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08.12.2000

«Jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten»

Christoph Blocher über den Axantis-Deal, seine Nachfolge und die von ihm befürchtete Rezession. Interview mit CASH vom 8. Dezember 2000 Chefstratege Christoph Blocher schwimmt wieder obenauf - als Unternehmer, nicht aber als Politiker. Relaxed geht er auf den Axantis-Deal ein und schildert, wie seine Nachfolge geregelt werden könnte. Er befürchtet, dass eine Rezession vor der Tür steht. Vom neuen SVP-Bundesrat Samuel Schmid distanziert er sich. Autor: Victor Weber, Marcel Odermatt Ist das nun ein verspätetes Geschenk zu Ihrem Geburtstag oder ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, das Sie sich da gemacht haben? Christoph Blocher: Nun, wenn Sie damit die Chance meinen, Axantis zu übernehmen, so wäre dies ein teures Geschenk. Zum 60. Geburtstag darfs ja wohl ein grosszügiges Geschenk sein. Blocher: Sagen wir es so: Gelingt der Plan, die ehemalige Attisholz zu übernehmen, geht ein alter Wunsch in Erfüllung. Schon zu Beginn der Neunzigerjahre versuchten wir, der damaligen Führung eine neue Strategie schmackhaft zu machen. Vergebens. Erst Jahre später ist eine neue Strategie verwirklicht worden. Jetzt könnten wir mit unserem Knowhow und mit unseren Managementkapazitäten helfen, den eingeleiteten Wandel zu vollenden, nämlich vom traditionellen Hersteller von Zellulose für die Papierindustrie hin zum spezialisierten Produzenten polymerer Werkstoffe auf der Basis von Zellulose. Wie kommen Sie darauf, von einem teuren Geschenk zu reden? Bei Ihrer Offerte gehen Sie von einem Firmenwert von 570 Millionen Franken aus. Da Axantis 400 Millionen an liquiden Mitteln besitzt, kommen Sie zum Schnäppchenpreis von netto 170 Millionen zu den modernsten Anlagen dieser Art in der Schweiz. Blocher: 170 Millionen Franken sind viel. Man muss bedenken, dass Axantis eben erst mit der Herstellung der neuen Produkte angefangen hat und dass in den nächsten drei Jahren noch Investitionen von insgesamt 50 Millionen nötig sind, um die Umstellungen auf Zellulosespezialitäten abzuschliessen. Zudem ist das Risiko des Scheiterns gross. So gross kann das Risiko nicht sein, sonst würden Sie als gewiefter Unternehmer keine Offerte unterbreiten. Blocher: Wenn es um neue Produkte geht, stehen die Chancen immer 50 zu 50. Kommt hinzu, dass es in der Regel doch immer länger geht und teurer wird, als ursprünglich angenommen. Der Substanzwert wird gross sein. Blocher: Was heisst da Substanzwert? Da sind die alten Anlagen ... ... und daneben die nagelneuen ... Blocher: Die sind aber erst angefahren worden und nur um die 100 Millionen Franken wert - vorausgesetzt, sie bringen das, was man von ihnen erwartet. Ein hoher Preis, ein hohes Risiko - warum sind Sie denn heute Morgen so gut gelaunt? Blocher: Wir Industrielle sind uns das Risiko gewohnt. Ohne Risiko keine Chance. Ich freue mich auf die schwierige Aufgabe. Sie müssten Daniel Model eigentlich dankbar sein. Erst sein feindlicher Versuch, Axantis einzusacken, hat für Sie eine günstige Konstellation geschaffen. Blocher: Vielleicht. Ich bin aber gezwungen, sein Angebot von 310 Franken pro Aktie auf 330 zu erhöhen. Ich bin ihm aber darob nicht bös. Das Gespräch zwischen uns verlief denn auch ruhig. War das ein abgekartetes Spiel zwischen Ihnen und Daniel Model, wie manche argwöhnen? Blocher: Nein. Ich habe ihn zu seiner Überraschung angerufen und unsere Strategie dargelegt. Wir sind dann schnell einig geworden. Ende September verpassten Sie der Ems-Gruppe eine neue Führungsstruktur und gliederten den Bereich Ems-Chemie in verschiedene Profitcenters auf. Das liess sich als Indiz für eine bevorstehende Weichenstellung deuten. Blocher: Damals war Attisholz noch kein Thema. Heute ist aber klar, dass alles etwas einfacher ist: Axantis kommt als zusätzlicher selbständiger Unternehmensbereich zur Ems-Gruppe hinzu - sofern wir die Mehrheit bekommen. Der Deal muss demnach sehr schnell abgewickelt worden sein. Blocher: Am Mittwoch vorletzter Woche trat Axantis-Präsident Guido Patroncini an mich heran und sagte, dass ein 10-Prozent-Paket zu haben sei. Wer wollte verkaufen? Blocher: Das weiss ich nicht. Auf jeden Fall bin ich so auf die Gelegenheit erst richtig aufmerksam geworden. Ich sagte ihm, dass ich nicht ein Paket, sondern die Mehrheit des Unternehmens übernehmen möchte. Ich würde aber erst handeln, wenn die Aussicht bestünde, eine Zweidrittelmehrheit zu erwerben - zumal ich überzeugt bin, dass wir für Axantis das bessere Konzept haben als Daniel Model, der zur ehemaligen Zwei-Pfeiler-Strategie zurückkehren wollte, also zu etwas, das Attisholz mit dem Verkauf des Hygienepapiergeschäftes - Hakle und Tela - abgestreift hatte. Am Freitag letzter Woche konnte ich dann von der Bank Julius Bär ein 10-Prozent-Paket kaufen. Könnte es sich dabei um das gleiche Paket gehandelt haben, das Sie zuerst ausgeschlagen haben? Blocher: Das kann ich nicht ausschliessen. Ihre Übernahmeofferte ist in den Medien sehr gut aufgenommen worden. Jetzt sind Sie geadelt worden, indem die Kommentatoren Sie zum weissen Ritter geschlagen haben, welcher der bedrängten Axantis zur Hilfe eilt. Blocher: Mal ist man weisser Ritter, dann plötzlich wieder schwarzer Ritter. Ich kann darum solche Etiketten nicht ernst nehmen. Anderseits macht die breite Zustimmung die Sache einfacher. Lonza hat in aller Stille eine ähnliche Reorganisation durchgeführt wie Ems. Sie sagen zwar, dass ein Zusammengehen von Lonza und Ems keinen Sinn ergeben würde. Doch sind Sie allenfalls an einzelnen Sparten von Lonza interessiert, etwa an den polymeren Zwischenprodukten und Additiven? Blocher: Nein, die kommen für uns nicht in Frage, da wir uns mit unseren polymeren Stoffen auf einer höheren Spezialisierungsstufe bewegen. Und die biochemischen Wirkstoffe? Blocher: Auch nicht. Axantis ist für uns auch darum interessant, weil sie in den Bereich der biochemischen Werkstoffe vordringen will, doch das ist etwas ganz anderes als biochemische Wirkstoffe für die Pharma. Haben Sie Ihre Nachfolge geregelt? Blocher: Meine älteste Tochter, Ökonomin und bei Rivella zur Marktingexpertin gereift, nimmt im Januar ihre Arbeit in der Ems-Gruppe auf. Mein Sohn hat Chemie studiert und sammelt nun nach seinem Doktorat bei McKinsey Erfahrungen. Eine Tochter ist als Lebensmittelingenieurin bereits in der Industrie tätig. Und die Jüngste studiert Ökonomie in St. Gallen. Doch Privilegien gibt es auch für meine älteste Tochter nicht. Sie wird sich wie alle anderen Mitarbeiter bewähren müssen. Bereits im letzten Sommer kündigten Sie an, dass Sie die Ems-Gruppe mit einem Kostentrimmprogramm und einem antizyklischen Investitionsverhalten auf die nächste Rezession vorbereiten wollen. Wie beurteilen Sie die Konjunkturlage heute? Blocher: Die Situation sieht nun noch schlechter aus, als ich sie damals einschätzte. Damals sagte ich, die nächste Krise komme nicht vor 2002/2003. Jetzt beurteile ich dies pessimistischer. Warum? Blocher: Die unerwartet hohen Ölpreise wirken sich negativ aus. Da sind Konjunktur-Frühwarnindikatoren wie die rückläufigen Autoverkäufe in den USA und das lahmende Textilgeschäft, die auf eine baldige Rezession hinweisen. Ihr Unternehmen ist also bereits für den kommenden Wirtschaftsrückgang vorbereitet? Blocher: Wir haben den Personalausbau weniger stark forciert, als nötig gewesen wäre. Ausserdem lancierten wir ein Kostensenkungsprogramm. Sehen Sie: Rechnen wir bei einer schweren Rezession mit einem Umsatzrückgang von 20 Prozent, müssen wir die Kosten ebenfalls um 15 bis 20 Prozent runterfahren können. Und Kostensenkungsprogramme müssen sinnvollerweise noch in der Hochkonjunktur-Phasen eingeleitet werden. Die können nicht auf einen Schlag realisiert werden. Wir befinden uns erst seit vier Jahren in einer Aufschwungphase. Und jetzt droht bereits wieder eine Rezession. Die USA dagegen erleben das zwölfte Jahr einer Hochkonjunktur. Was machen die Schweizer falsch? Blocher: Wir haben in den letzten Jahren die Staatsquote wie kein anderes Land erhöht. Und der Grossteil der neuen Steuern wie der CO2-Abgabe oder der LSVA kommen erst noch auf uns zu. Das lähmt unsere Wirtschaft. Und wie sieht das blochersche Wirtschaftsprogramm aus, um uns die nächste Rezession zu ersparen? Blocher: Die Staatsquote und die Steuern müssen gesenkt werden. Zudem sollten wir den ganzen Staatsinterventionismus minimieren. Und der Bund sollte alle seine Beteiligungen, wie die an der der Swisscom, sofort verkaufen. Was hat die Mehrheitsbeteiligung des Bundes mit einer sich anbahnenden Rezession zu tun? Blocher: In allen liberalisierten Märkten muss der Staat seine Betriebe in die Freiheit entlassen. Der Bund schränkt die unternehmerische Freiheit der Swisscom ein. Ausserdem wissen die Manager, dass bei einem Versagen ihrerseits der Bund helfen würde. Sie predigen wirtschaftlichen Liberalismus. Ihnen wäre es wohl auch egal, wenn die Swissair von einer ausländischen Gesellschaft übernommen würde. Blocher: Was die Schweiz braucht, sind gute Verkehrsverbindungen und gute Gesellschaften, die die Schweiz anfliegen. Ob das mit oder ohne Swissair passiert, ist eigentlich egal. Der Flughafen Zürich ist auch für ausländische Fluggesellschaften eine attraktive Destination. Doch gerade die Swissair wird als nationales Symbol empfunden. Kommt da der bekennende Patriot Blocher nicht in den Clinch mit seinen Wählern? Blocher: Seit zwanzig Jahren heisst es immer wieder, ich hätte Probleme mit meinen Wählern. Trotzdem erzielte ich im letzten Jahr das beste Resulat aller Nationalräte. Trotzdem: Unternehmen wie die SBB, die Swissair und die Post wirken auch identitätsstiftend. Blocher: Das stimmt. Obwohl die Swissair nicht mehr in Staatsbesitz ist, haben immer noch viele Schweizer das Gefühl, das sei "ihre" Fluggesellschaft. Eine privatisierte Post würde kaum Briefe in die entlegenen Regionen des Landes senden, oder doch nur zu massiv höheren Preisen. Blocher: Diesen Service public können wir uns leisten. Das ist kein Problem. Da sehe ich keinen Widerspruch zu meiner Haltung. Viele Schweizer Traditionsunternehmen wurden in den letzten Jahren ins Ausland verkauft, wie kürzlich Feldschlösschen an den dänischen Bierbrauer Carlsberg. Was machen Schweizer Manager falsch? Blocher: Feldschlösschen wurde ein Opfer des Bierkartells. Diese Firma war es sich nicht gewohnt, sich in einem hart umkämpften Markt durchzusetzen. Fliegt ein Kartell auf, kommt es zu Zusammenbrüchen. Das erlebten wir früher in der Uhrenindustrie und heute in der Strombranche. Ganz klar, dass aus kartellisierten Bereichen keine starken Managerpersönlichkeiten kommen können. Ich glaube aber nicht, dass Schweizer Manager schlechter sind als andere. Die Schweiz ist hoch industrialisiert, hat viele potente Firmen und braucht entsprechend viele Führungskräfte. Erleben wir im Moment in wirtschaftlicher Hinsicht den Ausverkauf der Heimat? Blocher: Nein. Alle ins Ausland verkauften Firmen haben weiterhin die Schweiz als Basis. Kein Manager gibt es zwar zu, aber jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten. Als Unternehmer argumentieren Sie in neoliberaler Art rein rational und gefühlskalt, als Politiker appellieren Sie ans Heimatgefühl und damit an die Solidarität. Zwei Seelen wohnen in Ihrer Brust. Blocher: Ich bin liberal. Im Beruf, der Wirtschaft und der Politik haben Gefühl und Emotionen viel Platz. Auch Nationalgefühl hat bei einer weltweit tätigen Firma Platz

08.12.2000

Christoph Blocher über die Bundesratswahl

Interview mit CASH vom 8. Dezember 2000 Mit Samuel Schmid ist bei den Bundesratswahlen kein offizieller SVP-Kandidat gewählt worden. Was bedeutet das für die Konkordanz? Christoph Blocher: Wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin gewählt wird, der oder die von der Partei vorgeschlagen ist, so sind die Loyalität und die Kompromissbereitschaft natürlich wesentlich grösser. Das liegt in der Natur der Sache. Haben Sie als Taktiker in Wahrheit nicht sogar darauf gesetzt, dass Samuel Schmid gewählt wird, weil Sie damit Ihre erfolgreiche Politik zwischen Regieren und Opponieren auch in Zukunft besser rechtfertigen können? Blocher: Das ist gesucht. Nein, das haben wir nicht getan, aber wir haben erwartet, dass Schmid gewählt würde. Die Positionen, welche Herr Schmid vertritt, stimmen mit meinen nicht überein, deshalb habe ich mich nicht für ihn eingesetzt. Der gemässigte Berner Flügel ist gestärkt worden durch die Wahl von Samuel Schmid. Erwarten Sie jetzt innerhalb ihrer Partei die Forderung nach einem Kurswechsel der Gesamtpartei? Blocher: Bis jetzt ist diese Forderung nicht gekommen. Eine Minderheit soll ihre Minderheitsposition vertreten, und wenn sie zur Mehrheit wird, wird sie zur Mehrheit. Ich habe diesbezüglich keine Bedenken. Ich merke in der Fraktion nicht, dass hier eine solche Bewegung stattfindet. Die Sitzungen in unserer Fraktion finden eigentlich in recht harmonischem Klima statt. War die Wahl von Samuel Schmid ein Schuss vor den Bug der SVP? Blocher: Ich weiss es nicht, ich habe es jedenfalls nicht so empfunden. Und Schüsse vor den Bug, von denen man nichts merkt, nützen wenig. Aber es ist klar: Die SVP ist in den Wahlen derart erfolgreich, das man uns mit allen Mitteln stoppen will. Ob es die richtigen Mittel sind, weiss ich nicht. Wenn ich auf der Gegenseite wäre, würde ich etwas anderes tun. Die SP hat die SVP in diesen Bundesratswahlen angegriffen. Werden Sie ihrerseits bei den nächsten Wahlen um einen frei werdenden SP-Sitz wieder einen eigenen Kandidaten vorschlagen? Blocher: Wir sind der Meinung, dass es nicht einzusehen ist, weshalb die SP zwei und die SVP nur einen Sitz haben soll. Seit die CVP mehr Sitze hat, als ihr gemäss Wähleranteil zustehen, wird die Konkordanz nicht mehr eingehalten. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir bei einem Rücktritt von Bundesrätin Dreifuss einen eigenen Kandiaten aufstellen werden.

30.11.2000

«Wir könnten frei drauflosfahren»

Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 30. November 2000 Christoph Blocher droht mit stärkerer Opposition, falls das Parlament Samuel Schmid in den Bundesrat wählen sollte Mit Christoph Blocher sprachen Markus Somm und Iwan Städler Herr Blocher, die SVP hat für die Nachfolge von Adolf Ogi zwei Kandidaten nominiert, die nicht im Parlament sitzen. Fehlt es an guten Leuten in der Fraktion? Christoph Blocher: Nein. Ich finde es ohnehin nicht gut, wenn die Bundesräte einzig aus dem Parlament rekrutiert werden. Dieses klüngelhafte Denken stört mich. Jeder hat den Marschallstab im Tornister. Sowohl Bundesrat Brugger als auch Frau Metzler waren wie Rita Fuhrer und Roland Eberle Regierungsräte, als sie gewählt wurden. Auch Bundesrat Schaffner war kein Parlamentarier, hat sich aber bestens bewährt. Ruth Dreifuss ist ebenfalls Quereinsteigerin. Bewährt Sie sich auch? Blocher: Sie macht ihre Arbeit sicher sehr gut - aus Sicht der SP. Die Freisinnigen halten die Nomination von zwei Quereinsteigern für ein "Armutszeugnis". Blocher: Die müssen ja etwas sagen - nachdem sie zuvor erklärt haben, bei allen vier handle es sich um hervorragende Kandidaten. Behandelt man so zwei tüchtige Regierungsräte? Haben Sie denn selbst in Ihrer grossen Zürcher Parlaments-Deputation keine geeigneten Kandidaten? Blocher: Selbstverständlich haben wir das. Die haben aber nicht seit Jahren nur das Ziel einer Wahl in den Bundesrat vor Augen, wie das bei Samuel Schmid der Fall ist. Zudem haben wir uns schon lange auf Rita Fuhrer festgelegt. Was spricht gegen Samuel Schmid und Christoffel Brändli? Blocher: Was Leistungsausweis, Vertrauen in der Bevölkerung und Regierungs-Erfahrung anbelangt, sind Frau Fuhrer und Herr Eberle überlegen. Schmid war immerhin Fraktionschef. Blocher: Ich will das Amt des Fraktionspräsidenten nicht abwerten. Doch es ist etwas anderes, als Regierungsrätin in einem grossen Kanton Verantwortung zu tragen. Fraktionschef allein genügt nicht. Dennoch hat die Nomination der SVP die übrigen Parteien kaum beeindruckt. Man fühle sich nicht gebunden, heisst es. Stört Sie das? Blocher: Ich habe nichts anderes erwartet. Die wären nur zufrieden gewesen, wenn wir keinen uns genehmen Bundesratskandidaten nominiert hätten. Befürchten Sie, dass die SVP aus dem Bundesrat hinausgeworfen wird, wie die SP das plant? Blocher: Nein. Aber es ist eine Möglichkeit - jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Die bürgerlichen Parteien wissen nur zu gut, dass die Oppositionsrolle die SVP stärkt. Die würden in den Wahlen 2003 ihr blaues Wunder erleben. Am allerschönsten wäre es, wenn die SP die Grüne Cécile Bühlmann unterstützte und diese auch gewählt würde. Dann hätten die Sozialdemokraten nach der nächsten Vakanz für alle Zeiten nur noch einen Regierungsvertreter - so wie jetzt im Kanton Zürich. Haben Sie sich in der Vergangenheit stets an die Vorschläge der Parteien gehalten? Blocher: Nein. Letztes Mal habe ich zum Beispiel Peter Hess gewählt. Ich mache ja auch niemandem einen Vorwurf, wenn er die von uns nominierten Kandidaten nicht wählt. Jedermann ist frei. Ich bin auch dagegen, dass wir uns so verhalten wie die Sozialdemokraten bei der Wahl von Francis Matthey. Ich werde mich gegen einen Sitzungsunterbruch aussprechen, falls unsere Kandidaten durchfallen. Empfänden Sie es nicht als Affront, wenn Samuel Schmid gewählt würde? Blocher: Es wäre eine Niederlage für die Partei. Ich würde deswegen aber sicher nicht mit der schwarzen Krawatte herumlaufen. Sondern? Blocher: Wir würden vermehrt Opposition betreiben müssen. Können Sie denn noch oppositioneller werden? Blocher: Aber sicher. Wir sind ja zurzeit ausserordentlich zaghaft. In welchen Fragen würden Sie vermehrt gegen die Regierung antreten? Blocher: Zum Beispiel beim Elektrizitätsmarktgesetz. Als Opposition würden wir uns nicht auf einen Kompromiss einlassen, sondern bis zuletzt für eine vollständige Liberalisierung für alle Konsumenten kämpfen. Auch die Steuersenkungen würden wir notfalls mit einer Volksinitiative erzwingen, wenn Villiger noch lange zuwartet. Freuen Sie sich darauf? Blocher: Freiwillig gehen wir nicht in die Opposition. Sie hat aber ihren Reiz. Als Oppositionspartei müssten wir nicht mehr mit angezogener Handbremse fahren, sondern könnten frei drauflosfahren. Jetzt bremsen Sie noch? Blocher: Ja. Als Regierungspartei müssen wir Rücksicht nehmen. Wenn wir zwei Vertreter im Bundesrat hätten, gäbe es kaum einen Grund mehr, Opposition zu betreiben. Haben wir einen Bundesrat, sind wir zu 50 Prozent zu Opposition verpflichtet. Erhalten wir einen, den wir nicht wollen, dann sind es vielleicht drei Viertel. Hätten Sie mit Samuel Schmid mehr Grund zur Opposition als mit Adolf Ogi? Blocher: Bei Herrn Ogi lief es tragisch: Wir Zürcher kämpften 1987 dafür, dass er Bundesrat wird. Wir verstanden uns menschlich gut und hatten politisch keine grossen Differenzen. Bis 1991 ist das auch so geblieben. Doch dann verfolgte er eine völlig andere Europapolitik als wir. Hätte Ogi die Mehrheitsmeinung des Bundesrats bloss loyal vertreten, wäre es ja noch gegangen. Aber nein: Ogi stellte sich mit wehenden Fahnen an die Spitze der EU-Befürworter. Die Tatsache, dass wir ihn vorgeschlagen haben, verlangte aber ein gewisses Mass an Loyalität ihm gegenüber. Das wäre bei Samuel Schmid nicht mehr der Fall? Blocher: Nein. Ihn schlägt die SVP nicht vor. Insofern könnten wir bei einer Wahl von Schmid leichter Opposition betreiben. Das Parlament kann ja nicht besondere Loyalität gegenüber einem Bundesrat erwarten, den die Mehrheit der Partei nicht will. Sie haben bereits verlauten lassen, Schmid wäre "einfach nicht unser Bundesrat". Blocher: Jawohl. Das ist meine Meinung. Aber Schmid ist Mitglied der SVP. Blocher: Es kann doch nicht Sinn der Konkordanz sein, einfach jemanden zu wählen, hinter dessen Name noch SVP steht. Die SP hätte ja auch keine Freude, wenn wir Ursula Koch in den Bundesrat wählen würden, nur weil sie Mitglied der SP ist. Erhält die Idee der Volkswahl Auftrieb, wenn Rita Fuhrer nicht gewählt wird? Blocher: Zweifellos. Auch wenn Roland Eberle gewählt wird? Blocher: Ja. Es geht hier um eine grundsätzliche Frage. Regierung und Parlament müssen auf die gleiche Ebene gestellt werden. Es zeigt sich doch, dass die Regierungsräte in den Kantonen viel seriöser ausgewählt werden als die Bundesräte. Offenbar haben Sie das Projekt einer solchen Initiative aber sistiert? Blocher: Wir können nicht alles auf einmal machen. Wir haben bereits die Gold- und die Asylinitiative durchgezogen und das Referendum gegen bewaffnete Truppen im Ausland ergriffen. Das ist eine enorme Leistung für eine Partei ohne Verbände. Die Volkswahl des Bundesrats muss deshalb etwas hinten anstehen. Wie lange noch? Blocher: Ich glaube nicht, dass wir die Initiative innerhalb der nächsten zwölf Monate starten können. Auch nicht wenn Rita Fuhrer und Roland Eberle übergangen werden? Blocher: Auch dann nicht. Wir dürfen nicht im Affekt handeln. Die Volkswahl muss eine grundsätzliche Sache bleiben. Rita Fuhrer will sich nicht dafür engagieren. Blocher: Das ist doch klar. Alle Regierungsräte sind gegen die Volkswahl. Enttäuscht Sie das? Blocher: Nein, nein. Mir war zum Voraus bewusst, dass Frau Fuhrer nicht für die Volkswahl reden wird. Sie wird sie aber nicht bekämpfen. Das kann ich versichern. Ist es nicht etwas eigenartig, dass Rita Fuhrer Streitgespräche mit Samuel Schmid verweigert? Blocher: Das muss ich ihr überlassen. Ich würde mich wohl auch nicht auf solche Gäggeli-Diskussionen über Berner Flügel und Zürcher Flügel einlassen. Vielleicht hat Rita Fuhrer auch Angst, sie würde in einem solchen Streitgespräch alt aussehen. Blocher: Wenn ich Rita Fuhrers Gesicht anschaue, sieht sie auf jeden Fall jünger aus als Samuel Schmid. Würde sich die SVP mit Fuhrer oder Eberle im Bundesrat stärker eingebunden fühlen? Blocher: Eindeutig. Inwiefern würden Sie moderater politisieren? Blocher: Wir würden vor allem bei nicht zentralen Dingen eher Kompromisse schliessen müssen. Können Sie denn aus Ihrer oppositionellen Haut heraus? Blocher: Da muss ich gar nicht raus. Wenn ich eine andere Umwelt habe, ist auch die Haut anders. Sie würden also nicht mehr von einer "classe politique" sprechen? Blocher: Ich spreche solange von der "classe politique", wie sie eine ist. Glauben Sie denn, dass der Bundesrat mit Rita Fuhrer oder Roland Eberle weiter rechts politisieren würde? Blocher: Vielleicht ein bisschen. Immer vorausgesetzt, dass sich die Gewählten so verhalten, wie wir es erwarten. Oft verändert sich das Verhalten mit der Wahl in die Regierung. Sie kennen ja den Volksspruch: Sobald das Füdli auf einem anderen Stuhl hockt, denkt der Grind anders. Sie selbst wollen nicht mehr Bundesrat werden? Blocher: Ich wollte es noch nie werden. Immerhin haben Sie dafür kandidiert... Blocher: ...nur weil in jener aussichtslosen Ausgangslage niemand anders antreten wollte. Jetzt hat sich das geändert. Wenn das Parlament einmal jemanden abgelehnt hat, sollte man ihn nicht nochmals aufstellen. Wenn das Parlament nicht will, hat es eben gehabt.

21.11.2000

Der Auftrag ist das entscheidende Element

Keine Führungsunterschiede nach gesellschaftlichen Bereichen Mein Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung vom 21. November 2000 Wie oft hört man: "So kann man in der Politik nicht führen, das kann man allenfalls in der Wirtschaft" oder: "Der führt die Partei wie ein Unternehmen" und meint damit etwas Verwerfliches. Neuerdings höre ich im Militär, das über die älteste und durchdachteste Führungsphilosophie verfügt: "Die Führung muss ziviler werden." Es herrscht offenbar die Auffassung vor, in Wirtschaft, Politik und Armee gelte es unterschiedliche Führungsgrundsätze zu befolgen. Davon halte ich nichts. Wo richtig geführt wird, bleibt das Grundsätzliche und damit das Erfolgsentscheidende überall gleich. Führung misst sich am Erfolg Wo heute über Führung gesprochen, gelernt oder doziert wird, spricht man - oft ohne es zu merken - vor allem über Führungshilfsmittel wie Kommunikation, Umgangsformen, zwischenmenschliche Beziehungen, Grundsätze der Teamarbeit und Motivation. So wichtig solche Hilfsmittel sein mögen, sie machen nicht das Wesentliche der Führung aus. Auch der viel zitierte Wandel in der Führung bezieht sich mehr auf Äusserlichkeiten, Nebensächlichkeiten und Hilfsmittel. Wenn Führung bedeutet, mit Mitarbeitern, Kollegen, Mitstreitern, Soldaten oder wie immer man Untergebene nennen will, ein vorgegebenes Ziel zu erreichen, so ist klar, dass sich die Qualität der Führung und der Führenden an einer einzigen Grösse zu messen hat, nämlich am erreichten Ziel, am Erfolg. Und weil jeder Führende stets sowohl Vorgesetzter als auch Untergebener ist - und damit stets einen Auftrag hat - ist seine Führungsqualität an der Erfüllung seines Auftrages zu messen. Das hat überall, wo geführt wird, zu gelten! Wird diese Grundwahrheit in der Wirtschaft weitgehend anerkannt, so ist sie in der Armee - vor allem in Friedenszeiten - verwässert worden und in der Politik fast vollständig verschwunden. Oft ist die Beliebtheit, die Anerkennung, die eigene Karriere wichtiger als die Erfüllung des Auftrages: Unternehmensleiter profilieren sich auf Kosten des Unternehmens, Parteipräsidenten sonnen sich in der Beliebtheit, während die Partei von Misserfolg zu Misserfolg eilt, militärische Kommandanten vergessen vor lauter Karrieredenken Auftrag und Soldaten. Unnötige Begründungen von Misserfolgen Es kann nicht genug betont werden: Allein die Erfüllung des Auftrages, die Erzielung des Erfolges ist in der Führung entscheidend. Der Auftrag steht im Mittelpunkt - und zwar der eigene. Deshalb ist erfolgreiche Führung immer auftragsorientiert. Von "menschenorientierter" Führung - die letztlich die eigene Person in den Mittelpunkt stellt - halte ich weder in Wirtschaft, Politik noch Armee etwas. Ebenfalls halte ich nichts von der Unsitte, dass Führungskräfte ihren Misserfolg begründen. Vor allem Politiker neigen dazu, einen Grossteil der Zeit damit zu vergeuden. Ich staune oft über das hohe Mass an kreativer Fähigkeit, das Chefs - vor allem Politiker, die sonst nicht durch besondere Kreativität auffallen - entwickeln, wenn es darum geht, den eigenen Misserfolg, die Nichterfüllung des Auftrages, wortreich zu begründen. Auch die oft gehörte Ausrede, der Grund des Misserfolges liege in der mangelhaften Qualität der Mitarbeiter oder in vorgegebenen Strukturen, ist inakzeptabel. Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, nur schlechte Chefs. Das gilt auch, wenn man seine Untergebenen nicht selbst auswählen kann. Gute Chefs sorgen für gute Mitarbeiter, machen aus schlechten gute oder merzen deren Mängel aus, indem sie intensiver führen oder die Schwachen umgehen. Völlig abzulehnen ist die verbreitete Meinung, in der Politik gebe es Sachzwänge, gegen die man nichts unternehmen könne. Auch unfähige Manager berufen sich häufig darauf, um nichts machen zu müssen. Das Vorschieben von Sachzwängen ist nichts anderes als die Begründung des Misserfolges auf Vorrat. Das Laster der Gefallsucht Wenn ich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten der Gegenwart und Vergangenheit analysiere, stelle ich fest, dass sie trotz verschiedensten Charakteren vor allem eine gemeinsame Eigenschaft auszeichnet: eine - manchmal fast unheimliche - Verpflichtung gegenüber der Sache, ein Ernstnehmen ihres Auftrages. Alles - auch und gerade die eigene Person - ordnen sie diesem unter. "Image", "gute Presse" und Beliebtheit haben in der Führung nichts zu suchen. Wenn man ganz bei der Sache ist, bleibt weder Kraft noch Zeit für Selbstverwirklichung, wenig Interesse an Selbstdarstellung, keine Lust, sich mit dem Beklagen eigener Mühsal und Sorgen zu beschäftigen. Wo erfolgreich geführt wird, steht die Auftragstreue im Mittelpunkt. Diese ist das eigentliche Geheimnis erfolgreicher Führung. Aus diesem Grund verlange ich in unserem Unternehmen von allen Vorgesetzten, dass sie nie einen Auftrag erteilen, ohne die Untergebenen über den eigenen Auftrag zu orientieren. Auf diese Weise gibt man sich als Vorgesetzter einerseits vor der Auftragserteilung nach unten Rechenschaft über den eigenen Auftrag, andererseits sieht, spürt und erfährt der Untergebene, dass auch der Vorgesetzte einen klar bestimmten Auftrag zu erfüllen hat. Dies hat auch in der Politik zu gelten, und darum halte ich es auch als Parteipräsident so. Verantwortung ist unteilbar Wer leitet, wer führt, wer "das Sagen hat", ist in unserem Kulturkreis traditionsgemäss in erster Linie verantwortlich. Der Verantwortliche ist einem Auftrag unterworfen, untertan. Gerade Politiker sprechen verdächtig oft und leichtfertig von dieser Verantwortung. Worin besteht denn diese Verantwortung? Sie besteht darin, die Konsequenzen für Erfolg oder Nichterfolg persönlich zu tragen. Das gilt ausdrücklich auch dann, wenn man am Misserfolg keine Schuld trägt. Deshalb sind Positionen mit höherer Verantwortung auch besser bezahlt. Das heisst aber auch, dass die Zuständigen im Falle des Misserfolges verantwortlich gemacht werden. Es geht nicht an, unbrauchbare oder frühzeitig ausscheidende Führungskräfte mit Millionenbeträgen zu belohnen oder abgewählten oder vorzeitig zurücktretenden politischen Amtsträgern ihre Pension mit fürstlichen Renten zu vergolden. Das Tragen von Verantwortung bedeutet Risiko und darf nicht mit einem goldenen Fallschirm abgesichert werden. Konzentration der Kräfte Wer erfolgreich führt, weiss, dass es entscheidend ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die militärische Führungslehre spricht von "Schwergewichtsbildung". Die Wirtschaft anerkennt dies heute erfreulicherweise auch. Sie spricht von "Fokussierung". Völlig unbeachtet bleibt leider der Grundsatz der Konzentration in der Politik. Hier machen alle alles, aber niemand etwas richtig. Die Politiker meinen, sich überall einbringen zu müssen, weil sie sich nicht die Mühe und Zeit nehmen, Prioritäten zu setzen. Dasselbe gilt auch für die Parteien. Die Vorstellung, Politiker und Parteien müssten sich zu allem äussern, ist falsch. Ich verwende einen Grossteil der Arbeitskapazität in der Zürcher SVP für die Festlegung der Programmschwerpunkte, die auf Grund der bestehenden Hauptprobleme und notwendigen Grundbedürfnisse der Bevölkerung bestimmt werden. Überall die gleichen Grundsätze Es wäre Zeit, endlich anzuerkennen, dass die wesentlichen Führungsgrundsätze überall, wo geführt wird, die gleichen sind. Nachdem man sich in den letzten Jahren in Praxis und Theorie allzu sehr mit Führungsnebensächlichkeiten befasst hat, sollten sich Wirtschaft, Politik und Armee wieder um das Zentrale kümmern: Es geht zuerst und vor allem um den Auftrag, seine Erfüllung und das Tragen von Verantwortung. Missachtet man dies, gehen in der Wirtschaft Unternehmen mit allen daraus resultierenden Konsequenzen für Mitarbeiter, Kapitaleigner und Gläubiger zugrunde. In der Politik trägt der Bürger den Schaden: Er wird das Opfer sinnloser Bürokratie, bezahlt zu viele Steuern für sinnlose Ausgaben und verliert immer mehr persönliche Freiheit an sich selbst verwirklichende und anmassende Politiker. Führungsschwäche in der Armee führt zum Verlust der Sicherheit und letztlich zur Preisgabe der Unabhängigkeit. Würden der Auftrag und die Verantwortung wieder in den Mittelpunkt gestellt, bekämen Erfolg und Niederlage den ihnen zustehenden Stellenwert: Was heute vielfach als Erfolg bezeichnet wird, nämlich das Glänzen einer Person im Rampenlicht, verbirgt oftmals die Niederlage, die Nichterfüllung des Auftrages. Umgekehrt ist die Niederlage oft gerade ein Beweis für die erfolgreiche Auftragserfüllung. Alfred Escher, der in Ungnade gefallene Erbauer der Gotthardbahn, konnte nicht einmal an den Festlichkeiten des Tunneldurchstichs teilnehmen. Es war sein Auftrag, die Nord-Süd-Transversale für unser Land zu verwirklichen, und nicht, sich dafür öffentlich feiern zu lassen. Winston Churchill durfte im Sommer 1945 die europäische Friedensordnung nicht unterzeichnen, weil ihn im Juli 1945 an der Viermächtekonferenz in Potsdam die Nachricht erreichte, er habe in England die Wahlen verloren und müsse abtreten. Dies zeugt von seiner Führungsfähigkeit: Es war sein Auftrag, Europa vor der nationalsozialistischen Bedrohung zu retten, und nicht, die Wahlen zu gewinnen. Als Soldat habe ich gelernt, dass Land und Volk zu verteidigen sind, schlimmstenfalls unter Einsatz und Preisgabe des eigenen Lebens. Gibt es eine grössere persönliche Niederlage, als zu sterben? Gibt es eine grössere Auftragstreue, als das Leben für seinen Auftrag zu lassen?

28.09.2000

Der Pubertierende schlägt oft den Sack und meint den Esel

Neun Fragen an Christoph Blocher zum Thema Rechtsextremismus Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, 28. September 2000 Interview: se. In der Diskussion über die Ursachen des Rechtsextremismus wird generell eine Verrohung der politischen Kultur beklagt. Es steht die Frage im Raum, ob provokative politische Kampagnen das Terrain für rechtsextremistische Strömungen ebnen. Nationalrat Christoph Blocher zeigt sich vom Gegenteil überzeugt: Nur das Unterdrücken von Themen - wie etwa in der Asylfrage - habe den Rechtsextremismus geschürt. Christoph Blocher nimmt im Folgenden zu neun Fragen Stellung, die ihm die NZZ nach einem vorbereitenden Gespräch schriftlich zukommen liess. Herr Blocher, wo sehen Sie die gesellschaftlichen und politischen Ursachen für rechtsextremistische Strömungen? Blocher: Was verstehen Sie unter "rechtsextremistischen Strömungen"? Meinen Sie kriminelle Gewalttaten gegen Menschen und Sachen? Denken Sie an die Verherrlichung des Totalitarismus, des staatlichen Kollektivs, des Naziterrors? Meinen Sie den braunen Rassenhass, der ebenso verabscheuungswürdig ist wie der rote Klassenhass? Meinen Sie kahlköpfige Skinheads, oder meinen Sie gar alles, was nicht links ist? Vielleicht sogar das Einstehen für die Schweiz und einen gesunden Patriotismus? Heutzutage ist es ja bald so weit, dass diejenigen, die sich für eine unabhängige, neutrale, föderalistische und direktdemokratische Schweiz einsetzen, bereits als "rechtsextrem" gelten. Dies ist umso bemerkenswerter, als bis vor zehn, fünfzehn Jahren praktisch alle Bürgerlichen unseres Landes noch einmütig zu diesen Werten gestanden sind und die Schweiz diese in den schweren Jahren 1933 bis 1945 in bewundernswürdiger Weise gegen Rechtsextremisten verteidigt hat. Jede Art von Extremismus ist eine untolerierbare Überreaktion auf Bewegungen, die den eigenen Anschauungen widersprechen oder bestehende Missstände tabuisieren. Diese Überreaktionen können so weit gehen, dass sie ganze Wertordnungen, insbesondere den Schutz der persönlichen Integrität der Mitmenschen, in Frage stellen. Was sind Ihrer Meinung nach die richtigen Mittel, um gegen den Rechtsextremismus vorzugehen? Blocher: Wer sich kriminell verhält, wer droht, schlägt, schiesst und einschüchtert, ist mit der vollen Härte des Gesetzes zu bestrafen. Das ist Sache der Polizei und der Gerichte. Es gibt kein einziges politisches Motiv, weder auf der rechts- noch auf der linksextremen Seite, das solches Treiben rechtfertigen würde. Das Verheerende am Wirken von Diktatoren und Massenverbrechern wie Hitler oder Stalin war eigentlich nicht, dass sie krank- und wahnhafte Vorstellungen hatten, sondern dass ihnen eine allmächtige Staatsorganisation ermöglichte, diese in schrecklicher Weise in die Wirklichkeit umzusetzen. Das "beste Mittel": SVP Soweit Extremisten nicht Straftäter sind, tritt man ihnen am besten mit einer glaubwürdigen Politik entgegen. Das beste Mittel gegen den Rechtsextremismus ist daher, die Politik der SVP zu unterstützen: Wir kämpfen wie niemand sonst gegen die ständige Ausbreitung der Staatsallmacht und gegen die Missachtung des Individuums. Totalitäres Gedankengut ist zu verabscheuen, ob es von links oder rechts kommt. Bei vielen Skinheads handelt es sich aber auch um Pubertierende. Je mehr man sich über ihre Äusserlichkeiten (Haartracht, Kleidung, Sprache, ausgestreckte Arme usw.) aufregt, desto interessanter finden sie sich. Der SVP aber auch der Auns wird von verschiedener Seite der Vorwurf gemacht, sie seien mit ihrer Politik und mit ihren provokativen Kampagnen Wegbereiter für den Rechtsextremismus. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen? Blocher: Es handelt sich um niederträchtige Vorwürfe und Konstruktionen politischer Gegner oder des "Blicks" und ähnlicher notorischer Lügenblätter. Sie haben ein Ziel: uns mundtot zu machen. Die SVP wie die Auns führen inhaltlich prononcierte politische Kampagnen mit Themen, die zahlreiche Bürgerinnen und Bürger dieses Landes beschäftigen. Das Artikulieren solcher Themen verhindert Extremismus, das Unterdrücken der Diskussion und die Untätigkeit durch die Regierenden fördern ihn. Darum sind gerade diejenigen die grössten Förderer des Rechtsextremismus, die so laut rufen: "Haltet den Dieb!", um von ihrer Tatenlosigkeit abzulenken. Halbwüchsige Skinheads geben als Motiv für ihre Gewalttaten "Hass gegen Linke und Fremdean. Wie kommen jugendliche Rechtsextremisten Ihrer Meinung nach auf solche Motive? Blocher: Da müssten Sie diese selber fragen. Waren die Meinungsmacher in Politik, Medien und Kultur früher mehrheitlich konservativ und die Pubertierenden links, ja sogar linksextrem, so schlägt das Pendel heute auf die andere Seite, weil die veröffentlichte Meinung mehrheitlich links steht. Der Pubertierende reagiert kopflos, schlägt oft den Sack und meint den Esel. Darum hat man den Missbrauch unseres Asylwesens sowie den Kriminaltourismus - nicht zuletzt im Interesse der bei uns ansässigen Ausländer, die sich tadellos verhalten - zu bekämpfen. Wer das nicht tut, fördert den Extremismus. Am Asylmissbrauch und an der illegalen Einwanderung sind weniger die Einwanderer als die untätigen Verantwortlichen schuld. "Gefühl der Hilflosigkeit und Wut" Blocher: Ein übersteigertes nationalistisches Verhalten ist möglicherweise auch eine Gegenreaktion zum ständig betonten Internationalismus der Classe politique, zur selbstverleugnenden, kriecherischen Haltung gegenüber andern Staaten und internationalen Organisationen. Vielleicht handelt es sich um den Ausdruck eines Gefühls der Hilflosigkeit und Wut, dass die offizielle Politik dieses Landes sich um die Interessen der eigenen Bürger zuletzt zu kümmern scheint Pubertierende haben ja ein gewisses Gespür, wenn bei der Autorität etwas nicht stimmt. Sie reagieren auf ihre Weise darauf. Sie vertreten Haltungen wie "Die Schweiz den Schweizern". Fördert eine solche Einstellung nicht den Fremdenhass? Blocher: Nein. Denn jedes Land dieser Welt hat das Recht, seine historische, kulturelle und gesellschaftliche Eigenart vor einem unkontrollierten Zustrom von Fremden zu bewahren, die allein durch ihre Masse die Identität dieses Landes gefährden würden. Den Fremdenhass fördern jene, welche die Augen vor den Problemen einer unbegrenzten Immigration verschliessen. Allerdings verkennen chauvinistische Extremisten die Tatsache, dass der wahre Patriotismus zwar die Liebe und die Identifikation mit der Heimat bedeutet, niemals aber die Verachtung anderer Länder und von deren Menschen. Die SVP hatte in den letzten Jahren grosse Wahlerfolge zu verzeichnen. Sie hat dabei unter anderem den kleinen Parteien am rechten Rand des Parteienspektrums den Boden abgegraben. Gab es damit einen Rechtsrutsch innerhalb der SVP? Blocher: Wenn Sie unter "rechts" das Einstehen für eine freiheitliche Gesellschafts- und Marktordnung, für die Selbstverantwortung der Bürger, für die Betonung des Einzelmenschen anstelle der staatlichen Vermassung und den Kampf für weniger Staat und weniger Steuern verstehen, kann ich diesen Rechtsrutsch nur begrüssen. Es ist ja interessant: Bürgerliche Politiker beteiligen sich an sogenannten "Demonstrationen gegen rechts", die "Weltwoche" tritt einem internationalen Medienverbund "Netz gegen rechts" bei. Mit andern Worten: Selbst Vertreter von FDP und CVP oder die Journalisten der "Weltwoche" sagen neuerdings: Wir bekämpfen alles, was nicht links ist! Das ist ja wohl auch der Sinn des heuchlerischen Kampfes gegen Skinheads, die ohnehin von 99,99 Prozent aller Leute abgelehnt werden. "Gesinnungsschnüffelei" In verschiedenen Kantonen hatten Sie schon Probleme mit Parteimitgliedern, die als Rechtsextremisten verschrien sind. Herr Maurer hat angekündigt, man werde künftig sorgfältiger hinsehen bei neuen Parteimitgliedern. Wird das gemacht? Blocher: Extremisten und Fundamentalisten gibt es in jeder Partei, in jedem Verein, in jeder Kirche und in jedem Wirtschaftsverband. Probleme gibt es nur, wenn diese den Ton angeben und die Übermacht erringen. Die FDP schloss Fischbacher aus, ein freisinniger Ex-Grossrat stellt seine Räumlichkeiten Skinheads zur Verfügung, die Tessiner CVP ortet Kriminelle mit Mafia-Kontakten in ihren Reihen. Bei der SP stehen die Verherrlicher totalitärer, mörderischer Unrechtsregimes noch heute in Amt und Würden, und bei 1.-Mai-Demonstrationen schlagen ihre Freunde ganze Strassenzüge in Trümmer. Solche Missstände muss man bekämpfen und handeln, aber eine systematische Gesinnungsschnüffelei lehne ich aus Gründen der Meinungsfreiheit ab. Herr Blocher, Sie werden mit Attributen wie Nationalkonservativer, Nationalist oder Rechtspopulist versehen. Was halten Sie von solchen Zuschreibungen? Blocher: Ich bin liberalkonservativ; wie mich meine Gegner benennen, ist ihre Sache. Liberal bin ich in meinem Einstehen für die Freiheit des Einzelnen, für die Marktwirtschaft, für das Eigentum und in meinem ständigen Kampf gegen die Allmacht des Staates. Ein Wertkonservativer bin ich in meiner Achtung vor dem über lange Zeiträume organisch Gewachsenen, vor den nationalen und regionalen Eigenarten und schliesslich vor der Familie und andern privaten Kreisen als Gegenkonzept zum staatlichen Organisationsprinzip. Zum Schluss: Was halten Sie von der Antirassismus-Strafnorm? Blocher: Eine solche Strafnorm ist in einer freien Gesellschaft äusserst fragwürdig. Ich habe dem Bundesrat vor deren Einführung empfohlen, die Hände von einem Antirassismusartikel zu lassen, denn diese Strafnorm werde Holocaust-Leugnern und ähnlichen Wirrköpfen nur eine riesige Plattform bieten und den Rassismus allgemein fördern. Genau so ist es leider herausgekommen! Als Bundesrat und Parlament diesen Artikel genehmigten, wollte ich dann nicht gegen die Vorlage antreten, um nicht den Applaus aus der falschen Ecke zu erhalten. Als Freund der Freiheit ist mir jede Gesinnungs-Tyrannei - wie sie etwa die selbst ernannten "Rechtsextremismus-Experten" und linke Berufsschnüffler betreiben - ein Greuel. Dasselbe gilt für die bundesrätliche Antirassismus-Kommission: Man zementiert damit einen wissenschaftlich unhaltbaren "Rassen"-Begriff, während längst feststeht, dass weder Schweizer noch Juden oder Schwarze usw. eine "Rasse" sind. Es ist im Übrigen immer falsch, wenn der Staat Lehrämter über die Gesinnung errichtet, denn solche Lehrämter werden ja nie an die Geeigneten übertragen, sondern immer an jene, die ihre Hände am gierigsten danach ausstrecken Übereifer von Gutmenschen Strafrechtler und Politiker wollen jetzt die Ausweitung des Antirassismusartikels auf Äusserungenim Privat- und Familienkreis ernsthaft einführen. Dieser Übereifer von "Gutmenschen" führt zu viel gefährlicheren totalitären Tendenzen als das provokative Treiben einiger pubertierender Skinheads, die mit ihrem unreifen Gedankengut unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung gewiss nicht zum Einsturz bringen werden.