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27.05.2007

Manager sollen sich nicht mehr selbst bedienen können

«Bundesrat Christoph Blocher über Abzockerei, Einwanderung und seine Pläne» 27.05.2007, Sonntagszeitung, Victor Weber und Arthur Rutishauser Herr Blocher, die Wirtschaft kommt erst richtig in Fahrt , und Sie warnen bereits vor einer Überhitzung. Es ist schön, dass die Wirtschaft läuft. Doch nun gibt es eindeutig eine Überhitzung, wenngleich noch ohne Inflation. Fragt sich, was passiert, wenn wieder eine Rezession kommt. Eine solche wird bestimmt folgen. Warum? In der freien Wirtschaft folgte der Hochkonjunktur immer eine Rezession. Eine ähnliche Überhitzung erlebten wir zum Beispiel 1989, und die Arbeitslosigkeit war viel tiefer als heute. Der Vorteil ist, dass der Anstieg des Lohnniveaus kleiner ist. Aber es führt in einer Rezession zu einer höheren Arbeitslosigkeit, die sich dann den europäischen Verhältnissen angleichen wird. Nun wandern vor allem Deutsche ein, wobei hochqualifizierte Arbeitskräfte kommen, die Wachstum ermöglichen. Ihre Befürchtungen sind bisher nicht eingetreten. Ich weiss nicht von welchen Befürchtungen Sie sprechen. Mein Statement war klar, die Öffnung des Arbeitsmarktes gegenüber der EU war unvermeidlich. Gerade in der Zeit der starken Konjunktur nimmt die Wirtschaft viele Beschäftigte auf. Auf die Dauer bringt dies eine Verflachung des Lohnniveaus und in der Tendenz eine steigende Arbeitslosigkeit. Dies hat man in Kauf zu nehmen. Wird die Abschaffung der Einwanderungskontigente dies weiter verschärfen? Die letzte Quartalsquote für Daueraufenthalter aus den alten EU-Ländern war innert 41 Minuten vergeben. Am 1. Juni fallen die Kontingente für die alten EU-Staaten ganz weg. Bei der starken Konjunktur werden die bisherigen Quoten gegenüber den „alten“ EU-Ländern mit Bestimmtheit überschritten werden. Sie befürchten eine zweite deutsche Einwanderungswelle?Am Anfang, also Juni/Juli, wird die Zuwanderung wohl relativ stark sein, dann wird sie wieder etwas abflachen. Wir müssen aber das erste Jahr abwarten, um zu wissen, ob man die Kontingente wieder einführen muss oder nicht – so wie dies auch in den Verträgen vorgesehen ist. Das würde aber das Verhältnis zu EU weiter trüben. Brüssel übt ja jetzt schon Druck aus, damit die Schweiz Steuervorteile für ausländische Unternehmen abbaut. Wir dürfen auf die Forderung der EU nicht eingehen, das ist klar. Es geht doch nicht an, dass die EU uns sagen will, wie wir in den Kantonen und im Bund die Steuern gestalten wollen. Die Souveränität der Staaten ist zu achten! Was kann die Schweiz gegen den Machtblock EU setzen? Die Schweiz ist für die EU in vielerlei Hinsicht wichtig. Man denke nur an die Nord-Süd-Verbindung durch die Alpen, an den Strom und die Stromdrehscheibe Schweiz, an die Personenfreizügigkeit. Wir sind ein wichtiges Exportland für die EU, wir zahlen grosse Beiträge, zum Beispiel die Kohäsionsmilliarde, von denen auch neue EU-Mitglieder wie Bulgarien und Rumänien profitieren wollen. Haben Sie in der Steuerfrage einen Mitbericht verfasst, in dem Sie darauf verweisen, dass die Schweiz allenfalls die Kohäsionsgelder sowie die erweiterte Personenfreizügigkeit in die Waageschale werfen soll? Der Bundesrat hat beschlossen, dass er mit der EU reden, aber nicht verhandeln will, was auch richtig ist. Die Schweiz kann es sich leisten, nicht auf alle Forderungen der EU einzutreten. Jetzt muss die Schweiz Flagge zeigen. Sehen sie eine Möglichkeit, dass man sagt, wir besteuern ausländische und schweizerische Unternehmen gleich? Mein ursprünglicher Antrag für die Unternehmensbesteuerung war: Abschaffung der Unternehmensgewinnsteuern. Die Steuern werden ja bei der Ausschüttung der Dividenden erhoben. Bundesrat und Parlament sind aber andere Wege gegangen. Mit den feindlichen Übernahmen von Sulzer und Co. ist die Diskussion aufgeflammt, ob schon Pakete von unter fünf Prozent gemeldet werden müssen. Offenbar ist es heute zu einfach, heimlich eine beherrschende Beteiligung aufzubauen. Das Problem ist nicht ein zu hoher Schwellenwert. Sondern die Melderegeln werden heute nicht durchgesetzt. Also muss dafür gesorgt werden. Folglich müssten die Sanktionen verschärft werden? Vor allem muss gehandelt werden. Wenn sich dann die heutigen Sanktionsmöglichkeiten als unbrauchbar erweisen, so sind diese zu verschärfen. Diese Frage liegt aber in der Kompetenz der Schweizer Börse, der Eidgenössischen Bankenkommission und des Finanzdepartements. Welche Sanktionen könnten Sie sich vorstellen? Das kann eine happige Busse sein oder noch besser: Die heimlich erworbenen Aktien werden nicht anerkannt, die Transaktionen gelten nicht. Nächste Woche referieren Sie bei einer Veranstaltung am Novartis-Hauptsitz über den Schutz des Patentrechts. Ich fordere die chemische und die pharmazeutische Industrie auf, sich gegen die im Parlament zu beobachtende Tendenz zur Wehr zu setzen, das Patentrecht zu durchlöchern, indem Parallelimporte patentgeschützter Güter zugelassen werden. Das ist unverantwortlich: Nur Entwicklungsländer - wie es die Schweiz im 19. Jahrhundert war - kennen das Prinzip der internationalen Erschöpfung, das es einem Hersteller untersagt, dem ausländischen Abnehmer Auflagen zu machen. Das ist doch ein gutes Mittel gegen die steigenden Medikamentenkosten und Krankenkassenprämien. Kurzfristig hätte dies vielleicht eine geringe preissenkende Wirkung, das ist immer so, wenn Eigentum enteignet und verteilt wird. Es ginge ja um eine Enteignung von geistigem Eigentum. Die Wirtschaft investiert jedoch nicht Milliarden in Forschung und Entwicklung, wenn ihr Eigentum an den patentierten Resultaten ausgehöhlt wird. Die Schweiz liegt mit 9,6 Milliarden Franken privaten Forschungsaufwendungen an der Spitze. Die Hälfte davon investiert allein die Pharmaindustrie. Bezeichnenderweise haben die USA als innovativstes Land der Welt auch den stärksten Patentschutz. …und das teuerste Gesundheitswesen. In den USA sind neue Medikamente teurer, nach kurzer Zeit aber brechen die Preise zusammen, weil sie keine Preisbindung haben und oft neue andere Patentprodukte kommen. Der Wettbewerb schliesst die Möglichkeit aus, hohe Preise zu verlangen. Patente schützen aber vor Nachahmung, aber nicht vor Konkurrenz durch vergleichbare Produkte. Innovationsgewinne während des Patentschutzes sind gewollt. Sie sind die Triebfeder für Forschung und Entwicklung. Der Pharmamarkt ist aber ein verzerrtes Beispiel, weil hier die Preise in Europa staatlich geregelt sind. Für die Schweiz ist aber der Patentschutz für die gesamte Wirtschaft – auch für die innovative Apparate-, Uhren- und Biotech-Industrie – eminent wichtig. Letztlich geht es um den Interessenskonflikt zwischen der innovativen Industrie und dem Zwischenhandel, der möglichst billig Produkte einführen will, um seine Marge zu verbessern. Bei der Revision des Unternehmerrechts wollten Sie die Inhaber-Aktie abschaffen, nach dem Protest der Wirtschaft  sind Sie davon abgekommen Auf internationalem Druck unter dem Stichwort Geldwäscherei wollte der Bundesrat die Inhaber-Aktien abschaffen, die nicht ins Aktienbuch eingetragen werden müssen und darum dem Eigener eine gewisse Anonymität gewähren. Inzwischen haben wir festgestellt, dass Europa gesamthaft nicht vorwärts macht, so dass wir keinen Grund sehen, voranzugehen und die in der Schweiz beliebte Inhaber-Aktie als eines der ersten Länder abzuschaffen. Selbst in zwei US-Bundesstaaten gibt es sie noch. Der Bundesrat hat beschlossen, diese zu belassen. Knatsch gibt es wegen der vorgesehenen Einführung einer einjährigen Amtszeit für Verwaltungsräte. Die Wirtschaftsverbände sind von den Managern der grossen Publikumsgesellschaften geführt. Man hat die Stellungnahmen der Führungsorgane, ob die Generalversammlung über die Festsetzung der Bezüge der Verwaltungsräte entscheiden soll, entsprechend zu gewichten. Heute funktioniert der Schutz des Aktionärs, also des Eigentümers, in grossen Publikumsgesellschaften schlecht. Das ist fast wie im Kommunismus: Die Produktionsmittel gehören allen, alle können bestimmen, das heisst keiner, ausser der Nomenklatura. Mit der einjährigen Wiederwahl des Verwaltungsrats kann das stark pulverisierte Aktionariat verstärkt Einfluss nehmen auf die Salärpolitik, was dem Management nicht passt. Diejenigen, denen die Firma gehört, sollen aber entscheiden können, wie viel aus der Firmenkasse ausbezahlt werden soll. Der Selbstbedienungsmentaliät soll ein Riegel geschoben werden? So ist es. Aber der Generalversammlung zwingend jedes Einzelsalär der Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitglieder vor Beschlussfassung vorzulegen, das würde zu weit gehen. Hingegen sollen die Aktionäre die Mitglieder des Verwaltungsrates, deren Leistung und deren Bezüge beurteilen können und jedes Jahr über das Mandat entscheiden. Findet der Aktionär, dass die offen gelegte Entschädigung im Vergleich zur erbrachten Leistung zu hoch ist, stimmt er gegen die Wiederwahl, und zwar in Einzelwahlgängen. So hat er Einfluss auf die Entschädigungen. Thomas Minder will mit seiner Volksinitiative der GV die Kompetenz geben, die Gesamtvergütungen von Konzernleitung und VR zu bewilligen. Insgesamt ist es ja noch eine gemässigte Initiative. Zu bedenken ist aber, dass auch eine solche Regelung sehr nachteilig sein  kann. Der Konzernchef reisst im Extremfall den Löwenanteil der bewilligten Gesamtvergütungen an sich und speist die anderen mit den Resten ab. Während vier Jahren ist er mit hohen Bezügen und schlechtem Resultat im Amt, ohne die Gesamtentschädigung zu überschreiten. Die Wirtschaftsverbände sind indes alarmiert. Die in einigen Fällen übertriebenen Managervergütungen beschäftigen halt die Bevölkerung. Sie sind zu einem grossen politischen Thema gemacht worden. Die geplante Revision des Aktienrechts ist aber die bessere Lösung als die Abzocker-Initiative. Die Manager müssen einfach bereit sein, vor die Aktionäre hin zu stehen! Soll auch der Konzernchef jährlich bestätigt werden? Für den Verwaltungsratspräsidenten und den allfälligen Verwaltungsratsdelegierten wäre das so. Der Konzernchef allerdings wird nach wie vor vom Verwaltungsrat angestellt. Betroffen wäre er aber, wenn er gleichzeitig VR-Präsident beziehungsweise VR-Delegierter ist. In jedem Fall aber sind seine Bezüge offen zu legen. Bringen Sie die einjährige Amtszeit gegen den Widerstand von Economiesuisse durch? ABB und sechs andere SMI-Grossfirmen haben sie bereits von sich aus eingeführt. Bei ABB kennt man ja die himmeltraurige Vorgeschichte von schlechtem Management und ungerechtfertigt hohen Abgangsentschädigungen. Bald werden Sie in Ihrem Departement alle grossen Baustellen geschlossen haben. Stimmt. Zumindest die wichtigsten Baustellen. Und was kommt dann, eine Departementswechsel? Mal sehen. Das Justiz- und Polizeidepartement haben sie mir gegeben. Nun geht es nicht mehr in erster Linie um neue Gesetze, sondern um die konsequente Anwendung der bestehenden. Sie würden gerne ein neues Departement übernehmen. Ja, das EJPD gibt dann nicht mehr sehr viele Probleme auf. Behalte ich es, dann habe ich noch mehr Zeit für die Gesamtpolitik des Bundesrates. Welches Departement hätten Sie am liebsten? Wo grosse Probleme anstehen, etwa das EDI mit den Sozialwerken. AHV und IV sanieren, das wären die ganz grossen Brocken. Dann gehen Sie in Pension? Wo denken Sie hin! Politische Freunde sagen, ich müsse bleiben, bis ich jedes Departement geführt habe (lacht).

26.05.2007

Klare Schranken für die Sterbehilfe

Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Neuen Zürcher Zeitung vom 26. Mai 2007 26.05.2007, Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Neuen Zürcher Zeitung Seit altersher beschäftigen sich die Menschen mit Fragen des Überganges vom Leben zum Tod und mit der Sterbehilfe. Dass sich die Schüler der Heilkunde mit dem Hippokratischen Eid verpflichteten, keine Tötung auf Verlangen und keine Beihilfe zur Selbsttötung durchzuführen, weist darauf hin, dass bereits in der Antike solche Anfragen an Ärzte gerichtet wurden und manche Ärzte solche Handlungen auch durchführten. In den letzten Jahren hat in der Schweiz insbesondere das Phänomen des so genannten Sterbetourismus die Diskussion um die Sterbehilfe neu entfacht. Der Bundesrat hat in seinem, Ende Mai 2006, veröffentlichten Bericht über Sterbehilfe und Palliativmedizin ausführlich dargelegt, dass das geltende Recht klare Schranken setzt und dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Fragen muss man sich allerdings, ob die Strafvollzugsbehörden in allen Kantonen ihrer Pflicht nachkommen. Ihnen obliegt es nämlich, bei jedem Todesfall abzuklären, ob es mit rechten Dingen zugegangen ist. Am absoluten Tötungsverbot nicht rütteln Der Schutz des menschlichen Lebens gehört zu den vornehmsten und primären Aufgaben des Staates. Bisher haben es sowohl der Bundesrat wie das Parlament entschieden abgelehnt, das unserer Rechtsordnung zugrunde liegende absolute Tötungsverbot zu lockern. Zwar waren die parlamentarischen Vorstösse zur Legalisierung der direkten aktiven Sterbehilfe restriktiv formuliert. Nur in extremen Ausnahmefällen sollten jene von einer Strafe befreit werden, die aus Mitleid einen unheilbar und schwer kranken, vor dem Tode stehenden Menschen, auf sein eindringliches Verlangen hin von einem unerträglichen und menschenunwürdigen Leiden befreien. Dass diese Vorstösse abgelehnt wurden ist auf den breiten Konsens zurückzuführen, dass selbst eine äussert restriktive Strafbefreiung der direkten aktiven Sterbehilfe ein Tabu brechen, Hemmschwellen senken und gefährliche Schleusen zur unfreiwilligen Sterbe-„Hilfe“ öffnen würde. Man erkannte bisher, dass wir die Geister, die wir gerufen haben, nicht mehr loswerden würden. Gesetz oder eigene Verantwortung? Die indirekte aktive und die passive Sterbehilfe dagegen gehören seit langem zum Schweizer Spitalalltag und sind in den standesrechtlichen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften detailliert geregelt. Dennoch fordern parlamentarische Vorstösse, diese unter bestimmten Voraussetzungen straflosen Formen der Sterbehilfe auch ausdrücklich im Strafgesetzbuch zu regeln. Die Befürworter einer Regelung im Strafgesetzbuch sind sich allerdings uneinig, ob eine restriktivere oder liberalere Lösung anzustreben ist, und bezeichnenderweise schweigen sich die Vorstösse über den genauen Inhalt einer solchen Regelung aus. Es wäre zwar durchaus möglich, im Strafgesetzbuch festzulegen, unter welchen allgemeinen Voraussetzungen etwa der Verzicht auf lebenserhaltende Massnahmen (passive Sterbehilfe) oder eine Schmerzbehandlung mit lebensverkürzenden Nebenwirkungen (indirekte aktive Sterbehilfe) straflos sind. Doch eine abstrakte, allgemeingültige Regelung könnte nicht alle möglichen Einzelfälle und heiklen Fragen erfassen und wäre deshalb nicht von praktischem Nutzen. Das Standesrecht auf der Grundlage des absoluten Tötungsverbotes eignet sich viel besser, um komplexe und vielfältige Fallkonstellationen detailliert und konkret zu regeln. Und letztlich muss der Arzt oder die Ärztin in eigener Verantwortung, je nach Gegebenheiten des Einzelfalls, entscheiden, welche Massnahmen unterlassen werden können und welche Therapie unerlässlich oder zulässig ist. Dieser Entscheid kann und darf ihm ein Gesetzesartikel nicht abnehmen, auch wenn dies viele Ärzte fordern. Liberale Regelung der Suizidhilfe Die Bundesverfassung schützt nicht nur das Recht auf Leben, sondern auch das Recht auf persönliche Freiheit. Die individuelle Selbstbestimmung schliesst das Recht ein, auch über die Beendigung des eigenen Lebens frei zu entscheiden und unter Umständen den Freitod zu wählen. Indem der Staat die Beihilfe zum Suizid ohne selbstsüchtige Beweggründe zulässt, hilft er dem Einzelnen in dieser Situation seinen Willen frei zu bilden und danach zu handeln. Gerade diese Straflosigkeit der uneigennützigen Beihilfe zum Suizid erleichtert es, konsequent und ohne Abstriche am absoluten Tötungsverbot festzuhalten. Die liberale Regelung der Suizidhilfe, die seit Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches gilt, ist eine Ausnahme im Vergleich mit den umliegenden Ländern. Aber gerade sie hat zur Entstehung von Suizidhilfeorganisationen geführt und ist eine Hauptursache für das Aufkommen des sog. Sterbetourismus. Die Schweiz ist allerdings kein Sonderfall: In Holland und Belgien ist die Suizidhilfe unter bestimmten Bedingungen ebenfalls legal. Bisher wurde in der Schweiz von keiner Seite eine Revision der geltenden Gesetzesbestimmung gefordert, um diese liberale Regelung aufzuheben. Es besteht vielmehr ein breiter Konsens, dass diese bewährte Regelung, die sowohl das menschliche Leben schützt als auch den Willen der sterbewilligen Person respektiert, nicht angetastet werden soll. Missbräuche bei der Suizidhilfe unterbinden In rund 20% aller Suizidfälle wird heute in der Schweiz der Suizid mit Hilfe einer Suizidhilfeorganisation begangen. In höchstens 7% der Suizidfälle handelt es sich um Personen mit Wohnsitz im Ausland. Auch, wenn man in Anbetracht dessen nicht von einem Boom des Sterbetourismus sprechen kann, sind mit der Zunahme der organisierten Suizidbeihilfe zweifellos Missbrauchsgefahren verbunden, die dazu führen können, dass die Grenze vom legalen zum strafbaren Verhalten überschritten wird. Und selbst wenn keine strafbaren Handlungen begangen werden, zieht namentlich der Sterbetourismus eine Reihe unerwünschter Folgen nach sich: So stellt der Betrieb von Suizidhospizen weit über deren unmittelbare Nachbarschaft hinaus eine Störung und Belastung dar. Ferner drohen die schnelle „Abwicklung“ und andere stossende Begleiterscheinungen des Sterbetourismus dem Ruf der Schweiz zu schaden und er bewirkt einen beträchtlichen Arbeitsaufwand und entsprechende Kosten für die betroffenen Behörden. Mögliche Missbräuche im Rahmen der Suizidhilfe sind durch eine konsequente Anwendung des Straf- und Gesundheitsrechts zu unterbinden, was auch möglich ist. Zuständig dafür sind die Kantone und Gemeinden. Wenn zum Beispiel die Grenzen von der uneigennützigen - und damit straflosen Beihilfe zur Selbsttötung - zur Fremdtötung überschritten werden oder bei der Verschreibung des todbringenden Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital (NAP) der Sterbewunsch nicht sorgfältig und fachkundig abgeklärt wird, sind die Behörden und nicht der Gesetzgeber gefordert. Es ist unerlässlich, dass auch nach jeder Selbsttötung die Strafverfolgungsbehörden sorgfältig und umfassend die Todesart abklären, da bei einem aussergewöhnlichen Todesfall eine strafbare Handlung von Dritten grundsätzlich nie ausgeschlossen werden kann. Diese Behörden haben einen Augenschein vor Ort zu nehmen, Einvernahmen durchzuführen und eine Untersuchung der Leiche durch einen sachverständigen Arzt anzuordnen, um den Sachverhalt abzuklären. Ebenso müssen die Gesundheitsbehörden konsequent gegen Sorgfaltspflichtverletzungen von Ärzten vorgehen und ihnen allenfalls die Bewilligung zur Berufsausübung entziehen. Diese konsequent eingeführte Praxis, die die Handlungsmöglichkeiten konsequent nutzt, verfehlt seine Wirkung nicht. So ist. z.B. der Sterbetourismus im Kanton Aargau dadurch praktisch zusammengebrochen. Die Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten, die das geltende Recht bietet und zu nutzen gebietet, werden jedoch nicht immer voll ausgeschöpft. Ein Aufsichtsgesetz? Statt die Gesetze zu vollziehen, wird in der Öffentlichkeit immer wieder der Erlass eines Bundesgesetzes über die Zulassung und Beaufsichtigung von Suizidhilfeorganisationen gefordert. Doch neue Gesetze schützen nicht vor der Passivität der Behörden, sondern beschönigen diese. Auch die Schaffung eines Aufsichtsgesetzes hat der Bundesrat abgelehnt, denn es bietet keine taugliche und brauchbare Lösung, um Missbräuche zu verhindern. Die Gefahr ist sehr gross, dass dadurch lediglich von der eigentlichen Aufgabe abgewichen wird, die geltenden Gesetze konsequent anzuwenden. Noch schlimmer: Ein Aufsichtsgesetz könnte die verantwortlichen Behörden dazu verleiten, die Fälle nicht mit der notwendigen Konsequenz und Gründlichkeit abzuklären, da sogenannt staatlich qualifizierte und beaufsichtigte Organisationen über jeglichen Zweifel und Verdacht erhaben zu sein scheinen. Statt Fremdtötung zu verhindern, würde ein solches Gesetz diese in der Praxis fördern! Es ist ausserordentlich gefährlich, dass der Staat durch ein Aufsichtsgesetz gleichsam nach aussen diese Organisationen und deren Tätigkeit legitimieren oder ihnen gar ein Gütesiegel verleihen würde. Ob ein Aufsichtsgesetz tatsächlich einen besseren Einblick in die Finanzen einzelner Organisationen ermöglicht, um allfällige selbstsüchtige Beweggründe leichter nachweisen zu können, ist fraglich. Die nicht unentgeltlich tätigen Suizidhilfeorganisationen sind nämlich zur Eintragung ins Handelsregister verpflichtet und können im Unterlassungsfall von Amtes wegen zwangsweise eingetragen werden. Damit sind sie auch verpflichtet, ihre Geschäftsbücher ordnungsgemäss zu führen und aufzubewahren. Im Falle eines Zweifels an der Rechtmässigkeit einer Suizidbegleitung können sich also die Strafverfolgungsbehörden einen Einblick in die Art und den Umfang der Geschäfte verschaffen, was Behörden häufig unterlassen. Kein rechtsfreier Raum Sterbehilfe ereignet sich in der Schweiz nicht in einem rechtsfreien Raum. Die Regeln sind heute in der Bundesverfassung, im Bundesrecht und im kantonalen Recht, in Gemeindebeschlüssen sowie im Standesrecht gegeben. Hinsichtlich der Strafbarkeit der direkten aktiven Sterbehilfe besteht keine Rechtsunsicherheit. Sie ist verboten. Unvermeidliche Grenzzonen (z.B. im Grenzbereich zwischen Schmerztherapie und gezielter Lebensverkürzung) lassen sich nicht durch gesetzliche Regelungen aus der Welt schaffen. Jede Regelung würde dazu führen, dass Töten in Ausnahmefällen grundsätzlich erlaubt wäre. Töten muss aber grundsätzlich verboten bleiben. Erstrebenswert ist hingegen ein Ausbau des Angebots der Palliativmedizin. Denn eine umfassende Unterstützung und Betreuung todkranker Patienten ermöglicht es diesen Menschen, in Würde zu leben und zu sterben. Die Palliativmedizin trägt damit dazu bei, den Sterbewunsch und die Nachfrage nach Suizidhilfe abzuschwächen.

26.05.2007

«Ist die Schweiz spitze?»

Referat von Bundesrat Christoph Blocher am Wirtschaftsforum der SVP St. Gallen, 26. Mai 2007, in Altstätten SG 26.05.2007, Altstätten Altstätten. Am Wirtschaftsforum der SVP St. Gallen warf Bundesrat Christoph Blocher die Frage auf, ob die Schweiz noch zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt gehöre. In der Vergangenheit hätten bürgerliche Tugenden wie Tüchtigkeit, Fleiss und Eigenverantwortung die Schweiz erfolgreich gemacht. Heute könne man nicht mehr eindeutig sagen, dass die Schweiz spitze sei; Ursache dafür sei die Politik der 90er Jahre. Diese habe zur Ausweitung der staatlichen Tätigkeit, zu Verschuldung und Anstieg der Staatsausgaben geführt. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Ist die Schweiz noch spitze? Wenn wir uns fragen, ob die Schweiz spitze ist, also ganz vorne mitspielt bei den Volkswirtschaften, dann schwingt eigentlich bei dieser Frage stets das Wörtchen "noch" mit: Ist die Schweiz noch spitze? Gehört unser Land nach wie vor zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt? Steht die Schweiz noch für Reichtum, für Forschung, Export, niedrige Arbeitslosigkeit, hohe Löhne, Sicherheit, Qualität? Ist die Schweiz also noch spitze? Wir können festhalten: So eindeutig lässt sich diese Frage zunächst nicht beantworten. Ob die Schweiz spitze war, allerdings schon. Was wir ohne Zweifel sagen können: Die Schweiz gehörte bis Anfang der 90er Jahre zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt. Die Schweiz war führend im Pro-Kopf-Einkommen. Die Schweiz nahm einen der ersten Ränge ein in der Produktivität, in der Entwicklung, im Export, im allgemeinen Wohlstandsniveau. In Zeiten der Hochkonjunktur tendierte unsere Arbeitslosigkeit gegen null. Die Schweiz stand für niedrige Steuern und für eine niedrige Staatsquote. Hier drängt sich nun eine weitere Frage auf: Wie erklärt sich dieser Erfolg? Wie konnte ein so kleines Land, arm an Rohstoffen, ländlich geprägt, sich so fulminant entwickeln? Gab es Rezepte, gibt es vielleicht sogar nach wie vor gültige Rezepte für diesen Erfolg? 2. Was machte die Schweiz erfolgreich? Es ist die bürgerliche Schweiz, die unser Land erfolgreich werden liess. Es ist die bürgerliche Mentalität, die unser Land nach vorne brachte. Es ist die bürgerliche Substanz, von der unser Land noch heute zehrt. Was meine ich mit "bürgerlicher Mentalität"? Tüchtigkeit, der absolute Wille zu Qualität und Präzision, Fleiss, Unternehmertum, und Eigenverantwortung, immer wieder Eigenverantwortung. Das Fundament dieser bürgerlichen Schweiz war und ist unsere direktdemokratische, föderalistische Schweiz. Das Fundament dieser bürgerlichen Schweiz ist eine politische Kultur, die der classe politique grundsätzlich misstraut. Denn das Misstrauen hat eine positive Kehrseite. Misstrauen heisst: Ich mache die Sache lieber selber, ich kontrolliere lieber selber, ich schaue lieber selber zum Rechten. Das ist gelebte, praktizierte Eigenverantwortung. Bürgerliche Tugenden sind keine einfachen Tugenden. Denn sie fordern den Einzelnen. Sie verlangen Anstrengung, Selbstüberwindung, Disziplin. Das ist nicht der bequeme Weg. Der bequeme Weg lautet: Bei jedem kleinen Hindernis kapitulieren, sofort nach dem Staat rufen, dauernd Ansprüche stellen – aber immer an die anderen, nie an sich selber. Nur eine Klammerbemerkung. Der Niedergang unseres Bildungswesens hat ganz entscheidend damit zu tun, dass sich die Schulen von diesen bürgerlichen Tugenden verabschiedet haben: Von Fleiss, Anstand, Selbstdisziplin, vom Glück der Anstrengung, von der Leistungsbereitschaft. Stattdessen predigten die Reformpädagogen die 68er-Ideale: antiautoritäre Erziehung, Leistungsfeindlichkeit, Abschaffung von Noten, Lustprinzip statt Selbstdisziplin. 3. Die fatalen 90er Jahre Zusammengefasst kann man sagen: Die Politik der 90er Jahre schädigte die Schweiz enorm. Wir nahmen plötzlich in Bereichen eine "Spitzenstellung" ein, die wir uns nicht wünschen konnten: * Kein anderes Industrieland der Welt hat in den 90er Jahren die staatliche Tätigkeit dermassen ausgeweitet wie die Schweiz. * Die Ausgaben des Bundes wuchsen von 31,6 Mia. Franken (1990) auf 51,4 Mia. Franken (2005). * Die Schulden des Bundes haben sich von 38,5 Mia. Franken (1990) auf 130,3 Mia. Franken (2005) erhöht. Rechnet man die Schulden von Bund, Kantonen und Gemeinden zusammen, ist eine Erhöhung von 97,7 Mia. Franken (1990) auf 246,5 Mia. Franken (2004) festzustellen. * Die Ausgaben des Bundes wuchsen weit schneller als die Volkswirtschaft. Der Staat beansprucht heute fast jeden zweiten Franken, der in der Schweiz verdient wird: Der Durchschnittsbürger unseres Landes arbeitet im Schnitt die ersten 156 Tage – also bis zu den Sommerferien! – ausschliesslich für den Staat * Wir litten an einer massiven, nicht mehr steuerbaren Zuwanderung. Es kamen Leute mit schlechter Ausbildung, die sich kaum integrierten und für viele war es attraktiver, direkt in den Sozialstaat einzuwandern als sich im Arbeitsmarkt zu bewähren. Je mehr die Probleme wuchsen, desto mehr wurden die Probleme totgeschwiegen, verleugnet, klein geredet. Die SVP musste einer solchen Politik entgegen wirken. Wir wurden durch die Politik der 90er Jahre regelrecht in die Opposition getrieben. Wer die bürgerliche Schweiz in dieser Zeit verteidigte, musste zwangsläufig gegen alle anderen Parteien Stellung beziehen. Ganz fundamental zeigte sich das in der Europa-Frage, die letztlich unser Land und die bürgerliche Schweiz spaltete. 4. Aushöhlung der bürgerlichen Schweiz Man hat in den 90er Jahren die Schweiz und ihre Sonderstellung systematisch schlecht geredet. Der Wille zur Selbstbestimmung wurde als "Isolationismus" denunziert. Die Neutralität für "überholt" und "verlogen" abgetan. Den für unseren Zusammenhalt so wichtigen Föderalismus belächelte man als "Kantönligeist". Die bürgerliche Schweiz wurde verspottet und demontiert. Dafür setzte jene politische Seite ihre Konzepte durch, die für mehr Staat in allen Bereichen steht. Die Verschuldung und der Anstieg der Staatsausgaben ist der konkrete Ausdruck dieser Politik. Ein überbordender Sozialstaat war die Folge. Statt auf Erfolg und Leistung zu setzen und sich für jene Menschen einzusetzen, die sich durch Eigenverantwortung auszeichnen, wurde die Politik pervertiert: Im Zentrum standen plötzlich jene, die vom Staat etwas holen, sich von der Allgemeinheit aushalten lassen, die vor allem durch Ansprüche von sich reden machten. Wer diese Missstände anprangerte, wurde mit der Moralkeule mundtot gemacht. Asylmiss-bräuche, Ausländerkriminalität, Scheininvalide, Bildungsverfall, ausufernder Sozialstaat durften nicht beim Namen genannt werden. Wer sich davon nicht abschrecken liess, wurde umgehend moralistisch abgeurteilt: Fremdenfeind! Sozialabbauer! Populist! Ewiggestriger! Wir haben uns von diesem falschen Moralismus nicht beeindrucken lassen. 5. Wo steht die Schweiz heute? Heute gibt die Schweiz ein sehr unterschiedliches Bild ab. Man könnte es zusammengefasst so beschreiben: Die Wirtschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht, die Politik weniger. Die Schweiz hat sich im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit verbessern können und steht heute auf dem sechsten Rang weltweit. Jedes Jahr verlegen Hunderte Firmen ihren Sitz in die Schweiz. Die Schweiz gilt als zweitattraktivstes Land für ausländische Arbeitnehmer. Jahr für Jahr strömen Tausende EU-Bürgerinnen und Bürger in die Schweiz und auch die Zahl der Grenzgänger hat stark zugenommen. Was sagen uns diese Fakten? Erstens, die Schweiz konnte ihre Attraktivität behaupten, weil sie sich für einen Weg ausserhalb der EU entschieden hat. Wir sind weltoffen, europafreundlich – aber wir lassen uns nicht institutionell einbinden, wir lassen unsere Selbstbestimmung nicht beschneiden. Das ermöglicht uns eine Politik, die auf unsere Stärken ausgerichtet ist. Zweitens, es ist die robuste (Aussen-) Wirtschaft, die diese Anziehungskraft ausübt. Nehmen wir die Steuern und die Staatsquote. In den 90er Jahren wurden die staatlichen Tätigkeiten und damit die Ausgaben enorm nach oben geschraubt. In keinem anderen Industrieland ist die Staatsquote – also die Ausgaben des Staates bezüglich der gesamten Wirtschaftsleistung – so stark angestiegen wie in der Schweiz. Immerhin konnten wir jetzt dank Entlastungsprogrammen eine Stabilisierung erreichen. Der Kostentreiber Nummer eins ist und bleibt jedoch der überbordende Sozialstaat – auch eine der unseligen Erbschaften der 90er Jahre. Schauen wir noch den Arbeitsmarkt an. Eine unserer Stärken ist ein wenig regulierter Arbeitsmarkt und die Bereitschaft mehr zu arbeiten als die anderen. Auch diese Stärken sind unter Druck gekommen. Die Gewerkschaften versuchen Mindestlöhne, Kündigungsschutz, niedrige Arbeitszeiten, "flankierende Massnahmen", Frühpensionierungen auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung durchzudrücken – alles Rezepte, die in den wirtschaftlichen Niedergang führen, wie unsere Nachbarländer Frankreich und Deutschland drastisch aufzeigen. Hier gilt es entschieden entgegen zu wirken. Dass im Bildungswesen etwas faul ist, zeigt die mittelmässige Rangierung der Schweiz in der PISA-Studie trotz der weltweit höchsten Bildungsausgaben. Der Mangel an Ingenieuren, Naturwissenschaftern und Mathematikern muss uns zu denken geben. Auch hier haben wir es mit einem Ausfluss dieser technologie- und leistungsfeindlichen "Reformpädagogik" zu tun. 6. Die bürgerliche Wende fortsetzen Doch wir sehen auch Anzeichen der Besserung. Die 2003 eingeleitete bürgerliche Wende muss mit den Wahlen 2007 gestärkt und fortgesetzt werden. Dafür braucht es eine starke SVP. Wo sehen wir Verbesserungen? Der Bundesrat hat sich vom EU-Beitritt als "strategischem Ziel" verabschiedet. Der Bundesrat sagt noch nicht, der EU-Beitritt ist vom Tisch. Aber es ist immerhin eine Verbesserung. Der Bundesrat hat 2006 zum ersten Mal wieder seit 1990 ein ausgeglichenes Budget vorlegen können. Das ist eine Folge der Entlastungs- und Kostensenkungsprogramme. Wir korrigieren mühsam die Verfehlungen der 90er Jahre. Ich konnte in meinem Departement aufzeigen, dass substanzielle Einsparungen im öffentlichen Bereich möglich sind, ohne dass deswegen irgendwelche Leistungen wegfielen. Wir konnten die Kosten im Justizdepartement gegenüber dem Budget vor meiner Departementsübernahme um rund 230 Millionen Franken jährlich senken. Wir können in diesem Land endlich wieder von Missbräuchen sprechen. Sei es in der IV, sei es im Asylwesen oder im Sozialbereich. Selbstverständlich wird nach wie vor versucht, bitter nötige Debatten zu unterdrücken. Ich nenne nur die Bereiche Ausländerkriminalität, Gewalt von Jugendlichen aus dem Balkan oder die Zustände an Schweizer Schulen. Aber wir sind daran, auch diese falschen Tabus aufzubrechen. Was aber fatal wäre, wenn wir auf halbem Weg stehen blieben. Wir müssen unsere Politik fortsetzen. Wir dürfen nicht zurückfallen in die 90er Jahre, wo Verschuldung, und Verschleuderung die Politik bestimmten, wo Probleme und Missstände systematisch unter den Teppich gekehrt wurden. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern aufzeigen, welche Politik wir wollen. Dass wir für diese Schweiz einstehen. Dass wir diesen Auftrag weiter erfüllen müssen. Dazu braucht es eine starke SVP. Wir können eine Politik machen, die massgeschneidert ist für einen neutralen, föderalistischen Kleinstaat mit einer stark exportorientierten Wirtschaft. Vor allem aber müssen wir wieder jene bürgerlichen Tugenden in den Vordergrund rücken, die uns Wohlstand und Erfolg brachten: Fleiss, Tüchtigkeit, Leistung und Eigenverantwortung, immer wieder Eigenverantwortung. Das ist ein mühsamer, aber letztlich lohnender Weg.

11.05.2007

Führen die bilateralen Verträge in die EU?

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Informationsveranstaltung "Gradmesser" der SVP Kanton Schwyz, 11. Mai 2007, in Küssnacht/SZ 11.05.2007, Küssnacht Küssnacht. An der Informationsveranstaltung "Gradmesser" der SVP Kanton Schwyz warf Bundesrat Christoph Blocher den EU-Befürwortern vor, mit bilateralen Verträgen nicht die Unabhängigkeit der Schweiz wahren, sondern den späteren EU-Beitritt herbeiführen zu wollen. Er kritisierte, dass zu diesem Zweck schweizerische Vorzüge wie direkte Demokratie, Föderalismus, Neutralität und niedrige Steuersätze von den EU-Befürwortern als "Beitrittshürden" verunglimpft würden. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Die Handlungsfreiheit bewahren Führen die bilateralen Verträge in die EU? In der seit dem 2. Weltkrieg wichtigsten Volksabstimmung, in welcher über die Frage, ob die Schweiz dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten sollte oder nicht, zu entscheiden war (6. Dezember 1992), betonten die EU-Befürworter, einen bilateralen Weg gebe es nicht mehr. Die EU-Gegner bestritten diese Behauptung und forderten, gegenseitige Probleme seien bilateral zu regeln, wie dies die Schweiz seit 700 Jahren getan habe! Nichtsdestotrotz hielten die Regierung, das Parlament, die offizielle Wirtschaft, Universitätsprofessoren und Medienleute - kurz alles, was so genannten Rang und Namen hatte - daran fest: der bilaterale Weg sei vorbei. Künftig werde nur noch multilateral verhandelt und darum müsste man eben in ein multinationales Gebilde gehen, wie die EU eines ist. Doch heute ist die Sache anders. Plötzlich wird von den gleichen Leuten, die den bilateralen Weg für unmöglich erklärt hatten, dieser Weg gelobt und als gleichsam neuen Weg gepriesen. Warum dann aber die besorgte Frage: Führen die bilateralen Verträge in die EU? Denn bilateral heisst doch: Zwei souveräne Staaten regeln in einem Vertrag einen bestimmten Sachverhalt und basta. So wie beispielsweise der Vermieter einer Wohnung mit dem künftigen Mieter einen Vertrag abschliesst. Das Beispiel mit dem Vermieter/Mieter trifft die entscheidende Frage: Haben wir es mit zwei gleichwertigen Vertragspartnern zu tun, die zum Vorteil beider eine Vereinbarung treffen? Oder unterstellt sich eine Partei einer anderen, indem sie ihre Souveränität teilweise oder ganz aufgibt? Oder in Bezug auf die bilateralen Verträge mit der EU gefragt: Führen die bilateralen Verträge in die EU? Es ist nicht zu verhehlen, dass EU-Befürworter mit bilateralen Verträgen nicht die Unabhängigkeit der Schweiz wahren wollen, sondern gerade das Gegenteil, nämlich den späteren EU-Beitritt herbeiführen wollen. Ihre versteckte Absicht ist, die Schweiz schrittweise der EU anzupassen, sodass man am Ende sagen könnte: Seht doch, hier sind nur noch ein paar kleine, unwichtige Unterschiede zu bereinigen, einige Anpassungen vorzunehmen und dann ist die Schweiz bereit, in der Europäischen Union aufzugehen. Darum, meine Damen und Herren, gilt es misstrauisch zu sein. Darum sind wir verpflichtet, jeden Vertrag auf diesen alles entscheidenden Punkt zu untersuchen: Verlieren wir durch dieses Abkommen unsere politische Handlungsfreiheit? Lassen wir uns institutionell einbinden? Wird mit dem bilateralen Vertrag allenfalls erreicht, dass wir morgen in Dingen, die wir heute noch gar nicht sehen, das freie Handeln ausgeschlossen wird. 2. Die positive Kultur des Misstrauens Misstrauen ist angesagt. Ich halte das Misstrauen für eine bürgerliche Tugend. Misstrauen Sie der Politik – ich schliesse den Bundesrat und mich mit ein. Vertrauen muss man erkämpfen, bezeugen und beweisen. Vertrauen soll nicht leichtfertig geschenkt werden. Wenn ich einem Ausländer die schweizerische Staatsform schildere, dann sage ich oft – zwar etwas pointiert, aber durchaus ernst gemeint: "Die Schweiz ist die Staatsform des Misstrauens!" Die Bürger trauen dem Staat, der Regierung, den Politikern wenig über den Weg. Darum wählen sie zwar, aber achten gleichzeitig darauf, dass sie dem Gewählten ja nicht zu viel Macht und zu viele Kompetenzen geben. Die Bürger schränken umgehend die Befugnisse der Politik wieder ein. Über mehr oder weniger wichtige Dinge wollen sie selbst entscheiden – an der Urne – auf jeder Ebene, in der Gemeinde, den Kantonen und im Bund. Etwas vereinfacht gesagt: In der Schweiz ist das Volk auch die Opposition. Die Demokratie beinhaltet nicht nur die Möglichkeit zu wählen, sondern auch die Möglichkeit, vor allem Nein zu sagen! 3. Die EWR-Abstimmung war das Nein zum EU-Beitritt Und Misstrauen ist angebracht. Die Politik wollte 1992 den EWR als eine Art wirtschaftlicher Mietvertrag schmackhaft machen. Dabei wäre er die Vorstufe gewesen für einen Vollbeitritt. Darum war diese Abstimmung vom 6. Dezember 1992 eine Schicksalsabstimmung. Die Befürworter machten vor allem ökonomische Gründe geltend. Die Wirtschaftsverbände warnten vereint mit der Classe politique, den Massenmedien, Gewerkschaften und Hochschullehrern eindringlich vor einem Nein zum EWR-Vertrag. Unser Land würde nicht mehr konkurrenzfähig sein, war der Grundtenor der offiziellen Schweiz. "Ohne EWR kann die Schweiz nicht überleben", tönte es beispielsweise aus Luzern. Wie die meisten Propheten wurde auch dieser Prophet durch die Zukunft widerlegt. Wenn die Schweiz Nein sage zum EWR, werde später eine völlig verarmte Schweiz die EU auf den Knien bitten, ihr beitreten zu dürfen. Vierzehn Jahre Abstand ermöglichen eine nüchterne Bestandesaufnahme der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung: Die apokalyptischen Voraussagen über eine Schweiz ohne EWR haben sich als gigantische Fehlprognosen erwiesen. Die Schweiz hat ohne EWR mehr als überlebt. Sogar sehr gut überlebt! Die Schweiz konnte ihren Wohlstand gerade ausserhalb von EWR und EU behaupten. Die Schweiz ist gerade von EU-Bürgern zum bevorzugten Wohn- und Arbeitsplatz geworden. Offenbar sehnen sie sich nach der freien, neutralen und unabhängigen Schweiz. Kürzlich hat eine Studie des WEF ergeben: Die Schweiz ist das wettbewerbsfähigste Land der Welt. Dank EWR-Nein. Jedes Jahr verlegen Hunderte Firmen ihren Sitz in die Schweiz. Weil wir nicht Mitglied der EU sind. 4. Salami und Rosinen Es ist schon so: Die EU-Befürworter instrumentalisierten die bilateralen Verträge, um den späteren EU-Beitritt vorzubereiten. Ich erinnere an den früheren FDP-Parteipräsidenten Franz Steinegger. Im Zusammenhang mit den ersten bilateralen Verträgen 1998 fragte ihn die Sonntagszeitung: "Sie bleiben bei der Salamitaktik: Rädchen um Rädchen, Schritt für Schritt in die EU?" Steineggers Antwort: "Ganz klar. In der direkten Demokratie sind konkrete Schritte der einzige Weg, um weiter zu kommen." (SonntagsZeitung, 25.10. 1998) Es ist für jeden nachvollziehbar, dass unter solchen Voraussetzungen keine optimalen Verhandlungsergebnisse erzielt werden können. Wenn wir die Verkehrsabkommen anschauen (ich nenne nur Lastwagenverkehr und Verlagerung auf die Schiene), sind die Resultate tatsächlich keineswegs berauschend. Jetzt bauen wir eine Neat für gut 24 Milliarden Franken. Nicht für uns. Für die EU. Für die EU-Lastwagen. Der Bundesrat verkündete damals stolz: "Jetzt haben wir den Ruf einer Nation von Rosinenpickern und Abschottern abgelegt." Es ist schon interessant, wenn wir die Wortwahl der Regierung von damals genauer betrachten: Die eigene Regierung bezeichnete damals die Wahrung von Landesinteressen als "Rosinenpickerei". Und die eigene Regierung bezeichnete damals den Willen zur Selbstbestimmung als "Abschottung". Sie sehen, man machte damals die EU-Debatte plötzlich zur moralischen Frage: Bin ich für den EU-Beitritt, dann bin ich ein guter, weltoffener, solidarischer Mensch. Wenn nicht, lautete das Verdikt: Ewiggestriger, Isolationist, Egoist. Aber Moralismus hat in der Politik nichts verloren. Was zählt, sind die Fakten, die Ergebnisse, die Wirklichkeit. Und die Fakten zeigen: Es wird für die Schweiz noch wichtiger werden, dass sie nicht der EU angehört, je mehr sich die EU in Richtung Bürokratie und Zentralismus bewegt. Die Unabhängigkeit, die Eigenschaft, dass die Bürger über die Zukunft ihres Landes selbst bestimmen, ist der entscheidende Wert eines Landes! 5. Jahrelanges Verunglimpfen der Schweiz und ihrer Werte Die Bevölkerung kann nicht genug aufgeklärt und gewarnt werden: Dass die Regierung das eigene Volk als "Rosinenpicker" hinstellte, passte in die allgemeine Verunglimpfungsstimmung der 90er Jahre. Gerade die so genannten "Eliten" liessen keine Gelegenheit aus, die Schweiz schlecht zu machen. Anpasserische Historiker negierten die Leistungen der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und stellten sie quasi als Verbrecherstaat hin. Dabei bewahrte unser Bundesrat das Land und die Menschen vor dem Krieg. Das war die grosse historische Tat unserer Vorfahren. Wir müssen die Ergebnisse betrachten. Dass in einer Situation auch Fehler gemacht werden, ist jedem rechtschaffenen Menschen klar. Der Moralist ist zwar fehlerfrei, aber für andere etwas Gutes erreichen, dadurch zeichnet er sich nicht aus. Nur der Moralist lebt – und nur er – fehlerfrei. In einer Extremsituation wie der Krieg eine ist, können Fehler nicht überraschen. Trotzdem nahm die Schweiz im Verhältnis mehr Flüchtlinge auf als jedes andere Land und die Schweiz blieb trotz aller totalitären Versuchungen demokratisch und freiheitlich. Ich kann abschliessend nur eines festhalten: Glücklicherweise hat sich die Bevölkerung von diesen Historiker-Kommissionen und Berichten nicht allzu sehr beeindrucken lassen. 6. Aktive statt immerwährende Neutralität? Andere erklärten die schweizerische Neutralitätspolitik auf einmal für fragwürdig und überholt. Ich kann mich gut an die vorherrschende Naivität erinnern, mit der das Ende des Kommunismus gedeutet wurde: Nun sei das Zeitalter des Friedens angebrochen. Kein Krieg mehr in Europa. Doch die Wirklichkeit kehrte brutal zurück: Ex-Jugoslawien brach unter Gewalt auseinander und der Terrorismus zeigte, dass die Neutralität für einen Kleinstaat immer noch die beste aussenpolitische Maxime darstellt. Grundwerte des Staates gelten zu allen Zeiten. - Nicht umsonst hat die Schweiz eine immerwährende Neutralität. Ist es ein Zufall, dass das Adjektiv immerwährend von den EU-Befürwortern durch "aktiv" ersetzt wird? 7. "Kantönligeist" oder Föderalismus? Im Weiteren wurde der Föderalismus zum "Kantönligeist" hinuntergeredet. Es wurden nationale Lösungen propagiert. Einheitliche Gesetze sollten es bringen. Harmonisierung hiess die hübsche Wortverpackung. Aber Harmonisierung heisst doch in erster Linie Einheitsbrei, heisst Nivellierung – und zwar zum Schlechteren. Wenn die Linken eine Steuerharmonisierung fordern, dann dürfen wir uns schon auf harmonisierte, also auf einheitliche Steuern freuen. Konkret bedeutet das aber: Einheitlich höhere Steuern für alle. Doch es bessert im Land. Die ständigen moralistischen Selbstanklagen verfangen nicht mehr. Man darf heute wieder stolz sein auf die Schweiz. Das ist ein Verdienst unserer Partei. Wir stehen zur Schweiz, auch wenn es nicht gerade in Mode ist. Das zeichnet die SVP aus: Dass sie sich zu ihren Grundsätzen bekennt. Vor allem zum Grundsatz einer souveränen, freien, demokratischen Schweiz. 8. Vorzüge werden zu "Beitrittshürden" Ich habe schon betont, wie wichtig es ist, die Sprache der EU-Befürworter zu entlarven. Plötzlich tauchte in der Europa-Debatte der Satz auf, wir müssten "Beitrittshürden abbauen". Ein interessanter Begriff. Hürden sind ja nichts Angenehmes. Unnötige Hindernisse. Da sind wir doch alle dafür, solche lästigen Hindernisse wegzuräumen. Aber wenn wir genauer hinschauen, sind das, was uns hier als "Hürden" vorgesetzt wurde, Stärken, Vorteile, Vorzüge der Schweiz. 9. Niedrige Steuern als Beitrittshürden Unsere niedrigen Steuersätze sollen eine "Hürde" nach Europa sein? Dann wünsche ich mir noch viel mehr solcher Hürden. Wir haben 7,6 Prozent Mehrwertsteuern. In der EU müssen es mindestens 15 Prozent sein. Das käme einer Verdoppelung gleich. Das sind rund 23 Milliarden mehr Steuern auf einen Schlag. Sie können selber ausrechnen, was das für jeden Bürger heisst. Darum ist der Druck stark, die Mehrwertsteuern dauernd anzuheben. Für die AHV, für die IV, für die Finanzierung der Krankenkasse oder was gerade angesagt ist. Man will "Beitrittshürden" abbauen, indem man die Bürger mit höheren Abgaben belastet. Dazu ist Nein zu sagen: Nein danke! 10. Direkte Demokratie als Beitrittshürde Auch unsere direkte Demokratie, unsere weltweit einzigartigen Volksrechte sollen ein "Hindernis" für den EU-Beitritt sein? Ja. Glücklicherweise. Ein EU-Beitritt ist unvereinbar mit unserer direkten Demokratie. In der EU hat unser Volk nichts mehr zu sagen. Aber es braucht schon eine verschrobene Phantasie, die Demokratie als Hindernis und die Brüsseler Bevormundung als Vorteil hinzustellen. Natürlich wissen unsere "Eliten", dass es letztlich die direkte Demokratie war, die unsere Unabhängigkeit gesichert hat und weiter sichert. Wäre es nach dem Willen des früheren Bundesrates, des Parlaments und der anderen Parteien gegangen, wären wir heute in der EU. Aber wie bereits gesagt: Bei uns hat das Volk das letzte Wort und kann Nein sagen. Dieses fundamentale Recht dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Auch dafür steht die SVP! 11. EU-Beitritt als Mittel gegen das Bankkundengeheimnis Noch ein weiterer Vorteil sollte beseitigt werden. So wird unser Bankgeheimnis systematisch madig gemacht. Dass andere Finanzmärkte, wie etwa London, aus Eigeninteresse das schweizerische Bankgeheimnis bekämpfen, kann man verstehen, ja sogar als Auszeichnung werten. Aber dass es massgebliche Kräfte im eigenen Land gibt, die unsere Vorteile hintertreiben, ist schon erstaunlich bis widerlich. Als Unternehmer habe ich eines gelernt: Wer Erfolg haben will, muss sich auf seine Stärken besinnen und diese ausbauen - und nicht preisgeben. Nur: Wer bedingungslos in die EU will, denkt und handelt selbstverständlich anders. Es pilgerten sogar SP-Vertreter nach Brüssel, um gegen unsere Steuergesetze, um gegen die kantonale Steuerhoheit zu lobbyieren. Man muss sich das vorstellen: Vertreter einer Regierungspartei reisen ins Ausland, um gezielt gegen die Interessen des eigenen Landes vorzugehen! 12. Was ist "fair" und was ist "nicht fair"? Der Druck von Seiten der EU und von einzelnen EU-Staaten blieb nicht aus. Wenig über-raschend ist allerdings, dass es vor allem diejenigen Länder sind, die unser Steuersystem kritisieren, die selber über hohe Steuern verfügen. Ich nenne Frankreich und Deutschland. Der deutsche Finanzminister hält unsere Besteuerung von Firmengesellschaften laut eigenem Bekunden sogar für "unfair". Nun gut. In der Wirtschaft können Sie schon hingehen und sich über die besseren Konkurrenten beklagen. Aber Sie überzeugen damit weder die Aktionäre noch die Kunden. Sie müssen sich anstrengen, sie müssen sich bewegen oder der Markt straft sie ab. So lauten die Gesetze. Die Politik redet zwar ständig von Wettbewerb, aber sich selber möchte sie lieber davon ausnehmen. Die Schweiz steht im Wettbewerb, auch Deutschland, Frankreich, jeder Staat. Die Slowakei, Irland und Malta locken mit den niedrigsten Unternehmenssteuern in Europa. Ist das nun "unfair"? Nein. Höchstens mühsam. Neuerdings reiht sich auch der Kanton Obwalden zusammen mit Zug in dieser Gruppe ein. Obwalden hat den Ball aufgenommen und sich dem Steuerwettbewerb gestellt. Und zwar legitimiert durch einen überwältigenden Volksentscheid! Das wissen die wenigsten europäischen Finanzminister: Bei uns bestimmen die Bürgerinnen und Bürger die Höhe ihrer Steuern. Was also von aussen als "nicht fair" wahrgenommen wurde, ist höchst fair in seiner Entstehung. Oder ist ein demokratischer Akt neuerdings "unfair"? Der Kanton Schwyz ist doch ein leuchtendes Beispiel, dass niedrige Steuern letztlich zu mehr Wohlstand für alle führen. Unsere kantonale Steuerhoheit oder eben der Steuerföderalismus und der damit verbundene Wettbewerb ist die einzige Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass sich auch die Politik und die Verwaltung anstrengen müssen, um mit möglichst wenig Mitteln möglichst gute Leistungen zu erbringen. Das ist mühsam, ich weiss. Das ist anstrengend, ich weiss. Man kann Anstrengung für "unfair" halten – nur ist das bloss eine Ausrede, um sich vor den eigenen Aufgaben zu drücken. 13. Dran bleiben! In den 90er Jahren haben wir nichts gehört von der EU in Steuerfragen. Da hat kein EU-Botschafter den Zeigefinger erhoben und unseren Steuerwettbewerb für schädlich bezeichnet. Da kam keine Kritik aus den Nachbarstaaten, keine Erpressungsversuche oder Einschüchterungen seitens ausländischer EU-Politiker. Warum auch? In den dekadenten 90er Jahren pfiff die Schweiz auf ihre Stärken und kopierte die Fehler anderer Länder, vor allem auch jener EU-Staaten, die uns heute kritisieren. Auch in der Schweiz wurden die Steuern kräftig erhöht. Auch in der Schweiz wuchsen die Ausgaben des Staates ungebremst. Auch in der Schweiz gehörten Milliardenschulden zur Tagesordnung. Die Ausgaben des Bundes wuchsen von 31,6 Mia. Franken (1990) auf 51,4 Mia. Franken (2005). Die Schulden des Bundes haben sich von 38,5 Mia. Franken (1990) auf 130,3 Mia. Franken (2005) erhöht. Die SVP hat damals Nein gesagt zu dieser Entwicklung. Wir konnten und wollten diese Politik nicht mittragen und gerieten notwendigerweise in die Opposition. 14. Was bringt die verstärkte Regierungsbeteiligung? Heute können wir unsere Politik verstärkt in der Regierung selbst einbringen. Und es zeigen sich erste Resultate: Der Bundesrat hat sich vom EU-Beitritt als "strategischem Ziel" verabschiedet. Der Bundesrat sagt noch nicht, der EU-Beitritt ist vom Tisch. Aber das Ziel ist gewichen. Wenigstens ein halber Erfolg. Konsequent wäre: Der Bundesrat setzt sich für die Unabhängigkeit der Schweiz ein - so wie es die Bundesverfassung verlangt. Was die bilateralen Verträge anbelangt, hat der Bundesrat beschlossen, dass diese die künftige Handlungsfreiheit des Landes nicht einschränken dürfen! Das ist ausserordentlich bedeutsam! Es bessert sich.

03.05.2007

Die Bedeutung von KMU in Randgebieten

Referat von Bundesrat Christoph Blocher am Wirtschaftsforum der Sarganserländischen Industrie- und Gewerbeausstellung, 3. Mai 2007, in Mels Bern. Bundesrat Christoph Blocher erörterte in seinem Referat am Wirtschaftsforum der Sarganserländischen Industrie- und Gewerbeausstellung in Mels die Rolle der KMU in der Schweiz und hielt fest, dass diese kleinen und mittleren Betriebe der wichtigste Bestandteil des Wirtschaftsstandortes Schweiz sind. Darum plädierte er im Anschluss für eine KMU-freundliche Politik, welche mit wenigen Gesetzen und tiefen Steuern die Unternehmen entlasten soll. 03.05.2007, Bern Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Über die Bedeutung von „Randgebieten“ Eine Industrie- und Gewerbeausstellung ist immer eine stolze Leistungsschau der lokalen Wirtschaft. In diesem Jahr sollen sich über 300 Betriebe aus dem Sarganserland angemeldet haben. Das wäre ein Rekord. Sie haben mich gebeten, über „die Bedeutung der KMU in Randgebieten“ zu sprechen. Wenn wir diese Ausstellung abschreiten, erübrigt sich eigentlich eine Antwort: Die Bedeutung der kleineren und mittleren Unternehmen für die Schweizer Wirtschaft ist unbestritten. Das gilt natürlich auch für die Region Sargans, die in diesem Referatstitel etwas despektierlich als „Randgebiet“ bezeichnet wird. Diese Einschätzung hängt jedoch immer davon ab, wo man steht: Für einen Sarganserländer ist das Sarganserland der Mittelpunkt, und Zürich würde zum „Randgebiet“. Ich habe aber auch ein persönliches Interesse, dass das Sarganserland kein Randgebiet ist. Sie wissen ja, dass ich auch ein Leben vor dem Bundesrat hatte – ich führte ein Unternehmen, die EMS Chemie. Ich kann da nur sagen, wenn Sargans ein Randgebiet ist, dann liegt Domat/Ems, der Hauptsitz meines früheren Unternehmens, am Ende der Welt. Ich habe übrigens die Lage nie als Nachteil empfunden. Denn wer nur die Nachteile sieht, erntet auch nur Nachteile. Ich weiss von verschiedenen Gewerbetreibenden, dass sie in den ländlichen Gebieten vor allem die Fähigkeiten der Arbeitnehmer schätzen: Ihren Fleiss, ihr Qualitätsbewusstsein, ihre handwerkliche Begabung. Das war für uns in Domat/Ems genauso. Wir können also festhalten: Die Bedeutung der KMU gilt für die ganze Schweiz. Das verdeutlichen auch folgende Zahlen: * 99,7 Prozent aller Betriebe in der Schweiz sind kleine und mittlere Unternehmen. * Rund zwei Drittel aller Beschäftigten arbeiten gesamtschweizerisch in KMU-Betrieben. In der Region Sargans werden es noch wesentlich mehr sein. * Die KMU sind der wichtigste Berufsausbildner für junge Menschen. Ich komme noch darauf zu sprechen. * Die KMU bilden den heimischen Mittelstand und sind also auch jene Gruppe, die das Steuersubstrat wesentlich erbringt. Oder anders gesagt: Es sind gerade die Leistungsträger aus dem Mittelstand, die vom Staat besonders gemolken werden. 2. Das Märchen von der KMU-freundlichen Politik Wenn wir uns diese Fakten vor Augen halten, dann müsste eigentlich jedem in der Politik klar sein: Die KMU bilden das Rückgrat der Schweizer Volkswirtschaft. Die KMU und ihre Angestellten machen den Schweizer Mittelstand aus. Wir tun also gut daran, die Bedingungen für die KMU optimal zu gestalten. Nun wird Ihnen jeder Politiker diese Sätze unterschreiben. Interessant wird es erst dann, wenn die Sache konkret wird. Alle Politiker fordern im Grundsatz weniger Bürokratie – und die Realität? Jede Gesetzesrevision läuft in der Regel darauf hinaus, dass das neue Gesetz mindestens dreissig Prozent umfangreicher als das bisherige wird. Also forsten die gleichen Politiker, die den Papierkram sonst wortreich beklagen, den Bürokratiedschungel ungerührt auf. Mit entsprechenden Folgen: Jedes der über 300'000 Schweizer KMU ist heute durchschnittlich während 650 Stunden pro Jahr (1986: noch 370 Stunden) einzig und allein mit der Erledigung des staatlich verordneten Papierkriegs beschäftigt. Der staatlich bedingte Administrativaufwand (Umweltschutz, Statistiken, Sozialversicherungen, Lehrlinge, Militär, ausländische Arbeitskräfte, betriebsbezogene Auflagen, handelsrechtliche Auflagen, direkte Steuern, MWSt-Abrechnung usw.) verursacht Kosten in der Höhe von 7 Milliarden Franken jährlich. Auf einen KMU-Betrieb heruntergerechnet sind das gut 20'000 Franken im Jahr. Hunderte Stunden unproduktiver Arbeit, die in den Kleinstbetrieben meist der Chef selbst erledigen muss. Eine Abnahme dieses Aufwandes ist nicht abzusehen – im Gegenteil. Jedes Jahr kommen neue Gesetze und akribisch detaillierte Verordnungen und Vorschriften der Ämter hinzu. Seit den neunziger Jahren läuft die Gesetzesmaschinerie so richtig auf Hochtouren: 3400 Seiten im Jahresdurchschnitt. Jüngstes Beispiel dieser ungebremsten Entwicklung ist der neue Lohnausweis, der gerade in der KMU-Wirtschaft weitere hohe Kosten verursacht und noch mehr Zeit für Papierkrieg in Anspruch nimmt. Sie sehen: Es besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen den Absichten und den Ergebnissen in der Politik. 3. Gute Lösungen sind einfache Lösungen Ein ähnliches Bild zeigt sich auch, wenn es um die Forderung nach mehr Wirtschaftswachstum geht. Wachstum heisst mehr Wohlstand, heisst gesicherte Sozialwerke, heisst weniger Arbeitslosigkeit, heisst neue Ausbildungsplätze für junge Menschen. Auch in dieser Frage hören sie von Politikern aller Parteien nur Zustimmung. Aber wie sorgen wir für mehr Wachstum? Durch eine geschickte Steuerpolitik. Während die Linke auf staatliche Wirtschaftsprogramme setzt (dass mit diesem Prinzip der ganze Osten Europas Bankrott ging, interessiert offenbar keinen mehr) setzt bürgerliche Politik auf das private Unternehmertum. Und je weniger die KMU mit Steuern und anderen Auflagen behindert werden, desto mehr Mittel haben sie zur Verfügung, um zu investieren, um zu entwickeln, um schliesslich mehr Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen. Das klingt alles so furchtbar einfach, finden Sie? Meine jahrzehntelange Arbeit in der Politik und der Wirtschaft haben mich eines gelehrt: Gute Lösungen sind immer einfache Lösungen. Sie wollen Beweise? Nehmen wir als Beispiel ein anderes sog. „Randgebiet“ der Schweiz, den Kanton Obwalden. (Nur eine kleine „Randbemerkung“: Die wichtigen wirtschaftpolitischen Impulse kommen heute aus den „Randgebieten“ der Schweiz, aus den kleinen Kantonen der Ost- und Zentralschweiz). Obwalden gehörte jahrelang zu jenen Kantonen mit extrem hohen Steuersätzen. Trotzdem reichte das Geld hinten und vorne nicht aus, worauf der Steuersatz jeweils wieder erhöht wurde. Mit dem gleichen Ergebnis und ohne Erfolg auf Besserung. Nun hat Obwalden vor zwei Jahren einen radikal anderen Weg begangen und die Steuern massiv gesenkt. Heute gehört der Kanton zu den Top-Fünf-Adressen in ganz Europa, was die Unternehmenssteuern betrifft! Obwalden hat die Regierung verkleinert, die Ämter reduziert, die Ausgaben eingefroren, die Schulden abgebaut. Einfach so? Aus Plausch? Aus Neugier? Nein. Weil es der richtige Weg ist, den schon andere Kantone beschritten haben (etwa Zug, Nidwalden, Appenzell). Aber auch, weil ihnen eine Partei im Nacken sass, die diesen Richtungswechsel konsequent einforderte. Eine Partei, die mit Erfolg eine Verkleinerung der Regierung per Volksinitiative durchsetzte. Meine Bescheidenheit und mein Amt als Bundesrat verbieten mir jetzt, den Namen dieser Partei zu nennen, sonst würde man mir Wahlkampf vorwerfen. 4. Entlastung, Entlastung, Entlastung Wer also Wirtschaftswachstum will, muss die Unternehmen entlasten. Und zwar radikal. Wer Wirtschaftswachstum will, darf Arbeit nicht mit Sondersteuern belegen. Die Linke will beispielsweise die IV-Sanierung mit Lohnprozenten finanzieren. Die Arbeit verteuern, heisst aber nur, dass die Unternehmer gezwungen werden, irgendwo wieder Kosten zu senken, was leider oft auch durch Entlassungen geschieht. Wer also glaubt, die Invaliden-versicherung sanieren zu können, indem er die Arbeit verteuert, verstärkt nur das Problem. Denn auch die Arbeitgeber haben allzu lange ihre schwierigen Fälle in die IV abgeschoben. In diesem Frühjahr hat das Parlament einer Unternehmenssteuerreform zugestimmt. Sie hat zum Ziel, die wirtschaftliche Doppelbelastung von Unternehmergewinnen zu beseitigen. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen erst den Gewinn versteuern muss und dann nochmals die Dividenden als Einkommen der Aktionäre. Diese Doppelbesteuerung trifft vor allem die vielen kleineren Firmen, wo Unternehmer und Besitzer in einer Person agieren. Es darf doch nicht sein, dass jeder Erfolg doppelt besteuert, also doppelt bestraft wird. Dass nun ausgerechnet jene, die sich sonst gerne als Anwälte der „Steuergerechtigkeit“ ausgeben, dieses offensichtlich ungerechte Konstrukt beibehalten wollen, spricht Bände. Dieses Mal gebietet mir nicht nur mein Bundesratsmandat, sondern auch die Höflichkeit, den Namen der verantwortlichen Partei zu verschweigen. 5. Die beste Förderung ist die Nicht-Behinderung. Was hat die Politik zu tun? Die beste Förderung der Wirtschaft besteht immer noch darin, sie nicht unnötig zu behindern in Form von Vorschriften, Regulierungen, Eingriffen, Steuern und Abgaben. Was können wir festhalten? Was wir anstreben, ist eine freiheitliche Wirtschaftsordnung: Die freie Marktwirtschaft erscheint nur dem denkfaulen Beobachter brutal. Denn die Geschichte beweist das Gegenteil: Es ist einzig die Marktwirtschaft, die so viel Wohlstand unter so viel Menschen gebracht hat, und es ist einzig die Marktwirtschaft, in der sich der Tüchtige dank seiner Tüchtigkeit durchsetzen kann – ungeachtet seiner Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Die Neigung der Politik, und namentlich der Politiker, in die Marktwirtschaft einzugreifen, war und ist gross. Immer wieder und überall versucht man diesen Markt zu „gestalten“, zu formen, zu bemuttern. Diese Eingriffe werden meistens für besonders „sozial“ oder „gerecht“ erklärt – aber wir haben es in Wahrheit nur mit besonders sozialem Geschwätz zu tun. Darum lautet die letzte und wichtigste Schlussfolgerung: Die beste Förderung der Wirtschaft ist ihre Nichtbehinderung durch den Staat. Ein freier Wettbewerb ist immer die fairste Form des Wettbewerbs. Weil alle sich den gleichen Bedingungen stellen müssen. Darum lautet die Devise für die Politik: möglichst wenig Behinderungen und staatliche Eingriffe. Die Marktwirtschaft organisiert sich selber. Qualität und Preis setzen sich immer durch. So will es der Kunde. So will es der Konsument. Und an diesen haben sich die Marktteilnehmer zu richten. Auf dass der Bessere, Günstigere und Tüchtigere gewinne. 6. Ausbildung und Integration Zum Schluss noch eine Klammer zwischen meiner Arbeit als Verantwortlicher für die Justiz und dem Thema dieses Referats: Die nicht zu unterschätzende Bedeutung der KMU besteht auch in der Ausbildung und damit in der Integration von Jugendlichen. Als Verantwortlicher für die Migration bin ich stark konfrontiert mit den Integrationsproblemen junger Ausländer. Jugendkriminalität, das erschreckende Anwachsen der Gewalt, vor allem der Brutalität der Taten, Vergewaltigungen von Jugendlichen verübt an jungen Mädchen, massive Bedrohungen und Einschüchterungsversuche, chaotische Zustände in den Schulen – das sind alles keine Einzelerscheinungen, sondern eine sich verstärkende Entwicklung. Was mir auffällt: Kaum wird ein Vorfall publik, setzt sich ein Heer von Sozialarbeitern, Psychologen, Mediatoren, Pädagogen, Krisenmanager usw. in Bewegung. Ich will hier nicht urteilen – aber als Unternehmer bin ich gewohnt, die nackten Ergebnisse zu beurteilen. Und diese überzeugen nicht. Wir Bürgerlichen haben zugelassen, dass es so ausschaut, als ob Integration eine Monopolaufgabe von Fachleuten wäre. Wenn ich aber sehe, wo junge Menschen sich einfügen können und eine Richtung im Leben erhalten, so geschieht das in der Freizeit und in der Arbeitswelt. Es sind also namentlich die kleineren Gemeinschaftsverhältnisse und das Leben am Arbeitsplatz, die von Bedeutung sind. Die Arbeitgeber – und hier wieder die kleineren und mittleren Betriebe, wo noch patronale Verhältnisse herrschen – leisten vorzügliche Arbeit. Hier sind die wahren Integrationsfachleute! Dafür möchte ich Ihnen speziell danken und meine Anerkennung aussprechen.