Bundesräte haben immer wieder Unhaltbares versprochen

Justizminister Blocher über Glaubwürdigkeit, Asylgesetze und das Kollegialitätsprinzip

29.08.2004, SonntagsZeitung (Denis von Burg und Andreas Windlinger)

Herr Bundesrat Blocher, mit distanzierten Auftritten zu Schengen haben Sie Schlagzeilen gemacht. Warum sind Sie so erstaunt, dass man Ihnen den Bruch mit der Kollegialität vorwirft?

Ich bekämpfe Schengen nicht. Das sähe anders aus. Ich informiere über die Vorlage. Und damit halte ich mich an den Beschluss des Bundesrates, wonach eine beschlossene Vorlage von Bundesräten nicht bekämpft werden darf und glaubwürdig zu vertreten ist.

Ihr Auftritt vor Ihrer Partei wurde als Anti-Schengen-Werbespot interpretiert.
Ich bitte Sie! Man hat im Interesse der Glaubwürdigkeit davon zu sprechen, dass sich durch den Abbau der Grenzkontrolle Sicherheitsfragen stellen. Wir müssen aufpassen: Das Kollegialitätsprinzip darf nicht zum Alibi dafür werden, dass wir uns nicht mehr mit den Problemen unserer Vorlagen auseinandersetzen müssen.

Wenn ein Bundesrat seine Dossiers nur halbherzig vertritt, wird es schwierig Abstimmungen zu gewinnen.
Das Problem mit den Abstimmungen ist ein anderes: Die Leute haben das Gefühl, man versuche sie zu manipulieren, indem man nur die positiven Aspekte einer Vorlage präsentiert und die Nachteile verschweigt. Deshalb hat die Politik die Glaubwürdigkeit verloren. Das kommt daher, dass Bundesräte und Bundesämter immer wieder Propaganda und unhaltbare Versprechungen gemacht haben. Das ist zu ändern.

Wo zum Beispiel?

Die Behauptung, mit den Schengen- und Dublin-Abkommen würden wir im Asylwesen 100 Millionen sparen, ist nicht zu belegen. In Wahrheit weiss heute niemand, ob die Schweiz mit diesen Abkommen wirklich mehr Asylbewerber abgeben kann als sie zurücknehmen muss. Glaubwürdigkeit erreichen wir nur, wenn wir dem Volk die Vor- und Nachteile von Vorlagen darlegen. Ich werde nie Propagandasprüche machen, nur weil eine Bundesratsvorlage vor der Abstimmung steht.

Auch wenn sie dereinst Ihre Asylvorschläge vor dem Volk vertreten müssen?
Ich werde keine Kampagne machen, keine Steuergelder einsetzen und auch keine Meinungsumfragen durchführen, die dann erst noch geheimgehalten werden.

Dafür rufen Sie nach Niederlagen im Bundesrat zur Opposition auf. Ihnen ist es im Bundesrat nicht gelungen, die humanitäre Aufnahme aus der Asylgesetzrevision zu streichen, im Bundesrat unterlegen. Darauf haben sie den Ständerat aufgefordert, dies zu korrigieren.
Davon weiss ich nichts. Die meisten Kantone sind gegen die humanitäre Aufnahme, weil die Aufgenommenen nach sieben Jahre in ihre Obhut übergehen und ihnen damit zusätzliche Kosten verursachen können. Ich befürchte, dass die Kantone in einer Volksabstimmung die Asylgesetzrevision deshalb wohl bekämpfen würden. Darum hoffe ich, dass der Ständerat eine mehrheitsfähige Lösung finden wird.

Früher haben Sie von einem grundlegend falschen System in der Asylpolitik gesprochen. Wo bleibt jetzt der grosse Wurf?

Kurzfristig lässt sich das Asylproblem nur über die laufende Asylgesetzrevision entschärfen. Aber wenn die Revision über die Bühne ist, muss man das Problem grundlegender und auf internationaler Ebene angehen. Es darf doch nicht sein, dass jährlich zwischen 20’000 und 25’000 Asyl Suchende in die Schweiz einreisen, deren Gesuche dann jahrelang geprüft werden und von denen am Schluss dann etwa 2000 bleiben dürfen. Derweil muss man den grossen Teil der abgewiesenen Aslybewerber mühsam ausser Landes schaffen und hat insgesamt Kosten von fast einer Milliarde Franken pro Jahr. Das geht nicht. Dafür will ich Lösungen suchen.

Und wie würde die Alternative aussehen?
Wenn ich dann noch im Justizdepartement bin, werde ich mich für eine Kontingentslösung einsetzen. Über die Uno könnten die echten Flüchtlinge auf die Staaten aufgeteilt werden. Ein direktes Asylrecht wie bisher gäbe es nur noch gegenüber den Nachbarländern.

Was würde dies für die Schweiz bedeuten?

Die Schweiz könnte so doppelt so viele Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen wie bisher – also rund 4000 – und hätte trotzdem viel weniger Asyl Suchende im Land als heute. Zudem gibt es die Möglichkeit einer Betreuung der Flüchtlinge in den Krisenregionen. Als neutraler Staat hätten wir hiermit eine unglaubliche Chance. Mein Departement, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und die Armee könnten gemeinsam Flüchtlingslager in den Krisenregionen auf die Beine stellen.

Sie sind für Auslandeinsätze der Armee?

Ich war nie dagegen, nur gegen solche mit Bewaffnung. Die Armee könnte Leute so ausbilden, dass sie innerhalb weniger Tage in der Lage wäre, in einer Krisenregion solche Aufbauarbeiten zu leisten. Mit dieser Idee bin ich nicht alleine: Der deutsche Innenminister Schily hat kürzlich ebenfalls vorgeschlagen, Flüchtlingslager in Afrika einzurichten.

Sparen ist Ihr zweites grosses Thema. Als Mitglied des Bundesratsausschusses für die Verwaltungsreform haben Sie jetzt die Möglichkeit dazu. Braucht es Massnahmen beim Bundespersonalrecht?
Sagen Sie nicht sparen: Es geht darum, Kosten zu senken, Defizite zu vermindern und Schulden abzubauen. Das unflexible Bundespersonalrecht ist ein ganz grosses Problem bei den Bestrebungen, die Kosten zu senken. Bisher sind in meinem Departement einige Leute freiwillig gegangen, und ich habe freie Stellen nicht mehr besetzt. Aber abbauen kann man so nicht.

Was ist Ihre Lösung?
Ich meine, die Bundesangestellten sollten privatrechtliche Arbeitsverträge haben. Bei der Abschaffung des Beamtenstatus auf Anfang 2002 hat man nur die Pflichten gestrichen, die Rechte sind weit gehend geblieben. Es ist heute sehr schwierig, Angestellte, die den Anforderungen nicht genügen, zu entlassen. Das muss möglich werden. Auch Abgangsentschädigungen in der Höhe von bis zu zwei Jahresgehältern müssen abgeschafft werden.

Welches sind für Sie die weiteren Eckpunkte der Verwaltungsreform?
Wir haben vielerorts einen Wildwuchs. Zum Beispiel gibt es heute ein Eidgenössisches Personalamt. Daneben hat jedes Departement und jedes Bundesamt nochmals eigene Personalabteilungen. Ein Beispiel: Gegenüber der Ems-Chemie gibt es beim Bund pro Angestellten sechsmal mehr Personalverantwortliche. Gleiche Probleme gibts bei den Informatikabteilungen, den Informationsdiensten oder den Finanzen. Da stimmt doch etwas nicht. Solche Doppelspurigkeiten muss man abbauen.

Inwiefern?
Beim Bund sollte die Vollkostenrechnung eingeführt werden. Heute tragen die Departemente ihre Kosten nur zum Teil selbst. Beispielsweise laufen die Mietkosten nicht über die Rechnung der einzelnen Departemente. So gibt es überhaupt keinen Anreiz, für leer stehende Büroräume andere Mieter zu suchen oder einen bescheideneren Standard zu wählen. Nur ein Beispiel in meinem Departement: Das Verwaltungsgebäude des Bundesamtes für Flüchtlinge gleicht dem Head-Quarter einer amerikanischen Grossbank.

Mit diesen Vorschlägen riskieren Sie eine weitere Polemik.
Ist jede Idee eine Polemik? Wir haben doch schwerwiegende Missstände. Ohne neue Vorschläge lassen sich diese nicht beseitigen. Das sind meine persönlichen Ideen. Der Bundesrat muss dann entscheiden, ob er diese Ideen weiterverfolgen will. Ich bin in den Bundesrat gewählt worden, um die Probleme zu benennen und zu lösen, nicht um sie zu ignorieren.

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