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Bundesratszeit
22.05.2006
20.05.2006
Blocher warnt von einem sinkenden Lebensstandard
«Bundesrat Christoph Blocher rät vom Agrarfreihandel mit der EU ab. Mit diesem Schritt sänken nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne und die Qualität.» 20.05.2006, TagesAnzeiger, Anetta Bundi und René Lenzin Sind die Schweizer Manager fähige Leute? Bundesrat Christoph Blocher: Im Vergleich zu ihren Kollegen im Ausland schneiden sie gut ab. Das zeigt sich an den Resultaten, die sie mit ihren Unternehmen vorweisen können. Dies hat vermutlich mit dem hohen Stellenwert zu tun, der in der Schweiz der Eigenverantwortung sowie zuverlässiger, seriöser Arbeit eingeräumt wird. Das wird international sehr geschätzt. Früher hat man von Ihnen kritischere Töne vernommen. In der Swissair-Krise haben Sie sich etwa lautstark über den Filz in den Chefetagen beklagt. Ist er verschwunden? Der Untergang der Swissair hat viele Firmen dazu veranlasst, die gegenseitigen Verflechtungen zu lockern. Unternehmen wie die UBS beispielsweise haben zudem fremde Beteiligungen verkauft, jüngst etwa Motor Columbus. Es ist also einiges gegen den Filz getan worden. Leider fängt es jetzt aber wieder an: Meines Erachtens haben Vertreter der Banken in den Verwaltungsräten von Firmen, denen sie Kredite geben, nichts verloren. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Das hört Ihr Parteikollege Peter Spuhler, der als Industrieller im Verwaltungsrat der UBS sitzt, vermutlich nicht gern. Ich weiss nicht, ob es überhaupt Kredite braucht. Da es nicht mehr viele Industrielle gibt, ist er natürlich gefragt. Aber auch er muss aufpassen, dass er nicht zuviele Verwaltungsratsmandate annimmt. Mit der Aktienrechtsrevision schlagen Sie vor, dass sich die Verwaltungsräte jedes Jahr einer Bestätigungswahl stellen müssen. Hilft dies gegen Lohnexzesse? In den grossen börsenkotieten Gesellschaften besteht heute tatsächlich die Gefahr, dass sich die Verwaltungsräte und Manager auf Kosten der Aktionäre bereichern. Letztere können ihre Interessen häufig nicht richtig wahrnehmen. Indem ihnen neu das Recht eingeräumt wird, die Verwaltungsräte jedes Jahr einzeln zu bestätigen, wieder- bzw. nicht zu wählen, können sie künftig über deren Leistung und bei Transparenz auch über deren Entschädigungspolitik befinden. Die Rechte der Aktionäre sind zu stärken. Die dazu nötigen Rahmenbedingungen muss der Staat schaffen: Er muss dafür zu sorgen, dass möglichst viele Unternehmen erfolgreich geführt werden und dass dasPrivateigentum – hier der Aktionäre – geschützt wird. Die Wirtschaftsverbände setzen aber lieber auf Selbstregulierung. Die von der Börse und den Wirtschaftsverbänden erlassenen Regeln sind nicht schlecht. Sie können aber jederzeit wieder geändert werden und genügen nicht. Um das Eigentum der Aktionäre zu wahren, braucht es verbindliche Schutzvorschriften. Die Wirtschaftsverbände, die durch die Verwaltungsräte von Firmen bestimmt werden, sind nicht geeignet um die Interessenabgrenzungen zwischen Verwaltungsräten und Aktionären zu lösen. Hier ist der Staat als Beschützer der Freiheitsrechte gefordert. Es wäre den Verwaltungsräten lieber, wenn sie nicht jedes Jahr gewählt werden müssten. Also sind die Verbände dagegen. Sie haben die Wirtschaftsverbände schon früher kritisiert. Was müssen sie ändern? Sie müssen eine radikalere Ordnungspolitik verfolgen. Kompromisse können dann immer noch die Politiker schliessen. Einen strammeren Kurs zu vertreten, ist aber nicht so einfach. Wer vom Staat für die Forschung 30 Millionen Franken offeriert erhält, sagt dazu ungern Nein, obwohl es ordnungspolitisch falsch ist. Hier braucht es von den Verbänden mehr Mut. Als Bundesrat können Sie aber auch nicht immer die reine Lehre vertreten: Der hoch subventionierten Landwirtschaft würde mehr Markt jedenfalls nicht schaden. Die Landwirtschaft untersteht in keinem Land der Welt der freien Marktwirtschaft. Dieser kann man nur Bereiche unterstellen, auf die man verzichten kann. Gemäss Verfassung müssen die Bauern jedoch die Landschaft pflegen, Nahrungsmittel herstellen und für die dezentrale Besiedlung sorgen. Nicht alle diese Aufgaben können im freien Markt erfüllt werden. Deswegen müssen die Bauern dafür vom Staat abgegolten werden. Natürlich kann man zum Schluss kommen, man wolle den Boden lieber verganden lassen. Dann müsste man aber zuerst die Verfassung ändern. Wären Sie dafür? Nein. Als ich vor einer Woche zur Bauernversammlung nach Huttwil gefahren bin, ist mir wieder einmal aufgefallen, wie liebevoll die Landschaft gepflegt wird. Ich finde, wir müssen uns das auch in Zukunft leisten. Aber die Nahrungsmittelproduktion selbst hat sich am Markt zu orientieren. Müsste man aber nicht den Agrarmarkt mit der EU öffnen, damit die Schweizer Landwirtschaft kompetitiver wird? Machen wir uns keine Illusionen: Falls die Marktöffnung auch alle vor- und nachgelagerten Bereiche der Landwirtschaft erfassen soll, werden nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne und die Qualität sinken. Es ist dann zwar möglich, billiger zu produzieren. Damit sinkt bei uns aber auch der Lebensstandard. Das wollen wir doch nicht! Letztlich ist es wie beim EWR: Wir müssen uns entscheiden ob wir ein hochqualitatives Land bleiben wollen oder nicht. Wenn wir alles nivellieren, können wir zwar Massenware herstellen wie die anderen. Für Besonderheiten würden wir uns dann aber nicht mehr eignen. Aber dies ist die Stärke und die Chance der Schweiz. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich für einen starken Patentschutz einsetze. Der Forschungsstandort Schweiz ist zu erhalten. Also sind Sie gegen den Agrarfreihandel? Es ist ein offenes Geheimnis, das ich im Bundesrat zu den Bremsern gehöre. Der Agrarfreihandel würde nicht nur den Bauern grossen Schaden anrichten. Ich staune etwas, wie oberflächlich die Debatte geführt wird. So auch beim «Cassis de Dijon»-Prinzip. Damit will man ja, dass die in der EU zugelassenen Güter automatisch auch in der Schweiz frei zirkulieren können. Will man dies tun, muss man die Qualitätsvorschriften ändern. Zum Beispiel wieder Käfighühner zulassen, Prüfungserfordernisse beim Joghurt ändern usw. Das kann man tun. Aber will man das? Das ist für die meisten Konsumenten nicht mehr so wichtig. Viele Schweizer fahren Monat für Monat ins Ausland, um billigere Lebensmittel einzukaufen. Ich bin mir nicht sicher, ob wirklich ein Umdenken stattgefunden hat. Die meisten wollen zwar billigere Produkte, sie sind aber nicht bereit, die hohen Qualitätsstandards aufzugeben, sie wehren sich dagegen, zum Beispiel gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne Anschreibepflicht zuzulassen. Auch dies müsste geschehen. Nun staunen wir aber doch etwas: Ausgerechnet Bundesrat Blocher, der sonst stets über zuviele Vorschriften klagt, verteidigt jetzt die Schweizer Regulierungswut. Wie ist dieser Gesinnungswandel zu erklären? Selbstverständlich bin ich immer noch für einen radikalen Abbau der Vorschriften. Von mir sie nicht. Aber man kann nicht beides haben: Man kann nicht billiger produzieren und die Qualität auf dem gleichen Niveau halten. Ob beim Joghurt Zusatzstoffe speziell vermerkt sind, ist mir egal. Vielen ist dies aber wichtig, darum wurde es ja beschlossen. Man darf daher nicht so tun, als ob man die Importe über Nacht vereinfachen könnte. Zuerst muss geklärt werden, auf welche Sonderregeln Parlament und Volk zu verzichten bereit sind. Jetzt wird das Wirtschaftdepartement frei. Reizt Sie ein Wechsel - trotz Ihrer Skepsis gegenüber diesem Departement? Ich habe tatsächlich einmal provokativ gesagt, dass es in einem Land mit freier Marktwirtschaft eigentlich kein Departement braucht, das die Wirtschaft reguliert. Auf Exportförderinstrumente und die Unterstützung von Bereichen, die der freien Wirtschaft unterstehen, könnte meines Erachtens verzichtet werden. Also wäre der Wechsel für Sie eine Horrorvorstellung? Sie meinen, der Staat sei für mich an sich eine Horrorvorstellung (lacht), aber Spass beiseite: Ob ich wechsle, wird sich an der Bundesratssitzung vom 16. Juni entscheiden. Im Moment habe ich mit der Revisionsaufsicht, dem Aktienrecht und dem Patentrecht viele wichtige Wirtschaftsvorlagen in meinem Departement. Haben Sie genug Zeit, um sich auch noch mit den Geschäften anderer Departemente zu befassen, wie Sie es sich bei Amtsantritt vorgenommen haben? Ich habe meine Zeit so eingeteilt, dass ich die Hälfte für die anderen Departementsgeschäfte, die im Bundesrat entschieden werden, aufwende. Man wirft mir bisweilen vor, ich mische mich zu fest ein, aber dies ist sehr wichtig. Nehmen Sie das öffentlich bekannte Swisscomgeschäft: Die Intervention hat dazu geführt, dass auf den Kauf der irischen Eircom - und damit auf Milliarden von Fehlinvestitionen - verzichtet wurde, dass man die Strategie geändert und – als Folge davon - das Management ausgewechselt hat. Das wichtigste Ziel ist erreicht. Ob der letzte Schritt, die Verselbständigung gelingt, wird man sehen. Das braucht wohl noch etwas Zeit. Diese Vorlage zeigt aber doch: Letztlich sind Sie ein Oppositionspolitiker geblieben, der Dinge verhindern, aber kaum eigene Projekte durchbringen kann. In einem liberalen Staat ist es häufig das Wichtigste, Fehlentwicklungen zu verhindern. Zum Beispiel eine falsche Strategie wie bei der Swisscom. Zudem habe ich eigene Projekte durchbringen können. Unter vielen sei das Asyl- und Ausländerrecht genannt, das im Parlament neu aufgegleist wurde. Und bei der Verselbständigung der Swisscom ist auch noch nicht aller Tage Abend. So etwas kann vielleicht nicht schon beim ersten Anlauf gelingen. Was der Bundesrat beschlossen hat, war ein Richtungswechsel, und der wirft zunächst einmal alles aus den Geleisen. Das war wie beim Verzicht aufs Kernkraftwerk Kaiseraugst. Früher kämpften Sie allein gegen Regierung und Verbände. Jetzt hat man den Eindruck, Sie seien Teil des Establishments geworden. Gefällt es Ihnen in dieser Rolle? Ich habe eine andere Aufgabe als früher und bin daher zwangsläufig in den Strukturen des Establishments tätig. Mache dort Widerstand und gestalte wo nötig. Im Grossen und Ganzen gefällt es mir. Nicht weil ich viel schöne Arbeit verrichte, sondern weil die bisherige Bilanz stimmt: Politisch habe ich innerhalb der Regierung mehr erreicht als ausserhalb.
18.05.2006
Neosozialistisch statt neoliberal?
Eine kurze Verteidigungsrede von Freiheit, Demokratie und Markt (oder was es zu den Managersalären zu sagen gibt). Rede von Bundesrat Christoph Blocher am 36. St. Gallen Symposium 18.05.2006, St. Gallen St. Gallen, 18.05.2006. Anlässlich des St. Galler Symposiums gedachte Bundesrat Christoph Blocher dem liberalen Denker Wilhelm Röpke und verwies auf dessen Antworten auf auch heute noch aktuelle Fragen, wie zum Beispiel die Managerlöhne. Er betonte, dass die Entschädigung jedes Angestellten der Leistung und dem Marktwert entsprechen sollte und ging davon aus, dass die Eigentümer diese Löhne festlegen. Bundesrat Blocher sieht jedoch Probleme bei grossen börsenkotierten Unternehmen und spricht sich deshalb für die Corporate Governance und die laufende Aktienrechtreform aus. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Zum 40. Todestag Wilhelm Röpkes Es wird allerhand gefeiert in diesem Jahr: * Mozarts 250. Geburtstag. * Vor 150 Jahren verstarb Heinrich Heine. * In dessen Todesjahr 1856 kam der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, zur Welt. Aber im ganzen Taumel der Jubiläen geht ein Mann fast vergessen, der vor vierzig Jahren als Emigrant in der Schweiz gestorben ist: Wilhelm Röpke, ein bedeutender liberaler Denker des 20. Jahrhunderts. Ich halte Wilhelm Röpke für einen wichtigen Wegweiser zur Lösung der volkswirtschaftlichen Probleme unserer Zeit. Wie Mozart, Heinrich Heine und Sigmund Freud in ihrer Zeit war auch Wilhelm Röpke verfemt. So musste er schon 1933 Nazi-Deutschland verlassen. Das Regime hielt ihn wegen seiner – ich zitiere – „liberalen Gesinnung“ für eine Gefahr. 2. Warnung vor dem Sozialismus Röpke gehörte zu den grossen Verfechtern der Marktwirtschaft, die er im Zentrum einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft sah. Er ist das, was man heute verächtlich einen „Neoliberalen“ nennt. Tatsächlich ist es Mode geworden, im „Neoliberalismus“ – also in der Lehre der grossen Liberalen Ludwig von Mises, August Friedrich von Hayek, Wilhelm Röpke und später Milton Friedman – das Grundübel, ja das Böse schlechthin zu sehen. Deren Kritiker haben offensichtlich nicht begriffen, dass der Liberalismus das vielleicht unbequeme, aber unumgängliche Fundament zur Lösung unserer Probleme bildet. Die westlichen Industriestaaten kranken an einer überregulierten Wohlfahrt, an der Entfremdung des Bürgers vom Staat, sie sind gekennzeichnet von schwachem Wirtschaftswachstum und einer generellen Überforderung des Staates. Dabei wären die „Neoliberalen“ die wahren Sozialen, denn keine Lehre hat so zur hohen Beschäftigung, zu Wohlfahrt und zur Überwindung der Armut beigetragen wie diese! Aber auch zu aktuellen Fragen finden wir bei den Neoliberalen wichtige Antworten: So zum Beispiel über das zur Zeit in allen Industriestaaten viel diskutierte Thema der als überrissen bezeichneten Managersaläre. 3. Managersaläre Die jüngsten Debatten über Managersaläre sind von Unverständnis und oft auch Neid geprägt. Vergleiche zwischen Arbeiterlöhnen und Managerlöhnen führen uns jedoch nicht weiter und der Neid darf nicht die politische Agenda diktieren. Die Frage nach den „richtigen“ Managerlöhnen ist wesentlich komplexer, als es die plakativen Aussagen der Kritiker wie auch der Befürworter dieser Entschädigungen glauben lassen. Was also ist zu tun? Es sind hier ein paar Grundwahrheiten, die zur Zeit zugeschüttet sind, hervorzuholen und an den Anfang zu stellen: 4. Grundwahrheiten * Eine erste Grundwahrheit Aufgrund der Erfahrungen der letzten 200 Jahre ist es wohl unbestritten, dass privatwirtschaftliche, florierende Unternehmen die besten Arbeitsplätze, hohen Verdienst, breiten Wohlstand, Reichtum und Steuersubstrat und damit die Voraussetzungen für einen sozialen Staat schaffen. Als Unternehmer sagte ich mir stets: „Meine sozialste Aufgabe ist das Unternehmen erfolgreich zu führen“, denn erfolgreiche Unternehmen schaffen Beschäftigung und sind die Quelle für allgemeine Wohlfahrt. Als Bundesrat sage ich mir, es ist die sozialste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass im Land möglichst viele Unternehmer ihr Unternehmen erfolgreich führen können. Wer immer noch auf sozialistische oder neosozialistische Rezepte setzt, hat die Weltgeschichte verschlafen. * Eine zweite Grundwahrheit Der Erfolg eines Unternehmens ist abhängig von der Führung. Entscheidend ist die Führungspersönlichkeit oder das Management an der Spitze: „Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, sondern nur schlechte Chefs!“ Das gilt überall: In den Unternehmen, in Organisationen, Verbänden und Parteien. Das gilt auch in den Schulen und Universitäten und – wenn Sie mir diese kollegiale Bemerkung erlauben – das gilt auch für den Bundesrat. Darum ist es die Hauptaufgabe des Unternehmers, ein gutes Management bereit zu stellen. Das heisst aber auch: Ein Versager an der Spitze des Unternehmens ist unverzüglich abzusetzen, denn die Spitze des Unternehmens sorgt für das Resultat – für das gute oder das schlechte. * Eine dritte Grundwahrheit Gute Chefs an der Spitze zu finden, ist schwierig. Diese Menschen sind nicht allzu zahlreich. Darum sind sie in der Regel teuer. Aber: Es gibt für alle Mitarbeiterkategorien einen Markt – auch für Manager! Darum gilt es im Markt in freier Konkurrenz von Bewerbern auszuwählen. * Eine vierte Grundwahrheit Was ist denn ein Unternehmer? Ein klassischer Unternehmer ist ein Mensch, dem eine Firma gehört und der diese auch selbst führt. Er ist Manager und Eigentümer in einem. Sein Dasein – man könnte etwas pathetisch auch von Schicksal reden – ist eng mit der Firma verbunden, weil sein Kapital in der Firma steckt. Das unterscheidet ihn vom Manager, der als Angestellter die Firma nur führt. Bei den börsenkotierten Unternehmen ist es allerdings anders. Dort gibt es den klassischen Unternehmer – der Eigentümer und Manager zugleich ist – nicht. Führung und Eigentum fallen nicht zusammen. Der Eigentümer besteht darüber hinaus aus einer Vielzahl von Aktionären! Das erschwert die volle Interessenwahrung zusätzlich. * Eine fünfte Grundwahrheit Für den Erfolg ist es wichtig, dass die Eigentümer die Manager zu einem leistungs- und marktgerechten Salär einsetzen. Weder der Staat noch irgendwelche Aussenstehenden sind in der Lage, die richtige Entschädigung oder deren Obergrenze festzulegen. Auch nicht die Manager selbst. Denn das Unternehmen gehört nicht ihnen. Es ist die Sache des Eigentümers – bei den Aktiengesellschaften der Aktionäre – die Bezüge des Managements festzulegen. * Eine sechste Grundwahrheit Wie hoch soll die Entschädigung denn sein? Generell gesprochen sollte die Entschädigung so hoch sein, dass sie der Leistung und dem Marktwert entspricht. Das gilt für alle Angestellten. Auch für die obersten. Die Anstellungsbedingungen sollen hervorragende Leistung zu einem möglichst günstigen Preis generieren. Im Gegensatz zum Markt für kaufmännische Angestellte, Arbeiter, Verkäufer, Lehrer und Professoren ist der Markt für Manager kleiner und es gibt keine eindeutigen Hinweise auf das „richtige“ Lohnniveau, auf den Marktlohn. * Eine siebte Grundwahrheit Das Anliegen, ein gutes Management an der Spitze zu haben, ist für eine erfolgreiche Unternehmung dermassen wichtig, dass es auch falsch wäre, das Lohnniveau von einer generellen Akzeptanz der Öffentlichkeit oder der Medien abhängig zu machen. Soziales Denken heisst, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen von erfolgreichen Managern so geführt werden, dass sie Gewinn abwerfen und Wohlstand erzeugen. Das Salär richtet sich allein nach der Leistung und dem Marktwert. 5. Schutz der Freiheitsrechte? Wie gesagt: Die Unternehmer, die Eigentümer, die Aktionäre oder die Verwaltungsräte – als die Treuhänder der Eigentümer – haben diese sieben Grundwahrheiten zu beherzigen. Deshalb stellt sich die Frage: Ist der Ruf nach dem Staat angesichts der enormen Managersaläre überhaupt gerechtfertigt? Hat der Staat in diesem Bereich überhaupt etwas zu suchen? Ich meine ja. Gerade als Verfechter des liberalen Rechtstaates bin ich dieser Überzeugung. Warum? Der Schutz der Freiheitsrechte ist eine der zentralen Aufgaben im liberalen Rechtsstaat. Und hier im Besonderen der Schutz des Privateigentums. In grossen Publikumsgesellschaften mit Tausenden von Aktionären ist es für die Eigentümer heute kaum möglich, ihr Eigentumsinteresse zu wahren und durchzusetzen. Die Eigentümerfunktion ist häufig so pulverisiert, dass der Einzelne seine Interessen kaum wahrnehmen kann. Es ist fast wie im Kommunismus: Auch dort hat man immer wieder verkündet, das Eigentum gehöre allen. Nur konnte letztlich niemand seine Eigentumsinteressen wahrnehmen, so dass es schliesslich die Nomenklatur tat. Sie hat vorgeblich die Privatinteressen betreut - aber zum eigenen Nutzen. Weil der Schutz des Privateigentums jedoch eine zentrale und für den wirtschaftlichen Erfolg ausschlaggebende Staatsaufgabe ist, besteht für den Staat immer dann Handlungsbedarf, wenn er feststellen muss, dass das Privateigentum nicht genügend geschützt ist. Bei grossen börsenkotierten Aktiengesellschaften braucht es staatliche Vorschriften über die Corporate Governance, damit das Eigentum geschützt ist. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die Verwaltungsräte und das Management zu Lasten der Eigentümer ungerechtfertigt bereichern und damit das Privateigentum verletzen. 6. Massnahmen im schweizerischen Aktienrecht Hier muss der Staat ernst machen. Dies ist aktueller Gegenstand der schweizerischen Aktienrechtsreform: Der Entwurf liegt jetzt in der Vernehmlassung. Was will diese Reform? 1. Die Bezüge der Verwaltungsräte müssen im Einzelnen bis ins Detail veröffentlicht werden, ebenso das höchste Salär der Geschäftsleitung und das Gesamtsalär der Geschäftsleitung. Die Revisionsstelle hat dies zu prüfen und zu bestätigen. Diese Regelung ist bereits beschlossen, sie wird auf den 1. Januar 2007 in Kraft treten. Damit kann der Eigentümer die Managemententschädigungen im Verhältnis zur Leistung und zum Markt beurteilen. 2. Die einzelnen Verwaltungsratsmitglieder sind jährlich einzeln zu wählen bzw. zu bestätigen. So können die Eigentümer, d.h. die Aktionäre, bei der jährlichen Wahl bzw. Wiederwahl des Verwaltungsrates direkt oder indirekt über die Leistung und die Bezüge der obersten Führungskräfte urteilen. 3. Damit dem Willen der Eigentümer zum Durchbruch verholfen werden kann, müssen stimmenverfälschende Aktionen untersagt werden (so insbesondere das Depotstimmrecht der Banken oder die Stimmenmanipulation durch geborgte Aktien). 4. Der Verwaltungsrat hat die Auswahlprozesse – wie bei allen Mitarbeitern – auch bei den führenden Managern anzuwenden. Der Salärfindungsprozess ist in freier Konkurrenz und nicht unter Koordination einiger weniger Beratungsfirmen zu gewährleisten. Der Verwaltungsrat ist Treuhänder der Eigentümer, und nicht die Beratungsfirmen. Er hat diese Funktion wahrzunehmen. Tut ein Verwaltungsrat, der für getreue Geschäftsbesorgung verantwortlich ist, dies nicht, ist er zur Rechenschaft zu ziehen. Die gesetzlichen Vorschriften dazu bestehen schon heute! 5. Für die nichtbörsenkotierten Firmen ist vorgesehen, dass die Bezüge der Verwaltungsräte auf Verlangen von Aktionären bekannt gegeben werden müssen. Damit können auch Aktionäre in kleinen Firmen als Unternehmer über Leistung und Entlöhnung durch die Stimmabgabe bestimmen. Solche Bestimmungen sind kein staatlicher Interventionismus. Wer von der Marktwirtschaft überzeugt ist, für den ist es selbstverständlich, dass der Staat die Rahmenbedingungen schafft, damit Leistung, marktgerechte Entschädigung und das Privateigentum gewährleistet sind. Andere Lösungsvorschläge wie gesetzliche Höchstlöhne von Managern, die Festsetzung der Löhne durch Aussenstehende oder gar der sozialistische Schlachtruf „gleiche Löhne für alle“ sind unsinnig und hätten verheerende Folgen für die Volkswirtschaft eines Landes. Mit dem neuen Aktienrecht werden die unseligen Diskussionen über die Managerlöhne ein Ende nehmen. 7. Röpke in Genf Kommen wir nochmals kurz auf Wilhelm Röpke zu sprechen. Nach seiner Emigration in die Schweiz fand Wilhelm Röpke einen neuen Wirkungsort in Genf, am Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales. Sein äusserst positives Urteil über die Schweiz hing nicht nur mit seiner speziellen Biographie als Emigrant zusammen. Er erkannte in der Schweiz eine „Ausnahme wie alles in der Geschichte einigermassen Gelungene“ (in Gesellschaftskrisis der Gegenwart). Möge dies auch für die Aktienrechtsreform gelten! Lasst den Staat tun, was er unbedingt tun muss. Der Rest sei Demokratie, Marktwirtschaft und Freiheit.
16.05.2006
Das Autogewerbe – ein hoch innovativer und anpassungsfähiger Wirtschaftszweig
Rede von Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung der ESA (Einkaufsorganisation des Schweizerischen Auto- und Motorfahrzeuggewerbes), 16. Mai 2006 in Interlaken 16.05.2006, Interlaken Interlaken, 16.05.2006. An der Generalversammlung der Einkaufsorganisation des Schweizerischen Auto- und Motorfahrzeuggewerbes ESA pries Bundesrat Christoph Blocher das marktwirtschaftliche, kapitalistische Wirtschaftssystem. Dieses habe im Verlauf der Zeit zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen aller Gesellschaftsschichten geführt, während der Sozialismus ganze Staaten und Völker in den wirtschaftlichen Ruin getrieben habe. Es gebe wohl kaum einen Wirtschaftszweig, der so sichtbar die Vorzüge des Wettbewerbs aufzeige wie das Autogewerbe. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Vielfalt dank Marktwirtschaft Der Automobilmarkt ist ein Milliardengeschäft. Täglich sind Millionen von Fahrzeugen in dieser Welt unterwegs. Man braucht kein Prophet zu sein: Auch die Chinesen möchten ihr Velo so bald wie möglich gegen einen Personenwagen eintauschen. Damit erschliesst sich ein neuer, gewaltiger Markt. Das Auto ist in diesen Ländern Zeichen des Wohlstandes. Auf der ganzen Welt aber eben auch Ausdruck von Mobilität und Wirtschaftskraft. Dieser Milliardenmarkt Auto ist hart umkämpft. Es gibt wohl kaum einen Wirtschaftszweig, der so sichtbar die Vorzüge des Wettbewerbs aufzeigt wie das Autogewerbe. Asiatische, europäische und amerikanische Hersteller kämpfen um alte und neue Kunden. Dieser Wettbewerb zwingt zur permanenten Weiterentwicklung und führt zu immer neuen Errungenschaften. Ich habe den Titel des heutigen Referats nicht zufällig gewählt: Das Autogewerbe ist tatsächlich einer der innovativsten und anpassungsfähigsten Wirtschaftszweige überhaupt. Der Druck, das Produkt zu verbessern, die Sicherheitsstandards zu erhöhen, das Design zu erneuern, die Innenausstattung auszubauen und vieles mehr – und erst noch zu kundenfreundlichen Preisen – ist gewaltig. Und wenn wir von der Automobilbranche reden, dann sind die abertausenden von Zulieferern mitgemeint. Gerade im Zuliefererbereich hängen auch in der Schweiz viele Betriebe und somit auch viele Arbeitsplätze von einer florierenden Autoindustrie ab. Es gibt heute eine kaum mehr überblickbare Zahl von Motorfahrzeugen. Der Kunde kann aus unzähligen Marken und Modellen auswählen. Das ist immer ein Zeichen dafür, dass die Marktwirtschaft funktioniert. Innerhalb von hundert Jahren hat das Automobil einen vergleichslosen Siegeszug angetreten, obschon die Skeptiker der ersten Stunde dieser Erfindung wenig Zukunft prophezeiten. Diese horrenden Fortschritte in der Entwicklung sind nur in einem zwar harten, aber gleichzeitig weitgehend freien Wettbewerb möglich. Zugleich erfüllt das Automobil ein Bedürfnis, das offenbar eine sehr grosse Mehrheit der Menschen umtreibt: sich schnell, bequem und individuell fortzubewegen. 2. Vom Luxus zum Alltäglichen Mein Vater, ein protestantischer Landpfarrer, besass ein Fahrrad. Heute würde man sagen, ein Militärvelo. Das Velo verfügte über einen Gang, wog ziemlich schwer, war aber für die Ewigkeit konstruiert. Mein Vater konnte sich Zeit seines Lebens kein Auto leisten. Dafür brachte er elf Kinder durch und jedes durfte eine Ausbildung absolvieren. Hier war die Rechnung relativ schnell gemacht. Ein Auto stand gar nie zur Diskussion – „es lag nicht drin“, wie man so schön schweizerisch sagt – und als die Jungen auszogen und eine Anschaffung finanziell vielleicht möglich geworden wäre, war der Vater in einem Alter, in dem man sich besser nicht mehr auf solche Experimente einliess. Was vor wenigen Jahren also ein absoluter Luxusgegenstand war, gehört mittlerweile praktisch in jeden Haushalt. Man muss kein Historiker sein, um mit aller Deutlichkeit festzuhalten: Der heutige ungelernte Hilfsarbeiter darf heute die wesentlich besseren Lebensbedingungen für sich beanspruchen als vor fünfhundert Jahren der deutsche Kaiser persönlich. Dies verdanken wir einzig einem marktwirtschaftlichen, kapitalistischen Wirtschaftssystem. Der Status der ärmeren Bevölkerung hat sich gerade in den Ländern, die eine freie Wirtschaftsordnung kennen, beständig verbessert. Während der Sozialismus ganze Staaten und Völker in den wirtschaftlichen Ruin führte. Ob wir es wollen oder nicht: Wir haben dauernd für die Prinzipien der Marktwirtschaft zu kämpfen. Wo sich der Tüchtige und Erfinderische ungehindert entfalten kann, geht es vorwärts und aufwärts. Wo der Tüchtige und Erfinderische eingeschränkt, der Erfolgreiche mit Steuern bestraft, der strebsame Bürger übervorteilt wird, geht es konsequent in eine andere Richtung: nach unten. Die Forderung nach möglichst viel Marktwirtschaft ist der soziale Ruf unserer Tage! 3. Wettbewerb ist innovativ Es wird permanent versucht, das Auto moralisch schlecht zu reden. Dabei wird mit Vorliebe auf die Verkehrsunfälle einerseits und die Umweltbelastung andererseits verwiesen. Ich möchte auf beide Bereiche kurz zu sprechen kommen und nochmals festhalten: Die Errungenschaften in der Sicherheit sind in erster Linie die Frucht der Innovationsfähigkeit der Automobilbranche. Airbags, ABS, IPS (Intelligent Protection System), verbesserte Gurtentechnik, Knautschzonen haben entscheidend zur Senkung der schweren Unfälle beigetragen. Auch wenn gewisse Politiker nach wie vor überzeugt sind, sie hätten höchstpersönlich die Zahl der Verkehrstoten gesenkt. Nein, auch hier zeigen sich die Vorzüge der Marktwirtschaft. Der Kunde erwartet ein sicheres Gefährt. Also müssen ihm die Hersteller ein solches anbieten. Wer nicht mitzieht, wird vom Markt bestraft. Denn der Kunde wählt aus. Gnadenlos. Kommen wir zur Umweltbelastung. Da besteht in der Tat ein Problem bei den Verbrennungsmotoren. Aber auch hier schafft der Markt bzw. die Nachfrage die entsprechenden Angebote. Ich garantiere Ihnen, die Aussicht der Autoindustrie durch verbrauchsarme Fahrzeuge oder alternative Brennstoffe gute Geschäfte zu erzielen, wird deren Entwicklung viel schneller vorantreiben als alle bisherigen und zukünftigen staatlichen Interventionen und politischen Predigten. Ich bin überzeugt, dass der Privatverkehr seinen Siegeszug fortsetzen wird. Ob das Auto der Zukunft mit Benzin, Wasserstoff, Rapsöl, Ethanol, Hanf oder sonst was angetrieben wird – wer weiss das? Lassen wir die freie Forschung, lassen wir den Wettbewerb, lassen wir den Markt spielen. Dann kommt es gut. Viel problematischer wird es, wenn übermütige oder ideologische Politiker glauben, die Weichen selber stellen zu müssen. Wir haben bereits benzinsparende Hybridmotoren auf dem Markt, welche Bremsenergie, die sonst verpufft, speichern und dem Motor wieder als Elektroenergie zuführen. Eine grandiose Leistung. Nur möchte ich auch bei diesem konkreten Beispiel darauf verweisen: Der Hybridantrieb ist durch einen privaten Autokonzern entwickelt und technisch umgesetzt worden – und nicht durch die Politik oder irgendein Gesetz. Verbieten, verteuern, verhindern sind keine kreativen Lösungen. 4. Ein Dank Sie stehen alle in der Marktwirtschaft. Sie tragen alle dazu bei, dass die Schweiz mobil ist, dass die Schweizerinnen und Schweizer in jedem Sinn beweglich bleiben. Sie tragen alle mit ihrer Arbeit zur Wertschöpfung in unserem Land bei. Mit Ihrer Organisation ermöglichen Sie die kostengünstige und effiziente Belieferung von Ersatzteilen für das schweizerische Auto- und Motorfahrzeuggewerbe. Ich habe gelesen, dass sich über 7'000 Genossenschafter – vor allem PW- und LKW-Garagenbesitzer – in Ihrer Organisation zusammengeschlossen haben. Das haben Sie getan, weil Sie so besser, schneller, kostengünstiger Ihrer Arbeit nachgehen können. Das ist gelebte Marktwirtschaft. Aber zuoberst in den von Ihrer Organisation festgehaltenen Grundsätzen steht: „Alles dreht sich um unsere Kunden.“ Diese Einstellung gefällt mir. Auch in der Politik sollten es heissen: „Alles dreht sich um das Wohl unserer Bürger.“
11.05.2006