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Bundesratszeit

02.12.2005

«Schreiben, was ist!»

Gastreferat von Bundesrat Christoph Blocher, anlässlich der Verleihung der BZ-Lokaljournalistenpreise 2005 und der Espace Media-Preise Swiss Press Photo 2005, am 2. Dezember 2005, Schweizerisches Landesmuseum Zürich 02.12.2005, Zürich Zürich, 02.12.2005. In seinem Referat anlässlich der Verleihung der BZ-Lokaljournalistenpreise und der Espace Media-Preise Swiss Press Photo 2005 ging Bundesrat Christoph Blocher auf die Schwierigkeit ein, die Realität zu erkennen. In diesem Zusammenhang verglich er die Arbeit eines Journalisten mit der eines Politikers. Journalisten gehören einer wenig beneidenswerten Berufsgattung an: Jeden Tag müssen Sie eine Zeitung füllen, gleichgültig, ob sich viel oder wenig ereignet hat; Sie sollen die Wirklichkeit beschreiben, auch wenn Ihnen diese Wirklichkeit bewusst oder unbewusst vorenthalten wird. Es gibt wahrlich einfachere Jobs als jene des Journalismus. Ich muss mich geradezu beherrschen, nicht einem seelsorgerischen Ton zu verfallen… Das Grossartige im Kleinen Wer den Journalisten beim Schopf packt, also bei der Berufsbezeichnung selbst, erkennt in ihm unschwer den Tagesarbeiter. Der „Journalist“ arbeitet für das Heute, pour le jour, für den Tag. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Der Lokaljournalist, der an diesem festlichen Anlass – und ich will hier gleich anfügen – zu Recht gefeiert wird, ist der Berichterstatter über das Kleinräumige und Alltägliche. Der Lokaljournalist sieht das Grossartige im Kleinen. Er beschreibt das Immerwährende im Flüchtigen, das Einzigartige im Alltäglichen. Die Arbeit von Lokaljournalist und Pressefotograf deckt sich mit dem Grundanliegen des grossen Schweizer Malers Albert Anker: „Im Kleinen ist die Grösse der ganzen Welt abgebildet.“ Im Kleinen die Grösse der ganzen Welt abzubilden, ist eine sehr schwierige Aufgabe, denn im Journalismus ist es wie in der Politik: Am Einfachsten haben es jene Politiker, die unverfänglich über das grosse Weltgeschehen schwadronieren, von „Weltaussenpolitik“ berichten und diese gestalten wollen, ohne dafür befugt zu sein und so tun, als würden sie damit schon den Welthunger, die Klimaveränderung und andere globale Probleme lösen. Sie reden schön, sind gute Menschen und werden nicht an ihren Taten gemessen. Schwieriger wird es dort, wo es konkret wird, wo es um Handfestes geht. Wirklich bewähren muss sich nämlich der Lokalpolitiker. Ihn misst man an den konkreten Ergebnissen. An so schmucklosen Dingen wie dem Steuerfuss oder der Investitionsrechnung. Auf ihn sind die prüfenden Augen der Bürgerinnen und Bürger gerichtet. Täglich. Und Ausreden werden nur selten geduldet. Stimmt die Finanzrechnung nicht, kann kein Gemeinderat der Welt-Vogelgrippe oder der Globalisierung die Schuld geben. Der Lokalpolitiker wird immer wieder auf den Boden der Realität geholt. Zu Recht. Und es sind nicht zuletzt die Lokal-Journalisten, die den Politiker am Boden der Realität festzunageln haben und ihn zur täglichen Pflichterfüllung zwingen. Das ist Ihre Aufgabe. Einfach ist dies nicht, aber wichtig. Schreiben, was ist Wir Politiker stellen so etwas wie das redselige Abbild des Journalisten dar. Auch wir sind dem täglichen Überlebenskampf ausgeliefert, nicht frei von Eitelkeiten und müssen mit unseren erbittertsten Gegnern zusammenarbeiten – ob wir es wollen oder nicht. Die Haupttätigkeit des Journalisten ist das Schreiben, während sich der Politiker aufs Reden verlegt hat. Der Exekutivpolitiker sollte daneben allerdings auch noch handeln. Und um sachgerecht handeln zu können, muss zuerst das Problem erkannt werden. Wer sich in der Führung auskennt, der weiss, wie schwierig es ist, die Realität zu erkennen. Wie ist es wirklich? lautet die bange Frage jedes guten Vorgesetzten. Wer nicht weiss, wie es ist, kann das Problem nicht einmal erkennen, geschweige denn lösen. Der Mensch neigt leider dazu, den wahren Zustand zu übersehen, zu beschönigen oder zu verdrängen. Vor allem so genannt moralisch hochstehende Menschen neigen zur Verdrängung, weil sie Angst davor haben, die Wirklichkeit könnte schlechter sein, als das, was sie selbst wollen. Besonders dann, wenn diese Moralisten selbst im Geschehen stecken, tun sie alles, um die Wirklichkeit zu beschönigen, damit sie selber in besserem Licht erscheinen. Der Mensch glaubt allgemein, man müsse den Ist-Zustand nur so beschreiben, wie man ihn gerne hätte, dann sei alles gut. Wird einem dann später dieses selbst fabrizierte Trugbild als Wirklichkeit in Zeitung und Fernsehen vorgesetzt, nimmt man diese schmeichelnde Ersatzrealität natürlich gerne für bare Münze. Glücklicherweise funktioniert dieses selbstbetrügerische System nur kurzfristig. Die Wirklichkeit trotzt allen Manipulationsversuchen. Je früher sie wieder zum Vorschein kommt, desto weniger folgenreich spielt sich dieser Läuterungsprozess ab. Wer im Lokalen wie im Überregionalen Zeuge solcher menschelnder Verschönerungs- oder Verdrängungsvorgänge wird, merkt etwas von der oppositionellen Kraft, die allein in der Schilderung der Wirklichkeit liegt. Besonders der Lokaljournalist, der ganz nahe bei der Wirklichkeit arbeitet, gerät fast automatisch in den Zwiespalt, entweder gegen sein besseres Wissen an der Verschleierung der Tatsachen mitzuwirken oder die Wahrheit aufzudecken und damit in Opposition zur Macht und den Mächtigen zu geraten – was mitunter gefährlich sein kann. Tun Sie’s trotzdem oder gerade deswegen! Schreiben, was ist! So lautet Ihr grosser Beitrag als Journalist. Schreiben, was ist! Der Titel meines Referats ist gleichzeitig das journalistische Vermächtnis des Spiegel-Begründers Rudolf Augstein. Denn, so der grosse Publizist weiter: „Richtig informieren, heisst auch schon verändern!“ Aber wenn richtig informieren auch schon verändern heisst, was bewirkt dann das falsche Informieren? Nun: Auch falsche Informationen sollen verändern. Sie sollen die Wirklichkeit verändern, d.h. fälschen. Und zwar zugunsten des Manipulators. Darin liegt das schlichte Motiv der Verfälscher. Das wissen kriegsführende Generäle, Diktatoren, Monarchen, Regierungen… und Informationsbeauftragte. Aber das wissen auch Sie als Journalisten. Falsche Informationen haben das Ziel, die Wirklichkeit zu vertuschen. Das ist schliesslich ihr Sinn. Nicht selten versuchen gerade Politiker Fehler und Misserfolge zu beschönigen, um ihre Arbeit ins beste Licht zu rücken. Eine verständliche Absicht. Denn auch Politiker lieben den Applaus der grossen Menge. Sie glauben, ihr ganzes politisches Überleben hänge von der öffentlichen Zustimmung ab. Da werden schon mal ein paar Tatsachen zurechtgebogen oder verschwiegen oder geschönt. Aber das gilt nicht nur für die Politik. Selbst in der Wirtschaft, der Kirche, der Gesellschaft, selbst im Privaten sind Menschen nicht gefeit davor. Schreiben als subversive Tätigkeit Sagen, was ist! Schreiben, was ist! Die Wirklichkeit abbilden, kann da – wie gesagt – plötzlich sehr subversiv und gefährlich sein. Sie sehen: Journalist ist ein gefährlicher Beruf. Ich meine nicht dann, wenn auch Sie die Tatsachen verdrehen, sondern eher dort, wo sie die Fakten so darstellen, wie sie sind. Gute Journalisten sind Detektive, Wühler, Unruhestifter, nicht eben angenehme Zeitgenossen. Liebesbedürftige kommen nicht auf ihre Rechnung. Diese sind in der Politik besser aufgehoben. Deshalb frage ich Sie: Können Sie sich mit Ihrer Mission identifizieren? Wollen Sie diese Mühsal tatsächlich auf sich nehmen? Zu beneiden sind Sie wirklich nicht, denn man macht Ihnen das Leben oft genug schwer. Was bekommen Sie als Informationen? Meist bloss geschönte Berichte, verführerische Pressetexte, filtrierte Auskünfte. Die Worte von offiziellen Sprechern haben Sie zu deuten wie das Orakel von Delphi. Häufig verabreicht man Ihnen nur Halbwissen, was in der Regel schlimmer ist als gar keine Information. Schreiben, was ist oder pädagogische Erziehung? Vielleicht hören Sie das alles nicht so gern, denn „Schreiben, was ist“ entspricht nicht dem Zeitgeist. Diese Devise mag Ihnen vielleicht sogar etwas langweilig erscheinen. Viele Journalisten sind ja wie gute Pädagogen. Sie wollen die Welt, die Menschheit, die Schweiz, den Bundesrat, die Politiker, den Blocher verändern und verbessern – und plötzlich sind Sie keine Journalisten mehr, sondern betreiben, vielleicht ohne es zu wollen, selber Politik. Damit untergraben Sie die Grundlagen Ihrer journalistischen Arbeit. Sie verlieren an Glaubwürdigkeit, an Respekt und – vor allem – an Einfluss. Sie verlieren Ihr Kapital – Ihr Einfluss ist die Macht des Faktischen! Denn nur so treffen Sie die Realitätsverweigerer, die Wirklichkeitsbeschöniger, die Manipulatoren – einfach all jene, welche glauben, sich mit Geheimniskrämerei, moralistischer Weltfremdheit und selektiver Wahrheit an der Macht halten zu können, weil sie so mit schönem Mäntelchen ihre Mängel und ihre Unfähigkeit verdecken. Dazu bedarf es allerdings eines offenen Klimas in Medien, Politik und Gesellschaft. Wo dieses nicht vorhanden ist, werden Sie kritisiert, bestraft und beiseite geschoben. Demokratische Macht baut jedoch auf das Fundament der Transparenz. Und hier meine ich, hätten die Journalisten einen besonderen Vorteil. Sie haben es besser als die Leute, die in der Macht, in der Politik stehen. Diese dürfen nicht alles sagen, was sie denken, oft nicht einmal sagen, was ist. Der Journalist darf und soll sich solche Freiheiten nehmen. Nichts Neues unter der Sonne Die Darstellung von dem, was ist, kann gefährlich sein. Viele Menschen mussten sogar ihr Leben lassen, nur, weil sie sagten, was ist. Die Weltgeschichte kennt viele Scheiterhaufen. Aber diese Menschen haben Geschichte gemacht. Nun, soweit müssen Sie heute wohl nicht mehr gehen, obschon auch im Jahre 2005 noch ein paar Restrisiken für Ketzer bestehen. Auch Demokratien, selbst die unsrige, sind nicht gefeit vor Unterdrückungen. Am Schlimmsten ist es dort, wo nur eine Meinung herrscht und keine andere zugelassen wird. Dort, wo sich die Herrschenden und die Meinungsmacher, die Politiker und Journalisten, wo alle zusammen sich auf eine einzige Meinung verständigt haben und jeden, der nur etwas von dieser Doktrin abweicht, gleich auf den medialen Scheiterhaufen führen. Hier wird die gefälschte Darstellung der herrschenden Zustände zur Lüge, auf die sich alle geeinigt haben. Dieser Gefahr ist auch eine Zeit ausgesetzt, welche theoretisch die Meinungsvielfalt predigt und angeblich lebt. Gegen diese Bedrohung ist keine Demokratie geschützt. Sie wissen alle, wovon ich rede. Sie kennen sie alle: Den Mainstream, in dem auch die Journalisten oft und gerne schwimmen. Ihnen ist aus der Geschichte das Schicksal von Galileo Galilei sicher bekannt. Mit seinem Fernrohr entdeckte der florentinische Gelehrte vier Monde des Jupiters. Sie tauchten hinter dem Planeten auf und verschwanden wieder. Sie umkreisten ihn. Der Legende nach forderte Galileo die Kardinäle auf, durchs Fernrohr zu blicken – um zu sehen, was ist! Doch die Kardinäle weigerten sich. Mit guten Gründen. Denn sie waren weder dumm noch astronomisch ungebildet. Sie fürchteten sich bloss, vor den unwiderlegbaren Fakten und deren Folgen. Die Kirche bangte um ihre moralistische Lufthoheit. Wenn da einer sagt, wie es ist, glaubten sie die ganze kirchliche Autorität in Gefahr. Wer der herrschenden Moral entgegen tritt, muss entweder zum Schweigen gebracht, beseitigt werden oder widerrufen. Zum Widerlegen bleibt da keine Zeit. Galileo widerrief: „Mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben schwöre ich ab.“ Da man die Wirklichkeit nicht widerlegen kann, muss der, der sie verkündet, vernichtet werden. Meine Damen und Herren, sehr geehrte Lokaljournalisten und Pressefotografen. Sie sind es, die mit den Methoden Galileos arbeiten. Sie halten die Lupen, Ferngläser und Fotolinsen in Ihren Händen. Hinterfragen Sie, seien Sie kritisch, misstrauen Sie den Mächtigen und der Macht. Entziehen Sie sich dem opportunistischen Sog. Aber tun Sie es nicht, um Ihre eigene oder irgendeine politische Meinung durchzusetzen, sondern tun Sie es, um darzustellen, was ist! Verschreiben Sie sich keiner Gesinnung, dann werden Sie vielleicht nicht geliebt, aber anerkannt oder gar gefürchtet sein. Leuchten Sie die Themen aus, zwingen Sie die Herren Kardinäle von heute vor die Linsen. Und die Herren und Damen Kardinäle – ob weltliche, kirchliche oder atheistische – sie werden sich zieren. Genauso wie damals. Vielleicht wird man Sie wegen Ihres Schreibens oder wegen Ihrer Bilder der Ketzerei verdächtigen. Macht nichts. Sie schreiben und dokumentieren nicht für sich selbst, nicht für die Inquisition, nicht für die Kardinäle, sondern für das Publikum, für die Bürgerinnen und Bürger, die ein Anrecht haben, zu wissen, was ist. Dass Sie für ihre Arbeit speziell geehrt werden, ist selten genug. Heute ist ein solcher Anlass. Ich freue mich mit Ihnen.

27.11.2005

Ähnliche Weichenstellung wie damals bei der Swissair

Justizminister Christoph Blocher über die Swisscom, Trusts und Reformen 27.11.2005, Sonntagszeitung, Reto Gerber, Arthur Rutishauser In einem Interview mit der Sonntagszeitung äusserte sich Bundesrat Christoph Blocher über die Gründe für den Verkauf der Bundesbeteiligung an der Swisscom. Zur Sprache kamen auch andere Betriebe, an denen der Bund ebenfalls beteiligt ist, wie Post, SBB und Ruag, sowie deren allfällige Privatisierung. Zusätzlich beantwortete Bundesrat Christoph Blocher Fragen zur Führung des Justizdepartements sowie zu der grossen Anzahl von Vorlagen im Dienste der Wirtschaft, die das Departement erarbeitet hat. Herr Blocher, der Bund will seine Beteiligung an der Swisscom verkaufen. Weshalb? Die Swisscom will expandieren, eine internationale Grossfirma werden. Da kann der Bund nicht Eigentümer sein. Warum? Stellen Sie sich vor, die Swisscom hätte Telekom Austria gekauft und wäre in Schwierigkeiten geraten; die Schweiz hätte bezahlt. Die kleinste Sanierung in Österreich hätte zu einer Krise nicht für die Swisscom, sondern zwischen der Schweiz und Österreich geführt. Das Gleiche gilt für jede andere Grossakquisition. Das Risiko für die Schweiz ist viel zu gross. Es kann nicht der Sinn sein, dass die schweizerische Eidgenossenschaft in fremden Ländern den Service public auch noch sicherstellt. In welchem Zeitrahmen soll der Bund aussteigen? Wenn bis Ende 2005 eine Vorlage erarbeitet ist, dann könnte diese – wie die bilateralen Verträge – im Schnellverfahren beschlossen werden. Das dürfte inklusive Referendum in einem Jahr zu machen sein – wenn man will. Solange der Bund die Mehrheit hat, darf die Swisscom keine Ausland-Akquisitionen tätigen. Sind denn solche Akquisitionen nicht sinnvoll? Die Swisscom steht an einer ähnlichen Weichenstellung wie damals die Swissair in guten Zeiten: Auch die Swisscom ist heute – wie damals die Swissair – eine gute, florierende Gesellschaft, auch dank früherer geordneter Märkte mit Monopolen, Kartellen und Absprachen. Nun ändert sich das, und wie damals die Swissair hat die Swisscom viel Geld und gute Erträge. Also will man grösser werden und expandiert ins Ausland und kauft Firmen. Bei der Swissair führte dies zum Zusammenbruch. Wo ist das Bundesrisiko? Stellen Sie sich vor, der Bund wäre an der Swissair mit 66 Prozent beteiligt gewesen wie heute bei der Swisscom! Natürlich kann dies auch gelingen. Aber das Risiko ist sehr hoch – für die Swisscom, aber noch viel mehr für die Schweiz. Denn sie steht in einer politischen «Garantenstellung» als Grossaktionär! Sie haftet – nicht rechtlich, aber politisch – praktisch unbeschränkt. Was halten Sie persönlich davon, dass die Swisscom ins Ausland expandieren und dazu über 20 Milliarden Franken Schulden machen will? Es stimmt: Die Swisscom hat zu viele Eigenmittel. Ein Verhältnis Eigenmittel zu Fremdmitteln von maximal 60 zu 40 ist anzustreben und wäre immer noch sehr komfortabel. Die Swisscom sagt, sie könnte 22 Milliarden Franken Fremdmittel aufnehmen. Aber statt 20 Milliarden im Ausland zu investieren, soll sie diese Mittel zurückzahlen. Sie könnte zum Beispiel vom Bund die Beteiligung von heute 17 Milliarden zurückkaufen oder auch ausschütten, dann löst sich ihr Eigenmittelproblem ohne gewaltige Risiken. Kann der Bund eine Expansionsstrategie verhindern, wenn der Verwaltungsrat das Gegenteil tut? Ein Verwaltungsrat, der gegen den Willen des Mehrheitsaktionärs handelt und dessen ernsthafte Beweggründe kennt, muss sich das gut überlegen. Das Gesetz sieht Massnahmen vor, zum Beispiel eine ausserordentliche Generalversammlung. Im negativen Fall sieht das Gesetz die Verantwortlichkeitsklage vor. Aber im Vordergrund steht das Gespräch. Ich glaube nicht, dass ein verantwortungsvoller Verwaltungsrat dies beiseite schiebt. Was geschieht, wenn der Swisscom-Verwaltungsrat oder das Management zurücktreten? Meinungsverschiedenheiten zwischen Eigentümern – also Unternehmern und dem Management – sind nichts Ausserordentliches. Wenn das Management zurücktritt, muss es ersetzt werden. Hat der Vorschlag, sämtliche Swisscom-Aktien abzustossen, politisch eine Chance? Jens Alder glaubt nicht daran. Ich bin überzeugt, dass das Schweizervolk diese hohen Risiken nicht tragen will. Die Grundversorgung der Schweiz ist so oder so gewährleistet. Aber Grosskonzerne im Ausland mit Milliarden auf Kosten der Bürger zu kaufen, das will die Volksmehrheit kaum. Das Schweizervolk will doch nicht, dass die Eidgenossenschaft im Ausland den Service public gewährleistet, Arbeitsplätze schafft und Milliardenrisiken eingeht. Kann sich der Bund im Sinne eines Kompromisses auch die Beteiligung mit einer Sperrminorität vorstellen? Solche Details sind zu diskutieren. Eine Sperrminorität – das heisst wohl 331/3 Prozent – mildert die politische Garantenstellung nicht. Was auch die Swisscom täte, vor allem im Ausland, würde der Schweiz angelastet. Wie wird, auch mit Blick auf ein mögliches Referendum, dem Volk die Angst vor einer Übernahme der Swisscom durch einen ausländischen Grosskonzern genommen? Natürlich kann man in den Statuten vorsorgen. Aber der Bund behält das Recht der Grundkonzession. Das ist massgebend. Aber die Schweizer müssten sich entscheiden, ob sie eine sichere Versorgung mit Milliardenrisiken im Ausland oder eine sichere Versorgung durch Unternehmen im Wettbewerb wollen. Neben der Swisscom ist der Bund noch an der Post, den SBB und der Ruag beteiligt. Soll dies alles privatisiert werden? Die Trennung von der Swisscom passiert nicht aus «Privatisierungsgründen». Die Beteiligung ist für den Bund und die Swisscom ein zu hohes Risiko. Und für die Versorgung ist die Beteiligung unnötig. Bei den SBB dagegen kann man das Schienennetz nicht privatisieren. Schienen haben Monopolcharakter. Dort muss man aber die Defizite runterbringen. Immerhin beträgt das Defizit des öffentlichen Verkehrs jährlich 7,6 Milliarden – mehr als doppelt so viel, wie der Bund für die ganze Landwirtschaft bezahlt. Bei der Post fängt der Konkurrenzdruck an zu spielen. Ein Bundesbesitz ist hier weniger fragwürdig, sofern die Post im Inland bleibt. Das Ziel ist es, eines Tages die Ruag zu privatisieren, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Auch die Elektrizität ist weit gehend in staatlicher Hand. Bei der Elektrizitätswirtschaft ist eine staatliche Netzwerkgesellschaft mit freiem privatem Zugang oder eine gemeinsame private Gesellschaft mit klaren Zugangsregeln das Richtige. Dies ist in Vorbereitung. All das fällt nicht in Ihre Zuständigkeit. Was machen Sie als Mann der Wirtschaft im Justizdepartement für die Wirtschaft? Ich bin im Gesamtbundesrat für alle Geschäfte mitverantwortlich. In den vergangenen zwei Jahren haben wir zudem im Departement eine grosse Zahl von Vorlagen erarbeitet, die unserer Wirtschaft dienen. Beispielsweise die umfassende Revision des Aktienrechts mit der gesamten Corporate Governance, die noch im Dezember in den Bundesrat kommt. Was ist denn da neu? Zum Beispiel die Transparenz der Entschädigungen. Für die börsenkotierten Firmen ist das bereits beschlossen. Die Revisionsgesellschaft muss diese Angaben prüfen. Neu kann auch der Aktionär einer privaten Gesellschaft Auskunft darüber verlangen, wie viel der Verwaltungsrat und der Konzernchef verdienen. Das ist bei vielen Familiengesellschaften von Bedeutung. Nicht die Öffentlichkeit, sondern der einzelne Aktionär muss dies wissen können. Was ändert sich in der Rechnungslegung? Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Aktiengesellschaft, GmbH, Gesellschaft oder Einzelfirma. Die Grösse ist massgebend, nicht mehr die Gesellschaftsform. Für die grossen Gesellschaften gibt es erhöhte Publizitätsanforderungen, verlangt werden eine Geldflussrechnung und ein Lagebericht. Es werden aber nur Mindestanforderungen gestellt. Darüber hinaus gilt die Autonomie der Gesellschaft. Konkret? Grossunternehmen müssen wie bis anhin verschärfte Anforderungen erfüllen. Zu den «Grossen» gehören alle börsenkotierten Firmen und Unternehmen mit mehr als 20 Millionen Franken Umsatz, 10 Millionen Bilanzsumme und 50 Mitarbeitern. Die kleineren Gesellschaften geniessen mehr Freiheiten als Grossunternehmen. Bei KMU können Minderheitsgesellschafter einen Abschluss gemäss dem Prinzip «True and Fair View» fordern. Tun sie das nicht, gelten einfachere Vorschriften. Welche Neuerungen haben Sie noch in der Hinterhand? Wir unterschreiben voraussichtlich das Haager Trust-Abkommen. Der Trust ist eine ausländische Gesellschaftsform, deren Absicherung in der Schweiz vernachlässigt ist. Auf die Anerkennung von Trusts warten die Banken schon lange. Weshalb sind Trusts wichtig? Bislang anerkennt die Schweizer Gesetzgebung die Trusts nicht ausdrücklich. Wer solche Geschäfte machen und eine klare und sichere rechtliche Basis haben wollte, musste beispielsweise nach London ausweichen. Das ist ein weiteres Instrument der Steuerumgehung. Was versprechen Sie sich davon? Das Geld bleibt in der Schweiz. Es ist eine Dienstleistung mehr, die der Bankenplatz anbieten kann. Wir gehen in der Trust-Gesetzgebung nicht so weit wie gewisse Länder in Asien, eben um der Steuerproblematik auszuweichen. Ein Kostenfaktor für die Wirtschaft ist das kantonal unterschiedliche Recht. Wann kommt die Vereinheitlichung der Strafprozessordnung? Der Rechtsschutz in der Schweiz ist ein Problem. Unternehmen müssen sich mit 26 verschiedenen kantonalen Zivil- und Strafprozessordnungen herumschlagen. Das ist im internationalen Verkehr äusserst kompliziert. Die neue Strafprozessordnung kommt noch vor Ende Jahr in den Bundesrat. Schaffen Sie auch das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt ab? Ja. Mit der neuen Strafprozessordnung gibt es nur noch eine Staatsanwaltschaft des Bundes. Die wem unterstellt ist? Dem Bundesrat. Die Vorlage geht demnächst ins Parlament. Heute agiert die Bundesanwaltschaft unter geteilter Verantwortung, und mehr oder weniger operiert sie im «luftleeren» Raum. Das ist nicht gut. Es braucht eine ungeteilte Aufsicht. Die Erfahrung im In- und Ausland zeigt, dass es die Exekutive sein muss. Ein guter Chef wird von seinen Angestellten geschätzt. Bei Ihnen im Departement sind die Angestellten laut Umfragen unzufrieden. Warum? Wer Musse hat, solche Umfragen auszufüllen, hat offenbar noch zu viel Zeit. Zugegeben, in meinem Departement geht es schnell vorwärts. In den zentralen Diensten habe ich in einem halben Jahr 22 Prozent jährliche Kostensenkung beschlossen. Da klatschen nicht alle Beteiligten. Von einem negativen Betriebsklima zu sprechen ist aber abwegig. Was ist Ihre nächste Baustelle? Das Bundesamt für Migration ist ein grosser Brocken. Die konsequente Asylpraxis trägt Früchte, die Zahlen gehen zurück. Da müssen die zu umfangreichen Asylstrukturen reduziert werden. Wie viele Stellen gehen weg? Wir sprechen nicht von Stellen. Die Kostenreduktion beträgt 200 bis 300 Millionen Franken bis 2008. Zusätzlich werden in den Kantonen Kapazitäten abgebaut. Dies ist führungsmässig sehr anspruchsvoll. Wie viele Personen trifft es in Ihrem Departement? Wir haben in diesem Bereich den Stellenbestand von rund 800 auf 650 gesenkt. Bis 2008 werden es zirka 600 sein. Das löst sich weit gehend über natürliche Abgänge. Sie denken an eine Kandidatur für den Nationalrat, damit Sie - falls sie als BR abgewählt würden - wenigsten noch diesen Sitz hätten. Wie kommen Sie dazu? Die SVP weiss von einer Vereinbarung. Unter Führung der SP und der Grünen, zusammen mit einigen Freisinnigen und CVPlern, will man mich 2007 aus dem Bundesrat werfen, um meinen Einfluss in der Politik zu eliminieren. Es gibt in der SVP eine Gegenstrategie, dass ich wieder für den Nationalrat kandidiere. Aber nur wenn dieses Komplott wirklich besteht. Ich hoffe, dass dies Gedankenspiele bleiben. Wir sehen dann in ein bis anderthalb Jahren weiter. Ich bin bereit, auch nach 2007 als Bundesrat zu amten. Wie soll der Plan, sich in den Nationalrat wählen zu lassen, konkret realisiert werden. Werden Sie nach einer allfälligen Wahl aus dem Bundesrat zurücktreten, um sich dann als Nationalrat neu in die Regierung wählen zu lassen? Über solche Details mache ich mir jetzt keine Gedanken. Es ist nicht mein Ziel, wieder als Nationalrat zu kandidieren, sondern die Arbeit im Bundesrat fortzusetzen. Auf Ränkespiele muss dann zu gegebener Zeit reagiert werden. Was wollen die denn? Seit Sie im Bundesrat sind, hat die SVP weniger Schwung als mit Ihnen als Nationalrat. Sagen Sie das meinen politischen Gegnern. Würden Sie gerne das Departement wechseln? Ich habe im EJPD noch viel zu tun. Aber es geht vorwärts. Doch nach den nächsten Wahlen ist ein Departementwechsel zu überlegen, wenn ein solcher ansteht. Natürlich interessiert mich als Finanz- und Wirtschaftspolitiker vor allem das Finanzdepartement, aber auch das EDI mit der Lösung der Probleme im Bereich Soziales, auch das UVEK mit seinen vielen Baustellen. Aber auch das VBS und so weiter. Sie sehen: Arbeit gäbe es überall. Doch der Bundesrat entscheidet.

26.11.2005

Das Schweizer Revisionsrecht im Umbruch

Referat von Bundesrat Ch. Blocher vor der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Treuhänder-Verbandes vom 26. November 2005 im Rathaus Zürich 26.11.2005, Zürich Zürich, 26.11.2005. Vor der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Treuhänder-Verbandes sprach Bundesrat Christoph Blocher über die umfassende Neuregelung der Revision, die der Gesetzgeber voraussichtlich dieses Jahr zum Abschluss bringe. Ausserdem ging er auf die Aktienrechtsrevision ein, die der Bundesrat ungefähr Ende Jahr in die Vernehmlassung geben wolle. 1. Einleitung Der Gesetzgeber bringt dieses Jahr voraussichtlich eine umfassende Neuregelung der Revision zum Abschluss. Sie alle sind von dieser Vorlage betroffen. Aus Bern kommt aber noch mehr "Post" für Sie. Ungefähr Ende Jahr wird Ihnen der Bundesrat eine grosse Aktienrechtsrevision in die Vernehmlassung geben. Neben zahlreichen anderen Neuerungen enthält dieser Vorentwurf voraussichtlich zwei Regelungen, die für Sie von besonderem Interesse sind: - Zum einen wird ein völlig neues Rechnungslegungsrecht vorgelegt. - Und zum anderen soll die solidarische Haftung der Revisionsstelle mit dem Verwaltungsrat neu geordnet werden. Diese Aktienrechtsrevision ist aber noch Zukunftsmusik, und Sie werden sich im Rahmen der Vernehmlassung eingehend damit auseinander setzen können. Heute will ich daher auf das eintreten, was bereits vom Parlament beschlossen ist: das neue Revisionsrecht. 2. Zum Verhältnis zwischen Verwaltungsrat und Revisionsstelle Ich möchte vorab etwas klarstellen, das mir aus meiner Erfahrung als Unternehmer wichtig scheint: Die Verantwortung für das Unternehmen trägt immer der Verwaltungsrat. Daran wird sich auch mit den Reformen nichts ändern. Insbesondere ist etwa die Revisionsstelle nicht dazu da, die Geschäftsführung zu überprüfen, wie man aus der öffentlichen Diskussion vergangener Jahre fast hätte schliessen können. Das bedeutet aber nicht, dass Sie sich jetzt als Revisoren zurücklehnen können. Weil die Jahresrechnung ein zentraler Bestandteil der Rechenschaftsablage ist, sieht das Gesetz eine unabhängige Prüfung durch die Revisionsstelle vor. Ihre Fachkenntnisse und Ihre Unabhängigkeit sollen der Garant für die Richtigkeit der Rechnungslegung sein. Die Revisionsstelle hat einzuschreiten, wenn die Jahresrechnung nicht korrekt ist. Das ist Ihre Verantwortung. Hiervon kann man Sie nicht entbinden. Wenn die Geschäftszahlen unbefriedigend sind, hat demgegenüber der Verwaltungsrat einzuschreiten. Davon kann man ihn nicht entbinden! Das zeigt sich auch im neuen Revisionsrecht, das ich nun etwas beleuchten will. 3. Das neue Revisionsrecht a. Drei Zielsetzungen Das Parlament hat entschieden, eine umfassende Neuordnung der Revisionsstelle zu schaffen. Neben den zunehmenden Anforderungen an die Rechnungslegung ergab sich auch ein Handlungsbedarf auf Grund des amerikanischen Sarbanes-Oxley Acts. Als wichtiger Finanzplatz sind wir mit den internationalen Kapitalmärkten derart verknüpft, dass wir auf die neuen Anforderungen der USA ? und bald auch der EU ? an die Beaufsichtigung der Revisionsstellen reagieren mussten. Ansonsten hätten die USA die Prüfergebnisse internationaler Revisionsunternehmen nicht mehr anerkannt. Die Neuregelung verfolgt drei Zielsetzungen: - Zum ersten soll eine harmonisierte Revisionspflicht geschaffen werden; - zum zweiten sollen die KMU entlastet werden; und - zum dritten muss das Vertrauen in die Revision wieder gestärkt und die Anerkennung der Schweizer Revision im Ausland sichergestellt werden. Ich komme zum ersten dieser drei Ziele: b. Harmonisierte Regelung der Revisionspflicht Im geltenden Recht ist die Frage der Revisionspflicht primär von der Rechtsform abhängig. Für die AG, die GmbH, die Genossenschaft etc. gelten jeweils andere Bestimmungen. Die Frage der Revision und der damit verbundenen Kosten ist daher vielfach für die Wahl der Rechtsform mitentscheidend. Das ist sachfremd. Die Revisionspflicht muss sich nach der wirtschaftlichen Bedeutung eines Unternehmens richten und nicht nach der Rechtsform. Im neuen Recht müssen daher alle Grossunternehmen eine strenge ordentliche Revision durchführen. Demgegenüber können sich KMU mit einer "eingeschränkten" Revision begnügen. Die Grenze zwischen "Gross" und "Klein" liegt bei 10 Millionen Franken Bilanzsumme, 20 Millionen Franken Umsatz und 50 Arbeitnehmern, wobei mindestens zwei dieser drei Erfordernisse gegeben sein müssen. Ich komme zur zweiten Zielsetzung der Vorlage: c. Die Entlastung für KMU Die KMU müssen nur eine eingeschränkte Revision durchführen. Daraus ergibt sich bereits eine gewisse Entlastung, weil die Kosten für eine eingeschränkte Revision tiefer ausfallen dürften als für eine ordentliche Revision. Dennoch rechtfertigt es sich zu fragen, ob diese Kosten tatsächlich in jedem Fall notwendig sind. Wir haben daher eine Regelung geschaffen, die den Verzicht auf eine Revision ermöglicht, wo sie nicht notwendig ist (so genanntes "Opting-out"). Dabei müssen drei Bedingungen erfüllt werden: - Zum ersten können nur Kleinunternehmen auf eine Revision verzichten. Damit begünstigen wir diejenigen Unternehmen, in denen die Revision ? relativ gesehen ? den grössten Kostenfaktor ausmacht. Bei wirtschaftlich bedeutenden Gesellschaften besteht ein öffentliches Interesse an einer Revision. Ein Verzicht ist daher nicht möglich. - Zum zweiten ist ein Verzicht nur mit der Zustimmung aller Gesellschafter möglich. Diese Bedingung dient dem Minderheitenschutz. Ein Verzicht auf die Durchsicht der Jahresrechnung lässt sich nur da vertreten, wo alle beteiligten Personen die Gesellschaft einvernehmlich führen. - Zum Dritten ist nach dem Gläubigerschutz zu fragen. Man darf den Nutzen der Revision für die Gläubiger aber nicht überbewerten: Wer verlangt beim Bestellungseingang schon den Revisionsbericht des Bestellers? Es gibt Stimmen, die sagen, dass das Opting-out keine grosse Bedeutung erlangen wird, weil die Banken auf einer (ordentlichen) Revision bestehen werden. Zum einen haben die Banken natürlich absolut das Recht, zu ihrer Absicherung eine Revision zu verlangen, und sie sollen dies auch, wenn dies nötig ist. Zum anderen muss man aber auch sehen, dass faktisch schon heute oft nur eingeschränkte Revisionen gemacht werden. Warten wir ab. Der Markt wird sich entscheiden, wie und wo auf eine Revision verzichtet werden kann ? und das ist richtig so. Ich komme zur dritten und letzten Zielsetzung der Regelung der Revisionspflicht: d. Die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Revision Die Vorlage setzt zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Revision vor allem bei zwei Punkten an: Zum einen bei der Unabhängigkeit und zum anderen bei der Fachkompetenz. - Zur Unabhängigkeit: Was nützt Ihnen die Revision durch einen Fachmann, wenn dieser vom geprüften Unternehmen beeinflusst wird? ? Nichts, weil sich Dritte nicht auf die Revision verlassen können. Die bisherigen Vorschriften zur Unabhängigkeit werden daher konkretisiert und in vielen Bereichen auch verschärft. - Zur Fachkompetenz: Ich stelle noch eine Frage: Was nützt es, wenn der Revisor zwar unabhängig ist und viel guten Willen hat, aber nichts von der Sache versteht? ? Eine solche Revision nützt ebenfalls nichts. Im geltenden Recht müssen die Revisoren "befähigt sein, ihre Aufgabe bei der zu prüfenden Gesellschaft zu erfüllen" (Zitat aus Art. 727a OR Obligationenrecht). Etwas überspitzt darf also Revisor sein, wer sich befähigt fühlt. Klarere Anforderungen gelten nur für die besonders befähigten Revisoren. Aber auch hier bestehen Probleme: Es fehlt eine Behörde, die verbindlich über die fachliche Befähigung entscheidet. So entstehen für viele Betroffene Zweifel, ob ihre praktische Erfahrung den rechtlichen Voraussetzungen genügt. Das ändert sich: Jeder Revisor, der eine gesetzliche Revisionsdienstleistung erbringen will, bedarf neu einer formellen Zulassung durch die künftige Revisionsaufsichtsbehörde. Anders als man jetzt Angst haben könnte, ist dies keine grosse Sache. Die Revisionsaufsicht prüft nur, ob eines der verlangten Diplome vorliegt und ob die erforderliche praktische Erfahrung nachgewiesen wird. Neben dieser formalen Zulassung hat die Revisionsaufsicht noch eine zweite Aufgabe: Sie hat die Aufsicht über die Revisionsstellen von Publikumsgesellschaften. Diese Aufsicht ist etwas völlig Neues, betrifft aber nur die Revision von Gesellschaften, die den öffentlichen Kapitalmarkt in Anspruch nehmen. Die Revisionsaufsicht wird mit Inspektionen sicherstellen, dass die Revisionsstellen von kotierten Gesellschaften die fachlichen Anforderungen erfüllen, die Unabhängigkeit wahren und eine gute Qualitätssicherung betreiben. Die Aufsichtsbehörde wird zudem Anlaufstelle für die ausländischen Revisionsaufsichtsbehörden sein. Mit einer zentralisierten Amts- und Rechtshilfe können wir sicherstellen, dass unsere Vorschriften zur Geheimhaltung auch international respektiert werden. e. Weiteres Vorgehen Der Bundesrat wird schon bald über das weitere Vorgehen entscheiden. Insbesondere sind zwei Fragen zu beantworten: - In organisatorischer Hinsicht ist über das Verhältnis zur künftigen Finanzmarktaufsicht zu entscheiden. Ich meine, es ist besser, die Revisionsaufsicht nicht in die Finanzmarktaufsicht zu integrieren. Es würde sonst ein Aufsichtskoloss entstehen, der nicht wirtschaftlich ist und zu viel Macht akkumuliert. Die Aufsichtsbehörden müssen aber zusammenarbeiten, sonst kommt es zu teuren Doppelspurigkeiten. - In personeller Hinsicht ist die Frage der Grösse der Behörde zu entscheiden. Wir werden hier kostenbewusst arbeiten. Dennoch muss sichergestellt werden, dass die Aufsicht mit den beaufsichtigten Revisionsunternehmen fachlich mithalten kann. Es muss auch sichergestellt sein, dass die Arbeit der Revisionsaufsicht von den anderen Finanzplätzen anerkannt wird. Das neue Revisionsrecht ist derzeit noch im Parlament. Wenn alles gut geht, erfolgt die Verabschiedung in der Wintersession. Der Aufbau der Aufsichtsbehörde wird danach zwingend etwas Zeit brauchen. Die Inkraftsetzung wird daher ungefähr ab Mitte 2007 erfolgen. 4. Schluss Ich komme zum Schluss. Sie sehen: Das Revisionswesen ist im Umbruch. Dies stellt für Sie alle eine Herausforderung dar. Insgesamt bin ich aber sicher, dass ein möglichst aktuelles Wirtschaftsrecht einen Standortvorteil darstellt, sofern es liberal konzipiert ist und den Unternehmen den nötigen Handlungsspielraum belässt.

11.11.2005

1 Jahr und 11 Monate im Bundesrat

Landwirtschaft gestern, heute und morgen 11.11.2005, Montreux Montreux, 11.11.2005. Am Rencontre national nahm Bundesrat Christoph Blocher eine kleine Standortbestimmung vor. Er nannte die Mitgliedschaft in der EU eine Gefahr für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in der Schweiz. Zum Thema «Landwirtschaft gestern, heute und morgen» legte er dar, dass jetzt für die Zukunft eine neue Landwirtschaftspolitik entworfen werden müsse, die den Bauern das Überleben und der Schweiz eine gute Landwirtschaftspolitik ermögliche. Rede von Bundesrat Christoph Blocher, anlässlich des Rencontre national 2005, am 11. November 2005, in Montreux Mesdames et Messieurs Chers amis de la Suisse romande Cari amici della Svizzera italiana Chars amis da la Svizra rumantscha Meine Damen und Herren aus der alemannischen Schweiz Chers Compatriotes Liebe Miteidgenossen Nach einem Jahr und elf Monaten im Bundesrat möchten Sie von mir eine kleine Standortbestimmung hören. Im Besonderen wünschen Sie meine Gedanken zur „Landwirtschaft gestern, heute und morgen“ zu erfahren. Ich bin ein Landwirt von gestern (vielleicht sogar von vorgestern). Ich habe vor fünfzig Jahren Landwirt gelernt und den Beruf auch an der landwirtschaftlichen Schule abgeschlossen. Noch mit Pferdefuhrwerk, Pflug und Sense. Während sechs Monaten habe ich auch im waadtländischen Pampagny die Pferde und Schweine betreut. Als mich mein Vater zwei Monate nach Arbeitsbeginn fragte, ob ich nun endlich französisch könne, sagte ich ihm: Die Schweine und Pferde verstehen mich auf jeden Fall. Diese schönen Zeiten sind vorbei. Was ich heute als Bauer tun würde, wenn ich damals die Möglichkeit bekommen hätte, einen Betrieb zu übernehmen, weiss ich nicht. Eines aber, weiss ich bestimmt: Wenn ich heute diesen Beruf ausübte, möchte ich selber entscheiden können, was ich pflanze, wie ich arbeite und wie viel ich produziere. Diese Freiheit habe ich schon vor fünfzig Jahren so gewollt. Ich bin überzeugt, dass die Bauern Unternehmer sein müssen, wenn Sie erfolgreich sein wollen und wenn Sie für unser Land die beste aller möglichen Landwirtschaften betreiben wollen. Das gilt für gestern, das gilt für heute und auch für morgen. Warum will ich unternehmerische Bauern? Weil ich weiss, dass die hohen Ziele der Landwirtschaftspolitik nur auf diese Weise kostengünstig und erfolgreich umgesetzt werden können. Selbstverständlich – das ist unbestritten – braucht es Naturschutz- und Tierschutzauflagen. Für alle, die mit dem Boden und mit Tieren zu tun haben, gelten diese Bestimmungen. Für den Weinbauern Bugnon im Waadtland, für den Bergbauern Brunner im Toggenburg, für den Biobauern Hassler im Bündnerland. So wie diese Gesetze auch für alle andern, nämlich für den Chemieunternehmer Blocher, gegolten haben und für jeden Bürger in diesem Land gelten. Dafür braucht es keine spezielle Bürokratie, die den Bauern gängelt, seine Arbeit erschwert und die Produkte verteuert. Worin bestehen denn die hohen Ziele der Landwirtschaftspolitik? Der Staat hat dem Bauern eine Reihe Aufgaben übertragen. Er will, dass die Bauern - das Land bewirtschaften, damit der Boden nicht vergandet. Damit gewähr-leisten sie den Schutz unseres Lebensraumes. - die dezentrale Besiedlung aufrechterhalten. - eine minimale Nahrungsmittelversorgung aus eigener Produktion gewähr-leistet wird. Der Schutz des Lebensraumes und die dezentrale Besiedlung des Landes kann der Bauer auf dem freien Markt nicht absetzen. Darum muss der Staat vom Bauern diese Leistung kaufen, mit einem Beitrag pro Fläche. Als Entgelt für eine minimale Bewirtschaftung. Gleichgültig, ob der Bauer einen grossen oder kleinen Betrieb besitzt, ob er arm oder reich ist: Wer immer diese Leistung erbringt, muss abgegolten werden. Der Bauer erbringt eine Leistung, auf die man nicht verzichten will, dafür ist er zu bezahlen, sonst wird sie nicht mehr erbracht! Und ich will an dieser Stelle einmal festhalten: Der öffentliche Verkehr kostet uns mittlerweile 7,6 Milliarden Franken im Jahr. Doppelt so viel wie die ganze Landwirtschaft. Diese riesigen Flächen in den Gebieten der Alpen, des Juras, des Flachlandes werden erhalten für den halben Betrag der Bahndefizite! Diese marktfremden Aufgaben sollen also entschädigt werden, die Nahrungsmittelproduktion dagegen ist Sache des Bauern. Hier soll er sein eigenes Risiko, sein unternehmerisches Risiko tragen. Er produziert für die Konsumentinnen und Konsumenten. An diesen Bedürfnissen soll der Bauer sich orientieren. Hier soll der Markt über den Erfolg entscheiden. Hier zahlen die Konsumentinnen und Konsumenten den Bauern für seine erbrachten Leistungen. Die Situation für die künftige Landwirtschaft spitzt sich dramatisch zu: Im schlimmsten Fall setzt die WTO einen Zollabbau in der Höhe von drei Milliarden Franken durch. Das heisst konkret drei Milliarden Franken weniger für die Landwirtschaft – was dem gesamten Arbeitsverdienst der Schweizer Bauern entspricht! Bei zehn Milliarden Rohertrag ergäbe dies etwa dreissig Prozent Ausfall. So kann der Bauernstand nicht überleben. Darum muss jetzt für die Zukunft eine neue Landwirtschaftspolitik entworfen werden, die den Bauern das Überleben und der Schweiz eine gute Landwirtschaftspolitik ermöglicht. Wie diese aussieht, ist jetzt nicht zu befinden. Aber sie ist jetzt zu entwerfen und dann zu beschliessen. Damit wir die Landwirtschaftspolitik überhaupt frei gestalten können; damit wir überhaupt in der Lage sind zu entscheiden, was wir in Zukunft wollen und was nicht, ist es wichtig, dass wir über den Handlungsspielraum verfügen, frei entscheiden zu können. Damit – meine Damen und Herren – bin ich mitten drin in der grossen Politik! Hauptgefahr EU – Beitritt Meine Damen und Herren Die grösste Gefahr für die schweizerische Wirtschaft, die grösste Gefahr unserer Arbeitsplätze, die grösste Gefahr unserer Freiheit, die grösste Gefahr unserer direkten Demokratie und der Neutralität sind nicht Billiglohnländer in Asien. Nein, die grösste Gefahr lauert im eigenen Land: Dass wir die politischen Weichen falsch stellen. Damit, meine Damen und Herren, sind all jene gemeint, die offen, leise oder sogar geheim den EU-Beitritt anstreben. Eine Mitgliedschaft in der EU würde unsere Freiheit, Sicherheit und unseren Wohlstand gefährden. Meine Damen und Herren. Immerhin ist es uns nach Jahren gelungen, dass die Schweiz heute wenigstens den EU–Beitritt als „strategisches Ziel“ aufgegeben hat. Der EU–Beitritt wird lediglich noch als Option, als eine Möglichkeit unter vielen, bezeichnet. Ja, der Beitritt ist eine Möglichkeit, aber auf jeden Fall eine schlechte, möchte ich beifügen. Meine Damen und Herren, bleiben wir uns selbst. Wofür müssten wir uns eigentlich schämen, Schweizer bleiben zu wollen? Für unsere friedvolle Geschichte? Dass wir ein neutraler Kleinstaat sind? Für unsere Wohlfahrt? Schauen Sie doch die Schweiz an. Sie bildet eine Identität. Sie hat ihren Weg selbst gefunden. Schauen Sie, wie weltoffen unser Land ist, ohne sich deswegen je politisch zu verleugnen oder seine Selbstbestimmung aufzugeben. Schauen Sie, wie erfolgreich die Schweiz schon in der Geschichte war. In der Wirtschaft finden Sie Zuhauf solcher Beispiele: Den Aargauer Strohfabrikanten Den Neuenburger Uhrenmacher Den Genfer Privatbankier Den Basler Chemieunternehmer Den Ostschweizer Maschinenindustriellen Die Zürcher Versicherungsgesellschaft Den Innerschweizer Bergbauern Den Tessiner Dienstleister Den Bündner Hotelier Alle diese Branchen produzierten in der Schweiz, für die Schweiz und für die Welt. Das gilt auch heute. Unsere Verbundenheit mit der Welt ist Realität – aber immer auf der Grundlage der eigenen Souveränität. Die Souveränität ist das Fundament unseres Erfolges. Trotz aller Weltoffenheit: Wir sollten uns nie institutionell einbinden lassen. Denn beides gehört zusammen: Weltoffenheit und Unabhängigkeit. Meine Damen und Herren, das Gesagte gilt nicht nur für die Wirtschaft und Politik. Schauen Sie das Leben an. Es besteht doch nicht nur aus der Wirtschaft, nicht nur aus der Politik. Das Leben ist mehr. Das Leben hat auch eine Seele, ein Herz, Gefühl und eine geschichtliche Vergangenheit. In unserem Land sind alle drei grossen europäischen Kulturen vereinigt. Trotzdem: Wir identifizieren uns nicht mit einer dieser Kulturen, sondern wir identifizieren uns mit den schweizerischen Werten, die entstanden sind aus dem Zusammenleben dieser Kulturen. Das Gemeinsame hat die Vielfalt ermöglicht: Gemeinsam ist uns der Freiheitswille, der Wille zur Neutralität, der Wille zum Föderalismus und zur direkten Demokratie. Politik ist mehr als nur eine Sache von Sitzungen, Programmen, Kompromissen, Finanzen und Beschlüssen. Die Schweiz ist bereits eine verwirklichte Vision, die sich zudem schon Jahrhunderte lang bewährt hat. Das Wesentliche ist, dass diese Schweiz ohne Regierungs- Verwaltungs- oder Parlamentsbeschluss entstanden ist – genau dies macht ihren Wert aus. Am besten lässt sich das an ihrer Kultur erleben. Die Kultur verbindet die Regionen, sie verbindet die Kantone, die Landesteile. Ohne staatlichen Kulturförderungsapparat! Diese Verbundenheit ist gewachsen. Machen wir doch die Probe aufs Exempel. Singen wir zusammen auf Deutsch und Französisch einen alten Kuhreihen. Kuhreihen gibt es in den Alpen, im Mittelland und im Jura. So wie das „Lioba“ der Freiburger in ihren Bergen erklingt oder im Jura der französische Kuhreihen, so erklingt anderenorts das Sennela hoha. Wir singen die erste Strophe auf Schweizerdeutsch, dann die zweite und dritte Strophe auf Französisch und zum Schluss nochmals eine Strophe auf Schweizerdeutsch. Gang rüef de Bruune Gang rüef de Gèèle Sie sölid allsam Sie sölid allsam Gang rüef de Bruune Ganz rüef de Gèèle Sie sölid allsam In Stall ie cho Appelle les grandes Appelle les petites Il faut qu'elles rentrent Il faut qu'elles rentrent Appelle les grandes Appelle les petites Il faut qu'elles rentrent de l'alpage Appelle les Simmental Appelle les vaches d'Hérens Il faut qu'elles rentrent Il faut qu'elles rentrent Appelle les Simmental Appelle les vaches d'Hérens Il faut qu'elles rentrent de l'alpage Gang rüef de Gflekkete Gang rüef de Gschekkete Sie sölid allsam Sie sölid allsam Gang rüef de Gflekkete Gang rüef de Gschekkete Sie sölid allsam In Stall ie cho Auch in der Kultur war und ist und bleibt unser Land offen. In der Malerei, in der Kunst, in der Literatur, im Gesang, in der Musik. Sie hat sich an allen Kulturen beteiligt. Auch dank der vier Landessprachen. Aber bestimmen über unsere Zukunft, über unser Schicksal – das wollen wir Schweizer selbst. So hören wir jetzt Beiträge aus dem Bündneroberland, aus dem rätoromanischen Teil, aber auch viel Italienisches: Verdi, Rossini, Donizetti und andere Kompositionen. Die europäische Kultur kennt keine Grenzen. Sie steht über der Politik. Ich darf Sie um Aufmerksamkeit bitten für die Compagnia Rossini

03.11.2005

Freiheit braucht Mobilität

Zürich, 03.11.2005. Anlässlich der Eröffnung der «Auto Zürich» sprach sich Bundesrat Christoph Blocher angesichts der finanziellen Belastung der Autofahrer durch Benzinzoll, Autobahnvignette, LSVA und Fahrzeugsteuern gegen eine Senkung des Toleranzwertes bei Geschwindigkeitsübertretungen und «Road-Pricing» aus. Er setzte das Gesamtdefizit der Bahnbetriebe von 7598 Millionen Franken den 800 Millionen Franken gegenüber, die der Privatverkehr in die öffentlichen Kassen spüle, und lobte das Auto, das eine individuelle, effiziente und kostendeckende Mobilität ermögliche. 03.11.2005, Zürich Es gilt das gesprochene Wort Wie viel Toleranz braucht ein «Toleranzwert»? Wenn Sie heute Nacht das Licht löschen werden, hat die Stadt Zürich 1'600 Ordnungsbussen verteilt. 1’600 Bussen in vierundzwanzig Stunden! Dabei kassiert die Stadt Zürich 220'000 Franken von den Bürgerinnen und Bürgern. Täglich. Das ergäbe ein schönes Auto. Oder auch zwei. 1'600 Bussen am Tag ergeben 50'000 Bussen im Monat beziehungsweise 600'000 Bussen im Jahr. Ich habe jetzt nur von der Stadt Zürich gesprochen. Der Stadtrat budgetiert jährlich 79,5 Millionen Franken Einnahmen aus Ordnungsbussen. Da Politiker, wenigstens wenn es um Einnahmen geht, ziemlich kreativ sein können, wundert es wenig, dass man auch bei diesem Posten versucht, noch mehr aus den Bürgern herauszuholen. Das soll mit einer neuen Technik geschehen, den Lasermessgeräten. Was ja an sich eine wunderbare Erfindung ist: Die Metallindustrie etwa profitiert von den hochpräzisen Laserschneidern. Oder auch die Chirurgie, wo die Ärzte komplizierteste Eingriffe am Auge vornehmen können. Nun hat auch die Polizeidirektorin der Stadt Zürich diese Lasertechnologie entdeckt. Zum Wohl der Bürger? Nein, zum Wohl der Staatskasse. Die Geräte messen genauer, also kann man auch viel genauer büssen. Viel genauer heisst in diesem Fall: mehr büssen. Denn «dank» der neuen Technologie wurde der «Toleranzwert» von heute fünf auf drei Stundenkilometer reduziert. Aus purer Vorfreude hat der Stadtrat die budgetierte Bussensumme schon mal vorsorglich um drei Millionen erhöht… auf 82,5 Millionen Franken. Künftig flattert also schon ab 53 Stundenkilometer innerorts ein Bussenzettel ins Haus. Noch drei Stundenkilometer «Toleranzwert». Diese mickrigen drei Stundenkilometer sind Ausdruck einer schädlichen Grundhaltung: Im Zweifel geht offenbar das Interesse des Staates vor. Meine Devise dagegen lautet: Im Zweifelsfall für den Bürger. So sähe doch der Massstab eines freiheitlichen Staates aus. Begründet wird dieser neue Toleranzwert – wie immer – mit einer Erhöhung der Sicherheit. Ich weiss nicht: Gilt jemand, dessen Tacho 54 km/h anzeigt, bereits als gefährlicher Raser? Das Sicherheitsargument scheint mir bloss ein moralistisches Pseudoargument, um von den versteckten Fiskalgelüsten abzulenken. Wir sind uns ja alle einig: Niemand will mehr Verkehrsunfälle. Aber ob dieser reduzierte Toleranzwert tatsächlich der Sicherheit dient, wage ich zu bezweifeln. Sie wissen selber, wie leicht man ein paar Stundenkilometer zu schnell fährt. Vor allem dann, wenn man nicht nur den Tacho, sondern auch den Verkehr beobachtet. Und schliesslich wollen wir Gesetze, die auch im Alltag bestehen können. Ich weiss, auf der Strasse möchte mancher schneller unterwegs sein und gefährdet damit seine Mitmenschen. Genau hier muss der Sicherheitsgedanke Grenzen setzen. Nur darf dieses wichtige Ziel nicht für jeden Akt gegen den Bürger herangezogen werden, nur um jede Kritik sofort abblocken zu können und um die Lust an mehr Staatsabgaben zu verstecken! Freiheit braucht Mobilität Wer frei ist, will sich auch frei bewegen. Freiheit ohne Mobilität ist nichts wert. Wer in eine Zelle eingesperrt wird, dem nützt es auch nichts, wenn er nur in diesen paar Quadratmetern frei herumturnen kann. Freiheiten muss man sich stets erkämpfen. Nicht nur die Bewegungsfreiheit. Auch die anderen Freiheiten, die uns die Verfassung garantiert. Oder garantieren sollte. Die Meinungsfreiheit zum Beispiel. Oder die Freiheit der Wissenschaft und Lehre, welche uns beispielsweise viele Errungenschaften beschert hat, die wir auch an der heutigen Ausstellung bewundern können. Das Auto ist ja an und für sich ein technisches Wunderding. Denken Sie nur an die Sicherheit! Vom Airbag über das Antiblockierbremssystem bis zu den stabiler konstruierten Fahrzeugen: Hier sind die grossen Fortschritte erzielt worden. Dank der Freiheit der Forschung und Entwicklung im Bereich der Sicherheit. Wie sieht es aber mit der Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger aus? Wir können uns in der Schweiz ja weitgehend frei bewegen. Sie werden einwenden, Freiheit hat aber immer auch ihre Grenzen. Sicher. Das muss man heute nicht besonders betonen. Wir leben in einer eher freiheitsfeindlichen Epoche. Jedes Gesetz, jede Verordnung, jede Vorschrift ist ein Stück Freiheit weniger. Und jeder neue Gesetzesartikel kann übertreten werden. Es ist relativ einfach, eine Volksgruppe zu kriminalisieren. Ein neues Verbot genügt. Wenn wir das Tragen von Krawatten verbieten würden, hätten wir in diesem Saal schon ein paar Hundert Kleinkriminelle sitzen. Mit einer kleinen Veränderung des Gesetzes. Wer den Toleranzwert von fünf auf drei Stundenkilometer senkt, schafft auch mit einem Federstrich und ohne grosse Umstände ein paar Zehntausend Gesetzesübertreter mehr. Ohne, dass sich irgendjemand in seinem Verhalten geändert hätte. Dasselbe geschah mit der Senkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5. 2004 wurden rund 63'400 Ausweise entzogen. 2003 noch gut 60'000. Was einer Zunahme von fast fünf Prozent entspricht. Solche Wachstumsraten wünschte ich mir eigentlich in der Volkswirtschaft. Wie frei sind die Schweizerinnen und Schweizer noch? Wie mobil ist unser Land? Wo beschneidet der Staat mit seiner Verkehrspolitik die freie Mobilität der Bürger. Die neueste Idee heisst «Road-Pricing». Klingt wahnsinnig chic. Aber was ist damit gemeint? Politische Kreise – auch Bürgerliche – wollen den Zutritt zu den städtischen Strassennetzen mit zusätzlichen Gebühren verrechnen. Da «Road-Pricing» so hübsch klingt, will ich es mit einer Übersetzung versuchen: Strassenzoll. Was also so modern daherkommt, ist nichts anderes als ein Rückfall ins Mittelalter. Die Überwindung solcher Wegzölle wurde vor nicht allzu langer Zeit als fortschrittliche Befreiung gefeiert. Dabei möchte ich – nicht nur als Justizminister – darauf verweisen, dass selbst in unserer Verfassung die Benützung öffentlicher Strassen für gebührenfrei erklärt wird. (Art. 82) Bewegungsfreiheit sollte jedem Bürger zustehen. Und nicht zum Privileg für jene werden, die sich diese Mobilität im wahrsten Sinne noch leisten können. Die beste Kuh im Stall Angesichts dieser verzweifelten Versuche, noch mehr Geld beim privaten Verkehr herauszuholen, könnte man meinen, die Autofahrer würden den Staat zu viel kosten. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die beste Kuh im schweizerischen Bundesstall hat nicht vier Beine, sondern vier Räder. Ob Benzinzoll, Autobahnvignette, LSVA, Fahrzeugsteuern: Lastwagen und PWs zahlen über zehn Prozent mehr Steuern, Zölle und Abgaben (nämlich 7,6 Milliarden Franken), als ihre gesamte Infrastruktur pro Jahr kostet (6,8 Milliarden). Mit anderen Worten: Der Privatverkehr spült sogar ca. 800 Millionen Franken in die öffentlichen Kassen. Es wäre insofern nicht mehr als Anstand, die beste Milchkuh nicht dauernd als Feindbild zu behandeln. Wie sieht es denn bei anderen Kühen aus? Etwa bei den heiligen Kühen? Der Bahn zum Beispiel? Die Schweizerische Eisenbahnrechnung sieht im Vergleich zum Strassennetz einiges deprimierender aus: Die 41 erfassten Bahnbetriebe erwirtschaften lediglich 41,7 Prozent ihrer Kosten und fahren pro Jahr ein Gesamtdefizit von 7598 Millionen Franken ein. Und mit jedem Ausbau der Schieneninfrastruktur (Bahn 2000, Neat, internationale Anschlüsse) verschlechtert sich die Bahnrechnung nochmals massiv. Ein nicht unwesentlicher Grund für diese miserable Bilanz liegt darin: Zu wenig Bürger wollen überhaupt von diesem Angebot Gebrauch machen. Die Wahlfreiheit des Bürgers endet weit öfter beim Auto als beim öffentlichen Verkehr. Offensichtlich stimmen mehr Leute an den Urnen für die Verlagerungspolitik, als dass sie sich tatsächlich selber in die Züge und Busse verlagern würden. Die Entlastung findet weniger auf den Strassen statt, sondern beim schlechten Gewissen. Man stimmt für den öffentlichen Verkehr und hat damit seinen Beitrag geleistet. So wie es Leute gibt, die ein Fitnessabonnement kaufen und dann glauben, etwas für die Gesundheit getan zu haben. Freiheit und Freude Sie sind mehrheitlich alles Branchenvertreter, die sich hier heute zur Eröffnung eingefunden haben. Automobilimporteure, Garagisten, Verbandsvertreter, Aussteller. Ihnen muss ich die volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie eigentlich nicht erklären. Aber angesichts der zahlreichen «Freiheiten», die Ihnen ins Gesicht schlagen, soll Ihnen auch einmal jemand aus dem Bundesrat ein Lob spenden. Wir dürfen durchaus festhalten: Das Auto ermöglicht eine individuelle, effiziente und kostendeckende Mobilität. Und diese Ausstellung zeigt, dass das Auto mehr sein kann als ein reines Fortbewegungsmittel, nämlich ein ästhetisches Vergnügen, das Spass macht. Der Käufer soll die Freiheit haben, sich nicht nur ein funktionales Auto auszusuchen, sondern möglicherweise auch ein besonders schönes, extravagantes Fahrzeug. Der Erfolg Ihrer Messe beweist, dass dieses Bedürfnis besteht. Als Vertreter des Staates sage ich Ihnen: Wenn der Staat nicht nur für die Verkehrspolitik zuständig wäre, sondern auch noch für die Herstellung von Autos, müssten wir heute keine Ausstellung veranstalten. Die letzten Staatskarossen konnten wir in der DDR bewundern: hässliche, stinkige, graue Trabis. Bei Bezugsfristen von mehreren Jahren… Also: Sie dürfen mit einer guten Portion Selbstbewusstsein Ihre Produkte präsentieren. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Und kommen Sie heil, das heisst ohne Bussen, wieder nach Hause. Vor allem dann, wenn Sie durch die Stadt Zürich müssen.