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Bundesratszeit

16.01.2007

Fälschung und Piraterie – ein Problem in der Schweiz

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Medienkonferenz zur Lancierung von "STOP PIRACY" - Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie, 16. Januar 2007, Zürich-Flughafen 16.01.2007, Zürich-Flughafen An der Medienkonferenz zur Lancierung der Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie sprach Bundesrat Christoph Blocher über die Auswirkungen und möglichen Gefahren von Fälschungen und Raubkopien. So verlören Schweizer Firmen schätzungsweise 2 Milliarden Franken jährlich und gefälschte Medikamente könnten die Gesundheit der Konsumenten gefährden. 1. Warum sind Fälschungen und Raubkopien ein Problem? Mit Fälschungen und Raubkopien ist es doch so: Jeder hat davon gehört, aber niemand will sie aus der Nähe gesehen haben. Aber Hand aufs Herz: Wer von uns ist nicht schon in der einen oder anderen Art mit Fälschungen und Raubkopien in Berührung gekommen? Unter einem Mantel auf einem fernöstlichen Strand oder gar am Mittelmeer? Auf dem Internet? Auf dem MP3-Player Ihrer Kinder? Oder vielleicht auf Ihrem eigenen MP3-Player? Man ist versucht zu sagen: Eine gefälschte Tasche, eine gefälschte Uhr oder Raubkopien aus dem Internet – wem schadet das schon? Ich sage Ihnen heute: Die Konsequenzen des Handels mit Fälschungen sind gravierend und betreffen uns alle! Anlässlich des World Economic Forum (WEF) vom Frühjahr 2004 wurden die Verluste der weltweiten herstellenden Wirtschaft auf jährlich über 400 Milliarden US-Dollar beziffert. Es geht hier aber um weit mehr als finanzielle Verluste: Die Vernetzung mit dem organisierten Verbrechen ist mittlerweile klar anerkannt. Einkünfte aus Fälschung und Piraterie finanzieren andere kriminelle Aktivitäten – vom Drogen- und Menschenhandel über die Prostitution bis hin zum Terrorismus. Die Versuchung ist gross zu sagen, dass wir hier in der Schweiz damit kein Problem haben, sondern dass nur das Ausland betroffen ist. Dem ist aber nicht so, Fälschung und Piraterie betreffen auch die Schweiz: Gemäss einer Schätzung der Zeitschrift CASH vom 30. Juni 2005 verlieren Schweizer Firmen dadurch insgesamt jährlich bis zu 2 Milliarden Schweizer Franken. Im letzten Herbst wurden beispielsweise in den Regalen eines grossen Schweizer Detaillisten gefälschte Davidoff-Düfte entdeckt. Solche Fälle können für ein Unternehmen teure Folgen haben. Die Konsequenzen können aber noch weit schlimmer sein, wenn gefälschte und deshalb unsichere Haushaltapparate in den offiziellen Vertrieb gelangen. Aber es geht auch in der Schweiz nicht nur um Geld: * Gefälschte Medikamente und Lifestyle-Produkte werden via Internet bestellt und gelangen direkt zum Patienten; das kann die Gesundheit der Verbraucher direkt gefährden; * die Herkunftsangabe 'Schweiz' wird missbraucht und der Ruf der Schweiz als Produktionsland von Qualitätsprodukten gefährdet; * einheimische Künstler und Musiker werden in ihrem Schaffen behindert, weil ihnen Einkünfte, die sie sich verdient haben, vorenthalten werden; 2. Handlungsbedarf in der Schweiz Die Schweizer Behörden schauen dem nicht einfach tatenlos zu: Vor allem das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE), das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic und der Schweizer Zoll kämpfen bereits seit Jahren gegen das Problem an. Das Institut für Geistiges Eigentum setzt sich als Kompetenzzentrum für Fragen des Immaterialgüterrechts auf nationaler und internationaler Ebene für eine bessere Rechtsdurchsetzung ein und schlägt die hierzu notwendigen Gesetzesanpassungen vor. Auch Swissmedic engagiert sich national und international aktiv gegen gefälschte Heilmittel, das sogenannte 'pharmaceutical crime' ein. In der Schweiz sind in den offiziellen Vertriebskanälen bislang keine Fälschungen von Medikamenten bekannt. Aber bei Bestellungen von Medikamenten via Internet besteht ein erhebliches Risiko, gefälschte Präparate zu erhalten, da sich dieser Vertriebskanal der Kontrolle der Behörden weitgehend entzieht. Unser Schweizer Zoll spielt im Kampf gegen Fälschung und Piraterie eine zentrale Rolle: Er ist regelmässig mit gefälschten Produkten konfrontiert und interveniert konsequent, wenn solche Produkte in die Schweiz importiert werden. Die Zahl der Waren, die von den Zollbeamten zurückbehalten wird, steigt seit Jahren stetig an. Und trotzdem: Die Schweiz wird von Fälschern hemmungslos als Transitland missbraucht! Gemäss den aktuellsten Statistiken der Europäischen Union stammten im Jahr 2005 5% der von den europäischen Zollbehörden sichergestellten Produkte aus der Schweiz. Damit liegt die Schweiz hinter China und vor den Vereinigten Arabischen Emiraten an zweiter Stelle. Man kann sich über die richtige Interpretation dieser Statistik sicherlich streiten. Fest steht aber, dass die Schweiz keine Fälschungsindustrie hat. Sofern also rechtsverletzende Produkte über die Schweiz in die EU gelangen, so handelt es sich um Transitware. Dies ist ein ernsthaftes Problem, gegen das wir vorgehen müssen. 3. Die Revision des Patentgesetzes löst das 'Transitproblem' und verbessert die Rahmenbedingungen Fälscherorganisationen missbrauchen die Schweiz, um Fälschungen und Raubkopien an den Mann und die Frau zu bringen. Der Bundesrat will dem ein Ende setzen. Der Bundesrat beabsichtigt, mit dem neuen Patentgesetz die Interventionsmöglichkeiten des Zolls in allen Bereichen des Geistigen Eigentums zu verbessern und das 'Transitproblem' zu lösen: Mit dem neuen Gesetz werden die Zollbeamten nicht nur auf Importe und Exporte, sondern auch auf Transitwaren zugreifen können. Sie werden den wahren Berechtigten verdächtige Gegenstände zur Prüfung aushändigen und illegale Waren in einem raschen und einfachen Verfahren vernichten können. Die Strafen für Personen, die mit gefälschten Gütern Handel betreiben, werden verschärft. Die Vorlage ist gegenwärtig im Parlament und sollte 2008 in Kraft treten. 4. Gesetze allein lösen das Problem jedoch nicht – zur Aufklärung braucht es die Zusammenarbeit zwischen Privaten und Behörden Das neue Patentgesetz wird das Transitproblem verkleinern und die Rahmenbedingungen für die Rechtsdurchsetzung verbessern. Es wird aber nicht verhindern, dass viele weiterhin denken, gefälschte Uhren oder "schwarz" kopierte Software würden niemandem wirklich schaden und sich entsprechend sorglos verhalten. Genau deshalb sind wir heute hier: Die Schweizerinnen und Schweizer müssen wissen, dass es nicht harmlos ist, solche Produkte zu kaufen. Sie müssen wissen, dass es nicht nur gefälschte Taschen, sondern auch gefälschte Medikamente und Maschinenteile gibt. Und dass bei deren Herstellung weder Sicherheitsstandards noch Hygienevorschriften eingehalten werden. Hier tut Aufklärung not. Und hier müssen private Unternehmen und die Verwaltung zusammenarbeiten. Deshalb haben das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum und die Internationale Handelskammer Schweiz eine Partnerschaft gegründet: die Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie. Eine Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung und der Wirtschaft. Diese Partnerschaft kostet den Steuerzahler nur sehr wenig. Die Kampagnen werden nämlich grundsätzlich von der Privatwirtschaft finanziert. Die Verwaltung trägt vor allem mit ihrem Know-how zu den Aktivitäten der Plattform bei. Heute lancieren wir die erste Kampagne der Plattform: "STOP PIRACY"-Plakate werden ab übermorgen in den 9 grössten Schweizer Agglomerationen hängen. Die Plakate appellieren an das Wissen und Gewissen des Einzelnen. Die "STOP PIRACY"-Kampagne und die dazugehörende Internetseite nehmen folgenden Gedanken auf: "Raubkopien und Fälschungen sind ein schlechter Sport: Keine Spielregeln, viele Fouls und nur Verlierer". Wir wollen aufzeigen, dass es Spielregeln gibt, die es zu beachten gilt – und Konsequenzen, wenn diese nicht eingehalten werden. Dabei geht es einerseits um die Beachtung der Spielregeln des Geistigen Eigentums: Intellektuelle Werte und Schöpfungen müssen adäquat geschützt und vor unfairen Angriffen verteidigt werden können, damit unsere Unternehmen weiterhin forschen und entwickeln. Andererseits geht es aber auch klar darum aufzeigen, dass wir mit dem Kauf von gefälschten Produkten und Raubkopien nicht nur unsere Sicherheit und Gesundheit gefährden können, sondern darüber hinaus skrupellose Kriminelle unterstützen. Kurz: Es geht um FAIR PLAY.

12.01.2007

Mit gespanntem Auge…

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Einweihungsfeier des Bundesverwaltungsgerichts, am 12. Januar 2007, in Bern 12.01.2007, Bern Bern. An der Einweihungsfeier des Bundesverwaltungsgerichts würdigte Bundesrat Christoph Blocher die grosse Aufgabe, die dem neuen Gericht bevorstehe. Gute Gerichte seien ein wesentliches Element der für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Unternehmen notwendigen institutionellen Rahmenbedingungen. Unparteilichkeit, Bezug zum Leben, speditives Handeln seien für das Vertrauen von grosser Bedeutung. Herr Präsident des Bundesgerichts, Herr Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Herr Präsident des Bundesstrafgerichts, Sehr geehrte Richterinnen und Richter, Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der parlamentarischen Kommissionen sowie der Kantone Bern und St. Gallen, Frau Regierungsrätin, Meine sehr verehrten Damen und Herren Vor genau 132 Jahren, am 12. Januar 1875, hat sich der damalige Bundesgerichtspräsident Blumer mit den folgenden Worten an die Mitglieder des neuen Bundesgerichts in Lausanne gewandt: "Das Schweizervolk blickt mit gespanntem Auge auf (Ihre) bevorstehenden Entscheidungen hin; es erwartet von (Ihnen), dass (Sie) in unbefangener und objektiver Weise Verfassung und Gesetze in ihrem wahren Sinne und Geiste handhaben und, unbeirrt durch politische, religiöse oder soziale Parteiungen, einfach Recht sprechen." Der 12. Januar 1875 galt der Einweihung des Bundesgerichts. Der 12. Januar 2007 gilt der Einweihung des Bundesverwaltungsgerichts. Es ist das erste eigenständige Verwaltungsgericht des Bundes mit einer umfassenden Zuständigkeit für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten. Mit seinen rund 330 Mitarbeitenden ist das Bundesverwaltungsgericht das grösste Gericht auf Bundesebene. * Im Wesentlichen überprüft das Bundesverwaltungsgericht Verfügungen von Verwaltungsstellen des Bundes. Es tritt damit an die Stelle der bisherigen eidgenössischen Rekurskommissionen und Beschwerdedienste der Departemente. Das Bundesverwaltungsgericht schützt die Bürger vor der Willkür des Staates; * denn mit der Schaffung des Bundesverwaltungsgerichts erhalten die Bürger und Bürgerinnen das Recht, Rechtsstreitigkeiten mit der Verwaltung vor ein verwaltungsunabhängiges und unparteiisches Gericht zu tragen. * Das Bundesverwaltungsgericht ersetzt aber nicht nur die bisher zur Verwaltung gehörenden Rekurs- und Beschwerdeinstanzen, sondern soll auch das Bundesgericht entlasten. Als Vorinstanz des Bundesgerichts übernimmt das neue Gericht eine vollständige Rechts- und Sachverhaltsprüfung. Das Bundesgericht kann sich somit auf eine Prüfung der Rechtsfragen beschränken. * Und schliesslich entlastet das Bundesverwaltungsgericht auch den Bundesrat von Justizaufgaben. Der Bundesrat soll nur noch dort entscheiden, wo es um überwiegend politische Fragen geht. Die Justizreform Das Volk hat im März 2000 Ja gesagt zu einer grundlegenden Neugestaltung des schweizerischen Justizsystems. Das Ziel dieser Reform besteht darin, * den Rechtsschutz zu verbessern, * das Bundesgericht funktionsfähig zu erhalten * und die Grundlagen für ein einheitlicheres schweizerisches Prozessrecht zu schaffen. Totalrevision der Bundesrechtspflege Ein Teil der Justizreform, nämlich die Totalrevision der Bundesrechtspflege ist mit dem Inkrafttreten des Bundesgerichts- und des Verwaltungsgerichtsgesetzes auf den 1. Januar dieses Jahres abgeschlossen. Bereits vor zweieinhalb Jahren konnte in Bellinzona die Einweihung des Bundesstrafgerichts gefeiert werden. Seit Anfang dieses Jahres präsentiert sich auch das Bundesgericht in Lausanne in einem neuen Kleid. Durch die Integration des Eidgenössischen Versicherungsgerichts in Luzern hat es einen zusätzlichen Standort in der Innerschweiz erhalten. Mit dem Umzug des Bundesverwaltungsgerichts nach St. Gallen in rund vier Jahren wird dann das Gleichgewicht in der Gerichtslandschaft des Bundes hergestellt sein. Dadurch wird auch räumlich die nötige Distanz zur Regierung und zum Parlament in Bern geschaffen werden. Vereinheitlichung des Prozessrechtes Auf Kurs ist zudem die Vereinheitlichung des Straf- und Zivilprozessrechts: * Der Ständerat hat in der Wintersession 2006 den Entwurf zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung verabschiedet. Ziel ist es, diese bis Ende Legislatur zu Ende zu beraten und auf 2010 in Kraft zu setzen. * Der Bundesrat hat im Juni letzten Jahres zudem die Botschaft zum Schweizerischen Zivilprozessrecht verabschiedet. Ziel ist, diese bis Ende Legislatur im Erstrat zu verabschieden, so dass diese ebenfalls 2010 in Kraft treten könnte. Grosse Aufgabe Geschätzte Gerichtsleitung, verehrte Richterinnen und Richter, liebe Mitarbeitende des neuen Gerichts, Ihnen steht eine grosse Aufgabe bevor. Sie tragen viel Verantwortung. * Es warten über 10'000 Fälle pro Jahr auf Sie. Ferner gilt es, über 30 verschiedene Rechtskulturen zusammenzuführen und effiziente Arbeitsabläufe zu schaffen. Sie sind aufgerufen, die bisherigen Gärten und Gärtchen hinter sich zu lassen und zum Erfolg des Ganzen Ihren Teil beizutragen. * Ein Gericht, das qualitativ hoch stehende Urteile fällt und Verfahren nicht verschleppt, geniesst bei den Bürgerinnen und Bürgern, in der Gesellschaft und in der Wirtschaft hohes Ansehen und Vertrauen. Sie sind dafür gewählt worden, ein solches Vertrauen zu gewährleisten. * Das Verwaltungsrecht stellt an die Lebenserfahrung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter und ihre Fähigkeiten zur Erkennung und Würdigung praktischer Lebensverhältnisse sehr hohe Anforderungen. Ich wünsche Ihnen bei Ihrer Aufgabe den nötigen Sachverstand. * In etwa der Hälfte der Fälle entscheiden sie gar als einzige und letzte Gerichtsinstanz. Dies betrifft beispielsweise das Asylwesen. Hier ist die Verantwortung besonders gross, weil die Präjudizwirkung sehr wohl bedacht sein will. Vertrauen in die Gerichte erhöht die Verlässlichkeit der Rechts- und Geschäftsbeziehungen. Gute Gerichte sind ein wesentliches Element der für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Unternehmen notwendigen institutionellen Rahmenbedingungen. Unparteilichkeit, Bezug zum Leben, speditives Handeln sind für das Vertrauen von grosser Bedeutung. Verantwortung für die Gerichte heisst aber auch, demokratische Entscheide anzunehmen. Ein wichtiger Testfall für das Verhältnis der Gewalten wird beim Bundesverwaltungsgericht die Frage sein, wieweit es bei der Prüfung der Angemessenheit gehen wird. Die Angemessenheitsprüfung stellt eine schwierige Aufgabe, ja eine Gratwanderung dar. Nimmt das Bundesverwaltungsgericht diese Kompetenz allzu zurückhaltend wahr, muss es sich den Vorwurf der Rechtsverweigerung gefallen lassen. Interpretiert es hingegen seine Überprüfungsbefugnis zu weit, riskiert es, selber Politik zu betreiben. Viele Fragen sind heute noch offen. Die besorgten Bürger fragen: * Werden sich der Rechtsschutz und die Rahmenbedingungen für Private und auch für wirtschaftliche Unternehmen verbessern? * Funktioniert das Justizsystem auf Bundesebene effizienter? * Wird staatliches Handeln schwieriger werden? * Wird gar der Leviathan gefesselt? * Soll etwa gelten "Fiat Justitia - pereat mundus"? So kann ich Ihnen nur mit auf den Weg geben, was ebenfalls am 12. Januar - aber vor 132 Jahren - gesagt wurde: "Das Schweizervolk blickt mit gespanntem Auge auf (Ihre) bevorstehenden Entscheidungen hin; es erwartet von (Ihnen), dass (Sie) in unbefangener und objektiver Weise Verfassung und Gesetze in ihrem wahren Sinne und Geiste handhaben und, unbeirrt durch politische, religiöse oder soziale Parteiungen, einfach Recht sprechen."

31.12.2006

Alles grundsätzlich überprüfen

Justizminister Christoph Blocher will die Bundesverwaltung radikal umbauen 31.12.2006, Christoph Lauener Der Bundesrat überprüft die Struktur der Departemente; div. Mitglieder haben ihre Ideen bereits kundgetan (das erläutern wir in einem sep. Text). Was sind Ihre Visionen für die künftige Gestalt der Bundesverwaltung? Man soll sich nicht mit einzelnen Retouchen aufhalten. Es mag in Ordnung sein, ein Bildungsdepartement zu schaffen, wie es breit gefordert wird. Aber das allein genügt nicht, denn jede Umorganisation schafft eine neue. Entweder man überprüft alles grundsätzlich, oder man lässt es bleiben. Welche Ideen also werden Sie einbringen? Richtig wäre auch ein Sozialdepartement zu prüfen. AHV, IV, Krankenkassen, Bundesamt für Gesundheit, die Fürsorge - soweit der Bund dafür zuständig ist - die Migration, die ja heutzutage auch und vor allem eine soziale Aufgabe geworden ist, eventuell die Arbeitslosenversicherung. Wozu das? Die sozialen Einrichtungen und ihr Angebot überschneiden sich heute teilweise. Das liesse sich vermeiden. Zudem wäre man zu einer Gesamtsicht gezwungen: Die Betreuung von Flüchtlingen zum Beispiel zahlt heute das EJPD, dabei ist es eine Sozialleistung. Andere Reformvorschläge? Zu prüfen wäre auch ein Departement, das für die rechtliche Aufsicht zuständig wäre: Bankenkommission, Versicherungsaufsicht, Revisionsaufsichten, das Bundesamt für Justiz, Beschwerdedienste soweit sie in der Bundesverwaltung bleiben. Es muss das Prinzip gelten: Gleichgelagerte Funktionen und Aufgaben gehören in dieselben Departemente. Damit sind die Verantwortlichkeiten klar, man vermeidet Überschneidungen und man spart Kosten. Verkehr und Medien passen nicht unbedingt zusammen. Die sind heute beide im UVEK. Der Medienbereich würde besser in ein neues Bildungsdepartement als ins Verkehrsdepartement passen; der Verkehr ist für sich allein schon umfangreich genug. Bei der Bildung unterzubringen wäre ausserdem die Kultur. Was halten Sie von einem Sicherheitsdepartement, wie es Ihrem Parteikollegen Schmid vorschwebt? Man müsste auch das prüfen, wenngleich es Probleme gibt: Armee und Polizei in einem Departement sind problematisch. Darum haben die kantonalen Polizeicorps und die Linke Bedenken – und ich auch. Und das Aussendepartement? Gleich? Kleiner? An ein anderes koppeln? Man muss sich ernsthaft fragen, ob nichte ein Aussendepartement zu einem Servicedienst für alle Auslandtätigkeiten der einzelnen Departemente ausgebaut werden und gleichzeitig das Schwergewicht auf der Koordination liegen müsste. Sie würden also die Verwaltung völlig umgekrempeln. Es würde wohl keiner der sieben Bundesräte sein Departement wieder erkennen. Deshalb müsste man vorne beginnen, was am besten nach einer Gesamterneuerungswahl möglich wäre, also 2008: Jeder gibt sein Departement ab, dann werden sie neu formiert, und die Bundesräte übernehmen der Anciennität nach ihr neues Departement. Die Zahl der Departemente müssen wir nicht ändern. Das ist wohl trotzdem zu radikal für das Kollegium. Das kann sein. Es ist aber auch Unterstützung zu erkennen. Wichtig ist, dass wir jetzt entweder grundsätzlich über die Bücher gehen, oder diese Diskussionen begraben; sie schürt nur den Zwist und die Buschkämpfe in der Verwaltung. Die heutige Gestalt der Departemente ist zum Teil historisch gewachsen; so haben die Sozialwerke oder der Verkehr heute wesentlich mehr Gewicht. Dann gab es auch opportunistische Zuteilungen wie das Zuteilen des Sports zum VBS, zugunsten von Adolf Ogi. Es ist Zeit, das Ganze anzuschauen.   Moritz Leuenberger steht vor einer heiklen Aufgabe Moritz Leuenberger hat vom Gesamtbundesrat den Auftrag erhalten, zu prüfen, ob und wie die Departemente neu zusammengesetzt werden sollen. Die Sache ist delikat: Es geht nicht nur um mehr Effizienz und weniger Kosten; es geht auch um Macht und Prestige. Verschiedene Mitglieder der Landesregierung sind deshalb vorgeprellt und haben ihre Ideen öffentlich gemacht. Innenminister Pascal Couchpin plädiert für eine grosse Rochade: Er schlägt vor, das Sozialwesen von seinem Departement zu Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard zu verschieben und dafür die ganze Bildung zu übernehmen. Leuthard selber möchte die Bildung bei sich zusammenlegen. Militärminister Samuel Schmid wünscht sich seit längerem ein Sicherheitsdepartement, in dem Armee, Grenzschutz und Polizei vereinigt sind. Schmids Parteifreund Christoph Blocher hat aber Bedenken - und wird radikale Vorschläge einbringen. So schwebt ihm vor, das Aussenministerium zur "Servicestelle" für die anderen Departemente zu degradieren (siehe Interview oben). Ende Januar soll Moritz Leuenberger den Bundesrat über das weitere Vorgehen informieren.

30.12.2006

Das Volk frisst heute nicht mehr alles

Blocher kämpft gegen neue Steuern, will Ausländer zu Sprachkursen verdonnern und verlangt Einblicke in die Sündenregister der Jugend. Er ist ganz der Alte geblieben. 30.12.2006, Neue Luzerner Zeitung, Jürg auf der Maur Letztes Jahr zogen sie auf dem Gurten Bilanz, jetzt auf dem Uetliberg. Sind das nächste Mal der Pilatus oder die Rigi am Zug? Eine sehr gute Idee! Die Orte würden sich bestens eignen, Bilanz zu ziehen. Im Dezember 2007 wird diese Pressekonferenz ganz besonders interessant sein, weil dann ja auch die Wahlen vorbei sind. Werden Sie noch Bundesrat sein? Ich gehe jedenfalls davon aus. Dann betreiben Sie und die SVP Panik auf Vorrat, wenn sie befürchten, man wolle Sie nicht mehr wählen? Wenn die Linke - das heisst die SP und die Grünen - es seit einem Jahr als oberstes Wahlziel bezeichnet, dass der Blocher aus der Regierung müsse, dann hat man das ernst zu nehmen. Das hat es in der Schweizer Konkordanz bisher ja noch nie gegeben. Dass eine grosse Regierungspartei jemanden nicht mehr wählen will, nur weil einem die Politik des betreffenden Bundesrates nicht gefällt. Genau das machen ja SP und Grüne. Sie werfen mir ja nicht vor, ich würde meine Aufgabe nicht erledigen oder mein Departement schlecht führen. Blocher ist die Personifizierung der neuen Politik - vor allem im Asyl- und Ausländerbereich. Darum muss er weg. Auch die vereinigte Linke kann Sie nicht abwählen. CVP-Präsident Christoph Darbellay erklärt, die CVP werde Blocher nicht wählen. Das sagte er, bevor er CVP-Präsident wurde. Jetzt tönt es anders. Warten wir ab. Es geht um eine politische Ausrichtung. Die SVP hat klar Stellung bezogen und ein Bekenntnis zur Konkordanz abgegeben. Die SVP wird alle wählen, die von den Regierungsparteien vorgeschlagen werden. Sie fordert aber Gegenrecht, sonst wird sie in die Opposition gehen. Für sie sind Sprachkenntnisse zur Integration. Diese müssen zwingend verlangt werden. Wie soll das geschehen? Mein Departement ist daran, erste Ideen zu entwickeln. Und? Wer in die Schweiz kommt, irgendeine Aufenthaltsbewilligung erhält und hier bleiben darf, soll sich zwingend um seine Sprachkenntnisse kümmern müssen. Sonst wird seine Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert. Das ist aber noch nicht ausgegoren. Bei den Flüchtlingen ist dieses Vorgehen nicht möglich, bei allen anderen Ausländern aber schon. Wer eine Aufenthaltsbewilligung will, soll die Landessprache reden und verstehen. Dann brauchen Sie Heerscharen von neuen Sprachlehrern? Und? Das ist ja auch kein Problem. Die Sprachkurse sollen von den Ausländern bezahlt werden. Die dürfen den Staat direkt nichts kosten. Das geht? Bei Flüchtlingen wird der Staat zahlen müssen. Wenn ein betroffener Flüchtling jedoch nicht an einem Sprachkurs teilnimmt, soll die Sozialhilfe gekürzt werden können. Obligatorische Sprachkurse sind das eine. Sie prüfen aber auch die Einbürgerung auf Probe. Die Leichtfertigkeit der Einbürgerung ist näher anzusehen. Wir stellen fest, dass wir in der Schweiz die Bedingungen zur Einbürgerung oft missachten. Das hat man gerade wieder bei den Vorfällen in Seebach gesehen. Jetzt kommt die Polizei und sagt, sie habe sich immer gewundert, dass diese Burschen eingebürgert worden seien. Das heisst? Das zeigt, dass entweder eingebürgert wird, ohne dass man weiss, was die Polizei weiss. Oder man bürgert ein, obwohl man weiss, dass die Polizei Vorbehalte hat. Beides geht nicht. Was ist Ihre Lösung? Wir brauchen eine bessere Einsicht in die Polizeiakten und -dossiers. Das prüfen wir jetzt. Wir brauchen klarere Regeln zur Einbürgerung und wir brauchen einfachere Regeln, um jemandem das Bürgerrecht wieder entziehen zu können. Besser ist jedoch die genaue Prüfung vor der Einbürgerung, also bei der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung oder bei Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. Konkret? In die Anzeigen- und Vorstrafenregister der Einbürgerungswilligen muss zwingend Einsicht genommen werden. Auch Einsicht zum Beispiel in Schulakten müsste möglich sein. Vor allem bei Jugendlichen stellt sich zusätzlich das Problem, dass nur Verurteilungen zu einem Freiheitsentzug oder zu einer Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung im Strafregister eingetragen werden. Haben Sie sich konkrete Termine gesetzt? Zur Zeit läuft die Diskussion im Departement. Bis im Frühling sollte man aber wissen, ob und wie unsere Ideen realisiert werden können. Dann legen wir einen Bericht vor. Noch gibt es zwei Knackpunkte: Die Frage der Doppelbürgerschaft und wie wir die Einbürgerungen sicherer gestalten können. Mit Ihrer Bilanz-Pressekonferenz haben Sie Wahlkampf für Ihre Partei betrieben. In den 90er Jahren waren SP und Grüne für Fehlentwicklungen verantwortlich, seit 2003 gehe es aufwärts im Land, sagten Sie. So habe ich das nicht gesagt. Es wäre falsch, die Schuld an den Fehlentwicklungen in den Neunzigerjahren der Linken alleine in die Schuhe zu schieben. Erstens waren die Grünen noch nicht so stark wie heute und zweitens konnte die SP ja nicht alleine regieren. Also? Es war ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das zu diesen Fehlentwicklungen führte. Der Fall der Berliner Mauer, der Zusammenbruch des Kommunismus, die Vorstellung, jetzt herrsche ewiger Friede führte zu einer Euphorie und einer gewissen Sorglosigkeit in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Sie verleitete dazu, Geld zu verschleudern, Steuern zu erhöhen oder das Heil in EU und Nato zu sehen. Gutschweizerische Werte wie Eigenständigkeit, Neutralität oder Fleiss galten nichts mehr. Das hat mit der Doppelvertretung der SVP im Bundesrat 2003 geändert? Die SVP war jene Partei, die am stärksten Gegensteuer gab. Darum wurde sie von der kleinsten Regierungspartei zur stärksten Partei im Land. Seit 2003 hat es beim Bund keine Steuererhöhungen mehr gegeben.  Das ist so. Seit langem sind in dieser Legislatur erstmals die Steuern nicht mehr erhöht oder neue geschaffen worden. Die 0,8 Prozent zusätzliche Mehrwertsteuerprozente, die zur Finanzierung der AHV erhoben werden sollten - eine Vorlage der früheren Regierung - sind ja vom Volk abgelehnt worden. Man sieht, die Zeiten haben sich geändert. Das Volk frisst heute nicht mehr alles. Für die kommende Legislatur zeichnen sich neue Steuern ab. AHV und IV brauchen Finanzspritzen. Das ist zu hinterfragen. Ich kann nicht für alle Ewigkeit versprechen, dass es keine neuen Steuern gibt. Ihre persönliche Meinung? Der Bundesrat hat für die IV Mehreinnahmen beschlossen. Ob das Parlament folgt, muss sich zeigen. Der Bundesrat ist der Meinung, es müsse für die IV-Sanierung eine Steuererhöhung oder mehr Lohnprozente geben. Die SVP ist anderer Meinung. Moritz Leuenberger kündigt an, als Linker Ja zur Erhöhung des AHV-Alters zu sagen, wenn die Bürgerlichen Ja zur Finanzierung sagen. Machen Sie einen Schritt auf ihn zu? Um eine Erhöhung des Rentenalters wird man ja kaum herumkommen. Die Frage ist wann. Mit zusätzliche Steuereinnahmen? Wenn man dem Volk die Frage unterbreiten würde, ob es lieber das Rentenalter erhöht oder höhere Mehrwertsteuern bezahlt, glaube ich, dass es sich für ein höheres Rentenalter, nicht aber für mehr Fiskalabgaben ausspricht. Man kann den Leuten nicht immer mehr wegnehmen. Das heisst konkret? Am Schluss besteht wohl die Gefahr, dass beides gemacht wird. Dass man also das AHV-Alter erhöht, gleichzeitig aber noch mehr Geld einfordert. Das zeigt, dass wir seit 2003 zwar auf dem richtigen Weg sind, aber noch bei weitem nicht alles zum besten steht. Insofern sind die Wahlen 2007 sehr wichtig. Hier entscheidet sich, auf welche Seite das Pendel schlägt. Nämlich? Den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern stellt sich im Wahljahr die Frage, ob sie die seit 2004 erfolgte Wiederbelebung der erfolgreichen schweizerischen Werte gutheissen oder zur realitätsfremden Politik der Neunzigerjahre zurückkehren möchten. Die Linke wird den Steuerwettbewerb zum Hauptthema machen. Sie haben noch immer kein Problem damit? Nein, im Gegenteil. Die Kunst der kommenden Jahre wird sein, mit möglichst tiefen Steuern möglichst viel Einkommen zu schaffen. Für die Linke ist das ein Widerspruch. Die Realität belegt die Richtigkeit dieser Regel immer von neuem: Sei es in Zug, in Schwyz, in Nid- und Obwalden, aber auch in Schaffhausen. Sobald die Steuern gesenkt werden, entstehen neue Arbeitsplätze und letztlich wird mehr Steuersubstrat generiert. Sie sehen keine Grenzen nach unten? Weiter als auf Null wird man nicht gehen können. Und im Ernst? Das wird man sehen, wenn die Rechnung nicht mehr aufgeht. Es gibt ja die Idee, Unternehmen sollten von den Steuern befreit werden. Solche Modelle existieren. Was den Linken der Steuerwettbewerb ist der Rechten die Neutralität. Sie wird ebenfalls zum Wahlkampfthema. Für ein kleines Land wie die Schweiz ist sie extrem wichtig. Auch in Zeiten des Terrorismus ist sie bedeutungsvoll. Terroristen stehen innerhalb der globalen Spannungsfelder. Die Schweiz tut gut daran, sich aus den globalen Konflikten herauszuhalten. Sie sagen, die Neutralität gelte heute wieder mehr als 1990. Genügt Ihnen das, oder soll sie in der Verfassung stärker verankert werden? Die Diskussion ist alt. Die Neutralität wird in der Verfassung verlangt! Die Frage ist, ob sie enger und konkreter umschrieben werden soll. Was ist Ihre Meinung? Ich bin dagegen, die Neutralität in der Verfassung enger zu definieren. Je genauer sie umschrieben wird, desto grösser ist die Gefahr, dass der konkrete Fall dann nicht definiert ist. Die SVP und die Auns wollen eine Neutralitäts-Volksinitiative vorlegen. Aus verständlichen Gründen, denn heute bezeichnen sich viele als neutral, nur um das Gegenteil tun zu können. Trotzdem: Ich bin dagegen, die Neutralität in der Verfassung näher zu umschreiben. Der Auns und der SVP geht es um die Disziplinierung von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Das darf man nicht allzu personenbezogen betrachten. Heute ist Frau Calmy-Rey Aussenministerin. Bis der Verfassungsartikel greifen würde, ist sie vielleicht schon nicht mehr im Bundesrat.  

13.12.2006

Privatrecht und direkte Demokratie

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher am Abendempfang der "Study Group on an European Civil Code SGECC" vom 13. Dezember 2006 in Luzern 13.12.2006, Luzern Luzern. In seiner Ansprache am Abendempfang der "Study Group on an European Civil Code SGECC" wies Bundesrat Christoph Blocher auf die Besonderheiten der direkten Demokratie und deren Auswirkungen auf das schweizerische Privatrecht hin. Im Hinblick auf das Projekt "European Civil Code" gab er zu bedenken, dass gleiches Recht immer auch mit der Gefahr verbunden sei, die gleichen Fehler zu machen. Die Study Group on a European Civil Code tagt erstmals ausserhalb der Europäischen Union. Ich freue mich, Ihnen zu diesem Ereignis die Grüsse des Schweizerischen Bundesrates überbringen zu dürfen. Sie tagen in der Schweiz. Was ist die Schweiz? Zunächst ist sie ein Teil Europas, aber will der EU nicht angehören. Und doch gehören wir alle, die hier versammelt sind, rechtsstaatlich verfassten, demokratischen Staaten an. Das Unterscheidende ist lediglich die Tatsache, dass die schweizerische Demokratie eine direkte Demokratie ist. Was ist damit gemeint? In der Schweiz meint direkte Demokratie das Recht des Volks, in letzter Instanz über jedes vom Parlament beschlossene Gesetz befinden zu können. Diese Art der Demokratie, also Volksherrschaft, ist auch der Hauptgrund, warum die Schweiz nicht der EU angehört. Denn das Volk hat die Möglichkeit an der Urne zu allen entsprechenden Vorlagen Nein zu sagen. Und das ist mit dem EU-Beitritt unvereinbar. Was heisst direkte Demokratie? Was heisst nun Direkte Demokratie im konkreten politischen Alltag. Eine Volksabstimmung über ein vom Parlament beschlossenes Gesetz kommt dann zustande, wenn innerhalb von 100 Tagen nach Erlass eines Gesetzes 50'000 Stimmberechtigte eine Volksabstimmung verlangen. Anders als bei einer Verfassungsänderung findet also nicht in jedem Fall eine Volksabstimmung statt. Entsprechend ist statt von direkter Demokratie häufig auch vom fakultativen Referendum die Rede. Heissen die Stimmberechtigten das Gesetz gut, so kann dieses in Kraft treten. Andernfalls ist es gescheitert. Die Abstimmung hat also weder bloss konsultativen noch plebiszitären Charakter. Deshalb kann die Regierung auch nach einer Abstimmungsniederlage im Amt bleiben, und auch das Parlament wird in diesem Fall nicht aufgelöst. Müsste die Regierung nach jeder verlorenen Abstimmung abtreten, dann hätten wir wahrscheinlich mehr Regierungswechsel zu verzeichnen gehabt als Italien. Also eine ganze Menge. Privatrecht als Wiege der direkten Demokratie Die direkte Demokratie ist ohne Zweifel die Besonderheit des schweizerischen Staatsrechts. Die Stimmberechtigten können damit unmittelbar auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen und nicht nur, wie im Ausland üblich, über die Wahl bestimmter Personen und Parteien. Dies gilt selbstverständlich auch für das Privatrecht. Es stand sogar an der Wiege der direkten Demokratie in der Schweiz. Das fakultative Referendum fand 1874 Aufnahme in die schweizerische Bundesverfassung, just zum gleichen Zeitpunkt, als Volk und Stände auch jener Verfassungsänderung zustimmten, die den Weg zur Vereinheitlichung des Privatrechts auf Bundesebene freimachte: Es folgte 1881 das Obligationenrecht und 1907 - nach einer nochmaligen Ergänzung der Verfassung - das Zivilgesetzbuch. Das Zusammentreffen von direkter Demokratie und Rechtsvereinheitlichung in der Verfassung von 1874 war kein Zufall. Im Gegenteil. Den politischen Akteuren der damaligen Zeit war klar, dass ohne Ausbau der Demokratie auf Bundesebene keine Mehrheit für die Vereinheitlichung des Privatrechts auf Bundesebene zu finden war. Ohne Referendum keine Rechtseinheit! Bedeutung der direkten Demokratie Auch wenn das Referendum nur in wenigen Fällen ergriffen wird, darf man nicht glauben, dass die direkte Demokratie ohne Bedeutung ist. Im Gegenteil: die direkte Demokratie ist die Möglichkeit, Nein zu sagen. So wissen alle politischen Akteure in der Schweiz - angefangen von den politischen Parteilen über den Bundesrat bis hin zum Parlament - nur zu gut, dass es ihnen nichts nützt, von einer Vorlage überzeugt zu sein, wenn sie schliesslich nicht auch die Stimmberechtigten überzeugen können. Die Referendumsmöglichkeit begleitet so die Gesetzgebung von Beginn weg. Der Wert der direkten Demokratie könnte man folglich als "Prävention gegen bürgerfeindliche Gesetze" bezeichnen. Nun werden Sie fragen: Nützt oder schadet die direkte Demokratie dem Privatrecht? Diese Frage kann man nicht beantworten. Weil es eine Frage der persönlichen Wertung ist. Wer für ein Gesetz war, dem das Volk zugestimmt hat, rühmt dann meistens die Klugheit und Weitsicht des Volkes. Wer hingegen in einer Volksabstimmung unterliegt, leidet an der Niederlage und verwünscht dann das "tumbe" Volk mitsamt der direkten Demokratie. Ähnliche Vorbehalte vermute ich auch auf Seiten der Wissenschaft. Das Privatrecht blickt bekanntlich auf eine sehr lange Geschichte des gelehrten Rechts zurück. Da kann es schon als anstössig gelten, dass seit 200 Jahren Parlamente und damit zwangsläufig auch juristische Laien Hand ans Privatrecht legen. Aber für viele gilt das erst recht, wenn das gemeine Volk mitentscheidet. Privatrecht und Wissenschaft? Es ist klar, dass ein solches Privatrecht nie und nimmer einem wissenschaftlichen Ideal entsprechen wird. Die Frage ist aber, ob das Privatrecht einem wissenschaftlichen Ideal entsprechen soll. Versucht man von diesen mehr oder weniger subjektiven Einschätzungen etwas Abstand zu nehmen, lässt sich etwa das Folgende sagen: Die direkte Demokratie führt weder zu besserem noch zu schlechterem Privatrecht. Hingegen trägt sie zu einer besonderen Verankerung des Privatrechts im Volk bei und garantiert auf diese Weise für Stabilität und Verlässlichkeit. Dadurch mag der Fortschritt manchmal etwas später kommen. Dafür stellt dieser dann eine bleibende Errungenschaft dar. Meine Damen und Herren. Welche Schlüsse ziehe ich aus dem Gesagten für Ihr Projekt: Den European Civil Code? Ein European Civil Code Zu bedenken ist, dass gleiches Recht immer auch mit der Gefahr verbunden ist, die gleichen Fehler zu machen. In der Wirtschaft begegnet man dieser Gefahr mit dem Ruf nach (mehr) Wettbewerb. Wieso sollte Gleiches nicht auch für Privatrechtsordnungen gelten? Wieso will man es verhindern, dass Staaten in einen Wettbewerb um die beste Privatrechtsordnung treten? Wieso soll zum Beispiel überall in Europa der gleiche Verbraucherschutz gelten? Die Erfahrung der letzten Jahre und Jahrzehnte lehrt auf jeden Fall, dass unterschiedliche Privatrechtsordnungen einem regen Austausch von Gütern und Dienstleistungen nicht im Wege stehen. Dies gilt auch und gerade zwischen der Europäischen Union und der Schweiz. Viel wichtiger als gleiches Privatrecht ist eben, dass sich alle Beteiligten - Staaten wie Private - an bestimmte grundlegende Werte halten. Ich denke da beispielsweise an den Schutz des Eigentums und der Vertragsfreiheit, aber auch an den Schutz der Persönlichkeit. An diesen Werten sollte sich auch ein European Civil Code immer wieder ausrichten. Nur so macht das Unterfangen überhaupt Sinn. Nur so lohnt sich der Aufwand. Dann aber lohnt sich jeder Aufwand! Ich wünsche Ihnen bei Ihrer Arbeit Glück und Erfolg.