Artikel

 

10.10.1999

«Ich bin überzeugt, dass dieses Paket vom Volk abgelehnt würde»

Christoph Blocher zum Verzicht auf ein Referendum gegen die Bilateralen und zum Vorwurf, er sei ein "Hosenscheisser" Ungekürzte Fassung meines Interviews mit der Sonntagszeitung vom 10. Oktober 1999 Autor: Othmar von Matt Christoph Blocher, das Parlament hat Sie am Freitag bei Ihrer Erklärung ausgebuht. Christoph Blocher: Ja. Das ist eigenartig. Eigentlich hätten all diese vehementen Befürworter der bilateralen Verträge und der flankierenden Massnahmen doch klatschen müssen, wäre es ihnen ernst mit den Anliegen. Ihr Vertragswerk wird mit grosser Wahrscheinlichkeit Realität werden. Warum also diese orkanartig ausgebrochenen Buhrufe? Offensichtlich haben die Parlamentarier nach meiner Stellungnahme plötzlich begriffen, dass sie es nun sind, welche die Verantwortung für diese schlechten Verträge tragen müssen. Dem Volk kann man keine Schuld geben - und dem Blocher auch nicht. Sie sagen zwar Nein zu den bilateralen Verträgen, aber gleichzeitig Nein zu einem Referendum. Weshalb? Blocher: Die bilateralen Verträge zusammen mit den flankierenden Massnahmen bringen für die Schweiz neben unbedeutenden Vorteilen schwerwiegende Nachteile: Arbeitslosigkeit, Lohn-, Leistungs- und Qualitätsnivellierungen nach unten sind die Nachteile (des freien Personenverkehrs). Verhängnisvoll ist, dass der Staat neu Löhne und Normalarbeitsverträge in der Privatwirtschaft festlegen kann. Die Kollektivierung der Arbeitsverträge hat in der Vergangenheit ganze Vokswirtschaften ruiniert. Die Zahlungen von Sozialleistungen auch an Ausländer, die im Ausland wohnen, werden unsere Sozialwerke in die roten Zahlen bringen. All dies schwächt unsere Konkurrenzfähigkeit. Schlimm sind die Folgen auch im Strassenverkehr: Die 28-Tonnen-Limite fällt. Der schwere Transitverkehr fliesst ab 2005 durch unsere Strassen. Daneben bauen wir zwei Eisenbahntransversalen, die niemand benützen wird. Eine ungeheure finanzielle Last für die Schweiz. Sie sehen, diese bilateralen Verträge sind schlecht. Und weshalb unterstützen Sie dann nicht das Referendum? Blocher: Ich ergreife das Referendum nicht, weil selbst die Ablehnung durch das Volk nutzlos wäre. Neue Verhandlungen durch unseren Bundesrat würden keine besseren Ergebnisse bringen. Er ist dazu nicht fähig. Eine scheinheilige Haltung, wie Kritiker rundherum sagen. Parlamentarier bezeichneten Sie gar als "Hosenscheisser" und "Machiavellist", der besser Ski-Slalom-Trainer werden sollte. Blocher: Diese primitiven Äusserungen sprechen für die Hilflosigkeit dieser Parlamentarier. Nochmals: Wäre es ihnen ernst, müssten sie sich freuen. Mit Ihrem "Nein, aber" verraten Sie allerdings das Volk, auf das Sie sich immer berufen. Ehrlicher wäre es gewesen, das Referendum zu unterstützen. Blocher: Wichtige Vorlagen gehören vors Volk. Darum hat die SVP gleich zu Beginn der Debatte im Parlament den Antrag gestellt, das Paket obligatorisch dem Volk zu unterbreiten. Leider wurde dies abgelehnt. Dennoch: Mit Ihrer Einerseits-andererseits-Haltung sind Sie nun definitiv zum Mitglied der von Ihnen so verhassten "classe politique" geworden. Blocher: Ich gehöre weder vor noch nach dieser Abstimmung zu einer "classe politique". Ich lehne das Klassendenken ab. Auch die Politiker dürfen nicht eine "classe politique" bilden. Als kluger Stratege haben Sie natürlich berücksichtigt, dass Sie mit dem Referendum nur verlieren können. Blocher: Ich bin überzeugt, dass dieses Paket in einer ernsthaften Auseinandersetzung vom Volk abgelehnt würde. Aber entscheidend ist, dass damit die Verträge nicht besser würden. Der Bundesrat ist unfähig zu erfolgreichen Verhandlungen. Den Bundesrat als Schuldigen hinzustellen, ist einfach. Als Unternehmer wissen Sie, dass für erfolgreiche Abschlüsse Kompromisse nötig sind. Blocher: Die ganze Verhandlungsstrategie des Bundesrates war falsch. Obwohl er mit der EU Verträge aushandelte, damit die Schweiz nicht der EU beitreten muss, sagte er gleichzeitig: Wir wollen in die EU. Zweitens gab der Bundesrat seiner Verhandlungsdelegation keine klaren Zielsetzungen. Drittens setzte sich der Bundesrat unter Zeitdruck. Und der vierte Fehler: Die oberste Behörde hat plötzlich selbst verhandelt. Was zum Misserfolg geführt hat. Mit Ihrem "Nein, aber" erweisen Sie vor allem der Wirtschaft die Referenz. Sie will diese Verträge, weil sie nicht mehr in die EU will. Blocher: Es ist erfreulich, dass die Wirtschaft immer mehr von einem EU-Beitritt abrückt. Die Wirtschaftsverbände wollen hingegen die bilateralen Verträge. Nicht so sicher bin ich mir allerdings bei der Wirtschaft generell. Auch wenn Sie und die Auns auf das Referendum verzichten, bieten sich Ihnen noch andere Möglichkeiten, es hinter den Kulissen zu unterstützen: über die "Schweizerzeit" zum Beispiel. Blocher: Die Auns ergreift das Referendum nicht, weil mit diesen Verträgen die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz nicht beseitigt werden, im Gegensatz zum EWR und zu einem EU-Beitritt. Ob Ulrich Schlüer mit der "Schweizerzeit" das Referendum unterstützt, weiss ich nicht. Ich stehe aber nicht zur Verfügung. Auch nicht verdeckt? Blocher: Nein. Es gibt kein Wenn und Aber. Ich beteilige mich weder indirekt noch hinter den Kulissen. Sie geben auch kein Geld? Blocher: Nein. Ich stehe weder mit Geld noch mit meinem Namen zur Verfügung. Und wie verhalten Sie sich in einem allfälligen Abstimmungskampf? Blocher: Auch hier stehe ich nicht zur Verfügung. Es ist durchaus möglich, dass das Referendum gar nicht zustande kommt. Ich habe immer damit gerechnet, dass es wahrscheinlich gar kein Referendum geben wird, sofern die Auns und auch die wichtigen Wirtschaftsverbände darauf verzichten. Mit den bilateralen Verträgen scheint ein EU-Beitritt mittelfristig vom Tisch. Verlieren Sie damit Ihr grosses Thema? Blocher: (lacht) Das wäre ja wunderbar. Doch Bundesrat und Parlament wollen trotzdem in die EU. Der Kampf geht weiter. In den letzten zehn Jahren musste ich die Hälfte meiner politischen Arbeitskraft dafür einsetzen, dass die Schweiz nicht an die EU verkauft wird. Heute bin ich der Meinung, dass in der Schweiz mindestens innerhalb der nächsten zehn Jahre ein EU-Beitritt vor Volk und Ständen keine Chancen haben wird. Weder Bundesrat noch Parlament werden sich getrauen, hier vorzuprellen. Und die Wirtschaft will keinen Beitritt. Wo werden Sie in Zukunft Ihre Akzente setzen? Blocher: Entscheidend ist für mich, die Unabhängigkeit, Freiheit und Neutralität des Landes zu verteidigen. Denn diese Unabhängigkeit gibt den Schweizerinnen und Schweizern Handlungsfreiheit, um die Weichen innenpolitisch richtig zu stellen. Innenpolitisch steht für mich im Vordergrund, dass die exzessive Ausdehnung des Staates zurückgebunden werden muss. Das ist die zweite Stossrichtung. Ein kurzfristiges Thema, das jetzt endlich gelöst werden muss, ist die konsequente Unterbindung des Asylmissbrauchs. Sonst entsteht in unserem Land ein vergiftetes Klima. Wo wird man nochmals einen Blocher im heiligen Kampf erleben? Blocher: Ich weiss nicht, wo mir der Kampf aufgezwungen wird. Heute habe ich allerdings bedeutend mehr Einfluss als 1992 - im Jahr der EWR-Abstimmung. Sehr viel Unsinn wird inzwischen im Bundesrat und im Parlament nicht verfolgt, weil man den Kampf nicht aufnehmen will. Die SVP sagte in den letzten zwei Jahren, dass die Schweiz ihre Steuern senken müsse. Plötzlich haben das auch andere Parteien und sogar Herr Villiger realisiert. Fünfzig Prozent des Anliegens haben wir ohne Kampf erreicht (Die Sensibilisierung ist inzwischen vorhanden). Die SVP hat sich stark entwickelt. Welche Perspektiven sehen Sie für die Partei in den kommenden Jahren? Blocher: Sie muss dafür sorgen, dass sie in jenen Kantonen, in denen sie noch nicht vertreten ist, die Partei mit guten Leuten aufbaut. Das betrifft vor, allem die Westschweiz. Wir sind gebietsmässig noch schwach, und daran muss intern gearbeitet werden. Gleichzeitig müssen wir unser Parteiprogramm konsequent verwirklichen, weil die Schweiz in den letzten sieben Jahre die Staatsquote deutlicher als alle anderen europäischen Staaten erhöht hat. Hier müssen wir Gegensteuer geben. Das meiste tue ich ohnehin intuitiv. Und was sagt Ihnen Ihre Intuition? Blocher: (lacht lange) Die Intuition sagt nie etwas. Sie ist immer ruhig. Man entscheidet etwas, weiss nicht so recht weshalb, ist aber ganz sicher, dies tun zu müssen - und hat hinterher grosse Zweifel, weil man nachdenken, hinterherdenken muss. Intuitive Leute haben es nicht einfach. Was hat Ihnen Ihre Intuition zu den bilateralen Verträgen gesagt? Blocher: Ich habe intuitiv gespürt, dass ich diesen Verträgen nicht zustimmen darf, dass ein Referendum nichts bringt. Ich habe nachts stundenlang hin- und herüberlegt: Ist das ein Widerspruch? Ist dies Bequemlichkeit? Wo liegt es? Im Gespräch mit Freunden realisierte ich intellektuell den intuitiven Entscheid. Wo der springende Punkt liegt: Eine unfähige Regierung kann schlechte Verträge, die sie selbst gemacht hat, nicht korrigieren. Das müsste sie aber. Ich selbst bin machtlos, die Verträge liegen ausserhalb meines Einflussbereiches. Die Folgen muss leider die Schweiz tragen. Das ist schmerzhaft.

08.10.1999

Blochersches Wetterleuchten in der Westschweiz

Umgang mit einer Partei, die noch fern und doch schon da ist Für Sie gelesen: Neue Zürcher Zeitung 8. Oktober 1999 Die Westschweiz erlebte das "Phänomen" Blocher während Jahren wie das ferne Donnergrollen eines Gewitters, das nach allen Vorhersagen die Saane nie überqueren würde. Auch heute ist die SVP im Welschland noch eine marginale Erscheinung; sie wird mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einem allfälligen Erfolg der schweizerischen Partei bei den nächsten Wahlen wenig beitragen. Aber es wetterleuchtet. Vorbote welcher Zukunft? rfr. Lausanne, 7. Oktober Wie kommt es, fragt sich die "Liberté", dass Blocher plötzlich im Welschland derart präsent ist und sich der Teufel, als der er hier bis vor kurzem fast ausschliesslich dargestellt wurde, zum irritierenden Teufelskerl mausert? Der Bogen reicht vom grossen, siebenseitigen Interview im "Hebdo" bis zur Einladung in den Lausanner Cercle de la presse. Hat das alles, fragt sich der Freiburger Journalist, nicht Methode? Wird da - und auf Kosten von wem - schon dem Bundesrat Blocher das Terrain geebnet? Achtung: Wolf im Schafspelz Die Westschweiz hat, was die SVP- und Blocher-Kenntnis betrifft, Nachholbedarf. Blocher, das war eine reine Deutschschweizer Erscheinung, der Ober-Nein-Sager, der den EWR bodigte und gegen die Fremden ist, eine Neuauflage von Schwarzenbach, ohne Chancen im weltoffenen Welschland. Der Triumph in Zürich mit seinen möglichen Auswirkungen auf eidgenössischer Ebene schreckte auf. Die Maulkorb-Initiative verdeutlichte, dass es nicht nur um Europa- und Ausländerpolitik geht. Der Wahlerfolg Haiders ("L'Express": "Un Blocher autrichien", "Le Temps": "Haider, Blocher, l'automne des extrêmes") hatte gerade noch gefehlt. Nun entdecken die Romands, dass dieses Ungeheuer "das biedere Gesicht eines guten Onkels" trägt und auch französisch den Volkston trifft. Dem "Hebdo" gesteht Blocher gar, dass er an Gott glaubt und gelegentlich betet, "weil er manchmal das Bedürfnis hat, die Gewissheit wiederzufinden, dass wir gerettet werden". Die Journalisten erleben einen Politiker, den die Joghurt- Attacke vor der Lunch-Debatte nicht im geringsten aus der Ruhe brachte, der sie zwar nicht überzeugte, aber die Diskussion unangefochten beherrschte. Was tun? Das Wochenmagazin mahnt (ungefähr wie das Muttertier im Märchen vom Wolf und den sieben Geisslein seine Jungen), dass (trotz der weissgepuderten Pfote) die "politische Vision einer abwehrenden, sich an die überholte Neutralität klammernden, rechthaberischen Schweiz" gefährlich sei und bleibe. Ihr, nicht dem Menschen, gilt es eine Absage zu erteilen: "Christoph Blocher est sympathique, nous ne voterons jamais UDC." Auf dem Weg zur "nationalen" Partei Die SVP bemüht sich, stärker ins Welschland auszugreifen und zur gesamtschweizerischen Partei zu werden. Noch kann niemand die Hand dafür ins Feuer halten, dass ihr die Expansion gelingt. In traditionelle Parteienlandschaften einzudringen ist schwierig. Weder die SVP noch die CVP schaffte es bisher, im Kanton Neuenburg Fuss zu fassen. Den Liberalen ist es in den letzten Jahren nicht geglückt, sich über ihre Stammlande hinaus zu verbreiten; im Wallis serbelt die Liberale Partei nach einem Anfangserfolg. Die Oberwalliser FDP, die heuer das zwanzigjährige Bestehen feiert, ist erst vor wenigen Jahren nach zäher Aufbauarbeit vielleicht der entscheidende Durchbruch gelungen, als sie das Stadtpräsidium von Brig eroberte. Achtzig Jahre lang warteten die Sozialisten im Wallis auf den Einzug in die Kantonsregierung! Das Welschland ist für die SVP ein hartes Pflaster. In den drei Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt besetzen die Liberalen das Feld rechts der FDP. Es gibt zwar verwurzelte Kantonalparteien in der Waadt und im Kanton Freiburg, aber erstere liegt eher auf der "Berner" Linie, letztere befindet sich (Verlust des Regierungssitzes) jedenfalls nicht in bester Verfassung. Die Waadtländer SVP hätte den Staatsratssitz letztes Jahr wohl nicht (auf der bürgerlichen Liste) zurückerobert, wäre sie auf den Zürcher Kurs eingeschwenkt. Der heutige Staatsrat Jean-Claude Mermoud erklärte im Vorfeld der Wahlen, damals noch Präsident der Kantonalpartei: "Wir werden dank unseren Ideen der politischen Mitte stärker. Ohne Blocher." Verdächtig häufig lassen Maurer und Blocher in letzter Zeit die Bemerkung fallen, dass sie immer öfter Briefe aus dem Waadtland erhielten, in denen der Mangel einer konsequenter gegen Integration auftretenden Partei in diesem Kanton beklagt werde. Es würde nicht erstaunen, wenn die Waadtländer SVP in nächster Zeit einige Turbulenzen zu bestehen haben sollte. Aufbau im Wallis, Ausschluss in Genf Fürs erste zog es die SVP vor, nicht eine bestehende Partei umzupolen, sondern im zweisprachigen Wallis - wo sich der deutschsprachige Kantonsteil als Brückenkopf anbot - eine Neugründung zu forcieren. Sie suchte lange nach einer Basis im Oberwallis und knüpfte im welschen Wallis Kontakte mit der - Ecône nahestehenden - konservativen Absplitterung der CVP, zu welcher der Präsident der schliesslich gegründeten Partei, der die Stimmung im Kanton besser kennt, nun Distanz markiert. Im Wallis ist es der SVP gelungen, eine geographisch relativ breit abgestützte, wesentlich aus dem Gewerbe rekrutierte und von einem Intellektuellen präsidierte Kantonalpartei ins Leben zu rufen. - Die Walliser Erfahrung mag dazu beigetragen haben, dass die schweizerische Parteileitung den Fall des mit der "neuen Rechten" liierten Genfer SVP- Nationalratskandidaten Junod schliesslich zum Anlass nahm, hart durchzugreifen. Die Genfer SVP schleppt sich seit Jahren am äussersten rechten Rand mehr schlecht als recht dahin. Viel Potential geht der SVP nicht verloren, wenn sie diese Kantonalpartei ausschliesst. Im Gegenteil, "tabula rasa" mag den Strategen in Bern und Zürich nur recht sein, sei es, um einen breiter abgestützten Neuanfang nach dem Walliser Vorbild zu ermöglichen, sei es, um den Weg zu einer Annäherung an die Liberale Partei, die heute solche Szenarien allerdings noch weit von sich weist, nicht zu kompromittieren. Veränderte Perspektiven? Fühlt sich das Welschland gegen den "Blocherismus" nicht mehr in aller Selbstverständlichkeit gefeit? Anzeichen deuten auf eine veränderte Einschätzung der längerfristigen Perspektiven. Im Moment bieten die Kantonalparteien der SVP in der welschen Schweiz allerdings noch ein verwirrendes Bild. Es fehlt an Potential, charismatischen Figuren, profiliertem Auftritt. Konkret beunruhigt die SVP deshalb im Hinblick auf die kommenden Wahlen kaum eine der anderen Parteien, ausgenommen im Wallis, wo es besonders offen ist, wie viele Wähler den eingesessenen Parteien davonlaufen. Mit einem Mandatsgewinn der SVP rechnet man im Wallis indes nicht. Ihre Gründung ist eine "längerfristige Investition" (2000 finden kommunale, 2001 kantonale Wahlen statt).

08.10.1999

Wahlen 99 auf Tele 24

Schawinskis Gegenstück zur DRS-«Arena» Für Sie gelesen: Neue Zürcher Zeitung vom 8. Oktober 1999 Tele 24 löst seinen Anspruch als sprachregionales Informationsmedium vor den eidgenössischen Wahlen mit vier Live-Sendungen ein. Die Parteipräsidenten Franz Steinegger (FDP), Adalbert Durrer (CVP) und Ursula Koch (SP) sowie der Lenker der SVP, Christoph Blocher, sind je einen Abend bei Roger Schawinski zu Gast. Das Publikum, bestehend aus jeweils "100 kritischen Wählerinnen und Wählern", ist im Unterschied zur politischen "Arena" von Filippo Leutenegger in ein Restaurant ausgelagert und wird nur zwischen einzelnen Gesprächsblöcken zugeschaltet. Das erlaubt im Studio vertiefte Zwiegespräche, die nicht laufend durch eine applaudierende Zuschauerkulisse unterbrochen werden. Den - gelungenen - Einstand machte am Mittwoch der 90-Minuten-Talk mit Christoph Blocher. Roger Schawinski ist als Befrager um Klassen besser, wenn ihm jemand rhetorisch das Wasser reichen kann, als wenn er sich auf Kosten von unbeholfenen Heilern, Wahrsagerinnen oder Cervelat-Prominenten belustigt. Den Selfmademan Blocher und den Pionier der privaten elektronischen Medien verbindet neben der unternehmerischen Risikofreude auch die Kampfeslust gegen das (medien)politische Establishment, dem sie selber auch angehören. Aus diesem gegenseitigen Respekt entwickelte sich ein Gespräch, das auch weniger bekannte Facetten des Gebieters über die SVP und die Ems-Chemie aufdeckte. Blocher konnte glaubhaft darlegen, dass er mit Haider, den er nicht persönlich kennt, nur den Kampf gegen die Classe politique gemein hat. Anders als der österreichische Populist bleibe er seinen Auffassungen treu, sagte Blocher unter Anspielung etwa auf Haiders Slalomkurs in der EU-Frage. Nicht recht zusammenpassen wollten dagegen Blochers Loblied auf die wirtschaftlich prosperierende Schweiz und die pauschale Schelte für die Landesregierung. Persönlich hat Blocher Freude am Risiko in Wirtschaft und Politik, räumte aber auch ein, dass er sich mit seinen Entscheiden nicht immer leicht tut. Schlaflose Nächte in schwierigen Situationen gehören deshalb zum Alltag dieses Kantengängers. Dass selbst eine robuste Natur wie Blocher der Doppelbelastung als Unternehmer und Politiker sowie der Dauerpräsenz in den Medien Tribut zollt, zeigte die Bemerkung, nach der EWR-Abstimmung habe er einen Zusammenbruch erlitten. Aufschlussreich auch der Bildertest: Blocher, der nicht fernsieht, sah sich ausserstande, ein Dutzend Personen auf Grund einer Photo zu identifizieren. Das überraschte bei Starlets und Sportlern weniger als bei Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, wie dem französischen Ministerpräsidenten Jospin, dem amerikanischen Präsidentschafts-Kandidaten Bush oder dem Kritiker Reich-Ranicki und dem Regisseur Düggelin. Dieser Test relativierte auch Blochers Rundumschlag gegen die Expo 02, weil er deren künstlerischen Leiter Heller nicht einmal aus den Medien kennt, geschweige denn sich aus erster Hand über die Landesausstellung informiert hat.

05.10.1999

Trois questions de «Yedioth Yhronoth

5 octobre 1999 Monsieur Eran Tiefenbrunn, correspondant en Allemagne du journal israélien "Yedioth Yhronoth", a posé trois questions à Ch. Blocher auxquelles ce dernier a répondu par écrit comme suit le 25 octobre:   Cher Monsieur, Voici les réponses aux questions que vous m'avez soumises: Les élections d'hier marquent-elles un tournant dans les relations entre juifs et non-juifs en Suisse, surtout après deux ans de négociations entre les banques suisses et les organisations juives? Considérez-vous, respectivement votre parti, l'accord intervenu entre les banques et les organisations juives sur les comptes en déshérence comme une solution positive? Je ne comprends pas votre question. Les résultats d'hier n'entraînent en rien une évolution des relations entre juifs et non-juifs. Ce thème n'avait d'ailleurs joué aucun rôle dans les campagnes électorales. Les négociations entre les banques suisses et les organisations juives en Amérique ne concernent que les banques, et pas la politique. Si les banques suisses ont commis une erreur (par exemple avec les comptes en déshérence), c'est leur devoir - et pas celui de l'Etat - de régler ces affaires dans le cadre de la loi. Vous attendez-vous à une réaction internationale à votre victoire aux élections de l'ampleur de celle suscitée par le triomphe de Jörg Haider en Autriche? Je ne vois pas pourquoi le succès de l'Union Démocratique du Centre devrait provoquer de vives réactions internationales. Notre parti défend la souveraineté et la neutralité de la Suisse et s'oppose de ce fait à l'adhésion de la Suisse à l'Union européenne. Mais il est favorable à l'ouverture au monde de notre pays, qui doit entretenir dans ce cadre des relations internationales amicales aux niveaux politique, culturel et économique sans restriction de son autonomie. Les citoyens suisses de confession israélite doivent-ils s'attendre à des attaques antisémites? En Suisse, il n'y a pas d'attitude antisémite. Il est vrai que de nombreux citoyens et citoyennes de notre pays ne comprenaient pas la forme d'extorsion par laquelle le Congrès juif mondial réclamait les fonds dormants, et le nom de l'organisation laissait penser qu'elle représentait toute la communauté juive. La Suisse a clairement considéré comme du chantage la menace de boycott des relations commerciales avec la Suisse aux Etats-Unis. Pour les Suisses, cet appel était aussi incompréhensible que la terrible exhortation de l'époque "n'achetez pas chez les Juifs". L'Union Démocratique du Centre s'engage clairement contre toute forme d'antisémitisme, de racisme et d'extrémisme de droite. Avec mes meilleures salutations, Christoph Blocher

01.09.1999

Der Jäger aus Ems

Artikel in "Bilanz" vom September 1999 Unablässig auf der Hatz nach Marktnischen, neuen Produkten, hohen Margen, Shareholder-Value. Ob bei Ems-Chemie oder Algroup, Christoph Blochers Kasse klingelt. Von Stefan Lüscher Der Ostwind, an Tagen solch hochsommerlicher Hitze gern gespürter Gast im Domleschg, fährt durch die Kronen der Bäume im Schlosspark. Christoph Blocher verkürzt die Wartezeit der vierköpfigen Runde mit Spässen: "Ich bin der einzige protestantische Pfarrerssohn der Schweiz, der eine eigene katholische Kirche hat." Und zeigt grinsend auf das mit dem Park durch eine Holzbrücke verbundene Schloss Rhäzüns, hinter dessen Mauern sich eine Kapelle duckt. Die im 12. Jahrhundert hoch über dem Hinterrhein errichtete Feste ist Firmenbesitz und dient dem Chef und Mehrheitsaktionär der Ems-Gruppe, eben Christoph Blocher, mehrmals pro Jahr als Bleibe wie auch als Nobelherberge für hochkarätige Kunden. Wie an diesem Freitagabend gegen Ende Juli: Nach sechs Uhr rauschen Limousinen durch die Allee, es entsteigt eine fünfköpfige Delegation chinesischer Spitzenpolitiker und Unternehmer. Blochers Begrüssung ein bunt gemischter Wortschwall aus Dialekt und Hochdeutsch. "Auf Schloss Rhäzüns sind nur besondere Gäste willkommen." Strahlende Gesichter nach der Übersetzung. Hoch über dem Burggraben erteilt der merklich stolze Schlossherr eine Kurzlektion in Hausgeschichte. Seine Bemerkung, wonach das Gemäuer lange in habsburgischem Besitz stand, findet trotz hastig nachgeschobenem "grossem Kaiserhaus" kein Interesse. Ahs und Ohs dafür auf die Worte, auch Napoleon Bonaparte habe zu den Besitzern gezählt. "Ich werde euch zeigen, in welchem Stuhl er gesessen hat." (Nur Stunden zuvor erzählte Blocher dem Journalisten, das Schloss sei einst leer gestanden, man habe alle Möbel neu kaufen müssen). Durch das Tor über einen Kiesweg steil nach oben dröhnender Trommelwirbel: Der Tambourenverein Domat/Ems weiss die Asiaten zu verwirren. Beim Aperitif, Coca-Cola und Oeil de Perdrix, beeindruckt Christoph Blocher die Besucher mit Kenntnissen chinesischer Weisheiten. "Wohl dem Hause, auf das das Wasser zufliesst. Dem Hause soll Glück und Reichtum beschieden sein. Das gilt insbesondere für die Gäste." Sagt's und führt das Grüppchen durch die Pforte auf einen Vorsprung. Der Anblick des Rheins, der auf die Betrachter zufliesst (und eine Strecke weit in Schlossbesitz steht), lässt die Fremden ihre Zugeknöpftheit, Teil fernöstlicher Taktik, vergessen. Nach einem kurzen Trommelwirbel geht's zur chinesisch-schweizerisch beflaggten Tafel, Trachtenfrauen tragen auf, Blocher sorgt für eine lockere Stimmung. Das Terrain ist umgepflügt für fruchtbare Verhandlungen. Welch ein Bild: Der Schweiz rechter Aussenverteidiger im Spiel gegen Europa, plaudernd mit volksrepublikanischen Kommunisten. Der SVP-Politiker Blocher, handfester Rhetoriker, unermüdlicher Spaltpilz, Schwarz-weiss-Maler ohne Neigung zu Kompromissen. Der Geschäftsmann Blocher, der seine pragmatische Seite nach aussen kehrt, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Wegen seines linkischen Charmes und des gewollt hemdsärmligen, ja fast bäuerischen Auftretens wird er immer wieder unterschätzt, zwar nicht (mehr) als Politiker, dafür als Manager und Financier. Beispielsweise bei seinem Maskenspiel in der Algroup, an der Christoph Blocher sowie sein Studienfreund und langjähriger Finanzberater Martin Ebner Hauptaktionäre sind. Im letzten Frühjahr platzte die angesagte Fusion von Algroup mit Viag. Noch während sich die Presse über die entgangenen Gewinne des Duos ausliess, vollzogen sie den Machtwechsel: Ebner nahm im Sessel des Verwaltungsratspräsidenten Platz, der 59-jährige Blocher hatte sich, nicht zuletzt seiner kümmerlichen Kenntnisse der englischen Sprache wegen, mit dem Amt des Vize zu begnügen. Vier Monate danach wurde die überraschte Öffentlichkeit vom Zusammengehen der Algroup mit Pechiney und Alcan unterrichtet. Bislang hat das 8,4-Prozent-Paket, welches Ems an Algroup hält, gegenüber dem Einstieg vor gut einem Jahr 128 Millionen Franken an Wert zugelegt, die in Blochers Privatschatulle steckenden 1,6 Prozent würden bei einem Verkauf zwei Dutzend Millionen an Profit eintragen. Durch seine Beteiligung an Lonza, das von der Verschmelzung ausgenommene Kronjuwel der Algroup, dürfte Blocher weitere Kursgewinne einfahren. Ebenfalls verkannt, wenn auch nicht vom Wirtschaftsestablishment, dafür von der Allgemeinheit, wird Blocher als Lenker der Ems-Gruppe. Wohl eine Folge seiner übergrossen Präsenz als Politpolterer. Dabei wendet er nach eigenem Bekunden lediglich ein Drittel seiner Zeit für das politische, jedoch zwei Drittel für das wirtschaftliche Wirken auf. "Natürlich kann man da nicht von einer 40-Stunden-Woche sprechen", kann es sich Blocher nicht verkneifen, in die übliche Eitelkeit des Präsenz markierenden Managers einzustimmen. Tagwacht um 5.30 Uhr, anschliessend ein mehrere Kilometer verschlingendes Jogging, "jeden Morgen und bei jedem Wetter" (Rhäzüns-Schlossverwalter Christian Bernhard), ausgiebiges Frühstück. Dann wartet ein meist voll gepacktes Tagesprogramm, das sich bis gegen Mitternacht hinzieht. An Samstagen ist um 17.00 Uhr Feierabend, Sonntag ist Familientag. Der dermassen die Arbeit über alles stellt, ist ein ewig Fahrender; er pendelt zwischen dem Ems-Holdingsitz in Zürich, seiner klotzigen Villa in Herrliberg, dem Werkgelände in Domat/Ems sowie Bundesbern, das chauffierte Auto zum halbwertigen Büroersatz ausgebaut. Man muss über den Politiker Blocher geteilter Meinung sein, aber nicht über den Unternehmer Blocher; da zählt er zu den Erfolgreichsten. Als er 1983 seine Hand auf die Ems-Gruppe legte, übernahm er ein angeschlagenes Unternehmen. In der Kasse liess sich kaum Bares auffinden, dafür hockte die Firma auf Wohnhäusern, Sportanlagen, Hotels, Allmenden, Bauernhöfen, Schlössern, Kraftwerken, Werkarealen - verteilt auf gegen sieben Millionen Quadratmeter Land. Blocher baute rigoros Kosten und Personal ab, modernisierte die Produktion, förderte ertragsstarke Erzeugnisse, kaufte Firmen dazu und veräusserte fast alles, was betriebswirtschaftlich nicht notwendig war. Innert weniger Jahre war Ems eine Goldgrube. Und ist es bis heute geblieben. Zwar findet die Ems-Gruppe keinen Einlass unter die 100 umsatzstärksten Schweizer Unternehmen. Von Bedeutung für Blocher ist sowieso nur der Ertrag. Und der stimmt im operativen Geschäft: Mit einem Betriebsergebnis von 17,8 Prozent vom Umsatz oder einer Eigenkapitalrendite von 22,8 Prozent zählt Ems zu den ertragreichsten Firmen. Das unternehmerische Kredo: Konzentration auf qualitativ erstklassige Spezialprodukte in Nischenmärkten. Damit lassen sich zwar keine gewaltigen Umsatzzuwächse, dafür hohe Margen holen. Zumindest auf einige Jahre hinaus. Wenn Nachahmer in den Markt drängen und die Erlöse unter Druck setzen, wird das Erzeugnis eingestellt oder die nächste Produktgeneration lanciert. Gerade wegen der geringen Grösse kann sich Ems in Teilmärkten schneller bewegen als mächtige Konkurrenten. Fast jeder dritte Ems-Angestellte ist Techniker, Ingenieur, Chemiker oder Physiker. Was die Innovationskraft des Unternehmens erklärt. Der Think-Tank von gegen 800 Spezialisten sorgt für die kontinuierliche Weiterentwicklung von Produktlinien und Herstellverfahren, vor allem in den Kernbereichen der polymeren Werkstoffe (Kunststoffe, technische Fasern und Klebstoffe, Duroplaste wie Pulverlackhärter, Erzeugnisse für die Transportindustrie) sowie Feinchemikalien. Bei vielen Erzeugnissen ist Ems in Europa, teils weltweit Marktleader. Nicht zum Kerngeschäft zählt das Engineering (Planung und Bau von Polymer- und Synthesefaseranlagen, elektrische Zündmittel, Kraftwerke) mit Ausnahme der Patvag, Blochers Vorzeigebetrieb. Als Ende der Achtzigerjahre mit Wehrtechnik nichts mehr zu verdienen war, räumte der Ems-Chef den Patvag-Leuten für die Entwicklung eines neuen Produkts zwei Jahre ein. 1992 wurde die Fertigung von Airbag-Zündern aufgenommen, heute verlassen jährlich 15 Millionen Stück das Werk. Patvag ist mit 35 Prozent Marktführer in Europa und schickt sich an, über Amerika zur globalen Nummer eins zu wachsen. Die Konzentration auf margenstarke Produkte in Nischenmärkten bedingt eine direkte Führung. Ems zeichnet sich denn auch durch eine flache Hierarchie aus. Eine Konzernleitung fehlt, die neun Bereichsleiter sind direkt dem dreiköpfigen Verwaltungsratsausschuss unterstellt. In Tat und Wahrheit ist Ems eine One-Man-Show. Was sich an der jüngsten Jahrespressekonferenz zeigte: Auf der linken Saalseite sassen zwei vom VR-Ausschuss, rechts zwei vom Management - Ausstellungsobjekte. Blocher präsentierte die Zahlen, Blocher referierte über den Geschäftsgang, Blocher beantwortete die Fragen. "Blocher fordert kontinuierlich Informationen. So weiss er jederzeit, was im Betrieb läuft", berichtet Albert Sommerauer, Leiter der Ems-Patvag. Monatlich haben die Bereichsleiter einen Bericht einzureichen. Daneben findet alle zwei bis drei Monate eine Direktorenkonferenz statt. Plus Sitzungen für grössere Projekte. Plus jährlich ein Treffen, an dem jeder Bereichsleiter einen Ein- sowie Dreijahresplan zu präsentieren hat. Und die Blocher in 19 von 20 Fällen zurückweist. "Wir treffen nie einen guten Entscheid, nur den am wenigsten schlechten. Alles ist verbesserungsfähig", begründet er seine kritische Haltung. Albert Reich, Bereichsleiter Ems-Primid: "Solange wir uns im Zielkorridor bewegen, lässt uns Blocher viel Freiheit." Doch wehe, die Leitplanken werden touchiert, dann kann der oberste Emser "wie s heilige Bisiwätter iifahre", schildert ein Manager. Darauf will Blocher "keine Entschuldigungen, sondern Lösungen", so nochmals Reich. "Ich räume meinen Leuten eine grosse Verantwortung ein. Aber nur dem Einzelnen, nicht einem Team", stellt Blocher klar. Wer an der Spitze einer der Ems-Firmen stehe, der habe sich allem unterzuordnen, was das Unternehmen betreffe. Dieselben Anforderungen stelle er ja schliesslich auch an sich selbst. "Das ist eine Art von Besessenheit. Beseelt vom Auftrag, die Firma weiterzubringen." In welchem Auftrag? In demjenigen der Aktionäre. Und damit primär im Eigenauftrag. Dieser Führungsstil, der sektiererische Züge nicht vermissen lässt, kommt bei den Arbeitnehmern an. Das bestätigt Sommerauer: "Unsere Leute halten grosse Stücke auf Blocher. Er pflegt eine offene Gesprächskultur." Der Pfarrerssohn ist ein Patron alter Schule, lässt sich öfters im Betrieb sehen, erkundigt sich nach Problemen, plaudert über Persönliches. Keine Spur von Berührungsängsten auf beiden Seiten. Ein älterer Angestellter erinnert sich, wie Blocher vor Jahren in der Silvesternacht bei der Spätschicht aufgetaucht sei, um allen "es guets Neus" zuzurufen. So was geht nicht vergessen. Genauso wenig wie das Schreckensjahr 1983. Damals, so wird erzählt, habe eine amerikanische Firma Ems übernehmen wollen. Die machten kein Hehl daraus, dass im Werk Domat/Ems etwa die Hälfte aller Leute entlassen würden. Worauf Blocher als Retter der Ems und Bewahrer von 700 Arbeitsplätzen die Szene betrat. "Die Region weiss, was sie an Blocher hat", schwärmt Gion Jörg, CVP-Mann und Vize-Gemeindepräsident von Domat/Ems. Ems ist der grösste private Arbeitgeber im Kanton Graubünden und beschäftigt allein im Herzen des Bündner Rheintals rund 1500 Personen aus 30 Nationen. Multikulti pur, und dies in einem Blocher-Betrieb. Von der erwerbstätigen Bevölkerung in Domat/Ems verdient etwa jeder Fünfte sein Brot bei Ems-Chemie. "Seit einigen Jahren erzielt die Gemeinde millionenhohe Überschüsse", rechnet Jörg vor. Ems sei's gedankt; das Unternehmen sorgt direkt für rund ein Viertel der Steuereinnahmen, ebenso viel dürften die im Dorf ansässigen Ems-Beschäftigten beisteuern. Dennoch ist es purer Zufall, dass der heilige Christophorus das Gemeindewappen ziert. An der Urne hört die Dankbarkeit auf. Bei den letzten Gemeinderatswahlen belegte die SVP von 15 Sitzen einen. "Politisch bin ich in Graubünden nicht aktiv und nehme keinerlei Einfluss", behauptet Blocher. Ausnahmen bestätigen die Regel. Im Vorfeld der EWR-Abstimmung vom Dezember 1992 meinte er an der Jahrespressekonferenz, ein Ja würde die Standortvorteile der Region gewaltig verschlechtern. Der Wink mit dem Zaunpfahl wurde verstanden. Seine politischen Gegner benutzten die Region ebenfalls als Wahlkampfarena. Im September 1992 zogen Peter Bodenmann und Gewerkschafter vor dem Ems-Fabriktor auf und liessen die Arbeiter wissen, ihr Patron betreibe Lohndumping. Blocher fuhr mit eisernem Besen dazwischen und kündigte allen fünf im Werk vertretenen Gewerkschaften den Kollektivarbeitsvertrag. Die Front war in null Komma nichts zerbröselt. Bei einem "regelrechten Scherbengericht", erinnert sich Hans Schäppi von der Gewerkschaft Bau & Industrie, forderte Blocher eine Entschuldigung. Als Schäppi ablehnte, erhielt die von ihm damals vertretene GTCP Hausverbot. Die Zustände, so der Gewerkschafter, hätten sich nicht gebessert, ausgerechnet Blocher beschäftige "zu niedrigsten Löhnen Asylbewerber". "Das stimmt nicht", ereifert sich Ludwig Locher, Werksleiter von Ems-Chemie. Für Peter Bodenmann ist heute klar, dass "die ganzen Vorkommnisse ein Faktor bei der EWR-Abstimmung waren". Und was hält er von Blocher als Unternehmer? "Der Typ macht relativ viele Sachen relativ gut", ringt sich der SP-Politiker zu einer Art Kompliment durch. Mit "relativ gut machen" hat es Blocher zu einem der reichsten Schweizer geschafft. "Bei Ems sprechen wir seit zwanzig Jahren von "Mehrwerte schaffen". Seit wenigen Jahren haben wir auch ein Fremdwort dafür, Shareholder-Value." Dieses Handwerk beherrscht er wie kaum ein Zweiter. Seit Blocher das 58-Prozent-Stimmpaket der Familie Oswald übernommen hat - angeblich wendete er für den Handel eine Million Franken Eigenmittel und etwa 20 Millionen Bankgelder auf -, zeigen die Aktienkurse steil nach oben. Nach dem Einstieg wird in sechs Folgejahren die Dividende erhöht. Blocher und Ebner hecken neue, für die damalige Zeit revolutionäre Ideen aus, um die Aktionäre bei Laune zu halten: Gratisoptionen, Rückkauf von Partizipationsscheinen (was dem "Wall Street Journal" einen Artikel wert ist), Umwandlung derselben in Inhabertitel, Rückzahlung von Aktienkapital, die Cash- oder Titel-Optionen Coto. Bis 1993 entwickelt sich der Ems-Aktienkurs parallel zum Ertragsverlauf. Blocher will den Anstieg beschleunigen. Über die folgenden Jahre kauft er für rund 1,3 Milliarden Franken Inhaber- und Namenaktien zurück und stampft diese ein. Dadurch wurde das Aktienkapital von 141 auf 26 Millionen Franken eingedickt, gegen die Hälfte aller Inhaber- und knapp zehn Prozent der Namenaktien verschwanden vom Markt. Das Resultat: Der Gewinn verteilt sich auf weniger Aktien beziehungsweise steigt überproportional pro Titel, das Kurs-Gewinn-Verhältnis sinkt, die Kurse explodieren. Für Blocher stellte sich ein angenehmer Nebeneffekt ein. Wegen der Rückkäufe, verstärkt durch von ihm privat getätigte Zukäufe, kletterte sein Stimmanteil von 58 auf 81, der Kapitalanteil gar von 27 auf 59 Prozent. Heute ist die Beteiligung samt Paketzuschlag gut und gerne 2500 Millionen Franken wert. Über die letzten 16 Jahre ist Blocher also jede Woche durchschnittlich um drei Millionen Franken reicher geworden. "Wenn ich das Geld hätte, würde ich alle Aktien zurückkaufen und Ems dekotieren", spricht der Milliardär Klartext. Doch ein Going-private kommt auf mindestens 1,5 Milliarden Franken zu stehen. Auf der anderen Seite habe die Kotierung "eine stark selbstdisziplinierende Wirkung", gibt Blocher zu bedenken. Von seinem Wert überzeugt, schiebt er nach: "Wer in Ems investiert, investiert auch in mich." Die Passion der Börsianer gegenüber Ems allerdings beginnt sich abzukühlen, kaum eine Bank mag die Aktien noch empfehlen. Seit dem letztjährigen historischen Höchst von 9200 Franken haben die Titel über 20 Prozent eingebüsst, deutlich mehr als der Gesamtmarkt. Einer der Gründe ortet Anja Schreiber, Analystin bei der Bank Julius Bär, im Rückzug der Ems aus dem Finanzgeschäft: "Diese Erträge fehlen nun beim Gewinn." Was sich negativ auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis und damit auf den Aktienpreis ausgewirkt hat. Denn während 1998 das Betriebsergebnis gehalten wurde, brach der Gewinn um 47 Prozent ein. Ems trat gegen Ende der Achtzigerjahre immer stärker als Anleger auf - mit durchschlagendem Erfolg: Zeitweise steuerten die Finanzerträge mehr als die Hälfte zum Gewinn bei, zwischen 1989 und 1997 wurden mit Börsengeschäften gegen 800 Millionen Franken an Profiten eingefahren. "Wir sind ein Industriebetrieb, keine Bank", begründete Christoph Blocher 1997 den überraschenden Ausstieg. Die späte Rückbesinnung ergab im Nachhinein einen Sinn: Die Gelder wurden für Alusuisse benötigt, das Investment flugs als operative Beteiligung etikettiert. Der harzige Geschäftsgang in den ersten Monaten dieses Jahres wirkt ebenfalls nicht kursbelebend. Für das ganze Jahr stellt Blocher einen leichten Umsatzrückgang, aber ein gehaltenes Betriebsergebnis in Aussicht. Während polymere Werkstoffe und Engineering gute Resultate liefern, ist bei den Feinchemikalien ein Umsatz- und Ertragsrückgang zu registrieren. "Bei unseren Kunden sind Medikamente weggefallen, für die wir Zwischenprodukte liefern", begründet Fritz Wittwer, Bereichsleiter Ems-Dottikon, die Schwierigkeiten. Die Probleme jedoch sitzen tiefer, und zwar bei der Fabrikation: Zu viele kleine und veraltete Anlagen ziehen ineffiziente Abläufe nach sich, die Qualität leidet, es entstehen Mehrkosten. Was potenzielle Neukunden abschreckt. Letztlich also ein Führungsproblem. Dessen sich Christoph Blocher bewusst ist. Denn einige Manager, so ist aus Ems-Dottikon zu vernehmen, hätten die Probleme schon vor Jahresfrist erkannt und Lösungen präsentiert. Worauf vergangenen April Blocher seinen Bereichsleiter Wittwer vor versammeltem Management heftig angefahren haben soll, ihn aufforderte zuzugeben, dass er nicht führen könne. Wochen später kam es zur Kündigung. Nicht Wittwer, sondern Produktionschef Emanuel Pietrzik sowie Forschungs- und Entwicklungsleiter Michael Meyer mussten gehen. Meyer wollte sich dazu nicht äussern. Im Betrieb jedoch heisst es: Da wurden die Falschen entlassen. Die grösste Kurszäsur dürfte den Ems-Titeln aber noch bevorstehen. Bei den Aktienrückkäufen hat Blocher etwas zu viel des Guten getan; inzwischen befinden sich gerade noch 214 000 Inhaberpapiere im Markt, der Grossteil davon liegt erst noch in Depots von Institutionellen. Der Handel ist beinahe zum Erliegen gekommen. Nun sind Ems-Inhaber Teil des Börsenindikators SMI, was eine bestimmte Umschlagshäufigkeit voraussetzt. Diese allerdings genügt den Vorgaben nicht mehr - womit Ems der Rauswurf aus dem SMI droht. "Das wäre keine Katastrophe", stapelt Blocher tief. Eine Mitgliedschaft im SMI kommt einer zusätzlichen Börsenkapitalisierung von 15 bis 20 Prozent gleich, weil viele Institutionelle in ihren Portefeuilles den Index so wirklichkeitsgetreu wie möglich abzubilden versuchen. Fällt Ems aus dem SMI, werden Grossanleger in Massen aussteigen, die Kurse purzeln. Blocher wäre dann um einige Hundert Millionen Franken ärmer. "Ich kann mir durchaus vorstellen, eines nicht allzu fernen Tages von der Ems loszulassen", ist sich Blocher sicher. Wobei die Nachfolge trotz drei Töchtern und einem Sohn im Alter von 22 bis 29 Jahren nicht geregelt ist. "Zuerst müssen sie sich ausserhalb des Unternehmens bewähren." Das Beispiel der Familie Oswald vor Augen, ist für den bald 60-Jährigen aber eines klar: Die Ems-Führung will er unter keinen Umständen allen vier Kindern anvertrauen.