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Bundesratszeit

09.06.2005

Von Bern aus gesehen: Demokratie und Föderalismus in der Europäischen Union

Ansprache anlässlich des Bremer Tabakkollegiums vom 9. Juni 2005 in Horgen (Schweiz) 09.06.2005, Horgen Es gilt das gesprochene Wort Meine Herren, Sie haben mich heute eingeladen einerseits wohl - Als Bürger eines Landes, dessen Bevölkerung sich bis heute einem Beitritt zur EU widersetzt hat, zu sprechen. - Ich spreche heute zu Ihnen aber auch als Mitglied der Schweizer Regierung, die zwar vor 13 Jahren in Brüssel ein EU-Beitrittsgesuch eingereicht und in selbem Jahr den Beitritt der Schweiz zum «strategischen Ziel» erklärte, aber es bei der Einreichung dieses Gesuches belassen musste und das strategische Ziel wieder offen gelassen hat. - Drittens hören Sie jenen Politiker, der in den vergangenen 20 Jahren unzählige Auseinandersetzungen für eine unabhängige, direktdemokratische und föderalistische Schweiz - und damit natürlich auch gegen einen EU-Beitritt - geführt hat. Solche Streiter - meist in Opposition zum Regierungskurs - werden üblicherweise mit allerlei Unflätigkeiten eingedeckt: Vom hoffnungslosen Romantiker und Idealisten zum altväterlichen Eidgenossen, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat; vom Bewunderer des Sonderfalls Schweiz bis zum bornierten Isolationisten, vom redegewandten Volkstribun bis zum gefährlichen Populisten finden sie alle freundlichen und weniger freundlichen Kosenamen. Doch sie dürfen eines wissen: Bevor ich in die Regierung eingetreten bin, leitete ich ein international tätiges und erfolgreiches Unternehmen. Wir exportierten 92% unserer Produkte ins Ausland - 60% in die EU-Staaten. Ich habe hunderte von Fabriken in allen Erdteilen gebaut - allein über 70 in China - habe alle diese Länder meist mehrmals bereist und bin stets nach Hause zurückgekehrt in der Überzeugung: Es lohnt sich, für eine selbstständige, unabhängige, demokratische und föderalistische Schweiz einzustehen. Ich bin und war stets der Meinung, dass dies für uns Schweizer - vom Standpunkt der Freiheit und des wirtschaftlichen Wohlergehens aus gesehen - der bessere Weg ist, als uns in einen grossen Staatenbund einzugliedern, um dort unser Selbstbestimmungsrecht, unsere Staatsform, unsere Errungenschaften ganz oder teilweise abzugeben. Ich achte die Souveränität aller Länder, auch die des eigenen Landes. Aber - und das gilt es ebenso entschieden zu sagen - ich bin für eine weltoffene Schweiz. Das war und ist die Schweiz auch. Wir wollen mit allen Staaten auf respektvoller, freundschaftlicher und deren Selbstständigkeit achtender Ebene verkehren. Auch sind wir offen für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, schliessen miteinander Verträge ab, arbeiten zusammen, wo es sinnvoll ist, aber stets ohne uns für die Zukunft institutionell einzubinden. Die Schweiz mit ihren 26 Kantonen, 3000 Gemeinden, ihrer geteilten Verantwortung, ihrer langsamen Gesetzgebung - was zum Glück auch für gesetzgeberische Dummheiten gilt - scheint für Aussenstehende sehr unübersichtlich. Man könnte diese Staatsform kaum konstruieren wollen. Die Schweiz ist eben ein historisch gewachsener Staat. Kein staatsrechtliches Lehrbuch kann einen solchen Staat rational erklären. Und trotzdem: Wir halten daran fest. Schon deshalb, weil dieses System funktioniert - auf jeden Fall mindestens so gut wie die staatsrechtlich vorbildlich organisierten Staaten. Was ist die Schweiz? Müsste ich das Charakteristische der Schweiz mit einem Satz bezeichnen, so würde ich sagen, die Schweiz ist die Staatsform des Misstrauens! Die Bürger trauen dem Staat, der Regierung, den Politikern wenig. Darum wählen sie zwar, aber achten gleichzeitig darauf, dass sie dem Gewählten nicht zu viel Macht und nicht zu viele Kompetenzen überantworten. Die Bürger schränken umgehend die Befugnisse der Politik ein. Über mehr oder weniger wichtige Dinge wollen sie selbst entscheiden - an der Urne - auf jeder Ebene, in der Gemeinde, den Kantonen und im Bund. Etwas vereinfacht gesagt: In der Schweiz ist das Volk auch die Opposition. Die Demokratie ist nicht nur die Möglichkeit zu wählen, sondern auch die Möglichkeit, Nein zu sagen! «Geht das?» werden Sie vielleicht fragen. Bis jetzt hat es jedenfalls funktioniert. Und im Vergleich mit anderen Staaten dürfen wir uns durchaus sehen lassen. Unvereinbarkeiten Bis ich in die Regierung eintrat, hatte ich in Deutschland natürlich vor allem mit Wirtschaftsleuten und nicht mit Ministern zu tun. Interessanterweise musste ich keinem deutschen Unternehmer unter vier Augen erklären, warum die Schweiz nicht der EU beitreten sollte. Meistens lieferten diese mir sogar Argumente, warum wir gut daran täten, draussen zu bleiben. Aber je mehr Repräsentanz angesagt ist, je grösser der offizielle Charakter eines Treffens ist, je politischer der Abend, desto wichtiger wird es auf die spezifisch schweizerische Rolle in Europa hinzuweisen. Ich will und muss es auch hier tun, denn gerade unter vier Augen befinden wir uns an diesem Anlass nicht. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn sich jetzt in Deutschland die Parteien uneins sind über die künftige Höhe der Mehrwertsteuern, streiten sich bloss die Politiker. In der Schweiz darf die Politik die Mehrwertsteuern nicht einmal um einen Zehntel Prozent erhöhen ohne Zustimmung der Mehrheit des Volkes und der Mehrheit der Kantone. Was glauben Sie, weshalb wir einen Mehrwertsteuersatz von 7,6 Prozent aufweisen im Gegensatz zu den mindestens 15 Prozent in den EU-Ländern? Etwa weil die Politiker es so wollten? Nein. Die Schweiz hat nicht die besseren Politiker als Deutschland und die Politik neigt überall dazu - das bestätigt meine Arbeit in der Regierung erneut - statt Probleme strukturell zu lösen - was eben mit unpopulären Entscheidungen verbunden wäre - die Misere mit neuen Einnahmen zu überdecken. In der Schweiz verfügt jedoch der Souverän - das Volk - über das letzte Wort bei den Steuern. Für die Ausgaben dagegen ist unser Parlament zuständig. Und hier zeigt sich ein entsprechend anderes Bild. Seit Jahren liegt das Ausgabenwachstum weit über dem realen volkswirtschaftlichen Wachstum, was zu massiven Defiziten im Staatshaushalt führte. Allein auf Bundesebene stiegen die Schulden von 38,5 Milliarden im Jahre 1990 auf 127 Milliarden. Das entspricht einer Verdreifachung. Bei all diesen Entwicklungen lässt sich eine weitere Beobachtung anstellen: Je kleinräumiger die politische Einheit ist, desto besser wirtschaftet sie. Die kommunalen Zahlen sind gesünder als die kantonalen und diese erfreulicher als die nationalen. Das dezentrale oder eben föderalistische System ist dem zentralistischen Aufbau überlegen. Das kleine Beispiel über die Höhe der Steuersätze zeigt, dass die schweizerische Demokratie neben den Wahlterminen eben auch Abstimmungen über Sachgeschäfte kennt. Jede Änderung an der Verfassung ist dem obligatorischen Referendum unterstellt, muss also zwingend dem Souverän vorgelegt werden. Sie sehen: Die Schweizer stimmen dauernd ab, sind ununterbrochen in politischen Diskussionen und Streitereien über die «beste Lösung» verwickelt. Und ich will es Ihnen sagen: Wer die Partizipation der Bürger an seinem Staat wichtig findet, muss daran seine helle Freude haben. Und damit ist das schweizerische Abseitsstehen von der EU eigentlich schon erklärt: Unsere direkte Demokratie, unser Föderalismus ist unvereinbar mit einem Beitritt zur Europäischen Union. Wer in die EU will, nimmt in Kauf, die nationale Klammer dieses Mehrkulturenstaates aufzulösen. Sollen wir dies tun? Ich habe die Frage entschieden mit Nein beantwortet. Ich spreche hier nicht für jedes einzelne Mitglied der Regierung. Ich spreche in meinem eigenen Namen. Doch täusche ich mich nicht, wenn ich sage, ein EU-Beitritt hätte vor dem Volk heute keine Chance. Die «Verfassung» Europas Lassen sie mich einige Worte zur «Verfassung Europas» sagen. Kürzlich sagte mir ein deutscher Bekannter: Die Debatte in Frankreich um die neue EU-Verfassung spreche nicht unbedingt für einen Volksentscheid an der Urne. Die Buntheit der Gegner und Kritiker hätte zuweilen groteske Formen angenommen. Ich will dieser Beobachtung nicht widersprechen. An vorderster Front gegen die Verfassung kämpfte die äusserste Linke, weil sie um ihren nationalen Wohlfahrtsstaat fürchtete. Sie sah in der Verfassung ein neoliberales Machwerk. Da etwa Fragen des Freihandels und der Zölle künftig allein durch die europäischen Instanzen geklärt werden dürfen. Ich finde, aus ihrer Sicht hat die Linke sogar Recht mit ihrer Ablehnung. Die Sozialisten spüren, wir können das von uns aus gesehen Richtige nicht mehr tun. Ich finde es zwar falsch, was sie tun wollen, aber ich verstehe ihr Ohnmachtsgefühl. Von liberaler Seite kamen konträre Bedenken: Nicht wenige sehen in einer starken europäischen Verfassung die Grundlage für den Ausbau eines in der Konsequenz zentralistischen Behördenstaates, der die wirtschaftlichen Freiheiten letztlich wieder gefährden würde. Ich müsste mich verleugnen, wenn ich den liberalen Skeptikern in ihrer Einschätzung nicht zustimmen würde. Demokratische Puristen wiederum wehren sich dagegen, dass eine Verfassung ohne ausdrückliche Zustimmung der Bevölkerung ratifiziert werden soll. Ich habe von «demokratischen Puristen» gesprochen. Man könnte diese auch schlicht als Schweizer bezeichnen. So gesehen leben Schweizer nämlich nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa, jedenfalls auch in Bayern. Dort hat nämlich ein CSU-Abgeordneter eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, da er der Überzeugung ist, Bundestag und Bundesrat seien nicht berechtigt, die Verfassungsordnung des Grundgesetzes durch ein anderes Verfassungssystem zu ersetzen. Dies sei ausschliesslich dem Souverän durch eine Volksabstimmung vorbehalten. Auch in diesem Fall kommt man als Schweizer kaum darum herum, dem Kläger und seiner Begründung Recht zuzubilligen. Für einen Schweizer ist es schicht unerträglich, dass über ein so weit reichendes Regelwerk die Bürger nicht abstimmen können! Die Konservativen wiederum äusserten dahingehend Bedenken, mit einer gesamteuropäischen Verfassung werde die nationale Souveränität beschnitten. Sie fürchten die Entmachung der nationalen Parlamente. Und in der Tat wird es so sein, dass die Verfassung der EU über den Gesetzen der einzelnen Staaten zu stehen kommt. Insofern müssen wir auch den nationalkonservativen Standpunkt dieser Kritik anerkennen. Die Befürworter eines starken Europas sind ihrerseits enttäuscht, dass die Verfassung zu wenig weit geht, zu wenig Kompetenzen nach Brüssel bringt, zu wenig für die «Einheit» Europas erreicht. Sie ahnen es, auch diesen Einwänden muss ich vom Standpunkt der EU-Politiker recht geben. Wenn Sie nun meinen, wie ich dazu kommen kann, allen recht zu geben, den Kritikern von rechts und von links, den Liberalen und Eurokraten, wenn Sie mir zudem vorwerfen, wo alle recht hätten, habe am Ende keiner recht - dann muss ich Ihnen, wenn auch ungern. zugestehen: Auch Sie haben mit Ihrer Kritik vollkommen recht. Diese Konfusion liegt in der Natur der Sache selbst: Europa weiss nicht, wohin der Weg gehen soll. Wohin sich die Europäische Union als Ganzes politisch entwickelt, ist unklarer denn je. Die Expansion scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Trotz wirtschaftlicher Divergenzen strebt die EU heute vornehmlich nach territorialer Grösse. Wie sie die Osterweiterung verkraften wird, ist noch völlig ungewiss. Ungeachtet dessen wird bereits der Beitritt der Türkei forciert. Auch hier stellt sich die Frage, was die Ziele der EU sind: nicht nur geographisch, sondern auch wirtschaftlich, rechtlich und - was oft verdrängt wird: Über die kulturelle Dimension Europas kann - politisch korrekt - nicht gesprochen werden. Ich meine, das liege nicht an der Unfähigkeit der Leute. Ich glaube, es liegt vielmehr daran, dass man alle Staaten auf einen bestimmten Weg bringen will. Jeder Staat hat seinen Weg und der ist anders als in anderen Staaten. Also ist vielleicht die Einwegstrategie falsch. Vielleicht könnte man sich auf folgenden Gedanken einigen: Gegen den Willen der Menschen lässt sich kein Wunsch-Europa installieren. Und eine Zwangseinheit darf keine Option mehr sein in diesem fragilen und kulturell ausdifferenzierten Europa. Es kann ja nicht in unserem Sinn sein, ein zweites Jugoslawien zu schaffen. Für ein Europa der Bürger Dass in Deutschland - aber nicht nur dort - die Europäische Verfassung allein durch das Parlament bestätigt wird, zeigt die Furcht vor der eigenen Bevölkerung. Wer es aber nicht schafft, die Bürgerinnen und Bürger von einer gemeinsamen europäischen Verfassung zu überzeugen, verliert die Legitimation solche Projekte zu verwirklichen. Dass man politische Gebilde nicht gegen den Willen der Menschen durchsetzen und behaupten kann, sollte die jüngste Geschichte ausreichend gezeigt haben. Die Machtkonzentration der EU wird ihr nicht gut bekommen. Die EU-Osterweiterung dürfte die divergierenden Tendenzen zusätzlich verstärken. Über eine mögliche europäische Verfassung sollten jedenfalls die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in den einzelnen Staaten befinden können. Was bei uns eine Selbstverständlichkeit bedeutet, ja vom Gesetz her zwingend ist, scheint in vielen europäischen Ländern ein Gnadenakt der Regierenden zu sein. Dabei muss die EU sich dringend demokratisch legitimieren, damit die Entfremdung zwischen den elitären Technokraten und den Bürgern nicht noch weiter voranschreitet. Es gibt ja spöttische Stimmen, die nicht ohne Recht behaupten, die EU würde die Beitrittsbedingungen für die EU nicht erfüllen. Die Schweiz in Europa und der Welt Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Inbrunst Politiker die ferne Zukunft gestalten wollen, während ihnen schon die Bewältigung gegenwärtiger Aufgaben und Probleme nicht gelingt. Ich nenne den überschuldeten Staatshaushalt, die explodierenden Sozial- und Gesundheitskosten, die stark gestiegene Kriminalität, die übermässig wachsenden Ausgaben der öffentlichen Hand, die zunehmende Regulierung und Bürokratisierung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, das stetige Ansteigen der Arbeitslosenraten. Da hilft uns auch ein EU-Beitritt nicht weiter. Denn ein Blick nach Europa zeigt, dass die EU keines der genannten Probleme gelöst hat, die wir angeblich nur mit Hilfe dieser Union lösen sollten. Die weitere Entwicklung der Europäischen Union ist völlig ungewiss: Kann sie ihre vielen Versprechungen erfüllen? Wird die zunehmende Zentralisierung und Machtkonzentration wirklich zum Wohl des europäischen Zusammenlebens sein? Wo liegen die Grenzen der territorialen Expansion, jetzt da sogar die Türkei als Beitrittskandidat gehandelt wird? Und vor allem: Wie wird die EU, die sich so gerne auf die europäischen Werte beruft, mit einem Land umgehen, das aus freiem Willen und mit guten Gründen nicht Mitglied werden möchte? Denn die Gleichung heisst nicht Schweiz gegen Europa, sondern freundschaftliche Koexistenz. Die Schweiz müsste bei einem EU-Beitritt ihre in vielerlei Hinsicht einzigartige Stellung opfern. Aber wofür? Am liebsten wäre mir eine EU im Sinne einer gehobenen Freihandelszone. Einem solchen Europa gehören wir de facto bereits an. Eine politische Integration widerspricht jedoch unserer Geschichte und ist letztlich unvereinbar mit der direkten Demokratie. Wir hoffen, die Repräsentanten der EU respektieren diesen Entscheid und beweisen damit, dass sie die europäischen Werte nicht nur in ihren Sonntagsreden hoch halten. Die Volksrechte, die Neutralität und der Föderalismus bilden die historischen Grundlagen unseres Kleinstaates. Nur die Unabhängigkeit kann diese Grundlagen garantieren und nur so können wir den inneren Zusammenhalt dieses polykulturellen Landes sichern. A N H A N G Währungen Es gibt aber auch handfeste wirtschaftliche Einwände gegen eine zu starke Föderation in Europa. Die Väter der Europäischen Union versprachen sich grosse wirtschaftliche Vorteile. Nun zeigt sich aber auch, dass die politische Ausgestaltung der EU die ökonomischen Ziele immer stärker behindert. Aus einer gehobenen Freihandelszone hat sich ein Europa der Institutionen und damit zwangsläufig auch der Bürokraten herausgebildet. Produkt dieser Vermischung ist der Euro. In den 90er Jahren kam die Idee auf, über eine wirtschaftliche Integration ein geschlossener europäischer Grossstaat mit gemeinsamer Aussen- und Sicherheitspolitik und einem gemeinsamen Rechtsraum mit überstaatlicher Verfassung zu bilden. Ich denke, das wachsende Misstrauen gegenüber der EU kommt daher, dass die Europa-Promotoren schon früher ein Wunsch-Europa schufen, das der Wirklichkeit nicht standhalten konnte. Um die politische Konstruktion zu fördern, kreierte man eine Einheitswährung. Der Euro ist eine politische, nicht eine ökonomische Schöpfung. Sie wurde mit Versprechen verbunden, die so nicht eingetroffen sind. Frankreich und Deutschland trennten sich von ihren jeweiligen Währungen, weil man den Menschen mehr Wohlstand, grösseres Wachstum und niedrigere Arbeitslosenzahlen in Aussicht stellte. Diese Versprechen sind offensichtlich nicht in Erfüllung gegangen. Wobei man dafür nicht bloss die «Weltkonjunktur» oder sonst einen abstrakten Schuldigen verantwortlich machen kann. Es hat sicher auch mit der Einheitswährung zu tun, die eben aus liberaler Sicht eine politische Währung ist und keine ökonomische Notwendigkeit. Als Schweizer kann ich die eigene Währung - den Schweizer Franken - und mit ihm die Möglichkeit einer unabhängigen Währungspolitik nicht hoch genug einschätzen. Er hat uns tiefe Zinsen und eine anhaltend niedrige Inflation gebracht. Letztes Jahr wurde in Schweden die Einführung des Euro deutlich abgelehnt, da dort selbst die Sozialdemokraten von der Wichtigkeit einer souveränen Geldpolitik überzeugt waren. So weit sind unsere Linken noch lange nicht. Nach Dänemark war Schweden der zweite Staat, der über den Euro abstimmen durfte. Beide Länder lehnten die Einführung ab. Ich glaube, auch Deutschland hätte den Euro abgelehnt. In Grossbritannien hütet sich selbst die europhile Labour-Party eine Debatte über die Einführung des Euro anzufangen. Für uns ist der unabhängige Schweizer Franken zudem eine wichtige Anleger-Währung, die für den Finanzplatz von existenzieller Bedeutung ist. Wir wollen also den Schweizer Franken so wenig aufgeben wie die Briten ihr Pfund. Der politisch motivierte Euro kann den unterschiedlichen Volkswirtschaften nicht gerecht werden. Der Euro erweist sich als monetäres Korsett. Für Deutschland zu eng, für Spanien zu weit, für Finnland gerade richtig. Ja, er kann nicht anders sein als ein solches Korsett: Schliesslich musste sich der Euro bestimmte Kriterien setzen, die im so genannten «Stabilitätspakt» definiert wurden. Wir alle wissen, dass dieser Pakt gebrochen wurde, noch bevor er überhaupt eingeführt war. Von kreativen Buchhaltungen gewisser Staaten, um dem Euro zu bekommen, will ich hier nicht sprechen. Mittlerweile haben vor allem die grossen Volkswirtschaften Deutschland und Frankreich den Stabilitätspakt missachtet, obwohl gerade die beiden Länder zu den ideellen Euro-Promotoren gehören. Statt der ordentlichen Verfahren und Milliardenbussen wurden in diesem Frühjahr einfach die Konvergenzkriterien gelockert. So sieht weder eine unabhängige Geldpolitik noch eine seriöse Finanzpolitik aus. Für ein Europa der Bürger Seit Anfang der 90er Jahre hat die EU kräftig an Glanz verloren. Diverse Verträge (Maastricht, Amsterdam, Nizza) haben Europa verdichtet. Die im Vertrag von Nizza (2001) neu eingeführte Stimmengewichtung geht vor allem zu Lasten der Kleinstaaten. Das Einstimmigkeitsprinzip wurde weitgehend abgeschafft wie auch das Veto-Recht. Die EU-Kommission verlangt nach mehr Macht, was die Mitbestimmung der einzelnen Länder folgenschwer einschränken würde. Das Demokratiedefizit wächst mit der Grösse der Union.

20.05.2005

Die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb

Referat von Bundesrat Christoph Blocher, gehalten anlässlich der 59. Generalversammlung der Vereinigung schweizerischer Unternehmen in Deutschland in Zürich 20.05.2005, Zürich Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrte Damen und Herren aus Deutschland und der Schweiz, Sehr geehrte Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland, Sehr geehrte Investoren in Deutschland, Kürzlich erhielt ich einen Brief eines Schweizer Unternehmers, der - etwa in den selben Jahren wie ich auch - von Deutschland umworben wurde, dort zu investieren. Beide haben wir es danach getan. Er schloss den Brief mit der Bemerkung: "Wie sich doch die Zeiten ändern: Einst umworben, nunmehr als Heuschrecken bezeichnet." Helmuth Kohl sprach nach der Wiedervereinigung in einem visionären Anflug von kommenden "blühenden Landschaften". Inzwischen sollen also "Heuschreckenschwärme" diese blühenden Landschaften kahl gefressen haben. Investoren, zumal ausländische, sind derzeit in Deutschland harscher Kritik ausgesetzt. Dem Vernehmen nach auch Schweizer Unternehmer in Deutschland. Allerdings möchte ich meine Gedanken heute lieber einer anderen Richtung folgen lassen. Einem Deutschen, der die wirtschaftspolitischen Voraussetzungen für blühende Landschaften schuf. Einem, der noch wusste, dass es die Unternehmer im Lande sind, die für Arbeit und Wohlstand zu sorgen haben. Einer, der die Freiheit und damit auch die freie Marktwirtschaft nach Deutschland brachte und so den Grundstein legte für ein beispielloses Wohlstandswunder nach dem Krieg. Ich rede vom früheren Finanzminister und späteren Kanzler Ludwig Erhard. Er setzte mit Erfolg seine Konzeption einer "Sozialen Marktwirtschaft" durch, wobei er aber mit dem Begriff "sozial" eine ganz andere Vorstellung verband, als sie inzwischen landläufig von Politikern gebraucht wird. Es lohnt sich, den Wirtschaftspolitiker Ludwig Erhard auch als schwierigen Politiker, jedoch grossen Lehrmeister vor Augen zu halten: Ludwig Erhard plädierte beispielsweise für ein föderatives, möglichst reich gegliedertes Europa. Er sah den Zweck der Institutionen allein in der Funktion einen möglichst freien Markt zu etablieren. Erhard im Original: "Die Institution muss helfen, Freiheit zu eröffnen. Wenn dagegen die Institution selbst ,ordnen' will, ist sie fehl am Platze." Wir wissen allzu gut, dass sich die Institutionen (nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz) von Erhards Vorstellungen weit entfernt haben. Heute "ordnet" weitgehend der Staat das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben. Heute "ordnet" zum Beispiel der schweizerische Staat, was mit über 50 Prozent unserer privaten Einkünfte geschehen soll. Hier etwas weniger als in Deutschland. Aber an beiden Orten zu viel. Heute "ordnet" der Staat das Leben bis in die kleinsten Bereiche, und er tut dies mit einer entfesselten Bürokratie und einem Wust an Vorschriften, Gesetzen und Regulierungen. Wenn jetzt die Schweiz von der angeblichen "Weltuntergangsstimmung" in der deutschen Wirtschaft Kenntnis nimmt, - wobei es mehr eine Stimmung als die reale Situation ist - so hat man sich als Schweizer vor Augen zu führen, dass diese Deformation vom Sozialstaat zum Versorgungsstaat kein spezifisch deutsches Problem darstellt. Ein Blick auf die deutsche Wirtschaft Man spricht von der "deutschen Krankheit" und meint damit die anhaltend schwache Konjunktur kombiniert mit hoher Arbeitslosigkeit als Folge eines überregulierten Arbeitsmarktes. Doch halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass uns Deutschland aufzeigt, was der Schweiz in wenigen Jahren blüht: Ein überdimensionierter, unbezahlbarer Sozialstaat, der die Vorsilbe "sozial" eigentlich nicht mehr verdient. Ein Staat, der nicht die Freiheitsrechte schützt, sondern Erfolg und Eigenverantwortung bestraft, dafür Missbrauch und Erfolglosigkeit honoriert. Auch die Schweiz hat die Fehlentwicklungen jahrelang, ja beinahe während Jahrzehnten mit Milliarden Franken zugekleistert. Steigt die Zahl der Arbeitslosen und verschlechtert sich die Wirtschaftslage, rufen Politiker nach noch mehr Staat und versuchen, Investoren, Unternehmer, die Wirtschaft für all diese Fehler verantwortlich zu machen. Doch die Situation verbessert sich nicht durch mehr Staat. Im Gegenteil. Denn die panikartig eingeleiteten Massnahmen laufen meistens in die verkehrte Richtung. Für die schleichende Misere in den westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten ist jene Politik verantwortlich, die mit hohen Steuern, zu vielen Vorschriften und interventionistischem Handeln die Wirtschaft gängelt und Unternehmen hindert, statt fördert. Eine Binsenwahrheit für die Unternehmer. Aber ein Fremdwort für die Politik - wie ich heute als Bundesrat vermehrt feststellen muss. Es ist beelendend zu sehen, wie die Schweiz blind weiter in die falsche Richtung marschiert, während die meisten anderen Länder Europas daran arbeiten, sich in die andere Richtung zu bewegen. Man kann es nicht mehr leugnen: Der Wirtschaftsstandort Schweiz hat sich verschlechtert und dieser Negativtrend ist hausgemacht. Wir haben - namentlich in den letzten 20 Jahren - den Pfad der ausgeglichenen Haushalte mit tiefen Steuern und Ausgaben verlassen. Die Reformation Europas kommt deshalb heute aus dem Osten, nicht aus der Schweiz. Von Ländern, die immunisiert sind gegen den Sozialismus. Die regelrecht froh sind den Sozialismus überwunden zu haben. Die vom Kommunismus befreiten Staaten Mittel- und Osteuropas haben nach 1989 revolutionäre Liberalisierungen und Steuerkonzepte (Flat Tax) durchgesetzt. Sie handeln ganz nach den Gesetzen der Marktwirtschaft und den Vorgaben der Kostenwahrheit. Mit beachtlichem Erfolg. Sie haben diese Reformen übrigens ohne Anleitung von aussen, als unabhängige Staaten, ohne Befehl aus Brüssel vollzogen. Das sollten wir nie vergessen. Das souveräne Handeln war auch immer die Stärke der Schweiz mitsamt ihrem föderalistischen, direktdemokratischen Aufbau. Ihnen - als Unternehmer - brauche ich nicht zu sagen, dass sich der Erfolg dann einstellt, wenn man sich seiner Stärken bewusst ist und diese auch spielen lässt. Aber tun wir das? Die Modefloskel "Integration" Es ist unvermeidlich: Spricht man über den Standortwettbewerb der Schweiz, so taucht umgehend das Thema EU/EU-Beitritt auf. Man spricht heute in der Verwaltung und im Bundesrat gerne von "Integration". Ein schöner Begriff, besonders darum, weil er so unpräzise ist. Ludwig Erhard befürwortete durchaus eine Integration Europas, aber eine klar abgesteckte: "Die beste Integration Europas, die ich mir vorstellen kann, beruht nicht auf der Schaffung neuer Ämter und Verwaltungsformen oder wachsender Bürokratien, sondern sie beruht in erster Linie auf der Wiederherstellung einer freizügigen internationalen Ordnung, wie sie am besten und vollkommensten in der freien Konvertierbarkeit der Währungen zum Ausdruck kommt. Konvertierbarkeit der Währung schliesst selbstverständlich die volle Freiheit und Freizügigkeit des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs ein." Diesem Europa würden wir uns vorbehaltlos anschliessen. Die Schweiz muss sich nicht beweisen. Wir sind ein freiheitlicher, friedliebender Kleinstaat mit einer einzigartigen Staatsform. Die weitere Entwicklung der Europäischen Union dagegen ist völlig ungewiss: Kann sie ihre vielen Versprechungen erfüllen? Wird die zunehmende Zentralisierung und Machtkonzentration wirklich zum Wohl des europäischen Zusammenlebens sein? Wo liegen die Grenzen der territorialen Expansion, jetzt da sogar die Türkei als Beitrittskandidat gehandelt wird? Und vor allem: Wie wird die EU, die sich so gerne auf die europäischen Werte beruft, mit einem Land umgehen, das aus freiem Willen und mit guten Gründen nicht Mitglied werden möchte? Denn die Gleichung heisst nicht Schweiz gegen Europa, sondern freundschaftliche Koexistenz. Die Schweiz müsste bei einem EU-Beitritt ihre in vielerlei Hinsicht einzigartige Stellung opfern. Aber wofür? Ludwig Erhard plädierte für ein nach den Prinzipien der Freiheit geordnetes Europa und korrigierte den Eindruck, Europa könne sich nur über eine bürokratische Organisation formen: "Der moderne Mensch ist tatsächlich so sehr daran gewöhnt, sich eine echte Ordnung nur dann vorstellen zu können, wenn diese in Organisationen oder in einem Heer von Beamten Ausdruck findet und womöglich noch der Sand in der Maschine hörbar wird." Wer sagt denn, dass es gut für diesen Kontinent ist, alle Länder unter eine zentral verwaltete Institution zu zwängen? Erhard sah einen anderen Weg, nämlich den Weg der Freiheit und sah sich deswegen immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, ein "schlechter Europäer" zu sein. Wir sollten uns von diesen moralischen Kategorien, die nichts anderem dienen als dem politischen Schaukampf, nicht beeindrucken lassen. Ich finde es immer wieder befremdend, wenn wir Schweizer als "Isolationisten" und "europafeindlich" beschimpft werden, nur weil wir an einer souveränen, demokratischen, neutralen Eidgenossenschaft festhalten wollen. Es ist doch kein moralisches Verbrechen, unabhängig bleiben zu wollen. Vielmehr eine selbstverständliche Aufgabe für Regierende. Die "Noch-Schweiz" Da Sie als Unternehmer in Deutschland arbeiten, habe ich mir erlaubt, auch auf die Schwierigkeiten unseres Nachbarn und deren Ursachen hinzuweisen, aber gleichzeitig den Deutschen Ludwig Erhard als Lehrmeister zu zitieren. Sie wissen, liebe Freunde aus Deutschland, die Zeit hochmütig die Nase über den Zustand Deutschlands zu rümpfen ist längstens passé. Der ehemalige Professor für Volkswirtschaft an der Universität Bern, der deutsche Carl Christian von Weizsäcker, meinte ja einmal begütigend, der Charme der Schweiz bestünde darin, die Fehler des Auslands erst mit zehn Jahren Verspätung zu begehen. So unrecht hatte er nicht. In welcher Verfassung zeigt sich die Schweiz denn heute? Noch geht es uns allen gut. Noch gehören wir zu den reichsten Ländern der Erde. Noch sind die Steuersätze vergleichsweise tief. Noch haben wir die höchsten Löhne und die höchste Kaufkraft. Noch, noch, noch. Doch diese Noch-Schweiz ist ein trügerisches Gebilde. Einem Unternehmer, der in Schwierigkeiten gerät, ist die Situation nicht unbekannt. Die Schweiz gleicht einem Konzern, der kontinuierlich seine Reserven auffrisst. Dank vergangener guter Jahre können die Löhne noch pünktlich bezahlt werden! Noch lächeln die Verantwortlichen und versichern, alles sei in bester Ordnung. Dabei realisiert die Führung die zunehmende Verschuldung. Aber sie handelt nicht. Sie hofft. So wie der Versorgungsstaat Schweiz eine reine Wunschgeburt darstellt, ein letztlich verantwortungsloses Versprechen von politischen Gauklern, die sich mit Schulden die Gunst der Gegenwart erkaufen. Eine solche Politik freilich "sozial" zu nennen, bleibt der wahre Zynismus. Noch ist der Schein gewahrt, die Strassen gefegt, der Zug fährt planmässig und die öffentlichen Gärten blühen. Wir leben vordergründig in einem funktionierenden Staatswesen. Hintergründig ist das System morsch. Vordergründig wird den Menschen eingeredet, die Sozialstandards könnten erhalten werden. Neben dem bereits auf 253 Milliarden Franken angehäuften Schuldenberg tun sich unbezahlbare Milliardenlöcher auf: Bei den Pensionskassen, bei der AHV, im Gesundheitswesen, vor allem bei der Invalidenversicherung, im öffentlichen Verkehr. Ich spreche nicht von ein paar fehlenden Milliarden. Die Noch-Schweiz ist kein gesundes Gebilde mehr. Die Politiker handeln ähnlich wie die Manager einer wohl angesehen Firma. Eigentlich wüssten sie um die tatsächlichen Verhältnisse. Doch den Mitarbeitenden, Lieferanten, Kreditgebern und Kunden wird noch alles andere vorgegaukelt, weil man sich vor unbequemen Entscheidungen scheut. Noch gilt die Schweiz als liberaler Staat mit niedrigen Steuern. In Wahrheit aber hat kaum ein Industrieland eine stärker wachsende Steuer- und Staatsquote seit 1990 zu verzeichnen gehabt. Noch haben wir eine vergleichsweise tiefe Arbeitslosigkeit - allerdings hat sich in den letzten zwei, drei Jahren eine viel höhere Sockelarbeitslosigkeit von gegen vier Prozent etabliert, die man nun einfach als gottgegeben hinnimmt. Noch weisen wir einen der höchsten Beschäftigungsgrade aus (um die 70 Prozent), aber dieser Anteil sinkt kontinuierlich. Immer mehr, auch junge Menschen gehen den Weg in die Fürsorge oder werden von der IV berentet und sehen mit all den Zuschüssen wenig Veranlassung, an diesem Zustand etwas zu ändern. Noch erfreuen wir uns an einem funktionierenden Sozialstaat. Doch dieser Sozialstaat entpuppt sich zunehmend als asozialen Konstrukt, weil er den Tüchtigen schröpft und auf Pump lebt. Dieses Prinzip züchtet eine Mentalität, die vornehmlich Ansprüche an die Gesellschaft stellt, weil Ansprüche an sich selbst vom Staat nicht mehr belohnt werden. Noch wird die Schweiz von einem leistungswilligen, eigenverantwortlichen Bürgertum geprägt, das nicht bei jeder Schwierigkeit oder Anstrengung nach dem Staat ruft. Doch der schleichende Mentalitätswandel hat unser Land verspätet, aber gründlich erfasst. Ein regelrechtes Umerziehungsprogramm hat dazu geführt, dass unternehmerische Qualitäten plötzlich als verdächtig erscheinen. Die vornehmste Pflicht eines Arbeitgebers, nämlich Gewinn zu machen, wird moralisch in Frage gestellt. Das ist doch absurd und verheerend. Eine Wirtschaft, die sich fast schämen muss, wenn sie gut arbeitet und gute Ergebnisse erzielt, bekommt mit der Zeit die falschen Führungskräfte. Wir brauchen Unternehmer, die Gewinn erzielen. Nur wer Erfolg hat, kann Arbeitsplätze schaffen. Nur Sie schaffen Wohlfahrt! Die Unternehmer, Handwerker, Gewerbler sind die wahren "Sozialarbeiter" im Lande. Sie sind sozial, weil sie für gesundes, privatwirtschaftliches Wachstum und damit für allgemeinen Wohlstand sorgen. Es ist höchste Zeit Erfolg, Gewinn und Wachstum wieder als hohe Tugenden zu sehen, zu leben und zu propagieren. Was ist zu tun? Bei aller Globalisierung, Komplexität und was hier alles als Gründe berücksichtigt werden muss: Meines Erachtens ist der politische Weg für die Schweiz einfacher als er scheint. Nur: Man müsste den Weg sehen wollen und dann die Kraft aufbringen, diesen Weg auch zu gehen. Natürlich ist der Wettbewerbsdruck gross. Billigländer - seien sie aus Asien oder Osteuropa - drängen auf die Märkte. Länder senken Steuern und leisten grosse Investitionsbeiträge. Auf Billiglöhne setzen, können wir nicht. Investitionsbeiträge schaffen erfahrungsgemäss keinen nachhaltigen Erfolg. Die Politik hat auf das gleiche Erfolgsrezept zu setzen wie ein Unternehmen, das in eine Krise gerät: Auf die eigenen Stärken setzen. Das schweizerische Erfolgsmodell basiert auf einem massvollen Staat mit freier, prosperierender Wirtschaft. Es gibt keinen vernünftigen Grund, davon abzuweichen! Wir sind uns bloss in den letzten 20 Jahren untreu geworden. Wir sollten uns wieder auf unser liberales Erbe besinnen: auf Eigenverantwortung, Wettbewerb, offene Märkte, freie Preisbildung und stabile Geldpolitik, auf Fleiss, Zuverlässigkeit, auf individuellen Gewinn statt Umverteilung! Es sind einfache und wohl gerade deshalb so brauchbare Tugenden. Der Liberalismus hat die Schweiz gross gemacht. Er gründet im Recht, frei über unser Eigentum zu verfügen, frei zu verhandeln, Verträge abzuschliessen und sich geschäftlich dort niederzulassen, wo es günstig erscheint. Vornehmste Aufgabe des Staates ist, diese Freiheiten zu garantieren und das Eigentum zu schützen. Es kann aber nicht sein, dass der Staat vorgibt, zur Erfüllung dieser Aufgaben immer mehr Wirtschaftskraft wegsteuern zu müssen durch allerlei Zwangsabgaben und Zwangsgebühren. Damit sabotiert er bloss sein eigenes Fundament. Nur in Freiheit und Unabhängigkeit können wir als kleines Land unsere Stärken nützen und ausbauen: Eine eigene Währungs- und Zinspolitik gehören dazu, tiefe Steuern, schnelle und unkomplizierte Bewilligungsverfahren, föderalistische Strukturen mit Standort- und vor allem Steuerwettbewerb, ein schlanker Staat mit möglichst viel Freiheit für jeden Bürger. Das bietet die besten Grundlagen auch für das freie Unternehmertum. All dies kann nur aus eigener Kraft geleistet werden. Eine Flucht in die EU hilft hier gar nichts. Meine Damen und Herren, In der Tat stehen unserem Land eine Reihe binnenwirtschaftlicher Reformen bevor. Oder muss ich sagen: Es stünden der Schweiz wichtige Reformen bevor? In der Theorie weiss eigentlich jeder um die Aufgaben, aber konkret passiert wenig bis nichts. Wohl versuchen wir mit Entlastungsprogrammen die Ausgaben in den Griff zu bekommen. Dringend nötig wären aber substantielle Steuerreduktionen - davon ist aber nichts zu sehen. Von umfassenden Deregulierungen ist lediglich in der Theorie die Rede. All dies steht uns noch bevor. Es ist aber keine fundamentale Umbruchstimmung erkennbar. Weder in der Gesellschaft, noch in der Politik - auch nicht in der Wirtschaft! Noch ist zu hoffen, dass die Schweiz die Kraft aufbringt, dem EU-Beitritt zu widerstehen. Sonst schwächen wir auch noch unsere letzten Standortvorteile - wie die eigene Währung, die souveräne Gestaltung des Staates und die freie Handelspolitik gegenüber aussereuropäischen Staaten. Es gilt der unternehmerische Grundsatz: Anders und besser sein als die andern, das führt zum Erfolg. Dabei auf die eigenen Stärken bauen. Ich wünschte mir ein selbstverständliches Bekenntnis zum Sonderfall Schweiz. Den Mut, besser sein zu wollen als die anderen. Ich wünschte mir, dass die Eliten - dazu gehören auch Sie als Vertreter der Wirtschaft - das Selbstvertrauen wiedergewinnen. Setzen wir auf unsere Stärken, das heisst auf eine unabhängige, demokratische, wirtschaftsfreundliche Schweiz. Stellen wir die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt. Die Selbstverantwortung. Nicht den Staat. Alles andere wird sich von selbst ergeben! So könnte die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb ihre Spitzenstellung behaupten. Sie muss es nicht neu erfinden. Es genügt, dies zu erwecken. Vorangehen müssten die Spitzenleute in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Also tun wir dies!

14.05.2005

Das Kollegialitätsprinzip ist nicht falsch

Mit einer heftig kritisierten Rede in Rafz (ZH) hat Christoph Blocher die Debatte um das Kollegialitätsprinzip neu entfacht. Der Justizminister nimmt dazu Stellung. 14.05.2005, Schweizerische Depeschenagentur sda (Gerhard Tubandt und Marianne Biber) Warum ritzen sie immer wieder und bewusst am Kollegialitätsprinzip, seit Sie im Bundesrat sind? Ich wüsste nicht, wo ich das Kollegialitätsprinzip geritzt haben sollte. Indem Sie sich zum Beispiel in Rafz implizit gegen Schengen ausgesprochen haben... Lesen Sie die Rede, dann sehen Sie, das dies nicht stimmt. Wenn sie eine Rede über den Zweiten Weltkrieg halten und sich vergegenwärtigen, was im Zweiten Weltkrieg verteidigt worden ist: Die Freiheit, die Demokratie und die Souveränität von Staaten und damit auch die Landesgrenzen, dann sind Sie natürlich bei den Grundsätzen des Staates. Und bei Schengen geht es auch darum, wie weit die Souveränität des Staates abgetreten werden soll oder nicht. Aber ich habe dies in Rafz nicht einmal erwähnt. Die Rede kann jedermann abrufen auf www.ejpd.admin.ch. Aber indirekt haben Sie sich so über Schengen geäussert... Jede Frage, die man behandelt hat, hat indirekt Auswirkungen auf einzelne Teile der Politik. Ich habe mich lediglich gewehrt, weil im Zusammenhang mit Schengen der Eindruck erweckt wurde, die Regierung stehe geschlossen hinter diesem Projekt. Das ist nachweislich falsch. Und solches werde ich auch in Zukunft richtig stellen. Aber Sie haben sich zum Kollegialitätsprinzip geäussert. Das Kollegialitätsprinzip darf nicht dazu führen, dass die Bürger falsch informiert werden. Warum haben Sie das nicht an der Medienkonferenz gesagt oder unmittelbar danach? Es war eine Medienkonferenz mit 60 Journalisten und ich war sehr überrascht über diese Bemerkung. Ich hielt damals den Zeitpunkt nicht für gekommen. Ich wollte mir das Ganze zunächst überlegen. Was finden Sie denn falsch am Kollegialitätsprinzip? Falsch ist das Prinzip nicht. Die Frage ist, was es heisst. Falschinformationen können jedoch nicht toleriert werden. Welches System wäre ihnen denn für den Bundesrat lieber? Ich gehe sehr weit. Meiner Meinung nach könnten die Regierungssitzungen auch öffentlich sein wie jene des Parlaments. Es gäbe dann ein paar Geschäfte, die vertraulich sind, das ist klar. Diese Meinung wird aber heute nicht geteilt. Es gäbe auch Zwischenformen. Der Sprecher könnte zum Beispiel die verschiedenen Standpunkte vor Entscheidfindungen bekannt geben. Man könnte sogar noch einen Schritt weitergehen und das Stimmenverhältnis bekannt geben. Darüber sollten die Politiker offen diskutieren. Das ist aber lediglich meine persönliche Meinung. Das würde aber doch eine gewisse Änderung im ganzen System nach sich ziehen, weil sich die Kommunikation der Regierung nach aussen ändern würde. Die Kommunikation wäre vielleicht eine andere. Aber nicht das System. Ich bin überzeugt, es gäbe mehr Vertrauen, auch in die Regierung. Man muss keine Angst haben vor dieser Transparenz. Die Bevölkerung hat doch den Eindruck, in dieser Regierung werde etwas im Halbdunkeln gemauschelt. Es ist aber nicht so: Es geht in der Regierung viel besser zu, als die Leute meinen. Es wird argumentiert, es werden Meinungen auf den Tisch gelegt. Und manchmal geht es auch ruhiger zu und her. Ich weiss nicht, weshalb man das nicht wissen darf. Würde das nicht den Bundesrat schwächen? Im Gegenteil. Heute werden gezielt Indiskretionen, Unwahrheiten und Halbwahrheiten verbreitet. Korrigiert werden können sie nicht. Damit sind die Bürger schlecht informiert. Und wo ist die Diskretion denn nötig? Nehmen wir an, der Bundesrat muss zum Beispiel personelle Entscheide fällen. Da gilt Diskretion. Oder im Geheimhaltungsbereich. Vielleicht hie und da aus strategischen Gründen. Aber wo Parlaments- und Volksentscheide anstehen, ist sie nicht nötig. Hat man Ihnen am Mittwoch in der Bundesratssitzung auf die Finger geklopft? Darüber zu schweigen verlangt das heutige System. Gibt es jetzt eine Diskussion über das Kollegialitätsprinzip? Gut ist, dass dieses Prinzip endlich hinterfragt wird. Alle halten sich ja ans Kollegialitätsprinzip, nur hat jeder eine andere Vorstellung davon. Die vertiefte Diskussion in der Öffentlichkeit ist nötig. Pochen sie darauf, dass das Thema diskutiert wird? Ich bin bereit, darüber zu diskutieren. Erzwingen und befehlen kann man dies nicht. Sie werden sich inskünftig im Bundesrat also so verhalten wie bisher? Ja. Das muss so sein. War es nicht auch eine Frage der Taktik, dass Sie am Sonntag über Grenzen und über Kollegialitätsprinzip geredet haben? So konnten Sie indirekt sagen, dass Sie nicht einig mit dem übrigen Bundesrat sind. Heute befinden sich die Gegner von Schengen ja eher auf der Verliererseite, so aber konnten sie die Kampagne noch einmal aufheizen. Lesen Sie die Rede! Eine Anti-Schengenrede würde wohl anders tönen. Sie lassen sich von niemandem einspannen? Ich wüsste nicht von wem. Von Ihrer Partei... Bin ich eine so schwache Figur, dass man mich einspannen kann? Die SVP weiss, dass ich die Meinung des Bundesrates vertreten muss, das ist meine Pflicht, auch wenn ich anders denke. Der Partei stehe ich nicht mehr in gleicher Weise zur Verfügung, dafür hat sie Verständnis zu haben.

22.04.2005

Partnerschaftsgesetz

Medienkonferenz, 22. April 2005, Bundesrat Christoph Blocher zur Volksabstimmung vom 5. Juni 2005 22.04.2005 Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrte Damen und Herren Die Kulturgeschichte der Menschheit zeigt, dass es Menschen mit gleichgeschlechtlicher Ausrichtung immer gegeben hat. Aber in verschiedenen Kulturen sind diese Menschen verfolgt und diskriminiert worden. Das ist - zumindest in der westlichen Welt - nicht mehr so. Die sexuelle Ausrichtung und die damit verbundene Lebensform einer Person gehört zur persönlichen Freiheit, die in der Schweiz von der Verfassung geschützt wird. Die letzten Spuren einer Diskriminierung der Homosexualität sind in der Schweiz 1992 aus dem Strafrecht getilgt worden. Das geltende Recht behandelt gleichgeschlechtliche Paare weitgehend gleich wie heterosexuelle Konkubinatspaare. Es besteht das Bedürfnis, dass solche oft langjährigen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften - ähnlich wie die Ehegemeinschaft - nach aussen als Gemeinschaft auftreten. Das wirkt sich insbesondere im Erbrecht aus. Stirbt einer der Partner, so muss der überlebende auf dem Vermögen, das er erbt, Erbschaftssteuern zahlen, wie wenn er ein Dritter wäre. Ist eine der Partnerinnen oder einer der Partner ausländischer Nationalität, so besteht anders als bei ausländischen Ehegatten von Schweizer Bürgern kein Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung. Auch im Sozialversicherungsrecht werden gleichgeschlechtliche Paare als zwei Einzelpersonen mit allen Vor- und Nachteilen und nicht als eine Gemeinschaft behandelt. Am 5. Juni wird es nun eine Premiere geben: Zum ersten Mal in Europa wird der Souverän eines Landes darüber entscheiden, ob er gleichgeschlechtlichen Paaren ein spezielles Rechtsinstitut in der Form der eingetragenen Partnerschaft zur Verfügung stellen will. Die vom Parlament verabschiedete Lösung ist kein Schnellschuss: In einer ersten Vernehmlassung wurden fünf Lösungsmodelle zur Diskussion gestellt, die von punktuellen Verbesserungen, einem privatrechtlichen Vertrag und der eingetragenen Partnerschaft mit unterschiedlicher Ausgestaltung bis zur Öffnung der Ehe durch eine Verfassungsrevision reichten. Eine grosse Mehrheit hat sich für die Schaffung eines eigenen Rechtsinstituts ausgesprochen. Ebenso eindeutig sind die Öffnung der Ehe oder eine bloss vertragsrechtliche Lösung abgelehnt worden. Erst in einem zweiten Schritt wurde das ausformulierte Gesetz in die Vernehmlassung geschickt. Unseres Erachtens liegt es im Interesse des Staates, dass Menschen verlässliche, das heisst rechtlich abgesicherte Beziehungen miteinander eingehen können. Es liegt auch im Interesse des Staates, dass diese Beziehungen einem einheitlichen Rahmen unterworfen sind, der klar zum Ausdruck bringt, welche Regelung sowohl im Verhältnis des Paares zueinander als auch in seiner Beziehung zur Umwelt gilt. Ausgangspunkt für den Gesetzgeber war das Bild zweier erwachsener Personen, die miteinander einen Haushalt führen, gemeinsam ihr Leben gestalten und füreinander Verantwortung übernehmen wollen. Gleichgeschlechtliche Paare können sich nach dem neuen Gesetz beim Zivilstandsamt eintragen lassen und verbinden sich damit zu einer Lebensgemeinschaft mit genau definierten Rechten und Pflichten. In verschiedenen Bereichen gleichen sich die Bestimmungen für Ehepaare und eingetragene Paare. Das liegt im Umstand begründet, dass gleichgeschlechtliche Paare in manchen Situationen ähnlichen, wenn nicht sogar gleichen Problemen gegenüberstehen wie Ehegatten. Denn unabhängig von der Konstellation eines Paares wirft das Zusammenleben von zwei Menschen immer wieder ähnliche rechtliche Fragen auf. Im Bereich der Einkommens- und Vermögenssteuer wird sich die Last des Paares vergrössern, wenn beide berufstätig sind. Und in der AHV wird das Paar nicht mehr wie bisher zwei Einzelrenten sondern nur noch eine Paarrente, also 150 Prozent einer Einzelrente beanspruchen können. Geht das Paar auseinander, werden die in der beruflichen Vorsorge angesammelten Ersparnisse geteilt und die eine Partnerin kann zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen an die andere verpflichtet werden. Trotz einer gewissen Nähe zum Eherecht unterscheidet sich die eingetragene Partnerschaft aber klar von der Ehe. Das zeigt sich schon allein darin, dass ein eigenständiges Gesetz geschaffen und die Bestimmungen nicht ins Familienrecht des Zivilgesetzbuches integriert worden sind. Damit wird unterstrichen, dass die gleichgeschlechtliche Partnerschaft nach dem Willen des Gesetzgebers anders als die Ehe nicht die Grundlage für eine Familiengründung ist. Zwei gleichgeschlechtliche Personen können naturgemäss miteinander keine Kinder haben. Sie werden von dem neuen Gesetz auch nicht zur Adoption oder zu fortpflanzungsmedizinischen Verfahren zugelassen. Selbst die Stiefkindadoption ist untersagt. Dass Kinder in Haushalten mit gleichgeschlechtlich orientierten Personen aufwachsen, ist auch in der Schweiz eine Tatsache. Ob nun dem neuen Institut zugestimmt wird oder nicht, ändert an dieser Tatsache nichts. Die Frage, bei wem ein Kind aufwächst, ist jedoch von der Frage zu trennen, wer rechtlich seine Eltern sind. Sowohl der Bundesrat wie das Parlament lehnen es mit Entschiedenheit ab, einem Kind durch Adoption rechtlich zwei Mütter oder zwei Väter als Eltern zuzuordnen. Damit würden die Grundprinzipien des schweizerischen Kindesrechts durchbrochen. Nicht einzusehen wäre zudem, warum die Adoptionsmöglichkeit auf gleichgeschlechtliche Paare beschränkt bliebe, und warum nicht auch zwei Schwestern oder zwei andere Personen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, zur Adoption eines Kindes zugelassen würden. Wird die Ehe durch das Partnerschaftsgesetz gefährdet? Das deutsche Verfassungsgericht, das ebenfalls mit dieser Frage konfrontiert wurde, hat die zutreffende Antwort gegeben. Die eingetragene Partnerschaft kann die Ehe schon deswegen nicht konkurrenzieren, weil sie sich an einen völlig anderen Adressatenkreis richtet. Die eingetragene Partnerschaft ist wegen dieses Unterschieds auch keine Ehe mit falschem Etikett, sondern etwas anderes als die Ehe. Sie ist ein Institut, das sich nur an Personen richtet, die definitionsgemäss keine Ehe eingehen können. Gefährdet würde die Ehe, wenn heterosexuelle Paare zwischen der Ehe und einem weiteren Institut, zum Beispiel der eingetragenen Partnerschaft, wählen könnten. Das ist aber nicht der Fall. Besteht bei der Annahme des Partnerschaftsgesetzes die Gefahr der Salamitaktik, wie die Gegner behaupten? Ist das neue Gesetz ein Wegbereiter für die Öffnung der Ehe, für den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin und für Adoptionen? Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass die Öffnung der Ehe für Gleichgeschlechtliche die hohe Hürde einer Verfassungsänderung nehmen müsste. Volk und Stände müssten also zwingend zustimmen. Das gleiche gilt für die Zulassung von Gleichgeschlechtlichen zu fortpflanzungsmedizinischen Verfahren. Auch hier wäre eine Verfassungsrevision unabdingbar. Meine Damen und Herren, das Partnerschaftsgesetz ist ein Zeichen der gewandelten Verhältnisse. Menschen, die wegen ihrer Veranlagung anders leben als die grosse Mehrheit in unserer Bevölkerung, wollen eine solche Institution. Es reiht sich ein in eine Entwicklung, die nicht nur die Schweiz, sondern viele Staaten in Europa ergriffen hat.

17.04.2005

Gerichtsurteile dürfen nicht zu Rechtsmissbrauch führen

Christoph Blocher über die Justiz und die Regelung des Nothilfebezugs von Asylbewerbern 17.04.2005, SonntagsZeitung (Christoph Lauener) Nach dem Bundesgerichtsurteil hatten Sie erwogen, die Verfassung zu ändern, um die Nothilfe für renitente Asylbewerber streichen zu können. Warum krebsen Sie nun zurück? Die Verfassungsänderung ist eine Variante. Sie ist aber nicht nötig. Wir sind nach dem 3:2-Entscheid des Bundesgerichts über die Bücher gegangen. Wir glauben, dass dem Rechtsmissbrauch beim Nothilfebezug auch mit einer Verfassungskonformer Gesetzeslösung entgegengewirkt werden kann. Wie sieht diese Lösung aus? Wenn die Notlage glaubhaft gemacht werden kann, wird der Staat die Nothilfe auch bei unkooperativem Verhalten ausrichten. Dieser neuen Variante hat der Bundesrat am Mittwoch bereits zugestimmt. Nimmt diese Einschränkung der Massnahme nichts von ihrer starken Wirkung, die der Ständerat und Sie sich erhoffen? Die Gefahr besteht. Aber wir werden einen gangbaren Weg finden müssen. Niemand versteht, dass Ausländer die ausreisen müssen und können und die nicht bereit sind, ihre Identität preiszugeben, dennoch vom Staat unterstützt werden. Auf der anderen Seite ist auch klar, dass wir in unserem Land niemanden verhungern lassen. Genau das hat der Bundesgerichtspräsident Ihnen indirekt vorgeworfen: Sie liessen Leute verhungern, nur weil sie nicht mit dem Staat zusammenarbeiteten. Das hat er mir nicht vorgeworfen. Aber etwas wird uns künftig noch stärker beschäftigen: Völker- und Menschenrechte werden oft zu Gunsten von Delinquenten so ausgedehnt, dass am Ende die Bürger den Eindruck gewinnen, ihre berechtigten Anliegen nach Schutz würden nicht mehr ernst genommen. Gibt es konkrete Fälle? Nehmen Sie den letzte Woche veröffentlichen Fall aus dem Kanton Zürich: Ein Asylbewerber, seit drei Wochen ausreisepflichtig, mehrmals vorbestraft, aus rechtlichen Gründen frühzeitig aus der Ausschaffungshaft entlassen, kann nicht ausgeschafft werden, läuft frei herum, bedroht eine Frau mit dem Messer, vergewaltigt sie.... Alle fragen: Wie kann es so weit kommen? Und die Behörden? Diese sagen: "Wir können nichts dagegen tun. Es fehlt die gesetzliche Handhabe." Das darf doch nicht sein. Die Fachleute sagen mir: "Diesen Fall hätte man verhindern können, wenn es eine Durchsetzungshaft für solche Renitente gäbe." Die Gegner dieser Haftform antworten: "Sie ist menschenrechtlich fragwürdig." Spüren Sie das Problem? In solchen Fällen sehen Sie gesellschaftlichen Sprengstoff? Es bestehen in der Bevölkerung Misstrauen, dass das - oft schwammig definierte - Völkerrecht vorgeschoben wird, weil man etwas politisch nicht will. Hier gilt es, aufzupassen. Es besteht diesbezüglich ein Spannungsfeld. Behandeln die Richter die Demokratie unter ihrem Wert? Es ist nicht nur eine Gefahr bei Richtern, sondern in der Politik allgemein. Ich will den Richtern keine Empfehlung geben. Jurisprudenz und Politik neigen gelegentlich aus begreiflichen Gründen dazu, überstaatliche überlegungen über demokratische Entscheidungen zu stellen. Demokratie und Rechtsstaat sind aber aufeinander bezogen. Beide dürfen nicht aus den Angeln gehoben werden. Sie bedingen sich gegenseitig und sind gleichwertig. Zudem: Gerichtsentscheide haben oft grosse Wirkungen. Sie dürfen im Alltag nicht zu Rechtsmissbräuchen führen. Darum begrüsse ich die heutigen Diskussionen. Und was sagen Sie den Richtern? Ich versuche aufzuzeigen, dass Menschenrechte und Demokratie zwei Werte auf derselben Stufe sind. Natürlich ist die Volksstimme nicht Gottes Stimme. Und zwingendes Völkerrecht muss über der Verfassung stehen. Aber gerade weil dies so ist, muss auch die Demokratie ernst genommen werden. Sonst steuern wir auf Konflikte zu. Nicht nur der Schutz des Delinquenten, sondern auch der Schutz und die Rechte der Bürger haben ihren Wert. Ebenso der Schutz des Rechtsstaates und der Kampf gegen den Rechtsmissbrauch. Überzeugen müssen Sie vorab die zuständige Nationalratskommission. Dort wirds schwieriger als im Ständerat. Sie sprechen jetzt vom Asylrecht. Ja, das wird schwieriger sein. Allerdings ist die Behandlung in der nationalrätlichen Kommission gut angelaufen: Die Kommission hat am Donnerstag beschlossen, die Vorlage zu beraten. Und schlussendlich werden wir auch noch eine Volksabstimmung durchzustehen haben. Wenn wir beim derzeitigen konsequenten Konzept bleiben, ist sie zu gewinnen. Während Sie sich im Bundesrat ziemlich wohl fühlen, hat Ihre Partei ganz andere Probleme. Wie werten Sie die Schlappe der Zürcher SVP bei den Regierungsratswahlen? Wenn im Kanton Zürich zwei Kandidaten aus nicht linken Parteien antreten, gewinnt der, der die Unterstützung der Linken hat. Sie sind ja immer noch Berater der Zürcher SVP: Was muss sie jetzt tun? Nein, das bin ich nicht. Aber die Partei muss ihren Kurs selber fortsetzen: für sichere Arbeitsplätze sorgen und Zwangsabgaben senken, wie sie dies gesagt hat. Die Partei muss dies konsequent für die Bürger tun. Wenn man schwächer in der Regierung vertreten ist, dann halt ausserhalb. Zudem: Man darf die Parteien auf der eigenen Seite persönlich nicht allzu sehr verletzen Politiker sind empfindliche Menschen! Aber in der Sache muss man fest bleiben! Das ist stets eine Gratwanderung. Hat die Zürcher Wahl nationale Ausstrahlung? Kaum. Aber es zeigen sich Bewegungen in der Parteienlandschaft ab: Die Auseinandersetzung der Zukunft orientiert sich an den zwei grossen Grundsatzfragen: Sozialismus oder Liberalismus, mehr oder weniger Staat oder mehr Freiheit für die Bürger. Und die zweite Grundfrage betrifft die Wahrung der nationalen Souveränität. Die oberflächliche Betrachtung, welche Partei ein paar Prozente mehr oder weniger hat, wird so weniger wichtig. Sehen Sie eine Zukunft für CVP und FDP? Die SP und die SVP haben sich festgelegt: Die SP für mehr Staat und für den EU-Beitritt, die SVP für die Freiheit der Bürger und gegen den EU-Beitritt. Die CVP und die FDP müssen in diesem Spannungsfeld noch ihren Weg suchen. Sie sind daran.