Der Druck auf Europa bleibt bestehen
Es gebe etliche Flüchtlinge, die ihre Papiere innerhalb der geforderten Frist von 48 Stunden einreichen, betont der Justizminister. – Südostschweiz: Für Bundesrat Christoph Blocher ist klar: Echte Flüchtlinge werden auch nach einem Ja zum Asylgesetz Aufnahme in der Schweiz finden. Zugleich räumt er aber ein, dass man Fehlentscheide nicht ganz ausschliessen kann.
01.09.2006, Aargauer Zeitung/Südostschweiz: Christoph Brunner und Daniel Foppa
Herr Bundesrat Blocher, wenn die Asylvorlage angenommen wird, hat die Schweiz eines der schärfs-ten Asylrechte Europas. Ist das unserer humanitären Tradition angemessen?
Die Schweiz hätte nicht eines der schärfsten Asylrechte. Es gibt gewisse Bestimmungen, die sind strenger als in anderen Ländern, doch in anderen Bereichen sind wir grosszügiger. So gibt es Länder, die im Gegensatz zu uns abgewiesenen Asylbewerbern weder Nothilfe noch Sozialhilfe gewähren; oder eine unbefristete Ausschaffungshaft kennen. Aber alle Länder kämpfen mit demselben Problem: Dass Personen, die keine Flüchtlinge sind, sich via Asylrecht eine Aufenthaltsbewilligung verschaffen wollen. Deshalb verschärfen Länder mit largen Gesetzen nun ihre Bestimmungen, wie zum Beispiel Holland.
Dass bei fehlendem Pass oder Identitätskarte gar nicht mehr erst auf das Asylgesetz eingetreten werden soll, gibt es nirgendwo sonst in Europa.
Das wird es auch bei uns nicht geben. Gesuche werden weiterhin behandelt, wenn Asylsuchende aus entschuldbaren Gründen keine Reise- oder Identitätspapiere vorlegen können oder wenn Hinweise auf Verfolgung vorliegen.
Der letzte Punkt steht zwar so im Abstimmungsbüchlein, nicht aber im Gesetz. Ist das nicht Täuschung des Stimmbürgers?
Nein, das ist es nicht. Diese Kritik an den Erläuterungen im Abstimmungsbüchlein ist haltlos. Im Gesetz steht klar, dass ein Asylverfahren eröffnet wird, wenn der Gesuchsteller glaubhaft machen kann, weshalb er keine Papiere hat. Oder wenn zusätzliche Abklärungen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nötig sind. Und das ist der Fall, wenn zum Beispiel Hinweise auf Verfolgung bestehen – so wenn etwa abgeklärt werden muss, ob ein vorgelegter Hinweis auch tatsächlich der Realität entspricht.
Das bürgerliche Komitee gegen das Asylgesetz kritisiert weiter, dass gemäss Abstimmungsbüchlein beim Sozialhilfestopp der Situation von Minderjährigen oder Kranken Rechnung getragen wird. Doch auch das steht nicht im Gesetz.
Das steht nirgends im Gesetz, weil es ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist, der gilt.
Das neue Asylgesetz sieht jedoch auch vor, dass 15-Jährige in Ausschaffungshaft genommen werden können.
Das stimmt. Ausschaffungshaft ist auch für 15 bis 18-jährige Jugendliche möglich. Oder auch für jüngere, die mit der Familie kommen und mit dieser gemeinsam über einen Raum verfügen. Im Weiteren wird bei Jugendlichen immer auch die Verhältnismässigkeit geprüft.
Müsste die reiche Schweiz, das Land des Roten Kreuzes, nicht ein weniger toleranter sein?
Die humanitäre Tradition der Schweiz wird gewahrt, und die Ausländer, die hier sind, sind gut zu behandeln. In der Schweiz leben 1,5 Millionen Ausländer, das sind fast 22 Prozent. Einen solch hohen Ausländeranteil gibt es abgesehen von Liechtenstein und Luxemburg nirgends in Europa. Trotz dieses hohen Anteils haben wir keine grosse Spannungen zwischen Schweizern und Ausländern. Wenn ich das mit Vertretern von Ländern bespreche, die einen weit tieferen Ausländeranteil haben und mit Problemen kämpfen, sind sie jeweils sehr erstaunt. Bei uns sind die Zustände besser, weil wir die Ausländersituation unter Kontrolle gehalten haben. Dort aber, wo wir Probleme haben, müssen wir die Gesetze anpassen. Das ist einerseits der Fall bei der Integration, namentlich wo der Ausländeranteil sehr hoch ist, und anderseits beim Asylrechtsmissbrauch.
Sie sagen, dass der Ausländeranteil zu hoch ist. Was wäre für die Schweiz eine angemessene Zahl?
Die Zahl ist nicht das entscheidende. Wenn wir Arbeit haben für diese Menschen und sie über eine Arbeitsbewilligung verfügen, dann können wir sie relativ gut integrieren. Das Problem stellt sich aber 2011, wenn die Personenfreizügigkeit voll in Kraft tritt. Das kann zu einem Zustrom von Arbeitskräften aus der EU und zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Schweiz führen. Deshalb müssen wir den Zugang für Menschen aus Nicht-EU-Staaten einschränken, so wie es das Ausländergesetz vorsieht.
Die vorgesehenen Verschärfungen werden von kirchlichen Gegnern der beiden Vorlagen als «unchristlich» bezeichnet.
Ich halte das Vorgehen der Gegner für «unchristlich». Die beiden Vorlagen entstanden aus Verantwortung gegenüber unserem Land. Wenn wir aber die Gesetze so gestalten würden, wie es die Gegner wünschen, und es zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und des Fremdenhasses käme – das wäre unchristlich. Natürlich wären es nicht die Moral-Verkünder von heute, die darunter leiden würden. Sondern diejenigen, die bereits heute die Lasten tragen. Schon Zwingli sagte: «Christ sein heisst nicht, christlich schwätzen.»
Malen Sie nicht zu schwarz? Die Asylzahlen sind so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr – auch ohne verschärftes Asylgesetz.
Die Zahlen sind einerseits in ganz Europa zurückgegangen, weil es in Europa relativ ruhig ist. Sobald es aber zu Spannungen kommt, steigen die Zahlen wieder. Der Druck auf Europa bleibt bestehen, wie die zahlreichen Einwanderungsversuche von Afrika nach Spanien belegen. Auch wir würden diesen Druck früher oder später spüren, vor allem wenn wir nun falsche Signale aussenden. Anderseits gingen die Gesuchszahlen zurück, weil wir die Verfahren gestrafft haben und den Gesuchsstellern mit einem Nichteintretensentscheid nur noch Nothilfe und keine Sozialhilfe mehr erteilen.
Ihre Schwester Judith Giovanelli-Blocher hat diese Woche in einem offenen Brief im «Blick» geschrieben, wer anständig sei, stimme zwei Mal Nein.
Ich habe den Brief nicht gelesen, kenne aber die Haltung meiner Schwester. Sie ist im Sozialbetrieb gross geworden und hat soziale Vorträge gehalten. Das ist ihr gutes Recht. Meine Schwester darf eine andere Haltung als ich vertreten – sie ist eine über 70jährige Frau. Würde sich meine Tochter so äussern, müsste ich mich wohl fragen, ob ich etwas mit der Erziehung falsch gemacht habe.
Sie haben wiederholt betont: «Verfolgte werden aufgenommen, ob sie Ausweispapiere haben oder nicht. Daran gibt es nichts zu rütteln.» Wie können Sie garantieren, dass ein tatsächlich Verfolger ohne Papiere nach 48 Stunden nicht ausgeschafft wird?
Diese Frist besteht ja heute schon, das ist nichts Neues. Zu Ihrer Frage: Ich halte es für ausgeschlossen, dass ein tatsächlich Verfolgter ohne Papiere nach 48 Stunden trotzdem ausgeschafft wird. Dass es einmal einen Fehlentscheid geben kann, das liegt in der Natur der Sache. Die 48 Stunden sollen dazu dienen, dass jene, die ihre Papiere versteckt haben, eine Chance haben, sie zu behändigen oder sich auf der Botschaft neue ausstellen zu lassen.
Was, wenn jemand keine Papiere bringt?
Das ist klar geregelt: Wenn jemand Name, Herkunftsland, Alter, Wohnort nennt, dann lässt sich nach einer Überprüfung dieser Angaben seine Identität feststellen und diese kann von der zuständigen Botschaft auch überprüft werden. Die Anhörungen finden in Anwesenheit eines Hilfswerks-Vertreters statt, und bei einem Nichteintretensentscheid besteht die Möglichkeit, vor die Asylrekurskommission zu gehen und eine Beschwerde einzureichen. Nochmals: Es besteht keine Gefahr, dass echte Flüchtlinge nicht aufgenommen werden.
Wie viele kommen denn ohne Papiere in die Schweiz?
70 bis 80 Prozent der richtigen Flüchtlinge haben gültige Papiere. Wir haben aber sehr viele Asylsuchende auf den Flughäfen Genf und Kloten, die keine Papiere vorweisen. Neu wird es jetzt so sein: Die Fluggesellschaften sind dafür verantwortlich, dass Passagiere mit Papieren an den Zoll kommen – ansonsten sind sie verpflichtet, diese zurückzufliegen. Tun sie das nicht, werden sie mit bis zu 5000 Franken gebüsst. Sie sehen: Dieses Gesetz kann nur bekämpfen, wer Asylrechtsmissbräuche duldet oder fördert.
Aber Sie gehen mit uns einig, dass die Frist von 48 Stunden etlichen Stimmbürgerinnen und -bürgern als äusserst kurz erscheint…
Tatsache ist: Es gibt etliche Asylsuchende, die ihre Papiere innerhalb von 48 Stunden einreichen. Und wie gesagt, das gilt schon heute. Wenn jemand seine Identität nicht verschleiert und auf der Botschaft nachfragt, bekommt er Papiere ausgestellt, so dass er nach Hause reisen kann.
Laut Bundesamt für Migration hatten 2005 70 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge echte Papiere, aber nur 50 Prozent einen gültigen Pass respektive Identitätskarte. Wäre es also nicht fairer, man würde sagen, dass 50 Prozent aller echten Flüchtlinge diejenige Papiere haben, die nach der neuen Definition gültig sind?
Nein, es geht darum, ob jemand gefälschte Papiere hat oder nicht. Wenn Fahrausweise und Geburtsurkunden nicht mehr zugelassen sind, wie viele bringen dann Pässe, und wie viele Identitätskarten? Wir wissen es nicht. Aber wie gesagt: Es geht um die 20 bis 30 Prozent der Flüchtlinge, die keine oder gefälschte Papiere haben, diese sind auch aufgenommen worden.
Trotzdem kann man sehen, dass letztes Jahr 50 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge keinen Pass und keine ID hatten…
Wir wissen nicht, ob sie keine hatten. Weil andere Papiere akzeptiert sind, haben sie andere vorgewiesen – zu Recht.
Besonders kritisiert wird auch der Sozialhilfestopp: Personen mit einem abgelehnten Asylgesuch bekommen mit dem neuen Asylgesetz keine Sozialhilfe mehr, sondern können Nothilfe beantragen. Ist doch noch zumutbar?
Es geht um Leute, die sich illegal in der Schweiz aufhalten. Wie gesagt: In vielen anderen Länder bekommen diese Menschen nicht einmal Nothilfe gewährt, in der Schweiz bekommen sie zu essen und ein Dach über dem Kopf. Sehen Sie: Ein illegal anwesendes Ehepaar mit zwei Kindern kostet den Bund im Monat zum Beispiel 4800 Franken für Sozialhilfe. Die Sozialhilfe ist ein Hindernis für die freiwillige Heimkehr von illegal Anwesenden. Wir wollen diese mit der Nothilfe dazu bringen, dass sie von sich aus die Heimreise antreten.
Stichwort Verlängerung der Ausschaffungshaft: Es gibt Untersuchungen, die sagen: Je länger sie dauert, desto unwahrscheinlicher ist ihr Erfolg. Bringt es also gar nichts?
Das Ziel ist nicht, jemanden möglichst lange in Ausschaffungshaft zu stecken. Aber die Kantone müssen das durchführen, und man hat etwa 40 bis 50 schwierige Fälle pro Jahr. Die Verantwortlichen der Kantone waren nun klar der Meinung, dass 9 Monate zu kurz sind. 18 Monate wirken abschreckend, die Illegal Anwesenden werden früher gehen. Jeder Fall wird aber regelmässig von einem Richter überprüft.
Wo steht die Schweiz punkto Rückübernahmeabkommen – müsste man solche nicht forcieren?
Doch, und das tun wir auch, es bestehen im Moment 38 solcher Abkommen. Wir müssen aber aufpassen: Ein Rückübernahmeabkommen bedeutet, dass die Länder bereit sind, zwangsweise Ausschaffungen zu akzeptieren. Das kann nur bei ganz extremen Fällen angewendet werden. Warum? Wir haben vor kurzem 35 Personen in einen afrikanischen Staat ausgeschafft, was eine Organisation von 72 Begleitpersonen erforderte – Polizisten, Ärzte, Krankenschwestern – und etwa 70 000 Franken kostet. Wir sollten schauen, dass die illegal Anwesenden freiwillig zurückreisen.
Wie sieht es mit Rückkehrhilfe aus?
Das machen wir auch, es ist aber eine zwiespältige Sache, eine Gratwanderung. Wenn wir zu weit gehen, ziehen wir unweigerlich wieder neue Asylsuchende an.
Was passiert politisch, wenn der Souverän am 24. September sowohl die Asylgesetzrevision als auch das Ausländergesetz ablehnt?
Es würde die Schlepper animieren, ihrem Metier noch intensiver nachzugehen. Und die Zahl der Asylsuchenden, die keine Asylgründe haben, würde zunehmen. Die Arbeitslosigkeit und die Kosten würden steigen.