Das Volk frisst heute nicht mehr alles

Blocher kämpft gegen neue Steuern, will Ausländer zu Sprachkursen verdonnern und verlangt Einblicke in die Sündenregister der Jugend. Er ist ganz der Alte geblieben.

30.12.2006, Neue Luzerner Zeitung, Jürg auf der Maur

Letztes Jahr zogen sie auf dem Gurten Bilanz, jetzt auf dem Uetliberg. Sind das nächste Mal der Pilatus oder die Rigi am Zug?

Eine sehr gute Idee! Die Orte würden sich bestens eignen, Bilanz zu ziehen. Im Dezember 2007 wird diese Pressekonferenz ganz besonders interessant sein, weil dann ja auch die Wahlen vorbei sind.

Werden Sie noch Bundesrat sein?
Ich gehe jedenfalls davon aus.

Dann betreiben Sie und die SVP Panik auf Vorrat, wenn sie befürchten, man wolle Sie nicht mehr wählen?
Wenn die Linke – das heisst die SP und die Grünen – es seit einem Jahr als oberstes Wahlziel bezeichnet, dass der Blocher aus der Regierung müsse, dann hat man das ernst zu nehmen. Das hat es in der Schweizer Konkordanz bisher ja noch nie gegeben. Dass eine grosse Regierungspartei jemanden nicht mehr wählen will, nur weil einem die Politik des betreffenden Bundesrates nicht gefällt. Genau das machen ja SP und Grüne. Sie werfen mir ja nicht vor, ich würde meine Aufgabe nicht erledigen oder mein Departement schlecht führen. Blocher ist die Personifizierung der neuen Politik – vor allem im Asyl- und Ausländerbereich. Darum muss er weg.

Auch die vereinigte Linke kann Sie nicht abwählen.

CVP-Präsident Christoph Darbellay erklärt, die CVP werde Blocher nicht wählen.

Das sagte er, bevor er CVP-Präsident wurde. Jetzt tönt es anders.
Warten wir ab. Es geht um eine politische Ausrichtung. Die SVP hat klar Stellung bezogen und ein Bekenntnis zur Konkordanz abgegeben. Die SVP wird alle wählen, die von den Regierungsparteien vorgeschlagen werden. Sie fordert aber Gegenrecht, sonst wird sie in die Opposition gehen.

Für sie sind Sprachkenntnisse zur Integration. Diese müssen zwingend verlangt werden. Wie soll das geschehen?
Mein Departement ist daran, erste Ideen zu entwickeln.

Und?

Wer in die Schweiz kommt, irgendeine Aufenthaltsbewilligung erhält und hier bleiben darf, soll sich zwingend um seine Sprachkenntnisse kümmern müssen. Sonst wird seine Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert. Das ist aber noch nicht ausgegoren. Bei den Flüchtlingen ist dieses Vorgehen nicht möglich, bei allen anderen Ausländern aber schon. Wer eine Aufenthaltsbewilligung will, soll die Landessprache reden und verstehen.

Dann brauchen Sie Heerscharen von neuen Sprachlehrern?
Und? Das ist ja auch kein Problem. Die Sprachkurse sollen von den Ausländern bezahlt werden. Die dürfen den Staat direkt nichts kosten.

Das geht?
Bei Flüchtlingen wird der Staat zahlen müssen. Wenn ein betroffener Flüchtling jedoch nicht an einem Sprachkurs teilnimmt, soll die Sozialhilfe gekürzt werden können.

Obligatorische Sprachkurse sind das eine. Sie prüfen aber auch die Einbürgerung auf Probe.
Die Leichtfertigkeit der Einbürgerung ist näher anzusehen. Wir stellen fest, dass wir in der Schweiz die Bedingungen zur Einbürgerung oft missachten. Das hat man gerade wieder bei den Vorfällen in Seebach gesehen. Jetzt kommt die Polizei und sagt, sie habe sich immer gewundert, dass diese Burschen eingebürgert worden seien.

Das heisst?
Das zeigt, dass entweder eingebürgert wird, ohne dass man weiss, was die Polizei weiss. Oder man bürgert ein, obwohl man weiss, dass die Polizei Vorbehalte hat. Beides geht nicht.

Was ist Ihre Lösung?

Wir brauchen eine bessere Einsicht in die Polizeiakten und -dossiers. Das prüfen wir jetzt. Wir brauchen klarere Regeln zur Einbürgerung und wir brauchen einfachere Regeln, um jemandem das Bürgerrecht wieder entziehen zu können. Besser ist jedoch die genaue Prüfung vor der Einbürgerung, also bei der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung oder bei Erteilung einer Niederlassungsbewilligung.

Konkret?

In die Anzeigen- und Vorstrafenregister der Einbürgerungswilligen muss zwingend Einsicht genommen werden. Auch Einsicht zum Beispiel in Schulakten müsste möglich sein. Vor allem bei Jugendlichen stellt sich zusätzlich das Problem, dass nur Verurteilungen zu einem Freiheitsentzug oder zu einer Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung im Strafregister eingetragen werden.

Haben Sie sich konkrete Termine gesetzt?
Zur Zeit läuft die Diskussion im Departement. Bis im Frühling sollte man aber wissen, ob und wie unsere Ideen realisiert werden können. Dann legen wir einen Bericht vor. Noch gibt es zwei Knackpunkte: Die Frage der Doppelbürgerschaft und wie wir die Einbürgerungen sicherer gestalten können.

Mit Ihrer Bilanz-Pressekonferenz haben Sie Wahlkampf für Ihre Partei betrieben. In den 90er Jahren waren SP und Grüne für Fehlentwicklungen verantwortlich, seit 2003 gehe es aufwärts im Land, sagten Sie.
So habe ich das nicht gesagt. Es wäre falsch, die Schuld an den Fehlentwicklungen in den Neunzigerjahren der Linken alleine in die Schuhe zu schieben. Erstens waren die Grünen noch nicht so stark wie heute und zweitens konnte die SP ja nicht alleine regieren.

Also?
Es war ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das zu diesen Fehlentwicklungen führte. Der Fall der Berliner Mauer, der Zusammenbruch des Kommunismus, die Vorstellung, jetzt herrsche ewiger Friede führte zu einer Euphorie und einer gewissen Sorglosigkeit in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Sie verleitete dazu, Geld zu verschleudern, Steuern zu erhöhen oder das Heil in EU und Nato zu sehen. Gutschweizerische Werte wie Eigenständigkeit, Neutralität oder Fleiss galten nichts mehr.

Das hat mit der Doppelvertretung der SVP im Bundesrat 2003 geändert?
Die SVP war jene Partei, die am stärksten Gegensteuer gab. Darum wurde sie von der kleinsten Regierungspartei zur stärksten Partei im Land.

Seit 2003 hat es beim Bund keine Steuererhöhungen mehr gegeben. 
Das ist so. Seit langem sind in dieser Legislatur erstmals die Steuern nicht mehr erhöht oder neue geschaffen worden. Die 0,8 Prozent zusätzliche Mehrwertsteuerprozente, die zur Finanzierung der AHV erhoben werden sollten – eine Vorlage der früheren Regierung – sind ja vom Volk abgelehnt worden. Man sieht, die Zeiten haben sich geändert. Das Volk frisst heute nicht mehr alles.

Für die kommende Legislatur zeichnen sich neue Steuern ab. AHV und IV brauchen Finanzspritzen.

Das ist zu hinterfragen. Ich kann nicht für alle Ewigkeit versprechen, dass es keine neuen Steuern gibt.

Ihre persönliche Meinung?
Der Bundesrat hat für die IV Mehreinnahmen beschlossen. Ob das Parlament folgt, muss sich zeigen. Der Bundesrat ist der Meinung, es müsse für die IV-Sanierung eine Steuererhöhung oder mehr Lohnprozente geben. Die SVP ist anderer Meinung.

Moritz Leuenberger kündigt an, als Linker Ja zur Erhöhung des AHV-Alters zu sagen, wenn die Bürgerlichen Ja zur Finanzierung sagen. Machen Sie einen Schritt auf ihn zu?
Um eine Erhöhung des Rentenalters wird man ja kaum herumkommen. Die Frage ist wann.

Mit zusätzliche Steuereinnahmen?
Wenn man dem Volk die Frage unterbreiten würde, ob es lieber das Rentenalter erhöht oder höhere Mehrwertsteuern bezahlt, glaube ich, dass es sich für ein höheres Rentenalter, nicht aber für mehr Fiskalabgaben ausspricht. Man kann den Leuten nicht immer mehr wegnehmen.

Das heisst konkret?
Am Schluss besteht wohl die Gefahr, dass beides gemacht wird. Dass man also das AHV-Alter erhöht, gleichzeitig aber noch mehr Geld einfordert. Das zeigt, dass wir seit 2003 zwar auf dem richtigen Weg sind, aber noch bei weitem nicht alles zum besten steht. Insofern sind die Wahlen 2007 sehr wichtig. Hier entscheidet sich, auf welche Seite das Pendel schlägt.

Nämlich?
Den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern stellt sich im Wahljahr die Frage, ob sie die seit 2004 erfolgte Wiederbelebung der erfolgreichen schweizerischen Werte gutheissen oder zur realitätsfremden Politik der Neunzigerjahre zurückkehren möchten.

Die Linke wird den Steuerwettbewerb zum Hauptthema machen. Sie haben noch immer kein Problem damit?
Nein, im Gegenteil. Die Kunst der kommenden Jahre wird sein, mit möglichst tiefen Steuern möglichst viel Einkommen zu schaffen.

Für die Linke ist das ein Widerspruch.
Die Realität belegt die Richtigkeit dieser Regel immer von neuem: Sei es in Zug, in Schwyz, in Nid- und Obwalden, aber auch in Schaffhausen. Sobald die Steuern gesenkt werden, entstehen neue Arbeitsplätze und letztlich wird mehr Steuersubstrat generiert.

Sie sehen keine Grenzen nach unten?
Weiter als auf Null wird man nicht gehen können.

Und im Ernst?
Das wird man sehen, wenn die Rechnung nicht mehr aufgeht. Es gibt ja die Idee, Unternehmen sollten von den Steuern befreit werden. Solche Modelle existieren.



Was den Linken der Steuerwettbewerb ist der Rechten die Neutralität. Sie wird ebenfalls zum Wahlkampfthema.
Für ein kleines Land wie die Schweiz ist sie extrem wichtig. Auch in Zeiten des Terrorismus ist sie bedeutungsvoll. Terroristen stehen innerhalb der globalen Spannungsfelder. Die Schweiz tut gut daran, sich aus den globalen Konflikten herauszuhalten.

Sie sagen, die Neutralität gelte heute wieder mehr als 1990. Genügt Ihnen das, oder soll sie in der Verfassung stärker verankert werden?
Die Diskussion ist alt. Die Neutralität wird in der Verfassung verlangt! Die Frage ist, ob sie enger und konkreter umschrieben werden soll.

Was ist Ihre Meinung?
Ich bin dagegen, die Neutralität in der Verfassung enger zu definieren. Je genauer sie umschrieben wird, desto grösser ist die Gefahr, dass der konkrete Fall dann nicht definiert ist.

Die SVP und die Auns wollen eine Neutralitäts-Volksinitiative vorlegen.
Aus verständlichen Gründen, denn heute bezeichnen sich viele als neutral, nur um das Gegenteil tun zu können. Trotzdem: Ich bin dagegen, die Neutralität in der Verfassung näher zu umschreiben.

Der Auns und der SVP geht es um die Disziplinierung von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.
Das darf man nicht allzu personenbezogen betrachten. Heute ist Frau Calmy-Rey Aussenministerin. Bis der Verfassungsartikel greifen würde, ist sie vielleicht schon nicht mehr im Bundesrat.

 

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