelle Kampagnen, die ich gezielt unterstütze. Wie viel investieren Sie in Kampagnen? Blocher: Im Schnitt ein paar Hunderttausend Franken pro Jahr. In der EWR-Abstimmung waren es 1,5 Millionen. Bei den Wirtschaftsverbänden befürchtet man, Sie übernähmen die Macht. Blocher: Das höre ich aus den Verbänden ebenfalls. Ich will dort weder eine leitende Stellung einnehmen, noch habe ich die Zeit dazu. Hingegen fordere ich als Unternehmer seit langem, dass die Verbände eine konsequente Wirtschaftspolitik betreiben: eine gute Ordnungspolitik. Nur drang ich mit dieser Forderung bisher nicht durch. Neu ist, dass zahlreiche - auch grosse - Schweizer Unternehmen ebenfalls diese Meinung vertreten. Dennoch kam der Verdacht auf, Sie steckten hinter der Fusionsforderung. Blocher: Die Idee der Fusion stammt nicht von mir. Und ich bin nicht einmal sicher, ob sie eine wesentliche Verbesserung bringt. Die Bemühungen kommen aus der Maschinenindustrie und der Chemie, aber auch aus anderen Branchen. Immerhin soll Ihnen das Vorort-Präsidium angeboten worden sein. Blocher: Davon weiss ich nichts. Präsident werden Sie also nie? Blocher: Käme ein solches Angebot, müsste ich sagen: Es tut mir Leid. Das kann ich nicht auch noch machen. Denn ich müsste entweder die Politik oder das Unternehmen aufgeben. Beides kommt für mich im Moment nicht in Frage. Wenn Sie die Schweiz nach Ihrem Gusto gestalten könnten: Wie sähe sie aus? Blocher: Zunächst einmal: Ich möchte keine Schweiz, die ich gestalten könnte. Ich möchte eine sehr demokratische Schweiz, in der die wesentlichen Entscheide bei der Bevölkerung liegen. Und inhaltlich? Blocher: Was würde ich dem Volk zur Abstimmung unterbreiten? Vorlagen, welche die traditionellen Stärken der Schweiz betonen: jene der souveränen, der neutralen Schweiz. Einer Schweiz, welche die dauernde Neutralität nach aussen hin stärkt, die in freundschaftlicher Beziehung zu allen Ländern dieser Welt lebt - wirtschaftlich, kulturell, politisch. Es dürfte allerdings keinerlei Einbindungen in eine fremde Macht geben, damit die Schweiz ihr Schicksal als Kleinstaat eigenständig bestimmen kann. Und innenpolitisch? Blocher: Ich bin für eine liberale Politik. Die Menschen in diesem Land sollen - bei Vollbeschäftigung - ihren Verdienst nicht der Umverteilung preisgeben. Es ist ein Staat von eigenverantwortlichen Bürgern. Der Staat sorgt für jene, die nicht für sich selber sorgen können. Mit dieser Stossrichtung ginge es den Schweizerinnen und Schweizern auch in Zukunft gut. Je zahlreicher die Länder in der Globalisierung Massenkonstruktionen suchen, desto grösser sind unsere Chancen. Sie wollten eine Thatcher-Schweiz, in welcher der Staat keine Rolle mehr spielt, die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, wirft Ihnen die SP vor. Blocher: Es ist heute eine Tatsache, dass eine niedrige Staatsquote die entscheidende Grösse für Vollbeschäftigung und einen konkurrenzfähigen Standort ist. Und die Reformen von Frau Thatcher waren nötig, um England aus einer tiefen Krise zu holen. Sie musste dafür zuerst die allmächtigen Gewerkschaften brechen. Herr Blair tut doch jetzt nichts anderes, als ihre Politik fortzusetzen. Verfolgen Sie in der Schweiz ein ähnliches Ziel? Die Gewerkschaften zu brechen? Blocher: Nein. In England hatten die Gewerkschaften eine unglaubliche Macht. Das ist bei uns nicht so. Der Staat hat grundsätzlich nicht zu bestimmen, ob es Gewerkschaften gibt oder nicht. Wie wichtig ist Ihnen der soziale Friede? Er droht zu zerbrechen. Blocher: Das glaube ich nicht. Der soziale Friede ist das Ergebnis des Ausdiskutierens von Standpunkten. Heute weiss bei Kompromissen aber niemand mehr, zwischen welchen Positionen sie entstanden sind. "Wir sind nicht mehr bereit, Kompromisse nach links zu machen - nur weil man gerne Kompromisse hat", sagten Sie nach dem Wahlsieg in Zürich. Stehen Sie tatsächlich für Ausdiskutieren ein? Blocher: Absolut. Ich habe noch nie eine Einladung zu einer Diskussion abgelehnt. Wenn es letztlich nach Ihrem Willen geht? Blocher: Dass sich ein Politiker für seine Ansichten einsetzt, ist seine Aufgabe. In zentralen Dingen kämpfe ich, bis der letzte Entscheid gefallen ist. Ist er aber gefallen, halte ich mich daran. Christoph Blocher ganz ungefährlich? Blocher: Gefährlich nur für jene, die nicht ertragen, dass es Menschen gibt, die ihre Meinung unerschrocken vertreten.
27.05.1999
Wie SVP, FDP und CVP eine bürgerliche Regierung bilden – mein 7-Punkte-Programm
Artikel vom 27. Mai 1999 Aus meiner Sicht scheitert die bürgerliche Allianz in unserem Land an der Europafrage. Wenn es gelingt, die Frage "EU-Beitritt ja oder nein?" während der nächsten zehn Jahre aufs Eis zu legen, so besteht die Möglichkeit, dass sich unsere Regierung schon bald aus dem bürgerlichen Lager von SVP, FDP und CVP - als ohne die SP - zusammensetzt. Wenn die bürgerlichen Parteien sich auf ein EU-Moratorium einigen, so ist aus meiner Sicht auch eine Einigung über den raschen Abschluss der bilateralen Verträge möglich. Derzeit stehen für die Schweiz nämlich viel wichtigere politische Themen auf der Traktandenliste als die EU-Frage. Dabei liegen CVP und FDP näher bei der SVP als bei der SP. In diesem Sinn habe ich ein Regierungsprogramm für einen bürgerlichen Bundesrat entworfen. Es enthält sieben Punkte: 1. Europapolitik Vorbemerkung: Aus meiner Sicht entzweit der EU-Beitritt das bürgerliche Lager. Deshalb habe ich dem Bundesrat schon zweimal vorgeschlagen, eine fünfjährige Denkpause einzulegen, erstmals nach dem EWR-Nein 1992 und danach vor zwei Jahren nochmals. Beide Male erfolglos. Weiteres Vorgehen: Wenn die EU-Beitrittsfrage zehn Jahre lang auf Eis gelegt wird, ist das Regieren unter den Bürgerlichen viel einfacher. Stattdessen kann ich mir vorstellen, dass im bürgerlichen Lager eine Einigkeit über die bilateralen Verträge erzielt werden kann. 2. Steuerpolitik Keine neuen Steuern mehr. Schluss mit zusätzlichen Abgaben und Gebühren. Mehr Deregulierung, einen schlanken Staat, Leistungsabbau und noch stärkere Liberalisierung von Post und Swisscom sind in unserem Land nötig. Auch in diesen Fragen können sich die bürgerlichen Parteien einigen. Letztlich geht es um die Frage, wie wir die Steuersenkungen finanzieren. 3. Innere Sicherheit In Sachen Asylmissbrauch sind sich die drei bürgerlichen Parteien seit einem Jahr mehr oder weniger einig. Seit kurzem werden sogar aus der CVP Rufe für eine Sicherheitspolizei auf Bundesstufe laut. 4. Wirtschaftspolitik Ich kämpfe seit Jahren für weniger Eingriffe des Staates in die Wirtschaft. Wenn ich zurückdenke, wie unergiebig die Bundesrats-Parteiengespräche jeweils wegen der SP sind, dann könnte man sich hier rasch finden. Wenn die Steuerbelastung für die Wirtschaft sinkt, ist das politische Lager zum Sparen gezwungen. 5. Soziale Sicherheit Ich war nie für einen AHV-Abbau; wenn die 11. AHV-Revision keine zusätzlichen Kosten verursacht, bin ich dafür. Es geht lediglich um einzelne Fragen, die es im Detail zu lösen gilt. So beispielsweise jene über Rentenkürzungen für höhere Einkommen bei vorzeitiger Pensionierung. 6. Energiepolitik Energie darf nicht teurer werden. Der günstige Zugang zu Elektrizität und Gas für alle Unternehmen bedingt einen freien Markt, ohne spezielle Abgeltungen. 7. Neutralität Das Stichwort Neutralität ist neben der Europafrage der heikelste Verhandlungspunkt: Die Bewaffnung zum Selbstschutz von Schweizer Friedenssoldaten im Ausland ist für mich kein Thema. Ich bin überzeugt, dass auch in dieser Frage die Mehrheit von SVP, FDP und CVP meine Ansicht teilt und die Neutralität der Schweiz beibehalten möchte.
08.05.1999