«Ist unsere Armee nur für den Krieg da?»
Streitgespräch mit Nationalrat Gerold Bührer im “Landboten” vom 12. Mai 2001
Christoph Blocher wünscht sich beim Militärgesetz ein Stoppsignal des Volkes, damit unsere Armee nicht für Kriegseinsätze im Ausland eingesetzt werden kann. Für den neuen FDP-Chef Gerold Bührer ist neben der Verteidigung auch “Sicherheit durch Kooperation” ein Pfeiler unserer Sicherheitspolitik.
Interview: Andreas Widmer (Redaktion) und Walter Bührer
Was steht am 10. Juni auf dem Spiel?
Christoph Blocher: Die beiden Vorlagen sollen die Rechtsgrundlage für die Armee XXI werden, damit man die Schweizer Armee für Kriegseinsätze in Europa vorbereiten kann. Unsere Armee ist aber da zum Schutz von Land, Volk und Freiheit. Unser Bundesrat und unsere Generäle müssen durch zwei-mal Nein gezwungen werden, sich streng an die Schweiz zu halten und keine Kriegsspiele im Ausland zu betreiben.
Gerold Bührer: Es geht darum, dass wir bei Militäreinsätzen im Ausland, die jetzt schon zulässig sind, eine Bewaffnung zum Selbstschutz auf Verbandsebene einführen können – bei Einzelpersonen war das auch schon bisher gesetzlich möglich. Auch bei der Ausbildungszusammenarbeit steht nichts grundlegend Neues zur Debatte: Dort geht es um eine Vereinfachung der Verfahren.
Ist es Schweizer Soldaten im Ausland nicht zuzubilligen, sich im Notfall wie alle andern mit der persönlichen Waffe zu wehren?
Blocher: Diejenigen, die heute in Kosovo sind, haben schon einen Bestand an persönlichen Waffen. Die Frage ist, ob wir Kampfverbände in Gebiete schicken sollen, wo Krieg herrscht. Wir haben über-haupt keine Soldaten – ob bewaffnet oder unbewaffnet – in ausländische Konfliktgebiete zu schicken! Wer schiesst, wird immer Partei. Entweder führt man den Kampf oder man macht humanitäre Hilfe; es gibt keinen fliessenden Übergang “Selbstschutz”. Soldaten im Ausland gefährden neutrale humanitäre Hilfe.
Bührer: Mit Kampfverbänden hat das ganz und gar nichts zu tun – sonst wäre ich auf der Seite von Herrn Blocher. Es geht um Friedenserhaltung und Stabilität. Friedenserzwingende Einsätze sind aus-drücklich ausgeschlossen. Die Truppen, welche wir jetzt in Kosovo haben, sind im rückwärtigen Raum als Zubringer für Treibstoff, für den Brückenbau usw. eingesetzt, für Pionierarbeiten.
Herr Bührer, könnte die Schweiz mit nicht militärischen Mitteln für das gleiche Geld nicht mehr ausrichten?
Bührer: Das ist falsch gefragt – es braucht beides. Nehmen wir die Balkan-Krise. Dank dem Einsatz militärischer Kräfte konnte dort eine Stabilisierung erreicht werden. Erst sie erlaubte dann die Entfal-tung der zivilen Unterstützung. 19 Nato- und 20 Nicht-Natoländer (darunter alle Neutralen) sorgen dort für eine gewisse Ordnung. Damit haben sie auch bewirkt, dass wir keine Asylantenströme in die Schweiz mehr haben.
Sollen die anderen die militärischen Kastanien für uns aus dem Feuer holen?
Blocher: Alle Staaten setzen sich für ihre Interessen ein – für nichts anderes. Ich kritisiere das nicht, das ist auch ihre Aufgabe. Die Kriegsflüchtlinge in Kosovo, die in unser Land strömten, sind durch ein sinnloses Bombardement in unser Land getrieben worden. Man hat nicht einmal Flüchtlingslager an der Grenze in Mazedonien errichtet – das war damals mein Vorschlag für eine Aktion mit dem Katastrophenhilfe-Korps. Ein neutrales Land, wie wir es sind, kann humanitäre Hilfe leisten, die alle anderen nicht leisten können, weil sie Machtinteressen haben und immer Partei sind.
Bührer: Herr Blocher hat ein kurzes Gedächtnis. Wir hatten den massiven Flüchtlingszustrom schon in der Bosnien-Krise, vor den Nato-Bombardements. Wenn die Staatengemeinschaft dort unten nicht für Ruhe gesorgt hätte, wäre unsere Belastung an der Asylfront noch viel grösser geworden. Im Absatz 1 des neuen Gesetzesartikels heisst es klipp und klar, dass nur Einsätze im Rahmen der geltenden Aussen- und Sicherheitspolitik zulässig sind. Auch die neue Bundesverfassung legt uns ausdrücklich auf die Neutralitätspolitik fest. Es ist falsch, immer wieder einen Gegensatz zur Neutralität herbeizure-den. Wir nehmen nur an Aktionen teil, die durch Uno- oder OSZE-Beschlüsse völkerrechtlich abgedeckt sind.
Herr Blocher, sind für Sie junge Leute, welche sich zum Rest der Welt solidarisch verhalten und sich aktiv für den Frieden einsetzen möchten, idealistische Spinner? Was raten Sie ihnen?
Blocher: Wie kommen Sie auf eine so blöde Frage? Wer sich für Frieden engagieren will, der kann vieles tun…
Wir fragten Sie nach friedenserhaltenden Engagements. Was heisst das?
Blocher: Überall redet man von Friedensarmeen, auch jetzt in der Abstimmungs-Propaganda. Es gibt aber keine einzige Friedensarmee auf der Welt – mit Ausnahme der Heilsarmee. Armeen werden für den Krieg ausgebildet! Wieso sollen wir als neutrales Land Soldaten in einen kriegerischen Einsatz schicken? Das gibt Probleme mit der Neutralität, ob freiwillig oder nicht. Auch freiwillige Söldner sind verboten. Das Motiv des Militärgeset-zes ist eine Öffnung der Armee, eine Internationalisierung unserer Armee; das führt zu Kriegsrisiken für unser Land und zur Abkehr von der Neutralität.
Herr Bührer, geht es um Söldnerei auf einer neuen Basis?
Bührer: Diese Unterstellung ist ungeheuerlich. Das hat mit Söldnertum hinten und vorne nichts zu tun! Wir haben zu Recht verboten, dass sich Schweizer Bürger in Konflikte zwischen Staaten einspannen lassen. Wir sollten aber vor unserer Haustür einen Beitrag mit völkerrechtlich abgedeckten Mandaten leisten, wie wir es schon bisher taten. Ist die Swisscoy in Kosovo Partei?
Blocher: Sobald sie in eine bewaffnete Auseinandersetzung verwickelt wird, ja. Auch in Bürgerkriegen werden sie Partei. Auf dem Balkan sind wir heute für die Serben Partei, denn für sie ist Kosovo besetztes Gebiet. Wir müssten das Elend auf beiden Seiten bekämpfen können.
Bührer: Herr Blocher kämpft beim Thema Kampf und bewaffnete Auseinandersetzungen gegen ein Phantom, das am 10. Juni nicht zur Diskussion steht. Dann geht es nur um den Selbstschutz. Wenn ein Schweizer Detachement ein Brennstofflager beschützt und irgendwelche Kriminelle den Most filzen wollen, soll es sich auch wehren können!
Zur zweiten Vorlage: Herr Blocher, unsere Armee arbeitet bei der militärischen Ausbildung schon heu-te mit dem Ausland zusammen. Könnte ein Nein sie nicht hindern, weiter mitzuhalten?
Blocher: Wir haben schon heute Rechtsgrundlagen, um auch im Ausland Soldaten ausbilden zu kön-nen – aber nur zu Gunsten unserer Armee, nicht um mit anderen Armeen kooperieren zu können! Das Militärgesetz soll nun so geändert werden, dass eine gemeinsame Ausbildung mit anderen Armeen möglich wird, um mit diesen gemeinsam Krieg zu führen, vor allem mit der Nato. Unsere Armee soll damit Nato-unterstellungsfähig gemacht werden. Beabsichtigt ist eine Annäherung, um letztlich den Krieg in Europa gemeinsam führen zu können. Bundesrat Schmid sagt: Im Verteidigungsfall müssten wir mit anderen Armeen kooperieren können.
Schon zu Guisans Zeiten hätten wir nach einem Angriff auf die Schweiz, der die Neutralität hinfällig macht, mit anderen kooperieren dürfen.
Blocher: Wer Aggressor sein wird, weiss man nicht im Voraus, darum hat man keine mit der Nato interoperable Armee zu schaffen! Das heisst die Schweiz aufgeben.
Es geht um den Fall, dass die Schweiz angegriffen würde. Soll sie dann kooperieren dürfen und auch darauf vorbereitet sein?
Blocher: Wir verteidigen die Schweiz glaubwürdig auf den Grundlage der Neutralität und haben nun 150 Jahre ohne Krieg hinter uns. Die Armee auf neutraler Grundlage, um sie im Ernstfall möglichst nie zu brauchen, ist die Devise und soll sie auch bleiben.
Bedeutet die Ausbildungszusammenarbeit eine schleichende Annäherung an die Nato?
Bührer: Es gibt im VBS Leute, welche entsprechende Visionen formuliert haben. Das ist aber unwe-sentlich: Massgebend ist, was wir als Gesetzgeber dem Volk vorlegen und nicht, was einzelne Gene-räle geschrieben haben! Was ist neu? Den Austausch in der militärischen Ausbildung haben wir seit Jahrzehnten. Unsere Luftwaffe hat schon gegen 50 Trainingseinsätze im Ausland hinter sich, dasselbe gilt für die Panzertruppen, weil unsere Waffenplätze für sie zu klein sind. Wir vereinfachen bloss das Verfahren. Bis jetzt waren die Ausbildungsvereinbarungen Bundesratsbeschlüsse; neu sollen sie in der Kompetenz des VBS liegen. Zweitens soll der Gesamtbundesrat Rahmenvereinbarungen ab-schliessen können, innerhalb deren das Departement Verträge mit anderen Ländern aushandeln kann. Alles andere ist freie Interpretation von Herrn Blocher!
Blocher: Das Auslandengagement steht im Mittelpunkt für die neue Armee! Ohne den neuen Ausbildungsartikel könnten wir nicht mit anderen Armeen kooperieren. Darum müssen wir Nein sagen. Die-se Vereinbarungen müssen Sache des Gesamtbundesrates bleiben, damit unsere Generalität nicht anfängt, mit anderen Armeen etwas zu machen, was unserer Verteidigung schadet. In der Armee XXI soll von der Sprache bis zur letzten Anhängerkupplung alles auch in die Nato passen. Das macht man doch nicht, wenn man unser Territorium verteidigen will.
Bührer: Unsere Waffensysteme sind schon heute weit gehend Nato-kompatibel – aus dem simplen Grund, weil wir die meisten in Nato-Ländern kaufen.
Blocher: Unsere Armee muss unser Land und sein Gelände kennen. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben kleine Länder Kriege gewonnen, die sie auf ihrem eigenen Territorium geführt haben – denken Sie an Vietnam, Afghanistan oder Tschetschenien.
Für gewisse Ausbildungen haben wir zu wenig Platz – Luftwaffe, Panzer.
Blocher: Gegen Bezahlung wird uns das Ausland gerne weiterhin solche Ausbildungen ermöglichen.
Ist eine Armee, die nicht von einer Zusammenarbeit profitieren kann, nicht auch teurer?
Blocher: Es wird teurer, wenn wir mit den anderen zusammengehen. Führungsmässig, mit der ganzen elektronischen Vernetzung, und auch die Manöver sind dann unbezahlbar. Wenn wir die Armee auf die wahrscheinlichsten und möglichsten Bedrohungen ausrichten, braucht sie weniger Geld.
Bührer: Rüstungsbeschaffungen für eine “selbstständige” Armee werden natürlich teurer – auch bezüglich Materialreserven. Autarkie bedeutet Mehrkosten!
Herr Blocher, müsste man bei der militärischen Ausbildungszusammenarbeit hinter den bisherigen Zustand zurückgehen, wenn die zweite Vorlage abgelehnt wird?
Blocher: Das nicht. Aber die Kooperation mit fremden Armeen ist zu stoppen.
Ihr Schlusswort?
Blocher: Hinter den Militärvorlagen steht eine fragwürdige internationalistische Betriebsamkeit, die meint, wir müssten unsere Verteidigungsaufgabe nicht mehr selber lösen. Die Neutralität darf nicht preisgegeben werden. Die Schweiz als kleines Land hat auf dem Boden der Neutralität ihre besonderen Dienste anzubieten. Es ist entscheidend, dass es noch ein Land gibt, das auf Parteinahme ver-zichtet und neutral bleibt. Es geht am 10. Juni um die Neutralität. Die Schweizer haben bei einem Ja viel zu verlieren: Verlust an Sicherheit und Aushöhlung der Neutralität.
Bührer: Es geht am 10. Juni um ein Engagement unseres Landes für die Stabilität in unserem strategischen Umfeld und zu Gunsten von humanitären Aufgaben, die ohne ein sicheres Umfeld gar nicht möglich sind. Solche persönlichen Einsätze sind immer mit Risiken verbunden – das bestreite ich nicht. Ich verurteile aber, dass die Gegenseite mit Friedhof-Inseraten glauben macht, wenn man zu den Militärvorlagen Ja sage, müssten später viele Särge aus dem Ausland nach Hause geflogen werden. Das ist irreführend und geschmacklos! Ich stehe auf dem Boden unseres Milizsystems, unserer Neutralität und Bündnisfreiheit. Unser Friedensbeitrag im hinteren Glied (und nicht in einem friedens-erzwingenden Kampfgebiet) ist damit vereinbar. Er hilft, den Ruf unseres Landes hochzuhalten, und steht in unserem ureigensten Interesse.
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