EJPD-Vorsteher Blocher über den Strafvollzug

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher, Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, an der Feier zur Eröffnung der renovierten Strafanstalt Realta / Cazis GR

23.04.2004, Cazis

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Es ist für mich keine fremde Gegend, in die ich heute gereist bin. In meiner früheren Tätigkeit hatte ich bekanntlich nicht weit von hier immer wieder zu tun. Ich bin denn auch gerne hierher ins Domleschg gekommen.
Es braucht geeignete Strafanstalten

Die Renovation einer Strafanstalt zum Anlass für eine Feier zu nehmen, ist wohl nur für weltfremde Träumer anstössig. Denn die Welt besteht bekanntlich nicht nur aus gesetzestreuen Bürgern. Es ist daher eine wichtige Aufgabe des Staates, Leute, die mit dem Strafrecht in Konflikt geraten sind, wieder auf den rechten Weg zurückzuführen und – wo nötig – die Gesellschaft vor ihnen zu schützen.

Dazu braucht es geeignete Einrichtungen. Deshalb muss der Staat dafür sorgen, dass Anstalten wie zum Beispiel Realta ihren Auftrag auch dann noch optimal erfüllen können, wenn sich etwa die Betreuungskonzepte oder die Art der Insassen geändert haben, oder wenn die Bauwerke aus anderen Gründen ungeeignet und sanierungsbedürftig geworden sind.

Kluger Umgang mit öffentlichen Mitteln

Ich beglückwünsche alle politisch und in der Sache dafür Verantwortlichen zu dieser geglückten “sanften Sanierung” der Anstalt Realta. Sie ist für mich ein gutes Beispiel für den verantwortungsbewussten, sparsamen und zweckmässigen Umgang mit öffentlichen Geldern. Sie haben sich nicht mit der erstbesten Lösung zufrieden gegeben, sondern sich um bessere Alternativen bemüht und sie auch gefunden! Sie haben gezeigt, dass sich auch in älteren, aber zweckmässig sanierten Gebäuden ein moderner Gruppenvollzug und besondere Vollzugsprogramme erfolgreich durchführen lassen.

Der Bund hat an diese Sanierung bisher gut dreieinhalb Millionen Franken an Baubeiträgen bezahlt. Nach der Schlussabrechnung soll noch eine weitere Million dazukommen. Das ist auch für den Bund nicht einfach ein Pappenstiel. Bekommt man aber, wie hier, den Eindruck, diese Mittel seien vernünftig und zweckmässig eingesetzt worden, so sind sie gut angelegt.

Föderalismus im Strafvollzug

Die Sanierung von Realta ist ausserdem ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie Bund und Kantone auf dem Gebiet des Strafvollzugs zusammenwirken können und sollen: Der Bund denkt mit, berät und leistet schliesslich seinen Obolus im Sinne des Gesetzes, aber der Vollzug bleibt Sache des Kantons. Das heisst für mich Föderalismus.

Ob der Bund Vorschriften zum Straf- und Massnahmenvollzug erlassen soll, ist unter diesem Gesichtspunkt eine berechtigte Frage. Die letztes Jahr aufgenommenen Vorbereitungsarbeiten zu einem eidgenössischen Strafvollzugsgesetz wurden bekanntlich nicht zuletzt auf starken Druck von kantonaler Seite wieder gestoppt.

Ich habe natürlich ein gewisses Verständnis für die Zurückhaltung vieler Kantone gegenüber neuen Zuständigkeiten des Bundes. Schon heute stellen aber das Strafgesetzbuch, Entscheide des Bundesgerichts und internationale Abkommen eine Reihe von Regeln auf, welche die Kantone im Strafvollzug zu beachten haben. Ein einheitliches Regelwerk könnte hier eine bessere Übersicht schaffen und damit die Möglichkeiten für die Nutzung von Synergien und auch für Einsparungen deutlicher hervortreten lassen.

Einen Anfang bilden übrigens die gegen 30 Artikel, die der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches dem Straf- und Massnahmenvollzug widmet. Damit sollen nun zuerst einmal Erfahrungen gesammelt werden, bevor man allenfalls Überlegungen zu einer weitergehenden Regelung des Bundes anstellt.
Knappe Mittel wirkungsvoll einsetzen

Der sparsame Umgang mit den knappen öffentlichen Mitteln wird aller Voraussicht nach noch für längere Zeit ein zentrales Thema auf allen staatlichen Ebenen sein. Sparen in diesem Sinn bedeutet nicht nur weniger Geld ausgeben, sondern vor allem das Geld besser einsetzen: das heisst so, dass damit grössere bzw. länger dauernde Wirkungen erzielt werden. Sparsames Wirtschaften heisst somit auch: Qualität vor Quantität.

Diese Devise wurde auch bei den jüngsten Sparanstrengungen des Bundes (“Entlastungsprogramm 03”) im Straf- und Massnahmenvollzug beherzigt, namentlich im kostenintensiven Bereich der Jugendheime. So sehen die neuen Regelungen unter Anderem bis 2007 ein grundsätzliches Moratorium für die Anerkennung neuer Jugendheime durch den Bund vor.

Gleichzeitig konzentriert er seine Beitragsleistungen auf Erziehungseinrichtungen, die eine umfassende, ganzjährige Betreuung anbieten. Wer diese auf Qualität ausgerichteten Kriterien nicht erfüllt, verliert Ende 2004 das Recht auf Bundesbeiträge.

Wenn der Bund seine Beiträge zunehmend an der verlangten Qualität ausrichtet, wird er bei den Erziehungsheimen und auch im Strafvollzug an Erwachsenen besonders auf eine erfolgreiche Integration bzw. Resozialisierung achten. Beides ist nicht billig zu haben, ist aber erwiesenermassen der beste Weg, um Rückfälle zu vermeiden und dadurch echte und dauerhafte Einsparungen zu erzielen.

Gerade im Umgang mit der zunehmend “schwierigeren” Klientel der Vollzugseinrichtungen – immer mehr Inhaftierte sind psychisch auffällig -, ist überlegtes, sachkundiges Handeln ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Dafür bietet das SAZ, das Schweizerische Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal, geeignete Lehrgänge an. Es hat deshalb seinen guten Sinn, dass das SAZ im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs (NFA) wieder Bundessubventionen erhalten soll.

Viele ausländische Gefangene in Schweizer Anstalten

Der in vielen Strafanstalten – v. a. in den geschlossenen Einrichtungen – hohe Anteil ausländischer Gefangener verursacht nicht nur beträchtliche Kosten, sondern erschwert manchmal auch die Wiedereingliederung der anderen Häftlinge. Es ist daher sinnvoll, Alternativen zum herkömmlichen Strafvollzug in der Schweiz zu suchen.

Eine Möglichkeit könnte das vom Parlament im letzten Dezember gutgeheissene Zusatzprotokoll zum Europäischen Überstellungsübereinkommen bieten. Danach können ausländische Verurteilte auch ohne ihre Zustimmung in ihr Heimatland zum Strafvollzug überstellt werden. Dieses Protokoll wird voraussichtlich noch vor den Sommerferien ratifiziert werden und tritt drei Monate später für die Schweiz in Kraft. Gerade bei so genannten Kriminaltouristen könnte diese neue Vollzugsalternative günstige Wirkungen haben.

Im gleichen Zusammenhang verdient die in Österreich aufgekommene Idee, Haftplätze in Rumänien zu schaffen, Beachtung. Ich bin auch schon gefragt worden, ob die Schweiz ähnliche Schritte unternehmen oder sich mit anderen Staaten an einem solchen Vorhaben beteiligen könnte. Der Gedanke ist nicht uninteressant, wenn auch nicht völlig neu. Schon vor ein paar Jahren diskutierte man ja über die Errichtung einer schweizerischen Strafanstalt in Südamerika! Möglicherweise lässt sich diese Idee aber im europäischen Umfeld leichter verwirklichen.

Darum wird das Bundesamt für Justiz namentlich mit den österreichischen Verantwortlichen dieses Thema erörtern. Auf Grund der eingeholten Auskünfte wird es besser möglich sein, diese kostensenkende Variante zum traditionellen Strafvollzug bei ausländischen Gefangenen einzuschätzen.

Nach der Annahme der Verwahrungsinitiative

Realta ist als halboffene Strafanstalt konzipiert. Sie beherbergt daher grundsätzlich keine gemeingefährlichen Gewaltverbrecher, bei denen ein Fluchtrisiko besteht. Damit ist auch gesagt, dass hier keine Verwahrungen vollzogen werden. Daran wird sich auch nach der Annahme der Verwahrungsinitiative nichts ändern.

Die deutliche Gutheissung dieser Initiative durch Volk und Stände ist für mich Ausdruck eines verbreiteten Misstrauens gegenüber der Justiz sowie dem Straf- und Massnahmenvollzug auf allen Ebenen unseres Staates. Diese beunruhigende Diagnose veranlasst mich, in Ihrem Kreise dieses Thema kurz aufzugreifen und Sie darüber zu informieren, wie der Bund in nächster Zukunft die Umsetzung dieser Initiative anzupacken gedenkt.

Klarer Auftrag von Volk und Ständen

Eines vorweg: Volk und Stände haben uns am 8. Februar einen klaren Auftrag erteilt, und wir werden alles daran setzen, ihn bestmöglich zu erfüllen. Sie haben den Medien entnehmen können, dass ich dafür eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Herrn Direktor Koller vom Bundesamt für Justiz eingesetzt habe. Neben zwei Vertreterinnen des Initiativkomitees gehören ihr Sachverständige der Strafrechtswissenschaft, der Strafverfolgung, der Strafjustiz, der Psychiatrie und selbstverständlich auch des Straf- und Massnahmenvollzugs an.

Umsetzung des neuen Verfassungsartikels

Die Arbeitsgruppe ist beauftragt, bis zum Sommer dieses Jahres Gesetzesbestimmungen zu entwerfen, welche die in der Volksabstimmung angenommene Verfassungsvorschrift konkretisieren. Diese Regeln sollen die Verwahrungsbestimmungen des revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches ergänzen.

Im gleichen Zug wird die Arbeitsgruppe zu prüfen haben, ob der Katalog schwerer Straftaten, die nach dem neuen Verwahrungsartikel (Art. 64 nStGB) Anlass zu einer Verwahrung sein können, nicht zu eng sei, wie namentlich Strafverfolgungskreise beanstanden.

Die Arbeitsgruppe steht vor der anspruchsvollen Aufgabe, die Forderung der Initiative nach beschränkter Überprüfbarkeit der Verwahrung bei extrem gefährlichen Straftätern rechtlich einwandfrei umzusetzen. Ich will den Ergebnissen dieser Arbeit nicht vorgreifen. Aber es ist mir wichtig, dass eine Lösung dabei herauskommt, die für die Mehrheit, die der Initiative zugestimmt hat, glaubwürdig und nicht bloss ein juristischer Kniff ist.

Zeitplan

Der von der Arbeitsgruppe in diesem Sinne entwickelte Gesetzesentwurf wird dann kommenden Herbst in die Vernehmlassung geschickt. Diese Konsultation sollte bis gegen Ende Jahr ausgewertet sein, so dass der Bundesrat im Frühling 2005 Botschaft und Gesetzesentwurf zu Handen des Parlaments wird verabschieden können. Wenn alles gut geht, könnte die Ergänzung des Verwahrungsrechts auf Grund der Initiative zusammen mit dem revidierten Allgemeinen Teil des StGB und dem neuen Jugendstrafgesetz Anfang 2006 in Kraft treten.

Auswirkungen der neuen Alternativsanktionen

Die Änderungen bei den Verwahrungsvorschriften werden die Strafanstalt Realta kaum betreffen, da hier ja keine Verwahrungen vollzogen werden. Ein zweiter Schwerpunkt der Strafgesetzrevision dürfte hingegen direkte Auswirkungen auf Realta und ähnliche Anstalten haben: der Ersatz kurzer Freiheitsstrafen durch alternative Sanktionen wie die Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem oder die gemeinnützige Arbeit.

Da in Realta bisher auch viele kurze Freiheitsstrafen vollzogen wurden, ist anzunehmen, dass die Zahl der dafür benötigten Zellenplätze sinken wird, auch wenn im Zuge der Sanierung die Zellenzahl schon vermindert wurde. Auf der anderen Seite dürften die erwähnten “schwierigen” und damit betreuungsintensiven Gefangenen zahlreicher werden. Das sind neue und schwierige Herausforderungen. Doch ich weiss, dass die für den Strafvollzug Verantwortlichen längst daran sind, zweckmässige Reaktionen darauf auszuarbeiten.

Es wird gute Arbeit geleistet

Ich bin mir bewusst, dass in den Strafvollzugskonkordaten, den einzelnen Kantonen und ganz besonders in den verschiedenen Vollzugseinrichtungen Tag für Tag wichtige und hervorragende Arbeit in einem schwierigen Umfeld geleistet wird. Dieser Dienst an einzelnen Menschen und an der Bevölkerung erfährt leider von der Öffentlichkeit – und gelegentlich auch von der Politik – nicht immer die verdiente Aufmerksamkeit und Dankbarkeit.

Anerkennung, Dank und Glückwunsch

Ich benütze daher gerne diese Gelegenheit, um Ihnen – stellvertretend für alle, die überall im Land auf dem Gebiet des Straf- und Massnahmenvollzugs wirken – zu versichern: “in Bern oben” wird Ihre Arbeit beachtet und geschätzt! In diesem Sinne möchte ich Ihnen auch meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen für das, was Sie auf diesem wichtigen Gebiet leisten.

Der Strafanstalt Realta – und allen, die mit ihr verbunden sind – wünsche ich, dass mit dieser sanften, aber zweckmässigen Sanierung ihrer Gebäude die schon bisher geleistete gute Arbeit noch erfolgreicher weitergeführt werden kann.

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