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Bundesratszeit

22.12.2004

«Ich bin für Verbote»

Nachdem er am Montag Bilanz gezogen hat, blickt Christoph Blocher im Interview nach vorn. Er äussert sich zur Sanierung von AHV und Staatshaushalt, kritisiert das CO2-Gesetz und plädiert für Verbote statt komplizierte Regulierungen. Sein Ziel? Ein «ökonomisches Wunderwerk». 22.12.2004, St. Galler Tagblatt (Heidi Gmür) Das Jahr 2004 war für den Bundesrat ein relativ erfolgloses Jahr. Das Stimmvolk hat Avanti, Mietrecht, AHV-Revision und Steuerpaket abgelehnt. Ist der Aufbruch zur «bürgerlichen Wende», den sich die SVP nach Ihrer Wahl erhofft hat, schon gestoppt? Die SVP sagte, dass die Wende nötig wäre. Ich habe nie an die Wende geglaubt, nur weil einer mehr von einer anderen Partei im Bundesrat ist. Die Frage ist, ob sich etwas zum Besseren gewendet hat. Und, wurde es besser? Es stimmt, das Volk hat relativ viele Vorlagen verworfen - aber sie stammten alle von der früheren Regierung und dem früheren Parlament. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, dass vorerst nichts geschieht. Die Schweiz ist in einer Umbruchsituation, das zeigt auch meine Wahl in den Bundesrat. Es ist wie bei einem Unternehmen, das in die falsche Richtung läuft. Da ist ein Marschhalt nötig, bis man weiss, wohin es geht. Trotzdem: Das Steuerpaket und die AHV-Revision wurden im Mai von den Bürgerlichen als Aufbruch interpretiert. Wie wollen Sie nun die AHV sanieren? Es ist schwer zu sagen, warum die AHV-Revision genau verworfen wurde. Vielleicht wollte man zuviel auf einmal, man könnte vielleicht Einzelteile bringen. Zum Beispiel das Rentenalter 65 für alle, da könnte man eine Mehrheit hinbringen. Ein gestaffeltes Vorgehen also. Ja, wenn man zehn Veränderungen bringt, ist die Gefahr grösser, dass es fällt. Auch das Steuerpaket, für das Sie selber aktiv geworben hatten, wurde abgelehnt. Wie müsste hier eine neue Vorlage aussehen? Hier gilt das gleiche. Wir haben verschiedene Dinge vermischt. Es gab Entlastungen der Familie und der Hauseigentümer, es gab aber auch Mehrbelastungen. Der Bundesrat hat jetzt von einem Marschhalt gesprochen, es soll eine Gesamtkonzeption geben. Das Dringlichste ist sicher die Unternehmenssteuerreform. Sie bringt Arbeitsplätze. Sie glauben explizit nicht, dass es ein Votum gegen Sozialabbau und Steuersenkungen war? Es war ein Votum gegen diese Steuersenkung und gegen diese AHV-Reform. Schauen Sie das Jahr 2003 an, da wurden alle sozialen Verbesserungen verworfen. Das war alles gegen links. Und nun war alles gegen rechts. Es ist eine gewisse Stillstandsituation eingetreten, weil man sagt, lieber machen wir nichts, als etwas Falsches. Und was kommt nach dem Stillstand? Auf parlamentarischer Ebene spricht man derzeit von Polarisierung, es heisst, man bringe nichts mehr zustande. Das wäre die einfache Schlussfolgerung. Aber ein Beispiel aus meinem Departement zeigt, dass es nicht so sein muss: Ich habe gesehen, dass man das Bundesgerichtsgesetz nicht durchbringen wird und habe es gestoppt. Jetzt hat das Parlament die neue Vorlage praktisch einstimmig gutgeheissen, ohne dass sie völlig anders wäre. Man kann die Polarisierung also auch überwinden, indem man das Gespräch mit den Parteien sucht. Zu oft aber hat der Bundesrat bisher isoliert beschlossen und gesagt: Vogel friss oder stirb! Ihr Gegenrezept tönt simpel. Es gibt sicher Fälle, wo das nicht möglich ist, dort muss man eben eine breite Koalition erreichen. Zum Beispiel in der Ausländer- und Asylpolitik. Da muss man fühlen, wo das Volk die Präferenz hat. Bei der Ausländerpolitik wird das eher eine bürgerliche sein, in anderen Fragen eher eine linke. Das wird das Vorgehen für die Zukunft sein. Ich sehe da nicht so schwarz. Sie kritisieren die «Verregulierung» der Wirtschaft, die Wachstum verhindert. Warum sind Sie gegen Parallelimporte? Weil es ein grosser Eingriff in die Eigentumsfreiheit ist. Wenn ich etwas entwickle und patentiere, darf ich doch sagen, wo man das verkauft. Ansonsten wird niemand mehr forschen. Wo wollen Sie denn die Deregulierung ansetzen? Ja, bauen Sie mal ein Haus, eine Fabrik! Da gibt es Vorschriften, Einsprachen, es ist unglaublich. Allein im Umweltbereich wird bis ins Detail reguliert. Oder stellen Sie privat eine Person an - und zwar legal, mit AHV, Pensionskasse und Ferienregelung. Das ist fast nicht möglich, das ist so kompliziert. Es sind immerhin Vorschriften zum Schutz der Umwelt und zum Schutz der Arbeitnehmer. Ja natürlich, es gibt immer etwas! Die Frage ist, kann man denn die Umwelt nicht einfacher schützen? Wie? Beispiel CO2-Abgabe: Da müssten sie mal sehen, was die Unternehmer alles machen müssen. Wir können das natürlich alles tun, aber man muss dann nicht klagen, wenn die Wirtschaft nichts wächst. Sollen die späteren Generationen die schlechte Luft erben? Nein. Aber ich bin natürlich für klare Grenzwerte oder Verbote. Für Verbote? Ja, man kann sagen, soviel darf man ausstossen und dann ist fertig. Ich war nie dagegen, dass man Autos mit Katalysatoren einführt, das ist eine kleine Regulierung. Autos ohne Katalysatoren sind verboten. Das müssen Sie schon genauer erklären. Also: Man kann sagen, du kannst da bauen, wenn du das bis ins Detail so machst und so machst und so weiter. Aber man könnte auch sagen: Wir haben hier ein Grundstück, hier die Abstände und die Höhe, darauf kannst du bauen. Punkt. Das wäre eine ganz einfache Regulierung. Und bei den Schadstoffen? Da kann man auch sagen: Diese Schadstoffe darfst du ausstossen, jene nicht. Das haben wir bei den Autos gemacht. Am CO2-Ausstoss ändert dies allerdings nichts. Nein, aber wenn Sie den nicht mehr wollen, dann sagen Sie es, dann darf man das eben nicht mehr machen. Aber es will ja niemand das Auto verbieten. Also haben Sie den CO2-Ausstoss. Es geht um Anreize, damit weniger Auto gefahren wird. Ja und wer profitiert davon? Der Zürcher, aber nicht der Münstertaler. Das CO2-Gesetz ist für die Industrie ein unglaubliches Beispiel für Regulierung, es ist ein Beraterfirma-Bürokratie-Gesetz. Das können wir tun, aber dann schwächen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit massiv. Zurück zur Finanzpolitik: Auf Ihren Antrag soll der Bundesrat abklären, wie die Ausgaben um 40 Prozent gekürzt werden können. Das ist unrealistisch - was erreichen Sie damit? Ich sage nicht, wer welche Anträge stellt. Aber ich würde das machen. Die Frage ist: Geben wir zuviel Geld aus? Ich bin der Meinung ja, darum brauchen wir so hohe Steuern und Abgaben und lähmen unsere Wirtschaft. Wenn Sie die nun senken wollen, müssen Sie fragen, was ist wichtig und was nicht. Und wie finden Sie das heraus? Indem Sie sagen, jetzt nehmen wir mal an, der Staat gäbe 30 oder 40 Prozent weniger aus und schauen, was dann passiert. Man kann sich dann immer noch mit 10 oder 20 Prozent begnügen. Wo sind denn derart kräftige Ausgabenschnitte möglich? Ich möchte die Frage nicht beantworten. Sie ist bereits falsch gestellt. Sobald einer ruft, das wäre die Lösung, ist die übung bereits gestorben. Sie müssen das Ziel sehen, den Prozess, und Varianten erarbeiten. Sie reden von Sparen und zeigen keine Möglichkeiten auf. Ja, diesen Vorwurf muss man halt ertragen. Ich habe aber in meinem Departement 10 Prozent als Vorgabe genommen - und musste keine wesentlichen Aufgaben streichen. Die Vorgabe von 40 Prozent ist ein Tabubruch, wie Sie ihn bewusst gerne pflegen. Das löst vor allem Abwehrreflexe aus. Zunächst natürlich schon. Aber sie müssen den Vorgang den Leuten eben auch begreiflich machen. Die Vorgabe muss einfach relativ hoch sein, damit am Schluss nicht einfach überall ein wenig gespart wird. Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie eines Tages mit Genugtuung zurücktreten könnten? Das werde ich nie tun können. Ich war 30 Jahre Unternehmer und habe immer noch über die Probleme gesprochen, die wir haben und lösen müssen. Wie sähe sie aus, damit Sie einigermassen zufrieden wären? Wenn die Schweiz sagen könnte: Wir sind bereit, eine bessere, eine erfolgreichere staatliche Ordnung zu machen als alle anderen, indem wir weniger Geld ausgeben, dem Bürger mehr Freiheit gäben, eine höhere Selbstverantwortung und mehr Arbeitsplätze hätten. Ein ökonomisches Wunderwerk also. Zweitens, dass wir die direkte Demokratie beachten, sie nicht einschränken. Und drittens, dass wir die Kraft haben, unsere Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten und nicht in diese grossen Organisationen eintreten. Dann glaube ich, geht es der Schweiz gut. Glauben Sie denn, dieses Bild eines florierenden Unternehmens, das sie von der Schweiz zeichnen, sei mit der direkten Demokratie kompatibel? Durchaus. Viele sagen, es sei die direkte Demokratie die für die starke Regulierung verantwortlich sei, aber so einfach ist das nicht. Die Interventionisten sind in Bern viel zahlreicher als in der Bevölkerung. Sie glauben also, das Volk für ihre Vision eines sehr schlanken Staates gewinnen zu können? Ich sage nicht in allen Teilen. Der Schritt ist relativ gross, vor allem dort, wo die Leute auf etwas verzichten müssen. Sozial zurückzubuchstabieren ist schwierig, Nicht-Geben weniger. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass eine Mutterschaftsversicherung so viele Nein-Stimmen kriegt. Vor allem in der Deutschschweiz. Das zeigt, dass die Bevölkerung mit der Selbstverantwortung viel weiter ist als die Politiker in Bern.

22.12.2004

«Ich spüre eine gewisse Freude»

Am Anfang seiner Amtszeit tönte es noch anders. Heute ist Christoph Blocher gerne Bundesrat. «Ich merke, dass ich etwas bewegen kann.» Das Verhältnis zu den anderen Bundesräten bezeichnet er als «kollegial». 22.12.2004, Berner Zeitung (Raphael Prinz und Karin Burkhalter) Herr Bundesrat, zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten sagten Sie: «Ich bin der Meinung, man sollte es wagen.» Dies ist die Aussage eines Magistraten. Haben Sie den Rollentausch vom Oppositionellen zum Bundesrat vollzogen? Es macht einen Unterschied, ob Sie sich mit Feuer und Flamme in eine Sache hineinstürzen oder ob Sie es wagen. Dieses Dossier ist und bleibt zwiespältig. Es bringt Vorteile, aber man muss auch über die Gefahren reden. Ich habe mich im Übrigen nie gegen die Personenfreizügigkeit aufgelehnt, bezeichnete sie aber auch nie als Ei des Kolumbus. Was meine Rolle als Oppositioneller anbelangt: Ich legte sie bereits bei Amtsantritt im Januar ab. Ich gebe zu, einfach war das nicht. Wie wichtig ist es für Sie, der Öffentlichkeit den anderen Blocher zu zeigen? Wir spielen auf den Dokfilm «Die Blochers» an. Ich habe mich immer so gezeigt, wie ich bin. Der Film stellt angeblich meine unbekannten Seiten dar. Darüber bin ich etwas erstaunt. Das war mir nicht bewusst. Natürlich haftet mir nach wie vor das Image des Oppositionellen an. Aber jetzt habe ich eine andere Aufgabe und gebe naturgemäss ein anderes Bild von mir ab. Das Bedürfnis, mich in Home Stories zur Schau zu stellen, habe ich aber wirklich nicht. Wie waren die Reaktionen auf den Film? Die, die mich gut finden, wurden in ihrer Haltung bestärkt und jene, die gegen mich sind, ebenfalls. Bei den «Neutralen» waren die Reaktionen durchmischt. Meine Waffe ist und war die Transparenz. Sobald diese fehlte, gab es immer Gerüchte und Hinterhältigkeiten. Über meine Familie kann man nach diesem Film nicht mehr irgend etwas erzählen. Ich glaube aber auch, das Volk hat Anrecht zu wissen, wer ich bin. Ihre Frau hatte einen prominenten Auftritt. Daran störten sich einige. Meine Frau hat in der Partei immer eine aktive Rolle gespielt - wenn auch im Hintergrund. Dank des Films weiss man jetzt, dass auch meine Frau - wie jede Frau - einen grossen Einfluss auf den Mann hat - einen grösseren als umgekehrt. Bevor ich als Unternehmer einen leitenden Mitarbeiter einstellte, wollte ich immer zuerst dessen Frau bei einem gemeinsamen Essen kennen lernen. War etwas suspekt, habe ich auch schon den Mann nicht eingestellt. Hab ich es trotzdem gemacht, ging es meistens nicht gut. Im Film sagen Sie über ihr erstes Bundesratsjahr: «Es läuft nach Drehbuch». Wie meinten Sie das? Über eine Strategie sollte man nicht reden. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: Mir waren die moralinen Kommentare des Bundesrates nach Abstimmungen schon als Nationalrat ein Dorn im Auge. Und ich wusste, dass ich irgendwann einmal darauf reagieren musste. Entschieden, mich jeglichen Kommentars zu enthalten, habe ich mich ganz spontan, auf dem Weg nach Bern. An diesem besagten Sonntag gab es eine heilsame Erschütterung. Sie können sicher sein, Bundesräte werden das Volk nach einer Abstimmung nicht mehr massregeln. Mit meinem Drehbuch will ich solche verkrusteten Strukturen aufbrechen. Sie haben Spass an Ihrem Anderssein. Ja, doch. Die Welt lebt von Individualisten. Wenn alle gleich sein wollten, bräuchte es einen ja gar nicht mehr. Sie zeichnen ein harmonischeres Bild des Bundesrates als Aussenstehende. Die Landesregierung sei blockiert, heisst es. Sie hingegen reden von einer guten Streitkultur. Wer hat Recht? Ich merke, dass sich sehr viele Leute über den Bundesrat äussern, die gar nicht wissen wie es im Bundesrat zu und her geht. Meine Gegner werden auch in den nächsten Jahren behaupten, mit meiner Wahl in den Bundesrat sei alles schlechter geworden. Da, wo ich herkomme, gibt es wesentlich härtere Auseinandersetzungen als im Bundesrat. Dort geht es geradezu harmonisch zu. Ich halte Auseinandersetzungen für wichtig und meine, wir haben heute noch zu wenige. Ich stelle aber mit Freude fest, dass wir mehr diskutieren und das Kollegium dies gar nicht so schlimm findet. Wird der Bundesrat auf diese Weise das Land vorwärts bringen können? Ich glaube daran. Das Wichtigste überhaupt ist, dass der Bundesrat keine Fehlentscheide fällt. Und das hat er in diesem Jahr nicht. Wie erklären Sie sich, das sinkende Vertrauen in den Bundesrat seit Ihrer Wahl? Ich weiss nicht, was diese Umfragen wert sind. Ich höre aus der Bevölkerung eher das Gegenteil. Man merke, so heisst es, dass etwas gehe im Bundesrat. Vertrauen schenkt man einer Person, die sich voll und ganz für das Volk einsetzt, die sagt, was sie denkt und macht, was sie verspricht. Es ist für das Vertrauen nicht so wichtig, ob man Leuten eine Freude macht oder nicht. Nach anfänglicher Unzufriedenheit sehen sie in der Regel einen unpopulären Entscheid ein. Das habe ich als Unternehmer erlebt. Darum muss man etwas vorsichtig sein mit der momentanen Volksgunst. Kritiker sagen, Bundesrat Blocher hat nichts erreicht, er habe vor allem von Ruth Metzlers Vorarbeit profitiert? Sollen sie doch so urteilen. Ein Erfolg ist ein Erfolg - wem er zuzuschreiben ist - ist nebensächlich. Ich freue mich zum Beispiel über die ersten Erfolge in der Asylpolitik. Interessanterweise schreiben meine Gegner genau diese Erfolge meiner Vorgängerin zu, nachdem sie mich anfänglich wegen meiner zu restriktiven Asylpolitik kritisiert hatten. Die Hauptsache ist, dass ein Anfangserfolg da ist. Ich weiss, was wir in meinem Departement richtig gemacht und was wir noch zu tun haben. Das reicht. Etwas, dass Sie beschäftigen wird, ist die Zunahme von papierlosen Flüchtlingen. Wie gehen Sie dieses Problem an? Ich habe eine Vielzahl von Ideen. Es geht mir darum, dass diejenigen die Papiere haben, bevorzugt behandelt werden und beispielsweise früher zu arbeiten beginnen können als die Papierlosen. Ich habe nach drei Monaten im Amt gemerkt, dass bei der jetzigen Handhabung dumm ist, wer mit Papieren einreist. Das geht natürlich nicht. Von den echten Flüchtlingen reisen 80 Prozent mit Papieren an, bei den andern ist es gerade umgekehrt. Wie erklären Sie sich das? Die richtigen Flüchtlinge haben keinen Grund, etwas vorzuspielen oder die Papiere verschwinden zu lassen. Sie sind an Leib und Leben bedroht und wollen wirklich aufgenommen werden. Auch die Verwahrungsinitiative wird Sie im nächsten Jahr beschäftigen. Die Kritiken auf Ihren Umsetzungsvorschlag sind vernichtend. Wie soll es hier weitergehen? Nun, ich weiss gar nicht, woher Sie diese Informationen haben. Wir haben die Vernehmlassungsbilanz noch nicht veröffentlicht. Der Kanton Zürich beispielsweise beurteilt unseren Vorschlag positiv. Es ist aber sicher eine schwierige Frage, eine Gratwanderung. Insbesondere die Ärzte können die vorgeschlagene Lösung nicht mitragen. Das weiss ich schon. Die Ärzte wollen halt die Verantwortung für die Gutachten nicht tragen. Doch das werden sie früher oder später tun müssen. Ihre Bilanz über die Tätigkeit der Bundesverwaltung ist vernichtend. Sie arbeite ineffizient und deshalb müsse gespart werden. Wo liegt eigentlich die Schmerzgrenze beim Sparen in der Verwaltung? Solange die Verwaltung weniger kostet aber die gleiche Leistung bringt, tut das den Bürgern ja nicht weh. Natürlich schmerzt es die Angestellten, die man nicht mehr benötigt. Doch ich finde nicht, dass der Staat Leute beschäftigen muss, die er nicht braucht. Wie weit wollen Sie gehen? Eine Schmerzgrenze kann man nicht absolut festsetzen. Wenn man Leistungen reduzieren muss, kommt bald die politische Frage: Wie viele Aufgaben muss der Staat übernehmen. Wollen wir die Aufgaben um 10 oder 20 Prozent reduzieren? Ich möchte klare Ziele definieren und sagen: Wie war es eigentlich 1990? Alles was wir dort nicht gemacht haben, war ja auch etwas. Denn soweit ich mich erinnere, war es in der Schweiz in diesem Jahr nicht schlechter als heute. Um effizient zu sein, erwarten Sie von Ihren Angestellten den gleichen Einsatz, den Sie an den Tag legen? Nein, dass kann ich nicht verlangen. Aber innerhalb der normalen Arbeitszeit müssen Sie volle Leistung bringen. Das grössere Problem ist jedoch, dass die Leute ihre Aufgabe erfüllen, doch Sie nützen teilweise nichts. Dies, weil unter demselben Dach viele Leute ähnliche Dinge tun und nicht aufeinander abgestimmt sind. Können Sie ein Beispiel nennen? Die Personalabteilung. Beim Bund gibt es auf verschiedenen Stufen Personalabteilungen, die dasselbe tun. Hier muss man entflechten und Doppelspurigkeiten abbauen. In meinem Unternehmen mit 3000 Angestellten kam ich mit 22 Personalleuten aus. Hier sind es alleine in meinem Departement vier Mal so viele. Möchten Sie gerne als Bundesrat, der die Strukturen reformiert in die Geschichte eingehen? Weniger als Strukturreformer, aber als einer, der die Verwaltung verbessert. Als einer, der mit weniger Mitteln mehr erreicht, dass würde mir schon gefallen! Denn in der Bundesverwaltung leiden auch die Angestellten teilweise unter den Leerläufen. Die Bundesverwaltung ist das eine, der Bundesrat als Gremium das andere. Sie sprechen davon, dass Sie gut integriert sind. Wie erklären Sie sich das? Bei meinem Amtsantritt hatte ich den «worst case» vor Augen: der gefürchtete Blocher ist nun Bundesrat, also isolieren wir ihn. Ich fürchtete, dass alle meine Anträge abgelehnt und gar nicht diskutiert werden. Das ist nicht eingetreten. Es brauchte eine gewisse Anlaufzeit doch man kann zusammenarbeiten. Und dies, obwohl ich mich stark auch mit den Geschäften der anderen Departemente befasse. Ist das Verhältnis fast schon kollegial? Ja, und das ist für mich eine positive Überraschung. Obwohl ich weiss, dass einige der Kollegen meine Präsenz im Bundesrat auch heute noch nicht als angenehm empfinden. Wie ist die Zusammenarbeit mit Ihrer eigenen Partei, in der Sie vor Ihrer Wahl eine dominante Rolle gespielt haben? Nach wie vor sehr gut. Die Partei hat meinen Rollenwechsel zum Regierungsvertreter akzeptiert. Und Sie spüren ja weiterhin, dass sich die Auffassungen in groben Zügen decken. Sie haben einige Arbeitsbesuche im Ausland hinter sich. Gefällt Ihnen die diplomatische Welt mit ihren protokollarischen Gepflogenheiten? Diese Besuche gehören zu meiner Aufgabe. Sie sind weniger steif und formell, als ich gedacht habe. Bringen Sie etwas? Es ist wichtig, dass man sich kennt, weil man viel miteinander zu tun hat. Aber kritisch bin ich gegenüber grossen Kongressen. Gab es einen Minister, zu dem Sie einen speziell guten Draht gefunden haben? Ja, zum Österreichischen Innenminister Ernst Strasser, oder auch zum italienischen Kollegen Giuseppe Pisanu. Nach anfänglicher Skepsis und Reserviertheit wurde ich aber von allen gut aufgenommen. Wenn Sie so sprechen ergibt sich der Eindruck, ihr Amt mache Ihnen Spass? Ich muss sagen, es war zu Beginn sehr hart, sich in die Dossiers einzuarbeiten. Gerade in einem Departement, zu welchem ich als Mann der Wirtschaft keine direkte Beziehung habe. Doch heute spüre ich eine gewisse Freude und merke auch, dass ich etwas bewegen kann. Dann stellt sich die Frage nach einem baldigen Rücktritt von Bundesrat Blocher gar nicht. Nein, die Frage stellt sich zurzeit in der Tat nicht. Wenn alles gut geht, möchte ich bis 2026 bleiben. Bleiben wir mal im Jahr 2005. Was haben Sie für Vorsätze? Ich möchte versuchen, etwas weniger zu arbeiten als 2004. Ich hatte viele 20 Stunden-Tage und arbeitete auch am Sonntag oft. Das möchte ich nicht mehr. Einen Tag in der Woche sollte man sich freihalten. Der zweite Vorsatz ist, dass ich öfters aus dem Büro komme. Ich möchte wieder vermehrt mit Leuten sprechen, die an der Front arbeiten. In Gefängnissen, an der Grenze oder in Asylzentren.

20.12.2004

Ein Jahr im Bundesrat

Bundesrat Christoph Blocher zieht Bilanz 20.12.2004 Es gilt das gesprochene Wort I Begrüssung Meine Damen und Herren Ich habe in den vergangenen zwölf Monaten sehr viele Verantwortliche, die an der Front in den Bereichen Migration, Sicherheit, Justiz und Verwaltung arbeiten, getroffen und ihren Anliegen zugehört. Ich kann Ihnen versichern, dass sich mein Eindruck in Bezug auf die Missstände im Land bestätigt und vertieft hat. Die zahlreichen Reaktionen, die Hilferufe und Forderungen der Bevölkerung, der Kantone, der Gemeinden, sowie der Strafvollzugs- und Sozialbehörden wegen der illegalen Einwanderung, der Kriminalität, der Schuldenwirtschaft, der steigenden Defizite, sowie des geringen Wirtschaftswachstums und der Unterwanderung der Selbstverantwortung sind allesamt begründet. II Erwartungen Ich bin in den Bundesrat gegangen um folgende Hauptziele zu erreichen: - die Selbstbestimmung unseres Landes zu bewahren (und damit die Voraussetzung für einen Staat mit Handlungsfreiheit zu sichern) - einen schlanken Staat zu schaffen (und damit den Wohlstand und die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes zu sichern) - den politischen Mentalitätswechsel voranzutreiben Es war dabei mein stets offen deklarierter Anspruch, endlich die Probleme beim Namen zu nennen, um damit die Basis für gute Lösungen zu legen. 1. Die Wahl des 10. Dezembers 2003 und ihre Bedeutung In den letzten Jahrzehnten wurden stets jene Parlamentarier in den Bundesrat gewählt, die nach jahrelanger Vorarbeit Mehrheitspolitik betrieben und nicht all zu pointierte Standpunkte vertraten. Nun aber wählte die Bundesversammlung einen SVP-Vertreter in die Regierung, der als oppositioneller Unruhestifter galt. Das spricht für die ausserordentliche Situation, in der sich die politische Schweiz befand und befindet. Die Zauberformel wurde - allerdings nur vom bürgerlichen Lager - wieder hergestellt: Eine Konkordanzregierung kann nur sinnvoll funktionieren, wenn die Parteien gemäss ihrer Stärke und mit ihren profiliertesten Köpfen vertreten sind. Der neugewählte Bundesrat sucht nicht mehr von vornherein die Harmonie oder den Kompromiss. Im Gremium wird um Lösungen gerungen. Dies aus der Ueberzeugung heraus, dass eine Auseinandersetzung mit klaren Positionen zu besseren Entscheiden führt. Dazu gehört auch, dass politische Verkrustungen mit Tabuverstössen aufgebrochen werden müssen. Der Konsens steht am Schluss einer Entscheidungsfindung. Zuvor muss in möglichst freier Auseinandersetzung nach den besten Lösungen gerungen werden. Politiker sollten sich nicht als eine besondere "Klasse" sehen, weil sie sich sonst vom Volk, dem Souverän, entfremden. Diese Entfremdungstendenzen werden oft mit der wachsenden Globalisierung entschuldigt- was eine teure Ausrede ist. Globalisierung bedeutet: Global denken und lokal handeln. Das heisst in grossen Linien denken, die grossen Linien sehen, damit man im Kleinen richtig handeln kann. Dies gilt insbesondere für einen Kleinstaat. Leider wird das Gegenteil praktiziert. Es wird "klein" gedacht und zu wenig um gute Lösungen gerungen. Dafür ist man "gross" im globalen Handeln, was aber oft in nutzlosem, aber kostspieligem Aktivismus endet. Die Brauchbarkeit von Politik kann jedoch nur im Kleinen gemessen werden - wenn es etwa um den Nutzen eines neuen Lohnausweises geht. 2. Was nicht sein darf, ist nicht - oder was ist, darf nicht sein! Mein Hauptvorwurf vor der Wahl lautete: Die Probleme des Landes werden nicht gesehen oder falsch eingeschätzt. Am meisten sorgt sich die Bevölkerung zurzeit um die Arbeitslosigkeit. Doch deren Ursachen, der Ist-Zustand, die Zukunftsentwicklung und die Lösungsmöglichkeiten werden nicht ergründet. Was aber hindert die Wirtschaft daran zu florieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen? Das Grundproblem liegt in der Verregulierung aller politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Bereiche. Wer sich nur ein wenig bei den Praktikern umhört und nur etwas genauer hinschaut, weiss sofort, welche Faktoren zum Erfolg führen: Der Aufschwung findet dort statt, wo die Unternehmen steuergünstig produzieren können; wo gut ausgebildete Leute zu realistischen Löhnen zur Verfügung stehen; wo Baubewilligungen und andere offizielle Dokumente rasch auf dem Tisch liegen; wo die Verwaltung der Privatwirtschaft dient und nicht umgekehrt; wo die Unternehmen also in einem entkrampften Umfeld tätig sein können und nicht in einer alles erstickenden Regulierung. Diese Probleme werden nicht in ihrer ganzen Ernsthaftigkeit erkannt. Weshalb werden das wahre Ausmass der Staatsverschuldung und die zunehmende Regulierung der Wirtschaft nicht wirklich wahrgenommen? Weil es an Realitätssinn mangelt. Weil die herrschende political correctness die Wirklichkeit leugnet und Realisten regelrecht kriminalisiert. Ein Beispiel aus meinem Departement: - Die Realitätsverweigerer behaupten, es gäbe nicht vor allem Missbrauch beim Asylverfahren, denn alle Asylsuchenden seien bei Nacht und Nebel als Verfolgte des Heimatstaates geflohen und könnten folglich gar keine Papiere vorweisen. - Es gibt deshalb auch - laut den selben Realitätsverweigern - keine Asylsuchenden, die ihre Papiere vor dem Grenzübertritt wegwerfen, weil diese wissen, dass sie so - unter dem Schutz des Asylverfahrens - ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz ergattern können. Die Realität sieht anders aus: Die grosse Mehrheit aller Asylsuchenden werden durch organisierte Schlepper, aber auch durch Verwandte oder Bekannte ins Land geschleust. Laut dem Bericht "Illegale Migration" verfügen nur 20 Prozent der Gesuchsteller über ordentliche Ausweispapiere. Darum muss es oberstes Ziel unserer Asylpolitik sein, dass künftig nicht mehr jene belohnt werden, die sich der Papiere entledigen, die durch organisierte Kriminalität und unter Verschleierung ihrer wahren Identität in die Schweiz gelangen. 3. Fehlende Transparenz - Politik im Halbdunkel Wo der Realitätssinn fehlt, bleiben Probleme in ihrer wahren Tiefe unerkannt. Man tappt im Halbdunkeln. Nur wenn klar und transparent wird, wer weshalb welcher Meinung ist, wird die Politik für das Volk wieder fassbar und glaubwürdig. Nur die richtige Fragestellung und die schonungslose Analyse führen weiter. Das offene Benennen von Problemen ist oft bereits die halbe Lösung. Daran krankt aber die Politik und die Verwaltung. Vor dem Eintritt in den Bundesrat habe ich dies gespürt. Heute sehe ich es. III Bilanz nach einem Jahr im Bundesrat Die erwartete Isolation im Bundesrat ist nicht eingetroffen. Es hat keine Ausgrenzung meiner Person durch das ganze Gremium stattgefunden. Die Anerkennung ist grösser als erwartet, obschon ich weder mit meiner Meinung noch in der Stossrichtung meiner Kritik zurückgesteckt habe. Der Bundesrat diskutiert. Längst nicht alle meine Anliegen werden abgeschmettert, wie dies zu Beginn erwartet worden war. 1. Die Lageanalyse der Verwaltung nach einem Jahr Die Befürchtungen haben sich bewahrheitet, dass die Verwaltung überdotiert ist und zu wenig realitätsbezogen handelt. - Dies zeigt sich vor allem im einseitigen Führungsverständnis: Viele glauben, Führung bedeute, möglichst viele Entscheidungen in möglichst wenig Zeitraum zu fällen. Dabei ist das Ringen um den Entscheid das bedeutsame in der Führung. Die Entscheidung selbst ist bloss der letzte, man möchte beinahe sagen, banale Akt des Führens. Die schonungslose Problembestimmung und die tabulose Suche nach möglichst originellen Lösungsansätzen ist keine Stärke der Verwaltung. Die Fähigkeit verschiedene Varianten aufzuzeigen, ist noch zu wenig ausgebildet und an manchen Orten geradezu verpönt - es herrscht Variantenarmut statt eine lebendige Sammlung von Ideen. Wer nach Varianten etwa zum Wirtschaftswachstum oder Kostensenkungen fragt, löst leider sofort Abwehrreflexe aus und gilt als konsensgefährdender Störfaktor. - Bürgerinnen und Bürger werden zu wenig Ernst genommen. Dies zeigt sich schon im Kleinen: Die Verwaltung ist nicht erreichbar, es wird nicht zurückgerufen oder zu spät. Man regt sich eher über Bürger, die Briefe schreiben, auf, als dass man sich deren Probleme annimmt. - Es besteht die Gefahr einer Abhängigkeit von der herrschenden Mehrheitsmeinung. Allzu rasch wird nach einer Sprachregelung gerufen, wo es nichts zu regeln gibt, wo man einfach sagen müsste, wie es ist. Zu oft bestimmen die Medien in der Politik und Verwaltung das Agendasetting. - Das Kostenbewusstsein ist nicht vorhanden. Es wird nicht gefragt: Was kostet was? Wo gibt es kostengünstigere, aber dennoch gute Lösungen? Im Gegenteil: Gegen Ende Jahr muss Geld ausgegeben werden, weil es im Budget so vorgesehen ist. Entsprechend desolat zeigt sich auch der Zustand des öffentlichen Rechnungswesens. Erfreulich ist, dass der Bund wenigstens ein neues Rechnungsmodell beschlossen hat. 2. Zentrale politische Anliegen Als zentrale politische Anliegen sind zu nennen: - Wahrung der Souveränität und Schaffung von Handlungsspielraum - Gesunder Haushalt und Wirtschaftswachstum - Innere und äussere Sicherheit - Eine interessensbezogene Ausländerpolitik 2.1 Wahrung der Souveränität und Schaffung von Handlungsspielraum Es ist ein Erfolg, dass der Bundesrat den EU-Beitritt nicht mehr als strategisches Ziel bezeichnet. Gleichwohl arbeiten Regierung, Verwaltung und Parlament weiterhin auf eine EU-Mitgliedschaft hin - obschon das Stimmvolk die Beitrittsinitiative (2001) mit 77 Prozent abgelehnt hat. Hier hat sich nicht viel bewegt. 2.2 Innere und äussere Sicherheit Eine direkte Gefährdung der Schweiz durch terroristische Anschläge besteht derzeit kaum. Aber die Schweiz steht in Gefahr als Vorbereitungs- und Ruheraum für den internationalen Terror benutzt zu werden. Das Neutralitätsprinzip ist der beste Schutz vor dem globalen Terror. Die Zusammenarbeit mit den europäischen Polizeistellen wurde ausgebaut. Die Prävention von Gewalt wird verstärkt (Terrorismus, Sportveranstaltungen). Viel zu hoch ist nach wie vor die Ausländerkriminalität. Die Zuwanderung muss sich darum verstärkt nach den Faktoren Herkunft und Anzahl richten - nur so kann eine erfolgreiche Integration stattfinden. Die Revision des Ausländer- und des Asylgesetzes gehen in die richtige Richtung. 2.3 Gesunder Haushalt Das erklärte Ziel des neu gewählten Bundesrates bestand darin, einen starken Einfluss auszuüben auf die Entwicklung der Ausgaben, Kosten und Steuern. Konkret heisst das: Sanierung der öffentlichen Haushalte, Senkung von Kosten und Steuern, Schuldenabbau, Reduktion der Staatstätigkeit auf ihre Kernaufgaben. Mit dem Ziel, dass die Wirtschaft wieder besser gedeihen kann und sich Erfolg und Eigenverantwortung lohnen. Die Reduktion der Kosten, der Steuern und Abgaben, kurz - alles, was dem Wirtschaftswachstum und der Konkurrenzfähigkeit der Schweiz dient, habe ich mit aller Kraft vorangetrieben. Der Bundesrat hat das Ziel der besseren Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit in die Legislaturplanung 2005 aufgenommen. - Leider noch nicht erfolgreich war das Wirken auf die Finanzen des Bundes. Wir leben nach wie vor weit über unsere Verhältnisse und betreiben eine Schuldenwirtschaft. - Die Ausgaben wurden nur mässig erfolgreich gesenkt. - Das Kostenbewusstsein ist leicht gestiegen. Gute Erfolge haben wir auch im eigenen Departement auszuweisen. Das EJPD soll hier vorangehen, insbesondere was den Stellenetat, die Kosten und den Finanzplan betrifft. - Die wirtschaftspolitischen Erfolge sind eher gering. Immerhin hat der Bundesrat keine gravierenden Fehlentscheidungen und schwerwiegende Interventionen neu beschlossen. 2.4 Konsequente Asylpolitik Es freut mich, dass heute offen über Asylmissstände gesprochen und diskutiert werden kann. Es wurde anerkannt, dass das Asylrecht in grossem Stil missbraucht wird und rasch geändert werden muss. Diese Einschätzung teilt der Gesamtbundesrat und er hat deshalb einen Teil der notwendigen Verschärfungen beschlossen. (Vgl. Kapitel V "Bilanz im EJPD") 3. Positive Entkrampfung Erfreulich ist zudem die enorm veränderte politische Mentalität. Die Verhältnisse haben sich positiv entkrampft. - Ein Beispiel dafür ist das Funktionieren der Regierung. Es wird untereinander anders kommuniziert. Das macht die Politik offener und transparenter für die Bürgerinnen und Bürger. So können Entscheidungen besser nachvollzogen werden. - Es wird direkter über Probleme gesprochen. Begriffe wie "Scheininvalide" werden über die Parteigrenzen hinweg und in der Öffentlichkeit verwendet, um ein Problem zu beschreiben, das tatsächlich existiert. - Andersdenkende können weniger ausgegrenzt werden, auch im Bundesrat nicht. - Die Wirklichkeit ist stärker als die Verdrängungsversuche seitens der Mainstream-Presse und der political correctness. IV Bilanz im Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) 1. Erste Schritte zu einem schlanken Staat Ich bin mit dem festen Willen angetreten innerhalb der Verwaltung ein aktives Kostenbewusstsein durchzusetzen, auch in den kleinen Bereichen. An Stelle einer hochtrabenden Staatsleitungsreform, die den Verwaltungsapparat noch weiter aufgebläht, ist eine umfassende Reform der Verwaltung beschlossen worden. Es muss für die Bürgerinnen und Bürger sichergestellt sein, dass jeder Steuerfranken sinnvoll eingesetzt wird. Dafür müssen die oft verschlungenen Wege der Entscheidfindung vereinfacht und die Führung der Verwaltung verbessert werden. (Vgl. Beilage 3.1 Staatsleitungsreform) 2. Justiz- und Polizeidepartement - Erfolge bei Finanzen und Personal Das Budget 2004 des EJPD betrug 1,493 Milliarden Franken. Das EJPD wird um etwa 60 Millionen Franken besser abschliessen. Die Ausgaben 2005 werden trotz Lohnerhöhungen und zusätzlichen gesetzlichen Anforderungen erneut gesenkt werden können. Der Personalbestand des EJPD wurde reduziert. Per 30 November 2004 sind gegenüber 31. Dezember 2003 110 Stellen weniger zu verzeichnen. Allerdings kamen im selben Zeitraum 59 neue Stellen für das Projekt "EffVor" dazu (vor dem 1.1.2004 beschlossen). 3. Erste Erfolge in der Asylpolitik - Probleme bleiben Das Ziel die Zahl der Asylgesuche zu senken ist erreicht worden. Der Rückgang dauerte auch im Herbst an, einem Zeitraum mit sonst ansteigenden Gesuchszahlen. Im Oktober 2004 lag die Zahl unter 1'000, im November unter 900 Gesuchen (883 Gesuche) Seit April dieses Jahres hat die Schweiz die grösste Abnahme zu verzeichnen. Die Gründe für die erfreuliche rückläufige Gesuchsentwicklung in der Schweiz dürften die folgenden sein: - Kürzere Behandlungsfristen, da mehr Entscheide in den vier Empfangsstellen des Bundes gefällt werden und besser darauf geachtet wird. - Seit dem 1. April 2004 erhalten Personen, auf deren Asylgesuch nicht eingetreten wird, keine Sozialhilfe mehr. - Rückschaffungen werden konsequenter ausgeführt. Ein grosses Problem besteht jedoch weiterhin bei der Identitätsfeststellung. Rund 80 Prozent der Asylsuchenden haben auch dieses Jahr bei der Einreichung ihres Gesuchs keine Papiere vorgewiesen. Bei den anerkannten Flüchtlingen haben jedoch 80 Prozent Identitätspapiere. Zudem konnten etliche neue Rückführungsabkommen abgeschlossen werden. 4. Justizreform auf gutem Weg Einer Arbeitsgruppe unter Führung des EJPD gelang es die Probleme rund um das Bundesgerichtsgesetz zu lösen. Das Bundesstrafgericht in Bellinzona hat seine Arbeit mit reduziertem Personalbestand aufgenommen, da die Auslastung noch unklar ist. Der Bau eines neuen Gerichtsgebäudes ist vorerst bis im Frühling 2005 sistiert. V Ziele 2005 Das wichtigste Ziel 2005 bleibt der politische Mentalitätswechsel: An erster Stelle steht die gründliche Analyse eines Problems, sonst ergibt sich keine gute Lösung. Dies bedingt einen ungeschminkten Blick auf die Realität und einen echten Variantenreichtum an Problemlösungsideen. Dieses Vorgehen hat nichts mit Links oder Rechts oder sonst einer Ideologie zu tun. Erst wenn das Problem für alle transparent und damit einsichtig ist, sind die Leute sensibilisiert und offen für neue Lösungen. Ein Höchstmass an Mitwirkung ist gegeben. - Verwaltung entsprechend dem Hauptziel schulen in Führung, Auftragserledigung und Entscheidfindung - Problembewusstsein und offenes Denken in der Verwaltung steigern. - Verstärktes Kostenbewusstsein in Politik und Verwaltung. - Bürgernähe statt Verwaltungsnähe. Die Verwaltung hat den Bürgern zu dienen und nicht umgekehrt. - Ausgaben bei Bund und Kantonen senken. Als Voraussetzung für niedrige Steuern, Abgaben und Prämien. Damit das Geld in der Wirtschaft und bei den Bürgern bleibt und nicht im Umverteilungsstaat versickert. - Bund: Keine Einnahmen und Ausgaben erhöhen! Aus der Überzeugung heraus, dass Wirtschaftswachstum nur möglich ist, wenn die Finanzen gesund sind. - Druck auf die Kosten verstärken. Im EJPD werden die Ressourcenbereiche (Information, Informatik, Personal, Finanzen, Logistik) unter die Lupe genommen. Ziel des Projektes ist die Konzentration auf die zwingend nötigen Aufgaben. - Das EJPD geht voran - Kostenreduktion auch im Kleinen! Die dem Departement zugehörigen Institute müssen eine Erhöhung der Eigenwirtschaftlichkeit erreichen. Das Institut für Geistiges Eigentum (IGE) wird auf den Beitrag des Staates in der Höhe von 3 Millionen Franken verzichten müssen. - Asylpolitik Konsequente Umsetzung der verschärften Gesetzgebung. Der Sozialhilfestopp muss auf alle Asylsuchenden ausgedehnt werden, die kein Aufenthaltsrecht haben. Nächster Schritt: Der konsequente Vollzug von Asylentscheiden.

16.12.2004

Bern II Konferenz

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Bern II Konferenz, von Donnerstag, 16. Dezember 2004, in Bern 16.12.2004, Bern Es gilt das gesprochene Wort Begrüssung Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren Im Namen der Schweizer Regierung begrüsse ich Sie zu dieser zweiten internationalen Konferenz der Berner Initiative. Ich freue mich über Ihr grosses Interesse. Die Internationale Agenda für Migrationsmanagement (IAMM) Die Berner Initiative wurde im Juni 2001 gegründet. Sie ist seither weltweit auf grosses Interesse gestossen. Insbesondere in den letzten 6 Monaten, in deren Verlauf sie von zahlreichen Regierungen begutachtet werden konnte. Die Ansichten von Regierungsvertretern aller Weltregionen wurden in die "Internationale Agenda für Migrationsmanagement" (IAMM) aufgenommen, welche nun vorliegt. Ich hoffe, dass dieses repräsentative Dokument nun sowohl Ziel- als auch Herkunfts- oder Transitstaaten als Referenzsystem dienen wird. Bei der Agenda für Migrationsmanagement handelt es sich um ein unverbindliches Dokument, welches nicht in einem Verhandlungs- sondern in einem Konsultationsprozess erstellt wurde. Die Berner Initiative anerkennt explizit die Souveränität der Staaten im Bereich der Migrationskontrolle. Sie macht aber auch deutlich, wie wichtig eine verstärkte Zusammenarbeit zur Lösung der Migrationsprobleme ist. Migration als internationale Herausforderung Die internationale Migration stellt eine der bedeutendsten Herausforderungen unserer Zeit dar. Die Zahl der weltweiten Migranten wird in den nächsten Jahren kaum abnehmen: Einkommensunterschiede zwischen den Regionen, unterschiedliche Geburtenraten, Krisen, Konflikte, Umweltkatastrophen und kriegerische Auseinandersetzungen mit entsprechenden Flüchtlingsströmen können nicht ausgeschlossen werden. Dazu kommt, dass die Globalisierung, die leichteren Reisemöglichkeiten und billigen Transportmöglichkeiten die Migration begünstigen. Unkontrollierte "Migration" stellt die Herkunfts-, Transit- und Zielstaaten vor Herausforderungen: Fragen nach der Integration von Migranten in die Gesellschaften ihrer Zielstaaten, der Durchführung von Grenzkontrollen, Fragen der nationalen Sicherheit und Fragen nach der Rückübernahme von Personen durch ihre Heimatstaaten sowie der Schutz von Migranten vor krimineller Ausbeutung zählen dabei zu den Hauptproblemen. Demgegenüber kann eine gelenkte Migration auch Nutzbringend sein. Sie kann sowohl zum Wohlstand der Zielstaaten als auch der Herkunftsstaaten beitragen. In den Zielstaaten sind die Migranten als Arbeitskräfte willkommen und ein Teil des erarbeiteten Vermögens fliesst in die Herkunftsländer zurück. Die Situation in der Schweiz Diese Fragen beschäftigt auch die Schweiz. Erlauben Sie mir daher einen Blick auf unsere Situation: Die Schweiz weist eine der höchsten Ausländerquoten aus: 20 % der Gesamtbevölkerung sind Ausländer. Auch im Bereich der Asylgesuche lag die Schweiz in den OECD-Staaten an der Spitze. Ins Gewicht fällt auch die Arbeitsmigration: Jede vierte erwerbstätige Person in unserem Land ist Ausländerin oder Ausländer. Die Integration der Ausländerinnen und Ausländer in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft funktioniert im Allgemeinen gut. Trotzdem gibt es auch Probleme: Die Arbeitslosigkeit ist bei Ausländerinnen und Ausländern mehr als doppelt so hoch wie bei Einheimischen. Vielen ausländischen Jugendlichen bereitet der Übergang von der obligatorischen Schule zur Berufslehre grosse Mühe. In den Städten stellt die hohe Zahl von fremdsprachigen Kindern aus zahlreichen Kultur- und Sprachgebieten in vielen Schulklassen ein Problem dar. Negative Schlagzeilen über Gewalttätigkeiten unter Jugendlichen unterschiedlicher Nationalität und die hohe Ausländerkriminalität führen in weiten Kreisen der Bevölkerung zu Verunsicherung. Gesetzesrevisionen Auch wenn ein bedeutender Teil der heutigen Asylsuchenden nicht mehr dem Bild des klassischen Flüchtlings entspricht, wie es 1951 für die Flüchtlingskonvention entworfen wurde, gibt es auch heute noch Menschen, die an Leib und Leben gefährdet sind und unseren Schutz brauchen. Die Schweiz wird auch in Zukunft verfolgten Menschen Schutz gewähren. Aber Menschen welche ohne asylrelevante Gründe in die Schweiz kommen, müssen so schnell wie möglich in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Internationales Engagement In vielen Fällen werden Migranten von Schleppern ausgenützt. Um diesem Problem entgegenzutreten, unterstützt die Schweiz die Convention Plus Initiative des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge und hat zusammen mit Südafrika die Co-Leitung des Projekts "Irreguläre Zweitbewegungen von Flüchtlingen und Asylsuchenden" übernommen. Die Schweiz hat sich ferner aktiv für die Einsetzung der "Global Commission on International Migration" engagiert, welche im Dezember 2003 gegründet wurde. Eine der Hauptaufgaben der Kommission ist es, die Migrationsthematik nachhaltig in die globale politische Agenda einzubringen. Und schliesslich ist auch die Berner Initiative ein Teil des Schweizerischen Beitrages an die globale Migrationsdebate. Ziel der Konferenz Mit der heutigen Konferenz hat die Berner Initiative: "Steuerung der internationalen Migration durch Zusammenarbeit", zu welcher wir mehr als 100 Staaten eingeladen haben, einen entscheidenden Punkt erreicht. Ziel dieser zweitägigen Diskussionen ist es, die Agenda den teilnehmenden Regierungsvertretern zu überreichen und sie als Arbeitsinstrument für den Migrationsdialog auf nationaler, regionaler oder globaler Ebene zu empfehlen. Von Bedeutung wird aber auch die Debatte über die weitere Entwicklung des Prozesses der Berner Initiative sein, welche von zahlreichen Partnerstaaten gewünscht wurde. Hier stellen sich folgende Fragen: - Wie können und sollen die Resultate des Prozesses auf regionaler und globaler Ebene verwendet werden? - Welche Rolle kann und soll die Berner Initiative im Rahmen der UNO Debatte über die Herausforderungen der internationalen Migration einnehmen, welche für den Herbst 2006 vorgesehen ist? - Wie soll die vorliegende Agenda der "Global Commission on International Migration" als Ergänzung ihres Berichtes zuhanden des UNO Generalsekretärs Kofi Annan im Herbst 2005 zur Verfügung gestellt werden? Ich wünsche ihnen für Ihre Arbeit in den kommenden zwei Tagen viel Erfolg und danke Ihnen für die Unterstützung, welche Sie im Rahmen der Berner Initiative geleistet haben.

19.11.2004

Die aktuelle Lage in der Asylpolitik

Referat von Herrn Bundesrat Christoph Blocher an der Jahresversammlung der Sozialdirektorenkonferenz (SODK) am 19. November 2004, in Neuenburg 19.11.2004, Neuenburg Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrte Damen und Herren Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren Ich danke Ihnen für die Einladung zu Ihrer Jahreskonferenz und benutze gerne die Gelegenheit, eine Standortbestimmung in der Schweizerischen Asylpolitik vorzunehmen. 1. Entspannung in der Asylpolitik? 1.1 Rückläufige Gesuchszahlen Ich beginne mit dem Erfreulichen: Die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz ist in den ersten 10 Monaten dieses Jahres weiter gesunken. Besonders ausgeprägt war dieser Rückgang in den letzten zwei Monaten dieses Jahres: Seit dem Frühjahr sind die monatlichen Asylgesuchszahlen in der Schweiz um 29 Prozent zurückgegangen. Dieser Trend dauerte auch im Herbst an, einem Zeitraum, in dem bisher immer ein Anstieg der Gesuchseingänge zu verzeichnen war. Das ist bemerkenswert: Denn Länder wie Schweden, Norwegen oder Holland haben im gleichen Zeitraum eine Zunahme zu verzeichnen, andere stagnierten. Nur in Deutschland sanken die Asylgesuchszahlen ebenfalls, allerdings nur um minus 8 Prozent. Dies ist eine neue, interessante Entwicklung. Noch während des vergangenen Winters entsprach die Entwicklung der Asylgesuche in der Schweiz in etwa dem europäischen Durchschnitt, wobei der Rückgang in unserem Land geringer war, als in andern europäischen Ländern. Der Rückgang, der weit höher ist als der anderer europäischer Länder, dürfte auf 3 Gründe zurückzuführen sein: Bei aller Vorsicht in der Interpretation der Daten: 1. Seit dem 1. April dieses Jahres sind in der Schweiz Personen, auf deren Asylgesuch nicht eingetreten wurde, von der Sozialhilfe ausgeschlossen. 2. Auch wirkt sich der höhere Druck auf eine konsequente Vollzugspolitik aus. 3. Schliesslich trägt auch die Beschleunigung des Asylverfahrens dazu bei, welche dadurch erreicht wurde, dass mehr Entscheide in den vier Empfangsstellen des Bundes gefällt werden. Dass die Reduktion der Sozialleistungen an die Asylsuchenden und die konsequente Handhabung des Asylverfahrens die Gesuchszahlen senken, deckt sich mit der Erfahrung anderer Länder (Dänemark, Norwegen, Holland, Deutschland). 1.2 Bestandeszahlen Weniger ausgeprägt ist der Rückgang der Bestandeszahlen: Ende Oktober 2004 hielten sich rund 57'000 Personen des Asylbereichs in der Schweiz auf. Ende August waren es erstmals seit 1990 weniger als 60'000 Personen. Immerhin sind mehr Personen aus dem Asylprozess ausgeschieden als neu dazugekommen. Allerdings ist der Rückgang von rund 12% gegenüber dem Bestand des Vorjahres ungenügend. Das zeigt der Blick auf die Zusammensetzung der anwesenden Personen aus dem Asylbereich. Der Bestand setzt sich zusammen aus: - 7'000 Personen, deren Gesuch erstinstanzlich hängig ist, (Okt.03/04 -37,9 Prozent) - 11'400 Personen, deren Gesuch noch nicht rechtskräftig ist (-11,8 Prozent) - 15'000 Personen im Vollzug (- 10 Prozent) - und 23'000 vorläufig Aufgenommenen. (-0,8 Prozent) Hierzu ist folgendes zu sagen: Vor allem der Rückgang der Vollzugspendenzen von minus 10 Prozent ist noch ungenügend, ebenso der Rückgang der Pendenzen bei der Asylrekurskommission (ARK) von nur 11,8 Prozent. In der Schweiz leben insgesamt rund 20'000 anerkannte Flüchtlinge, welche nicht mehr im Asylprozess sind und deshalb in den Bestandstatistiken des BFF nicht mitgezählt werden. Dazu kommen rund 4'500 Flüchtlinge, welche sich noch in der finanziellen Zuständigkeit des Bundes befinden. Die übrigen Flüchtlinge haben vor mehr als fünf Jahren Asyl erhalten und sind in die Zuständigkeit der Kantone übergegangen. 1.3 Unbefriedigende Situation bei der Zahl der papierlosen Asylsuchenden Ganz unerfreulich ist die mangelnde Bereitschaft der Asylsuchenden ihre Identität offen zu legen. Rund 80% der Asylsuchenden weisen keine Papiere vor. Derzeit befinden sich rund 10'200 Personen - also etwa gleich viel wie vor einem Jahr - im Prozess der Papierbeschaffung. Diese Arbeit ist äusserst aufwendig, kostenintensiv, personalintensiv und führt in vielen Fällen nicht zum Erfolg. Dies deshalb, weil eine grosse Anzahl von Asylsuchenden sich der Ausschaffung widersetzt, untertaucht oder sich plötzlich als Angehörige eines anderen Staates erklärt. In all diesen Fällen sind die beschafften Papiere hinfällig und so auch die investierte Arbeit. Obwohl die Asylgesuche im vergangen Jahr gesunken sind, ist die Zahl derjenigen Personen, die sich im Prozess der Papierbeschaffung befinden, praktisch gleich geblieben. Dies zeigt, dass alles daran gesetzt werden muss, dass die Asylsuchenden bereits zu Beginn des Asylverfahrens Papiere einreichen, damit der aufwändige Prozess der Papierbeschaffung entfällt. 2. Die aktuelle Diskussion zum Thema Sozialhilfestopp und Nothilfe Das Solothurner Verwaltungsgericht hat am 10. November in vier Fällen entschieden, dass der Bezug der Nothilfe in Fällen unkooperativen Verhaltens der Ausreisepflichtigen unter Umständen verweigert werden darf. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat am 15. November 2004 gerade gegenteilig entschieden, und die Beschwerde von fünf Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid gutgeheissen, denen der Kanton Bern die Nothilfe wegen unkooperativen Verhaltens verweigert hat. Für eine einheitliche Praxis muss eventuell das Bundesgericht in Lausanne sorgen. Ich halte hier mit aller Deutlichkeit fest, dass die Gewährung von Nothilfe lediglich in Nothilfesituationen zu erfolgen hat und dass es sich dabei um eine punktuelle, zeitlich befristete Unterstützung handeln muss. Falsch ist es aber, die Nothilfe als eine Art Sozialhilfesystem auf tiefem Niveau aufzuziehen und damit falsche Anreize zu schaffen. Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid müssen die Schweiz selbstverantwortlich und unverzüglich verlassen, denn sie haben keine Aufenthaltsbewilligung. Sie sind illegal hier. Sie können bei der Vorbereitung der Ausreise organisatorische und finanzielle Unterstützung beanspruchen, haben aber keinen Anspruch auf weitere Unterstützung. 2.1 Monitoring Das Bundesamt für Flüchtlinge überprüft zusammen mit den Kantonen in einem Monitoring die Folgen des Ausschlusses von Personen mit rechtskräftigem Nichteintretens- und Wegweisungsentscheid aus dem Sozialhilfesystem. Der Bericht über die Erhebungen der ersten drei Monate (April bis Juni 2004) nach Inkrafttreten der Entlastungsmassnahmen liegt vor. Dieser erste Bericht entstand nicht zuletzt dank der Mithilfe der kantonalen Kontaktpersonen, also auch Ihren Mitarbeitenden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die seit 1. April 2004 geltende Regelung der Nothilfe zu keinen grösseren Problemen geführt hat. Auch im Gesundheitsbereich nicht. Insgesamt sind während dieser drei Monate 1'788 Nichteintretensentscheide in Rechtskraft erwachsen. Für 273 Personen oder 15% der Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid mussten die Kantone Nothilfe ausrichten. Unter denjenigen Personen, welche ihr Gesuch nach dem 1. April 2004 eingereicht haben, forderten nur rund 8% Nothilfe. Es ist nochmals zu betonen: Der Sinn der Regelung ist nicht der Bezug der Nothilfe, sondern die Heimreise derjenigen, auf deren Asylgesuch rechtskräftig nicht eingetreten wurde. Die Kosten für individuelle Nothilfe, die mit dem Monitoring erfasst wurden, beliefen sich in den Kantonen in diesem Zeitraum auf rund 162'000 Franken. Zusätzlich wurden jedoch in 13 Kantonen Nothilfestrukturen errichtet, welche Kosten von 449'000 Franken verursacht haben. Das sind keine guten Investitionen: Der Aufbau von speziellen und zusätzlichen Nothilfestrukturen könnte zu einer erhöhten Nachfrage nach Nothilfe führen, was nicht das Ziel der neuen Regelung ist. Ohne diese nicht gerechtfertigten Kosten, entstanden den Kantonen für die Nothilfe somit Kosten in der Höhe von 162'000 Franken. Dabei ist zu beachten, dass Erhebungsverzögerungen sowie Kosten, welche in den ersten Monaten noch nicht abgerechnet werden konnten (insbesondere im medizinischen Bereich), noch zu einer Korrektur führen dürften. Die Nothilfe- und Vollzugspauschalen, die der Bund den Kantonen für den gleichen Zeitraum ausrichtet, belaufen sich auf 1'072'000 Franken. Aufgrund des Vergleichs der Nothilfekosten von ca. 200'000 Franken mit den Bundesabgeltungen in der Höhe von etwas mehr als einer Million Franken ist daher nicht davon auszugehen, dass die Kantone bisher (April 2004 - Juni 2004) von einer nicht kompensierten Kostenverlagerung betroffen waren. Weiter wurde im Monitoring die Dauer des Verfahrens beleuchtet: Von den 1'788 Nichteintretensentscheiden, die von April 2004 bis Juni 2004 in Rechtskraft erwachsen sind, hat das Verfahren bei rund 20% der Personen länger als 6 Monate gedauert (bei gut 7% sogar länger als 1 Jahr). Besonders die Anwendung der neuen Massnahmen auf Personen, die sich lange Zeit in der Schweiz aufhalten und damit ihr Gesuch vor dem 1. April 2004 eingereicht hatten, gestaltet sich für die Kantone und Betroffenen weniger einfach als für die neuen Gesuche. Für diese Personengruppe haben die Kantone grosse Anstrengungen unternehmen müssen und tun dies auch weiterhin, damit diese die Schweiz auch tatsächlich bis Ende dieses Jahres verlassen. Solche Fälle werden jedoch in der Zukunft immer seltener sein. Die Einführung des Sozialhilfestopps bei Personen, die ihr Gesuch nach dem 1. April 2004 gestellt haben, ist vergleichsweise gut verlaufen und es ergaben sich keine grösseren Schwierigkeiten. Eine besondere Problemlage besteht bei den unbegleiteten Minderjährigen. Die Kantone müssen diese wegen des übergeordneten internationalen Rechts unterbringen (Kinderschutzkonvention), erhalten vom Bund aber keine Sozialhilfepauschalen mehr. Das BFF hat diese Problematik erkannt und prüft Lösungen. Schliesslich wurde das Verhalten der betroffenen Personen in den Empfangstellen und den Kantonen sowie gegenüber den Hilfswerken betrachtet. Den Empfangsstellen bringen die neuen Massnahmen bis anhin keine Probleme, weder bezüglich Umsetzung noch bezüglich Auswirkungen. Die Asylsuchenden verhalten sich nach Erhalt des Nichteintretensentscheides im Grossen und Ganzen ruhig und verlassen in aller Regel die Empfangsstelle von sich aus. Mit Hilfe von qualitativen Interviews sollen weitere Auswirkungen des Sozialhilfestopps eruiert werden. Diese Erkenntnisse werden in den Monitoring Jahresbericht Eingang finden, der Mitte 2005 erscheinen wird. Vorher werden zwei weitere Quartalsberichte publiziert, der nächste voraussichtlich Ende 2004. 2.2 Kriminalität Im Monitoringbericht wurde auch die Frage nach allfällig veränderten Verhaltensstrategien der Personen mit einem rechtskräftigen Nichteintretensentscheid bezüglich Ausreise, Delinquenz und Schwarzarbeit betrachtet. Auch wenn eine abschliessende Beurteilung zur Zeit noch nicht möglich ist, lässt sich sagen, dass innerhalb der ersten 3 Monate 200 Personen (das sind 11%) aller Personen mit einem Nichteintretens-Entscheid, insgesamt 265 Mal durch die Polizei angehalten worden sind. Bei 39 Prozent der Anhaltungen ist ausschliesslich der illegale Aufenthalt der angehaltenen Person festgestellt worden. Daneben führten insbesondere Betäubungsmitteldelikte, geringfügiger Diebstahl sowie Hausfriedensbruch zu Anhaltungen durch die Polizei. Bezogen auf alle erfassten Personen mit Nichteintretens-Entscheid ist die von April 2004 bis Juni 2004 beobachtete Delinquenz der Personen mit rechtskräftigem Nichteintretens-Entscheid eher tief. Er betrug 1,1 Prozent bei Diebstahldelikten und 1,6 Prozent bei Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz. Diese Zahlen liegen weit unter den Deliktsraten der Asylsuchenden generell. 3. Geplante Massnahmen zur Bekämpfung von Missbräuchen Die unbefriedigende Situation in einzelnen Bereichen des Asylverfahrens erfordern weitere Massnahmen. Ich habe deshalb dem Bundesrat auf dringende Bitte seitens der Kantone am 25. August 2004 einige Änderungen in der Vorlage zur Teilrevision des Asylgesetzes vorgeschlagen, welchen er in den wesentlichen Punkten zugestimmt hat. Neben der Asylgesetzrevision braucht es weitere Anstrengungen wie den Abschluss von Rückübernahmeabkommen oder die Konzentration der Kräfte im Migrationsbereich durch die Schaffung des Migrationsamtes. Die laufende Asylgesetzrevision, beinhaltet gemäss Botschaft eine Reihe von wesentlichen Änderungen: - Neue Haftbestimmungen - Die humanitäre Aufnahme an Stelle der heutigen vorläufigen Aufnahme - Ein neues Finanzierungsmodell - Die Ablösung des Sicherheits- und Rückerstattungssystems (SiRück) durch ein vereinfachtes System - Anpassungen im Bereich der Krankenversicherung mit dem Ausschluss der Asylsuchenden aus dem Risikoausgleich Der Bundesrat hat zudem am 25. August 2004 beschlossen, die folgenden Ergänzungs- und Änderungsanträge in die Staatspolitische Kommission des Ständerates einzubringen. Im Bereich der Zwangsmassnahmen sind dies: - Die Verlängerung der Maximaldauer der Ausschaffungshaft - Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Ein- und Ausgrenzung und - die Einführung der kurzfristigen Festhaltung, dies insbesondere zur Klärung der Identität. Im Bereich der Beschleunigung von Asylverfahren: - Die Änderung des Nichteintretenstatbestandes bei Papierlosen - Die Einführung von Gebühren im Wiedererwägungs-Verfahren vor dem BFF - Die Erweiterung der Datenbekanntgabe im Rahmen des Weg- und Ausweisungsvollzugs - und Massnahmen zur Beschleunigung von Beschwerdeverfahren Schliesslich im Bereich von sozialpolitischer und finanzrelevanter Massnahmen: - Einen Sozialhilfestopp für alle Personen mit einem rechtskräftig negativen Asylentscheid. Als Folge der Ausdehnung des Sozialhilfestopps auf alle abgewiesenen Asylsuchenden befürchtet eine Mehrheit der Kantone eine Kostenverlagerung auf die Kantone. Sorgen bereiten insbesondere jene Personen, welche sich bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorgeschlagenen Massnahmen in der Vollzugsphase befinden. Ich habe diese Bedenken ernst genommen und dem Bundesrat eine Übergangsregelung unterbreitet, wonach der Bund den Kantonen die Sozialhilfe noch während längstens drei Jahren ab Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung pauschal rückerstattet. Die Kantone können damit selbst bestimmen, wen sie wann aus der Sozialhilfe ausschliessen. Damit erhalten sie den nötigen Spielraum um den Sozialhilfestopp ihren Möglichkeiten entsprechend umzusetzen und der Situation von besonders verletzlichen Personen Rechnung zu tragen. Sind einzelne der betroffenen Personen nach drei Jahren immer noch in der Schweiz, erhält der Kanton in jedem Fall die Nothilfepauschale. Für Personen, die nach Ablehnung ihres nach Inkrafttreten der neuen Regelung eingereichten Asylgesuchs die Schweiz verlassen müssen, wird eine einmalige Pauschale ausgerichtet. Die Höhe der Nothilfepauschale wird auf Verordnungsstufe zu regeln sein. Eine Erhöhung gegenüber dem im Rahmen der informellen Konsultation vorgesehenen Betrag wird angesichts ihrer Rückmeldungen geprüft. Mit der neuen Übergangsregelung und mit einer allfälligen Anhebung dieser Nothilfepauschale sollte es den Kantonen ohne Kostenverlagerung möglich sein, das neue Konzept umzusetzen. 4. Rückübernahmeabkommen Die Rückkehr abgewiesener Asylsuchender ist weiterhin ein vorrangiges Ziel. Um die Rückkehr in gewisse Herkunftsländer zu deblockieren braucht es Abkommen mit diesen Staaten. In den vergangenen Jahren wurden rund 20 Abkommen abgeschlossen. In diesem Jahr traten ein Rückübernahme-Abkommen mit Moldavien und der Ukraine in Kraft. Unterzeichnet wurde ein Abkommen mit Slowenien. Mit Georgien und Libanon wurden dieses Jahr Abkommen bereit zur Paraphierung. Zurzeit sind zudem mehrere Abkommen in Vorbereitung und Verhandlung, insbesondere mit Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie einigen afrikanischen Staaten. 5. Die Zusammenlegung vom Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) und vom Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (IMES) Seit 1. Januar 2004 amte ich als Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes. Am 7. Juni 2004 hat der Bundesrat der Zusammenlegung des BFF und des IMES im Grundsatz zugestimmt und am 3. November 2004 Herrn Eduard Gnesa zum Direktor des neuen Amtes gewählt. Ab 1. Januar 2005 wird das Bundesamt für Migration in seinen neuen Strukturen operationell sein. Weshalb diese Zusammenlegung und was soll damit erreicht werden? Eine Analyse der Situation im Asyl- und Ausländerbereich zeigt deutlich, dass nur mit einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise die Probleme im Migrationsbereich gelöst werden können. Die Zusammenlegung der beiden verantwortlichen Ämter ist deshalb ein logischer Schritt weg von einer getrennten Behandlung des Ausländer- und Asylbereichs. Die Idee der Fusion ist nicht neu und stand seit Jahren immer wieder zur Diskussion. Nun wird diese überfällige Zusammenlegung realisiert. 6. Die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen In den letzten Monaten ist es offenbar in den Kantonen und in den verschiedenen Konferenzen zu einer gewissen Verunsicherung gekommen. Die einleitenden Ausführungen Ihrer Präsidentin, Frau Staatsrätin Lüthi, haben dies deutlich gemacht. Der Bund und die Kantone müssen noch besser zusammenarbeiten. Das gemeinsame Tragen der jeweiligen Politik ist deshalb zentrale Voraussetzung für das Funktionieren unseres Staatswesens. Ich habe in den letzten 10 Monaten besonders intensiv mit den Kantonen und besonders intensiv im Asyl- und Sicherheitsbereich zusammengearbeitet. Allerdings sind meine Hauptansprechpartner die Justiz- und Polizeidirektoren. Auch die neuen Asylvorschläge sind auf Wunsch der Kantone entstanden. Und sie wurdenden Kantonen in einer erneuten Konsultation unterbreitet. Was heisst das konkret? - Wir brauchen regelmässige Kontakte und einen offenen Dialog. In welcher Form dieser am besten sichergestellt werden kann, muss noch festgelegt werden. Am Schluss sind es natürlich die Gesamtregierungen, welche die Stellungnahmen abgeben. - Städte und Gemeinden sind keine institutionellen Partner des Bundes, spielen aber heute in vielen Bereichen, insbesondere auch im Migrationsbereich eine wesentliche Rolle und ihr Einbezug ist unerlässlich. In welcher Form die Kantone diesen Einbezug sehen, ist Ihrer Initiative überlassen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.