Artikel
16.05.2001
13.05.2001
«Sie wurden in eine Heimatlosigkeit getrieben»
Christoph Blocher über sein Heimatverständnis, Landsgemeinden und die Waffe zu Hause Interview mit der SonntagsZeitung vom 13. Mai 2001 Interview: Christoph Lauener Herr Blocher, was haben bewaffnete Schweizer Soldaten im Ausland mit unserem "Obligatorischen" zu tun? Christoph Blocher: Wieso? An der Schützen-Landsgemeinde gestern wurde allen Ernstes behauptet, das neue Militärgesetz führe zur "Demontage der Schützentradition". Blocher: Die Schweizer Armee hat Freiheit und Unabhängigkeit des Landes auf dem Boden der Neutralität zu verteidigen. Sie ist heute eine Milizarmee. Der Bürger ist auch Soldat. Symbolisiert wird dies dadurch, dass jeder Soldat seine Waffe zu Hause hat. Und das soll bei Annahme des Militärgesetzes vorbei sein? Blocher: Bei den beiden Vorlagen am 10. Juni steht der Auslandeinsatz im Mittelpunkt. Die Bewaffnungs- und Ausbildungsvorlagen sollen es der Schweizer Armee ermöglichen, Kriege zu üben, um mit anderen Armeen Kriege zu führen. Alles ist auf Nato-Unterstellung, auf Nato-Anschluss ausgelegt. Da hat die Schweizer Milizarmee nur noch wenig Platz. Darum setzen sich die Berufsmilitärs aus dem Verteidigungsdepartement so verbissen für diese Vorlage ein. Der Bundesrat will aber eine Milizarmee, also bleibt das Gewehr im Schrank. Blocher: Vor jeder Abstimmung wird die Sache beschönigt. Blocher sagt dies, der Bundesrat das Gegenteil: Bald weiss niemand mehr, worum es am 10. Juni eigentlich geht. Blocher: Es gibt zwei Meinungen. Bundesrat Ogi war wenigstens noch ehrlich, während heute verwedelt wird. Sie sind es doch, der ein Riesentheater um den 10. Juni macht. Es geht doch nicht um Sein oder Nichtsein der Schweiz. Blocher: Nicht um Sein oder Nichtsein. Es geht darum, ob unsere Generäle mit anderen Armeen den Krieg üben sollen, um diesen im europäischen Grossraum im Kriegsfall auch führen zu können. Das ist das Sicherheitsrisiko und der Verstoss gegen die Neutralität. Sie behaupten, bewaffnete Schweizer Soldaten setzten sich "unkalkulierbaren Risiken" aus und illust-rieren das mit Friedhofskreuzen. Blocher: Ja, damit werden wir in fremde Händel gezogen und müssen früher oder später unsere Söhne opfern. Das ist überrissene, Angst machende Polemik. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass die allermeisten Auslandsoldaten bei Unfällen ums Leben kamen. Blocher: Sie haben die Argumentation des VBS gut übernommen... ...das sind Fakten, denen Ihre Totenkreuze nicht standhalten. Blocher: Wenn die meisten Soldaten bei Unfällen umkommen, warum brauchen sie dann Waffen? Soldaten sind für den Krieg ausgebildet. Der Auslandeinsatz steht ja grundsätzlich nicht zur Diskussion. Also muss man die Leute bewaffnen, sonst sind sie eine Belastung für die anderen Soldaten. Blocher: Humanitäre Hilfe leisten humanitäre Organisationen wirkungsvoller und kostengünstiger als für den Krieg ausgebildete Soldaten. Wer schiesst, schafft sich Feinde, wird Partei. Darum haben Schweizer Soldaten im Ausland nichts zu suchen. Darum verbietet unser Land bis heute Armeeeinsätze im Ausland und auch freiwillige Söldnerdienste. Das stimmt so nicht. Gerade die Landsgemeinde Sarnen, welche die SVP jüngst belebte, schickte Söldner in fremde Händel. Blocher: Und deshalb wollen Sie das jetzt auch wieder einführen? Nein. Aber Sie sagen nur das, was Ihnen ins Konzept passt. Blocher: Der Gedanke, sich unter freiem Himmel zu treffen, zu diskutieren und abzustimmen, gefällt mir. Es fällt auf: Sie beschwören die Landsgemeinde, zitieren die "fremden Händel" aus dem Stanser Ver-kommnis, Niklaus von der Flüe mit "Zieht den Zaun nicht zu weit" - das ist kein Zufall. Blocher: Das sind Allgemeingültigkeiten, die gerade für den 10. Juni hochaktuell sind. Auch Symbole haben für jedes Land ihre Gültigkeit. Und die bei Globalisierung, Tempo und Internet auf fruchtbaren Boden fallen? Blocher: Die Menschen besinnen sich zurück aufs Überschaubare. Sie wurden in den letzten Jahren in eine Heimatlosigkeit getrieben. Sie haben keine guten Erfahrungen gemacht. Wenn Sie nur die Wirtschaft betrachten: Zwei Drittel der fusionierten Grossgebilde waren nicht erfolgreich. Die Leute sagen sich wieder: Wir schauen besser wieder für uns, zu unserer nächsten Umgebung. Gehen Ihnen am Ende noch die Heimatmüden, Ihre Lieblingsgegner, aus? Blocher: Vielleicht, mich würde es freuen. Wer in den letzten Jahren sagte, die Schweiz sei ein Sonderfall, der wurde fast gesteinigt. Dabei will ich nicht werten: Die Schweiz ist ein Sonderfall, aber jeder andere Staat ist es auch. Selbst gewichtige Teile der Linken haben jetzt Überfremdungsängste im Volk ausgemacht und wollen sich derer annehmen. Auch da geht's letztlich um Heimat. Blocher: Auch CVP und FDP tun das. Es wird sich zeigen, ob diese endlich die Sorge der Bevölkerung ernst nehmen, oder ob dies nur eine Schlaumeierei aus wahltaktischen Gründen ist. Vielleicht ist es der Anfang eines Wettbewerbs um die Besetzung des neo-modernen Begriffs "Heimat". Blocher: Das ist möglich. Aber wenn dieser Wettbewerb zu gross wird, sehen Sie mich plötzlich auf der anderen Seite, denn jede gute Sache kann man übertreiben. Die eigene Heimat liebt man, die des anderen hat man zu respektieren. Wird in Übersteigerung dieser Respekt versagt, wird es gefährlich. "Heimat ist nicht einfach, sondern ist das, was wir uns erschaffen": Das ist ein Motto des Expo-Projekts des Espace Mittelland. Was sagen Sie dazu? Blocher: Zu intellektuell. Und wohl auch falsch. Und wenn man die Heimat nicht erschaffen hat? Hat man dann keine? Heimat ist weit gehend auch gegeben. Ein Kind hat seine Umgebung nicht geschaf-fen und doch ist diese seine Heimat. Aber irgendwann ist die Nabelschau zu Ende. Auch Sie als Unternehmer schätzen Leute mit Auslanderfahrung. Noch einmal: Warum sollen Schweizer Soldaten nicht auch davon profitieren? Blocher: Sie können in Sport, Kultur, Wirtschaft - überall zusammenarbeiten. In der Armee nicht, da geht es um Krieg. Das tun wir ja schon. Blocher: Unter ganz strengen Richtlinien, ja. Aber es darf nicht so weit kommen, dass die Schweiz mit anderen Armeen den Kampf übt, faktisch mit der Nato. Was ist so schlimm daran? Blocher: Das bringt im Konfliktfall den Krieg in die Schweiz. Man übt miteinander den Krieg, um ihn im Ernstfall auch führen zu können. Das ist das Risiko und die Abkehr von der Neutralität. Bundesrat Samuel Schmid sagt wörtlich, es geht um die Zusammenarbeit mit anderen Armeen auch im Verteidi-gungsfall. Nehmen wir an, in zwei Monaten wird ein Schweizer Soldat umgebracht, und er hätte sich wehren können, wenn das Volk Ja gesagt hätte zur Bewaffnungsvorlage. Das hätte Ihre Kampagne verhindert. Blocher: Bei zweimal Ja ist die Gefahr viel, viel grösser. Wer Soldaten in Kriegsgebiete schickt, trägt dafür die Verantwortung. Aber wofür soll ich denn nicht schuld sein? Neuerdings auch noch am Nie-dergang der Swissair?
12.05.2001
«Ist unsere Armee nur für den Krieg da?»
Streitgespräch mit Nationalrat Gerold Bührer im "Landboten" vom 12. Mai 2001 Christoph Blocher wünscht sich beim Militärgesetz ein Stoppsignal des Volkes, damit unsere Armee nicht für Kriegseinsätze im Ausland eingesetzt werden kann. Für den neuen FDP-Chef Gerold Bührer ist neben der Verteidigung auch "Sicherheit durch Kooperation" ein Pfeiler unserer Sicherheitspolitik. Interview: Andreas Widmer (Redaktion) und Walter Bührer Was steht am 10. Juni auf dem Spiel? Christoph Blocher: Die beiden Vorlagen sollen die Rechtsgrundlage für die Armee XXI werden, damit man die Schweizer Armee für Kriegseinsätze in Europa vorbereiten kann. Unsere Armee ist aber da zum Schutz von Land, Volk und Freiheit. Unser Bundesrat und unsere Generäle müssen durch zwei-mal Nein gezwungen werden, sich streng an die Schweiz zu halten und keine Kriegsspiele im Ausland zu betreiben. Gerold Bührer: Es geht darum, dass wir bei Militäreinsätzen im Ausland, die jetzt schon zulässig sind, eine Bewaffnung zum Selbstschutz auf Verbandsebene einführen können - bei Einzelpersonen war das auch schon bisher gesetzlich möglich. Auch bei der Ausbildungszusammenarbeit steht nichts grundlegend Neues zur Debatte: Dort geht es um eine Vereinfachung der Verfahren. Ist es Schweizer Soldaten im Ausland nicht zuzubilligen, sich im Notfall wie alle andern mit der persönlichen Waffe zu wehren? Blocher: Diejenigen, die heute in Kosovo sind, haben schon einen Bestand an persönlichen Waffen. Die Frage ist, ob wir Kampfverbände in Gebiete schicken sollen, wo Krieg herrscht. Wir haben über-haupt keine Soldaten - ob bewaffnet oder unbewaffnet - in ausländische Konfliktgebiete zu schicken! Wer schiesst, wird immer Partei. Entweder führt man den Kampf oder man macht humanitäre Hilfe; es gibt keinen fliessenden Übergang "Selbstschutz". Soldaten im Ausland gefährden neutrale humanitäre Hilfe. Bührer: Mit Kampfverbänden hat das ganz und gar nichts zu tun - sonst wäre ich auf der Seite von Herrn Blocher. Es geht um Friedenserhaltung und Stabilität. Friedenserzwingende Einsätze sind aus-drücklich ausgeschlossen. Die Truppen, welche wir jetzt in Kosovo haben, sind im rückwärtigen Raum als Zubringer für Treibstoff, für den Brückenbau usw. eingesetzt, für Pionierarbeiten. Herr Bührer, könnte die Schweiz mit nicht militärischen Mitteln für das gleiche Geld nicht mehr ausrichten? Bührer: Das ist falsch gefragt - es braucht beides. Nehmen wir die Balkan-Krise. Dank dem Einsatz militärischer Kräfte konnte dort eine Stabilisierung erreicht werden. Erst sie erlaubte dann die Entfal-tung der zivilen Unterstützung. 19 Nato- und 20 Nicht-Natoländer (darunter alle Neutralen) sorgen dort für eine gewisse Ordnung. Damit haben sie auch bewirkt, dass wir keine Asylantenströme in die Schweiz mehr haben. Sollen die anderen die militärischen Kastanien für uns aus dem Feuer holen? Blocher: Alle Staaten setzen sich für ihre Interessen ein - für nichts anderes. Ich kritisiere das nicht, das ist auch ihre Aufgabe. Die Kriegsflüchtlinge in Kosovo, die in unser Land strömten, sind durch ein sinnloses Bombardement in unser Land getrieben worden. Man hat nicht einmal Flüchtlingslager an der Grenze in Mazedonien errichtet - das war damals mein Vorschlag für eine Aktion mit dem Katastrophenhilfe-Korps. Ein neutrales Land, wie wir es sind, kann humanitäre Hilfe leisten, die alle anderen nicht leisten können, weil sie Machtinteressen haben und immer Partei sind. Bührer: Herr Blocher hat ein kurzes Gedächtnis. Wir hatten den massiven Flüchtlingszustrom schon in der Bosnien-Krise, vor den Nato-Bombardements. Wenn die Staatengemeinschaft dort unten nicht für Ruhe gesorgt hätte, wäre unsere Belastung an der Asylfront noch viel grösser geworden. Im Absatz 1 des neuen Gesetzesartikels heisst es klipp und klar, dass nur Einsätze im Rahmen der geltenden Aussen- und Sicherheitspolitik zulässig sind. Auch die neue Bundesverfassung legt uns ausdrücklich auf die Neutralitätspolitik fest. Es ist falsch, immer wieder einen Gegensatz zur Neutralität herbeizure-den. Wir nehmen nur an Aktionen teil, die durch Uno- oder OSZE-Beschlüsse völkerrechtlich abgedeckt sind. Herr Blocher, sind für Sie junge Leute, welche sich zum Rest der Welt solidarisch verhalten und sich aktiv für den Frieden einsetzen möchten, idealistische Spinner? Was raten Sie ihnen? Blocher: Wie kommen Sie auf eine so blöde Frage? Wer sich für Frieden engagieren will, der kann vieles tun... Wir fragten Sie nach friedenserhaltenden Engagements. Was heisst das? Blocher: Überall redet man von Friedensarmeen, auch jetzt in der Abstimmungs-Propaganda. Es gibt aber keine einzige Friedensarmee auf der Welt - mit Ausnahme der Heilsarmee. Armeen werden für den Krieg ausgebildet! Wieso sollen wir als neutrales Land Soldaten in einen kriegerischen Einsatz schicken? Das gibt Probleme mit der Neutralität, ob freiwillig oder nicht. Auch freiwillige Söldner sind verboten. Das Motiv des Militärgeset-zes ist eine Öffnung der Armee, eine Internationalisierung unserer Armee; das führt zu Kriegsrisiken für unser Land und zur Abkehr von der Neutralität. Herr Bührer, geht es um Söldnerei auf einer neuen Basis? Bührer: Diese Unterstellung ist ungeheuerlich. Das hat mit Söldnertum hinten und vorne nichts zu tun! Wir haben zu Recht verboten, dass sich Schweizer Bürger in Konflikte zwischen Staaten einspannen lassen. Wir sollten aber vor unserer Haustür einen Beitrag mit völkerrechtlich abgedeckten Mandaten leisten, wie wir es schon bisher taten. Ist die Swisscoy in Kosovo Partei? Blocher: Sobald sie in eine bewaffnete Auseinandersetzung verwickelt wird, ja. Auch in Bürgerkriegen werden sie Partei. Auf dem Balkan sind wir heute für die Serben Partei, denn für sie ist Kosovo besetztes Gebiet. Wir müssten das Elend auf beiden Seiten bekämpfen können. Bührer: Herr Blocher kämpft beim Thema Kampf und bewaffnete Auseinandersetzungen gegen ein Phantom, das am 10. Juni nicht zur Diskussion steht. Dann geht es nur um den Selbstschutz. Wenn ein Schweizer Detachement ein Brennstofflager beschützt und irgendwelche Kriminelle den Most filzen wollen, soll es sich auch wehren können! Zur zweiten Vorlage: Herr Blocher, unsere Armee arbeitet bei der militärischen Ausbildung schon heu-te mit dem Ausland zusammen. Könnte ein Nein sie nicht hindern, weiter mitzuhalten? Blocher: Wir haben schon heute Rechtsgrundlagen, um auch im Ausland Soldaten ausbilden zu kön-nen - aber nur zu Gunsten unserer Armee, nicht um mit anderen Armeen kooperieren zu können! Das Militärgesetz soll nun so geändert werden, dass eine gemeinsame Ausbildung mit anderen Armeen möglich wird, um mit diesen gemeinsam Krieg zu führen, vor allem mit der Nato. Unsere Armee soll damit Nato-unterstellungsfähig gemacht werden. Beabsichtigt ist eine Annäherung, um letztlich den Krieg in Europa gemeinsam führen zu können. Bundesrat Schmid sagt: Im Verteidigungsfall müssten wir mit anderen Armeen kooperieren können. Schon zu Guisans Zeiten hätten wir nach einem Angriff auf die Schweiz, der die Neutralität hinfällig macht, mit anderen kooperieren dürfen. Blocher: Wer Aggressor sein wird, weiss man nicht im Voraus, darum hat man keine mit der Nato interoperable Armee zu schaffen! Das heisst die Schweiz aufgeben. Es geht um den Fall, dass die Schweiz angegriffen würde. Soll sie dann kooperieren dürfen und auch darauf vorbereitet sein? Blocher: Wir verteidigen die Schweiz glaubwürdig auf den Grundlage der Neutralität und haben nun 150 Jahre ohne Krieg hinter uns. Die Armee auf neutraler Grundlage, um sie im Ernstfall möglichst nie zu brauchen, ist die Devise und soll sie auch bleiben. Bedeutet die Ausbildungszusammenarbeit eine schleichende Annäherung an die Nato? Bührer: Es gibt im VBS Leute, welche entsprechende Visionen formuliert haben. Das ist aber unwe-sentlich: Massgebend ist, was wir als Gesetzgeber dem Volk vorlegen und nicht, was einzelne Gene-räle geschrieben haben! Was ist neu? Den Austausch in der militärischen Ausbildung haben wir seit Jahrzehnten. Unsere Luftwaffe hat schon gegen 50 Trainingseinsätze im Ausland hinter sich, dasselbe gilt für die Panzertruppen, weil unsere Waffenplätze für sie zu klein sind. Wir vereinfachen bloss das Verfahren. Bis jetzt waren die Ausbildungsvereinbarungen Bundesratsbeschlüsse; neu sollen sie in der Kompetenz des VBS liegen. Zweitens soll der Gesamtbundesrat Rahmenvereinbarungen ab-schliessen können, innerhalb deren das Departement Verträge mit anderen Ländern aushandeln kann. Alles andere ist freie Interpretation von Herrn Blocher! Blocher: Das Auslandengagement steht im Mittelpunkt für die neue Armee! Ohne den neuen Ausbildungsartikel könnten wir nicht mit anderen Armeen kooperieren. Darum müssen wir Nein sagen. Die-se Vereinbarungen müssen Sache des Gesamtbundesrates bleiben, damit unsere Generalität nicht anfängt, mit anderen Armeen etwas zu machen, was unserer Verteidigung schadet. In der Armee XXI soll von der Sprache bis zur letzten Anhängerkupplung alles auch in die Nato passen. Das macht man doch nicht, wenn man unser Territorium verteidigen will. Bührer: Unsere Waffensysteme sind schon heute weit gehend Nato-kompatibel - aus dem simplen Grund, weil wir die meisten in Nato-Ländern kaufen. Blocher: Unsere Armee muss unser Land und sein Gelände kennen. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben kleine Länder Kriege gewonnen, die sie auf ihrem eigenen Territorium geführt haben - denken Sie an Vietnam, Afghanistan oder Tschetschenien. Für gewisse Ausbildungen haben wir zu wenig Platz - Luftwaffe, Panzer. Blocher: Gegen Bezahlung wird uns das Ausland gerne weiterhin solche Ausbildungen ermöglichen. Ist eine Armee, die nicht von einer Zusammenarbeit profitieren kann, nicht auch teurer? Blocher: Es wird teurer, wenn wir mit den anderen zusammengehen. Führungsmässig, mit der ganzen elektronischen Vernetzung, und auch die Manöver sind dann unbezahlbar. Wenn wir die Armee auf die wahrscheinlichsten und möglichsten Bedrohungen ausrichten, braucht sie weniger Geld. Bührer: Rüstungsbeschaffungen für eine "selbstständige" Armee werden natürlich teurer - auch bezüglich Materialreserven. Autarkie bedeutet Mehrkosten! Herr Blocher, müsste man bei der militärischen Ausbildungszusammenarbeit hinter den bisherigen Zustand zurückgehen, wenn die zweite Vorlage abgelehnt wird? Blocher: Das nicht. Aber die Kooperation mit fremden Armeen ist zu stoppen. Ihr Schlusswort? Blocher: Hinter den Militärvorlagen steht eine fragwürdige internationalistische Betriebsamkeit, die meint, wir müssten unsere Verteidigungsaufgabe nicht mehr selber lösen. Die Neutralität darf nicht preisgegeben werden. Die Schweiz als kleines Land hat auf dem Boden der Neutralität ihre besonderen Dienste anzubieten. Es ist entscheidend, dass es noch ein Land gibt, das auf Parteinahme ver-zichtet und neutral bleibt. Es geht am 10. Juni um die Neutralität. Die Schweizer haben bei einem Ja viel zu verlieren: Verlust an Sicherheit und Aushöhlung der Neutralität. Bührer: Es geht am 10. Juni um ein Engagement unseres Landes für die Stabilität in unserem strategischen Umfeld und zu Gunsten von humanitären Aufgaben, die ohne ein sicheres Umfeld gar nicht möglich sind. Solche persönlichen Einsätze sind immer mit Risiken verbunden - das bestreite ich nicht. Ich verurteile aber, dass die Gegenseite mit Friedhof-Inseraten glauben macht, wenn man zu den Militärvorlagen Ja sage, müssten später viele Särge aus dem Ausland nach Hause geflogen werden. Das ist irreführend und geschmacklos! Ich stehe auf dem Boden unseres Milizsystems, unserer Neutralität und Bündnisfreiheit. Unser Friedensbeitrag im hinteren Glied (und nicht in einem friedens-erzwingenden Kampfgebiet) ist damit vereinbar. Er hilft, den Ruf unseres Landes hochzuhalten, und steht in unserem ureigensten Interesse.
11.05.2001
«Herr Blocher, was verstehen Sie unter Neutralität?»
Boris Banga (SP/ Solothurn), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission, befragt den Zürcher SVP-Nationalrat Streitgespräch mit Nationalrat Boris Banga im Blick vom 11. Mai 2001 Heisst Neutralität, dass die Schweiz Kriegsverbrecher wie Slobodan Milosevic gewähren lassen muss? Wie ernst ist es den Gegnern von Auslandeinsätzen der Armee mit ihrem verstärkten Engagement in der zivilen Hilfe? SP-Nationalrat Boris Banga (51), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission, fühlt für BLICK Christoph Blocher (60) auf den Zahn Heute geht es nur um die Bewaffnung. Warum haben Sie das Referendum nicht ergriffen, als Aus-landeinsätze 1995 mit einer Militärgesetzrevision ermöglicht wurden? Christoph Blocher: Unbewaffnete Soldaten, das ist ein Widerspruch. Doch der Bundesrat gab 1995 zur Antwort, es gehe nur um Einsätze, die keine Waffen brauchen. Zum Beispiel Hilfeleistung durch Genie- und Rettungstruppen in Erdbebengebieten. Was hat der Bundesrat getan? Einmal mehr wur-den wir über den Tisch gezogen, es wurden unbewaffnete Soldaten in Kriegsgebiete geschickt. Dort haben Schweizer Soldaten - weder bewaffnet noch unbewaffnet - nichts zu suchen. Sie behaupten, Auslandeinsätze würden die humane Solidarität verhindern. Verstehen Sie mehr da-von als IKRK-Präsident Jakob Kellenberger, der das Gegenteil sagt? Blocher: International anerkannte Experten halten die Idee der bewaffneten Einsätze heute für einen Fehler und verlangen die Trennung von militärischen Aktionen und ziviler Aufbauhilfe. Als EU-Turbo unterstützt Jakob Kellenberger die Internationalisierung der Verteidigungspolitik, um die es wirklich geht. Wir gefährden den seit 150 Jahren andauernden Frieden in unserem Land und werden unsere Soldaten für fremde Händel opfern. Sie haben die Liebe zur Entwicklungszusammenarbeit und ziviler humanitärer Hilfe entdeckt. Sind Sie auch bereit, mehr Geld dafür zur Verfügung zu stellen? Blocher: Die SVP ist schon lange für die Schaffung eines humanitären Korps für zivile Zwecke. Und das kostet wesentlich weniger als die Rüstungspläne der Generäle, die sich von der Widerstandsar-mee verabschieden wollen. Ich kann nicht begreifen, dass Sie als Sozialdemokrat die Ausrichtung auf die Nato mitmachen. Früher konnten wir uns wenigstens noch darauf einigen, dass der Anschluss an ein Militärbündnis nicht in Frage kommt. Der Nato-Beitritt steht nicht zur Diskussion. Ich stelle aber fest, Sie befürworten keine zusätzlichen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Blocher: Ich befürworte von Fall zu Fall den Einsatz eines humanitären Korps für die zivile Aufbauhil-fe. Ein Swisscoy-Soldat kostet monatlich 42000 Franken, ein Mann des Katastrophenhilfekorps nur 12000 Franken. Die Mittel für die zivile Aufbauhilfe könnten viel effizienter eingesetzt werden. Sie sehen die Neutralität in Gefahr. Was verstehen Sie überhaupt darunter? Blocher: Glaubwürdige Neutralität bedeutet, keine Partei zu ergreifen in internationalen Auseinandersetzungen. Neutralität ist ein Friedensgarant für den Kleinstaat Schweiz. Sie hat uns über 150 Jahre vor Kriegen bewahrt. Ein Soldat, der im Ausland eingesetzt wird und von seiner Waffe Gebrauch macht, ergreift Partei. Sie sehen die Schweiz also genau in der Mitte zwischen Saddam Hussein und der Uno oder Slobodan Milosevic und der Nato. Was soll es für die neutrale Schweiz zwischen Kriegsverbrechern und der Staatengemeinschaft zu vermitteln geben? Blocher: So einfach liegen die Dinge nie. Denken Sie an den Konflikt zwischen Israel und den Paläs-tinensern. Unrecht gibt es stets auf beiden Seiten, aber auch Elend. Zur Ausbildungszusammenarbeit schreiben Sie "Warum sollen wir fremden Truppen unseren starken Trumpf, unser Gelände preisgeben?" Und "fremde Truppen wird man so leicht nicht mehr los". Glauben Sie im Ernst, dass der nächste Krieg gegen Frankreich geführt wird oder ausländische Soldaten in Thun oder Payerne die Schweiz besetzen wollen? Blocher: Ich glaube nicht an einen Krieg. Ich weiss nur eines: Es gibt nichts Wechselhafteres als in-ternationale Lagen. Die Armee ist dazu da, unser Territorium, unser Land, unser Volk und unsere Freiheit zu verteidigen. Unsere Stärke dabei ist das Gelände. Wer behauptet, die autonome Verteidi-gung des eigenen Territoriums sei für ein kleines Land nicht möglich, leidet an Grössenwahn. Ich will keine fremden Truppen, die in unserem Land mit unserer Armee Übungen durchführen und keine Manöver unserer Armee im Ausland, weil das den Zweck der gemeinsamen Kriegsführung hat. Das läuft auf eine der Nato unterstellte Angriffsarmee statt einer Widerstands- und Verteidigungsarmee hinaus.
11.05.2001