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14.09.2006

Man muss immer einen Entscheid treffen

14.09.2006, Schaffhausner Nachrichten, Michael Brunner Herr Bundesrat Blocher, Sie werden heute Donnerstag in Schaffhausen über das neue Asylgesetz und das Ausländerrecht informieren. Was darf das Publikum von Ihnen erwarten? Als Parlamentarier trat ich in Streitgesprächen auf. Das war lebendiger. Dafür kann ich nun das Publikum detaillierter informieren. Zudem können die Bürger Fragen stellen, selbstverständlich auch kritische. Als Bundesrat ist es meine Aufgabe zu orientieren und nicht, einen Abstimmungskampf zu führen. Der vielleicht umstrittenste Punkt des neuen Asylgesetzes ist, dass Asylsuchende, die innerhalb der ersten 48 Stunden keine Identitätspapiere oder einen Reisepass vorlegen, keine Chance mehr auf ein ordentliches Asylverfahren haben. Eine Ausnahme wird nur gemacht, wenn sie das Fehlen der Papiere gut begründen können. Warum ist diese Verschärfung aus Ihrer Sicht nötig? Der einzige Unterschied zur bisherigen Regelung besteht darin, dass wir Dokumente wie Fahrausweis oder Geburtsurkunde nicht mehr als Beweis für die Identität werten. Diese Dokumente können zu leicht gefälscht werden. Die Frist von 48 Stunden gilt schon heute. Wir geben damit denen, die keine Papiere vorweisen, die Möglichkeit, sich diese zu beschaffen oder, wenn sie wirklich keine besitzen, sich bei ihrer Botschaft welche zu beschaffen. Und wer beispielsweise schon illegal in der Schweiz lebt und die Papiere bei Verwandten hat, kann sie dort holen. Wer nach 48 Stunden noch immer keine Papiere vorweist, muss zumindest seine Identität, seine Herkunft und seine Asylgründe offen legen. Hingegen haben alle ein Asylverfahren. Warum ist es wichtig, möglichst rasch zu wissen, wer jemand ist? Damit unechte Flüchtlinge nach Hause geschickt werden können, müssen wir wissen, aus welchem Land sie kommen. Heute legen 70 bis 80 Prozent derer, die keine Asylgründe haben, keine Papiere vor. Bei echten Flüchtlingen ist es gerade umgekehrt: 70 bis 80 Prozent von ihnen reisen mit gültigen Identitätspapieren ein. Die neue Regelung wird dazu führen, dass wir nicht mehr so viele Asylsuchende haben, von denen wir nicht wissen, in welches Land sie gehören. Das wird von den Gegnern bestritten. Und tatsächlich hat doch ein Afrikaner, der aus einem sicheren Land kommt, auch weiterhin kein Interesse daran, seine Papiere vorzulegen. Sicher wird auch weiterhin ein Teil der Personen, die offensichtlich keine Flüchtlinge sind, ohne Identitätspapiere in die Schweiz reisen. Wenn sich herumspricht, dass wir falsche Flüchtlinge rasch wieder nach Hause schicken, wird das Schlepperwesen kaum mehr Kunden finden. Schliesslich ist die von Schleppern organisierte Reise in die Schweiz eine teure Sache. Im Weiteren wird durch den Ausschluss aus der Sozialhilfe der Aufenthalt für diejenigen weniger attraktiv, die die Schweiz nach einem rechtskräftigen Entscheid verlassen müssen und illegal hier sind. Hilfswerksvertreter kritisieren, viele echte Flüchtlinge könnten es unter Umständen künftig gar nicht mehr ins ordentliche Asylverfahren schaffen. Folteropfer etwa hätten oft Mühe, rasch über das Erlebte zu berichten. Ohne Reisepass oder Identitätspapiere riskierten diese Menschen einen Nichteintretensentscheid. Ich weiss nicht, warum Hilfswerksvertreter diese Bedenken haben. Wer ohne Papiere kommt, wird - wie gesagt - angehört. Dann hat er Zeit, Papiere zu beschaffen. Hat er danach immer noch keine Papiere, wird er nochmals angehört. Bei diesen Gesprächen sind Hilfswerksvertreter dabei. Folgt danach tatsächlich ein Nichteintretensentscheid, kann der Fall an die Asylrekurskommission weitergezogen werden. Scheint es zudem nur schon möglich, dass jemand ein Flüchtling ist oder dass weitere Abklärungen nötig sind, wird kein Nichteintretensentscheid gefällt und die betroffene Person kommt ins ordentliche Asylverfahren. Auch das neue Gesetz gewährleistet also, dass Flüchtlinge aufgenommen werden - ob mit oder ohne Papiere. Daran scheint aber selbst Ihr Rechtsgutachter Kay Hailbronner, laut dem das neue Gesetz der Genfer Konvention gerecht wird, seine Zweifel zu haben. So spricht er davon, dass die Aufnahme echter Flüchtlinge nur mit hinreichender Sicherheit gewährleistet bleibe. Nehmen Sie es zu Gunsten der Missbrauchsbekämpfung also in Kauf, dass echte Flüchtlinge eher einen Nichteintretensentscheid erhalten? Nein. Aber klar, man muss immer einen Entscheid treffen. Mehr als hinreichende Sicherheit kann nie jemand garantieren. Doch wir können nicht einfach alle aufnehmen, damit ja nie ein Fehlentscheid getroffen wird. Bis heute ist ein einziger Fall eines falschen Entscheides bekannt - von gesamthaft über 530 000 Entscheiden seit 1964. Sie rechnen also wegen des neuen Gesetzes nicht mit mehr Fehlentscheiden zu Ungunsten der Asylsuchenden? Nein, nein. Die zuständigen Stellen bleiben ja die gleichen. Wir haben bisher sicher viel häufiger Fehlentscheide getroffen, indem wir falsche Flüchtlinge aufnahmen. Einige dieser Flüchtlinge wurden später kriminell - und nun kann man sie nicht zurückschicken. Heute hat eine nicht aussergewöhnlich hoch qualifizierte Peron aus Afrika, die in der Schweiz arbeiten will, nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie heiratet eine Schweizerin oder einen Schweizer, oder sie versucht es über das Asylwesen. Müsste die Schweiz diesen Leuten nicht einen anderen Weg anbieten? Die Gegner des neuen Ausländergesetzes fordern, dass alle Menschen den Europäern und den Schweizern gleichgestellt werden. Das würde Personenfreizügigkeit für die ganze Welt bedeuten. Das wäre zwar wunderschön, ist aber praktisch nicht machbar. Daher haben diese Menschen tatsächlich keine Chance auf eine Arbeitsstelle in der Schweiz. Einzige Ausnahme: Es gibt für eine Stelle keinen qualifizierten schweizerischen oder europäischen Bewerber. Es müsste ja nicht gleich volle Personenfreizügigkeit herrschen. Die Schweiz könnte Greencards verlosen oder Tests durchführen, bei denen die Besten eine Aufenthaltsbewilligung gewinnen. Die Schweiz muss zuerst die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union verkraften. 450 Millionen Menschen sind ab 2011 im Schweizer Arbeitsmarkt den Einheimischen rechtlich gleichgestellt. Das müssen wir zunächst ohne höhere Arbeitslosigkeit und grössere Spannungen über die Bühne bringen. Zudem würde eine Verlosung von Greencards auch nichts bringen. Diejenigen, die nicht gewinnen, wären dann doch nicht zufrieden. Entscheidend ist daher, dass afrikanische Staaten Wirtschaftsreformen durchführen. Ziel muss es sein, dass diese Leute in ihrer Heimat Arbeitsstellen finden. Herr Bundesrat, Sie wollen wie gesagt orientieren und nicht Abstimmungskampf betreiben. Orientieren heisst, Vor- und Nachteile aufzuzeigen. Haben das neue Asylgesetz und das neue Ausländerrecht auch Nachteile? Selbstverständlich. Der Nachteil des Ausländergesetzes ist, dass nicht alle Ausländer in der Schweiz arbeiten können. Manche haben weniger Rechte als Schweizer und Europäer, das stimmt. Beim Asylgesetz ist der Nachteil, dass wir Menschen nach Hause schicken müssen. Ich mache das nicht gerne, die tun auch mir leid. Aber es geht nicht anders.

14.09.2006

«Auch Sie lügen oft»

Nach einem Exkurs über das Lügen verteidigt Bundesrat Christoph Blocher seine Vorlage zum Asylgesetz und lobt die Vorbildfunktion Chinas für Entwicklungsländer. 14.09.2006, Facts, Othmar von Matt und David Schaffner Herr Bundesrat, ihre 75-jährige Schwester sprach sich gegen die Gesetze aus. Seither wird sie massiv bedroht, was sagen Sie als Justizminister dazu? Bedroht zu werden ist nicht schön. Aber meine Schwester wird sich daran gewöhnen müssen. Ich lebe damit seit 30 Jahren. Ist das nicht ein erbärmliches Zeichen für unsere Demokratie? Wer in der Öffentlichkeit auftritt, bekommt auch wüste Briefe und wird beschimpft. Das sind Einzelfälle. Wird meine Schwester wirklich bedroht, muss sie zur Polizei. Sind Sie auch bedroht worden? Natürlich. Aber darüber sollte man nicht reden. Viele Prominente werfen ihnen vor, dass Sie lügen. Ein harter Vorwurf. Viele sind es nicht. Aber die Gegner beschimpfen mich als Lügner, weil ich anderer Meinung bin. Wenn die Gegner behaupten, papierlose Flüchtlinge könnten nicht mehr aufgenommen werden, dann ist das unwahr. Ob es eine Lüge ist, weiss ich nicht: Lügen heisst, mit Absicht und wider besseres Wissen etwas Falsches zu sagen. Genau das wirft Ihnen SP-Präsident Hans-Jürg Fehr vor. Er kritisiert, sie hätten gelogen, als sie sagten, dass bisher 70 bis 80 Prozent der anerkannten Flüchtlinge Papiere vorweisen konnten, die nach dem neuen Gesetz akzeptiert würden. 70 bis 80 Prozent der anerkannten Flüchtlinge weisen gültige Papiere vor. Bei den Abgewiesenen weisen 70 bis 80 Prozent keine gültigen Papiere vor, weil sie sie fälschen, wegwerfen, vernichten oder verstecken. Das ist so. Etwas anderes habe ich auch nie behauptet. Unter den anerkannten Flüchtlingen waren aber viele, die Papiere vorwiesen, die künftig nicht mehr gültig sind, zum Beispiel Fahrausweise oder Schulzeugnisse. Aber bisher waren sie anerkannt, also mussten sie auch keine anderen Papiere vorweisen. Sie können davon ausgehen, dass all diese Personen Papiere vorweisen konnten, die klare Rückschlüsse auf ihre Identität zuliessen. Ich bezichtige meine Gegner nicht der Lüge, obwohl sie sehr viele Sachen verbreiten, die unwahr sind. Sind Lügen ein Kavaliersdelikt? Wir müssen jetzt keine Grundsatzdiskussion übers Lügen führen. Auch Sie lügen oft. Ab und zu sicher. Was der SP-Präsident hingegen oft tut: Jemandem eine falsche Äusserung in den Mund zu legen, um ihn dann der Lüge zu bezichtigen. Das ist in einer Demokratie unwürdig. Doch Sie sind wegen der Abstimmung gekommen, und nicht, um ein philosophisches Seminar über das Lügen abzuhalten. Eine zentrale Kritik am Gesetz ist: Künftig gelten nur noch Pass und ID als Ausweispapiere. Wer keines von beidem hat, wird nach 48 Stunden abgewiesen. Nein. Wie heute bekommt die Person 48 Stunden Zeit, die Papiere zu holen, wenn er solche hat, oder bei der Botschaft den Ersatz zu beschaffen. Bringt sie keine solchen Papiere, dann gibt es eine Anhörung, bei der auch die Hilfswerke vertreten sind. Die Person kann sagen, wie sie heisst, woher sie kommt und welche Gründe sie hat, ein Asylgesuch zu stellen. Der Wohnort und so weiter kann dann überprüft werden. Im Zweifelsfall werden auch Papierlose aufgenommen. Jeder Asylsuchende, hat zudem die Möglichkeit, bei der Rekurskommission einen Rekurs gegen den Entscheid des Bundesamtes für Migration einzureichen. Es könnte ja auch sein, dass das Bundesamt einmal einen Fehlentscheid fällt. Bisher ist nur eine Person bekannt, die man nicht hätte zurückschicken dürfen. Das muss der Burmese Stanley Van Tha sein, der nach seiner Ausschaffung aus der Schweiz in ein Foltergefängnis gesteckt und zu 19 Jahren Haft verurteilt wurde. Er bekam 19 Jahre Haft für unseres Erachtens nicht sehr schwere Vergehen. Darum wurden die Ausweisungen dorthin gestoppt. Macht Ihnen das ein schlechtes Gewissen? Das ist ein tragisches Schicksal. Ja, ich bedaure das. 19 Jahre Gefängnis. Ja, das ist in diesem Fall unverhältnismässig. Finden Sie das nicht tragisch? Wie oft wollen sie es noch hören? Aber: Seit 1964 wurden über 530'000 Entscheide getroffen – da treffen die Menschen, die entscheiden müssen, auch einmal einen Fehlentscheid. Beim neuen Asylgesetz haben wir darauf geachtet, dass möglichst keine Fehlentscheide passieren. Die Chance, dass das Gesetz angenommen wird, ist relativ gross. Das werden wir sehen. Auf jeden Fall werden wir nicht eines der strengsten europäischen Asylgesetze bekommen, wie Sie das geschrieben haben. Es wird etwa im europäischen Durchschnitt liegen. Wir behaupteten, dass die Schweiz das strengste Gesetz in ganz Europa hätte. Was nicht stimmt. Nehmen wir nur das Wichtigste, die Sozial- bzw. Nothilfe: Einzelne Länder wie Italien geben Nothilfe nur über eine gewisse Zeit. Danach zahlen sie nichts mehr. Wir dagegen haben keine zeitliche Limite. Andere beschränken sogar die Sozialhilfe nicht nur bei Abgewiesenen, sondern auch im Asylverfahren. Oder nehmen Sie die Zwangsmassnahmen: Gewisse Länder haben für die Ausschaffungshaft keine gesetzliche Begrenzung nach oben, bei uns sind maximal 18 Monate vorgesehen. Die Migrationsströme reissen aber nicht einfach ab. Kann man etwas machen gegen den Wunsch der Menschen, an einem besseren Ort zu leben? Dieser Wunsch ist verständlich. Doch jeder Staat ist primär für seine Bürger verantwortlich. Ein Staat muss etwas dafür tun, dass er bessere ökonomische Verhältnisse hat, so dass die Leute bleiben. Die Staaten können dafür etwas tun. Viele Staaten – wie zum Beispiel China – führten eine neue Wirtschaftsordnung ein. 1980 warf es wirtschaftlich den Kommunismus über Bord und führte ein «freies» Wirtschaftssystem ein. Nun geht es vielen Menschen besser. Es gibt Experten, die vorschlagen, dass sich die Schweiz öffnen soll für arbeitswillige Personen aus nicht europäischen Ländern. Man könnte ein Kontingent an Arbeitsbewilligungen schaffen. Wer verschafft den Arbeitssuchenden die Arbeit, ohne sie den anderen wegzunehmen? Die Schweiz beschäftigt bereits heute sehr viele Ausländer. Die Gegner des Ausländergesetzes wollen den freien Personenverkehr für die ganze Welt. Jeder, der in die Schweiz käme und eine gewisse Zeit arbeitete, hätte das Recht zu bleiben, auch wenn er arbeitslos wird. Ab 2011 sind alle Personen aus der EU auf dem Arbeitsmarkt den Schweizern gleichgestellt. Das müssen wir zuerst verkraften. Wir können nur so vielen Menschen Arbeit geben, wie wir Arbeit haben. Geht es wirtschaftlich schlechter, steigt die Arbeitslosigkeit und die Sozialwerke werden stark belastet. Das kann zu Spannungen in der Bevölkerung führen. Da müssen wir vorsorgen. Die Öffnung der Grenze für alle Länder hiesse hohe Arbeitslosigkeit, untragbare Belastung der Sozialwerke und Fremdenfeindlichkeit. Wie könnte ein vernünftiger Umgang mit der Migration aussehen? Global gesehen: Die betroffenen Länder müssen Bedingungen schaffen, damit die Menschen gar nicht wegwollen. Afrika kenne ich gut. Wie man es industrialisieren könnte, weiss ich leider auch nicht. Während der Kolonialzeit hatte es wirtschaftlich bessere Verhältnisse, aber keine Freiheit. Die Menschen konnten ihr Schicksal nicht selber bestimmen. Oft taucht die Idee eines Marshall-Plans für Afrika auf. Was würde das bedeuten? Was die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland machten: Sie gaben Kredite, um Industrien und Fabriken aufzubauen. In Afrika gelingt das leider oft nicht, obwohl es schon praktiziert wird, wenn auch nicht im grossen Stil. Warum nicht? Dort existiert keine industrielle Denkweise. In Unternehmen, in denen ich tätig war, bauten wir zwei Fabriken zur Herstellung von Synthesefasern auf. Nach zwei Jahren sahen die Anlagen so aus, dass sie nicht mehr betrieben werden konnten. Die Schweiz kann gar nichts tun? Wir tun viel mit der Entwicklungshilfe. Ob sie nützt, ist eine andere Frage. Eine andere Theorie ist auch, Afrika sich selber zu überlassen: Afrika, das in sich selbst ruht. Nur sehen die Menschen dort im Fernsehen die Verhältnisse in anderen Ländern, sie wollen dasselbe. Und die Schlepper versprechen ihnen viel. Das gibt einen Sog. Deshalb dränge ich darauf, dass Asylgesuche schnell entschieden werden. Wer nach vier Wochen abgewiesen in sein Dorf zurückkehrt, obwohl er viel Geld bezahlt hat, erzählt das weiter. Das macht den Schleppern den Markt kaputt. Ist das Thema Asyl für Sie mit einem Ja erledigt? Nein, nein. Es beginnt erst. Was planen Sie? Das Gesetz muss vollzogen werden. Und die Integration ist zu verbessern. Wir benötigen zwei Dinge: Erstens müssen die jungen Leute unsere Sprache lernen, bevor sie zur Schule gehen. Zweitens müssen die Erwachsenen die Sprache lernen und arbeiten. So arbeitet heute nur ein Viertel der Flüchtlinge, die hier bleiben. Sind sie nicht im Arbeitsprozess, können sie sich nicht integrieren. Um das zu verbessern, machen wir ab Herbst ein Pilotprojekt für eine so genannte Flüchtlingslehre. 2007 wird die Situation für Sie mit den Wahlen als Bundesrat heikel. Was heisst heikel? SP und die Grünen wollen Sie nicht wieder wählen – ebenso CVP-Präsident Christophe Darbellay. 2007 wird es ähnlich sein wie 2003. Nicht ganz so schlimm, denn wer mich wählt, muss niemanden abwählen. Ich mache meine Arbeit und kann nicht immer nach Wahlchancen fragen. Überlegen Sie sich einen Rücktritt? Nein. (Blickt ganz erstaunt) Einen Rücktritt? Auf keinen Fall. Sie fragten sich in «Le Temps», ob Sie für die SVP nützlicher seien als Bundesrat oder als Oppositionsführer. Ich bin nicht einfach für die SVP im Bundesrat. Aber nach vier Jahren muss man Bilanz ziehen und sich fragen: Bewirke ich mehr im Bundesrat oder in der Opposition im Parlament? Bis jetzt ist die Bilanz als Bundesrat ganz eindeutig positiv. Wird sich das bis 2007 ändern? Man wird es sehen. Kaum. Ich gehe voran. Es geht sehr gut. Offensichtlich ist aber, dass es 2007 für Sie sehr eng wird. Sicher, es wird eng, denn SP und Grüne wollen einen schwachen SVP-Bundesrat. Was planen Sie? Ich hirne nicht stets an diesen Wahlen herum. Wer unbedingt wieder gewählt werden will, ändert seine Politik. Genau das wollen aber meine Gegner. Es ist eine grosse Ehrbezeugung, dass SP und Grüne mich derart verbissen aus dem Bundesrat drängen wollen. Offensichtlich bin ich ihnen zu stark, bewirke zu viel. Einen schwachen Gegner will niemand aus der Regierung werfen.

11.09.2006

Neues Ausländer- und Asylgesetz; Wirtschaftliche Aspekte des neuen Asyl- und Ausländergesetzes

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Generalversammlung der Union Suisse des Professionels de l’Immobilier vom 11. September 2006 in Paudex 11.09.2006, Paudex Paudex. Auch an der heutigen Generalversammlung der Union Suisse des Professionels de l’Immobilier sprach Bundesrat Christoph Blocher über die Ziele der beiden Vorlagen. Er hielt fest, dass die Lösung der Asyl- und Ausländerproblematik von gesamtschweizerischem Interesse sei. Es seien letztlich die Bürgerinnen und Bürger, die Fehlentwicklungen erdulden müssten; sei es finanziell, sei es durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes, sei es, weil beispielsweise das Bildungswesen unter der verfehlten Immigrationspolitik leide. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Zum Wohl der Bürger Die Ausländer-, aber insbesondere die Asylpolitik, beschäftigt die Schweizerinnen und Schweizer seit Jahren. Nicht die Aufnahme von Flüchtlingen, nicht die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte, welche in der Schweiz ordnungsgemäss eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, sind Stein des Anstosses: Nein, all jene, die sich über den Asylantrag oder auf andere Weise einen illegalen Aufenthalt erschlichen haben. Diese Zahl ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Und hier wollen die beiden Gesetzesvorlagen entgegen wirken. Es ist das Anliegen jedes Staates, für seine Bürger zu sorgen. Darum bestimmt heute auch jede Regierung auf dieser Welt, wann Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung erhalten – und wann nicht. Mit Ausländern, welche eine Aufenthaltsbewilligung korrekt beantragten und eine solche Bewilligung auch erhielten, hat die Schweiz im Grossen und Ganzen keine Probleme. Wir stehen mit einem Ausländeranteil von rund 22 Prozent an der Spitze der europäischen Staaten. 2. Zur Lösung verpflichtet Sie haben mich gebeten, vor allem auch über die wirtschaftlichen Aspekte dieser beiden Vorlagen zu sprechen. Es ist unschwer einzusehen, dass Gesetze von so grosser gesellschaftlicher Bedeutung auch volkswirtschaftlich von Bedeutung sind. Wir haben folglich auch ein wirtschaftliches Interesse an der Lösung der Asyl- und Ausländerproblematik. Und zwar ein gesamtschweizerisches Interesse, weil es sich letztlich um ein Problem handelt, das vor allem die Bürgerinnen und Bürger mittragen müssen. Sie sind es letztlich, die Fehlentwicklungen erdulden müssen. Sei es finanziell, sei es durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes, sei es, weil beispielsweise das Bildungswesen unter der verfehlten Immigrationspolitik leidet. Wenn unser Asylwesen, das offensichtlich in grossem Stil missbraucht wird, jährlich eine Milliarde Franken kostet (dazu kommen noch Hunderte Millionen allein für den Strafvollzug krimineller Asylbewerber), müssen wir doch wenigstens den Versuch unternehmen, diese Missstände zu beheben. Dazu sind wir verpflicht, das gebietet uns die Verantwortung, die uns der Souverän als Politiker übertragen hat. 3. 21,9 Prozent Ausländeranteil Beginnen wir mit dem Ausländergesetz. Die Frage, wie gehen wir mit jenen Menschen um, die in unser Land kommen wollen, ist alt. Dass in der Schweiz das Zusammenleben zwischen einheimischer Bevölkerung und Ausländern im Grossen und Ganzen so gut funktioniert hat, ist zwei Hauptgründen zuzuschreiben: Erstens, hat die Schweiz immer dafür gesorgt, dass die Zuwanderung nach bestimmten Regeln abläuft. Ich erinnere an das Saisonier-Statut, mit dessen Hilfe die Wirtschaft flexibel Arbeitskräfte ins Land holen konnte, die aber nur so lange kommen durften, so lange auch tatsächlich Arbeit vorhanden war. Zweitens, ist der schweizerische Arbeitsmarkt bis anhin genügend stark gewesen, die Mehrzahl der arbeitswilligen Ausländer zu beschäftigen. Wir stehen mit einem Ausländeranteil von 21,9 Prozent oder 1'656'721 Personen (Stand April 2006) nach Liechtenstein und Luxemburg an der Spitze der westeuropäischen Staaten! Trotzdem kennt unser Land keine gettoähnlichen Banlieues mit schwerwiegenden Ausschreitungen und fremdenfeindlichen Übergriffen. Das verdanken wir vor allem einer funktionierenden Wirtschaftsordnung, die es fertig bringt, überhaupt so viele Menschen zu beschäftigen. 4. Liberale Wirtschaftsordnung Jedes Jahr reisen rund 95'000 Menschen – was etwa der Bevölkerung von Winterthur entspricht – neu in unser Land ein. Die Schweiz nimmt gemessen an ihrer Grösse wesentlich mehr Zuwanderer auf als viele so genannte klassische Einwanderungsländer. Die Schweiz ist zu einem Einwanderungsland geworden. Trotz des hohen Ausländeranteils blieb die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren eine der niedrigsten in Europa. Aber – und auch das gilt es in diesem Zusammenhang zu erwähnen – die Arbeitslosigkeit unter Ausländern ist konstant etwa drei Mal so hoch wie diejenige von Schweizerinnen und Schweizern. Die Arbeit ist der beste Weg zur Integration. Darum ist es auch wichtig, dass der Anreiz zu arbeiten höher ist, als sich um staatliche Leistungen zu bemühen. Damit sind wir mitten im Thema: Wir haben ein existentielles Interesse an einer Wirtschaftsordnung, die eine Vollbeschäftigung möglich macht. Darin liegt der Kern einer erfolgreichen Integration. Das Ziel lautet: Sprache und Bildung für junge Ausländer, Sprache und Arbeit für ältere Ausländer, gepaart mit einer liberalen Wirtschaftsordnung, die auf Eigenverantwortung baut und Leistung belohnt. 5. Ein massvolles Gesetz Also: Nicht die zahlreichen ausländischen Arbeitskräfte, welche in der Schweiz ordnungsgemäss eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, sind Stein des Anstosses: Nein, all jene, die sich ungerechtfertigt, illegal in unserem Land aufhalten, mit schlimmen Belastungen für Bund, Kantone und Gemeinden. Zeit, Kraft, Geld werden verbraucht. Behörden, Gerichte, Gefängnisse, soziale Dienste unnötig stark belastet. Das soll sich ändern. Im September stimmen wir nun über ein neues Ausländergesetz ab. Dieses regelt im Wesentlichen, unter welchen Voraussetzungen die nichteuropäischen Bürger eine Arbeitsbewilligung beantragen und unter welchen Voraussetzungen sie den Familiennachzug geltend machen können. Ebenso soll mit neuen Regelungen die illegale Einreise wie auch der illegale Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern bekämpft werden. Dabei müssen wir eines beachten: Mit der Personenfreizügigkeit gegenüber der EU haben theoretisch ab 1. Mai 2011 450 Millionen Menschen die Möglichkeit hier zu wohnen und zu arbeiten. Da versteht es sich doch von selbst, dass völlig offene Grenzen gegenüber allen Staaten der Welt nicht in Frage kommen können. Eine totale Personenfreizügigkeit würde unser ganzes Sozialsystem kollabieren lassen. Eine verantwortungsvolle Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung sieht anders aus. 6. Ausgangslage im Asylwesen Heute nimmt die Schweiz jährlich etwa 1'500 an Leib und Leben verfolgte Flüchtlinge aus der ganzen Welt auf Unsere humanitäre Tradition gegenüber Flüchtlingen bestreitet keiner. Und das soll und wird auch so bleiben. Aber, meine Damen und Herren, was wir nicht gelöst haben, sind die enormen Missbräuche, die im Bereich Asylwesen wuchern. Über 85 Prozent aller Asylsuchenden sind keine Flüchtlinge. Viele davon möchten vom hohen Lebensstandard in der Schweiz profitieren. Sie leben von der Sozialhilfe und sind nicht selten in einträgliche Schleppergeschäfte und die organisierte Kriminalität, namentlich in den Drogenhandel, verwickelt. Das ist Asylrechtsmissbrauch. Nichts anderes. Ich will Ihnen die Verhältnisse an einem Beispiel verdeutlichen: Im Kanton Zürich sind bei einem Bestand von 4'250 Asylbewerbern letztes Jahr 1'258 Personen der Justiz übergeben worden. Das entspricht fast dreissig Prozent! 7. Missbräuche bekämpfen… Bis vor wenigen Jahren wurden diese Missbräuche von vielen Politikern rundweg bestritten – und noch heute gibt es Kreise, die diese unschöne Wirklichkeit leugnen oder verdrängen. Doch diese Probleme müssen ernsthaft angegangen werden, wenn man die Flüchtlingstradition wahrnehmen will. Viel zu hoch ist auch der Bestand im Vollzugsprozess. Und hier zeigt sich das Hauptproblem: Der Grossteil der Asylsuchenden kommt ohne gültige Reisepapiere. Warum ist das so? Weil derjenige, der seine Papiere nicht vorweist gegenüber den anderen im Vorteil ist, weil die Abklärung der Identität sehr viel Zeit beansprucht. Auch dieser Asylbetrüger handelt eigentlich ganz nach den Gesetzen der Ökonomie, indem er versucht, durch sein Verhalten für sich den grösstmöglichen Nutzen herauszuholen. Aber was sind die Folgen? Das Verfahren wird verzögert, der Aufenthalt verlängert und die Schweiz zahlt darüber hinaus Sozialhilfe. Selbst wenn das Gesuch negativ entschieden wird, kann die Person das Land noch lange nicht verlassen, da ihm die Dokumente fehlen oder weil sie sich schlicht weigert, freiwillig zurückzureisen. Dazu kommen die unzähligen Rekurse und Wiedererwägungsverfahren. Dumm sind nicht diejenigen, die dieses System ausnützen, sondern diejenigen, die dieses System zur Verfügung stellen. Darum ändern wir die gesetzlichen Grundlagen. Es soll nicht mehr wie bis anhin profitieren, wer seine Identität verschleiert und verleugnet oder mit den Behörden nicht kooperiert. Wer seine Papiere nicht innerhalb von 48 Stunden besorgen kann (oder glaubhaft nachweisen kann, warum sie nicht zu beschaffen sind), erhält einen Nichteintretensentscheid. Ich glaube, jeder echte Flüchtling ist bereit, seine Herkunft offen zu legen und konstruktiv mitzuwirken. Das sind keine unverhältnismässigen Forderungen. Und es ist auch tatsächlich so, dass von den anerkannten Flüchtlingen die grosse Mehrheit (rund 70 Prozent) mit gültigen Papieren einreist. Auch in Zukunft gilt nach wie vor: Wirklich an Leib und Leben Verfolgte werden weiterhin als Flüchtlinge aufgenommen, ob mit oder ohne Papiere. 8. … auch mit ökonomischen Mitteln Ich will Ihnen auch hier ein kurzes Beispiel geben, wie bei der Lösung des Problems mit ökonomischen Mechanismen gearbeitet werden kann. Es ist so, dass auch eine erstaunlich grosse Zahl von Asylbewerbern ohne Papiere bequem mit dem Flugzeug eingereist ist. Jetzt weiss jeder, der schon einmal geflogen ist, keiner kommt ohne gültige Reisedokumente in ein Flugzeug. Aber er kommt ohne Papiere raus. Das heisst, die Ausweise werden auf dem Weg zur Kontrolle vernichtet. Das neue Gesetz sieht vor, dass die Fluggesellschaften verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass dies nicht vorkommt. Sonst müssen sie die Leute wieder – gratis – zurücknehmen und bei wiederholten Vorfällen werden Bussen gesprochen. Sie können sicher sein, diese Massnahmen werden greifen. Weil auch die Fluggesellschaften eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen werden. Generell sollte man bei der Bekämpfung von Asylmissbräuchen die Marktmechanismen studieren. Die Gesetze von Markt und Ökonomie spielen auch in der Verbrechenswelt. So kommt die grosse Mehrzahl der Asylsuchenden – vor allem die unrechtmässigen – mit Hilfe von Schleppern in die Schweiz. Das heisst, sie bezahlen Tausende Franken, damit sie in unser Land geschleust werden. Diese Asylbewerber sind – wenn Sie so wollen – Kunden eines kriminellen Dienstleisters. Aber auch hier gilt: Die Dienstleistung muss für den Kunden stimmen. Oder umgekehrt, aus der Sicht des betroffenen Staates, müssen wir uns fragen: Wie können wir den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen? Ganz einfach: Wenn die Kosten für die illegale Einreise höher liegen als die erhofften Profite. Wenn ein Asylrechtsmissbraucher innerhalb weniger Wochen wieder in seinem Dorf ankommt ohne Geldmittel, ist der „Kunde“ unzufrieden und der Dienstleister wird keine oder wenigstens viel weniger neue Kunden gewinnen, weil sich die Unzufriedenheit schnell herumspricht. Was wir also brauchen – und dieser Ansatz versucht das Asylgesetz einzulösen – was wir brauchen, sind schnelle Verfahren und bei negativen Asylentscheiden soll nur Nothilfe – also minimale Unterkunft und Lebensmittel – geleistet werden. Nur so können wir die Attraktivität senken, nur so können wir die Profite der organisierten Kriminalität effektiv bekämpfen und damit dem Problem an die Wurzel gehen. 9. Verhängnisvolle Scheinlösungen Nehmen wir als weiteres Beispiel die Frage der Illegalen. Natürlich ist ihr Schicksal herzerweichend. Natürlich ist man versucht, deren Lage zu verbessern, indem man sie in einer generellen Amnestie naturalisiert, also ein Bürgerrecht vergibt. Nur lösen Sie damit das Problem der Illegalität nicht. Denn auch hier funktioniert ein Markt. Viele dieser Menschen werden beispielsweise als Hilfskräfte in Haushalten oder in ganz kleinen Betrieben beschäftigt (grosse Unternehmen dürfen sich solche Fälle nicht erlauben). Wenn nun ein illegales Hausmädchen naturalisiert wird, damit sie eine ordentliche Anstellung auf Mindestlohnniveau bekommt, wird sie sicher nicht mehr für diese vielleicht tausend Franken monatlich (plus Kost und Logis) arbeiten können. Also muss sie die Stelle aufgeben. Aber der Bedarf bleibt, der Markt ist trotzdem vorhanden, folglich rückt eine andere Person für sie nach. Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, weshalb gerade Spanien als Hauptdestination dieser afrikanischen Bootsflüchtlinge ausgesucht wurde. Es ist nicht nur die geographische Nähe, sondern Spanien hat kürzlich in einem Akt, Zehntausende Illegale naturalisiert. Damit hat das Land ein doppeltes Signal ausgesendet: Erstens, nährt es die Hoffnung, auf eine abermalige Amnestie. Zweitens, die wohl konkretere Hoffnung, denken sich die illegalen Zuwanderer, sie könnten die nun in diesem Markt freigewordenen Stellen besetzen. Ein solcher Markt lässt sich nie ganz austrocknen, es sei denn, Sie wollen einen totalen Sicherheits- und Überwachungsstaat – damit zerstören Sie aber gleichzeitig die Freiheit und Demokratie in einem Land. Das wäre völliger Unsinn. 10. Fazit Wir haben als Staat ein Interesse, an einem möglichst freien Personenverkehr. Andererseits braucht es Regeln und Kontrollen, wenn es um die Immigration geht. Wer das nicht sehen will, drückt sich vor der Verantwortung. Wir können nicht gleichzeitig einen Sozialstaat pflegen und die Grenzen für alle öffnen. Das lässt sich nicht vereinbaren. Sie können mir glauben, als ehemaliger Industrieller weiss ich sehr wohl um die Vorzüge einer totalen Freizügigkeit. Aber wir müssen das Ganze sehen. Wir haben die Verantwortung zu tragen und darum auch Entscheidungen zu treffen, die im Einzelfall schwierig sind, aber gerechtfertigt. Die politische Herausforderung besteht darin, legitime Bedürfnisse – freier Personenverkehr und kontrollierte Zuwanderung – auszubalancieren und darüber hinaus, die humanitäre Tradition zu wahren. Das können wir nur, indem wir Regelungen finden, die unser Staat gesellschaftlich und volkswirtschaftlich tragen kann und indem wir die Missstände angehen, damit die Bereitschaft, echte Flüchtlinge aufzunehmen, in der Bevölkerung verankert bleibt. Die beiden Gesetzesvorlagen versuchen diesen Bedürfnissen und Anliegen gerecht zu werden.

01.09.2006

Der Druck auf Europa bleibt bestehen

Es gebe etliche Flüchtlinge, die ihre Papiere innerhalb der geforderten Frist von 48 Stunden einreichen, betont der Justizminister. – Südostschweiz: Für Bundesrat Christoph Blocher ist klar: Echte Flüchtlinge werden auch nach einem Ja zum Asylgesetz Aufnahme in der Schweiz finden. Zugleich räumt er aber ein, dass man Fehlentscheide nicht ganz ausschliessen kann. 01.09.2006, Aargauer Zeitung/Südostschweiz: Christoph Brunner und Daniel Foppa Herr Bundesrat Blocher, wenn die Asylvorlage angenommen wird, hat die Schweiz eines der schärfs-ten Asylrechte Europas. Ist das unserer humanitären Tradition angemessen? Die Schweiz hätte nicht eines der schärfsten Asylrechte. Es gibt gewisse Bestimmungen, die sind strenger als in anderen Ländern, doch in anderen Bereichen sind wir grosszügiger. So gibt es Länder, die im Gegensatz zu uns abgewiesenen Asylbewerbern weder Nothilfe noch Sozialhilfe gewähren; oder eine unbefristete Ausschaffungshaft kennen. Aber alle Länder kämpfen mit demselben Problem: Dass Personen, die keine Flüchtlinge sind, sich via Asylrecht eine Aufenthaltsbewilligung verschaffen wollen. Deshalb verschärfen Länder mit largen Gesetzen nun ihre Bestimmungen, wie zum Beispiel Holland. Dass bei fehlendem Pass oder Identitätskarte gar nicht mehr erst auf das Asylgesetz eingetreten werden soll, gibt es nirgendwo sonst in Europa. Das wird es auch bei uns nicht geben. Gesuche werden weiterhin behandelt, wenn Asylsuchende aus entschuldbaren Gründen keine Reise- oder Identitätspapiere vorlegen können oder wenn Hinweise auf Verfolgung vorliegen. Der letzte Punkt steht zwar so im Abstimmungsbüchlein, nicht aber im Gesetz. Ist das nicht Täuschung des Stimmbürgers? Nein, das ist es nicht. Diese Kritik an den Erläuterungen im Abstimmungsbüchlein ist haltlos. Im Gesetz steht klar, dass ein Asylverfahren eröffnet wird, wenn der Gesuchsteller glaubhaft machen kann, weshalb er keine Papiere hat. Oder wenn zusätzliche Abklärungen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nötig sind. Und das ist der Fall, wenn zum Beispiel Hinweise auf Verfolgung bestehen – so wenn etwa abgeklärt werden muss, ob ein vorgelegter Hinweis auch tatsächlich der Realität entspricht. Das bürgerliche Komitee gegen das Asylgesetz kritisiert weiter, dass gemäss Abstimmungsbüchlein beim Sozialhilfestopp der Situation von Minderjährigen oder Kranken Rechnung getragen wird. Doch auch das steht nicht im Gesetz. Das steht nirgends im Gesetz, weil es ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist, der gilt. Das neue Asylgesetz sieht jedoch auch vor, dass 15-Jährige in Ausschaffungshaft genommen werden können. Das stimmt. Ausschaffungshaft ist auch für 15 bis 18-jährige Jugendliche möglich. Oder auch für jüngere, die mit der Familie kommen und mit dieser gemeinsam über einen Raum verfügen. Im Weiteren wird bei Jugendlichen immer auch die Verhältnismässigkeit geprüft. Müsste die reiche Schweiz, das Land des Roten Kreuzes, nicht ein weniger toleranter sein? Die humanitäre Tradition der Schweiz wird gewahrt, und die Ausländer, die hier sind, sind gut zu behandeln. In der Schweiz leben 1,5 Millionen Ausländer, das sind fast 22 Prozent. Einen solch hohen Ausländeranteil gibt es abgesehen von Liechtenstein und Luxemburg nirgends in Europa. Trotz dieses hohen Anteils haben wir keine grosse Spannungen zwischen Schweizern und Ausländern. Wenn ich das mit Vertretern von Ländern bespreche, die einen weit tieferen Ausländeranteil haben und mit Problemen kämpfen, sind sie jeweils sehr erstaunt. Bei uns sind die Zustände besser, weil wir die Ausländersituation unter Kontrolle gehalten haben. Dort aber, wo wir Probleme haben, müssen wir die Gesetze anpassen. Das ist einerseits der Fall bei der Integration, namentlich wo der Ausländeranteil sehr hoch ist, und anderseits beim Asylrechtsmissbrauch. Sie sagen, dass der Ausländeranteil zu hoch ist. Was wäre für die Schweiz eine angemessene Zahl? Die Zahl ist nicht das entscheidende. Wenn wir Arbeit haben für diese Menschen und sie über eine Arbeitsbewilligung verfügen, dann können wir sie relativ gut integrieren. Das Problem stellt sich aber 2011, wenn die Personenfreizügigkeit voll in Kraft tritt. Das kann zu einem Zustrom von Arbeitskräften aus der EU und zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Schweiz führen. Deshalb müssen wir den Zugang für Menschen aus Nicht-EU-Staaten einschränken, so wie es das Ausländergesetz vorsieht. Die vorgesehenen Verschärfungen werden von kirchlichen Gegnern der beiden Vorlagen als «unchristlich» bezeichnet. Ich halte das Vorgehen der Gegner für «unchristlich». Die beiden Vorlagen entstanden aus Verantwortung gegenüber unserem Land. Wenn wir aber die Gesetze so gestalten würden, wie es die Gegner wünschen, und es zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und des Fremdenhasses käme – das wäre unchristlich. Natürlich wären es nicht die Moral-Verkünder von heute, die darunter leiden würden. Sondern diejenigen, die bereits heute die Lasten tragen. Schon Zwingli sagte: «Christ sein heisst nicht, christlich schwätzen.» Malen Sie nicht zu schwarz? Die Asylzahlen sind so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr – auch ohne verschärftes Asylgesetz. Die Zahlen sind einerseits in ganz Europa zurückgegangen, weil es in Europa relativ ruhig ist. Sobald es aber zu Spannungen kommt, steigen die Zahlen wieder. Der Druck auf Europa bleibt bestehen, wie die zahlreichen Einwanderungsversuche von Afrika nach Spanien belegen. Auch wir würden diesen Druck früher oder später spüren, vor allem wenn wir nun falsche Signale aussenden. Anderseits gingen die Gesuchszahlen zurück, weil wir die Verfahren gestrafft haben und den Gesuchsstellern mit einem Nichteintretensentscheid nur noch Nothilfe und keine Sozialhilfe mehr erteilen. Ihre Schwester Judith Giovanelli-Blocher hat diese Woche in einem offenen Brief im «Blick» geschrieben, wer anständig sei, stimme zwei Mal Nein. Ich habe den Brief nicht gelesen, kenne aber die Haltung meiner Schwester. Sie ist im Sozialbetrieb gross geworden und hat soziale Vorträge gehalten. Das ist ihr gutes Recht. Meine Schwester darf eine andere Haltung als ich vertreten – sie ist eine über 70jährige Frau. Würde sich meine Tochter so äussern, müsste ich mich wohl fragen, ob ich etwas mit der Erziehung falsch gemacht habe. Sie haben wiederholt betont: «Verfolgte werden aufgenommen, ob sie Ausweispapiere haben oder nicht. Daran gibt es nichts zu rütteln.» Wie können Sie garantieren, dass ein tatsächlich Verfolger ohne Papiere nach 48 Stunden nicht ausgeschafft wird? Diese Frist besteht ja heute schon, das ist nichts Neues. Zu Ihrer Frage: Ich halte es für ausgeschlossen, dass ein tatsächlich Verfolgter ohne Papiere nach 48 Stunden trotzdem ausgeschafft wird. Dass es einmal einen Fehlentscheid geben kann, das liegt in der Natur der Sache. Die 48 Stunden sollen dazu dienen, dass jene, die ihre Papiere versteckt haben, eine Chance haben, sie zu behändigen oder sich auf der Botschaft neue ausstellen zu lassen. Was, wenn jemand keine Papiere bringt? Das ist klar geregelt: Wenn jemand Name, Herkunftsland, Alter, Wohnort nennt, dann lässt sich nach einer Überprüfung dieser Angaben seine Identität feststellen und diese kann von der zuständigen Botschaft auch überprüft werden. Die Anhörungen finden in Anwesenheit eines Hilfswerks-Vertreters statt, und bei einem Nichteintretensentscheid besteht die Möglichkeit, vor die Asylrekurskommission zu gehen und eine Beschwerde einzureichen. Nochmals: Es besteht keine Gefahr, dass echte Flüchtlinge nicht aufgenommen werden. Wie viele kommen denn ohne Papiere in die Schweiz? 70 bis 80 Prozent der richtigen Flüchtlinge haben gültige Papiere. Wir haben aber sehr viele Asylsuchende auf den Flughäfen Genf und Kloten, die keine Papiere vorweisen. Neu wird es jetzt so sein: Die Fluggesellschaften sind dafür verantwortlich, dass Passagiere mit Papieren an den Zoll kommen – ansonsten sind sie verpflichtet, diese zurückzufliegen. Tun sie das nicht, werden sie mit bis zu 5000 Franken gebüsst. Sie sehen: Dieses Gesetz kann nur bekämpfen, wer Asylrechtsmissbräuche duldet oder fördert. Aber Sie gehen mit uns einig, dass die Frist von 48 Stunden etlichen Stimmbürgerinnen und -bürgern als äusserst kurz erscheint... Tatsache ist: Es gibt etliche Asylsuchende, die ihre Papiere innerhalb von 48 Stunden einreichen. Und wie gesagt, das gilt schon heute. Wenn jemand seine Identität nicht verschleiert und auf der Botschaft nachfragt, bekommt er Papiere ausgestellt, so dass er nach Hause reisen kann. Laut Bundesamt für Migration hatten 2005 70 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge echte Papiere, aber nur 50 Prozent einen gültigen Pass respektive Identitätskarte. Wäre es also nicht fairer, man würde sagen, dass 50 Prozent aller echten Flüchtlinge diejenige Papiere haben, die nach der neuen Definition gültig sind? Nein, es geht darum, ob jemand gefälschte Papiere hat oder nicht. Wenn Fahrausweise und Geburtsurkunden nicht mehr zugelassen sind, wie viele bringen dann Pässe, und wie viele Identitätskarten? Wir wissen es nicht. Aber wie gesagt: Es geht um die 20 bis 30 Prozent der Flüchtlinge, die keine oder gefälschte Papiere haben, diese sind auch aufgenommen worden. Trotzdem kann man sehen, dass letztes Jahr 50 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge keinen Pass und keine ID hatten... Wir wissen nicht, ob sie keine hatten. Weil andere Papiere akzeptiert sind, haben sie andere vorgewiesen – zu Recht. Besonders kritisiert wird auch der Sozialhilfestopp: Personen mit einem abgelehnten Asylgesuch bekommen mit dem neuen Asylgesetz keine Sozialhilfe mehr, sondern können Nothilfe beantragen. Ist doch noch zumutbar? Es geht um Leute, die sich illegal in der Schweiz aufhalten. Wie gesagt: In vielen anderen Länder bekommen diese Menschen nicht einmal Nothilfe gewährt, in der Schweiz bekommen sie zu essen und ein Dach über dem Kopf. Sehen Sie: Ein illegal anwesendes Ehepaar mit zwei Kindern kostet den Bund im Monat zum Beispiel 4800 Franken für Sozialhilfe. Die Sozialhilfe ist ein Hindernis für die freiwillige Heimkehr von illegal Anwesenden. Wir wollen diese mit der Nothilfe dazu bringen, dass sie von sich aus die Heimreise antreten. Stichwort Verlängerung der Ausschaffungshaft: Es gibt Untersuchungen, die sagen: Je länger sie dauert, desto unwahrscheinlicher ist ihr Erfolg. Bringt es also gar nichts? Das Ziel ist nicht, jemanden möglichst lange in Ausschaffungshaft zu stecken. Aber die Kantone müssen das durchführen, und man hat etwa 40 bis 50 schwierige Fälle pro Jahr. Die Verantwortlichen der Kantone waren nun klar der Meinung, dass 9 Monate zu kurz sind. 18 Monate wirken abschreckend, die Illegal Anwesenden werden früher gehen. Jeder Fall wird aber regelmässig von einem Richter überprüft. Wo steht die Schweiz punkto Rückübernahmeabkommen – müsste man solche nicht forcieren? Doch, und das tun wir auch, es bestehen im Moment 38 solcher Abkommen. Wir müssen aber aufpassen: Ein Rückübernahmeabkommen bedeutet, dass die Länder bereit sind, zwangsweise Ausschaffungen zu akzeptieren. Das kann nur bei ganz extremen Fällen angewendet werden. Warum? Wir haben vor kurzem 35 Personen in einen afrikanischen Staat ausgeschafft, was eine Organisation von 72 Begleitpersonen erforderte – Polizisten, Ärzte, Krankenschwestern – und etwa 70 000 Franken kostet. Wir sollten schauen, dass die illegal Anwesenden freiwillig zurückreisen. Wie sieht es mit Rückkehrhilfe aus? Das machen wir auch, es ist aber eine zwiespältige Sache, eine Gratwanderung. Wenn wir zu weit gehen, ziehen wir unweigerlich wieder neue Asylsuchende an. Was passiert politisch, wenn der Souverän am 24. September sowohl die Asylgesetzrevision als auch das Ausländergesetz ablehnt? Es würde die Schlepper animieren, ihrem Metier noch intensiver nachzugehen. Und die Zahl der Asylsuchenden, die keine Asylgründe haben, würde zunehmen. Die Arbeitslosigkeit und die Kosten würden steigen.

01.09.2006

Bei einem Nein würden die Missbräuche zunehmen

Bundesrat Blocher zum Asyl- und Ausländergesetz 01.09.2006, NZZ, Monika Rosenberg und Christoph Wehrli Die Abstimmungsvorlagen werden von den Gegnern gerne als Blocher-Gesetze bezeichnet . . . Das ist eine bekannte Strategie; eine Person zuerst verunglimpfen, um dann die Gesetzesvorlagen mit dieser Person gleichzusetzen, in der Hoffnung, dass die Bürger aus Abneigung dann Nein stimmen. Aber in der Schweiz sind Abstimmungen keine Plebiszite. Sie haben aber die Revisionen doch ziemlich stark geprägt. In meiner Eigenschaft als Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements machte ich gleich nach Amtsantritt eine Analyse der Missstände im Asylwesen. An einer ganztägigen Aussprache wurde von allen Beteiligten, auch von den Hilfswerken, als Hauptproblem erkannt, dass die Asylsuchenden ihre Identität und ihre Reisepapiere nicht offenlegen. Warum? Ein hoher Beamter sagte, wer seine Identitätspapiere präsentiere, sei der Dumme im Umzug. Meines Erachtens ist aber derjenige der Dumme, der dies akzeptiert. Wird das nicht so bleiben? Welcher Anreiz sollte bestehen, die eigene Rückführung zu erleichtern? Es wird klare Verbesserungen geben. Es ist nicht zu viel verlangt, wenn man selbst von echten Flüchtlingen erwartet, dass sie sagen, wer sie sind und woher sie kommen. Sie haben in Zukunft ein Interesse, Papiere vorzuweisen, wenn sie welche haben. Echte Flüchtlinge werden aber auch ohne Papiere weiterhin aufgenommen, wenn sie ihre Identität offenlegen und glaubhaft machen, warum sie keine Ausweispapiere haben. Für die anderen erfolgt der Nichteintretensentscheid. Künftig wird man nicht mehr jahrelang nach der Identität suchen wie nach Ostereiern. Zudem: Wenn die illegal Anwesenden rascher zurückgeschickt werden können, wird den Schleppern das Handwerk gelegt. Zuerst sagten die Gegner, das revidierte Gesetz sei unmenschlich. Jetzt wird plötzlich gesagt, es werde kaum etwas nützen. Dann müssten die Gegner ja keine Angst haben. Es kommt natürlich darauf an, was die Praxis – auch die Rekursinstanzen – daraus macht. Umstritten ist zudem vor allem die Verschärfung der Zwangsmassnahmen. Die Verantwortlichen aus dem Vollzug legten dar, dass gewisse sehr resistente Personen – damals 40 bis 50 – die bisherige neunmonatige Ausschaffungshaft locker bis fast zum Ende absitzen und sich dann beim Einsteigen ins Flugzeug so verhalten, dass sich die Piloten weigern, sie mitzunehmen. Dann sind sie bei der heutigen Regelung wieder frei, weil die Zeit abgelaufen ist. Deshalb müsse die Ausschaffungshaft verlängert werden. Von der Verdoppelung versprechen sich die Leute an der Front, dass diese Leute dann früher von selbst gehen. Wenn man Weihnachten oder den Ramadan im Ausschaffungsgefängnis verbringen müsste, gehe man eher heim. Andere Länder kennen deshalb gar keine Obergrenze. Auch die Durchsetzungshaft wurde von den Kantonen verlangt, besonders nachdem das Bundesgericht entschieden hat, dass die Nothilfe auch dann gewährt werden muss, wenn die Betreffenden sich weigern, mit den Behörden zu kooperieren und ihren Namen preis-zugeben. Ich finde diesen Entscheid zwar nach wie vor falsch, aber wir haben uns daran zu halten. Kein Schweizer kann irgendwo soziale Unterstützung verlangen, ohne dass er sagt, wer er ist und wo er wohnt. Zum Konzept gehört auch der Sozialhilfestopp nach Ablehnung des Asylgesuchs. Wie soll von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden? Sobald ein Asylsuchender einen negativen rechtskräftigen Entscheid hat und er in seine Heimat zurückkehren kann, ist er verpflichtet, die Schweiz zu verlassen. Er hat dann keinen Anspruch mehr auf Sozialhilfe, kann jedoch bei Bedarf Nothilfe beantragen. Sie haben gesagt, Kirchen und Hilfswerke seien an der Verhinderung von Missbräuchen gar nicht interessiert. Wie meinen Sie das? Einzelne Vertreter von Hilfswerken haben jene, die sich weigerten, ihre Identität offenzulegen, beim Gang vors Bundesgericht unterstützt; sie zeigten sich stets erfreut über Gerichtsentscheide, die eigentlich den Missbrauch schützten. Die Hilfswerke müssten sich vielmehr um die echten Flüchtlinge und deren Integration kümmern. Es ist doch nicht in Ordnung, dass nur ein Viertel der erwerbsfähigen Flüchtlinge arbeitet. Hier fehlt es an der Integrationsarbeit. Wird es schon bald eine weitere Revision geben? Insgesamt sind wir mit der Revision des Asylgesetzes auf gutem Weg. Wir wahren die humanitäre Tradition der Schweiz, wir haben neu eine Härtefallregelung, Erleichterungen für vorläufig Aufgenommene beim Zugang zur Erwerbstätigkeit und beim Familiennachzug. Wir werden zudem viele Missbräuche verhindern können, ganz ausschliessen wird man sie aber nicht. Die bisherigen Revisionen haben diesbezüglich nicht viel genützt. Die erste wirksame Massnahme war der Sozialhilfestopp bei Nichteintretensentscheiden, was neu auch für Abgewiesene gelten soll. Ob dies die letzte Revision sein wird, hängt von der Praxis und den Umständen ab. Wir wissen nicht, was künftig im Bereich der Migration geschieht. Die vorgeschlage Lösung wird grosse Verbesserungen bringen, aber auch mit dieser Revision sind nicht alle Probleme gelöst. Wir haben das politisch Machbare getan. Wäre ein Nein zum Asylgesetz ein grosses Unglück oder einfach eine politische Niederlage? Bei einer Ablehnung würden die Asylgesuche mit Sicherheit ansteigen. Denn es würde sich sofort herumsprechen, dass man weiterhin aus wirtschaftlichen Gründen und ohne Asylgründe illegal in die Schweiz einreisen könnte und grosszügig Sozialhilfe bekäme. Die Missbräuche würden zunehmen. Zum Ausländergesetz. Neu werden aus Nicht-EU-Ländern nur noch Hochqualifizierte zugelassen. Was hat man sich darunter vorzustellen? Das ist nicht der zentrale Streitpunkt. Die Gegner haben eine völlig andere Vorstellung der Ausländerpolitik. Sie möchten der ganzen Welt Zugang zu unserem Arbeitsmarkt gewähren: Wer hier eine Arbeit findet, soll sie auch bekommen. Ab 2011 haben wir aber die volle Freizügigkeit mit der ganzen EU, und das müssen wir zuerst verkraften. Freizügigkeit auch mit dem Rest der Welt würde zu grosser Arbeitslosigkeit führen, die Sozialwerke belasten und enorme Spannungen im Land bewir-ken. Also muss man einschränken: Nur wenn man für eine bestimmte Arbeit niemanden in der EU findet, wird eine Bewilligung für jemanden ausserhalb der EU erteilt. Das ist dann eben der Fall bei den Lassen sich zwei Spezialisten. Weniger gut ausgebildete Arbeitskräfte werden wir noch lange in der EU rekrutieren können. ategorien von Ausländern in der Schweiz längerfristig aufrechterhalten? Wenn die Leute aus der EU den Schweizern gleichgestellt werden, gibt es halt Unterschiede zwischen EU-Angehörigen und den von ausserhalb der EU kommenden Staatsangehörigen. Schlechter gestellt als heute werden diese deswegen nicht. Was bringt das Ausländergesetz konkret für die Integration? Ich glaube, dass man wegkommen muss von gewissen romantischen Integrationsprojekten. Das Wichtigste ist die rasche Integration der Kinder bezüglich Sprache und Schule. In den USA müssen Kinder beispielsweise vor der Einschulung zuerst Englisch lernen. Es ist erstaunlich, dass die «Sozialen» jetzt plötzlich dagegen sind, dass Kinder möglichst vor dem 12. Altersjahr nachgezogen werden. Das war nämlich ein Begehren der Erziehungsdirektorenkonferenz zur besseren Integration der Kinder in der Schule, was später den Anschluss an den Arbeitsmarkt ermöglicht. Ich habe dem Bundesrat diese Woche einen Integrationsbericht vorgelegt. Hier gibt es noch sehr viel zu tun.