Drogenpolitik. Zwischen Verharmlosung und Hysterie.
Rede von Bundesrat Christoph Blocher bei der Berufs- / Mittelschule
Pfäffikon, SZ, 12.04.2006. Bundesrat Christoph Blocher forderte die Berufs- und Mittelschüler von Pfäffikon zu mehr Verantwortungsbewusstsein auf – im Generellen und im Speziellen in Bezug auf den Konsum von Betäubungsmitteln.
12.04.2006, Pfäffikon
Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.
1. Was Schüler nicht hören möchten
Bevor man zu einem Publikum spricht, sollte man sich stets gut überlegen, wen man vor sich hat und was man mitteilen möchte. Was aber mindestens so wichtig ist: Ein Redner muss auch bedenken, was man nicht sagen sollte.
Thematisch dreht sich mein Referat um Drogen, um Suchtprobleme, um den richtigen Umgang mit Rauschmitteln. Mein Problem liegt darin, dass ich keinen direkten Einblick in Ihre Erfahrungswelt mitbringe. Ich kann mich auf Untersuchungen stützen, auf Medienberichte oder auf das, was Experten – auch aus meinem Departement – mir zutragen. Trotz aller Fülle von Informationen bleibt Ihre Welt für mich eine fremde Welt. Sie wachsen in einer vollkommen anderen Umgebung auf als ich, ja sogar als meine Kinder.
Darum habe ich das Gespräch mit einem Lehrer geführt, der Jugendliche in Ihrem Alter unterrichtet. Er hat darauf seine Schüler gefragt: Worüber würden Sie gerne etwas erfahren von einem Politiker, der ein Justiz- und Polizeidepartement führt und folglich mit Betäubungsmittelgesetzen beruflich zu tun hat?
Unter anderem konnten die Jugendlichen aufschreiben, was sie auf keinen Fall in einer Politiker-Rede über Drogen und Sucht hören möchten. Ich gehe davon aus, dass die Antworten auch auf Sie einigermassen zutreffen:
„Ich möchte, dass uns erspart bleibt anhören zu müssen, dass die heutige Jugend sowieso viel schlimmer ist als früher.“
„Probier das ja nie aus! Du wirst es ein Leben lang bereuen.“
„Die heutige Jugend… bla bla bla … – als ob wir schlechter sind als die Jugend von gestern.“
„Drogen sind schädlich, die darf man nicht nehmen.“
„Wenn der Redner versucht, sich in uns hineinzuversetzen. Beziehungsweise sagt, ich weiss, dass ihr euch momentan in einer schwierigen Phase befindet. – Oder versucht uns zu verstehen.“
„Wir wissen schon, dass Nikotin und zu viel Alkohol schädlich ist, das muss man uns nicht mehr sagen.“
„Dass sie früher weniger gesoffen und geraucht hätten.“
„Suchtmittel sind ungesund und ihr dürft sie nicht konsumieren! Das schadet eurer Zukunft. – Ja, das wissen wir doch schon.“
2. Keine Anbiederei
Wenn ich mir die Liste so anschaue, dann wird eines klar: Sie wollen keine Zeige-finger-Predigt hören. Sie wollen auch nicht, die Vergleiche mit früher hören. Sie wollen nicht hören, was Sie längst wissen. Sie wollen nicht, dass der Redner sich in Ihre Lage hineinversetzt. Gut. Jetzt frage ich mich: Wollen Sie überhaupt etwas hören?
Wenn ich Ihnen eingangs sagte, man müsse sich immer gut überlegen, was das Publikum hören oder eben nicht hören möchte, dann meine ich damit keineswegs, dass man den Leuten einfach nur nach dem Mund reden soll. Auf billige Zustim-mung aus sein kommt nie an.
Doch zurück zu den Schülerantworten. Ein Mädchen hat geschrieben, sie möchte keinesfalls hören: „Drogen sind schädlich. Die darf man nicht nehmen.“ Sie werden verstehen, dass ich das Gegenteil auch nicht vertreten kann, im Stil von „Drogen sind gesund. Besorgen Sie sich so viel davon, wie Sie nur bekommen.“ Aus einem einfach Grund: Drogen sind tatsächlich schädlich. Das kann Ihnen jeder Mediziner sehr anschaulich und sehr eindrücklich aufzeigen. Wir alle wissen, wie eine Sucht einen Menschen Schritt für Schritt zerstören kann.
3. Was man darf und was nicht
Kommen wir zum zweiten Teil der Aussage obiger Schülerin, kommen wir zum „dürfen“ bzw. „nicht dürfen“. Was die Gesetze betrifft, wissen Sie genauso gut Be-scheid wie ich. Es gibt legale Substanzen und verbotene. Was verboten ist, ist verboten. Punkt. Dass schwere Suchtmittel wie Heroin oder Kokain verboten sind, jeglicher Konsum oder Handel damit strafbar ist, muss ich Ihnen nicht sagen. Dass diese Mittel sehr schnell und sehr konsequent abhängig machen, wissen Sie und wollen Sie vielleicht nicht hören. Ich sage es trotzdem: Wer mit solchen Dro-gen hantiert, zerstört seine Existenz. Nicht nur das. Er schädigt auch seine Um-welt. Seine Familie, seine Freunde und wird nicht selten zur kostspieligen Last für die Allgemeinheit. Wer nur auf sein angebliches Recht auf Rausch pocht, handelt als rücksichtsloser Egoist.
Viel interessanter für Sie wird es, wenn wir auf den rechtlichen Status von Canna-bis zu sprechen kommen. Hier müssen wir uns nichts vormachen: Die Gesetze sagen etwas anderes, als wie sie gehandhabt werden. Cannabis ist verboten, doch wird weder der Besitz kleiner Mengen noch der Konsum bestraft. So ist die Realität und mit dieser verworrenen Situation müssen Sie klar kommen. Wir Politi-ker übrigens auch.
Es wird mittlerweile schon ein paar Jahre über die Legalisierung von Cannabis debattiert. Und es wurde sogar kürzlich erfolgreich eine Volksinitiative dazu einge-reicht. Ob das klug ist oder nicht, ob damit eine Verbesserung erzielt werden kann, will ich an dieser Stelle nicht erläutern. Aber auf eine Sache möchte ich hinweisen: Dass in absehbarer Zeit die Schweizerinnen und Schweizer – also auch Sie – über die Legalisierung von Cannabis an der Urne abstimmen können, gibt es sonst nir-gendwo auf der Welt. Nur in der Schweiz kennt man das Recht, dass jeder Bürger eine Initiative starten kann, um ein Gesetz in seinem Sinn abzuändern.
4. Alkohol und Nikotin
Wir wollen uns heute aber nicht mit einer möglichen Zukunft befassen. Sondern mit der Gegenwart. Und was uns beschäftigt im Zusammenhang mit jungen Men-schen, ist vor allem der Umgang mit Nikotin und Alkohol.
Seit ein paar Monaten gibt es keine Raucherabteile mehr in den Zügen. In öffentli-chen Gebäuden darf nicht geraucht werden. Wie es an Ihrer Schule ausschaut, weiss ich nicht. Im Kanton Tessin haben die Stimmberechtigten kürzlich überra-schend hoch einem Rauchverbot in allen Restaurationsbetrieben zugesagt.
Auf die Frage, ob Nikotin und Alkohol in den Bereich der Suchtmittel gehören, meinte ein Schüler kurz und bündig: „Es kommt drauf an, wie man mit dem Zeugs umgeht.“ So ist es. Der frühere englische Premier Winston Churchill, der Zigarren liebte, meinte: „Ein leidenschaftlicher Raucher, der immer von der Gefahr des Rauchens für die Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen.“
5. Die Einsamkeit ertragen können
Warum nimmt ein Mensch Drogen? Ihre Altersgenossen nannten Gründe wie Stress, Probleme zu Hause, Coolness, Gruppendruck, Spass, Entspannung, Neu-gier, zur Enthemmung, Unzufriedenheit mit sich selber und der Welt, Ablenkung, Ausgang.
Was dabei auffällt: Der Konsum von Rauschmitteln ist oft nicht ein Entschluss von innen, sondern durch Faktoren von aussen bestimmt. Ich glaube, ein un-abhängiges Leben sieht anders aus. Sie haben es doch auch nicht gerne, wenn Sie bevormundet werden, wenn Ihnen alles vorgeschrieben wird, was Sie zu tun und zu lassen haben. Aber genau das passiert bei der Sucht: Es sind plötzlich die Drogen, die über ihr Leben bestimmen und nicht mehr Sie selber.
Es ist nicht der Staat, der Sie vor einem Drogenabsturz bewahren kann. Auch nicht die Schule oder die Suchtmittelprävention oder die Eltern, die Freunde oder ein Bundesrat. Ganz am Ende tragen Sie alleine den Entscheid und damit die Verantwortung über Ihr Leben. Wissen Sie, ich kenne diese Momente auch. Nicht, dass mir jemand im Parlament je einen Joint angeboten hätte. Rauschmittel waren in meinem Leben kein Thema. Aber ich kenne das Gefühl sehr wohl, sich entscheiden zu müssen. Das musste ich als Unternehmer sehr oft und ich spürte die Verantwortung für 2’700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und ich kenne diese Einsamkeit in der Politik, wo man sich laufend entscheiden muss und die Ent-scheide dann auch durchzusetzen hat. Diese Einsamkeit müssen Sie ertragen können.
All die Gesetze, die ganze Präventionsarbeit, die Aufklärung durch Schule und El-tern, alles, was Sie in Ihrem Leben erfahren, befreit Sie nicht von der Tatsache, dass am Schluss Sie selber entscheiden, ob Sie sich auf Drogen einlassen. Sie haben die Wahl. Es liegt an Ihnen. Ich kann Ihnen nur sagen: Entscheiden Sie richtig.
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